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Der Pelzmantel

von

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Es war der erste Tag, der erste Abend.
 

Der Wind pfiff kalt durch die Straßen, fegte die spärlichen Reste von gefrorenen Nebel vor sich her, scheuchte sie über hohlgefrorene Pfützen. Drückte die Menschen, die auf den Fußwegen im Schein der Schaufenster von zu Hause flüchteten oder eilten, vor sich her. Peitschte ihnen den weißen Schmutz ins Gesicht. Versuchte sie vergeblich herumzuwirbeln und in dieselbe Ecke zu zwängen wie Frau Holle´s Staubmäuse.
 

Die Menschen kümmerten sich nicht um den Wind- im Laufe ihrer Evolution hatten sie die Bedeutung warmer Kleidung erkannt und sie zu einer modischen Perfektion getrieben. So waren alle mit dicken Schals, Mäntel und langer Beinkleidung ausgestattet von einigen eitlen Partygängern abgesehen.
 

Sie stand an einer Straßenlaterne, zitternd, die Arme fest um ihren Körper geschlungen. Krampfhaft hielt sie den altmodischen Pelzmantel fest, der sicher noch das Ende des Krieges gesehen hatte. Er ging ihr bis knapp über die Knöchel. Sorgsam zog sie den Mantel weiter zu und sah einigen Autos nach, die in die Kreuzung einbogen, an der sie stand. Niemand beachtete sie, hin und wieder rempelte sie jemand an und sie hatte Mühe, sich zu fangen, wenn sie aus dem Gleichgewicht geriet. Sie durfte den Mantel nicht loslassen. Er saß zu lose.
 

Die Ampel sprang nach einer gefühlten Ewigkeit auf grün und die Masse hastete über die Straße. Sie wurde mitgerissen wie ein Stück Holz in einem reißenden Bach. Sie eilte auf der anderen Seite den Fußweg entlang. Der Wind fauchte wie eine beleidigte Katze zwischen ihren Beinen hoch und wölbte den schweren Mantel etwas auf. Sie fühlte die Kälte auf ihren nackten Beinen höher und höher kriechen, wie eine bleiche Schlange ihre Haut entlang.

Unter einem Hausdurchgang schallte das Klimpern eines Straßenmusikers. Sie war versucht, der armen Gestalt, die noch schrecklicher frieren musste als sie selbst, ein bisschen Kleingeld aus der Manteltasche hinzuwerfen. Doch dann musste sie den Mantel loslassen. Der Mantel, der alles verbarg. Das ganze Nichts darunter. Ihre Absätze klapperten im Takt dazu.
 

Sie bog in eine Seitenstraße ein und verlangsamte ihren Gang, als sie ihr Ziel erblickte. Die Leuchtreklame des Hotels lud sie ein. Sie war fast da. Ihr Herz übertönte den Schlag der Absätze auf den Straßenbeton. Sie hörte die Stimme des Portiers nicht.

Die Information wagte sie kaum anzusprechen. Krampfhaft umarmte sie den Mantel und zerrte an ihm. Der Mantel hielt sie verborgen. Das Nichts, das ihre Haut bedeckte. Sie wurde zum Zimmer 3089 geschickt, mit dem Fahrstuhl ginge es schneller. Mit einem freundlichen Lächeln, mit dem sie ihre Nervosität überspielte, bedankte sie sich.

Eilig lief sie auf der roten, weichen Auslegware. Ihr Herz war alles, was klapperte.
 

Der Fahrstuhl kam und erleichtert stellte sie fest, dass er leer war. Sie musste den Mantel nicht krampfhaft zuhalten. Langsam schloss die Tür sich. Erschrocken zuckte sie zusammen, als noch jemand auf ihren Fahrstuhl zuraste. Sie war versucht, den Knopf zu drücken, um ihn offen zu halten, doch dann musste sie den Mantel loslassen. Sie fürchtete sich, alles, was sich darunter nicht befand, preiszugeben. Die Türen waren zu.
 

Als sie sich wieder öffneten, stand sie in einem halbdunklen Gang. Unsicher lief sie auf dem besonders robusten und absatzklappern dämpfenden Teppich zu ihrem gesuchten Zimmer.

Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie klopfte. Das licht des Zimmers hinter der Tür fiel auf sie und durch den Spalt konnte sie das verblüffte Gesicht des Mannes sehen. Ihres Kunden. Sie schluckte, ihr Hals wurde rau, als sie wortlos den Mantel lüftete. Das Nichts darunter preisgab. Die Tür schloss sich kurz, sie hörte, wie die Kette weggeschoben wurde und die Tür aufgerissen wurde. Hastig und scheu schlüpfte sie an ihn vorbei. Das Klacken des Schlosses hallte bis in ihrem Herzen wieder. Es gab kein Zurück mehr.
 

Ohne weitere Worte fühlte sie, wie der schwere Mantel ihr von den Schultern gehoben wurde. Er fiel zu Boden, unbeachtet, nutzlos.

Die plötzliche Kühle auf ihrer bloßen Haut ließ in ihr das Verlangen aufkommen, die Arme erneut zu kreuzen und einen Teil der Blöße zu verdecken. Sie brachte alle Willenskraft auf, dem zu widerstehen. Fühlte, wie sie herumgedreht wurde. Spürte die hungrigen Augen auf sich. Er sah sie an und schien sie aufzusaugen.

Sie fühlte, wie er sie küsste. Er schmeckte nach Wein. Ihre Schritte taumelten und verloren den Boden, als er sich an sie drängte und dann hochhob, um sie aufs Bett zu werfen.

„Bitte, sei vorsichtig, das mache ich zum ersten Mal!“ hauchte sie furchtvoll. Die Antwort war ein tiefes Grunzen.

Sie versuchte, sich zu Entspannen, fühlte sein brennendes Verlangen, ließ sich davon mitreißen und verlor sich zwischen zwei Herzschlägen darin.
 

Als ihre Gedanken klarer wurden, hatte sie sich bereits aufgerichtet und nach dem erstbesten Kleidungsstück gegriffen, dass sie erblickte. Er griff nach ihrer Hand und sah sehnsuchtsvoll nach oben: „Kannst du nicht noch bleiben?“ fragte er schnurrend. Sie lachte auf: „Wie stellst du dir das vor? Ich muss die Kinder abholen.“ Sie nahm den Rollkragenpullover vom Stuhl, auf dem auch eine Jeans für sie hing. Sie beugte sich vor und gab ihn einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Schließlich legte sie den Pelzmantel zusammen und griff nach dem modischen Mantel, der an der Garderobe hing. Ihre Hand mit dem schlichten Brilliantring am rechten Ringfinger legte sich sachte auf die Türklinke, als sie innehielt: „Oh, bevor ich es vergesse,“ rief sie aus und drehte sich um, liebevoll lächelnd: „Alles Gute zum Siebenjährigen!“

Er grinste : „Danke, dir auch, Süße!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2015-08-04T11:17:10+00:00 04.08.2015 13:17
Huhu,
Versuchte sie vergeblich herumzuwirbeln und in dieselbe Ecke zu zwängen wie Frau Holle´s Staubmäuse.
Wieder ich mit meinen kleinen Detailanmerkungen. ;D
´ ist das Accent für Buchstabenbetonung, du suchst ', das Apostroph. Aber eigentlich brauchst du es gar nicht; das besitzanzeigende s wird im Englischen apostrophiert. Im Deutschen nicht. Schmeiß es doch einfach raus. (:
Davon einmal abgesehen mag ich die Bezeichnung "Frau Holles Staubmäuse" für Schneeflocken sehr. Eigentlich verbinde ich Schnee mit Reinheit, so habe ich ihn noch nie gesehen. Aber es passt zur Geschichte.

Sie wurde mitgerissen wie ein Stück Holz in einem reißenden Bach.
Sehr schöner Einsatz von Metaphern.

„Kannst du nicht noch bleiben?“ fragte er schnurrend.
Wenns nach der wörtlichen Rede noch weiter geht, braucht du nach dem Anführungszeichen ein Komma. Nach dem Komma. Im Englischen vorher. Du verdrehst wieder die Sprachen. ^^

Hihi, tolle Pointe. Und ja, ich kann Morgi nur zustimmen: Man ist Geheimnisträger, schleicht heimlich mit. Das ist toll.
Man fragt sich, wo sie hingeht, und die Auflösung ist großartig. Tolle Geschichte. Sieht so aus, als hättest du im Laufe der Zeit einiges dazu gelernt. (:
Eule
Von: abgemeldet
2015-05-18T04:05:20+00:00 18.05.2015 06:05
Hallo!
Bis zum letzten Absatz bin ich dir komplett auf den Leim gegangen, und war bereits dabei mich mental ein klitzekleines bisschen über die Naivität der Frau im ältesten Gewerbe der Welt auszulassen. Nicht, weil es unrealistisch ist, sondern schlecht vorbereitet. Das ist auf der anderen Seite aber auch nur ein Beweis dafür, dass ich ganz versunken im Geschehen war: Die Anonymität der Frau, die nichtssagenden Gesichter Dritter und das ganze Szenario sind fesselnd. Es läuft ein innerer Film ab, den du durch deinen Stil und fantastische Vergleiche ("Holz in einem reißenden Bach" war mein Favorit) ankurbelst. Ich konnte die Furcht in ihr, die Scham vor Entdeckung sehr gut nachvollziehen. Man hatte fast selbst das Geheimnis zu tragen - ein toller Leseeffekt, Hut ab!
Zwei Tippfehler am Anfang: "Frau Holles" (Genitiv, kein Apostroph) und von "gefrorenen Nebeln/gefrorenem Nebel" (Plural bzw. Kasus)

Ich hoffe, du schreibst noch viel mehr! Ich behalt' dich im Auge, da abonniert. ;)
Viele Grüße, Morgi
Von: abgemeldet
2015-01-20T19:39:53+00:00 20.01.2015 20:39
Guten Abend,
für heute suche ich mir mal ein kleines Häppchen aus, hab ich mir gedacht. Nur um mal wieder etwas zu kommentieren. Du bist sozusagen mein motivationsschub.

Der Titel ist, kurz. Er verrät nicht sehr viel, was ich, jetzt, wo ich die Geschichte noch nicht kenne, nicht bemängeln könnte. Dein text könnte sich um alles drehen. Wenn ich an "Das gefleckte Band" denke, könnte es ein Krimi sein. Genausogut wäre es aber möglich, dass es sich um Gesellschaftskritik handelt. Du hast keine Themen angegeben, lediglich Eigene Serie und One-Shot. Du würdest mit der Einordnung ein bisschen preisgeben, aber würdest genauso besser gefunden werden. Das nur als kleinen Tipp.
Und dann die Kurzbeschreibung. Zwei Worte, ein Zeichen. Gut, das macht mich neugierig und lässt mich nachdenken. Ich sehe schon fast eine Bordsteinschwalbe in einem Pelzmantel am Straßenrand stehen.
Na, ich lass das jetzt mal nicht zu lange auf mich wirken, sonst habe ich mich selbst zu sehr beeinflusst. ;)

Der Eintsieg gefällt mir ziemlich gut. Stilistisch nett verpackt. Besonders der Übergang zu "ihr" finde ich gelungen, liest sich prima.

Sie wurde zum Zimmer 3089 geschickt, mit dem Fahrstuhl ginge es schneller. Mit einem freundlichen Lächeln, mit dem sie ihre Nervosität überspielte, bedankte sie sich.
Super! Hier bleibt es sehr unpersönlich und du verschwendest keine Worte an die Rezeption oder Information, beschreibst nicht, was nicht sowieso klar ist.

Kleine Krittelei:
Das Nichts darunter preisgab. Die Tür schloss sich kurz, sie hörte, wie die Kette weggeschoben wurde und die Tür aufgerissen wurde.
Das erste "wurde" könntest du weglassen, würde sich schöner lesen.

Ich finde es toll, wie du das Absatzklackern immer wieder einbringst. Der Takt, dann wird es vom Herz übertönt und auf dem roten Teppich ist nichts davon vorhanden. Ein kleines Detail, das mir an der Geschichte aufgefallen ist, das ich erwähnens- und bemerkenswert finde.

Die Pointe ist dir gelungen. Ihre Antwort hat alles verraten, der letzte Satz war nur noch die Bestätigung. Ich muss lache, da ich an eine Folge "Modern Family" denken muss.
Es ist ein nettes Klischee. Und eine nette Geschichte. Manchmal braucht man einfach etwas Nettes. Danke dafür.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet


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