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Brüder

Shojis Geschichte
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der nächste Teil dieser Geschichte. Gute sieben Monate später - bereits nach dem Tod von Kenji.

Der Anfang nimmt Bezug auf den Fernsehbericht in der 44. Folge von Digimon Tamers. Komplett anzeigen

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Teil I - Geister

Itabashi, Tokyo – 23.11.2001
 

„... für einen weiteren Bericht über die Anomalie, die sich in Westen Shinjukus immer weiter ausbreitet. Zum jetzigen Zeitpunkt breitet sich die unidentifizierte Masse weiter vom Zwischenraum der Türme des Tokyo Metropolitan Government Bürogebäudes aus. Ähm... Unsere Reporterin Toki Anamu ist für sie live vor Ort...“

Das Bild wechselte zu einer kurzhaarigen Reporterin, die vor einer Brücke auf der Ostseite der Shinjuku JR Station stand. Hinter der Brücke war diese seltsame Masse zu sehen, die einige Medien begonnen hatten D-Reaper zu nennen, während auf der Straße direkt hinter der Reporterin Militärfahrzeuge fuhren.

Die Reporterin berichtete davon, wie sich die Masse immer weiter ausbreitete und dass das Militär seine Einsatzzentrale deswegen verlegen musste, ehe man ins Studio zurückschaltete und Interviews zeigte.

Shoji saß vor dem Sofa im Wohnzimmer auf der Familie.

Die Situation machte ihm Angst. Er wusste nicht, was diese seltsame Masse war, woraus sie bestand und wie sie überhaupt hierher gekommen war, doch sie machte ihm Angst. Es konnte nichts gutes sein und wenn das so weiter ging, da war er sich sicher, würde sie die Stadt nach und nach verschwinden.

Es war gerade einmal ein paar Tage her, dass diese Masse in Tokyo aufgetaucht war und seither hatte sie sich bereits um mehr als ein sechsfaches ausgedehnt. Immer mehr Leute wurden evakuiert und auch wenn wenn das Krisengebiet bisher noch einige Kilometer von ihnen entfernt war, so würden vielleicht auch sie irgendwann von hier wegmüssen. Wenn dieses seltsame... Was auch immer es war... Wenn es sie nicht in ihrem Schlaf verschlingen würde.

In anderen Nachrichtensendungen hatte er die seltsamen Wesen gesehen, die die rote Masse umschwärmten und sie zu schützen schienen. Sie sahen aus, wie die Monster aus einem Horrorfilm. Die Monster, von denen er Alpträume bekam.

So war es kaum verwunderlich, das er in den letzten Nächten immer Alpträume gehabt und kaum Schlaf gefunden hatte.

Was passierte hier nur?

„... Dann hat diese Anomalie also doch etwas mit Digimon zu tun?“

Fragte der Moderator an einen Professor gewandt, den er interviewte.

Es wurden Bilder des Vorfalls, der sich vor knapp zwei Monaten in Shinjuku ereignet hatte, gezeigt. Ein riesiges Ungetüm, das entfernt an ein Wildschwein erinnerte, hatte sich durch die Straßen geschoben, einige Häuser zerstört und dadurch mehrere Menschen getötet. Es war von anderen Monstern aufgehalten worden. Digimon.

Die Digimon, die Shoji aus dem Kartenspiel seines Bruders kannte, das er nie verstanden hatte. Die Digimon, die man auch im Fernsehen hatte sehen können, als der Anime sonntagmorgens auf Fuji TV hatte sehen können, bis man ihn aufgrund der Ereignisse zu Beginn des Oktobers vorerst eingestellt hatte. Die Digimon, vor denen Shoji bereits Angst hatte, als sie nur Figuren in einem Spiel waren.

Und nun waren sie real. Unheimlich real.

Was Kenji wohl gesagt hätte, wenn er die realen Digimon gesehen hätte? Hätte er sich wie Shoji gefürchtet?

Nein...

Wahrscheinlich hätte er sich gefreut. Wahrscheinlich wäre er ganz aufgeregt gewesen, hätte davon geredet, dass er auch ein richtiger Digimon Tamer werden wollte. Angst gehabt hätte er nicht oder nur kaum.

Vielleicht hätte er ja wirklich ein Digimon Tamer werden können?

Dann hätte er sich wahrscheinlich ins „Abenteuer“ gestürzt, ohne großartig darüber nachzudenken. Er hätte sich in unnötige Gefahr gebracht. Aber er hätte wahrscheinlich auch neue Freunde gefunden – vielleicht auch zwischen diesen unheimlichen Monstern.

Shoji wandte den Blick vom Bildschirm ab, wo eine indische Forscherin sich zu dem Vorfall äußerte, und sah zu dem Schrein, der an der linken Seite des Wohnzimmers neben dem Fenster stand und auf dessen Altar ein schwarz umrahmtes Bild seines Bruders stand, während vor diesem eine Schale Reis stand.

Zwei dunkel lackierte Stäbchen waren in den Reis gesteckt. Ein Zeichen, dass dieser eine Opfergabe für den verstorbenen war.

Noch immer spürte er, wie sich sein Magen zusammenzog, wenn er das Bild seines Bruders dort stehen sah. Immer wieder sah er die Bilder, wenn er die Augen schloss.

Sein Atem beschleunigte sich. Er spürte sein Herz rasen.

Das Wasser des Kanals...

Er wollte es nicht sehen. Er wollte sich daran nicht erinnern.

Kenji wurde unterwasser gezogen. Er versuchte offenbar dagegen anzukommen.

Nein, er durfte daran nicht denken. Es war nur noch eine Erinnerung. Nichts, woran er noch etwas tun konnte.

Er atmete einige Male tief durch und versuchte sich wieder auf den Fernseher zu konzentrieren.

Shoji stand dort. Er sah, wie sein Bruder von der Strömung mitgerissen wurde. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nichts tun.

Es war nicht seine Schuld!

Sein Atmen ging schnell.

Es war Vergangenheit. Sein Bruder war tot und nichts konnte ihn zurückbringen.

Es war nicht seine Schuld gewesen, dass er gestorben war. Er hatte nicht einmal rausgehen wollen, an jenem Tag...

Und doch... Es wäre nicht passiert, wenn er nicht mitgegangen wäre. Wenn er zuhause geblieben wäre, seinen Bruder nicht begleitet hätte, wäre es nicht passiert. Dann würde Kenji noch leben. Dann würde er die Digimon sehen. Dann würde er vielleicht ein Digimon Tamer werden.

Doch er lebte nicht mehr. Kenji war zu Beginn der Sommerferien gestorben, während Shoji noch lebte.

Seitdem hatte sich so viel verändert. Seine Mutter sprach weniger und lächelte seltener. Sein Vater, der ohnehin viel Zeit auf der Arbeit verbrachte, schaute ihn nur kaum noch an und schien die Einsamkeit zu suchen. Und niemand kam mehr zu Besuch. Schon gar keine Klassenkameraden, denn wirkliche Freunde hatte Shoji nie zwischen diesen gehabt. Es war immer Kenji gewesen, der Freunde eingeladen und mit ihnen hier gespielt hatte.

Doch das konnte er nicht mehr.

So war es still in der Wohnung. Totenstill.

Besonders heute. Sein Vater war schon früh am morgen zur Arbeit gegangen und seine Mutter kaufte ein. Er war allein und die Bilder, die er im Fernsehen sah, machten ihn Angst. Er wollte nicht allein sein! Doch er wusste, dass er selbst, wenn seine Eltern da wären, mit ihnen nicht über seine Ängste reden konnte.

Sie hatten selbst Angst und sie trauerten um Kenji.

Wahrscheinlich, das erkannte er, verstanden sie von diesen Monstern und dieser seltsamen, roten Masse in Shijuku genau so wenig wie er selbst.

Sein Blick war noch immer auf den Fernseher gerichtet, während sich sein Atem endlich langsam normalisierte.

Die Sondersendung war vorbei und der Sender wechselte zum normalen Programm. Einer Spielshow, die von zwei Komikern moderiert wurde und ihn zumindest etwas von all den dunklen Gedanken ablenkte.

Und dennoch war da der Gedanke an Kenji, der wie ein Geist hinter ihm schwebte, ihn umgab und seine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich lenken wollte.

Was wäre, wenn er gestorben wäre und Kenji leben würde? Was wäre, wenn es umgekehrt gewesen wäre und er an jenem Tag ertrunken wäre?

Wie würde Kenji sich fühlen? Hätte er geweint? Würde sein Atem in Panik immer schneller gehen, wenn er daran dachte? Würde er Angst spüren, wegen der roten Masse, die alles verschlang?

Wahrscheinlich nicht.

Kenji hatte vor so wenigen Sachen Angst gehabt. Vielleicht vor zu wenigen Sachen... Und er hätte so viele Menschen gehabt, um über all das zu sprechen. So viele Freunde.

Und doch... Kenji war tot. Er war nicht mehr hier. Alles was von ihm blieb, war das Foto auf dem Schrein, die Sachen in ihrem Zimmer, die Erinnerung und ein Geist, der noch immer unsichtbar die ganze Wohnung in seinem festen Griff hielt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2013-04-28T16:59:28+00:00 28.04.2013 18:59
Ich fand das Kapitel sehr gut, es ist mir wirklich unter die Haut gegangen. Vor allem, die Gedanken eines "uneingeweihten Zivilisten" zu dem D-Reaper-Vorfall und den ganzen realen Digimon zu hören ist sehr originell, aber auch bedrückend, besonders, weil Shoji so sehr um seinen Bruder trauert.
Das Kapitel ist ziemlich kurz, also kann ich leider nicht so viel dazu schreiben. ^^"
Aber es ist auf jeden Fall gut gemacht, und ich warte schon gespannt auf den nächsten Teil. =)
Antwort von:  Alaiya
28.04.2013 19:06
Danke. :) Das freut mich wieder zu hören.
Irgendwie ist Shoji auch der einzige von meinen Charas, der den D-Reaper-Vorfall direkt mitbekommen hat... Irgendwie ironisch. ^^"
Freut mich, dass es dir gefällt.
Von:  Caliburn
2013-04-25T09:40:06+00:00 25.04.2013 11:40
Trauer ist schon so eine Sache. Vor allem wenn man mit solchen Fragen an fängt, wie: Was wäre wenn...
Ein sehr stimmungsvolles Kapitel. Weiter so. =)

> UNd ja... Problem an der Sache sind Kinderpsychologen in Tokyo

Ich bitte um Aufklärung. :)
Antwort von:  Alaiya
25.04.2013 11:43
Es ist so eine Sache... In Tokyo scheint da oftmals das Gedankengut "Du hattest ein Traumatisches Erlebnis? Pappalapapp! Stell dich nicht so an!" vorzuherrschen ^^" Ich weiß, dass allgemein in den japanischen Großstädten Pädagogen und Psychologen Trauerfälle bei Kindern nicht so ernst nehmen...
Von:  Selma
2013-04-24T13:51:50+00:00 24.04.2013 15:51
Hätte, wäre, wenn... ja, das sind schon böse Gedanken, die eine noch fiesere Spirale auslösen können, wenn man da nicht schnell genug Gegenwirkt.
Ist auf jeden Fall wieder ein sehr packendes Kapitel, kurz, aber gut.
Antwort von:  Alaiya
24.04.2013 21:00
Manchmal ist weniger halt mehr :)
UNd ja... Problem an der Sache sind Kinderpsychologen in Tokyo *hust*
Von:  Taroru
2013-04-23T23:35:19+00:00 24.04.2013 01:35
wow...
das hat mich wirklich umgehauen. ich kann ihn gut verstehen, ich glaube wenn ich an seiner stelle wäre, würde ich genauso reagieren und hätte ähnliche gedanken. man kann das hier wirklich sehr gut nachvollziehen. das macht die ganze geschichte sehr lebendig, finde ich.
zwar fand ich das kapitel ziemlich kurz, aber mehr worte hätten diese atmosphäre kaputt gemacht, du hast genau das richtige maß gefunden. auch den bezug zur serie hast du sehr gut getroffen, gefällt mir so wirklich ausgesprochen gut.
Antwort von:  Alaiya
24.04.2013 21:00
Ja, ich weiß, das Kapitel war kurz. Gomen. Bin zugegebener Maßen aktuell etwas eingespannt. :P
Freut mich aber, dass es dir gefallen hat!


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