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Ich warte auf dich

von

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Prozess

Lenja konnte die Anspannung kaum mehr aushalten. Auch Dwalin schien es nicht viel anders zu ergehen. Immer wieder ging er auf und ab. Man hatte die beiden angewiesen in einem Nebenraum Platz zu nehmen. Man wartete immer noch auf Ásgrímur.

Die Wachen waren schon vor einer gefühlten Ewigkeit losgezogen, um ihn zu seinem Verhör zu holen. In der Zwischenzeit hatte Lenja ihren Bruder einer Dienerin des Königs übergeben. Man hatte ihr versprochen gut auf den Kleinen zu achten und das Mädchen hatte zugestimmt. Dieser Ort war nichts für einen Säugling.

Auch Balin war nun zu seinem jüngeren Bruder und seiner Nichte gestoßen. Dwalin hatte nach ihm schicken lassen, nachdem er Lenja und Ári in den Wäldern gefunden hatte.
 

„Ich fasse das nicht. Waren wir so blind, Dwalin? Warum haben wir nicht gesehen, was unser Schwager für einer ist?“, fragte Balin und rang sichtlich nach Fassung.
 

Auch jetzt saß er immer noch kopfschüttelnd neben Lenja. Das Mädchen sah ihren Onkel an. Sie konnte sich nicht erinnern ihn je zuvor in einem derart verzweifelten und nachdenklichen Zustand gesehen zu haben. Er grübelte oft, aber nicht so sehr, wie an dem heutigen Morgen.

Balin bemerkte ihren Blick und versuchte zu lächeln.
 

„Mach dir keine Gedanken, Lenja. Es wird sich schon alles zu seiner Richtigkeit lösen. Unser König ist ein weiser Mann. Er wird schon sehen, wer ihn belügt und wer nicht“, setzte der Zwerg an.
 

„Und das bedeutet auch für dich, dass du ihm jede seiner Fragen ehrlich antworten musst. Auch wenn es dir unangenehm ist. Wenn du etwas verschweigst, weil du dich dafür schämst, dann spielst du deinem Vater in die Hände. Also beherzige die Tugend der Wahrheit und zeige einem jeden dort im Thronsaal aus welchem Holz du im Gegensatz zu deinem Erzeuger geschnitzt bist. Vergiss nicht, dass Dwalin und ich in deiner Nähe bleiben und Ásgrímur dir vor den Augen aller dort nichts mehr antun kann. Versprichst du mir dies?“
 

Lenja nickte. Sie war ihrem Onkel dankbar für seine Worte. Auf ihn und Dwalin konnte sie wirklich zählen. Balin strich ihr über ihre Haare.
 

„Du bist ein sehr starkes Mädchen, weißt du das Lenja? Ich bewundere deine mentale Kraft, mein Kind. Nicht jeder hätte so gehandelt, wie du in letzter Nacht. Und deine körperliche Fitness, die Stärke im Kampf: da können wir beide hier dir noch den ein oder anderen Kniff beibringen.“
 

Lenja ließ ihren Kopf an Balins Schulter sinken. „Danke“, hauchte sie als plötzlich mit einem Ruck die schwere Tür zum Thronsaal geöffnet wurde. Er war jetzt also da.
 

Eine Wache verkündete: „Meister Balin, Meister Dwalin. Unser König verlangt nach Euch sowie Eurer Nichte. Der Prozess wird nun eröffnet.“
 

Lenja schluckte. Jetzt wurde es also ernst. Sie folgte der Wache und ihren beiden Onkeln in den Thronsaal. Sie war sich anhand eines Blickes auf Dwalin sicher, dass dieser innerlich vor Wut und Hass auf seinen Schwager kochte. Wären die beiden allein gewesen, wäre er wohl ohne zu zögern auf Ásgrímur losgegangen. Er ballte seine mächtigen Hände zu Fäusten.
 

Die Gruppe blieb zur Linken des Königs stehen. Direkt gegenüber, zu seiner Rechten, stand Ásgrímur zwischen den beiden Wachen, die ihn zuvor geholt hatten. Lenja zuckte ein wenig zusammen bei dem Blick, den er ihr zuwarf. Dieselbe Kälte des gestrigen Abends kam ihr entgegen. Sie griff ruckartig nach Balins Hand.

Neben dem König, der wie einst auf seinem imposanten Thron saß, standen nun auch sein Sohn Thráin und sein Enkel Thorin. Diese Anklage von Dwalin musste also doch von sehr großer Wichtigkeit sein, wenn sich nun auch noch die gesamte königliche Familie versammelte.
 

Eine unangenehme Stille erfüllte den Thronsaal. Keiner sprach bis Thrór persönlich das Wort ergriff:
 

„Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihr, werter Ásgrímur, einer Unserer besten Krieger, in der letzten Nacht eine unserer wichtigsten Traditionen innerhalb der Gemeinschaft gebrochen habt. Euch wird von Euren Schwagern, Meister Balin und Meister Dwalin, vorgeworfen, das Mädchen misshandelt zu haben. Ihr seid nun hier um Euch zu diesen Anschuldigungen zu äußern. Es sollte Euch bewusst sein, dass die Forderung eines Banns im Raum schwebt, über die Wir am Ende dieses Prozesses entscheiden werden.

So denn, Euch gehört nun das Wort, Meister Ásgrímur.“
 

Der Zwerg trat nach vorn, näher an den König heran und verbeugte sich bevor er folgendes sprach:
 

„Ich weise die Vorwürfe meiner beiden Schwager entschieden zurück. Mir ist es ein Rätsel auf welche Beweise diese Anschuldigungen fußen, eure Hoheit. Weder der eine noch der andere waren am gestrigen Abend in meinem Heim zugegen. Sie sind als Zeugen nicht brauchbar. Was wir hier haben sind die bekümmernden Aussagen meiner armen Tochter und meiner Wenigkeit. Ich weiß nicht, was in das Kind gefahren ist, dass sie ihrem eigenen Vater solch abscheuliche Taten vorwirft. Ich kann es mir nur so erklären, dass sie der Tod meiner Frau immer noch zutiefst mitnimmt und sie ihre Trauer an mir auslässt.“
 

Lenja hielt den Atem an und drückte panisch die Hand ihres Onkel Balins. Was hatte ihr Vater vor?
 

„Ich möchte Lenja verzeihen. Für den Aufstand, den sie hier auch vor Euren Augen standfinden lässt und für ihre Tat von gestern Abend.“
 

Thrór beugte sich wenige Zentimeter: „Was für eine Tat meint Ihr?“
 

„Sie stach ohne eine Vorwarnung mit dem Küchenmesser auf mich ein, Eure Majestät. Auf ihren liebenden Vater...sie rammte es mir in den linken Oberschenkel. Das erste Mal noch zögerlich. Aber das zweite Mal hatte eine Wucht, wie sie nur Hass oder pure Verzweiflung hervorbringen kann. Dann riss sie ihren Bruder aus der Wiege und lief ohne ein weiteres Wort davon. Wo sie die Nacht blieb, weiß ich nicht, mein König.“
 

„Habt Ihr Euch gewehrt? Und habt Ihr nach dem Mädchen gesucht?“, wollte der König wissen.
 

„Nein. In beiden Fällen muss ich Eure Fragen verneinen.“
 

„Warum habt Ihr Eure Tochter nicht gesucht?“, fragte Thrór weiter.
 

„Ihr müsst wissen, mein Herr, dass Lenja schon immer ein unruhiges Gemüt hatte. Sie ist zuweilen sehr impulsiv. Jedoch beruhigt sie sich meist dann auch rasch. Ich habe gehofft, dass sie ihren Fehler einsieht und wieder in die Arme ihres liebenden Vaters kommt, wie sie den Weg schon so oft wieder zurückgefunden hat.“
 

Lenja rang um Fassung. Sie fühlte sich nach den Worten ihres Vaters so leer. Alles um sie herum schien in sich zu verschwimmen. Sie schnappte nach Luft. Was wollte er denn von ihr? Machte es ihm Spaß sie vor allen zu quälen? Ohne sie aufhalten zu können, rann ihr bereits die erste Träne heiß über das Gesicht. Neben sich hörte sie Dwalin verächtlich auf schnauben. Balin an ihrer linken Seite drückte ihre Hand fester in die seinige. Er schüttelte nur ungläubig den Kopf über das, was Ásgrímur eben zu Protokoll gegeben hat.
 

Das Mädchen wurde aus ihren Gedanken gerissen.
 

„So denn, danken Wir Euch für Eure Darstellung der Geschehnisse, Meister Ásgrímur“, sprach der König und Lenjas Vater trat wieder zurück an seinen Ausgangsplatz.
 

Thrór sah daraufhin in Lenjas Richtung.

„Komm nach vorn, mein Kind. Hab keine Scheu. Wir wollen dich nun auch befragen.“
 

Lenja ließ Balins Hand zögernd los und trat dann mehrere Schritte auf den Thron zu. Sie knickste und wartete auf eine weitere Aufforderung zum Sprechen.
 

„Stimmt es, was dein Vater angibt? Hast du ihm ein Messer am gestrigen Abend in seinen Oberschenkel gerammt, Mädchen?“, fragte der König.
 

„Ja, Herr“, antwortete Lenja wahrheitsgetreu.
 

Thrór schloss für wenige Sekunden die Augen bevor er erneut ansetzte: „Du weißt, dass du vor Uns die Wahrheit sprechen musst, nicht wahr?“
 

Lenja nickte und sah den Zwergenkönig an.
 

„Gut. Dann sag Uns, ob es der Wahrheit entspricht, dass du ohne Grund auf deinen Vater losgegangen bist. Wir wollen aus deiner Sicht hören, was bei euch daheim geschehen ist bevor du das Messer gegen deinen Erzeuger richtetest.“
 

„Eure Majestät, die Wahrheit ist, dass mein Vater Euch und alle hier im Raum belügt. Es stimmt, ich habe das Messer in seinen linken Oberschenkel gerammt. Dies geschah aber aus Notwehr, müsst Ihr wissen. Es hat ihm wohl nicht gefallen, dass ich mit meinen beiden Onkeln am Morgen, wenige Stunden vor dem Vorfall, über unsere Situation gesprochen habe“, Lenja atmete kurz durch.
 

„Seit dem Tod meiner Mutter nach der Geburt meines Bruders Ári vor knapp einem Monat lässt mein Vater mich ihre Arbeit daheim übernehmen. Nur vergisst er dabei, dass ich selbst noch ein Kind bin. Es überforderte mich und so sprach ich mit Balin und Dwalin, die sich dem Problem zusammen mit meinem Vater annehmen wollten. Doch ich weckte wohl damit schlafende Hunde, Eure Majestät.“
 

Thrór richtete sich von seinem Thron auf und stieg wenige Stufen herab. Er kam auf Lenja zu. Das Mädchen wusste nicht, was sie von dieser Reaktion halten sollte. Der König blieb direkt vor ihr stehen und sah ihr tief in ihre grünen Augen.
 

„Sprich nur weiter, mein Kind. Es interessiert Uns, was daraufhin geschah.“
 

„Mein Vater kam in die Küche als ich das Regal einräumte. Ich stand auf einem unserer Holzstühle als er ohne ein Wort das eine Stuhlbein mit einem heftigen Tritt entzwei brach, sodass ich zu Boden fiel. Ich bekam Angst vor ihm. Er kam auf mich zu und beschimpfte mich dafür, dass ich mit Balin und Dwalin gesprochen habe. Er machte auch meine tote Mutter schlecht. Ich spürte gleichzeitig Angst und Wut in meinem Körper, Eure Majestät. Ich stand auf und beschimpfte ihn ebenfalls, woraufhin er mir links und rechts in das Gesicht schlug. Ich fiel erneut zu Boden und dann trat er auf mich mit seinen schweren Stiefeln ein. Ich konnte nicht mehr. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich und auch meinen kleinen Bruder aus dieser schrecklichen Situation befreien sollte, mein König. Also griff ich aus Notwehr zu einem Küchenmesser, das ich dann in seinen Oberschenkel rammte. Ich schnappte mir Ári aus seinem Bettchen und rannte um unser beider Leben. Ich hatte so Angst. Ich hatte Todesangst. Ich wusste nicht, was er uns noch antun würde, wenn er mich in die Finger bekam“, verzweifelt und erfasst von den Emotionen der letzten Nacht stiegen Tränen in Lenjas Augen auf. Sie blieben dem König nicht verborgen.
 

„Und was geschah dann, Mädchen?“, fragte er immer noch den Blick tief in ihre nun geröteten Augen gerichtet.
 

„Ich lief mit Ári durch das Hauptportal aus dem Erebor, Eure Majestät. Wir versteckten uns in den Wäldern nahe unserer Heimat.“
 

„Und du bist nicht auf direkten Weg zu deinen beiden Onkeln gelaufen?“
 

„Nein.“
 

„Und kannst du Uns auch sagen, warum du dies nicht getan hast?“
 

„Weil ich mich davor fürchtete, dass mein Vater mir auf dem Weg dahin auflauern würde.“
 

„Gibt es jemanden, der dich auf deinem Weg raus aus dem Erebor gesehen hat? Hast du jemanden bemerkt, der deinen Zustand erkennen konnte und bestätigen kann, dass du sprichwörtlich auf der Flucht warst?“, fragte der König wissbegierig.
 

„Ich selbst habe niemanden bemerkt auf unseren Weg in die Sicherheit, mein König. Aber mein Onkel Dwalin, der mich heute Morgen zusammen mit Ári fand, sprach davon, dass jemand noch gestern Abend bei ihm gewesen ist und ihm sagte, dass seine Nichte und sein Neffe in die Dunkelheit verschwanden“, hilfesuchend sah sie sich nach Dwalin um.
 

Der schien nur darauf zu warten, dass der König ihm das Wort erteilte als plötzlich eine Stimme hinter Thrór zu sprechen begann.
 

„Ich war es, der das Mädchen zusammen mit ihrem Bruder gesehen hat, Eure Majestät“, sprach Thorin.
 

Thrór drehte sich zu seinem Enkel um.
 

„Ich war auf dem Rückweg von der Waffenkammer als ich die beiden Kinder sah“, führte der junge Mann fort. „In Lenjas Gesicht stand blankes Entsetzen, Angst und Verzweiflung, wie ich sie noch nie zuvor bei einem Kind gesehen habe. Sie schien mir auf der Flucht vor etwas. Bevor ich sie stoppen konnte, war es bereits zu spät und sie lief mit dem Säugling hinaus in die dunkle Nacht. So ging ich auf direktem Weg zu ihrem Onkel Dwalin, um ihm das Gesehene zu berichten. Jedoch eins steht für mich außer Frage: dem Mädchen muss großes Leid widerfahren sein.“
 

Thrór nickte gedankenversunken.

Er verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und sprach ein letztes Mal zu Lenja:
 

„Drehst du dich bitte ein wenig mehr in Richtung des Lichtes, mein Kind? Wir wollen dir bei mehr Kerzenschein in dein hübsches Gesicht gucken.“
 

Das Mädchen tat, wie ihm geheißen und drehte den Kopf. Thrór betrachtete sie nachdenklich.
 

Der König nickte ein weiteres Mal und gab Lenja mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie wieder zu ihren Onkeln zurücktreten durfte. Dwalin legte ihr schützend die Hand auf ihren Rücken.
 

„Wir haben einen Entschluss getroffen. Meister Ásgrímur, Wir verbannen Euch aus Unserem Reich. Ihr werdet es sofort auf direktem Weg verlassen müssen, da Ihr gegen die Sitten Unseres Volkes verstoßen und Eure Tochter auf das Schändlichste misshandelt habt.

Geht Uns aus den Augen!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Manu19
2016-04-03T18:22:18+00:00 03.04.2016 20:22
Hi,
ja, ja das hat er verdient. Ich bin froh das der König Lenja geglaubt hat. Aber was wird jetzt aus Lenja und Ari?

War ein Klasse Kapitel.

LG Manu19


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