Zum Inhalt der Seite

Ich warte auf dich

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Großes Unglück

Es lag spürbar Spannung in der Luft. Alle schienen dem Ende der Schwangerschaft von Láfa entgegen zu fiebern. Nicht nur Lenjas Eltern waren froher Hoffnung, sondern auch Dwalin und Balin. Wobei den beiden Onkel die immer schlimmer werdenden Stimmungsschwankungen ihrer Nichte nicht verborgen blieben.
 

Nach dem „Geständnis“ Láfas in der Frauenrunde hatte Lenja allen Mut zusammen genommen und versucht ihre Mutter auf die verletzenden Worte anzusprechen. Sie wusste nicht wie sie sie damit konfrontieren sollte und ob es überhaupt einen richtigen Weg dafür gäbe. Bei ihrem Onkel Dwalin wäre das alles kein Problem gewesen. Hier hielt sie sich immer an die Devise „Gerade-aus-heraus“, aber bei ihrer Mutter wusste Lenja nie genau, wie sie ein Gespräch anfangen sollte. Sehr schnell bekam sie auch nur die kleinsten Dinge in den falschen Hals.

Die Traurigkeit über den vermeintlichen Nachteil als Mädchen ließ sich aber mit voranschreitender Schwangerschaft nicht mehr kommentarlos hinunterschlucken, sodass Lenja schließlich doch eines Abends das Gespräch mit ihrer Mutter suchte.
 

Vor dem Kamin saß Láfa und strickte für ihr Ungeborenes ein Paar blaue Söckchen. Lenja sollte eigentlich bereits selig in ihrem Bett schlummern, doch waren ihre Nächte bereits von Alpträumen über kleine grausame Brüder geprägt, sodass sie nun endlich an ihre Mutter herantrat:
 

„Mutter, ich weiß, dass ich eigentlich bereits schlafen sollte. Doch ich kann nicht. Schon seit mehreren Wochen quält mich eine Sache und bringt mich um den Schlaf.“
 

Láfa blickte von ihrer Strickarbeit auf und sah ihre Tochter verblüfft an. „Nimm Platz. Was brennt dir so sehr auf der Seele, mein Kind?“, fragte sie.
 

Lenja setzte sich tief durchatmend neben ihre Mutter: „Vor ein paar Wochen als wir bei Dís und Reya waren. Naja, du erinnerst dich doch bestimmt noch daran, dass ich plötzlich aus dem Raum gegangen bin und meinte, mir wäre übel. Weißt du noch?“
 

Ihre Mutter nickte und sah sie weiterhin fragend an.
 

„Ähm, ja. Da habt ihr euch doch über meinen kleinen Bruder unterhalten und dass Söhne euch lieber wären als Töchter. Und dann auch noch, dass Mädchen zu bekommen euch unglücklich macht...sag mal Mutter, hast du mich überhaupt lieb?“, bei den letzten Worten fing Lenja an zu weinen und sah betreten zu Boden.
 

Zwerge weinen nicht. Auch Frauen und Mädchen nicht. Sie ertragen ihren Kummer im Stillen und nur für sich, hieß es doch immer. Doch Lenja war das alles egal. Ihre Mutter hatte sie doch schließlich geboren und warum sollte sie sich vor ihr verstellen, nur um damit dem Klischee einen Gefallen zu tun?
 

Wie das erste Prasseln eines sich ankündigenden Regenschauers liefen die Tränen dick über Lenjas Gesicht. Gewünscht, ja erhofft, hatte sie sich genau die Reaktion ihrer Mutter als jene ihr mit einer in letzter Zeit kaum dagewesenen Zärtlichkeit die salzigen Wassertropfen aus dem Gesicht wischte.
 

„Mein armer Schatz! Es tut mir so furchtbar leid! Natürlich liebe ich dich. Und deinen kleinen Bruder werde ich nicht mehr, sondern genauso sehr lieben wie dich kleinen Wirbelwind. Was ich da in der Gesellschaft der anderen Frauen gesagt habe, war nicht gegen dich gerichtet. Es hatte eher damit zu tun, dass, nun ja, dein Vater und ich in den letzten Jahren nicht die beste Ehe geführt haben. Ach was erzähle ich dir das... es ist eigentlich nichts für deine Kinderohren...es tut mir so leid, meine Lenja. Ich habe damals einfach nicht nachgedacht als ich einfach drauflos gesprochen habe während du im Raum warst...“, setzte Láfa an und unterbrach sich selbst kurz um ihre Gedanken zu ordnen.
 

„Dein Vater ist nicht immer einfach. Und als Krieger im Dienste unseres Königs hat er auch das ein oder andere Schreckliche miterlebt, was eine Ehe nicht unbedingt besser macht. Es ist manchmal schwierig, wenn er alles in sich hineinfrisst und ich ihm alles aus der Nase ziehen muss...wir haben Probleme, die aber wirklich nichts mit dir zu tun haben. Das sind so dumme Erwachsenendinge, weißt du mein Schatz. Und naja, genau zu diesen Dingen gehörte der immer stärker werdende Wunsch deines Vaters einen Sohn zu haben, der in seine Fußstapfen treten soll. So schnell ließ sich diese Sehnsucht dann leider doch nicht erfüllen und aus einem Wunsch wurde kaum auszuhaltender Druck...ich wollte dich nicht mit meinen Aussagen unglücklich machen, meine Tochter“, auch Láfa hatte nun feuchte Augen als sie in die grünen, verweinten Äuglein ihrer Tochter blickte.
 

„Ich weiß nicht, ob du es sofort kannst. Aber ich hoffe, du kannst mir das dumme Gespräch von damals eines Tages verzeihen“, setzte die Frau nach und strich ihrer Tochter vorsichtig über den rechten Arm.
 

„Ich glaube schon“, flüsterte Lenja und sah ihrer Mutter tief in ihre blauen Augen. „Eins weiß ich aber ganz genau. Wenn ich mal groß bin und einen Mann habe, dann bekomme ich nur Mädchen mit dem. Die sind viel stärker, denn schließlich bekommen wir Frauen doch die Babys.“
 

Láfa lächelte ihre Tochter an. Manchmal, so dachte sie sich, wäre es vielleicht doch etwas besser so mutig wie ihr Mädchen zu sein.
 

**
 

Munteres Treiben war in der Stube ausgebrochen. Láfa lag bereits seit mehreren Stunden in den Wehen. Lenja fand, dass das Baby sich viel zu viel Zeit ließ. Sie hatte nach dem Gespräch mit ihrer Mutter ihren vorerst inneren Frieden mit dem kleinen Bruder geschlossen. Immerhin konnte der ja nichts für die Probleme ihrer Eltern und sie wollte ihm eine gute große Schwester sein. Er konnte bestimmt davon profitieren, dass Lenja bereits erste Erfahrungen in Rangeleien mit den blöden Zwergenjungs und ihrem Onkel Dwalin hatte. Wer eine große Kriegerin als Vorbild hatte, konnte doch nur ein guter kleiner Krieger werden, oder etwa nicht?
 

Die Tür zur Kammer ihrer Eltern öffnete sich ein weiteres Mal wie bereits zuvor innerhalb der letzten Stunden. Lenja wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Sie kannte sich ja nur theoretisch mit so einer Geburt aus. Ihr Vater und ihre beiden Onkel machten auf sie zwar einen nervösen, aber keinesfalls ängstlichen Eindruck.
 

Nun trat eine Zwergin aus der Tür heraus, um Ásgrímur mitzuteilen, dass die Geburt in den finalen Zügen liege. Sie bat ihn etwas warmes Wasser zu bringen damit das Kind dann auch gewaschen werden konnte, wenn es denn endlich auf der Welt war. Wie auf das Stichwort wartend, eilte Dwalin aus der Stube. Er hatte bereits vor Stunden Wasser im Kessel aufgesetzt, damit sein Neffe auch einen guten Start ins Leben haben würde. So war ihr Onkel eben, dachte sich Lenja grinsend. Onkel von Hauptberuf und nebenbei eben noch Krieger.
 

Die Türe fiel wieder ins Schloss und Lenja hielt dieses Warten und das endlose Schweigen in der Stube nicht aus. Ihr Vater lief wieder mit den Händen auf dem Rücken verschränkt und nachdenklichem Gesicht quer durch den Raum auf und ab.
 

Das Mädchen ließ sich auf dem Sofa neben Balin fallen und seufzte auf: „Sag mal Onkel Balin, hat das bei mir damals eigentlich auch so lange gedauert? Ist das normal, dass Mutter mit meinem Brüderchen so lange beschäftigt ist? Oder will er sie ärgern?“
 

Balin legte vergnügt den Arm um ihre Schulter: „Du hast eindeutig nicht so lange gebraucht. Innerhalb von drei Stunden warst du auf der Welt. Aber das hat nichts zu bedeuten. Die einen brauchen eben länger als die anderen. Das ist manchmal so. Und das ist auch nichts, wovor man sich fürchten oder seinem kleinen Bruder Boshaftigkeit unterstellen muss“.
 

Lenja strahlte ihn an: „Dann ist ja gut. Ich dachte schon, dass ihm noch eine Fußzehe fehlt und er deshalb noch ein bisschen in Mutters Bauch verbringen will bis die so ist, wie sie sein soll.“
 

Glucksend rutschte das Mädchen fast vom Sofa als der baldige Doppel-Onkel Dwalin mit dem gewünschten warmen Wasser in den Raum trat. Vorfreude und Stolz spiegelten sich in seinen Zügen wieder, die ein Außenstehender eventuell falsch interpretiert hätte. Immerhin war er nur der werdende Onkel und nicht der Vater. Aber er liebte seine Schwester und seine Nichte so sehr, dass er sich wie ein Kind auch unendlich auf seinen Neffen freute.

Nicht, dass der anders behandelt werden würde, wie Lenja. Schließlich brauchte Dwalin niemanden zum Raufen oder zum Ringen. Das konnte seine Nichte ebenfalls schon wie ein Junge. Nein, er freute sich einfach darauf, dass die Familie weiter wuchs. Er und Balin waren ja nicht verheiratet und da er eben noch nicht selbst Vater war, liebte er die Kinder seiner Schwester umso mehr.
 

Plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Dwalin hatte das Wasser in einem Krug in der Hand und wollte an die Tür zur Kammer klopfen als jene ruckartig aufgerissen wurde und die Zwergin von vorhin mit bleichem Gesicht im Türrahmen stand.
 

Lenjas Onkel ließ vor Schreck den Krug fallen, der auf der Erde in tausend Teile zersprang. Balin war vom Sofa aufgesprungen und Ásgrímur war wie vom Donner gerührt stehen geblieben. Lenja wusste nicht was geschehen war, doch bedeuteten die Reaktionen der Männer wohl nichts Gutes.
 

„Mein Herr, eure Frau hat den Jungen entbunden. Aber sie verliert ungewöhnlich viel Blut. Dem Kind geht es gut. Nur...“.
 

Lenja hörte nicht mehr, wie die Frau weitersprach. Ohne ein Wort sprang sie vom Sofa auf und lief an der Zwergin vorbei zu ihrer Mutter. Bei der Aktion schubste sie die Hebamme fast um. Sie wollte zu ihrer Mutter. Alles andere war ihr egal. Das konnte nicht sein! Nein! Ihre Mutter war eine starke Frau. Ihr konnte es einfach nicht schlecht gehen. Das war nicht möglich! Niemand, keiner auf der Welt konnte ahnen, wie sehr Lenja ihre Mutter liebte, auch wenn sie sich viel zu oft stritten. Ihre Mutter konnte jetzt nicht einfach so schlapp machen. Nein, das ging nicht! Sie hatte doch eine Tochter und nun auch einen kleinen Sohn. Sie brauchte sie, nein, beide Kinder brauchten ihre Mutter!
 

„Lenja! Komm da weg!“, hörte man Ásgrímurs verzweifelte Stimme.
 

Als Lenja ins Zimmer stürzte, sah sie ihre erschöpfte Mutter im Bett liegen. Sie wirkte zerbrechlich, hatte Schweißperlen auf der Stirn und war kalkweiß im Gesicht. Ein Bündel aus weißem Stoff lag ihr auf der Brust. Sie war zu schwach, um ihren Sohn zu halten. Als sie Lenjas Anwesenheit war nahm, lächelte sie ihr unter größter Anstrengung zu.
 

„Komm mein Kind“, flüsterte Láfa ihr zu.
 

Lenja eilte zu ihrer Mutter ans Bett. „Mutter, das geht nicht! Du kannst nicht krank werden. Nein! Ich brauche dich. Wir brauchen dich doch! Du kannst uns nicht allein lassen!“
 

Láfa betrachtete ihre Tochter. Ihre Lenja. Sollten die anderen doch denken, was sie wollten. Ihr Mädchen war eine Starke. Auch mit ihren zehn Jahren war sie bereits so klug und tapfer, wie es andere niemals in ihrem langen Zwergenleben werden würden.
 

Unter starker Anstrengung versuchte die Mutter ihrer Tochter eine ihrer losen roten Haarsträhnen aus dem Gesicht hinter das Ohr zu stecken. Es gelang ihr nicht. Unter Schmerzen stöhnte sie auf.
 

„Mama bitte!! Werde doch wieder gesund. Du musst durchhalten!“, schrie Lenja verzweifelt und Tränen liefen ihr wie Sturzbäche über das Gesicht.
 

„Weine nicht mein Kind. Wir werden es nicht ändern können. Ich bin so schwach. Ich habe bereits zu viel Blut verloren. Weine nicht um mich mein Schatz. Auch wenn ich dich verlassen muss, so werden wir uns doch eines Tages wiedersehen. Nicht hier, nicht im Jetzt. Aber ich werde auf dich im Jenseits warten. Es tut mir so leid dich nicht weiter auf deinem Leben begleiten zu können. Nicht zu sehen, wie du erwachsen wirst, dich nicht glücklich verliebt zu sehen. Ich möchte nicht gehen, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss dich verlassen.

Doch versprich mir bitte eins: Pass auf dich und deinen kleinen Bruder auf. Liebe ihn wie dich selbst. Sei ihm eine gute Schwester, wenn ich ihm keine Mutter mehr sein kann.“
 

Verzweifelt rang Lenja nach Luft. Sie konnte nicht mehr denken. Ihre Mutter würde sterben! Das war nicht fair. Nicht jetzt nachdem sie sich wieder besser verstanden! Das war so ungerecht! Sie war doch erst 10 Jahre alt. Wie sollte sie es ohne sie schaffen?
 

„Mama, lass mich nicht allein. Ich mache auch alles, was du willst. Nur verlass mich nicht! Lass mich nicht allein. Ich verspreche dir alles, nur werde wieder gesund! Mama, sag doch was! Mama, sprich mit mir! Bitte!“, Lenja schrie die letzten Worte voller Verzweiflung und unter Tränen, die brannte als ob sie aus Feuer wären.
 

Sie zitterte. Ihre Mutter bewegte sich nicht mehr. Das konnte nicht wahr sein! Lenja hatte das Gefühl als würde man ihr Messer in ihren Körper rammen. Mehrere auf einmal und alle gleichzeitig in ihr kleines Herz. Láfas Herz hatte aufgehört zu schlagen und mit seinem letzten Schlag schien für Lenja die Welt still zu stehen. Wie in Trance drückte sie die schlaffe Hand ihrer Mutter ein letztes Mal bevor sie wie in Zeitlupe den Raum verließ. An Dwalin und Balin vorbei, die ebenfalls ihre Tränen nicht zurückhalten konnten und an ihrem Vater vorbei, der Lenja nicht wahrzunehmen schien und mit einem Blick voller Leere den leblosen Körper seiner Frau anstarrte. Balin trat auf Lenja zu, doch sie schüttelte nur den Kopf. Sie musste raus. Weg von diesem Ort. Einfach nur weg.
 

Kälte umgab Lenja. Sie konnte ihren Atem sehen als sie auf einen der steinernen Balkone des Erebor stand. Es war mittlerweile stockdüstere Nacht. Die Sterne oben am Himmel funkelten. Sie richtete ihren Blick zum Himmelszelt. Ihre Mutter hatte ihr einmal eine Geschichte erzählt als sie noch kleiner gewesen war. Nach ihrem Tod wachen die Verwandten von oben über ihre Familien. Lenja hoffte, dass das stimmte. Kraftlos sackte sie in sich zusammen und sah in die wolkenlose Nacht hinein. Die Tränen tropften von ihrem Kinn zu Boden. Sie fühlte sich so leer. So allein. Aber auch wütend. Ja, es war auch ein Stück Wut in ihr. Nicht auf ihre Mutter. Nein, auf die niemals. Aber auf eine andere Person. Ja, und wie sie begann innerlich zu kochen.
 

Rasend vor Wut rappelte sich Lenja wieder auf die Beine und schrie zum Himmel gerichtet: „Ich hasse ihn!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Manu19
2016-03-31T14:55:39+00:00 31.03.2016 16:55
Huhu,
oh nein es ist so traurig wenn jemand so früh stirbt. Wie werden es alle verarbeiten? Lenjas Vater wird doch wohl für Lenja da sein ihr es erklären und ihr Trost geben oder? Wie werden Balin und Dwalin damit umgehen?

LG Manu19
Antwort von:  LenjaKa
03.04.2016 11:11
Hallo,
ja, der Tod von Lenjas Mutter ist ein herber Schlag für die Familie. Ári wird seine Mutter niemals kennenlernen, Lenja würde trotz aller Differenzen ihre Mutter wohl niemals gehen lassen... es ist für alle nicht einfach.

Vg LenjaKa


Zurück