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I wish you'd stay

Ein Taito-Krimi
von

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Erschossen

Als er den Schuss hörte, zuckte er zusammen. Der Schuss und dann ein Rumpeln und dann nichts mehr. Er kniff die Augen zusammen. Übelkeit stieg in ihm auf.

Brent war tot und er würde der Nächste sein. Er hatte immer geglaubt, irgendwann, wenn er zu alt dafür war, auf der Bühne an einem simplen Herzinfarkt zu sterben, die Gitarre noch in der Hand und die Fans in Panik kreischend … aber das hier war das reinste Grauen. Was war nur falsch gelaufen? Mehr denn je wünschte er sich, die Zeit zurückdrehen und seine früheren Entscheidungen verändern zu können.
 

Das wäre alles nicht so passiert, wenn er damals in Tokyo geblieben wäre.
 

Es wäre nicht so passiert, wenn er weniger gesoffen und auf die Leute, die ihn umgaben, geachtet hätte.
 

Und es wäre vielleicht nicht so passiert, wenn er Tai vorhin am Handgelenk gepackt und in seine Arme gezogen hätte, wie es die wahnwitzige Stimme in seinem Kopf ihm vorgeschlagen hatte.
 

Aber er hatte nichts von alldem getan, weil er damals ein idiotischer, feiger Egoist gewesen war und sich diese Tatsache bis heute nicht geändert hatte. Es blieb noch nichtmal dabei, dass er sein eigenes Lebensende damit besiegelt hatte, sondern auch noch das von Brent, dem Menschen, der ihm die ganzen Jahre lang zur Seite gestanden hatte.
 

Es war so ungerecht.
 

Trauer und Wut ballten sich zu einem grässlichen Klumpen in seinem Inneren. Der Versuch, das Handy mit eingeschlafenen, gefesselten Händen zu bedienen, war kläglich gescheitert und das Quäntchen Hoffnung auf Rettung, das er gehabt hatte, war verschwunden. Erschossen.
 

Als er wieder Schritte hörte, die sich auf die Tür zubewegten, bemühte er sich hektisch darum, seine Ausgangsposition einzunehmen. Matt starrte die Tür an.
 

Er fröstelte. Die Verzweiflung ließ ihn zittern. Es war vorbei. Endgültig. Wahrscheinlich hatte er das verdient.
 

*
 

Die Zellentür knallte hinter ihm zu. Fluchend setzte sich Tai auf die Holzpritsche und stierte durch die Gitterstäbe dem Beamten hinterher, der ihn hier eingebuchtet hatte.
 

Es ging sowas von abwärts mit ihm. Single. Vorbestraft. Als nächstes wahrscheinlich arbeitslos und enterbt. Er lachte bitter und fragte sich, wo Brent blieb. Und ob sein Auftauchen überhaupt noch einen Sinn haben würde, nachdem man ihn ja eindeutig identifiziert hatte. Identifiziert als den Einbrecher. Ein roter Stift, der angeblich dem Tatort zugeordnet werden konnte, war außerdem in seiner Sporttasche gefunden worden. Alles passte zusammen. Offensichtlich war er Schlafwandler.
 

Tai seufzte und versuchte, die zynischen Gedanken zu vertreiben. Aber es fiel ihm schwer. Vor einer Weile hatte er noch mit Matt im Pool herumgeblödelt und jetzt saß er hinter Gittern, weil er scheinbar einen geheimen Anschlag auf sein Leben plante. Aus Neid sicherlich.
 

Abermals schüttelte er den Kopf und blickte zu der Uhr draußen auf dem Gang. Konnte ihn nicht bitte jemand retten kommen? Irgendjemand?
 

Er stützte den Kopf auf die Hände, schloss die Augen und massierte sich die Schläfen.
 

„Ich glaube nicht, dass du es warst.“
 

Überrascht hob Tai den Kopf und widerstand dem Drang, sich die Augen zu wischen nur schwerlich. Masao stand draußen, eine Hand um das Gitter gelegt und lächelte mitleidig zu ihm herüber.
 

Er stand auf und ging auf ihn zu.

Sein Ex-Freund war so ziemlich der letzte Besucher, den er hier erwartet hätte. Es war unangenehm, ihn unter diesen Umständen zu sehen. Nach der Trennung heute morgen am Telefon. Was sollte er sagen? Sein Kopf war irgendwie leer und alles fühlte sich so wirr an.
 

„Warum hast du deine Meinung geändert?“, fragte er schließlich, nachdem sie sich einige Sekunden nur still angesehen hatten. Tai war zu müde, um die Schärfe ganz aus seiner Stimme zu verbannen.
 

In Masaos Augen lag eine Sanftheit, die er sich nicht erklären konnte. Ein Grinsen formte sich auf seinem Gesicht, als er antwortete. „Du würdest niemals den Fahrstuhl nehmen.“
 

Tai verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Was sollte er dazu sagen. Er stand einfach nur schweigend vor den Gittern, den Kopf leicht gesenkt, die Augen müde auf Masao gerichtet.
 

„Es tut mir leid. Das was ich heute morgen gesagt habe“, sprach er weiter. „Aber das war voreilig. Bitte verzeih mir. Ich möchte, dass wir wieder-“ Er verstummte, als Tai den Kopf schüttelte und den Blick hob. Er legte seine Hand auf Masaos.
 

„Nein. Du hattest Recht, es ist besser so. Wir sollten getrennte Wege gehen.“
 

Unverständnis prägte das Gesicht seines Ex-Freundes.
 

„Ich habe das nicht leichtfertig entschieden, Masao. Wenn du unsere Beziehung mal sachlich betrachtest, haben wir uns die ganze Zeit nur gegenseitig verletzt. Ich habe dich vernachlässigt und dich auf Abstand gehalten. Und du hast mir im Gegenzug misstraut. Wir haben so ziemlich alles falsch gemacht. Naja … hauptsächlich ich.“
 

„Aber wir können das doch wieder aufarbeiten.“
 

Tai seufzte. „Das würde nichts bringen, denn der Grund für mein Verhalten besteht weiterhin. Du hattest Recht. Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, das zu erkennen.“
 

Masao zog seine Hand langsam zurück. „Es gibt jemand anderen?“
 

*
 

Kopfschüttelnd klappte Brent sein Smartphone zusammen und blickte auf Jules hinab.

Das hätte schiefgehen können. Aber er war trotz der langen Zeit noch nicht ganz aus der Übung. Er nahm die Patronen aus der Pistole und ließ die geleerte Waffe auf dem Küchentresen liegen. Die Polizei würde gleich hier sein und den Bewusstlosen in Gewahrsam nehmen.
 

Er stieg über den Detektiv und öffnete die Schlafzimmertür. Sein Schützling lag auf dem Bett und wirkte reichlich mitgenommen. Die Frisur zerzaust, die Stirn feucht und das Gesicht noch blasser als sonst. Ansonsten wirkte er glücklicherweise wohlauf. Mit großen Augen und geöffnetem Mund blickte der Sänger ihn an, als er den Raum durchquerte.
 

„Alles okay?“
 

Matt nickte und sah ihn weiterhin ungläubig an. Tja, da hatte er nicht nur einen mit seinen verborgenen Talenten überrascht.
 

Er setzte sich zu ihm aufs Bett und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, Matt. Ich hätte diesen Kerl nicht engagieren dürfen.“
 

„Danke für die Rettung. Das war … echt knapp.“
 

„Warum ist deine Hose offen?“
 

„Weil ich sie nicht zumachen kann.“
 

„Ich helfe dir. Das macht sonst keinen guten Eindruck vor der Polizei, don't you think?“
 

Etwas mehr Farbe als nötig kehrte in Matts Gesicht zurück. Er blickte wieder zur Tür. Im Flur war es still.
 

„Ist er-?“
 

„Tot? Nein. - Knocked out? Hell, yeah!“
 

*
 

Eine Woche danach fühlte sich das Ganze noch immer so unwirklich an, als wäre es nie passiert. Es war nach der Festnahme von Gabriel noch groß durch die Nachrichten gegangen und wann immer er ein Interview dazu gegeben hatte, war es gewesen, als würde jemand anders mit seiner Stimme sprechen.

Die Taubheit, die sich wie ein Nebel über seine Gefühle gelegt hatte, verschwand nur langsam, aber am Ende machte sie Platz für eine ganz neue Klarheit. Etwas hatte sich verändert. Er konnte es nicht greifen, aber er spürte, dass es so war. Er wusste nur noch nicht, ob das gut oder schlecht war.
 

Etwas anderes hatte sich auch verändert. Seine Wohnung. Natürlich war er aus dem Haus, das er ohnehin gehasst hatte, ausgezogen. Nach einigen Nächten in Brents Appartment konnte er nun endlich seine neue Bude einweihen. Eine gemütliche Zwei-Raum-Wohnung. Mit einem vernünftigen Schloss an der Tür. Genau richtig.
 

Heute war sozusagen die Einweihungsfeier gewesen. Am Nachmittag waren Brent und die Band dagewesen und hatten mit ihm auf ruhigere Zeiten angestoßen. Inzwischen war es recht spät und Takeru machte sich ebenfalls auf dem Heimweg.
 

„Schließ ja die Tür gut ab!“, witzelte er noch und winkte.
 

Matt ging zurück ins Wohnzimmer, wo Tai angefangen hatte, das benutzte Geschirr abzuräumen - ein seltsames Bild. Er folgte ihm in die Küche und half ihm, die Sachen in die Spülmaschine einzusortieren.
 

„Aber der Pool hatte auf jeden Fall was“, setzte Tai unvermittelt ihr Gespräch von vorhin fort.
 

„Er fehlt mir kein bisschen.“
 

„Der Trainingsraum sicher auch nicht.“
 

„Stimmt.“ Er schloss die Maschine und gestikulierte in Richtung Wohnzimmer.
 

Sie ließen sich wieder auf dem Sofa nieder, auf dem einige verlorene Krümel Popcorn lagen. Über den Fernsehbildschirm flimmerte ein Musikvideo.
 

„Aber so ein Panorama-Fernseher, das wäre schon was!“
 

„Ich bin vielleicht einfach nicht gemacht für ein Leben als Star. Zumindest nicht für das Wohnen als Star“, sinnierte Matt, pickte eine Popcornflocke auf und warf sie in den Aschenbecher.
 

Tai grinste und blickte zum Fernseher. „Aber für die Bühne.“
 

Matt wandte den Kopf und sah, dass nun sein eigenes Musikvideo lief, das aus seinem Abschiedskonzert in den Staaten zusammengeschnitten worden war. Er stand auf einer Open-Air Bühne, ein endloses Meer aus im Takt wogenden Menschen sang mit ihm seinen neusten Song. Er erinnerte sich an den Abend und lächelte.
 

I see the world

keep moving

as I stumble
 

They seem to move

much faster than me
 

Ja, er hatte es geliebt und genossen vor Menschenmassen in ausverkauften Stadien zu singen. Er hatte sich gefühlt, als könne er fliegen und das sah man ihm an. Er tanzte mit der Gitarre über die Bühne, flirtete mit den Fans in den ersten Reihen, die Transparente mit der Aufschrift „We wish you'd stay“ hochhielten.
 

In dem Video sah er glücklich aus, lebendig, euphorisch. Er liebte die Musik. Was er da sah, stand im krassen Gegensatz zu dem, was sich an anderen Tagen in Hotelzimmern oder auf Parties abgespielt hatte. Ja, auf der Bühne hatte er immer alles vergessen können, weil die Liebe zur Musik ihm in diesem Moment Flügel schenkte.

Aber abseits der Bühnen hatte er die Leere gespürt. Als wäre in seinem Inneren ein Loch, durch das all das Glück, das ihn bei seinen Auftritten durchströmte, viel zu schnell wieder abfloss.

Er hatte Jahre damit zugebracht, das zu suchen, was ihm fehlte. Aber das, was er gesucht hatte, war nicht in den Hotelzimmern, nicht in Talkshows und auch nicht auf den Tanzflächen gewesen. Es war nicht in Samanthas Bett gewesen und nicht in Flugzeugen. Nicht in den USA, nicht in Europa.

Er schaute zu Tai hinüber, der das Video verfolgte.
 

Well. I can't be anything

but who I am
 

And I wish you'd stay

that was the beginning of

the two of us

the start of our show
 

Stay Stay Stay
 

Now I would never

have let go.
 

„Weißt du“, setzte er an und blickte nachdenklich auf den Bildschirm. „Immer wenn mich jemand gefragt hat, ob dieser oder jener Song eine persönliche Bedeutung für mich hat, oder einer bestimmten Person gewidmet ist, habe ich das verneint.“

Er spürte, dass Tai ihn fragend anschaute.

„In dem Moment war mir auch gar nicht bewusst, dass das gelogen war.“ Er lachte leicht. „Dabei ist es doch so offensichtlich, oder?“
 

I see the sun

go up as your image

I feel the weight

of your eyes

as you stare
 

Tai sagte nichts und Matt wandte sich ihm zu. Auf einmal war da keine Angst mehr in ihm. Er konnte endlich alles sagen. Es fühlte sich so klar an.

„Ich glaube, ich war damals verliebt in dich, Tai. Und diese wilde Nacht hat einen regelrechten Orkan in mir ausgelöst. Ich war so verwirrt … ich wusste nicht, wie ich dir entgegentreten sollte. Ich wusste nicht, was meine Gefühle für unsere Freundschaft bedeuteten. Ich hatte Angst.“ Er machte eine kurze Pause und blickte in Tais vor Verwunderung geweitete Augen. „Und als ich dachte, dass der Typ mich gleich erschießt, hatte ich noch mehr Angst. Und ich habe immer wieder an dich gedacht und an all die Dinge, die ich nicht getan und gesagt habe.“
 

I feel it all

when you

when you first

when you kissed my lips

you made me feel again
 

Tai hörte ihm aufmerksam zu. Matt konnte in seinen Augen ablesen, dass die offenen Worte etwas in seinem besten Freund auslösten. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, biss sich auf die Unterlippe.

„Es tut mir leid“, sagte Tai schließlich und stand auf. Matt rechnete damit, dass er gleich aus der Wohnung stürmen würde. Aber er tat es nicht. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, schien die richtigen Worte zu suchen. „Ich hätte es zu dir sagen sollen. Aber ich … ich ...“
 

And you would say

I wish you'd stay

and I'd never go
 

Matt stand ebenfalls auf. Er legte Tai eine Hand auf die Schulter und schüttelte sachte den Kopf. Er wollte nicht, dass Tai sich für irgendetwas entschuldigte, denn in Wahrheit ... „Vielleicht wäre ich damals trotzdem gegangen, Tai, aber was ich dir eigentlich sagen wollte ...“ Ihre Blickte trafen sich endlich, als Tai den Kopf hob.
 

So take this heart of mine

you've taken it a houndred-thousand times
 

„Ich würde nie wieder gehen.“
 

Ein paar Sekunden sahen sie sich einfach nur tief in die Augen während im Hintergrund die letzten Noten verklangen. Schließlich formte sich ein leises Lächeln auf Tais Gesicht, das Matt nur erwidern konnte.
 

„Du verstehst sicher, dass ich Beweise dafür fordern muss.“
 

Endlich trafen sich ihre Lippen und Matt spürte, dass es genau das war, was er wollte. Das hier. Er wollte mit Tai zusammen sein. Er hatte sieben Jahre gebraucht, um das zu erkennen. Es gab so viel aufzuholen …
 

„Du könntest bei mir übernachten“, schlug er vor und grinste in den Kuss.
 

„Nur, wenn ich die Fernbedienung bekomme.“
 

„Das hättest du wohl gerne.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wow, also ... es ist ein seltsames Gefühl, die FF abzuschließen. Der Schaffensprozess dauerte sozusagen von LBM zu LBM, fast ein Jahr. Ich möchte mich bei allen Lesern bedanken, die so lange durchgehalten haben. Ich hoffe, die Story hat euch gefallen! ^.^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  akasuna
2014-03-10T01:32:27+00:00 10.03.2014 02:32
Ich dachte wirklich das er Brent erschossen hat und das matt der nächste sein wird. Wie erleichtert ich dann war als alles sich doch zum guten gewendet hat. Die Story ist jetzt zu Ende. Schade denn sie war sehr schön.
Antwort von:  Vidora
10.03.2014 20:22
Vielen Dank für deinen Kommi!
Ich freue mich sehr, dass dir die FF gefallen hat ^.^


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