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Ich warte auf dich

von

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Der Auftrag

Lenja schüttelte seit mehreren Minuten mit kurzen Unterbrechungen ihren Kopf. Wie immer, wenn sie nachdenken musste, lief sie ihren imaginären Weg auf und ab.
 

Sie wusste nicht, was sie von Thorins Bitte halten sollte. Sie wusste nicht, ob es eine gute Idee war, das zu tun, was er ihr offerierte. Sie konnte nicht sagen, warum er mit diesem Auftrag überhaupt an sie herangetreten war. Es gab einige fähige Goldschmiede in Thrórs Königreich und doch kam er zu ihr.
 

Woher wollte er wissen, dass sie mit dem Druck umgehen konnte? Er hatte doch keine ihrer Anfertigungen je zu Gesicht bekommen. Vom Hörensagen schien ihr der Entschluss des Prinzen doch zu riskant. Die Möglichkeit des Scheitern lang zu hoch. Der Fall würde tief sein, wenn sie den Auftrag nicht erfüllen konnte. Ihr Fall innerhalb der Gemeinschaft würde eine furchtbare Zukunft für sie bereithalten. Es würde sie ruinieren; für immer und ewig.
 

Nach minutenlangem Auf und Ab blieb Lenja stehen und sah zu Thorin hinüber, der wenig königlich auf ihren Holzschemel Platz genommen hatte. Er hatte jede ihrer Bewegungen schweigend verfolgt. Er gab ihr die Zeit, die sie brauchte. Doch er verlangte viel von der Frau. Vielleicht zu viel.
 

„Auch auf die Gefahr hin zu scheitern, werde ich es mit deiner Unterstützung wagen. Noch ist nichts entschieden. Doch du musst verstehen, dass mir eine Entscheidung in diesem Umfang beim besten Willen nicht so frei von der Seele kommt. Das Risiko muss kalkuliert werden. Und wenn ich scheitere, dann scheitere ich in der Gemeinschaft für alle Ewigkeit“, sprach Lenja immer noch leicht gequält von ihren eigenen Gedanken.
 

„Wenn du scheiterst, dann scheitere auch ich. Das sollte dir bewusst sein. Wenn ich nicht überzeugt von deinen Fähigkeiten wäre, dann würde ich dich auch nicht für einen derartigen Auftrag gewinnen wollen. Ich habe vollstes Vertrauen zu dir, Lenja“, erwiderte Thorin und suchte ihren Blick.
 

Doch sie wich ihm aus: „Ich hoffe, du hast Recht. Wir werden es versuchen. Ich begleite dich, wir versuchen unser Glück und dann werden wir wissen, wie und ob es überhaupt weitergeht.“
 

**
 

Mit langsamen, aber ihr Ziel nicht verfehlenden Schritten trat Lenja an Thorins Seite in den Thronsaal ein.
 

Unweigerlich kamen Erinnerungen an jenen Tag aus ihrem Inneren an die Oberfläche, die sie nur zu oft versucht hatte aus ihrer Seele zu entfernen. Sie sah sich selbst an jenem Ort vor einem Jahrzehnt stehen. Wie sie ihren Vater an Balins und Dwalins Seite gegenüber getreten war. Wie sie sich seine Lügen anhören musste. Wie sie das Gefühl hatte selbst auf die Anklagebank geraten zu sein. Wie sie den Schmerz schilderte, den sie erleiden musste. Wie sie auf Gerechtigkeit hoffte. Wie Ásgrímur verurteilt wurde. Wie er sich aus seiner Verhaftung wand. Wie er versuchte sie mit in das Unglück zu reißen, das er selbst erschaffen hatte. Wie Dwalin sie beschützte. Wie sich die Männer bekämpften. Und wie Balin sie schließlich aus dem Saal zog, um dem Kind noch mehr Schmerz zu ersparen.

Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, Lenja hätte geglaubt, dass das die Vergangenheit einer anderen Person gewesen war. Zu glücklich kamen ihr die letzten Jahre bei ihren Onkeln vor. Doch leider gehörten diese leidlichen Szenen aus vergangener Zeit zu ihrem Leben und damit unweigerlich auch zu ihrer Zukunft.
 

Gemeinsam blieben die beiden Zwerge mit gebührend Abstand vor dem Thron des Zwergenkönigs stehen. Gleichzeitig würdigten sie ihn indem sich Thorin verbeugte und Lenja an seiner Rechten zu einem Knicks ansetzte.
 

Mit einem interessierten Blick begutachtete Thrór das ungleiche Paar.
 

Lenja wurde just in diesem Moment bewusst, dass ihr grüner Umhang über dem schlichten Kleid auch schon bessere Zeiten erlebt hatte. Es handelte sich nicht um die günstigste Kleidung, wenn man vor den König zu treten gedachte.
 

„So sprich, Thorin. Wie können Wir dir und deiner Begleitung weiterhelfen?“, fragte Thrór wissbegierig.
 

„Vor Euch steht Lenja, einst Ásgrímurs Tochter, nun Nichte des Balin. Ich habe sie zu Euch gebracht, da ich sie für eine sehr fähige Goldschmiedin halte. Im Vergleich zu Euren vertrauten Schmieden möchte ich trotz allem behaupten, dass sie sie in ihrer eigenen Zunft übertrifft. Gerade weil sie eine Frau ist, bin ich mir sicher, dass sie mit ihrer langen Erfahrung die richtige Person für Euren Auftrag ist. Für dieses Unterfangen sind die zarten Hände einer Frau besser als männliche Grobheit. Lenja genießt mein vollstes Vertrauen. Und nur deshalb erlaube ich mir mit der Bitte an Euch heran zu treten ihr den Auftrag zu übergeben, Eure Majestät“, sprach Thorin.
 

Thrór schienen die Worte seines Enkels nachdenklich zu stimmen.
 

Er überlegte im Stillen, ob diese Frau wirklich über eine solche Kenntnis verfügte, die für seinen Wunsch notwendig war. Eigentlich hatte er ihn einen seiner Hofschmiede übergeben wollen. An einen erfahrenen Zwerg, dem er sein Vertrauen bereits seit Jahrzehnten schenkte. Immer war er zu seiner vollsten Zufriedenheit mit den Meisterwerken Déndins gewesen. Nie wäre Thrór auch nur ansatzweise auf den Gedanken gekommen dem Zwerg seinen Auftrag zu entziehen.
 

Doch er kannte auch seinen Enkel und wusste, dass dieser ihn nicht enttäuschen würde und jede seiner Überlegungen gut durchdacht war.

Er selbst hatte seit Thorins Geburt dafür gesorgt, dass aus dem Jungen eines Tages auch ein würdiger Erbe Durins wurde. Und aufgrund dessen wollte er ihm und seiner jungen Begleiterin in der Hinsicht sein Vertrauen schenken. Vorläufig sollten sie es jedenfalls innehalten. Er wollte wissen, was sich hinter der Ankündigung seines Enkels verbarg. Und das konnte er nur durch einen gewitzten Zug herausfinden.
 

Mit einem Wink wurde ein Diener heran bestellt. Lenja konnte nicht hören, was Thrór im befahl. Doch der Zwerg in seinen Diensten schien genau verstanden zu haben und eilte davon.
 

Der König richtete sich auf seinem Thron auf bevor er seine Worte an Lenja richtete:
 

„Wie Uns scheint, habt Ihr, junges Fräulein, Unseren Enkel von Eurem Handwerk überzeugt. Es fällt Uns nicht sehr leicht, fremdem Personal diesen Auftrag zu übergeben. Ihr sollt die Möglichkeit haben Uns zu überzeugen, dass Ihr die richtige Person für Unser Anliegen seid. Wir werden Euch zeigen, um welche Kostbarkeit es sich handelt. Ihr werdet dann die Zeit bekommen einen Entwurf zu erarbeiten. Wir werden im Beisein unserer Vertrauten dann einen Entschluss fällen an welchen Schmied Wir den Auftrag vergeben. Jeder eingegangene Entwurf wird strengstens durch Unsere Hand geprüft, schönes Kind.

Sollte Euer Entwurf Unserer Vorstellung entsprechen, so werdet Ihr den Zuschlag erhalten und Uns mit Eurer Kunst erfreuen.

Und damit Ihr auch wisst, um welchen Schatz es sich handelt, lassen Wir Euch nun den Stein zeigen.“
 

Kaum hatte der Zwerg seine letzten Worte ausgesprochen, trat der Diener von eben vor die Zwergin. Er trug einen Gegenstand in Händen, der von einem sehr feinen Leinentuch bedeckt war.

Auf ein Nicken des Königs schlug er den Stoff zurück.
 

Lenja stockte der Atem. Sie hatte einen solchen Edelstein noch nie in ihrem Leben zuvor erblickt. Er war noch unbearbeitet, dementsprechend unförmig für ein Schmuckstück seiner Größe. Doch auch ohne diesen handwerklichen Aufwand konnte sie sich nicht daran erinnern jemals einen Rohstoff von einer vergleichbaren Schönheit erblickt zu haben.
 

Es war ein großer, massiver weißer Edelstein. Unter seiner feinen ursprünglichen Oberflächenstruktur verbarg sich ein milchiger Schein. Licht schien sich in ihm zu brechen, obwohl noch kein Schmied Hand an ihn gelegt hatte. Ein Schimmer schien aus seinem Inneren an die Oberfläche gelangen zu wollen, was sie nur von Mondsteinen her kannte. Doch eine solche Intensität hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
 

Lenja schluckte. Eine Faszination ging von diesem unbehandelten Edelstein aus, die im Begriff war sie gefangen zu nehmen. Und es machte der Zwergin Angst. Obwohl sie nichts vergleichbares, nichts Schöneres kannte, ahnte sie den Wert den der König seinem Juwel bereits in diesem unbehandelten Zustand entgegen brachte.
 

Thorin hatte ihr berichtet, wie man diesen Edelstein gefunden hatte. Tief in den Minen, die sich in den Gewölben des Erebors befanden, war er einem Arbeiter auf der Suche nach weiteren Goldadern förmlich in die Hände gefallen. Thrór hatte erfahrene Goldschmiede zu sich gerufen. Sie hatten Stunde um Stunde über seinen Ursprung gerätselt und diskutiert. Keiner konnte ihm auch nur eine plausible Herkunft zuordnen. Am Ende kamen sie überein, dass der Edelstein in den Tiefen des Einsamen Berges auf seinen wahren Besitzer seit Entstehung der Zeit warten musste.

Und da der König unter dem Berge nun einmal Thrór war, lag es nun in seiner Hand über den Stein und das dazugehörige Schicksal zu entscheiden.
 

Und wie das Schicksal dieses speziellen Stoffes lautete, wusste Lenja bereits. Er sollte behandelt werden und dann als Symbol der Macht und der Stärke des Geschlecht Durins über den König wachen. Thrór wollte ihn in seinen Thron einfassen lassen.

Für jeden sollte auf einen Blick sichtbar sein, wer der Herr in diesem Reich war und wem die Ländereien der Menschen ihren Reichtum und ihren gut funktionierenden Handel verdankten.

Dies waren keinesfalls die Worte Thorins oder seines Großvaters. Es waren Lenjas Schlussfolgerungen, die dieses Bild ihres Königs zeichneten. Und auch nur der kleinste Gedanke bereitete der Frau ein bisher kaum gekanntes Unbehagen.
 

Nachdem die Zwergin ausreichend Zeit hatte, den Edelstein zu begutachten, wurde das Leinentuch wieder vorsichtig geschlossen. Der Diener verschwand mit dem Bündel genauso eilig, wie er es einst für die Goldschmiedin geholt hatte.
 

Hinter Lenjas Stirn hatten die Gedanken von vor wenigen Stunden wieder ihren mühseligen Gang aufgenommen. Thorin hatte Recht behalten. Seine Schönheit konnte sie dem Stein nicht absprechen. Auch wusste sie, dass sie in der Lage war ihn vorsichtig zu bearbeiten, seine obere Schicht fein zu entfernen und ihm durch einen bestimmten Schliff einen noch ausdrucksstärkeren Anblick bescheren konnte. Doch war sie sich nicht sicher, ob es wirklich in ihrem Interesse war.

Sie konnte es sich nicht erklären. Es umgab den Stein etwas unbeschreiblich Unnatürliches. Sie wusste, dass dieser Eindruck falsch war. Schließlich hatte man ihn direkt neben einer Goldader ausfindig gemacht. Es war ein natürliches Produkt aus den Minen. Aber ihn umgab eine Aura, die sie nicht zuordnen vermochte.
 

Es war wie bei den Kostbarkeiten, die sie sonst auf Wunsch herstellte. Umso schöner und kostbarer etwas wurde, umso mehr bereitete es Lenja Kopfzerbrechen. Und beim Anblick dieses Steines lief ihr unwillkürlich ein Schauer den Rücken herunter.

Immer mehr zweifelte sie daran, ob es eine gute Idee gewesen war Thorins Bitte nachzukommen. Selbst wäre sie niemals auf die Idee gekommen dem König ihre Dienste anzubieten. Doch nun stand sie hier und auch wenn sie zusehends unsicherer wurde, lag es nun an ihr einen Entwurf für Thrór zu erarbeiten. Still verfluchte sie den Moment an dem sie Thorin versprach ihn hierher zu begleiten. Sie musste unbedingt mit ihm reden. Am besten sofort in diesem Moment. Doch darauf musste sie noch warten. Noch standen beide vor ihrem König.
 

„Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Eure Hoheit. Einen Entwurf werde ich Euren Sekretär zukommen lassen“, sprach Lenja als sie endlich ihre Worte wiedergefunden hatte. Sie musste so schnell es ging aus dem Thronsaal heraus.
 

„Wir freuen Uns auf Eure Ideen, wertes Kind“, entgegnete der König.
 

Mit diesen Worten konnte sie gehen. Ein rascher Blick in Thorins Richtung wies ihn an ihr zu folgen. Kaum waren die beiden außer Hörweite der königlichen Wachen konnte Lenja ihre Anspannung nicht mehr an sich halten.
 

Mit einem sie selbst überraschenden Ruck griff sie ihren Begleiter an den Kragen und drückte ihn in einen dunkleren Gang. Ihr Körper bebte. Sie wusste nicht, ob es vor Anspannung oder vor Wut war. Was ihr jedoch bewusst war, war, dass sie die Situation kaum als auszuhaltend empfand.
 

Mit einem Blick der Verwunderung in seinen Augen, ließ Lenja von Thorins Kragen ab. Sie senkte den Kopf und rutschte mit dem Rücken die steinerne Wand herunter. Mit den Händen im Schoß blieb sie knapp über dem Boden in der Hocke sitzen. Thorin tat es ihr gleich. Wieder auf einer Augenhöhe suchte sie den direkten Zugang zu seinen Augen.

Ahnte er überhaupt in welches Schlamassel er sie eben gestürzt hatte? Verzweifelt strich sie sich durch ihre Haare und seufzte schwer auf.
 

„Was habe ich getan, dass dich so sehr in Rage bringt?“, durchbrach Thorin die Stille.
 

Wenn sie das nur wirklich wüsste, durchfuhr es ihre Gedanken.
 

„Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Thorin. Der Stein, er ist wirklich wunderschön. Bereits jetzt in seinem natürlichen Zustand. Doch bereitet mir diese Schönheit auch große Zweifel. Vielleicht ist es auch Angst“, entgegnete Lenja und hielt selbst bei ihrem letzten Eingeständnis seinem Blick stand.
 

„Nichts lag mir ferner als dich in Bedrängnis zu bringen“, sprach der Zwerg und berührte vorsichtig ihre rechte Hand.
 

Überrascht von dieser Berührung zog Lenja ihre Hand abrupt zurück. Sie wusste, dass Thorin ihr nichts Böses wollte. Ihr war klar, dass er sie für die richtige, geeignete Person hielt. Doch wollte sie sich nicht dieser enormen Verantwortung aussetzen.

Leider war es zu spät. Sie musste dem König einen Entwurf vorlegen. Ob sie wollte oder nicht. Ihre berufliche Zukunft hing davon ab. Würde sie dem nicht nachkommen, konnte sich die Neuigkeit schneller im gesamten Erebor und seinen umliegenden Ländereien verbreiten als ihr lieb war. Sie würde als unfähig gelten. Als ängstlich und unschlüssig dem König nicht die eigenen Ideen unterbreitet zu haben.
 

In was hatte Thorin sie da nur hinein geritten?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Manu19
2016-04-15T11:32:23+00:00 15.04.2016 13:32
Huhu,
ja das frage ich mich auch, was hat Thorin sich dabei gedacht? Oh ich ahne schon dass ihr dieser Auftrag alles andere als leicht fallen wird. Ich kann nur hoffen das sie nicht dem stein verfällt.

Klasse Kapitel.

LG Manu19


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