Zum Inhalt der Seite

Blutgift

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 5 - 7

5. Kapitel
 

Im Vernehmungsraum des Gothamer Polizeihauptquartiers flackert das übliche helle Neonlicht. Es verursacht Kopf-schmerzen, doch Batman lässt sich nichts anmerken. Vielleicht ist seine Miene etwas stoischer als sonst, aber er bezweifelt, dass der Mann ihm gegenüber das als das erkennt, was es wirklich ist: Kopfschmerzen und absolute Langeweile.

Batman wünschte, er wäre wieder zurück im Manor. Das hier ist die reinste Zeitverschwendung. Lieber ärgert er sich wei-terhin mit dem Joker herum. Der Streit mit ihm vorhin, der hat richtig gutgetan - nicht, dass Batman das jemals offen zu-geben würde, aber er liebt es, seine Nemesis auf hundertachtzig zu sehen. Das gefällt ihm viel besser, als Jokers momentan so passives Verhalten. Der Joker ist laut, chaotisch, und immer irgendwie in Bewegung, aber niemals so still und leise und ruhig wie in letzter Zeit. Das ist einfach nicht richtig.

Eine Bewegung vor ihm auf der anderen Seite des festgeschraubten Metalltisches reißt ihn aus seinen Gedanken. Dort sitzt der Pinguin, rückt sich sein Monokel gerade und beobachtet ihn mit deutlichem Widerwillen. Batman ist leicht amüsiert - immerhin war es doch der Pinguin, der dieses Gespräch hier wollte.

„Also, Cobblepot, du weißt etwas über den Joker, das du mir unbedingt sagen musst?"

Der zu klein und kompakt geratene Mann vor ihm nickt gewichtig.

„Allerdings. Obwohl du es nicht verdient hast, nachdem du mich so hast hängen lassen. Wenn du den Mumm gehabt hät-test, meine Geschichte zu bestätigen, hätte mir das einige peinliche Therapiestunden erspart."

Er klingt bitter und feindselig, aber das ist nichts Neues. Obwohl ihm Batman in diesem Falle Recht geben muss. Wenn auch nur ein kleines bisschen.

Aber es war einfach zu lustig gewesen, zuzusehen, wie der Pinguin im unbarmherzigen Griff der Polizisten vom Friedhof geführt wurde und dabei etwas von Vampiren schrie. Natürlich glaubte ihm niemand. Die Ärzte in Arkham dürften einen Riesenspaß gehabt haben.

„Eine zusätzliche Therapie sollte dir nicht geschadet haben", erklärt er trocken. „Außerdem - wenn ich das richtig sehe, haben deine Anwälte dich doch schon längst freigeboxt."

„Ja. Haha", kommt es übelgelaunt zurück. Mit einer für seine Größe und Statur erstaunlichen Gelenkigkeit hebt der Pingu-in sein rechtes Bein und platziert seinen Fuß auf der Tischkante, rollt sein Hosenbein höher und deutet vielsagend auf seinen Unterschenkel, an dem ein kleines Gerät festgeschnallt ist.

„Hier, ich stehe jetzt unter Hausarrest."

Batman kann sich nur wundern, was alles möglich ist, wenn man nur genug Geld für die richtigen Anwälte besitzt. Aber er ist damit zufrieden. Die größte Strafe für Oswald Chesterfield Cobblepot war es schon immer, wenn man ihm nicht glaub-te.

Und im Grunde war er ja auch ein Opfer von Dracula - wenn er auch nicht gebissen und transformiert wurde, sondern „nur" unter dessen Bann stehend als Sargwächter diente.

Trotzdem - dieses Gespräch beginnt, ihn wirklich zu langweilen.

„Komm zur Sache, Pinguin."

„Zur Sache? Ja, gut, ich komme zur Sache. Die Sache ist, dass da draußen ein gefährlicher Irrer frei herumläuft, der dies-mal noch gefährlicher ist als sonst." Er stellt seinen Fuß wieder auf die Erde und verschränkt beide Arme vor der Brust. „ Aber mir kann das ja egal sein, wenn ich zuhause in Sicherheit sitze."

„Wirklich? Für mich klingt das eher, als wünschst du dich nach Arkham zurück. Hinter dicke Mauern und sichere Türen."

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht."

„Ist das die wichtige Information, wegen der du mit mir reden wolltest? Dass der Joker gefährlich ist und frei herumläuft?" Doch dann sieht Batman den Gesichtsausdruck des Pinguins und sein Ärger verfliegt. Interessiert beugt er sich etwas weiter nach vorne und mustert seinen ärgsten Feind neben dem Joker durchdringend.

„Sehe ich da etwa Furcht in deinem Gesicht? Seit wann fürchtet der Pinguin den Joker?"

Cobblepot schluckt einmal schwer und rückt sich nervös das Monokel zurecht. Er widerspricht Batman nicht, auch, wenn das seinen Stolz verletzt. Ihn und den Joker verbindet eine jahrelange Feindschaft, die mehr auf Konkurrenzdenken als auf wirklicher Antipathie beruht. Es gab sogar schon Situationen, da haben sie einträchtig zusammen gearbeitet - auch wenn sie sich niemals gegenseitig vertrauen können, haben sie gelernt, einander zu respektieren. Auch Dank einiger gemeinsamer Schachpartien im Arkham Asylum.

Das Problem ist nur: Cobblepot respektiert den Joker auf dieselbe Art und Weise, wie er ein gefährliches Raubtier respek-tiert. Nicht mehr und nicht weniger. Und zur Zeit eher weniger.

„Wenn du schlau wärst, würdest du ihn auch fürchten." Der Pinguin räuspert sich einmal und wirft einen schnellen Blick hinüber zu dem Spiegel an der Wand, hinter der, wie jeder weiß, immer ein oder mehrere Polizisten stehen und sie ganz genau beobachten. Deshalb senkt er auch die Stimme zu einem Flüstern.

„Du und ich, wir wissen, dass Vampire existieren, dass Graf Dracula existiert hat. Sag, Batman, als du in den Katakomben warst und gegen Draculas Kinder gekämpft und ihnen dein Gegenmittel gegeben hast, war unter ihnen auch der Joker?”

„Nein", erwidert Batman ehrlich und hält ein Lächeln zurück. Natürlich nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Joker schon längst geheilt. Auch wenn er damals, als er sich gegen Draculas Opfer wehrte, angenommen hatte, dass der grünhaa-rige Harlequin of hate schon längst auf und davon wäre, schließlich hatte er die Zellentür absichtlich offen gelassen.

Ich habe immer noch keine Antwort von ihm erhalten, wieso er nicht getürmt ist, fällt ihm plötzlich ein. Er beschließt, das so bald wie möglich einzufordern.

„Natürlich nicht!" Pinguins triumphierende Stimme holt ihn zurück in die Gegenwart. „Und in Arkham ist er auch nicht, sonst wäre ich ihm gestern und heute da begegnet. Da draußen läuft immer noch ein Vampir herum, Batman! Und er ist nicht irgend ein Vampir."

Batman verbeißt sich ein Lachen. Dieses Gespräch wird ja immer besser.

„Der Joker?" erkundigt er sich betont skeptisch. „Ein Vampir?"

„Nicht irgend ein Vampir", wird er in verschwörerischen Tonfall verbessert. Nun lehnt sich auch der Pinguin etwas nach vorne und Batman sieht die Angst in seinen Augen. „Nicht so wie die anderen armen Teufel. Weißt du, was er gemacht hat, als der Graf ihn biss? Er biss zurück."

Batman blinzelt verblüfft.

„Ja, da staunst du, was?" zischt Copplepot. „Dracula staunte auch. Er hatte sie alle unter Kontrolle, nur ihn nicht. Höchs-tens sporadisch. Wenn überhaupt. Wahrscheinlich ist die Stimme des Blutsaugers unter all den anderen in Jokers Kopf einfach untergegangen. Und er läuft da draußen immer noch frei herum."

„Dracula ist nur noch ein Häuflein Asche. Jeder, den er gebissen hat, ist geheilt. Und jeder, der unter seinem Bann stand, auch."

„Hast du mir nicht zugehört, Flattermann? Der Joker hat den Grafen zurückgebissen! Kennst du denn gar keine Vampirge-schichten? Wenn der Meistervampir von einem Opfer gebissen wird, wird dieses selbst zu einem Meister!"

Batman winkt ab. Natürlich hat er sich informiert - und das nicht zu knapp.

„Das ist nur eine Legende unter Tausenden."

Cobblepot starrt ihn an, er zittert vor Wut. Er kann es wirklich nicht ausstehen, wenn man ihn nicht so ernst nimmt, wie er es gerne hätte.

„Gott, ich hoffe, du findest ihn und er zerfleischt dich!"

Batman erhebt sich wortlos und geht zur Tür. Der Pinguin wirft ihm noch ein paar sehr kreative Beleidigungen hinterher, doch der maskierte Ritter lässt sich nicht davon provozieren.

Er hat genug zu tun, nicht laut herauszulachen. Denn - mal ehrlich: die Vorstellung dass Joker den Vampir aller Vampire rotzfrech zurückgebissen hat, ist doch einfach nur herrlich!

Er geht in den kleinen Beobachtungsraum hinter dem Spiegel, wo ihn Commissioner Gordon und Detective Yin erwarten. Der Anblick der bildschönen, dunkelhaarigen Polizistin ist wie ein Lichtblick, erst recht, wenn sie ihn so anlächelt wie jetzt. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, wäre aus ihnen vielleicht ein Paar geworden, aber hier und jetzt sind sie nur gute Freunde.

Wenigstens heute Nacht wird ihr der Joker nichts antun können, schießt es ihm in Erinnerung an die keine Stunde zurück-liegende Diskussion durch den Kopf. Wenigstens heute Nacht sind sie alle vor ihm sicher. Eine weitere Nacht ohne den Clown Prince of Crime für Gotham.

„Glauben Sie ihm?" reißt ihn Gordons Stimme aus seinen Gedanken. „Dieses ganze Gerede von Vampiren und so?" Der Polzeichef klingt eher besorgt als belustigt. Auch wenn er den Aussagen des Pinguins keinen Glauben schenken mag, hat auch er schon zu viel gesehen und erlebt, um so etwas von vorneherein ad acta zu legen.

„Ich glaube ihm, dass der Joker gefährlich ist", erwidert Batman schlicht.

„Wir haben eine Spur vom Joker", wirft da Detective Yin ein. „Heute Morgen kam ein Anruf von einer Polizeiwache aus Blüdhaven. Ein Fischer gab dort zu Protokoll, den Joker vor sechs Tagen mit dem Netz vor der Bucht aus dem Wasser gefischt zu haben. Der arme Mann stand noch immer halb unter Schock."

„Gut, dann werde ich dort mit meiner Suche anfangen", sagt Batman, während er innerlich frohlockt.

Einem Fischer bist du also ins Netz gegangen? Na, sieh mal einer an. Und dann? Die Blüdhaven Bucht ist hundertfünfzig Meilen entfernt. Bist du den ganzen Weg zurück nach Gotham gelaufen? Wieso? Wieso bist du zurück gekommen? Ich hielt dich für tot. Das war doch die Gelegenheit für dich. Was bedeutet dir Gotham, dass du immer wieder zurückkommst?

Er wechselt noch ein paar freundliche, aber belanglose Worte mit Commissioner Gordon und Detective Ellen Yin, bevor er sich schließlich verabschiedet.

Aber er führt nicht sofort zurück in die Bathöhle. Er muss nachdenken, und zehn Meter über der Straße, auf dem denkmalgeschützten Museum neben einem steinernen Wasserspeier ist dafür genau der richtige Ort.

Von hier oben sehen die Menschen und Fahrzeuge klein aus, aber noch nicht unbedeutend.

Die Nacht ist gerade angebrochen, die letzten Pendler sind genauso unterwegs wie die ersten Nachtschwärmer. Gegenüber lockt das Theater elegant gekleidete Frauen und Männer zur Abendvorstellung, manche fahren sogar mit ihren Limousinen vor. Das sind die Kreise, in denen er sich als Bruce Wayne bewegt, aber er hat dafür schon längst nur noch ein müdes Lächeln übrig. Wirklich wohl fühlt er sich nur, wenn er Spenden für Bedürftige sammelt oder in der Maske Batmans seine Stadt beschützt. Wenn er Gutes erwirken kann.

Gutes erwirken…

Der Gedanke, der ihn schon seit Stunden quält und den er bisher erfolgreich unterdrückte, drängt nun endlich an die Ober-fläche. Machtvoll und mit sehr, sehr scharfen Zähnen.

Jokers Worte sind nicht an ihm abgeprallt, es ist ihm nicht einmal gelungen, sie erfolgreich zu überhören. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten seine Gefühle die Oberhand. Es ist alles wieder hochgekocht, wie immer, wenn jemand Ethan Bennetts Namen erwähne: Seine Wut, aber vor allem seine Enttäuschung darüber, was aus seinem ehemaligen Freund geworden ist.

Trotz allem hatte Ethan ab einem Punkt die Wahl, als Clayface hat er die Fähigkeit, jede beliebige Gestalt anzunehmen und mit viel Training war es ihm auch gelungen, in seinem alten Körper stabil zu bleiben. Tagelang. Er hätte den Rest seines Lebens als Ethan Bennett verbringen können, doch letztendlich entschied er sich für einen anderen Weg, entschied sich für Clayface, für Rache und Kriminalität.

Und es war unfair von ihm – Batman - dafür allein den Joker verantwortlich zu machen. Der Joker war für Ethans Zustand verantwortlich, aber nicht für dessen Entscheidungen.

Ob es das ist, was er immer meint, wenn er vom Chaos spricht? Er löst Ereignisse aus, stürzt uns über die metaphorische Klippe und steht dann einfach da und beobachtet, was aus uns wird? Beobachtet, welchen Weg wir einschlagen?

Ethan.

Harleen Quinzel.

All die vielen Namenlosen, die er überfüllt und terrorisiert? Verteidigen sie sich, verteidigen sie ihre Familien, werden sie zu Helden oder zu Feiglingen? Aber was ist mit denen, die er tötet? Den Unschuldigen? Was meint er damit, wenn er immer sagt, sie sind nicht unschuldig?

Gutes erwirken ... der Gedanke bringt sich wieder in Erinnerung, und er bemerkt, dass er schon wieder abgeschweift ist. Es ist wie ein Abwehrreflex. Doch diesmal bleibt er dabei.

Ich bin Batman. Ich versuche, Gutes zu bewirken. So gut ich kann. Aber nicht um jeden Preis ... oder?

Doch! Die Erkenntnis wirkt wie ein Schlag in den Magen. Wenn es um jemanden geht, der ihm nahe steht, verliert er seine Zurückhaltung. Das macht ihn zwar menschlich, aber er ist der dunkle Ritter Gothams, nicht der dunkle Rächer.

Bin ich übereifrig? Bin ich grausam? War ich eben nicht auch grausam, als ich Cobblepot gegenüber so tat, als würde ich ihm nicht glauben, genau wissend, dass es ihn härter trifft als jeder Schlag von mir?

Ethan gegenüber bin ich immer viel nachsichtiger. Bei ihm versuche ich immer noch, das Gute in ihm zu sehen.

Und was ist mit dem Joker? Ich habe damals nicht eine Sekunde daran gedacht, was es für ihn bedeuten könnte, wenn ich in seinen Geist eindringe. Würde das jemand mit mir machen, würde es sich für mich nicht auch die rücksichtslose Über-tretung einer roten Linie bedeuten? Ein Eindringen in meine Privatsphäre? Eine ... Vergewaltigung?

Batman schluckt einmal schwer. Er fühlt sich immer schlechter. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Joker ihm schon sehr früh einen Hinweis darauf gegeben hatte, wo er Detective Yin gefangenhielt.

Cobblepot hatte ganz recht. Ich höre nicht richtig zu.

Batman beschließt, das zu ändern.

Mit diesem guten Vorsatz macht er sich auf den Heimweg.
 

***
 

Er schläft ohne vorher sediert worden zu sein oder sich völlig verausgabt zu haben. Schon das allein ist bemerkenswert. Noch viel bemerkenswerter allerdings ist die Tatsache, dass er auch träumt.

In seinen Träumen ist er stark. Stärker als sonst. Stärker als Batsy. In seinen Träumen schleudert er Batsy einmal quer durch den Raum und ist verblüfft über seine eigene Stärke. Und er kann die Wände hochklettern wie Spiderman.

Aber vor allem sind seine Träume voller Blut. Er spürt es. Er riecht es. Aber vor allem schmeckt er es.

Und er kann es noch immer auf seiner Zunge schmecken, als er die Augen öffnet. Süß und warm und metallisch zugleich. Aber das ist falsch. Er weiß, wie Blut schmeckt, und es hat noch niemals so gut geschmeckt. So … dunkel. Wie die Fins-ternis selbst. Als wäre jeder einzelne Tropfen einen Schritt weiter hinunter ins sichere Verderben.

Es ist der falsche Pfad. Wenn er sich schon fürs Verderben entscheiden muss, dann definitiv nicht dieses. Falsch. Einfach nur falsch.

In seiner Zelle liegt der Joker auf dem Rücken und starrt mit weitgeöffneten, leeren Augen ins Nichts. Seine Atmung ist heftig und schnell, als hätte er gerade einen schweren Kampf mit Batman hinter sich. Schweiß glitzert auf seiner Stirn und aus seiner Kehle kommt ein tiefes Grollen, während sich seine Finger so fest in den felsigen Untergrund krallen, dass die Nägel splittern.

Er sieht nicht die Gitterstäbe oder die Höhlendecke über sich, er sieht nur dieses blasse Gesicht mit den aristokratischen Gesichtszügen, die zwingende Kraft in diesen hellen Augen und die spitzen Zähne hinter dem triumphierendem Lächeln.

Joker hasst dieses Gesicht, hasst es mit jeder Faser seines Körpers, denn dieser Kerl war in seinen Gedanken, in seinem Kopf und hat versucht, ihn zu kontrollieren! Hat versucht, ihn zu beherrschen!

Hat ihm Bilder gezeigt. Erinnerungen. Davon, wie er gegen seinen Batsy kämpfte. Hat ihm gezeigt, was er mit seinem Batsy vorhatte!

Aber niemand niemandniemandniemand nimmt ihm seinen Honeycake weg!

Und niemand niemandniemandNIEMAND kontrolliert den Joker!

Schmor in der Hölle, Bastard!

Aber das tust du ja schon längst, nicht wahr?

Jokers Lippen verziehen sich zu einem zufriedenen Grinsen. Er erinnert sich wieder. Sein Batsy-Honeycake hat diesen arroganten Graf Dracula besiegt.

Gut. Sehr gut. Der Pfad wurde nicht verlassen.

Erleichtert schließt er die Augen. Sein Puls beruhigt sich wieder.

Als er das nächste Mal das Bewusstsein wiedererlangt, nicht erwacht, neineinein, wach ist er schon etwas länger, ganz offensichtlich, sind seine Hände feucht und dieser Geruch hängt in der Luft. Auf seiner Zunge liegt wieder dieser kupferne Geschmack. Und oh ja, er ist durstig. Wieder.

War er irgend wann einmal nicht durstig?

Seine Fingerspitzen pochen im Takt seines Herzens. Oh, er mag dieses Gefühl, wenn der Schmerz so niedrig, aber konstant und lang anhaltend bleibt.

Ganz verloren in diesem Gefühl knabbert und nuckelt er weiter an den ruinierten Fingerspitzen seiner rechten Hand herum, während er mit der Linken über sich in der Luft das wispernde Orchester dirigiert, das niemand außer ihm hören kann. Zumindest trifft das auf die meisten Menschen zu, einige scheinen es doch irgendwie wahrzunehmen, denn manchmal wird eine neue Single von einem Musiker, einer Band oder einem Interpreten veröffentlicht, auf der er dann einige dieser Akkorde wiedererkennt.

Die Melodie ist immer anders, stets im Fluss, wie das nun mal so ist mit dem Leben; und meist ist sie nicht mehr als ein Hintergrundrauschen, wenn sie jedoch lauter wird, anschwillt wie ein Fluss nach der Schneeschmelze, dann kann er gar nicht mehr anders: er muss zuhören. Mitsingen. Mittanzen. Oder, so wie jetzt, die farbenfrohen Noten in der Luft nach-zeichnen.

Zuzusehen, wie sich sein Blut mit den lustig flackernden Farben vermischt, verursacht ihm ein Hochgefühl, wie er es sonst nur vom Crackrausch her kennt.

Und dann, ganz plötzlich, verkrampft er sich unter einer unerwarteten Hitzewelle. Oh. Ob er deswegen solchen Durst hat?

Er will gerade darüber nachdenken, als er dieses andere Gefühl spürt. Es ist altbekannt und immer willkommen, als würde eine innere Saite von ihm zum Klingen gebracht.

Das Orchester, eben noch Crescendo, wird wieder zu einem Wispern.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung richtet er sich in eine kniende Position auf und legt lauschend den Kopf schief. Das Röhren des Motors ist noch in weiter Ferne, noch wird es vom Rauschen des Wasserfalls übertönt. Um seine Lippen zuckt ein verzücktes Lächeln.

„Batsy is home."
 

***
 

In der Bathöhle erwartet ihn die vertraute Stille. Jedenfalls für die ersten drei Sekunden, bis er sich aus dem Batmobil ge-schwungen hat. Bis er die Fahrertür hinter sich schließt. Es ist, als wäre das leise Klicken ein Startschuss gewesen.

„Bist du das, Batsy?" schallt es durch sein Refugium. „Hmmm, ich weiß, dass du es bist! Ich habe Durst! Hey, Zimmerser-vice!" Und schon weht dieses manische Lachen zu ihm hinunter.

Aufseufzend schiebt sich Batman seine Maske wie eine Kapuze in den Nacken und massiert sich die Nasenwurzel.

Nicht ausflippen, beschwört er sich. Gaaaaanz ruhig bleiben.

Er atmet ein paar Mal tief durch, wie er es von seinen Meditationsübungen her kennt und geht zurück zu seinem Batmobil. Aus dem Handschuhfach holt er eine kleine 0,5 l Wasserflasche und macht sich damit dann auf den Weg nach oben zu den Zellen.

Jokers Stimme, durchdringend wie immer, begleitet ihn den ganzen Weg über, eine einzige Folge spöttischer Bemerkungen und wahrlich kreativer Schimpfnamen.

Und ja, Bruce ist grausam, aber diesmal mit voller Absicht, denn er nimmt den längeren, den langsameren Weg.

„So, Joker", ruft er, dessen Litanei mühelos übertönend, „da bin-"

Er stockt mitten im Satz und bleibt wie angewurzelt stehen. Seine Augen weiten sich fassungslos, als er sieht, was ihn erwartet.

„Batsy." Jokers Stimme ist das reinste Schnurren, als er sich an den Gitterstäben in die Höhe zieht. Dort, wo seine Hände das Metall berühren, hinterlassen sie feuchtglänzende, rote Abdrücke. Seine Hände sind so vollständig mit Blut besudelt, dass es aussieht, als trage er scharlachrote Handschuhe.

„Hey, Honeycake." Er drückt sein Gesicht an die Gitterstäbe und lächelt. Eine unheimliche Grimasse, denn Lippen und Kinn sind blutverschmiert und überall dort, wo er sich mit den Fingern durchs Gesicht gefahren ist, blühen rote Schmier-flecken.

Beinahe flehend streckt er den rechten Arm durchs Gitter.

„Ich habe Durst!"
 

***
 

Alfred kann nicht schlafen. Das ist ein Zustand, an den er sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre gewöhnt hat. Es ist der Preis, den er dafür zahlt, den Wayne-Erben quasi als seinen eigenen Sohn aufzuziehen. Zuerst waren da diese Nächte, in denen er die Alpträume und Monster unter dem Bett eines Kindes verscheuchen musste, später kamen die Zeiten, wo er aufblieb, darauf wartend, dass ein Teenager von wilden Partys zurückkehrte und jetzt wartet er ebenfalls, einen erste-Hilfe-Koffer immer griffbereit, auf Batmans Rückkehr.

So etwas wie ein Privatleben kennt er nicht, und er vermisst es auch nicht.

Der Junge brauchte ihn damals, die Scheidungspapiere waren schon unterschrieben und seine Frau mit den Kindern auf dem Weg nach Florida. Sie haben noch Kontakt und er besucht seine Kinder regelmäßig, doch das ist alles an Privatleben, was er braucht.

Das Leben mit einem Mann wie Bruce Wayne ist aufregend genug. Und jetzt, wo sich auch noch der Joker dazugesellt, erst recht.

Nachdenklich rührt Alfred den Zucker unter seinen Tee und setzt sich dann an den Küchentresen. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, wann Bruce, eigensinnig wie er ist, endlich auch erkennt, was für ihn so offensichtlich ist. Bruce' Trauer um den Joker, als er dachte, dieser sei tot, hatte nichts mit Selbstvorwürfen über eine misslungene Rettung zu tun, genauso wenig wie dessen Freude über Jokers Rückkehr. Oder Bruce' Entscheidung, die Zellentür offen zu lassen. Und all diese vorgeschobenen Gründe, wieso er ihn jetzt hier behält ... Alfred seufzt leise auf.

Wann wird er es sich endlich eingestehen?

Das für morgen geplante zweite Date mit Vicky Vale bereitet dem treuen Butler daher erhebliche Kopfschmerzen. Er be-fürchtet, dass sich sein junger Freund in etwas stürzt, nur, um seinen wahren Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Das wird ihn nur ins Unglück stürzen.

Und was es für den Joker bedeuten mag, will er sich gar nicht erst vorstellen. Der Mann ist absolut besessen. Sein ganzes Denken, sein ganzes Streben dreht sich seit ihrem ersten Kampf nur noch um Batman. Und seit er weiß, wer sich hinter Maske und Cape verbirgt, auch noch um Bruce Wayne. Deshalb ist es so leicht, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann genau er begriff, wer Batman ist - ab dieser Sekunde drehten sich fünfundneunzig Prozent seiner kriminellen Aktivitäten um den Wayne-Erben. Er raubte dessen Partygäste aus, entführte dessen Freunde, entführte Bruce Wayne selbst und sprengte quasi alles in die Luft, was auch nur annähernd mit Wayne Industries zusammenhing.

Es fiel nur deshalb nicht auf, weil es in dieser Stadt quasi nichts gibt, was nicht irgendwie mit Bruce Wayne in Verbindung steht.

Was wird er erst anrichten, wenn er hautnah miterlebt, wie Bruce zu seinem Date geht?

Alfred weiß, dieser Gedanke ist unfair, aber er hofft dennoch, dass der Joker, der in seinen Augen eindeutig eine Krankheit mit sich herumschleppt, morgen Abend schon zu schwach sein wird, um überhaupt zu bemerken, dass Bruce ausgeht.

Aber am allerliebsten wäre es ihm, wenn die beiden - der eine zu ignorant und der andere zu obsessiv - endlich aufhören würden umeinander herumzutanzen. Er weiß zwar nicht, wie das gut enden könnte, aber es wäre zumindest ein Anfang.

Himmel hilf— habe ich das eben wirklich gedacht? Fange ich etwa an den Joker ... zu mögen? Ja, bin denn ICH jetzt verrückt geworden?

„Alfred!" Bruce' aufgeregte Stimme, die aus dem Funkgerät dringt, das er immer wenn Batman unterwegs ist, bei sich trägt, reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Ja, Master Bruce?" meldet er sich alarmiert.

Er glaubt, am anderen Ende ein erleichtertes Aufatmen zu hören. „Geht's dir gut, Alfred?"

„Ja, Master Bruce", entgegnet der Butler stirnrunzelnd. Sicherheitshalber steht er schon einmal auf. Es macht ganz den Anschein, als werde seine Anwesenheit in der Bathöhle benötigt.

Und tatsächlich...

„Ich brauche hier unten deine Hilfe, alter Freund. Und ... bring Knoblauch mit."

„Knoblauch, Bruce?" Alfred spürt, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterläuft.

Oh nein, bitte nicht SCHON WIEDER.
 

***
 

6. Kapitel
 

Es ist schlimmer als es jeder Schmerz sein könnte. Sein gesamtes Inneres krampft sich vor Abscheu zusammen, und ehe er es sich versieht, spuckt, hustet und würgt er die wenigen Schlucke Wasser, die er eben zu sich genommen hat, in hohem Bogen wieder aus.

Es ist ein reiner Schutzreflex, der ihn dazu zwingt, die Wasserflasche – diese Ursache seiner Probleme – von sich zu schleudern. Doch er bereut es noch im selben Moment, denn er ist so verdammt durstig!

Und dennoch schnürt ihm nur allein der Gedanke an Wasser die Kehle zusammen und verwandelt seinen Magen in einen heißen Knoten.

Frustriert aufschreiend fällt er auf die Knie. Seine Hände zucken hoch zu seinen Haaren, verkrallen sich in seinen Dread-locks und beginnen, daran zu ziehen. Es ist der verzweifelte Versuch, den einen Schmerz mit einem anderen zu ersetzen, der kontrollierbarer ist.

Aber letztendlich ist es doch nicht der Schmerz, der ihm Erleichterung verschafft, sondern etwas viel Simpleres. Es beginnt mit der Präsenz eines großen, starken Körpers neben ihm, der den unverwechselbaren Geruch von Honig und Mandeln mit sich bringt und endet mit dem Gewicht einer Hand auf seiner Schulter.

Er hört auf an seinen Haaren zu ziehen und dreht den Kopf.

Leuchtend blaue Augen bohren sich in seine und die Welt – seine Welt – hört auf, sich zu drehen.

Und sie dreht sich erst weiter, wenn auch quälend langsam, als sein ganz persönlicher dunkler Ritter die Hand ausstreckt und sein Gesicht berührt.
 

***
 

Scharlachrotes Blut auf weißer Haut. Obwohl er diesen Anblick von ihren Kämpfen her kennt, ist das Gefühl, das dieser Anblick diesmal bei ihm auslöst, ein grundlegend anderes.

Es schmerzt ihn, den Joker so zu sehen.

Eine behandschuhte Hand berührt vorsichtig ein spitzes Kinn und wischt mit dem Daumen etwas von dieser scharlachroten Flüssigkeit beiseite. Doch er macht es nur noch schlimmer. Noch mehr Rot auf weißer Haut.

Rubinrote Augen bohren sich bei dieser Berührung in seine azurblauen, ein leiser, kaum wahrnehmbarer Atemzug zittert zwischen ihnen, und dann entwindet sich der Joker seinem Griff und dreht seinen Kopf beiseite. Er starrt hinüber zu der Wasserflasche, die jetzt außerhalb der Zelle liegt und deren Inhalt im Felsen versickert.

„Ich habe Durst." Seine Stimme ist nur ein Hauch, so schwach, dass Batman ihn kaum verstehen kann, doch in ihr steckt die ganze Verzweiflung einer gemarterten Seele. Und dann, mit diesem unheimlich abwesenden Ausdruck auf dem Ge-sicht, führt er seine rechte, blutende Hand hoch zu seinem Mund.

Batman schluckt einmal schwer.

Das, was er den ganzen Tag über krampfhaft beiseite geschoben hat, worüber er nicht eine Sekunde lang nachdenken wollte, ist plötzlich wieder präsent.

Das Gefühl von Jokers weichen Lippen auf seinen eigenen, seine Wärme, sein Duft, die Art, wie er unter seinen Finger-spitzen erzitterte, wie heiß und schwer er sich in seiner Hand anfühlte ... das alles war einfach nur perfekt.

Für einen kleinen, nur allzu flüchtigen Augenblick war es einfach nur perfekt.

Ein perfekter, sorgenloser Augenblick, der Freiheit suggerierte, fern von allen Verpflichtungen und Nöten, wo er einfach nur er selbst sein konnte. Nicht Bruce Wayne und auch nicht Batman. Sondern einfach nur... er selbst.

Er und der Joker, gefangen in einem Mikrokosmos, wo außer ihnen beiden nichts mehr zählte.

Aber das ist falsch, weil das Universum so nun einmal nicht funktioniert.

Sie leben beide in völlig unterschiedlichen Welten - der Joker sogar in einer völlig andersgearteten als der Rest der Menschheit - und sie begegnen sich nur dann, wenn sich ihre Wirkungskreise überschneiden, wenn Joker ein Gesetz über-tritt und Batman einschreitet, wenn sie gegeneinander bis aufs Blut bekämpfen. Außerhalb dieser Begegnungen wissen sie nichts von dem anderen.

Wobei der Joker allerdings dank Bruce Waynes ständiger Medienpräsenz im Vorteil sein dürfte - es gibt genug Artikel, in denen das Privatleben von Gothams beliebtesten Playboy ausgeschlachtet wird.

Und das lässt Bruce instinktiv Distanz bewahren. Es verursacht ihm einfach ein flaues Gefühl im Magen, zu wissen, dass der Joker Batmans Identität schon seit Jahren kennt, dass er alles über Bruce Wayne erfahren kann - und dafür ist nicht mehr nötig als seinen Namen einmal in einer Internetsuchmaschine eingeben zu müssen - während er selbst noch immer ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Natürlich ist Bruce selbst daran schuld, alles, was ihn an dem Joker je interessierte, waren dessen Pläne und wie er diese vereiteln kann. Joker ist das große Unbekannte, das unberechenbare Etwas, gefährlich und gerissen wie ein Raubtier, ein manipulativer Bastard, ein psychotischer Sadist mit einem abartigem Sinn für Humor - kurz: niemand, mit dem man sich länger beschäftigen sollte als unbedingt notwendig.

Niemand, von dem man will, dass er weiß, wo man wohnt.

Und noch viel weniger jemand, in dessen Nähe man Herzklopfen bekommen sollte - außer vor Angst natürlich.

Und das ist der Zwiespalt, in dem sich Bruce befindet, wieso er ihn niemals, niemals! zu nahe an sich herankommen lassen darf.

Doch ihn jetzt hier so verletzlich zu sehen, blutend, verzweifelt und mit diesem unverständlichen Hang zur Selbstver-stümmelung (und so ernst, so ungewohnt ernst, nie hätte er das gedacht, aber er vermisst Jokers Lachen), lässt Bruce keine Sekunde mehr zögern.

Er handelt rein instinktiv.

Als er sieht, wie der Joker an seinen Fingern zu saugen beginnt, während seine andere Hand auch schon hoch zu seinem Mund wandert, um der ersten dort Gesellschaft zu leisten, greift er ein.

„Nicht", erklärt er leise. „Bitte nicht."

Behandschuhte Finger legen sich behutsam, aber dennoch unnachgiebig um die Handgelenke des Jokers und ziehen dessen Gliedmaßen fort von diesen scharfen, gelben Zähnen.

„Nein", wiederholt Bruce und mustert ihn eindringlich. Er kann sich nicht helfen, aber der Anblick des Blutes in Verbindung mit Pinguins Worten hat Zweifel geweckt. Dieselben Zweifel, die ihn dazu bewogen, Alfred zu bitten, sofort mit Knoblauch in die Bathöhle zu kommen.

Aber der Joker zeigt keine Anzeichen einer erneuten Infektion – kein Verblassen der Farben, keine Veränderung der Iris-farbe und vor allem: keine spitzen Reißzähne.

Und seine Haut ist alles andere als kalt. Sie glüht regelrecht, das kann er sogar durch den Stoff seiner Handschuhe spüren. Wieso auch immer er sich so verhält – es liegt nicht daran, dass er wieder ein Vampir ist.

Später, wenn man ihn fragt, warum er das getan hat, wird er keine Antwort darauf wissen. Es ist einer jener seltenen Mo-mente in seinem Leben, wo er einfach handelt ohne darüber nachzudenken, ganz egal, welche Konsequenzen oder Gefah-ren das für ihn nach sich ziehen könnte.

Der Impuls dazu entspringt derselben Quelle wie jener, der ihn vor einiger Zeit veranlasste, die Zellentür offen zu lassen und dem Joker damit eine Fluchtmöglichkeit zu bieten. Es ist dasselbe nebulöse Motiv, das ihn immer antreibt, sich aus einer Gruppe von Kriminellen stets den Joker als denjenigen zu wählen, den es zuerst gilt wieder dingfest zu machen.

Und vielleicht, ja vielleicht liegt es auch an diesem verlockenden Duft, der kaum wahrnehmbar zwischen ihnen in der Luft liegt und der ihn an wilde Beeren erinnert. So fruchtig und süß und vermischt mit dem schweren Geruch von frisch ver-gossenem Blut.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung beugt er sich nach vorne und verschließt die Lippen des Jokers mit einem Kuss.

Er schmeckt Blut und Salz und spürt, wie sich der Joker gegen seinen Griff wehrt, doch er hält ihn unbarmherzig fest, geht sogar noch weiter, indem er die Hände des Jokers fest gegen seinen Oberkörper presst. Er will ihm zeigen, wie heftig sein Herz klopft, will ihm zeigen, was er in ihm ausgelöst hat. Und tatsächlich - Jokers Widerstand erlahmt.

Er fühlt, wie sich Jokers Lippen gegen seine bewegen, wie er den Kuss erwidert, aber dann, plötzlich, spürt er auch scharfe Zähne an seiner Unterlippe. Bruce erstarrt. Aber noch bevor der Millionär seine eigene Vertrauensseligkeit bereuen kann, dreht der Joker seinen Kopf von selbst beiseite.

Bruce' Lippen rutschen ab und anstatt auf diesem warmen, köstlichen Mund landen sie nun auf einer leicht geröteten Wange. Eigentlich auch keine so üble Position, wie Bruce feststellt. Nur etwas verdächtig heiß. Fiebrig.

Er weiß nicht, wie viel Selbstbeherrschung es den Joker kostet, ihn nicht zu beißen, er weiß nicht einmal, ob er ihn über-haupt beißen wollte. Aber alles an seinem Benehmen spricht dafür, dass er es nicht tun wird.

„Ich war ein Vampir." Jokers Stimme ist nur ein Flüstern. Er zittert.

Merkwürdigerweise ist Bruce nicht ganz so überrascht darüber, dass er sich wieder erinnern kann, wie er eigentlich sein sollte.

„Sieh mich an", befiehlt er in seinem typischen Batman-Tonfall. Doch er hält ihn niedrig und so freundlich wie möglich.

Seltsam genug, aber Joker gehorcht. Sein Gesicht ist leer, völlig ausdruckslos, doch in seinen Augen lauern Schatten, die in Bruce das Verlangen auslösen, ihn zu beschützen. Bruce weiß nicht, woher dieses Gefühl plötzlich kommt, aber er weiß ja auch nicht, wieso er ihn küssen will. Später wird er vielleicht darüber nachdenken, aber nicht jetzt.

„Du hast niemals jemanden gebissen." Bruce hat nur eine ungefähre Vorstellung davon, was im Kopf des Jokers gerade vorgehen mag - und so, wie er dessen Kopf kennt, ist das nur einer von unzähligen anderen Gedanken - aber er hält etwas Aufmunterung für angebracht.

„Und ich werde nicht zulassen, dass du jetzt ausgerechnet bei dir selbst damit anfängst."

Vielsagend verstärkt er seinen Druck um Jokers blutverschmierte Hände, und bevor dieser noch irgend etwas darauf erwi-dern kann, verschließt Bruce seine Lippen wieder mit einem Kuss.

Verdammt, daran könnte er sich wirklich gewöhnen!

Und da ist er nicht der einzige. Aber anders als Bruce ist sich der Joker nicht sicher, inwieweit das hier real ist. Etwas, was sich so gut anfühlt, etwas, das seinen heimlichen Träumen so nahe kommt, kann erfahrungsgemäß gar nicht real sein.

Schmerzen ... Schmerzen sind real. Schmerzen wie seine pochenden Fingerspitzen und der Druck gegen seine Knochen, dort, wo Batman seine Hände festhält.

Oder die Schmerzen in seinen Knien, weil der Felsboden trotz der Isomatte doch recht hart ist.

Er hat immer noch quälenden Durst und versteht nicht, wieso er das Wasser nicht einmal ansehen kann, ohne dass es ihm den Magen umdreht, aber auf der anderen Seite ist er auch merkwürdig beruhigt. Sein Batsy ist hier, er hält ihn fest, und auch, wenn diese Küsse nur seiner Einbildung entspringen, für Batmans Präsenz gilt das nicht. Sein dunkler Ritter ist hier und zerquetscht ihm fast seine lädierten Finger. Alles wird gut.

Und - hey! - auch wenn diese Küsse vielleicht nicht real sind, heißt das nicht, dass er sie deshalb nicht genießen sollte, oder?

Aber nicht beißen, ermahnt er sich. Er will nicht, dass Bruce abermals erstarrt. Er soll nicht beunruhigt sein. Er will nicht, dass er sich ihm entzieht und weggeht. Er soll nicht denken, dass er immer noch ein Vampir ist und wieder gegen ihn kämpfen will.

Er braucht seinen Batsy, hier an Ort und Stelle. Hier, bei ihm. Er braucht seine starke, warme Präsenz, er braucht den Schmerz, den er ihm zufügt, weil er sonst aus der Welt fällt.
 

***
 

Als Alfred aus dem Lift stürmt, bewaffnet mit zwei Knoblauchketten und einem Steakmesser, ist er auf alles gefasst: einen wieder zum Vampir gewordenen Joker, der sich gierig auf Bruce stürzt oder einen verletzten, wenn nicht gar halbtoten Bruce, gebissen, ausgeblutet, selbst infiziert.

Doch seine schlimmsten Fantasien können ihn nicht auf das vorbereiten, was ihm in der Zelle begegnet. Sein Kampfschrei erstirbt ihm auf den Lippen und er lässt das zum Stoß erhobene Messer wieder sinken.

Er blinzelt. Einmal. Zweimal.

Doch das Bild verändert sich nicht.

Er fährt sich einmal mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen und räuspert sich vorsichtig.

Dann kratzt er sich mit der freien Hand im Nacken.

„Bruce?"

Leicht irritiert wandert sein Blick über die in der Zelle knienden Männer. Bruce trägt immer noch sein Batman-Kostüm und er hat sein Cape wie eine Decke um den anderen Mann vor sich geschlungen, es sieht aus, als wären sie zu einem einzigen großen, schwarzen Wesen verschmolzen.

Und ... sie küssen sich.

Als Alfred sich dessen bewusst wird, klappt er seinen gerade geöffneten Mund wieder zu und spart sich jedes weitere Wort.

Er erkennt einen Fehlalarm, wenn er einem begegnet, denn Bruce' Miene nach zu urteilen, geschieht dies hier nicht gegen dessen Willen.

Er kennt Bruce' Küsse, hat sie oft genug mehr oder weniger unfreiwillig beobachten können. Und irgendwann konnte er nur anhand der Art, wie Bruce eine seiner vielen Freundinnen küsste, vorhersagen, wie lange diese Affäre dauern würde. Da gibt es die leichten, zarten Schmetterlingsküsse, die kurzen und die, die etwas länger dauern, die mit Zunge und die ohne und die, wo er die Augen offenlässt oder genüsslich schließt.

Dieser hier allerdings ist völlig anders, so einen hat selbst er noch nie gesehen.

Dieser Kuss ist ein sanftes, vorsichtiges Herantasten, einem Flehen gleich und doch drückt er zugleich diese unnachgiebige Entschlossenheit aus, wie sie für Bruce bei allem, was den Joker betrifft, so typisch ist. Während des gesamten Kusses hält Bruce seine Augen geschlossen - anders als der Joker. Dessen Lider sind nur auf Halbmast gesenkt. Aber seinem leerem Blick nach zu urteilen ist das unerheblich, ist er doch schon längst wieder in Sphären versunken, die noch viel weiter weg liegen als alles, was normale Menschen je erreichen können.

Alfred macht einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. Und dann noch einen. Und noch einen. Im Gehen bückt er sich und hebt mechanisch eine herumliegende Wasserflasche auf. Sie ist noch halbvoll, aber die nassen Spuren auf dem Felsen verraten ihm, wo das meiste ihres Inhalts gelandet ist.

„Bruce?" fragt er noch einmal behutsam.

Bruce beendet diesen Kuss und sofort fühlt sich Alfred schuldig, die beiden gestört zu haben.

„Tut mir leid, wenn ich dich in Aufregung versetzt habe, Alfred", murmelt Bruce über seine Schulter hinweg. Aus irgend einem Grund lässt er den Joker dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. „Ich habe überreagiert, als ich das ganze Blut gesehen habe. Das Gerede des Pinguins über Vampire hat mich nervös gemacht."

Blut? Beunruhigt runzelt Alfred die Stirn. Welches Blut?

Doch dann lüftet Batman sein Cape und gibt den Blick auf Jokers Hände frei, die er fest umklammert hält.

„Okay. Hm." Plötzlich kommt sich Alfred mit seinen „Vampir-Abwehrutensilien" sehr lächerlich vor. Während er das Messer in seiner Jackettasche verschwinden lässt, bleiben die Knoblauchketten aber mangels Alternative weiterhin um seinen Hals hängen.

„Was ist passiert?" erkundigt er sich leise, tritt noch näher und beäugt dabei besonders die Hände des Jokers. Dass er sich dabei auch direkt vor die Tür stellt, ist kein wirklicher Zufall, sondern seiner Ausbildung beim Secret Service, jahrelanger Erfahrung und nie nachlassender Vorsicht geschuldet.

„Ich hab ihm das Wasser gegeben", erwidert Bruce. „Aber aus irgend einem Grund konnte er es nicht bei sich behalten."

„Ich meinte seine Hände."

Wortlos dreht Bruce die rechte Hand des Jokers in seinem Griff so, dass Alfred sie besser sehen kann.

Schon nach dem ersten Blick zuckt der Brite zurück. „Oh mein Gott."

Voller Grauen starrt er auf die übel zerbissenen Fingerkuppen.

„Ich wusste nicht, wie ich ihn weiter daran hindern kann", murmelt Bruce. Zuerst versteht Alfred nicht, was er damit meint, aber als sich Bruce wieder nach vorne lehnt und die Lippen des anderen zu einem weiteren besinnlichen Kuss einfängt, bleiben keine Fragen mehr offen.

„Oh. Nun, das stellt Sie vor ein ernstes Problem, Sir. Sie können ihn schließlich nicht ewig auf diese Art daran hindern, sich weiterhin selbst zu verletzen."

Ein leises, zustimmendes Geräusch, das tief aus Bruce' Kehle kommt ist das einzige Zeichen darauf, dass er ihn wohl ver-standen hat. Oder es bedeutet etwas völlig anderes.

Um Alfreds Lippen zuckt ein kleines Lächeln.

„Obwohl es Ihnen anscheinend sehr viel Spaß macht."

Diesmal erfolgt überhaupt keine Reaktion auf seine Worte. Alfreds Lächeln verwandelt sich in ein breites, völlig atypisches Grinsen.

„Gut, ich werde dann mal den Erste-Hilfe-Koffer holen."

Mit diesen Worten dreht er sich um. Er kann sich irren, aber er hätte schwören können, dass Bruce ihm diesmal geantwor-tet hat. Und es klang ganz so wie „lass dir Zeit."
 

***
 

7. Kapitel
 

„Laaaaangweilig.”

Bruce versucht, das genauso zu überhören wie die letzten fünf „laaaangweilig" davor, doch diesmal will es ihm nicht mehr gelingen, die Gänsehaut - eine sehr angenehme Gänsehaut - die Jokers Stimme bei ihm hervorruft, zu ignorieren. Und so hört er auf, auf den Monitor zu starren und dreht sich auf seinem Stuhl zu jenem Mann herum, den er vor einer knappen Stunde noch so begeistert geküsst hat. Er bereut es nicht, und das irritiert ihn, doch er hat keine Zeit, gründlich darüber nachzudenken, denn er muss herausfinden, woran der Joker diesmal leidet.

Bisher hat er nur eine eindeutig erhöhte Leukozytenanzahl (daher das Fieber) und akuten Eisenmangel diagnostizieren können. Aber was genau dafür verantwortlich ist, hat das medizinische Programm noch nicht ausgespuckt. Beruhigender-weise gibt es wenigstens keine Anzeichen dafür, dass das Vampirvirus wieder aktiv ist.

„Bruciiiiiie - kann ich nicht wenigstens den Fernseher anmachen?" Es gibt ein leises, patschendes Geräusch, als der rechte nackte Fuß des Jokers den Felsboden berührt, Schwung holt, um den Stuhl, auf dem er sitzt, erneut um sich selbst drehen zu lassen. Kindisch? Ja, absolut. Aber auch sehr jokertypisch, und darüber ist Bruce sehr froh.

Sekundenlang sieht er ihm einfach nur zu und kann sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Als der Schüttelfrost ein-setzte, wollte Alfred ihren „Gast" sofort aus der zugigen Höhle nach oben in ein Gästebett stecken, doch es war der Joker, der sich sehr vehement gegen diesen Vorschlag wehrte. Letztendlich lieh Batman ihm sein Cape, und nun sitzt der Joker seit einer Stunde hier, kuschelt sich in den schwarzen Stoff und stellt den Drehstuhl auf eine harte Belastungsprobe.

Wenn da nicht seine glasigen Augen und seine geröteten Wangen wären, käme Bruce nie auf den Gedanken, dass er Fieber hätte.

Obwohl - die roten Wangen könnten auch vom Likör stammen. Alkohol und Fieber - keine sehr vorteilhafte Kombination, wie Bruce zugeben muss, doch es ist ein Getränk, das Jokers Durst löscht und das er nicht sofort wieder ausspuckt. Es liegt am Eisengehalt der schwarzen Johannisbeere, aus der der Likör besteht. Es ist wirklich ein riesiger Glücksfall, dass Alfred noch einige Flaschen seines selbstgebrauten Likörs übrighat und dass er sich daran erinnerte, dass schwarze Johannisbee-ren bei Eisenmangel hilfreich sind.

Bruce kann nur mutmaßen, aber im Zuge seiner Ermittlungen gegen Graf Dracula fielen ihm auch Abhandlungen in die Hände, in denen als ein Grund für Vampirismus auch akuter Eisenmangel vermutet wird. Vielleicht, so vermutet er, hat sich Joker deswegen seine Fingerspitzen zerbissen und sein eigenes Blut getrunken. Vielleicht hat sich da aber auch nur eine weitere nervöse Störung manifestiert.

Die Hauptsache ist jedoch, dass der Joker seine Fingerspitzen nicht mehr als Kauknochen missbraucht. Dank seiner Immunität gegen viele Gifte steigt ihm der Alkohol auch nicht so schnell zu Kopf wie es bei einem normalen Mann seines Gewichts der Fall gewesen wäre. Das heißt aber noch lange nicht, dass er nach dem Genuss von einem halben Liter Likör noch nüchtern wäre - beileibe nicht.

Jokers nörgelnde Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Du arbeitest jetzt schon seit einer Stunde daran. Was hoffst du zu finden, was du bisher noch nicht gefunden hast?"

Meine innere Ruhe, ist Bruce versucht zu sagen. Denn ich weiß nicht, wie ich auf dich reagieren soll... Er weiß, er flüchte-te sich ganz bewusst in die Daten, starrte lieber auf den Monitor, weil es ihm so schwer fiel, ihn nicht mehr zu küssen. Zumindest in der ersten halben Stunde. Jetzt, eine weitere halbe Stunde konzentriertes Arbeiten später, hat sich zumindest sein körperliches Verlangen etwas abgekühlt.

Was hat der Kerl nur an sich? Und warum ER? Er ist ein KERL! Und warum muss er sich ausgerechnet JETZT sexuell neu orientieren?

Ob das daran liegt, dass er schon seit Monaten nicht mehr mit einer hübschen Frau intim war? Verdammt, er muss damit aufhören, schließlich rechnet er sich gute Chancen bei Vicky Vale aus.

Seufzend fährt er sich mit den gespreizten Fingern durch das Haar und beobachtet den Joker mehr oder weniger verstohlen.

Dieser lässt seinen Stuhl ausschwingen und starrt zurück. Auch er erinnert sich sehr deutlich an ihre Küsse, aber mag auch alles in ihm nach mehr schreien, so weiß er doch, dass es für alles einen rechten Augenblick gibt und seiner … nun, seiner ist erst einmal vorbei.

Das hält ihn aber nicht davon ab, die Nähe des Millionärs zu suchen - der wahre Grund, wieso er nicht in ein Gästezimmer wollte. Aber dass ihn dieser dann so lange ignorierte, ist einfach nur frustrierend. Er ist daher nicht gewillt, jetzt, wo er endlich seine Aufmerksamkeit errungen hat, diese so schnell wieder aufzugeben. Bruce soll sich mit ihm unterhalten und er verfällt daher auf die altbewährte Methode der nervtötenden Provokation.

„Komm schon, Brucie. Entspann dich mal. Du arbeitest viel zu viel. Das ist ungesund."

„Entschuldige bitte", zischt Bruce da auch schon zurück, „dass ich dir helfen will."

„Oh, das verzeihe ich dir", Joker macht eine wegwerfende Handbewegung, „aber was ich dir nicht verzeihe, ist, dass du dir wieder Vorwürfe machst und denkst, du würdest versagen."

Sprachlos starrt Bruce ihn an. Die Fähigkeit seiner Nemesis, ihn so mühelos zu durchschauen, wird ihm allmählich un-heimlich.

„Ehrlich, Batsy, du darfst das alles nicht immer so ernst nehmen. Du kannst nicht jeden retten.”

Endlich findet Bruce seine Stimme wieder.

„Ich will nicht jeden retten", braust er auf. „Hier und jetzt und heute will ich dich retten! Also hör auf, dich über mich lustig zu machen!"

„Sonst was?" unterbricht ihn Joker und kichert belustigt. Es ist ein lang vermisstes Geräusch, und doch wünscht sich Bruce, es käme zu einem anderen Zeitpunkt. „Sonst wirst du es dir doch noch einmal überlegen? Sonst wirst du mir nicht helfen? Das glaube ich kaum. Das widerspräche nämlich allem, was du so vehement verteidigst."

Bruce seufzt einmal tief auf, schüttelt den Kopf und will sich wieder seinem Computer zuwenden. Dieses Gespräch geht ihm zunehmend an die Nieren - er kann sich gegen alles verteidigen, aber gegen die Wahrheit aus dem Munde dieser rotäugigen Pest ist er einfach machtlos.

„Hey Batsy!"

Hinter ihm ertönt das Rascheln von Stoff, gefolgt von dem Geräusch nackter Füße auf Stein, und plötzlich ist die Stimme des Jokers ganz nah und er spürt eine leichte Berührung an seiner rechten Schulter. Er dreht den Kopf und sieht direkt in ein blasses, ungewohnt besorgtes Gesicht.

„Sei nicht gleich beleidigt, Bruce. Ich bin nicht undankbar, wirklich nicht. Aber manchmal kann man eben nichts tun. Du musst lernen, das zu akzeptieren, sonst gehst du daran kaputt. Und das", Joker zögert kurz und für den Bruchteil einer Sekunde flackert sein Blick zu einem Punkt über Bruce' Schulter, „würden deine Eltern bestimmt nicht wollen. Sie haben schließlich versucht, dich zu einem glücklichen, optimistischen Menschen zu erziehen. Du ... du solltest dir angewöhnen, dich an die schönen Dinge zu erinnern und ... und lernen, dass auch in jeder noch so schlimmen Situation etwas Positives versteckt ist." Er grinst und beginnt dann zu lachen. „Sei ein wenig mehr wie ich, Brucie-boy."

„Wie kannst du es wagen?!” Mit einem Satz ist Bruce aufgesprungen, packt ihn am Kragen und schüttelt ihn mit blitzen-den Augen durch. Joker lässt das Cape los, in das er sich bisher eingewickelt hatte und der schwarze Stoff gleitet zu Boden wie ein riesiger, dunkler Schatten, gefolgt von einem Likörglas, das er noch in einer Hand gehalten hat und das jetzt auf dem Felsen in unzählige kleine Scherben zersplittert.

In einer instinktiven Abwehrbewegung hebt Joker die Hände, doch seine mit Pflaster umwickelten Finger rutschen nur kraftlos an Bruce' behandschuhten Händen ab.

„Du weißt nichts von meinen Eltern! Wage es nie wieder, sie zu erwähnen, du elender Bastard!"

Mit aller Kraft und noch viel mehr Verachtung stößt er den Joker von sich. Dieser taumelt durch den unerwarteten Schwung nach hinten und fällt höhst unelegant über den Stuhl, auf dem er bis vor zwanzig Sekunden noch gesessen hat. Mit einem höchst unangenehmen Geräusch schließt sein Hinterkopf Bekanntschaft mit dem harten Felsboden.

Oh. Mein. Gott. Bruce ist vor Schreck wie erstarrt. Scheiße.

„Joker! Joker, es tut mir leid! Das hab ich nicht gewollt!"

Der Joker liegt keuchend auf dem Rücken. Die Wucht des Aufpralls nimmt ihm vorübergehend den Atem und das ist fast schlimmer als der aufbrandende Schmerz in seinem Hinterkopf.

Für eine Weile wird alles Schwarz, doch er hat Übung darin, sich an seinem Bewusstsein festzukrallen. Es dauert nicht länger als eine oder zwei Sekunden, bis seine Welt wieder feste Formen annimmt, und dann ist das erste, was sich heraus-kristallisiert, Bruce Waynes reuevolles und besorgtes Gesicht.

„Es tut mir wirklich leid. So sehr leid."

Bruce hebt eine zitternde Hand und berührt damit vorsichtig Jokers Kopf. Es ist eine sehr hilflose Geste, die mehr auf Instinkt denn auf Rationalität beruht, denn alles, was er zwischen die Finger bekommt, sind Jokers dicke, grüne Dread-locks.

Aus Jokers Kehle löst sich ein glucksendes Geräusch, das schnell zu einem Kichern wird.

„Oh, so viel Zorn! So viel Wut!" Das Kichern steigert sich zu einem Lachen. Er lacht so heftig, dass ihm die Tränen in die Augen steigen. „Wundervoll. Lass es raus. Komm, lass es raus." Jokers Stimme senkt sich zu einem heiseren, geradezu verführerischen Raunen. „Du willst es doch auch, oder?"

Tatsächlich verspürt Bruce den Drang, ihm seine Faust ins Gesicht zu rammen, doch er hält sich zurück, über sich selbst zutiefst entsetzt. Ihm fallen all die anderen Situationen ein, in denen er sofort zuschlug - und war es nicht gerade dieses Benehmen, das zu dem glücklicherweise-doch-nicht-tödlichem Unfall des Jokers führte?

Was ist das nur, dass es ausschließlich dem Joker gelingt, immer derartig an seiner Selbstbeherrschung zu kratzen? „Nein", entgegnet er leise, nichtsdestotrotz aber entschlossen. Er öffnet seine bereits zur Faust geballte rechte Hand Wieder und lockert den Griff der anderen in Jokers Haaren. Er holt einmal tief Luft.

„Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun."

Joker starrt ihn sekundenlang nur aus seinen roten Augen an. Seine Heiterkeit ist regelrecht verpufft und macht etwas Platz, was Bruce bisher noch nie an ihm gesehen hat: Kummer.

„Was soll ich nur mit ihm machen?" Er klingt leise und verloren, als er seinen Blick wieder auf einen Punkt über Bruce' Schulter richtet. Nur mühsam unterdrückt Bruce den Impuls, sich umzudrehen. Er weiß, dass da niemand steht. Ob der Sturz auf den Kopf eben Joker das letzte bisschen Verstand gekostet hat? Denn nach allem, was er weiß, mag der Joker vielleicht Stimmen hören, aber bisher hatten sie sich doch noch nie in imaginären Personen manifestiert, oder? Vielleicht ist das aber auch „nur" eine Folge des Fiebers. Oder des Alkohols. Oder ein Symptom der bisher unbekannten Krankheit, an der er leidet?

Bruce weiß, dass man Verrückte nicht in ihren Wahnvorstellungen bestärken sollte, aber die Fragen schlüpfen ihm von den Lippen, bevor er sie zurückhalten kann.

„Mit wem redest du da? Wen siehst du dort?"

Verdammt! Ertappt zuckt der Joker zusammen und beißt sich auf die Unterlippe. Das hätte nicht passieren dürfen. Er kann die Schuld nur bei seiner derzeitigen körperlichen Verfassung suchen - Fieber und hämmernde Kopfschmerzen und eine leichte Alkoholisierung sind schlechte Voraussetzung dafür, ein lang gehütetes Geheimnis zu bewahren.

Er war bisher nur ein einziges Mal unvorsichtig, in Arkham, als sie ihn so mit Drogen vollgepumpt hatten, dass er sich kaum noch an seinen Namen erinnern konnte. Aber das war nicht wirklich schädlich, die Ärzte dort setzten einfach noch die Diagnose „Schizophrenie" zu den anderen in seiner Akte hinzu. Das hier würde nicht so leicht werden. Er versucht es dennoch.

„Iiiiiich?" erklärt er gedehnt und zaubert sein bestes Grinsen hervor. „Ich rede mit niemanden. Mit niemanden außer dir. Es ist doch niemand außer uns beiden hier. Andererseits ... vielleicht doch? Ich höre Stimmen. Ich bin verrückt. Frag die Ärzte in Arkham. Oder nein ... besser noch: dich selbst. Du warst doch in meinem Kopf, du weißt, wie es da zugeht."

Bruce runzelt die Stirn und wirft ihm einen skeptischen Blick zu. Hat der Joker etwa ihre Diskussion beim Dinner schon vergessen? Aber nein ... das wagt er zu bezweifeln, nicht, nachdem er sich so darüber aufgeregt hatte. Viel wahrscheinlicher ist - und bei diesem Gedanken vertiefen sich die Falten in seiner Stirn nur noch - dass der Joker darauf spekuliert, dass Bruce ihm vor ein paar Stunden nicht richtig zugehört hat. Und, wenn man bedenkt, welch gemeine Dinge er gesagt hat, wo doch eine Entschuldigung angebrachter gewesen wäre, kann er es ihm nicht einmal verübeln.

Doch Bruce ist müde und erschöpft und voller Sorgen - kurz: er ist diese Spielchen wirklich leid.

„Halt mich nicht für dumm. Du hast selbst gesagt, dass du mir nur gezeigt hast, was ich sehen sollte. Du hattest in einem Recht: ich weiß überhaupt nicht, was in deinem Kopf so vor sich geht. Ich will das aber ändern, Joker. Ich will wissen, was in dir vorgeht. Und nicht, weil es mir helfen würde, deine kriminellen Aktivitäten vorauszuahnen. Auch nicht, weil es mir vielleicht eine Hilfe wäre, herauszufinden, welche Krankheit du hast. Sondern, weil ich dich einfach nur verstehen will." Er holt einmal tief Luft und blinzelt erstaunt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat er seine Hände um Jokers Gesicht gelegt und sich zu ihm hinuntergebeugt, so tief, dass sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Er kann Jokers Atem auf seiner Haut spüren, er riecht süßlich - nach Alkohol und Beeren. Und er kann die Hitze fühlen, die er ausstrahlt.

„Ich will dich verstehen, Joker. Bitte, sag mir, wen oder was du siehst."

Joker starrt ihn für einen Moment nur an und schließt dann abweisend die Augen. „Nein."

Warum nicht? will Bruce schreien, doch er beißt sich noch rechtzeitig auf die Zunge. Die Antwort auf diese Frage ist schließlich offensichtlich: Joker traut ihm nicht. Aber Bruce hat schon so viele Vernehmungen von Superkriminellen durchgeführt, um genau zu wissen, dass man mit Fragen, die das Thema von einer anderen Seite beleuchten, oft sehr viel weiter kommt. Auch beim Joker hat das schon funktioniert.

„Aber du siehst etwas, nicht wahr? Etwas, das normale Menschen nicht sehen, weshalb es oft als Wahnvorstellung. abge-tan wird. Aber...” seine Stimme wird leiser, nachdenklicher, während er sanft mit den Daumen über Jokers Wangenkno-chen fährt - so heiß, so furchtbar heiß -‚ „...das ist doch auch nicht weiter verwunderlich. Deine Augen sind einzigartig. Wie können wir es wagen, deine Sehfähigkeit mit menschlichen Maßstäben zu messen?"

Bis eben hat er nie über solche Dinge nachgedacht, und jetzt, wo er sie ausgesprochen hat, erscheinen sie ihm so offen-sichtlich und absolut wie eine in Stein gemeißelte Wahrheit.

Joker schlägt seine so einzigartigen Augen auf. Augen, rubinrot und mit Pupillen so fremdartig als stamme er von einem fremden Planeten, Pupillen nicht schwarz, sondern gelblich leuchtend wie die einer Katze in der Nacht. Ob er genau wie Katzen über eine reflektierende Pigmentschicht im Auge, das Tapetum Lucidum verfügt?

Jokers Gelächter reißt ihn aus seinen Gedanken. „Wow, Bruce! Und dafür hast du nur tausendfünfhundertzweiundneunzig Tage gebraucht?"

„Du zählst die ... Tage??" Bruce blinzelt verblüfft, sich schlagartig bewusst werdend, wie nahe sie sich schon wieder sind. Er nimmt seine Hände von Jokers Gesicht und weicht gleichzeitig etwas zurück.

Kichernd rappelt sich Joker auf die Ellbogen hoch und wäre fast wieder zurückgefallen, doch da greift Bruce stützend ein.

„Ist gar nicht so einfach", gibt er zu, während ihm Bruce in eine sitzende Position hilft. „Ich verliere oft den Anschluss. Wenn du mich ausknockst oder wenn ich einen typischen Arkhamer Drogencocktail genießen darf. Dann muss ich erst auf das Datum der Tageszeitung sehen. Aber ja, im Grunde genommen zähle ich die Tage und nicht die Jahre."

„Du lenkst ab."

„Was?"

„Schon okay. Du traust mir nicht. Das ist okay." Bruce' Lächeln wirkt etwas verrutscht, aber durchaus ehrlich. „Wahr-scheinlich würde ich mir an deiner Stelle auch nicht trauen."

Er macht Anstalten sich zu erheben und streckt Joker auffordernd eine Hand entgegen. „Kannst du aufstehen?" Und als Joker zögernd seine Hand ergreift, um sich von ihm in die Höhe ziehen zu lassen und dabei schmerzhaft das Gesicht ver-zieht, setzt er ein mitfühlendes: „Geht's?" hinterher.

Es geht nicht, aber Joker gehört nicht zu jener Art von Männern, die so etwas zugeben würden. Und so beißt er nur die Zähne zusammen und zwingt seinen Körper dazu, den Befehlen, die sein Gehirn ihm gibt, zu gehorchen.

Wieder aufrecht, schwankt er bedrohlich, aber sofort ist Bruce da und legt ihm stützend einen Arm um die Taille. Für einen Moment gestattet es sich Joker sogar, diesen Körperkontakt zu genießen.

„Es ist nicht so, dass ich dir nicht traue", hört er sich selber zu seinem eigenen Entsetzen murmeln. „Es ist nur schwer zu erklären. Versuch du doch mal, einem gebürtigen Blinden das Prinzip von Farben verständlich zu machen."

Bruce nickt nur, leicht abwesend. Jokers T-Shirt ist ein paar Zentimeter nach oben gerutscht, so dass Bruce' Finger direkt auf seinem Hüftknochen zu liegen kommen. Wieder einmal bemerkt er, wie heiß sich der Körper des anderen doch anfühlt. Er gehört ganz zweifellos ins Bett. In ein richtiges Bett.

Und genau dorthin wird er ihn jetzt auch bringen.

Reden können sie später immer noch.
 

***



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ayno-uzumaki
2016-04-19T13:43:05+00:00 19.04.2016 15:43
Ich liebe deinen schreibstil *.* ich liebe diese ff und dich auch :D
Antwort von:  MariLuna
21.05.2016 01:20
zu viel der Ehre *erröt* Dankeschön :)
LG ML


Zurück