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Film Noir

Don't fear the reaper... (Bakura x Ryou)
von

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Licht und Schatten

 
 

Für Kronenprinz
 

 

 

“I don't know just how it happened; I let down my guard

Swore I'd never fall in love again, but I fell hard

Guess I should have seen it coming; caught me by surprise

Wasn't looking where I was going; I fell into your eyes

 

You came into my crazy world like a cool and cleansing rain

Before I, I knew what hit me, baby, you were flowing through my veins”

 

Avicii - Addicted to you

 

 

Er wusste nicht, was ihn her getrieben hatte. Der Ärger, der in ihm rumorte, erstickte jeden klaren Gedanken im Keim. Das Unbehagen über Ryous Verhalten ihm gegenüber kurz zuvor schien ihn von innen her regelrecht aufzufressen. Und doch stand er hier und wartete. Er konnte sie nicht vergessen, diese Emotionslosigkeit, die er in Ryous Augen gesehen hatte. Die Wut, der Abscheu - all das hatte so aufrichtig gewirkt, dass sein Herz für einen Moment zu schlagen aufgehört hatte. Wann immer er blinzelte, sah er das Gesicht des Jüngeren vor sich aufblitzen. Dieser so weich wirkende Junge, der aus dem Nichts heraus eine Kälte ausstrahlte, dass es schmerzte. Nie zuvor hatte Ryou ihn auf diese Art zurück gewiesen. War es das, was er in Wirklichkeit über ihn gedacht hatte, all die Wochen, die sie zunehmend miteinander verbracht hatten? Wenn er seine wahren Gedanken ihm gegenüber all die Zeit hinter einer Maske falscher Freundlichkeit verborgen hatte, sollte er es Bakura ins Gesicht sagen. Er musste wissen, woran er war.

So stand er nun direkt vor Ryous Zimmertür, wartete in der Dunkelheit. Grübelte nach über den Abend, die Dinge, die geschehen waren. Wenn eine Zigarette sich dem Ende neigte, zündete er rasch die nächste an. Nicht einmal sie vermochten es, seine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Rastlos nahm er einen Zug nach dem anderen, zwischendurch ein bitteres Grinsen auf den Lippen. Wenn Marik ihn nun sehen könnte - Bakura konnte sie sich bereits denken, die dummen Sprüche, die ihm der Stricher stecken würde. Wenn er denn überhaupt noch mit ihm sprach, nach diesem Abend. Seine Position war nicht die beste im Moment, das leuchtete ihm ein.

In jener Sekunde, als Ryou sich seinem Griff entwunden hatte, hatte sich alles in ihm zusammen gezogen. Stille Wut und verletzter Stolz hatten im Anschluss die Kontrolle über ihn übernommen. Er fühlte sich betrogen und es war lange her, dass er dieses Gefühl das letzte Mal vernommen hatte.

Er schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und sog den Rauch so tief in seine Lungen, dass er sie bis in den letzten Winkel ausfüllte. Diese Gefühle, die in ihm rumorten, er hasste sie. Er war ihrer überdrüssig, schon lange, doch sie wichen nie von seiner Seite. Sie waren seine Dämonen, seit er denken konnte beherrschten sie alles in ihm. Er war ihnen ausgeliefert, machtlos angesichts ihrer schier unendlichen Überlegenheit. Sie waren der Grund für seine Gier nach Kontrolle und Ordnung.

Nach außen dringen ließ er nichts davon. In Folge dessen fühlten sich Kopf und Brust stets an, als explodierten sie, wenn er nicht bald etwas unternahm. Jede wache Minute stand er unter einer Anspannung, die ihn wahnsinnig machen würde, hätte er sich nicht schon so daran gewöhnt, dass er sie in den meisten Momenten nicht bewusst wahrnahm. Dieser Druck, der sich in ihm ausbreitete wie ein Krebsgeschwür, ließ ihn zittern, wenn er nicht rauchte. Ohne seine Zigaretten hätte er die Kontrolle schon vor langem verloren. Sie waren seine Stütze in einer Welt, die keinen Halt mehr bot.

Er hatte nichts tun können. Es war sein Job, das Arschloch zu sein, zwischen Malik und den anderen zu stehen. Niemandem, nicht einmal sich selbst, konnte er in dieser Position gerecht werden. Er wusste das und bislang hatte es ihn kaum gestört. Malik hatte ihn verpflichtet, er selbst stand zu tief in der Schuld seines Arbeitgebers, als dass er sich ihm widersetzen konnte. Jeder Mensch auf diesem Planeten verfügte über Rechte und Pflichten. Jeder musste sich daran halten. Auch er. Brach er aus, verlor er alles, was er sich in seinem Leben aufgebaut hatte.

Es war ihm unbegreiflich, wie Yuugi es schaffte, sich in die ausweglosesten Situationen zu manövrieren. Den anderen Strichern geschahen solche Dinge nie. Sie kamen ihrer Arbeit nach, lieferten bei Geschäftsschluss ihren Anteil ab und waren ansonsten kaum zu sehen. Nur mit diesem Jungen gab es seit dem ersten Tag nichts als Ärger. Er hat einen schwachen Charakter, schoss es Bakura durch den Kopf. Sie zog liquide Männer an, das mochte sein, doch brachten sie ihre zweifelhafte Gesinnung und die restlichen Probleme gerne mit sich. Und die Drogen. Junkies waren keine guten Arbeitnehmer, so viel stand fest. Nicht mal mehr zur Hurerei taugten sie.

Konnte Ryou nicht sehen, dass er nicht anders handeln konnte? Dieser Junge war feinfühliger als der Durchschnitt, das war Bakura früh aufgefallen. Er nahm Dinge wahr, die anderen verborgen blieben, manchmal auch dem Menschen, zu dem sie gehörten. Bakura hatte es in seinen Augen gesehen. Trotz ihrer Wärme zeigten sie, dass er mehr erlebt hatte, als es bei Jungen seines Alters der Fall sein sollte. Sie zeigten, dass sein Inneres älter war als sein Äußeres. Nur an diesem Abend, da war er blind gewesen.

Konnte Bakura es ihm verübeln? Er war in Sorge um seinen Freund gewesen. Es war ein wesentlicher Zug seiner Persönlichkeit, solche Dinge zu tun. Es war genau das, was Bakura, ohne, dass er es jemals zugeben würde, so sehr an ihm schätzte.

Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Es ärgerte ihn, dass er etwas auf Ryous Gedanken gab. Normalerweise agierte er anders. In seinen Händen liefen die Fäden des Geschäftes zusammen, ihm oblag die Kontrolle über alles, was sich geschäftlich im Film Noir abspielte. Über die Stricher, über die Gäste, die Wirtschaft, den vorlauten Barkeeper, den er am liebsten mit sofortiger Wirkung vor die Tür setzen würde. Über sich. Jederzeit.

Auf dem Flur ertönten Schritte. Ryou. Bakura erkannte ihn am Klang seines Ganges. Lautlos blickte er auf, ließ die Zigarette auf den gefliesten Boden fallen und trat sie mit der Fußspitze aus.

Der Jüngere wirkte gehetzt. Trotz der kürzeren Arbeitszeit heute sah er müde und abgekämpft aus. Sein Blick verkündete, dass er nicht bei sich war, sondern gedanklich immer noch mit den vorherigen Geschehnissen kämpfte. Lustlos zog er den Zopfgummi aus den Haaren und löste den Knoten, der sein Hemd zusammen hielt. Er bemerkte Bakura nicht und Bakura verzichtete darauf, ihn auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Stattdessen sah er dabei zu, wie Ryou die Zeichen der Arbeit von seinem Körper strich, betrachtete die filigranen Finger und die grazilen Handgelenke. Alles an ihm schien so zerbrechlich, als sei es aus Porzellan. Der Körper, der weder sehr feminin noch männlich wirkte, war das Fleisch gewordene Sinnbild androgyner Geschlechtslosigkeit. Seit er im Film Noir arbeitete, hatte sich der Umsatz im Schankraum deutlich erhöht. Er hatte etwas an sich, dass die Kunden anzog, etwas, das nicht einmal Marik ihnen geben konnte. Am Kragen seines Hemdes fanden sich Spritzer von dunkelroter Farbe. Blut. Wahrscheinlich Yuugis. Es wunderte ihn, dass es nur so wenig war.

 

„Was ist jetzt schon wieder?“

Malik klang genervt. Bakura kannte das bereits, doch dieses Mal mischte sich etwas in seine Stimme, dass jedem Eindringling vermittelte, dass er nicht gestört werden wollte. Mit verschränkten Armen stand er vor seinem Arbeitstisch, der, wie so oft, über und über mit Unterlagen bedeckt war. Das Gesicht war vor Konzentration ausdruckslos. Er sah nicht auf, als Bakura die Tür öffnete und sein Kommen ankündigte. Dieser wusste, dass es unangenehm werden konnte, wenn man Malik in solchen Situationen störte, doch er konnte jetzt keine Rücksicht darauf nehmen. Maliks Begrüßung ignorierend, zog er die schwere Feuerschutztür, welche zu seinem Büro führte, hinter sich zu und nickte mit warf einen flüchtigen Blick zu Yuugi, der mit gesenktem Kopf hinter ihm stand. Er vermied es, Malik anzuschauen und schlang schutzsuchend die Arme um den ausgemergelten Oberkörper. Sie kannten das schon, war Yuugi, der wirkte wie ein Tier, das wusste, dass es zum Schlachter ging, schon oft in diesem Büro gewesen. Bakura schob die Hände in die Taschen seiner dunkelgrauen Anzughose und wartete.

„Es gibt ein Problem.“

Wann gab es das nicht? Malik erbarmte sich und sah auf, in den Händen hielt er einige Blätter bedruckten Papiers. Sein Blick war kalt, die Stimme frostig.

„Schon wieder?“

Ein unangenehmes Schweigen legte sich über die kleine Gruppe. Hinter Bakura ertönte Yuugis Atem der vor Nervosität zitterte. Bakura, der ihn bisher mit seiner groß gewachsenen Gestalt verdeckt hatte, trat einen Schritt zur Seite und gab ihn frei. Die Präsenz des Strichers war Antwort genug. Mehrere Stellen in seinem Gesicht und an den Armen leuchteten feuerrot. Es war ein Wunder, dass die Haut dort, wo man sie getroffen hatte, nicht aufgeplatzt war. Nun, da der Übergriff ein wenig zurück lag, zeichneten sich die Fingerknöchel jener Faust ab, die Yuugi geschlagen haben musste. Bakura sagte nichts dazu, doch er konnte nicht bestreiten, dass er beeindruckt war von dem Maß an roher Gewalt, die sich am Körper des Jungen abzeichnete. Sah man genauer hin, erkannte man ein Zittern, das von Yuugis Gliedern Besitz ergriffen hatte.

Still betrachtete Bakura ihn aus den Augenwinkeln. Es war kein Geheimnis, was dort oben geschehen war und es ärgerte ihn, dass es so etwas trotz der Maßnahmen, die sie ergriffen, passiert war. Wenn etwas schief ging, fiel es auf ihn zurück. Er trug die Verantwortung. In seiner Hand lief alles zusammen. Es war sein Versagen, nicht das der Türsteher. Ganz abgesehen davon, dass sie Yuugi mit dem Schaden, den man an ihm angerichtet hatte, vorerst nicht einmal mehr würden einsetzen können.

Kaum, dass er Yuugi erblickt hatte, verließ ein Stöhnen Maliks Kehle. Er knallte den Bleistift, den er in der rechten Hand gehalten hatte, auf den Tisch und nickte zwei Männern, die Bakura zuvor nicht bemerkt hatte, bestimmt zu. Sie befanden sich hinter ihm auf dem Sofa, beide groß, schlank, jung und gut gebaut. Bakura kannte sie, wenn auch nur flüchtig. Während der eine sein brünettes Haar in der Stirn hoch frisiert hatte, trug der andere es schwarz glänzend zum Pferdeschwanz gebunden. Rote Stoffbänder zogen sich durch die dunklen Strähnen, an seinen Ohren funkelten silberne Würfel. Unter dem linken, smaragdgrün schimmernden Auge befand sich ein Strich schwarzen Kajals.

Die beiden Männer waren die Aufreißer des Clubs, standen bei jedem Wetter draußen und brachten dem Laden jene Kunden, die zu schüchtern waren, den Fuß aus eigenem Antrieb über die Türschwelle zu heben. Sie waren verantwortlich dafür, Stricher anzuwerben und dealten, wenn frischer Stoff ins Haus kam. Wie die meisten im Haus verhielten sie sich unauffällig. Die meiste Zeit sah man sie kaum.

„Wir sind am Arbeiten, das siehst du, ja?“

Malik wandte sich um und schritt hinüber zu einer aus dunklem Holz gefertigten Kommode, deren oberste Schublade er aufzog. Bakura, an den der Kommentar gerichtet war, presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Es war eine rhetorische Frage, die keine Antwort erforderte. Statt etwas zu sagen, richtete er den Blick auf die beiden Türsteher, die ihn mit unverhohlener Neugierde anstarrten. Bakura seufzte. Das konnte alles nicht wahr sein.

„Ja, das sehe ich“, erwiderte er trocken.

„Gut, dann setz dich. Das hier wird noch etwas dauern.“

Malik nahm ein Päckchen mit weißem Pulver aus der Schublade und warf es den beiden Männern auf dem Sofa zu. Der schmalere, jener mit den smaragdgrünen Augen fing es und öffnete es rasch, ehe er die Spitze seines kleinen Fingers mit dem Inhalt benetzte. Schweigend leckte er es ab. Kurz darauf runzelte er die Stirn.

„Das ist kein Koks.“

Malik lachte auf und trat näher an sie heran. Dabei platzierte er sich so, dass er Bakura den Rücken zuwandte. Dieser schenkte seinem Vorgesetzten einen düsteren Blick, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen eines der dunklen Bücherregale, die den Schreibtisch einrahmten.

„Nein, das ist es nicht.“

„Gib mal her, Otogi.“

Der Brünette beugte sich vor und nahm seinem Freund das Päckchen aus der Hand. Er wiederholte die Geste und begann zu schmunzeln, als das Pulver seine Lippen benetzte.

„Ist das nicht ein bisschen sehr siebziger?“, war alles, was er sagte. Dann verschloss er das Päckchen und platzierte es auf dem Glastisch vor ihnen. Dabei feixte er, fest davon überzeugt, gerade sehr schlagfertig gewesen zu sein.

„Was ist es?“

„Heroin.“

Otogi hob den Kopf, Augen groß vor Überraschung.

„Heroin?“

Seine Stimme, tief, aber weich, zitterte vor Nervosität. Malik nickte schwach, zog ein dünnes Notizbuch aus der Hosentasche hervor und schlug es auf.

„Ja, Heroin. Koks ist tot, Otogi, toter als tot. Das sollte selbst dir inzwischen aufgefallen sein. Heroin ist zurück und das im ganz großen Stil.“

Bakura räusperte sich. Die Gruppe schenkte ihm einen flüchtigen, nichtssagenden Blick, nahm ansonsten jedoch keine weitere Notiz von ihm. Stattdessen notierte Malik einige Dinge, riss einen Zettel aus dem Notizbuch und reichte ihn den beiden.

„Das sind etwa zehn Gramm. Ich will, dass ihr das unter die Leute bringt. Unsere Kunden sollen ruhig wissen, dass wir unser Sortiment erweitert haben. Lasst euch weiter empfehlen.“

Der Brünette nickte und steckte den Zettel ein.

„Wie viel soll der Spaß denn kosten?“

„Achthunderttausend sollten realistisch sein, denke ich.“

Die beiden nickten. Schließlich griff Otogi nach dem Päckchen und steckte es in die Brusttasche seiner roten Weste.

„Also gut.“

Er stand auf und klopfte sich die Hände ab. Der Brünette tat es ihm gleich. Es war eine knappe Unterhaltung, routiniert und schon oft geführt, in der nicht mehr Worte gewechselt wurden, als verlangt. Malik leckte sich über die Lippen und steckte das Notizbuch in die Tasche seines Sakkos.

„Gut, ihr könnt gehen.“

Er wandte sich ab, hielt plötzlich inne und trat einen Schritt zurück.

„Und Honda - “

Der Brünette, der den Griff der Tür zum Innenhof schon umklammert hielt, blickte auf.

„Ja?“

„Pass gefälligst auf, wenn du anquatschst, klar? Nochmal so etwas wie neulich, und es ist das letzte Mal, verstehen wir uns?“

Honda lief dunkelrot an und verneigte sich hastig.

„Jawohl, kommt nicht wieder vor.“

„Dann haut jetzt ab.“

„Ja.“

Sie zogen die Tür hinter sich ins Schloss und es wurde still. Bakura, erleichtert über das Verschwinden der anderen warf Yuugi, der noch immer schräg hinter ihm stand, einen Blick zu. Der Junge zitterte, zermürbt durch die Warterei, wie Espenlaub.

„Was war los?“

Bakura, der noch immer an dem Bücherregal lehnte, deutete mit dem Kinn zur Tür, durch die Honda und Otogi das Büro einige Sekunden zuvor verlassen hatten. Sein Vorgesetzter verdrehte die Augen und ging auf sie zu.

„Hat einen Bullen in Zivil angequatscht, dieser Nichtsnutz.“

Bakura schmunzelte. Honda war dafür bekannt, dass ihm gerne der ein oder andere Flüchtigkeitsfehler unterlief. Dabei war er schon lange im Geschäft. Otogi, sein Partner, fing dies mit seiner besonnenen Art meist wieder auf. Sicherlich der einzige Grund, warum Malik ihn in all den Jahren noch nicht rausgeschmissen hatte.

„Solche Anfängerfehler sollten ihm eigentlich nicht mehr unterlaufen“, bemerkte Bakura knapp.

„Ja. Gut für ihn, dass er schnell ist. Gut für uns.“

Griff die Polizei einen Dealer auf, war es meist nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei an der Tür des dazugehörigen Großhändlers klopften. Verschwiegenheit und Ehre galten im echten Leben nicht viel.

„Also.“

Maliks Gesichtsausdruck wurde ernst. Er deutete auf Yuugi, der, durch die bloße Anwesenheit Maliks eingeschüchtert, einen Schritt zurück wich. Die Augen glitten, aufgerissen vor Angst, über das Gesicht des Anderen. Dieser machte sich erst gar nicht die Mühe, Yuugi persönlich anzusprechen und wandte sich gleich wieder an Bakura.

„Warum hast du ihn her gebracht?“

Beschämt richtete der Stricher den Blick zu Boden. Bakura, dem das alles inzwischen zu lange dauerte, holte genervt Luft. Er war kurz davor, selbst die Fassung zu verlieren.

„Sag es ihm.“

Yuugi hob den Kopf. Sie tauschten Blicke, doch er antwortete nicht. Sein linkes Auge war so zugeschwollen, dass er kaum noch sehen konnte. Es war der Moment, in dem Bakura der Geduldsfaden riss. Er ging auf den Jungen zu, packte ihn am Oberarm und zerrte ihn die wenigen Meter hinüber zu Malik. Kaum, dass Bakura ihn berührt hatte, versteifte sich der Körper des Strichers, doch der Widerstand erstarb nach Sekunden.

„Los“, knurrte Bakura nachdrücklicher. „Sag’s ihm. Los jetzt!“

Wieder zögerte Yuugi. Steif vor Angst stand er zwischen ihnen und rang nach Worten. Hin und wieder öffnete er den Mund, doch mehr als ein leises Stottern brachte er nicht hervor. Der Mut und die Hartnäckigkeit, die er gezeigt hatte, um Jonouchi zu schützen, fehlten, sobald es um ihn selbst ging. Er war unfähig, für seine eigenen Interessen einzustehen, einer der zentralen Gründe, warum er hier gelandet war.

Bakura sah hinüber zu Malik. Das Gesicht seines Vorgesetzten war angespannt, der Blick düster. Dieses Treffen hatte unter keinem guten Stern gestanden, seit sie den Raum betreten hatten und offensichtlich fehlte es ihm Yuugi gegenüber zusehends an Geduld. Sekunden verstrichen. Dann ballte Malik seine rechte Hand zur Faust. Mit einer Geschwindigkeit, die ihres gleichen suchte, schnellte er vor und schlug Yuugi so hart ins Gesicht, dass dieser der Länge nach zu Boden ging. Nur ein klägliches Wimmern durchschnitt die Stille, welche den Raum im Anschluss erfüllte. Bakura, der kaum einen Meter entfernt stand, verkrampfte innerlich, als er das Geräusch des Körpers vernahm, der auf den gekachelten Boden aufschlug, das leise Knacken des Schädels, der nur durch ein dünnes Häutchen geschützt gegen die Fliesen prallte. Die Arme vor der Brust verschränkt, hob er den Kopf und betrachtete den Jungen, der benommen auf dem Boden kauerte und nicht recht verstand, was gerade mit ihm geschehen war. Immer wieder versuchte er, sich aufzurichten, doch die Arme knickten unter dem Gewicht seines eigenen Körpers immer wieder ein. Seine Unterlippe war durch den Schlag aufgeplatzt. Erste Tropfen dunkelroten Blutes rannen über sein Kinn. Als der Schock über den plötzlichen Angriff nachließ, füllten sich die traurigen, violetten Augen mit Tränen. Er war ein erbärmlicher Anblick. Schluchzend kauerte er am Boden und fand erst  Minuten seine Stimme wieder.

Flüsternd begann er, zusammen zu fassen, was sich ereignet hatte. Es war nicht leicht, ihn zu verstehen. Immer wieder durchbrachen einzelne Schluchzer seine Erzählung.

„Er hatte erst heute Abend reserviert. Ich kannte ihn nicht, es war sein erstes Mal hier. Ein Geschäftsmann.“

Yuugi hob den Arm und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem verschmierten Gesicht.

„Ich hatte ein schlechtes Gefühl. Er war so ruhig und hat kaum geredet. Als er zu mir kam, hat er die Tür abgeschlossen und dann -“

Seine Stimme brach. Seine Augen blickten aufgerissen und starr ins Nichts. Erneut begann er zu zittern.

„Und dann -“

Ein erneutes Wimmern erfüllte den Raum. Die Finger, welche flach auf dem Kachelboden lagen, ballten sich zu Fäusten. Seine Wangen glitzerten vor Blut und Tränen.

„Er hat mich aufs Bett gedrückt und... Dinge getan. Ich wollte mich wehren, aber er schlug mir ins Gesicht und sagte, er brächte mich um, wenn ich nicht still sei.“

Er ließ den Kopf sinken und gab sich seinen Tränen hin. Seine Schultern zitterten unter den Schluchzern, die ihn in unregelmäßigen Abständen durchschüttelten und sein Oberkörper begann, langsam auf und ab zu wippen. Als er weiter sprach, war seine Stimme hoch, fast piepsig. Er war kaum bei Sinnen.

„Du willst es doch. Komm schon, stell dich nicht so an. Ich werd’s dir richtig besorgen, glaub mir.“

Wie im Rausch wiederholte er die Worte, immer wieder, mit einer Stimme, so merkwürdig verfremdet, dass es Bakura die Nackenhaare aufstellte. Peinlich berührt ließ er den Blick durch den Raum gleiten, versuchte, zu ignorieren, was sich gerade vor ihm auf den Boden abspielte. Er hatte einiges gesehen in seinem Leben, aber derartiges Verhalten war ihm neu. Der Junge war gebrochen.

Zu gut konnte Bakura sich daran erinnern, in welcher Verfassung Yuugi gewesen war, als er vor Jahren zum ersten Mal im Film Noir aufgetaucht war. Auch damals war sein Gehirn von Drogen zerfressen gewesen, aber sein jugendliches Wesen hatte er sich bis dahin erhalten können. Nun war er nicht mehr als ein Schatten seiner selbst. Nichts von dem, was ihn zu Beginn ausgezeichnet hatte, war geblieben.

Es war ihm egal, der Junge kümmerte ihn nicht. Doch diesen Ausbruch nackter Verzweiflung zu sehen, unmittelbar und echt, das war etwas, dass ihn schlucken ließ. Er kannte dieses Gefühl selbst besser als alles andere und wusste, dass Jonouchi, würde er das hier sehen können, ihn umbrächte. Daran gab es keinen Zweifel.

„Wo ist das Geld?“

Bakura schaltete sich ein.

„Es ist weg. Der Kerl hat alles mitgenommen.“

Wieder hob Yuugi die Hand und strich sich die Tränen fort. Dabei streiften seine Fingerspitzen das geschwollene Auge, glitten vorsichtig die Wange hinab und betasteten schließlich seine aufgesprungenen Lippen. Als er das Blut auf seinen Fingern erblickte, fluchte er benommen und ließ die Hand sinken, als geschah all dies jemand anderem, nicht ihm.

Maliks Gesicht, einer Maske gleich, verfinsterte sich. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, ehe er sich vorbeugte, den Stricher am Kragen packte und ihn zurück auf seine Füße zerrte. Es war ein Moment roher Gewalt, nur durchbrochen durch das Betteln des Jungen, der sich aus eigener Kraft kaum noch auf den Beinen halten konnte.

„Das Geld ist weg? Stimmt das?“, knurrte Malik leise und ließ die Pupillen über Yuugis geschwollenes Gesicht gleiten. Dieser ließ kraftlos den Kopf sinken, die Hände zu Fäusten geballt, der Körper bebend, als erwarte er bereits den nächsten Schlag.

„Ja“, flüsterte er und schloss die Augen. Malik wandte sich nun an Bakura, der noch immer regungslos in der Nähe stand, der Mund trocken, die Hände feucht und kalt. Sein Vorgesetzter war stinksauer.

„Wie konnte das passieren?!“

„Er ist gegangen. Guck dir den Jungen an, der kann kaum noch stehen. Als man im Schankraum von der Sache Wind bekommen hat, war er längst weg.“

Malik lachte auf, ehe er Yuugi fallen ließ und in seiner Wut einige Bücher vom Tisch fegte, die jemand dort aufgeschlagen liegen gelassen hatte.

„Fantastisch. Wirklich fantastisch.“

Der groß gewachsene Mann verschränkte die Arme. Yuugi, dessen Beine sein Gewicht nicht länger tragen konnten, sackte zu Boden, wo er, kniend, die Arme um den Oberkörper schlang. Mit leeren Augen starrte er still ins Leere.

Angewidert blickte Malik auf ihn hinab, wie auf ein Insekt, das man besser zerquetschte. Plötzlich schien sich ein Schalter in Maliks Kopf umzulegen. Seine Gesichtszüge entglitten. Die letzte Selbstbeherrschung verschwand.

„Ich habe es wirklich satt mit dir, Junge.“

Er holte aus und trat Yuugi mit voller Kraft in den Rücken. Er verfehlte die Rippen, traf jedoch die Nieren. Yuugi jaulte auf, fiel vornüber, so unvermittelt von der Attacke getroffen, dass keine Abwehrreaktion erfolgen konnte. Sekundenbruchteile später stand Malik über ihm, packte ihn am Hinterkopf und rammte ihm das Knie so hart ins Gesicht, dass das Krachen der Knochen bis zu Bakura zu hören war. Für einen Moment durchzuckte Bakura der Verdacht, dass Yuugi das Bewusstsein verloren hatte, doch die Hände, die er zitternd vor sein Gesicht hielt, widerlegten den Verdacht sofort. Vornübergebeugt hockend, schoss ihm das Blut aus der Nase und tropfte in Strömen auf den weißen Fliesenboden. Dabei wirkte Malik seelenruhig; die Pupillen, so starr, als wären sie aus Glas, verfolgten gierig jede Yuugis‘ Bewegungen. Gelangweilt verpasste er ihm den letzten Schlag, dann ließ er ihn los und wandte sich ab.

Mit aufgerissenen Augen beobachtete Bakura die Szene, die sich vor ihm abspielte. Er war es gewohnt, dass Malik jene Stricher, die ihm unbequem geworden waren, zu seinem eigenen Vergnügen misshandelte, bis sie irgendwann ihren letzten Atemzug aushauchten - und Bakura sich um die Beseitigung der Körper kümmern musste. Der Vorwand war nebensächlich, es war der Akt der Gewalt an sich, den Malik erregend fand. Hatte Bakura das alles in seinen ersten Jahren noch um den Schlaf gebracht, war dies bald einer bemerkenswerten Gleichgültigkeit gewichen. Betrachtete er solche Szenen, war es, als stünde er neben sich. Dann sah er sich aus weiter Ferne und es war, als träumte er bloß.

Dieser Wahnsinn, der Malik innewohnte, unterschied sie voneinander. Sie beide töteten auf ihre Art, doch Motivation und Ausführung waren verschieden. Töten war sein Job, er tat es, weil man es von ihm verlangte und die Zeiten, in denen ihn die Panik immer wieder aufs neue durchgeschüttelt hatte, waren lange vorüber. An den Platz der Angst war schließlich eine befriedigende Genugtuung getreten, die immer dann einsetzte, wenn er, mit der Präzision eines Chirurgen, ein Leben auslöschte. Maliks Verhalten dagegen war irrational und animalisch, ohne jede Weitsicht. Mit einer gebrochenen Nase zudem würde Yuugi die nächsten Wochen nicht zu gebrauchen sein. Wenn er überhaupt jemals wieder arbeiten konnte.

Schweigend betrachtete Bakura, wie Yuugi in sich zusammensackte. Er gab keinen Laut mehr von sich, rührte sich nicht. Benommen starrte er an die Decke, das Blut rann über seine weiße Haut. Es war der Moment, in dem Bakura aus seiner Lethargie erwachte.

„Kannst du mir mal verraten, was das soll?“

Er trat einen Schritt vor und packte Malik, der sich den Knöchel am Taschentuch abwischte, am Oberarm. Heftig riss er ihn herum. Sein Gesicht war wutverzerrt.

„Wie soll er so arbeiten? Das hast du mir beigebracht. Niemals ins Gesicht. Er wird die nächsten Wochen komplett ausfallen, das weißt du. Wenn du ihn nicht mehr willst, entsorge ihn, aber entscheide dich endlich, verdammt.“

Es war ein trockenes Lachen, welches als Antwort diente. Ein Lachen, das Bakura sagte, dass man hier keinen Wert auf seine Ratschläge legte.

„Niemand hat gesagt, dass er wieder arbeiten wird.“

Malik ließ das Taschentuch fallen und berührte Yuugi mit der Fußspitze, erhielt jedoch keine Reaktion. Er hatte den Jungen übel zugerichtet. Die Augen waren zugeschwollen, die Haut am Nasenrücken aufgeplatzt. Bakura erkannte Knochensplitter, das Nasenbein war zertrümmert. Selbst wenn Marik, der erste Hilfe leisten konnte, sich sofort darum kümmerte, waren Yuugis Zeiten makelloser Schönheit dahin. Hin und wieder hallte ein erbärmliches Wimmern von den Wänden wider.

„Es reicht.“

Malik verschränkte die Arme und schenkte Bakura einen abfälligen Blick.

„Er hat genug Ärger gemacht. Kümmer dich um ihn.“

Bakura kniff die Augen zusammen und wandte sich ab. Er hatte es kommen sehen. Er hatte gewusst, dass Malik die Drecksarbeit wieder an ihn weitergeben würde.

„Hast du das nicht schon zur Genüge getan?“

Er betrachtete den Stricher, der über seine Freundschaft zu Jonouchi in diesem Haus gelandet war, der für Schulden arbeitete, die er niemals tilgen würde. In seiner jetzigen Verfassung würde er den Sommer kaum mehr durchstehen. Er war ein Problem, welches sich, wenn man ihm ausreichend Zeit gab, von alleine lösen würde. Hand an ihn zu legen brachte nur ein unnötiges Risiko mit sich.

„Bist du taub?“, zischte Malik, nachdem Bakura keine Anstalten machte, sich zu rühren.

„Nein.“

„Dann beweg deinen verdammten Arsch und mach ihn fertig.“

Er packte Bakura an der Schulter, doch dieser riss sich los. Sein Puls schnellte in die Höhe und eine hasserfüllte Wut flackerte in ihm auf.

„Leck mich, Malik. Mach dir deine Finger selbst schmutzig, wenn du ihn unbedingt loswerden willst. Ich arbeite für dich, aber ich lasse mich nicht verheizen.“

Sie funkelten einander an, dann wandte sich Bakura ab und steuerte auf die Tür zu, die zurück in den Schankraum führte. Er musste hier raus. Die zunehmende Launenhaftigkeit seines Chefs fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Er war lange genug im Geschäft um zu wissen, dass nüchternes, überlegtes Handeln die Grundlage für erfolgreiches Arbeiten war. Maliks Irrationalität barg ein Risiko für sie alle - und er war nicht dazu bereit, für derartige Dinge seinen Kopf hinzuhalten.

Maliks Drohungen ignorierend, verließ er das Büro. Dabei brauchte es all seine Selbstbeherrschung, sich nach außen nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn die letzte Stunde aufgewühlt hatte. Sein Kopf dröhnte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, seufzte er leise und blieb stehen. Das gleiche Zittern, welches er an Yuugi gesehen hatte, hatte sich nun auch seiner ermächtigt. Für ein paar Minuten hielt er inne, wartete, bis er sich so weit beruhigt hatte, als das man ihm seinen Zustand nicht mehr ansah, dann ging er seines Weges. Er musste jetzt eine Zigarette rauchen, sonst brachte er den Tag nicht zu Ende.

 

Ihre Blicke trafen sich. Ryou wich ihm aus, blieb stehen und verschränkte die Arme.

„Kannst du nicht das Licht anmachen? Stehst hier einfach in der Dunkelheit wie ein Irrer und erschreckst die Leute.“

Ein Stechen durchzuckte Bakuras Brust, doch er rührte sich nicht. Nun, wo Ryou vor ihm stand, erkannte er die Ausmaße dessen, was die letzten Minuten bei ihm hinterlassen hatten. Sein Blick war stumpf, erwirkte abgeschlagen. Aus ihm sprach die Fassungslosigkeit, die Menschen innewohnte, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit echter Brutalität konfrontiert wurden. Kaum wahrnehmbare Salzränder an seinen Wangen zeigten an, dass er geweint haben musste.

Bakura musterte ihn, erkannte die Wut, die in diesem Moment alles an ihm dominierte, hinter der ein intelligenter Junge steckte, mit starkem Willen und unbefleckter Schönheit.

„Was willst du?“, durchbrach Ryou die Stille, die sie eingehüllt hatte, nachdem der erste Satz verklungen war. Seine Stimme hallte kalt von den Wänden wieder, durchzogen von Trotz und Furcht. Für einen Moment zögerte Bakura. Er wusste nichts, was er antworten konnte, ohne Ryous negative Gefühle ihm gegenüber weiter zu nähren und schwieg. Erst, als Ryou anfing, nervös an seiner Kleidung zu zupfen, öffnete er den Mund.

„Ich will mit dir reden. Komm.“

Er machte keinen Hehl aus seinem Ärger, eben so wenig, wie Ryou seinen Abscheu ihm gegenüber verbarg. Trotzdem zeigte sein Verhalten die gewünschte Wirkung. Ryou, der noch immer mit verschränkten Armen und leeren Augen vor ihm stand, hob den Kopf und sah ihn an. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, nickte Ryou endlich.

„Okay.“

 

Es war kaum fünf Uhr am Morgen, die Dämmerung lag Stunden entfernt. Die Nacht hatte ihren kältesten Punkt erreicht, ihr Atem stieg weiß dampfend vor ihren Gesichtern in die dunkle Nacht empor. Fröstelnd schlug Bakura den Kragen hoch und blickte gen Himmel, die Hände in den Manteltaschen vergraben. Dunkelblaue Wolken grenzten sich, erhellt vom schmutzigen Leuchten der Stadt, von der lichtleeren Weite ab. Hier in der Großstadt, wo die Lichter nie erloschen, glühte der Himmel stets, als würde die Sonne bald wieder über den Horizont kriechen. Wer hier aufwuchs, hatte vielleicht nie in seinem Leben einen mit Sternen gespickten Himmel gesehen.

Schweigend gingen sie nebeneinander her. Bakura warf Ryou kurze Blicke zu, nur, um zu bemerken, dass der Andere stur geradeaus starrte. Vereinzelte Strähnen hingen in sein weiches Gesicht und warfen Schatten über Mund und Augen. Seine Haut glänzte bläulich im Licht der Straßenlampen.

„Ich werde nicht zulassen, dass du so mit mir sprichst.“

Es brach aus ihm hervor, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte. Kaum, dass er geendet hatte, ballte er die Hände zu Fäusten. Seine Fingernägel krallten sich in weiches, nachgiebiges Fleisch.

„Es reicht, dass Jonouchi nicht weiß, wo seine Grenze ist. Fang du gar nicht erst damit an.“

Ryou hatte ihn vor den Umstehenden bloß gestellt und der Lächerlichkeit preis gegeben. Niemand wagte es, so mit ihm umzuspringen, erst recht nicht dieser Junge, der kaum alt genug war, zu verstehen, wie die Dinge hier funktionierten. Nach all der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war Bakura immer noch sein Vorgesetzter. Was er sagte hatte befolgt zu werden.

Ryou presste die Lippen zusammen, bis nur noch ein schmaler, blutleerer Strich zu sehen war. Langsam ließ er den Kopf sinken, schob die Hände in die Hosentaschen, während das im Mondlicht funkelnde Haar sein Gesicht verdeckte. Sie gingen langsamer und eine aufreibende, feindselige Spannung breitete sich zwischen ihnen aus. Nach einer Phase des Schweigens fuhr Ryou herum. Sein Gesicht war blasser als sonst, Schatten zeichneten sich darin ab. Wütend blitzten seine Augen in der Dunkelheit.

„Wie konntest du das nur zulassen?“

Trotz des Gefühlsausbruchs klang er tonlos, die Stimme gebrochen, erfüllt von Enttäuschung und Trauer. Einmal mehr zog sich alles in der Brust des Anderen zusammen. Sie blieben stehen und Bakura, ein falsches Lächeln auf den Lippen, fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Er holte tief Luft. Es lag auf der Hand, dass dies hier eine längere, grundsätzlichere Diskussion werden würde.

„Es ist mein Job“, antwortete er trocken.

„Man bezahlt mich dafür, solche Dinge zuzulassen. Ich kann nichts dagegen tun.“

Ryou antwortete nicht. Stattdessen gab er einen erstickten Laut von sich, den Bakura bei ihm zuvor noch nicht vernommen hatte. Nie zuvor hatte sich der Junge so gebärdet, wie er es jetzt tat.

„Du weißt, dass Yuugi keine Schuld hatte. Konntest du nicht sehen, was man ihm angetan hat? Du hast die Macht, über solche Dinge hinweg zu sehen und trotzdem hast du ihn ausgeliefert!“

Mit jedem Wort wurde Ryous Stimme lauter, bebender, ohnmächtig vor der Unfähigkeit, das Verhalten des Anderen nachvollziehen zu können. Bakura verzog das Gesicht. Nun war er es, der verärgert schnaubte.

„Darüber steht dir kein Urteil zu“, war alles, was er sagen konnte, aber Ryou ließ nicht locker.

„Nur, weil es dein Beruf ist, befreit es dich noch nicht von deiner moralischen Verantwortung.“

Seine Stimme war voll Bitterkeit.

„Hat er nicht genug durchgemacht? Hast du nicht gesehen, was ihm dieser Freier angetan hat?“

„Er kennt die Risiken. Es hätte genauso gut Marik treffen können. Niemand, der ganz bei Trost ist, bunkert die Einnahmen des ganzen Tages in dem Zimmer, in dem er arbeitet. Das ist der Unterschied. Mach dich nicht lächerlich.“

„Du bist es, der sich lächerlich macht, Bakura.“

Er hielt inne. Für eine Sekunde schloss er die Augen und atmete durch. Wieso konnte Ryou nicht still sein? Warum traf er blind genau jene Punkte, die ihn in Rage versetzten? Er fuhr herum, packte Ryou am Oberarm und zog ihn mit einer heftigen Bewegung zu sich heran. Alles geschah so plötzlich, dass Ryou Mühe hatte, den Kopf aufrecht zu halten, doch er knickte nicht ein. Dieses Mal nicht. Wütend blickten sie einander an.

„Was redest du für dummes Zeug?“, knurrte Bakura und versteifte seinen Griff, bis Ryou vor Schmerz keuchte.

„Es ist ein Unterschied, ob man nur seine Arbeit macht oder jemanden fast totprügelt. Ich bin nicht blind! Ich habe ihn gesehen! Ich habe ihn gesehen, verstehst du?!“

Ryou schnappte nach Luft, die Stimme brach. Seine Augen, zuvor stechend, wirkten nun resigniert und traurig.

„Ich habe ihn gesehen. Und das Blut. Da war so viel Blut. Mein Gott, Bakura, bist du wirklich so kalt? Siehst du nicht, was ihr ihm angetan habt? Wie kannst du uns so in den Rücken fallen und mir danach noch in die Augen sehen?!“

Stumm presste Bakura die Zähne aufeinander. Ryou ging davon aus, dass er Yuugi so zugerichtet hatte, nicht Malik. Wieder erschien das kalte Lächeln auf seinen Lippen. Sicher, er tötete für Geld. Warum sollte er da nicht auch solche Dinge tun?

„Du weißt nichts“, knurrte er. „Bilde dir nicht ein, über mich urteilen zu können.“

Mit einem Ruck ließ er den Anderen los, schob die Hände zurück in die Manteltaschen und wandte sich zum Gehen. Er wollte das nicht hören. Er wollte nicht darüber nachdenken, was er tat, wenn er für Malik arbeitete. Was würde sich ändern? Die Verantwortung von sich zu schieben was das einfachste, was er tun konnte.

„Über dich muss niemand urteilen. Deine Taten sprechen für sich.“

Stille. Bakuras Schritte verhallten ungehört. Ryou öffnete erneut den Mund, doch er kam nicht dazu, seine Stimme noch einmal zu erheben. Beherrscht drehte Bakura sich um. Da war sie wieder, diese Wut, die ihn überkam, wenn sein Weltbild ins Wanken geriet. Ryou, der kaum drei Meter von ihm entfernt stand, blickte ihn mit großen, undurchsichtigen Augen an. Er wirkte, als sei etwas in ihm zerbrochen.

„Was?!“

Bakuras Stimme überschlug sich vor Zorn. Sein Puls schoss in die Höhe, in seinen Ohren rauschte das Blut. Er hielt einen Moment inne und begann zu lachen.

„Fängst du schon wieder an zu heulen?“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf in den Nacken. Fassade. Der Knoten in seiner Brust erstickte ihn fast, so sehr drückte er auf seine Lungen.

„Das ist deine Taktik, oder? Wenn du nicht mehr weiter weißt, kommen dir die Tränen.“

Jedes seiner Worte war ein Messer, dass er dem Jüngeren verbal in die Brust stieß. Tief in seinem Herzen wusste er, warum er so grausam sprach. Warum er versuchte, den Anderen zu verletzen. Ryous Sprüche trieben ihn in die Enge. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem ihm nichts anderes übrig blieb, als auszuteilen. Innerlich stand er mit dem Rücken zur Wand. Dennoch schienen seine Worte genau ins Schwarze zu treffen. Wie elektrisiert stolperte Ryou einen Schritt zurück, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Es war, als hätte er plötzlich beschlossen, sich nicht länger schwach und wehrlos zu geben. Von einer Sekunde zur nächsten verzerrte sich sein Gesicht angesichts der Emotionen, die in diesem Moment durch seinen Körper jagen mussten. Seine Schultern bebten. Seine Augen lagen im Schatten der Nacht.

Plötzlich schoss er nach vorn, packte Bakura an den Schultern und versetzte ihm einen so harten Stoß, dass dieser einen Schritt nach hinten machen musste, damit er das Gleichgewicht nicht verlor. In Ryous Augenwinkeln glitzerte es feucht.

„Lass mich! Lass mich einfach!“

Bakura konnte nichts tun. Irritiert blickte er den Jüngeren an, hob instinktiv die Hände zur Verteidigung, obschon von Ryou keine nennenswerte Gefahr ausging. Er war zu schwach, zu zart gebaut. Ein gezielter Griff und Bakura brach ihm die Knochen. Ryou hob die Hand und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn.

„Du hast mir alles genommen! Du hast mich her gebracht, mich gequält, eingesperrt und mich verkauft. Du hast mich zu Maliks Sklaven gemacht!“

Er hielt inne und rang nach Luft. Seine Hände zitterten, die Worte selbst kamen nur abgehackt über seine Lippen. Es war der Moment, in dem all die aufgestauten Emotionen sich auf einen Schlag entluden. Emotionen, die ihn seit Monaten von innen auffressen mussten und die nun aus ihm hervor brachen.

„Aber dann -“

Ryou zögerte. Seine Stimme wurde weicher.

„Dann hast du angefangen, dich um mich zu kümmern. Und ich -“

Seine Stimme versackte, als fehlten ihm die richtigen Worte. Langsam ließ er die Hand sinken.

„Ich glaube an das Gute in dir. Kein Mensch wird grausam geboren, kein Mensch tötet ohne Grund.“

„Und wenn ich es will?“

Verschreckt hob Ryou den Kopf. Ein manisches Grinsen hatte sich auf Bakuras Lippen gebrannt, steif wie das einer Maske.

„Vielleicht ist mir das Geld Grund genug. Vielleicht habe ich ja meinen Spaß an der Sache, niemand zwingt mich, hier zu sein. Hast du schon mal daran gedacht, dass ich vielleicht genieße, was ich tue?“

Er blickte auf seine Faust und versuchte, sich Yuugis Blut, welches Ryou dort vermutete, vorzustellen. Sein Grinsen wurde breiter.

„Vielleicht ist das Geräusch Yuugis brechender Knochen die einzige Freude, zu der ich fähig bin. Was dann Ryou, was machst du dann? Macht mich das schlechter als andere? Gibt es tatsächlich jemanden, der sich aussuchen kann, welchen Charakter und welches Temperament er hat? Sag es mir! Du machst es dir leicht, andere zu verurteilen, obwohl du dich nie mit deinen eigenen Abgründen konfrontieren musstest.“

Ihre Blicke trafen sich. Der Gesichtsausdruck des Jüngeren wurde kalt. Enttäuschung und Wut traten in seine Augen. Er blinzelte mehrmals, schüttelte verständnislos den Kopf und öffnete den Mund.

„Fahr zur Hölle.“

Kaum ausgesprochen, schlugen die Worte einen Graben zwischen ihnen. Bakura spürte, wie etwas in ihm zerbrach. Er schluckte, atmete, mechanisch, ohne es zu merken. Über das allmächtige Rauschen des Blutes in seinen Ohren verlor er fast die Besinnung. Er hatte genug.

Was taten sie hier eigentlich?

Wortlos packte er Ryou am Oberarm und zerrte ihn in eine angrenzende Seitengasse, wo er ihn mit all seiner Kraft gegen die Wand drückte. Dabei wehrte Ryou sich, verstummte jedoch, als sein Kopf in Folge des heftigen Rucks gegen die Wand knallte. Starke Hände schlossen sich um seine Schultern und hielten ihn fest, Fingernägel gruben sich in sein Fleisch. Ryous Atem stockte, die braunen Augen weiteten sich vor Schreck. Es war Bakura nicht möglich, zu beurteilen, ob er ihm weh getan hatte oder ob die Stille nur aus der Erkenntnis erwuchs, zu weit gegangen zu sein. Es interessierte ihn nicht.

„Du weißt nichts“, fauchte er.

„Gar nichts! Es war nicht meine Entscheidung, dass die Dinge sind, wie sie sind. Daran lässt sich nichts ändern, also spar dir den erhobenen Zeigefinger.“

Er war wie im Rausch, betrachtete das Gesicht des Jungen, das, verzerrt durch die Dunkelheit, angsterfüllt zurück starrte. Jeden Millimeter sog er in sich auf, die weiße, makellose Haut, wie aus Porzellan, die Augen, gläsern, puppenhaft.

Dieser Junge. Er brachte Facetten in ihm hervor, die Bakura schon vor Jahren vergessen hatte. Er wollte das nicht. Es machte ihn schwach. Verwundbar. Damit konnte er nicht umgehen.

Erneut schlug er ihn gegen die Wand. Ryou stöhnte leise auf, sagte jedoch nichts. Mit jedem Schlag kniff er die Augen zusammen, jede Muskelfaser versteifte sich.

Bakura beugte sich vor, bis sich ihre Gesichter fast berührten. Ihr Atem bildete weißen Dampf in der bitterkalten Luft.

„Du weißt nicht, wie es ist, wenn man dir die Knochen bricht, und niemanden interessierts. Du hast noch nie vor Hunger geklaut oder Mülltonnen durchwühlt. Selbst ein Ort wie dieser kann das Paradies sein, wenn du dort herkommst, wo ich herkomme.“

Ein empathieloses Lachen verließ seine Kehle.

„Ich hätte dich zerquetschen sollen, als ich die Chance dazu hatte, dich und deine unsägliche Arroganz.“

Mit einem Mal herrschte Stille. Eine kaum greifbare Kälte war in ihre Herzen gekrochen und ließ sie verstummen. Die provokative Angriffslust, die zuvor in Ryous Augen gelodert hatte, war verschwunden und hatte einer tiefen Traurigkeit Platz gemacht, resignierter und müder als alles zuvor. Nur Sekunden später füllten sie sich mit Tränen. Regentropfen gleich rannen sie über die roten Wangen des regungslosen Gesichts. Schließlich ließ Ryou den Kopf sinken. Strähnen rutschten in seine Stirn und die Hände, die er nur Sekunden zuvor in dem Versuch, den Anderen auf Abstand zu halten, gegen Bakuras Brust gedrückt hatte, sanken langsam hinab. Beiläufig strichen sie über den Stoff des Hemdes, Fingerspitzen glitten über die darunter liegende Haut. Scham war alles, was sie hinterließen.

Bakura lockerte den Griff um die Schultern des Jungen und betrachtete ihn, still, unfähig, auszusprechen, was sich in jenen Momenten in ihm abspielte. Er konnte sich nicht helfen. Ryous Tränen, die feucht glänzenden Lippen, alles an ihm. Seit er ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte Ryou ihn nicht mehr losgelassen. Er wirkte so makellos und zerbrechlich, dass es ihn beinahe körperlich schmerzte. Etwas an ihm zog Bakura immer wieder in seine Nähe. Schloss er die Augen, sah er ihn auf dem Dach stehen, den blauen Parka hochgezogen bis unter das Kinn, die Haare im Wind flatternd. Ryous Blick, warm und sanft, ruhte auf ihm, als könne er direkt durch die Mauer, die er um sich hochgezogen hatte, in seine Seele blicken.

Nur Engel konnten so schön sein.

Es machte ihm, dem Kontrolle wichtiger war als alles andere, Angst. Nie war er sich selbst so ausgeliefert gewesen.

„Ich habe meine Gründe“, flüsterte er nicht ohne Resignation und wunderte sich über den kratzigen Klang seiner Stimme. Er räusperte sich, nahm das Gesicht des Jungen in seine Hände und wischte behutsam die Tränen fort.

Da war eine stille Verbundenheit, die ihm bislang unbekannt gewesen war. Es ließ ihn kalt, wenn Menschen neben ihm zu Schaden kamen, solange er selbst unversehrt blieb. Doch Ryou in diesem Zustand zu sehen, dafür verantwortlich zu sein, setzte ihm zu.

Er war ein Mörder, ja. Ein Monster war er nicht.

Er war kalt und doch ebenso menschlich wie alle anderen. Er konnte fühlen. Leiden. In seinem Leben hatte es kaum je mehr gegeben als das. Und auch, wenn er nichts nach draußen dringen ließ, waren sie doch da. Auch sein Herz pumpte Blut durch seine Venen.

Wieder ließ Ryou den Kopf sinken. Eine Weile weinte er leise vor sich hin, die Wangen in Bakuras Hände geschmiegt. Die Schultern bebten unter den unterdrückten Schluchzern, die seinen Körper immer wieder durchzuckten. Erst nach einer Ewigkeit fand er seine Stimme wieder. Sie war kaum mehr als ein Flüstern.

„Normalerweise hättest du mich getötet, oder?“

Bakura zögerte für einen Moment.

„Ja.“

Es hatte ihn einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, Malik von dem Standard, unliebsame Zeugen sofort aus dem Weg zu räumen, umzustimmen. Malik hatte nicht verstanden, warum Bakura dieses Risiko eingehen wollte, und sich stundenlange Diskussionen mit ihm geliefert. Er hatte nicht anders gekonnt. Nie hatte er jemanden getroffen, der ihm in seiner Erscheinung und in seinem Wesen so ähnlich gewesen war. Selbst, wenn er gewollt hätte, er hätte ihn nicht töten können. Wenn er ihn ansah, dann sah er sich selbst. Wären die Dinge in seinem Leben anders verlaufen, hätte er seine Unschuld nicht verloren, sie wären wie Zwillinge. So aber konnten sie unterschiedlicher kaum sein.

„Warum hast du es nicht getan?“

Ryou hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich in der Dunkelheit. Suchend wanderten Ryous Pupillen über Bakuras Gesicht, erfüllt von einer Sehnsucht, die Bakura nicht deuten konnte. Sie suchten nach Antworten, verstanden nicht, warum man ausgerechnet ihn verschont hatte. Wortlos starrten sie sich an. Ryous Mund stand leicht offen, die Lippen glänzten feucht, seine Haut schimmerte bläulich in dem fluoreszierenden Licht der Straßenlampen.

Bakura seufzte. Da war es wieder, das Zittern, das von ihm Besitz ergriffen hatte, als er Maliks Büro verlassen hatte. Er hatte Ryou aus egoistischen Gründen am Leben gelassen, dessen war er sich bewusst. Es war das erste gewesen, dass er für sich einen Anspruch geltend gemacht hatte, während er sonst nur kommentarlos das ausführte, was man ihm auftrug. Vielleicht, so schoss es ihm durch den Kopf, wäre der Tod besser gewesen als all das, wozu er Ryou gezwungen hatte. Wozu lebte man, wenn man keine Wünsche, keine Träume, keine Zukunft mehr hatte?

Der Atem des Jüngeren streifte seine Lippen, unruhig, aufgewühlt und mit einem Mal verstummten alle Stimmen, alle Zweifel in seinem Kopf, als habe man sie mit einer kräftigen Handbewegung hinfort gefegt. Vorsichtig wischte er Ryou die verbliebenen Tränen aus dem Gesicht, ehe er dessen Kinn mit den Fingerspitzen anhob und seine Lippen auf die des Jungen legte.

Es dauerte einen Moment, bis Ryou, der den Kuss nur zurückhaltend erwiderte, zu begreifen schien, was mit ihm geschah. Der schwache Widerstand, der von seinem Körper ausgegangen war, erstarb. Begleitet von einem leisen Keuchen öffnete er die Lippen, die Arme schlangen sich um Bakuras Taille, wo seine Finger Halt in dem losen, viel zu dünnen Hemdstoff suchten.

Wortlos zog Bakura ihn näher an sich heran und drückte ihn mit seinem gesamten Gewicht gegen den roten Backstein der angrenzenden Wand. Er wollte sich nicht mehr zurücknehmen, wollte sich nicht gegen das wehren, was hier geschah. Jetzt, wo er ihn in seinen Armen hielt, gab es keine Möglichkeit, dass er ihn jemals wieder gehen ließ. Seine Finger glitten über Ryous Hals, betasteten jeden Zentimeter nackter Haut, den er finden konnte. In seinen Ohren hallte der fremde Atem, jedes noch so kleine Stöhnen, welches die Lippen des anderen verließ, wann immer Bakura ihn berührte. Eingeklemmt zwischen Wand und ihm presste Ryou sich mit aller Kraft gegen Bakuras Oberköper, schmiegte sich an ihn, als seien sie eins. Dieser sog jeden Hauch des fremden Geruchs in seine Lungen, voller Gier, der Kopf wie leer gefegt. Er vergaß sich. Jeden Millimeter dieses Körpers wollte er erkunden. Hier. Jetzt. Sofort.

Hinter ihnen schepperte es. Der Klang berstenden Metalls prasselte von den Wänden auf sie hinab und trieb sie auseinander. Verschreckt blickten sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, noch immer ineinander verschlungen, beide schwer atmend, die Wangen rot glänzend von der Hitze, die sich in den Sekunden zuvor in ihnen entfacht hatte. Erst jetzt bemerkte Bakura, wie sehr das Herz in seiner Brust raste. Suchend starrte er in die Dunkelheit.

Er entdeckte nichts. Ein Mülleimerdeckel, der herunter gefallen war, eine verirrte Katze. Alles war möglich, wer wusste das schon. Niemand war zu sehen.

Bakura drehte den Kopf zurück in Ryous Richtung, das Gesicht immer noch durch seine Hände eingerahmt, gerade im Begriff, ihn noch einmal zu küssen, als er inne hielt und bemerkte, dass Ryous Gesichtsausdruck ein anderer war als zuvor. Unsicher, fast verstört sah er aus; als ihre Blicke sich in der Dunkelheit trafen, wich Ryou ihm aus. Sein Mund öffnete sich und er suchte nach Worten, doch kein Laut verließ seine Lippen. Lautlos beobachtete Bakura die Reaktion des Anderen und Bitterkeit breitete sich in ihm aus. Sekunden später wich er ein Stück zurück und gab ihn frei. Ryou befreite sich aus seinem Griff und noch einmal, flüchtig, sahen sie sich an. Dann verließ Ryou schnellen Schrittes die Gasse, in die Bakura ihn nur Minuten zuvor gezogen hatte.

Die Hände zu Fäusten geballt blickte Bakura ihm hinterher und ließ den Blick schließlich sinken. Die Ahnung von Glück, die für Sekunden in ihm aufgeflammt war, war erloschen und wich beschämter Enttäuschung. Er hatte es geschafft, sich vor jedem, der im Film Noir arbeitete, bloßzustellen und das an nur einem Abend. An einem Ort, der so klein war, das nichts geheim bleiben würde. Er konnte ihn bereits hören, Mariks beißenden Spott und Jonouchis überhebliches Gelächter.

Dieser Junge...

Bakura holte tief Luft, erstickte das stechende Gefühl in seiner Brust und fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar. In ihm war eine Sehnsucht, so stark, dass sie ihn fast körperlich schmerzte. Er musste dieses Gefühl abtöten. Es war sinnlos. Nichts würde sich für ihn ändern. Nicht heute. Nicht morgen. Alles würde so bleiben, wie es war.

Bakura richtete seine Kleidung, straffte die Schultern und wandte sich um. Sein Gesicht war regungslos, das Rot aus seinen Wangen verschwunden. Nichts an ihm verriet, was geschehen war, als er Ryou zurück ins Film Noir folgte.

Kontrolle. Sie war das wichtigste.

Sie war alles, was er hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hah! Endlich! ENDLICH! Fast 1 1/2 Jahre des langen Wartens haben sich gelohnt. Die beiden sind endlich geshippt. Ihr glaubt gar nicht, wie happy ich war, als ich das ganze endlich runter schreiben durfte. Ich hoffe ihr hattet nur halb so viel Spaß beim Lesen wie ich beim Schreiben. Es ist das längste Kapitel bisher, und das verdient.

Vielen Dank fürs Lesen! Danke fürs Durchhalten!

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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  berrymelon
2015-04-04T17:28:16+00:00 04.04.2015 19:28
Wahrscheinlich hör ich mich an wie ein altes Tonband, aber ich liebe deinen Bakura. Ich liebe jedes Kapitel, in dem er näher beleuchtet wird, umso mehr. Und wie du es hier schaffst, seine Gedankengänge und Gefühlswelt darzustellen, ist einfach wunderschön. Er ist ganz schön kaputt, ne? Das macht ihn so wundervoll. Ist es pervers, dass ich total darauf stehe, wie er und Ryou sich abwechselnd anziehen und im nächsten Augenblick ebenso stark wieder abstoßen? Sie können es so verdammt gut.
Gerade in der Unterhaltung zum Schluss kommt da so gut rüber, dieser Gegensatz von Ryous langsam zerbrechendem Idealismus und Bakuras scheinbarer Apathie, unter deren Oberfläche es doch brodelt. Hach <3 Tausend Dank für diese letzte Szene, sie ist so gottverdammt bittersüß, dass es eine wahre Wonne ist! Endlich kommt das Pairing mal in die Puschen.

Und als krasser Gegensatz dazu natürlich die Fortsetzung um Yuugis Bredouille. Ach je, das geht einem wirklich ganz schön nah, weißt du das? Ich glaube, gerade weil Bakura so unbarmherzig erzählt und ihm noch mehr Schuld zuweist, kommt es bei mir umso heftiger an. Dazu dann natürlich noch Malik, den ich persönlich bisher kaum einschätzen kann. Im Prinzip ist er wirklich das Arschloch vom Dienst, mit extra Fleißorden, und er hält sich auch diesmal nicht zurück. Wie du darüber die Konfrontation mit Bakura einbaust, gefällt mir ausgesprochen gut. Während ich den beiden in den ersten Kapiteln noch halber schmunzelnd bei ihren Machtkämpfen zugesehen habe, ist die Stimmung in dieser Situation eine deutlich andere, viel angespannter und ernster. Da bahnt sich ganz schön was an.

Mal vom Hauptplot in diesem Kapitel abgesehen, find ich's schön, dass Otogi und Honda auch einen Platz bei dir gefunden haben :D Man sieht zwar nur wenig von ihnen, aber das Bisschen ist toll. Gerade Honda, der Drogen an die Polizei verticken will, ist so … ach, du armer Trottel.
Von:  -Entchen
2014-11-30T19:46:12+00:00 30.11.2014 20:46
Unglaublich. Da wartet man auf das Kapitel, dann darauf, dass die Geräte oder die Zeit einem keinen Strich durch die Rechnung machen und anstelle, dass du traurig oder gar wütend bist, dass ich Eumel es nicht gebacken kriege, endlich das neue Kapitel zu lesen, liest du es mir vor. Danke! Es ist einfach nochmal eine weitere Ebene, die zu deinem Stil und deiner Art die Charaktere zu beschreiben hinzukommt. Mein Zimmer hat sich für 2h in eine Bar verwandelt, es roch nach Bier, betrunkene Männer saßen um mich herum, der Boden klebte und die Luft war feucht und stickig. (Da haben auch meine Duftkerzen zum ersten Advent nicht geholfen)- Außerdem mag ich es wenn man mir vorliest. <3

ENDLICH. Da war er, dieser Moment, den ich nicht sehnlicher erwarten konnte als du. Nur, dass du im Gegensatz zu mir schon wusstest, wann und wie er passieren würde. Bei dieser Stelle fühlte ich mich wie ein kleiner Spion, der in einer dunklen Ecke der Gasse steht und den Blick nicht von diesem Pärchen abwenden kann. Du hast wundervoll auf diese Situation hingearbeitet, du hast nicht versucht so schnell als möglich an diesen Punkt zu gelangen, sondern dir Zeit genommen. Du hast eine Stimmung um diesen Moment kreirt, die besser hätte nicht sein können.
Die melancholisch düstere Welt, die du um Film Noir erschaffen hast, findet in diesem Kapitel nocheinmal einen neuen höhepunkt. Die Graumsamkeit Maliks, der Psychopat, mit dem man besser niemals involviert sein sollte, hast du in die Realität geholt. Ich musste wirklich schwer schlucken.

Es war wie jedes Mal ein Vergügen!
Von:  Arya-Gendry
2014-11-20T20:06:11+00:00 20.11.2014 21:06
Hi^^

Oh man armer Yugi er kann einen nur leid tune. Malik diesen Schwein. Ich denke nicht das Yugi das überstehen wird, er kann ja jetzt nicht mal mehr weiter Arbeiten also ist er für Malik auch nutzlos geworden.

Bakura und Ryou ja endlich sind sie sich näher gekommen und haben sich geküsst. Wie es jetzt mit den beiden wohl weiter geht. Und ob die anderen es rausbekommen?

Bin gespannt wie es weiter geht schreib schnell weiter. ;)
Lg.
Von:  Kronenprinz
2014-11-20T19:59:12+00:00 20.11.2014 20:59
Das erste Wort, nachdem ich durch bin (Ich beziehe mich nur auf die Story, vorher kamen da noch so Sachen wie "Die ist verrückt!" Und "Oh Gott, ich hab diese Frau echt lieb gewonnen!" aber es geht ja hier nicht um die Autorin, sondern um die Story!) war Achterbahn.
Du bist in diesem Kapitel mit mir Achterbahn gefahren. Und zwar eine besonders wilde. Es fing langsam an. Mit dem Einblick in Bakuras Innenleben als Intro zu diesem Kapitel hast du alles richtig gemacht. Es war der schnelle und perfekte Weg zurück ins Film Noir und noch mehr zurück in den Kopf eines komplizierten Mannes. Dann ging es bergab. Es wurde schrecklich, grauenhaft und zwar im guten Sinne.
Ich habe schon lange nicht mehr so schlucken müssen bei einer heftigen Szene! Malik ist krank, ein sadistisches Monster. Er erinnert mich an Mr. Hyde, als dieser ein Kind niedertrampelt. Wenn ich vorher noch ein Fünkchen Hoffnung hatte auf ein Happy Ever After, so sind sie nun zerstört. Das Film Noir ist wahrlich ein düsterer Mahlstrom, der alles verschlingt, hinab zieht in seine modrigen Eingeweide und verdaut. Ich bezweifel das irgendjemand heil aus dieser Geschichte kommt. Am wenigsten Bakura und Ryou.
Yuugi hast du wundervoll beschrieben. Ich habe gelitten an dieser Stelle. Der geprügelte Hund. Der arme Kerl. Hatte ich zu Beginn noch Freudentränchen über die Widmung im Auge, waren es nun nur noch Tränen des Mitleids und Grauens.
Ich stehe echt noch neben mir und wirklich verkraften kann ich dieses Kapitel gerade nur wegen dem Ende. Der Kuss, die sensibelerotische Begegnung der Zwei. Du hast genau die Worte getroffen, die ich lesen wollte. Etwas sagt mir jedoch, dass die Folgen des Kusses nicht so schön werden.
Nun noch ein Wort zu den Gastauftritten. Genial. Ich musste so lachen! Der Job passt zu den Beiden und er hat die doch sehr gewaltige Szene ein wenig aufgelockert. Genau was man in diesem Moment braucht. Solche Gastauftritte unterstütze ich und ich würde gerne noch mehr haben. Das Team im Film Noir ist groß und geheimnisvoll.
Mit diesen letzten zwei Kapiteln hast du dich selbst übertroffen, meine Liebe! Ich kann dich gar nicht hoch genug loben! Ich bin stolz mein Pseudonym als Widmung hier zu lesen und danke dir aus vollen Herzen. Danke für diese wunderbare Überraschung und danke für dieses tolle neue Kapitel. Ich will unbedingt mehr! Du bist das was die Drogen für Yuugi sind ;D

Dein Fan und Freund
Kronenprinz
Von:  Sternenschwester
2014-11-20T17:04:42+00:00 20.11.2014 18:04
ich gratuliere mal das du es bis dahin geschafft hast. Echt tolles Kapitel, hat mir gut gefallen, auch weil du wirklich Zeit für die Charaktere nimmst und die ganze Sache stimmungsvoll aufbaust.
lg, Sternenschwester
Antwort von:  MadameFleurie
20.11.2014 18:18
Vielen Dank :)


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