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Unverhoffte Nachbarn

Wenn Nachbarn interessant werden
von

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Sheet Skyping

Es war noch früh am Morgen, als Catherine an ihrem Schreibtisch saß und gelangweilt und zeitgleich gedankenverloren durch ihr E-Mail Fach klickte. Jegliche Nachricht war ohnehin ein Spam. ‚Helfen Sie einem nubischen Prinzen mit Erektionsstörungen um den Erhalt des Scheichtums zu sichern‘ war nur eine dieser unzähligen Nachriten. Catherine rollte mit den Augen und stöhnte, bevor sie sie löschte. Wieder keine Nachricht. Sie schaute auf und blickte aus dem Fenster ihrer kleinen zwei Zimmerwohnung. Die Sonne ging langsam über Point Loma auf und obwohl es fünf Uhr morgens war, herrschten in dem beschaulichen Vorort San Diegos bereits zwanzig Grad. Selbst Ende Oktober war Kalifornien beinahe unverschämt heiß und Catherine dankte für die Klimaanlage, die ruhig über ihrer Tür brummte.

Seit mittlerweile einem Monat befand sie sich nun im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und fühlte sich einsamer denn je. Wie befürchtet kam sie mit dem oberflächlichen, aufgesetzten Verhalten der Amerikaner nicht zu Recht und passte sich nur schwer an. Catherine seufzte schwer und starrte auf ihren virtuellen Freunde und Bekannte Ordner, doch noch immer erschien keine Nachricht. Seit zwei Wochen war dies der Fall, doch sie erwischte sich immer wieder dabei wie sie sehnsüchtig die Seite aktualisierte und auf eine Eins neben dem Ordner ´hoffte, doch nichts geschah- schon seit zwei Wochen nicht mehr.

Catherine atmete schwer aus und nahm die Tasse mit dampfenden Kaffee, der neben ihrem Laptop stand und trank vorsichtig einen Schluck. Sie hatte die ganze Nacht wachgelegen. Sie kam hier einfach nicht zur Ruhe und fühlte sich fehl am Platz. Amerika hatte zwar einst zu einem Teil dem Vereinigten Königreich gehört, doch das war lange her und die ehemalige Kolonie war so viel anders als ihr geliebtes England.

Um genau zu sein war sie nicht nur einsam. Der Tick ständig ihre E-Mails zu checken machte nur noch deutlicher, dass sie starkes Heimweh hatte. Sie vermisste es ihren Sarkasmus benutzen zu können, sich mit Sherlock herumzuärgern, mit John zu lachen oder ähnliche Dinge zu tun. Hier waren zwar alle freundlich, doch Catherine wusste wie oberflächlich diese ganz eigene Welt war. Alles drehte sich um Schein und Sein, alles andere zählte nicht. Auf welches College man gegangen war, welchen Job man hatte, welches Auto man fuhr und welche Klamotten man trug. Für wahr, dies war auch in den meisten anderen westlichen Ländern so, doch Catherine hatte sich noch nie so deplatziert gefühlt wie auf diesem fremden Kontinent.

Natürlich hatte sie Sherlocks unmögliches Verhalten zutiefst verletzt, doch sie hatte nicht mit bösem Blut und diesen Vorkommnissen als letzte Erinnerung London verlassen. Außerdem hatte er sich für seine Verhältnisse wirklich äußerst bemüht seine Verfehlungen wieder gutzumachen. Als sie am nächsten Tag von der Arbeit gekommen war, hatte auf ihrem Wohnzimmertisch eine Tafel Schokolade gelegen und ein Buch, was sie den Rest des Nachmittags äußerst interessiert gelesen hatte. Ehrlich gesagt war sie völlig verwundert gewesen, dass Sherlocks Entschuldigung so normal ausgefallen war. Sie hatte mit einer Leber zum Sezieren oder Ähnlichem gerechnet. Am Abend hatte sich das jedoch aufgeklärt, als Molly sie völlig irritiert angerufen und gefragt hatte, was denn passiert sei. Sherlock hätte sie am Vormittag um Rat gefragt was man machen sollte um sich bei einer Frau zu entschuldigen. Erst hätte Molly erschrocken gedacht, dass er vielleicht doch eine Art Freundin hätte, doch als sie gehört hatte, dass es um Catherine ging, hatte sie bereitwillig geholfen. Catherine war froh, dass sie sich mittlerweile mit der Pathologin gut verstand und diese unangenehme Spannung verschwunden war und auch Mollys Skepsis. Er hätte zunächst an Blumen gedacht, so hatte sie berichtet, weil er das im Internet gelesen hätte, doch Catherine dankte Molly und allen Göttern für ihre Geistesgegenwart, dass sie ihn davon abgehalten hatte. Ein Bild in der Zeitung wie Sherlock für sie Rosen kaufte, hätte ihr gerade noch gefehlt.

Am nächsten Tag hatte ein Brief auf dem Tisch gelegen indem er sich noch einmal dafür entschuldigte und es versuchte zu erklären. Am liebsten hätte er mit ihr darüber reden wollen, hatte er geschrieben, doch da sie sich bedrängt fühlen könnte, wollte er diesen Schritt ihr überlassen. Sie solle seine Abwesenheit deshalb bitte nicht als Desinteresse werten. Wenn sie wollte, so hatte er fortgefahren, könnte er ihr bei der Organisation helfen. Er hätte Freunde im Außenministerium und könnte die Beantragung des Visums für sie übernehmen.

Catherine hatte diese kleine Nachricht so niedlich gefunden, dass sie ihm einfach einen Brief als Antwort geschrieben hatte und noch einmal genau ihre Gefühle von jenem Abend erklärte- wirklich erklärte, nicht nur niederschrieb. Sie hatte es mehr für sich getan, auch um ein wenig Klarheit zu bekommen und ihn einfach auf den Tisch gelegt. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er ihn lesen würde.

Am nächsten Tag hatte dann wieder ein Brief auf dem Tisch gelegen. Sie hatte dann nur gelächelt und so war es immer weiter gegangen. Für die letzten zwei Wochen in England waren Sherlock und Catherine quasi zu Briefreunden geworden. Jeden Morgen, wenn Catherine das Haus verlassen hatte, hatte ein Brief von ihr auf dem Wohnzimmertisch gelegen und wenn sie wieder zurückgekommen war, hatte eine Antwort von ihm auf sie gewartet.

Jeden einzelnen von diesen Briefen hatte Catherine mit in die Staaten mitgenommen und sorgfältig in ihrer Wohnung verwahrt. Immer, wenn sie sich einsam fühlte, holte sie sie hervor und las darin. Zwar wurde das Heimweh dadurch verstärkt, aber dennoch fühlte sie sich ihnen dann so nah wie es auf diese Distanz möglich war. Sie seufzte etwas traurig.

Am Tag ihrer Abreise hatte er sie jedoch nicht zum Flughafen begleitet. Als Grund hatte er genannt, dass er wüsste, dass Kathy und Daniel kommen würden und dies nur für eine angespannte Stimmung sorgen würde und das wäre ihm viel zu nervig gewesen. Catherine glaubte ihm das auch, denn sie wusste wie Kathy und Daniel waren, wenn er dabei war und eine solche Stimmung hatte sie bei ihrem Abschied wirklich nicht gerne haben wollen. Was Catherine allerdings nicht wusste, war, dass dies nur ein vorgeschobener Grund war.

In Wahrheit hatte Sherlock sie nicht zum Flughafen begleitet, weil er noch immer nicht gewollt hatte, dass sie ging und er hätte sie wahrscheinlich durch seinen Egoismus nicht gehen lassen, wenn er die vermeintlich letzte Chance gehabt hätte. Stattdessen hatte Sherlock sie am Abend vor ihrer Abreise besucht und sie hatten sehr lange sich einfach unterhalten um für eine gewisse Zeit so zu tun, als würde der morgige Tag nicht existieren. Irgendwann war Catherine auf der Couch eingeschlafen und Sherlock hatte sie wohl in ihr Schlafzimmer getragen. Zumindest war sie am Tag der Abreise unsanft von ihrem Wecker in ihrem Schlafzimmer geweckt worden.

John hingegen war das komplette Gegenteil gewesen. Er hatte so viel Zeit wie möglich mit Catherine verbracht wie es ihr möglich war, hatte zusammen mit ihr sämtliche Sachen, die sie benötigen würde, besorgt; mit ihr im Café sitzend, hatten sie sich Wohnungen angesehen und er war auch dabei gewesen, als sie die Vermieter angerufen hatte. Bei all den Schritten hatte er sie begleitet- wenn auch mit gemischten Gefühlen.

Catherine seufzte und wischte diese Gedanken schnell beiseite, da sie sie wehmütig stimmten und sie drückte erneut auf aktualisieren.

Wieder ein neuer Spam, dieses Mal wurde ihr mittgeteilt, dass sie in einer Lotterie gewonnen hätte. Als ob! Sie schnaubte missbilligend.

„Brauche ich nicht. Oh nein, eine Baby Robbe ist gestrandet…ist ja nicht so, dass sie zu Beginn am Land leben. Und nun eine persische Prinzessin in Schwierigkeiten. Wer fällt den auf diesen Scheiß rein?“, murmelte sie und rieb sich müde die Augen. Nachdem sie die ersten drei Stunden vergeblich versucht hatte einzuschlafen, hatte sie sich die Nacht Youtube Videos von Haustieren angesehen um sich ein wenig aufzumuntern und abzulenken, doch der Versuch war misslungen. Nun wusste sie wahrlich nicht mehr was sie tun sollte, denn am Ende waren alle tanzenden Tierchen, Laserpunkt jagende Kätzchen und Head-bangende Kakadus doch gleich.

Wie seltsam leer, trist und kalt ihr Leben doch war, wenn sie von den beide getrennt. Beinahe konnte man es schon erbärmlich nennen. War sie irgendwann eine Symbiose mit ihnen eigegangen von der sie nichts wusste und vegetierte nun, von ihrem Überlebenspartner getrennt, vor sich hin? Amerika war die Chance gewesen sich zu beweisen, dass sie nicht auf John und Sherlock angewiesen war, doch die Realität war verheerend. Dieses Scheinbild konnte sie nun wirklich nicht mehr aufrechterhalten.

Frustriert legte sie ihren Kopf auf die kühle Arbeitsplatte und schloss die Augen. Warum meldeten sie sich nicht? War sie ihnen egal? Vermissten sie sie nicht? Hatten sie vielleicht gar einen Ersatz gefunden? Drei Mal hatte sie bisher mit den beiden geskypt, nachdem sie hierher geflogen war. Zunächst waren beide noch interessiert gewesen- nun, Sherlock einigermaßen zumindest-, doch beim letzten Mal vor zwei Wochen hatte er sie noch nicht einmal wahrgenommen. Trotzdem, sie vermisste die beiden schrecklich und würde am liebsten zurückfliegen, doch sie konnte nicht.

Plötzlich ertönte der Signalton von Skype aus den Lautsprechern ihres Laptops und Catherines Kopf ruckte hoch. Ein dunkelblaues Banner schob sich von rechts über ihren Bildschirm und verkündete, dass SH online sei. Sie blinzelte überrascht und rieb sich die Augen. Sherlock war niemals bei Skype online, da er dort ständig behelligt wurde von Kontaktanfragen und Nachrichten. Er tat es nur, wenn er John wieder irgendwo für eine Sechs hingeschickt hatte und selbst dann war er unsichtbar, doch nun stand es klipp und klar auf dem Bildschirm: Sherlock Holmes war online.

Unschlüssig biss sie sich auf die Lippen und zögerte. Sollte sie es tun? Noch einen Augenblick zauderte sie, dann drückte sie schnell auf den Videochatknopf. Zappelig wartete sie auf eine Antwort und spürte wie ihr Herz schneller schlug. Tief Luft holend versuchte sie allerdings äußerlich ruhig zu bleiben, da sie Sherlock nicht zeigen wollte wie sehr sie ihn vermisste, dennoch krallten sich ihre Hände unter dem Schreibtisch in ihre dunkle Jeans. Noch einmal holte sie tief Luft und starrte den Bildschirm an, während Skype noch immer auf eine Antwort von seitens Sherlocks wartete. Innerlich betete sie, dass er nicht direkt wieder offline gehen würde.

Ihr Herz machte einen Sprung, als ihr Bildschirm plötzlich schwarz wurde und dann, nur einen Bruchteil später, den oberen Teil eines zerzausten Kopfes zeigte. Wilde, widerspenstige Locken sprangen in alle Richtung und füllten ihren gesamten Bildschirm aus, doch Catherine lächelte einfach nur, als sie Sherlocks leicht rauschende Stimme aus den Lautsprechern hörte.

„Hallo, Cath. Was hast du dieses Mal angestellt?“, fragte er ruhig, beinahe schon gelangweilt, während er sich einmal durch seine Locken fuhr. Catherine räusperte sich um ihre Aufgeregtheit zu verbergen und lächelte ihn an.

„Sherlock! Was für eine Überraschung, dass du online bist. Musste John wieder zu einem Tatort fahren?“

„John ist auf einen Date.“, antwortete Sherlock mürrisch. „Wie du nur zu gut weißt. Ich habe es dir gestern erzählt.“

Catherine blinzelte kurz irritiert und runzelte die Stirn.

„Aber…du hast gestern nicht mit mir gesprochen. Wir haben seit zwei Wochen nicht mehr geskypt.“

Nun hielt Sherlock kurz inne und sie sah wie er leicht den Kopf neigte, obwohl das Bild noch immer nur alles oberhalb seiner Augenbrauen zeigte.

„Mit wem habe ich dann gesprochen? Agh! Ist ja auch nicht wichtig.“, stieß er genervt aus, doch dann wurde seine Stimme sanfter. „Wie geht es dir?“

„Mir geht’s gut.“ Sie lächelte tapfer, da sie ihm keinerlei Sorgen bereiten wollte- auch wenn sie sich nicht so sicher war, ob er sich überhaupt Gedanken machte. Ehrlich gesagt schien er noch immer reichlich desinteressiert. „Ähm…könntest du bitte den Laptop etwas klappen, sodass ich mit dir und nicht deinem Haar sprechen kann?“

„Hast du ein Problem damit?“

„Oh ich mag dein Haar, Sherlock.“, sagte Catherine sarkastisch. Obwohl… so ganz gelogen war das nicht. Er hatte schon tolles Haar. „Aber wenn dann schon bitte ordentlich gebürstet. Es ist ein Uhr Nachmittag in England.“, entgegnete Catherine skeptisch und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich weiß das.“, entgegnete Sherlock genervt. „Danke.“

„Du willst mir also ernsthaft weismachen, dass gerade du den ganzen Tag mit verwuscheltem Haar herumgelaufen bist?“ Sie blickte ihn ungläubig an. Sherlock hingegen seufzte.

„Fein.“ Er stand auf und verließ die Sichtweite der Webcam in seinem Macbook. Nun blinzelte Catherine doch sichtlich verwirrt und rief ihm hinterher, doch er schien bereits den Raum verlassen zu haben. Schließlich kam er nach einem kurzen Augenblick zurück. Es raschelte, als er sich wieder hinsetzte und die Kamera erneut ausrichtete. Endlich konnte sie sein gesamtes Gesicht sehen und seine hellblauen Augen blickten sie müde, beinahe schon träge an.

„Besser?“, frage er genervt.

„Viel besser.“, antwortete sie und lächelte. Nun wo sie wieder mit Sherlock sprach, fühlte sie sich wie befreit. Es gab ihr ein Stück ihres gewohnten Umfeldes zurück und sie fühlte sich wieder sichtlich wohler. Dennoch zögerte sie einige Weile, während die beiden sich in die Augen sahen, obwohl sie über 10.000 Kilometer voneinander getrennt waren. Das, was sie so oft gefühlt hatte, als sie in ihrer Wohnung gewesen war- Sherlock nah und doch so fern zu sein, als ob eine Schlucht zwischen ihnen klaffen würde- war nun Realität geworden. Es war merkwürdig und erschwerte ihre Kommunikation. Obwohl Catherine sich wahnsinnig freute wieder mit ihm zu sprechen, wurde sie doch unsicher, da sie seine Körpersprache nicht komplett sehen konnte. Schließlich seufzte sie und versuchte die unverfänglichste Tour. „Wie geht es dir?“

„Gelangweilt!“, rief Sherlock beinahe wie ein trotziges Kind aus, warf sich in die Rückenlehne seines Schreibtischstuhles und seine Arme dabei in die Luft. Catherine rollte bei dem Anblick nur die Augen.

„Was für eine Überraschung. Also kein neuer Fall?“

„Wäre ich sonst gelangweilt?“

„Hängt vom Fall ab.“, lächelte sie und kicherte dann kindisch. „Es könnte auch nur eine fünf sein.“

„Ich würde mich noch nicht einmal mit einer fünf befassen. Das hätte keinen Sinn.“ Er gähnte herzhaft. „Was machst du so früh online? Hat dich dein Mitbewohner wieder geweckt?“

Catherine wurde nun etwas unruhiger und fuhr sich über die Lippen.

„Uhm…“, sagte sie etwas zögerlich. „Nein, dieses Mal nicht.“

Da sie auf die Schnelle keine leere Wohnung gefunden hatte, war ihr keine andere Möglichkeit geblieben, als Untermieterin in einem kleinen Apartment mit einem Mitbewohner zu werden. Eine Situation, die ihr bereits beim Abflug nicht behagt und bei Ankunft nur noch verschlimmert hatte. Dies lag vor allem an dem Mitbewohner und nicht nur daran, dass Catherine generell eher eine Einzelgängerin war.

„Hat er also endlich gelernt sich zu benehmen? Ich habe kurz darüber nachgedacht ihm eine Warnung zukommen zu lassen.“

Catherine holte tief Luft und blickte kurz zur Seite. Sie fühlte sich sichtlich unwohl bei diesem Gesprächsthema, doch wechseln konnte sie es auch nicht, denn es war ein sehr normales Thema und ein Wechsel wäre zu verdächtig. Der Grund für ihre Nervosität lag aber nicht an ihrem Mitbewohner selbst, sondern an etwas anderem.

„Nein, hat er nicht. Er hat mich noch immer belästigt.“, sagte sie schnell. Es war zu mehr als einem solchen Vorfall gekommen. Entweder in der viel zu engen Küche oder dem Bad. Es war eindeutig, dass ihr Mitbewohner Interesse an ihr hatte, immerhin war Catherine eine attraktive Frau, aber er hatte nicht akzeptiert, dass eben jenes Interesse nicht beidseitig war. Egal wie oft Catherine ihn abgewiesen hatte, er hatte noch immer Vorwände gefunden um sie unsittlich berühren zu können. Er war der typische Macho, Proleten Typ gewesen, der glaubte, dass keine Frau seinem derben Charme widerstehen konnte. Catherine hingegen hatte Sherlock und John gleich ihr Leid geklagt nach dem ersten Vorfall, da sie sich nun nur noch unwohler in der Wohnung fühlte und Zuspruch gebraucht hatte.

„Ich buche einen Flug. Ich bin morgen früh da.“, erklärte Sherlock mit einem beunruhigenden Unterton und er stand sofort auf.

„Nein! Nein! Sherlock!“, rief Catherine schnell um Sherlock von seinem geistigen Plan abzubringen. „Es ist okay. Ich bin umgezogen und…“

Sie hielt inne, als sie etwas sah, als Sherlock aufstand. Ein weißer Blitz von Stoff schwang kurz durch den Bildschirm und um seinen Körper. Catherine blinzelte irritiert.

„Was trägst du?“, fragte sie.

„Was meinst du…“ Doch Catherine lehnte sich vor und betrachtete ihn genauer- nun wo sie nicht nur sein Gesicht sehen konnte.

„Oh nein! Nicht das Laken! Nicht schon wieder das Laken!“, rief sie aus und schlug die Hände überm Kopf zusammen. Sherlock hielt in seiner Bewegung inne und blickte an sich hinab, dann zu Catherine auf dem Computerbildschirm.

„Was ist falsch daran?“

„Du beantwortest Videoanrufe und bist nur mit einem Bettlaken bekleidet, Sherlock?“, fragte Catherine fassungslos. Ehrlich gesagt, hatte sie Johns Geschichte von dem großen Nachtgespenst und seinem kleinem Freund im Buckingham Palace nicht geglaubt.

„Ich habe gerade keinen Fall, Catherine, und es ist mitten in der Nacht. Es gibt keinen Grund angezogen zu sein.“ Er starrte sie durch die Kamera hinweg mit einem durchdringenden Blick an. „Also, erkläre dich nun, junge Dame. Was meinst du damit, dass du umzogen bist?“

Seine Stimme klang verstimmt und Catherine hatte gehofft, dass er wegen ihrem entsetzten Ausruf über das Laken diese Begebenheit vergessen hätte, da sie es ihm nicht erzählt hatte, doch wann entging Sherlock Holmes je etwas?

„Warte, warte, warte!“, sagte sie entschieden und hob eine Hand. „Mitten in der Nacht? Von wegen. Es ist Nachmittag in London, Sherlock, und das weißt du auch. Bist du ernsthaft den ganzen Tag nur im Laken rumgelaufen? Was, wenn der Geheimdienst wieder einmal eindringt? Oder schlimmer: Mycroft kommt zu Besuch…oder John mit einem Date.“

„Und?“

„Uhm…es könnte die arme Frau verschrecken und du könntest eine Anzeige entweder wegen sexueller Belästigung oder Erregungen öffentlichen Ärgernisses am Hals haben? Soll sich der Buckingham Palace Vorfall wirklich wiederholen, Sherlock?“ Sie grinste ihn keck an.

„Wie ich bereits schon damals sagte, als du das sagtest…“, entgegnete Sherlock ruhig und doch zuckten seine Mundwinkel. „Du willst doch bloß einen Blick erhaschen.“

„Selbstbewusst wie immer, mein Lieber, aber NEIN, definitiv nicht.“

„Oh, natürlich nicht, Cath.“ Er grinste sie amüsiert an und seine Augen funkelten.

„Träum weiter, Sherly, träum weiter.“, erwiderte sie und wedelte ab.

„Ich weiß, dass du versuchst das Thema zu vermeiden, Catherine. Antworte mir! Warum bist du umgezogen und hast uns im Vorfeld nichts davon erzählt?“ Schlagartig war Sherlock wieder ernst geworden und starrte sie verärgert, aber auch enttäuscht an. Catherine erwiderte diesen machtvollen Blick, wenn auch nur für wenige Sekunden. Sie seufzte und biss sich auf die Unterlippe.

„Ich habe es dir erzählt, als wir das letzte Mal miteinander geskypt haben. John weiß davon, aber du hast mir nicht zugehört. Du hast noch nicht einmal wahrgenommen, dass du neben John saßt, der gerade mit mir redete.“, flüsterte sie traurig und starrte auf die Tastatur ihres Laptops. Sie war noch immer verletzt und fühlte sich erneut unwichtig. Mehr als einmal hatte sie sich an jenem Abend gefragt, ob er sie überhaupt vermisste und die Funkstille während der zwei Wochen hatte diese Befürchtung nur noch verstärkt.

„Ich habe an einem dreifachen Mord gearbeitet, Cath. Also erzähl mir nun warum ich nicht genau jetzt herfliegen sollte um deinen ehemaligen Mitbewohner eine Lektion zu erteilen?“ Sherlocks Stimme war ganz ruhig, aber Catherine kannte diesen Ton zu gut um zu wissen, dass die gewalttätigere Seite in Sherlock gerade stark am Arbeiten war und er sich bereits überlegte was er dem Mistkerl antun würde, der seine kleine Cath unangemessen berührt hatte.

„Es ist es nicht wert.“, entgegnete Catherine schlicht, die mit diesem Thema mittlerweile abgeschlossen hatte. Sie war nun in ihrer eigenen Wohnung, die zwar eine horrende Miete kostete, aber immerhin ihr Eigentum für die restlichen zwei Monate war.

„Warum nicht?“ Sherlock sah sie mit undurchdringlichen Augen an und stützte sein Kinn auf die gefalteten Hände. „Sag nur ein Wort, Catherine, und ich werde es tun.“

Beinahe hätte sie über diese Worte gelächelt, auch wenn etwas Gefährliches in diesen Worten lag. Catherine wusste zu was Sherlock fähig sein konnte, dennoch machten sie sie eher glücklich, da sie zeigten, dass sie ihm wichtig war. Trotzdem musste sie ihn noch immer beruhigen, bevor er etwas Unüberlegtes tat.

„Weil alles in Ordnung ist. Ich bin umgezogen und habe nun mein eigenes Apartment. Es kostet zwar eine Menge, aber es ist okay. Es besteht kein Grund, dass du herkommst. Es ist deiner Zeit nicht wert.“

Sherlock atmete hörbar ein und dachte einige Zeit nach.

„Also gut. Ich vertraue deinem Urteil, Catherine.“ Er atmete tief ein. „Also…wie ist das Seminar?“

„Ähm…ganz gut.“ Catherine kratzte sich unsicher am Kopf. Sherlock sah sie an und zog eine Augenbraue hoch, bevor er schnalzte.

„Du versuchst noch immer mich anzulügen? Ich dachte, du wüsstest es mittlerweile besser.“ Sie seufzte laut und fuhr sich durch die Haare, als sie sich geschlagen gab.

„Das Projekt an sich ist interessant, wirklich, es ist nur…ich komme mit den Amerikanern nicht zurecht.“

„Nun, sie sind Amerikaner, Catherine. Die sind von Natur aus grob.“, sagte Sherlock abwertend und schnaubte, während er mit den Augen rollte. Alles an seiner Körpersprache sagte wie wenig er von Amerikanern hielt. Der Übergriff der CIA vor fast vier Jahren hatte da sicherlich zu keiner Besserung beigetragen.

„Es ist noch nicht einmal das.“, erklärte sie und seufzte schwer. Die Sonne ging langsam über dem westlichen Bundesstaat auf, begann ihr Zimmer zu erhellen und gewehrte den Blick auf ein karges, spärlich eingerichtetes Zimmer. Da sie sich hier nicht heimisch fühlte, hatte sie auch keinen Bedarf darin gesehen sich dementsprechend einzurichten. „Damit kann ich durchaus umgehen. Es ist ihre Oberflächlichkeit. Küsschen hier, Umarmungen dort.“

Sie schnaubte missbilligend, bevor sie mit übertrieben flötender Stimme fortfuhr:

„Oh Liebes, du siehst heute aber wundervoll aus. Ist sie nicht unglaublich.“ Catherine rollte mit den Augen und verzog verächtlich ihren Mund. „Und so weiter, nur um dann, sobald man ihnen den Rücken zudreht, zu tratschen und sich den Mund zu zerreißen. Ich bekomm davon Ausschlag.“

Sherlock seufzte und nickte zustimmend. Natürlich kam sie mit dieser Art nicht zurecht. Catherine war ein von Grund auf ehrlicher Mensch, der zu dem stand, was sie für andere empfand. Sie war nicht so scheinheilig und verlogen wie viele Amerikaner es waren, doch sie müsste eben das sein und jenes Spiel mitspielen wollen, wenn sie denn dazugehören möchte. Dies waren die Regeln, die in dem großen Land galten und sie war nicht bereit diese zu akzeptieren und zu den ihren zu machen.

„Ja, ich werde diese Amerikaner nie verstehen. Solch oberflächliche Kreaturen. Sie haben einfach keine Tiefe.“ Er griff nach einer Tasse neben seinem Laptop und trank einen tiefen Schluck. „Wann kommst du nach Hause?“

„In zwei Monaten.“, antwortete sie knapp. Kurz starrte sie auf den Schreibtisch und dann auf ihre Hand, die auf der Tastatur zitterte. Sherlock hingegen lehnte sich vor um sie auf dem Bildschirm besser beobachten zu können, da er etwas in ihrer Körpersprache gesehen hatte, was ihn merkwürdig vorkam. Womit er richtig lag, denn Catherine hütete wieder ein Geheimnis, dass sie schwer bekümmerte. Professor Alison war so angetan von ihrem Intellekt, dass sie sie am Liebsten für immer hier behalten würde. Mehr Gehalt, bessere Ausrüstung und interessantere hatte sie ihr angeboten. Für ihre Karriere war es das Beste was ihr passieren konnte, doch sie fühlte sich zerrissen. Sie liebte ihren Beruf und es reizte sie diese Forschungsprojekte durchzuführen, doch genauso sehr liebte sie London.

Dies war auch ein Grund warum sie einerseits froh war, dass sie endlich nun mit Sherlock reden konnte und doch hätte sie es am Liebsten vermieden, da es ihr umso bewusster machte was sie aufgeben müsste, wenn sie hierbleiben würde- in einem Land, indem sie sich eigentlich gar nicht wohl fühlte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieser Videochat entscheiden würde, ob sie zusagen würde oder nicht. Woher genau dies kam, wusste sie nicht. Zu gerne würde sie es ihm sagen, des ihm erklären, doch der Schmerz über seine letzte Reaktion saß noch zu tief, als dass sie sich traute.

Noch einmal holte sie tief Luft und sah dann wieder Sherlock an. Selbst er konnte nicht verpassen wie viel Trauer in ihren Augen lag und wie unglücklich sie jenseits des Atlantiks war. Er betrachtete sie genau und blickte sie beinahe schon mitfühlend an für seine Maßstäbe.

„Du kannst nicht eher nach Hause kommen?“, fragte er trocken, doch Catherine glaubte kurz etwas wie einen Hoffnungsschimmer zu hören.

„Nein.“, antwortete sie zerknirscht und hoffnungslos. Das Gewicht der bevorstehenden Entscheidung erdrückte sie beinahe. „Nicht, wenn ich meinen Job behalten will. Warum?“

„Nun, du bist dort offensichtlich nicht glücklich. Das einzig logische wäre also nach Hause zu kommen.“ Ein kleines Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, als sie ihm dies sagen hörte. Er hatte wirklich nach Hause gesagt. Sie sollte zu ihnen- zu ihrem zu Hause- zurückkommen. Sie gehörte für ihn dazu auch wenn eine gewisse Unsicherheit noch immer blieb. Dies war aber nicht der einzige Grund, warum sie lächelte.

„Du klingst wie Spock.“ Sherlock blinzelte schnell einige Male, dann runzelte er die Stirn.

„Wer?“ Schnell schüttelte sie den Kopf und winkte ab.

„Nicht so wichtig.“

„Du kannst also nicht nach Hause kommen.“

„Ich habe doch schon nein gesagt. Warum? Vermisst du mich?“ Sherlock schnaubte und verletzte sie damit nur wieder.

„Sei nicht albern, Catherine. Ich habe es einfach nur satt mich mit all den Idioten um mich herum zu befassen.“

„Wovon redest du?“, fragte sie irritiert.

„Oh, Anderson, Donovan, Lestrade, Molly, ja sogar John zeigen beunruhigende Anzeichen von einem sich verringernden IQ. Ich schwöre dir, es ist als würde sich seine Intelligenz mit jeder Freundin verringern.“, murrte er. „Und ihr alle wundert euch, warum ich Dummheit verabscheue.“

Catherine lächelte wehleidig und fühlte plötzlich den Drang den Bildschirm zu berühren in dem törichten Glauben etwas von seiner Wärme zu spüren, wo sich Amerika so kalt anfühlte.

„Es tut mir leid, Sherlock.“

„Ich habe gesagt du sollest nicht gehen.“, schmollte er und verzog den Mund wie ein Kind, dass keine Süßigkeiten bekam. „Was war der Vorteil von diesem Austausch?“

Sie blickte ihn traurig an und schloss dann die Augen.

„Es ging nicht darum, ob ich gehen wollte. Mein Professor hat sich so sehr für mich eingesetzt, dass ich nicht einfach ablehnen konnte und Professor Alison ist nun einmal führend auf meinem Forschungsgebiet. Es war also keine Frage, ob ich wollte oder nicht.“

„Ich schätze, du musstest wohl wirklich gehen.“, seufzte Sherlock. „Bleib nur nicht zu lange. Nachher kommst du zurück und bist genauso grob und langweilig wie die Amerikaner über die du dich so sehr beschwerst.“

„Aber natürlich, Sherlock.“, kicherte sie leise und schüttelte nur den Kopf. Sherlock lächelte zufrieden.

„Also, was für eine Art Arbeit machst du gerade?“

„Bloß Vorbereitungen. Zellkulturen anlegen, sie entsprechend mutieren, wachsen lassen, die verschiedenen Nährböden gießen und so weiter, also bisher noch nichts sonderlich Interessantes in Moment und ich arbeite noch viel allein- zu meinem Glück.“

„Soziale Kontakte schließen ist nicht so dein Ding,.“

„Bitte, Sherlock.“, lachte sie laut und zog eine Augenbraue hoch. „Du kennst mich.“

„Ja, das tu ich, aber John besteht darauf, dass du mehr soziale Kontakte haben solltest. Keine Ahnung warum. Fehlende Kontakte haben mir nie geschadet.“

„Du bist ja auch immerhin Sherlock Holmes.“ Sie rollte mit den Augen. „Das ist definitiv etwas anderes.“

Catherine seufzte kurz und schloss die Augen, bevor sie leise flüsterte:

„Ich bin hier um zu arbeiten, Sherlock, und nicht um Freunde zu gewinnen. Besonders nicht mit Amerikanern.“

„Sei vorsichtig, Catherine. Deine Vorurteile zeigen sich wieder.“, erwiderte Sherlock mit einem amüsierten Unterton und zwinkerte ihr zu. Plötzlich wirkte er sichtlich erheitert und fröhlich. Catherine fragte sich woher dieses kam und versuchte es zu ergründen, aber per Videochat erwies es sich als schwierig. Irgendwann gab sie schließlich auf und zuckte mit den Schultern. Sie war einfach zu müde dafür und gähnte erst einmal herzhaft. Sherlock blinzelte einmal kurz, betrachtete sie und ließ sich dann nachdenklich in den Stuhl zurückfallen.

„Warum bist du wach, Catherine? Bei euch ist es früher Morgen. Solltest du nicht besser schlafen?“

„Sollte ich, ja.“, gestand sie ein und fuhr sich durch die Haare. „Aber ich konnte nicht schlafen. Zunächst war hier ein Gewitter und dann…keine Ahnung. Ich habe einfach keine Ruhe gefunden und deshalb beschlossen Zeit totzuschlagen, indem ich durchs Internet surfe und meine E-Mails checke.“

„Lass mich raten! Äthiopische Prinzessinnen müssen wieder einmal gerettet werden, richtig?“, sagte Sherlock schmunzelnd.

„Nigerianischer Prinz.“, korrigierte sie und rollte genervt mit den Augen. „Offensichtlich einer mit Erektionsstörungen.“

„Natürlich…“, lachte er leise, doch dann betrachtete er sie ruhiger und nachdenklich zugleich.

„Du solltest schlafen gehen, Cath.“, sagte er schließlich in einem unnachgiebigen Ton. „Es wäre schließlich unverantwortlich, wenn du auf Grund vom Schlafmangel einen tödlichen, resistenten Virus kreierst, nicht?“

Auch wenn Sherlocks Ton durchaus eher wie eine Feststellung klang, zuckten wie üblich seine Mundwinkel und sie wusste, dass er sie nur aufzog. Catherine lächelte schwach, aber lag etwas Wehleidiges darin.

„Aber ich will nicht schlafen, Sherlock.“, flüsterte sie leise und Traurigkeit klang unterbewusst mit. Sie vermisste ihn und John so sehr und dieses Skypegespräch führte ihr das nur noch mehr vor Augen.

„Du klingst wie ein Kind, das wegen seiner Schlafenszeit quengelt.“, stellte Sherlock fest. Im Hintergrund erklang das Geräusch einer Tür, die sich öffnete, doch er ignorierte es.

„Das ist wirklich lustig, dass das ausgerechnet von dir kommt, Mr. „Ich-verlasse-die-Wohnung-für-nichts-unter-einer-Sieben.“, moserte Catherine und schnaubte genervt. Sherlock hingegen zog nur eine Augenbraue hoch.

„Ich bin zumindest erwachsen.“

„Das bin ich auch, schon vergessen?“ Erneut rollte sie mit den Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. Immer wieder behandelten die beiden sie, als wäre sie sechzehn, dabei war sie mittlerweile sechsundzwanzig.

Nun hörte Catherine eine zweite Tür ins Schloss fallen und eine Stimme erklang leise im Hintergrund:

„Oh nein, Sherlock. Es ist in Ordnung. Ich kann all die Einkaufstüten alleine tragen. Mach ruhig weiter, was auch immer du gerade tust.“

Sherlock drehte nur leicht den Kopf zu seinem besten Freund um, während dieser kurz das Blickfeld der Webcam passierte.

„In Ordnung, das werde ich.“, sagte er trocken und drehte sich wieder Catherine zu. „Du bist erst sechsundzwanzig und somit noch immer ein Kind.“

Sie hingegen ging auf diese vermutlich unterbewusste, geringfügige Provokation nicht ein, sondern blinzelte und folgte mit den Augen der Gestalt, die sie auf Grund der Bildqualität kaum erkennen konnte.

„War das John?“, fragte sie und lehnte sich weiter vor. John hingegen legte die Einkaufstüten geräuschvoll auf einen freien Platz auf dem Tisch und grummelte missmutig vor sich hin.

„Mit wem redest du, Sherlock? Ein neuer Klient?“, fragte er eher nebenbei, während er schnell die verderblichen Lebensmittel irgendwo im Kühlschrank verstaute. In diesem Moment erkannte Catherine ihn eindeutig an der Stimme und rief:

„John! Rette mich! Sherlock skypt mit mir und weigert sich, sich ein paar Hosen anzuziehen.“

Mitten im Beiseiteschieben eines Präparates um endlich die Milch verstauen zu können, hielt John inne, blinzelte und drehte sich um.

„Catherine?“ Schnell kam er aus der Küche geeilt und beugte sich sichtlich zum Laptop. „Catherine! Oh mein Gott, wie geht es dir? Wie ist die neue Wohnung?“

„Mir geht es gut und die neue Wohnung ist nett. Sie kostet mich zwar ein Vermögen, aber sie ist in Ordnung.“ Ihre Augen wanderten zu John und sie bekamen einen bittenden Ausdruck. „Könntest du bitte Sherlock sagen, dass er ein paar Klamotten anziehen soll?“

Erst in diesem Moment sah sich John seinen besten Freund und Mitbewohner in einer Person genauer an und bemerkte, was er trug. Sherlocks Exzentrik war mittlerweile zu solch einer verdrehten Normalität geworden, dass er es gar nicht mehr wahrnahm oder beachtete. Er sah noch einmal an seinem Freund hinab, blinzelte um sicher zu gehen, dass er sich nicht täuschte, dann grunzte er. Geschickt schnappte er sich-wohlgemerkt seinen- Laptop und trug ihn von Sherlock fort. Genüsslich ließ John sich in seinen Armsessel fallen und platzierte den Laptop auf seinen Beinen. Sherlock entgegen machte einen Laut des Protestes, der John genervt aufblicken lies.

„Zieh dich an, du Quälgeist!“, sagte er in einem strengen Ton und blickte Sherlock mahnend an. „Du kannst erst wieder mit Catherine sprechen, wenn du entsprechend bekleidet bist.“

Sherlock murmelte etwas, schlang sein Laken in missmutiger Eleganz enger um seinen Körper und stolzierte in sein Schlafzimmer. Catherine blickte ihm nach und schmunzelte amüsiert, als der leichte, weiße Stoff hinter der Tür verschwand.

John seufzte, rieb sich kurz über die Augenbrauen und wandte sich dann wieder seiner kleinen Tochter zu.

„Nun erzähl erst einmal: Wie ist die neue Wohnung?“

„Willst du sie sehen?“, lächelte sie. „Sie ist in einem kleinen Vorort von San Diego mit einem Stadtpark und auch nicht allzu weit entfernt vom Strand.“

Sie holte tief Luft und das Strahlen kehrte in ihre Augen zurück. Sie war einfach so froh, dass sie wieder mit John reden konnte, dass sie eine vertraute Situation erlebte.

„Klar, gerne.“, antwortete John.

„Einen Moment…ich muss nur eben das Ladekabel abmachen.“ Kurz lehnte sie sich aus dem Bildschirm und fummelte am Rand herum. Schließlich hörte John ein leises Ploppen und ihr Gesicht erschien wieder vor der Webcam. „So, das hätten wir.“

Vorsichtig, den Laptop in ihren Händen balancierend, stand sie auf und blickte in die Kamera.

„Aber wir werden nicht im Schlafzimmer beginnen, sorry, John.“ Frech grinste sie ihn an und erreichte schließlich das Wohnzimmer. Sie schaltete das Licht an, welches einen kleineren Raum als ihr heimisches Wohnzimmer erhellte und auch nicht so komfortabel eingerichtet war. In ihm befanden sich eine große, wenn auch etwas abgenutzte Couch, ein Glastisch, ein Bücherregal und an der Wand hing ein dreißig Zoll breiter Plasmafernseher. Des Weiteren befand sich am Kopf des Zimmers eine Glasschiebetür, die zu einem Balkon führte. Catherine lächelte und führte John einmal durch den kleinen Raum, zeigte ihm ihre Möbel und drehte sich dann, sodass er die große Küche mit der Inseltheke und dem Induktionsherd sehen konnte.

„Und hier ist die offene Küche. Kannst du sie erkennen?“, fragte sie und drehte den Bildschirm in einige unterschiedliche Winkel.

„Meine Güte…“, stieß John hervor. „Die ist ja größer als unsere!“

„Ja, ich weiß.“ Catherine schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. „Alle hier haben diese tollen, beeindruckenden Küchen, aber kochen nie.“

John lachte leise.

„Das ist wahr.“ Seine blauen Augen begannen verschmitzt zu funkeln. „Also, Catherine, für wen kochst du dann? Oder willst du mir erzählen, dass du angefangen hast dich an den amerikanischen Lebensstil anzupassen und hast die Küche noch nicht angerührt?“

Catherine lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Sherlock sagte, dass du das tun würdest.“ Verwirrt runzelte er seine Stirn und starrte sie an.

„Ich würde was tun, Catherine?“

„Versuchen mir ein Sozialleben zu verschaffen. Alles ist bestens.“, versicherte sie ihm, doch John blickte sie nur ungläubig an und zog eine Augenbraue hoch.

„Du solltest dich mehr sozialisieren, Catherine. Es ist nicht richtig für eine junge Frau sich ständig in ihrem Labor zu verkriechen und Hefe Gehorsam einzuprügeln. Du wirst wie Sherlock enden, wenn du so weitermachst.“

„Bitte!“, schnaubte Catherine und sah ihn beinah schon mitleidig an. Nur ein Funkeln in ihren Augen verriet ihr Spiel. „Ich werde nicht wie Sherlock enden. Ich wäre besser. Und nur so nebenbei, er hat auch erwähnt, dass du eigentlich auf einem Date seien solltest. Warum kommst du dann mit Einkäufen nach Hause?“

„Tiefschlag, Catherine.“, seufzte John müde. „Sie hat mich sitzen lassen. Sie hat mir nur eine SMS geschickt in der stand, dass sie es leid wäre mit Sherlock Holmes in Konkurrenz zu stehen. Gott! Warum wollen mir die Menschen nicht glauben, dass wir kein Paar sind?“

„Oh John…“, flüsterte Catherine leise und sah ihn mitleidig an. „Es tut mir leid. Ich hätte damit nicht anfangen sollen.“

Zu ihrer Erleichterung schüttelte John nur den Kopf und ihre Schuldgefühle schwanden ein wenig.

„Ist schon in Ordnung. Na ja, wie auch immer, ich habe dann einfach beschlossen mir etwas Leckeres als Entschädigung zu kochen und mir einen gemütlichen Nachmittag zu machen. Also war ich einkaufen auf dem Heimweg, da Sherlock mal wieder die Milch für irgendein Experiment verbraucht hat. Keine Ahnung für was genau und ich will es auch gar nicht wissen.“ Er seufzte erneut. „Ich brauche dringend ein Leben.“

Catherine lächelte beschwichtigend und aufmunternd zu gleich.

„Du wirst wieder eines haben, sobald ich zurück bin. Ich vermisse bereits unsere Starbucks Klatschdates.“ Sie lachte und hoffte so ihren Ziehvater aufzumuntern. „Ich komme einfach mit diesen Amerikanern nicht zurecht. Sie sind schrecklich.“

Somit war das Thema für Catherine beendet. So sehr sie ihn auch schätzte, sie ließ sich von Niemand vorschreiben wie sie ihr Leben zu führen hatte. Dies hatten die beiden schon oft genug getan und sie war es leid. Es gefiel ihr wie es war und auch wenn sie der Meinung ihrer beiden Ziehväter sehr ernst nahm, so war es doch ihr Leben. Sie seufzte und holte tief Luft. Mit einem Lächeln führte sie John zu ihrem Balkon um ihm die Aussicht auf dem Park zu zeigen auf den sie sichtlich stolz war und anschließend erzählte sie ihm auch von der Klippe, die sich nicht unweit von ihrer Haustür empfand und zu der sie gerne ging um auszuspannen. Catherine hatte es schon als kleines Kind geliebt auf Felsen, Bäume oder anderweitiges zu klettern.

Allerdings verstand John sie nicht richtig und glaubte, dass sie gesagt hätte, dass der Klippenstrand mit darunterliegendem Sandstrand zur Wohnung gehörte, woraufhin sie nur lachte und erklärte, dass einfach nur wenige dahin gingen, weil man dort so schwer hingelangte.

„Das klingt perfekt.“, sagte er höchst erfreut und lächelte.

„Oh, das ist es!“, stimmte Catherine eifrig nickend zu.

„Was ist perfekt?“, fragte Sherlock, der gerade aus dem Schlafzimmer wiederkehrte. Er trug nun ein weißes Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, eine seiner üblichen schwarzen Anzughosen, aber mehr auch nicht. Noch immer barfuß und ohne Jacke ging er auf die beiden zurück.

„Ihr Strand.“, antwortete John nur knapp, blickte kurz auf, an ihm herab und wandte sich dann kopfschüttelnd wieder ab. Zumindest ein bisschen musste Sherlock seinen Willen doch durchsetzen.

„Catherine hat einen Strand?“ Verwunderte blickte Sherlock in die Kamera. „Seit wann?“

„Seit sie umgezogen ist.“, erklärte sein Freund genervt und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Hast du überhaupt damals zugehört, als sie uns angerufen hat?“

„Wir hatten an einem dreifach Mord gearbeitet!“, protestierte Sherlock heftig und kniete sich neben seinen Freund, weil diese gebeugte Haltung nach einiger Zeit anstrengend wurde.

„Wie auch immer.“, seufzte John und wandte sich wieder Catherine zu, die das Treiben der beiden bisher stumm beobachtet hatte. „Also, Catherine, warum bist du so früh auf? Frühschicht?“

Sherlock rollte sich in der Zwischenzeit den Schreibtischstuhl heran, ließ sich darauf fallen und tippte seine Fingerspitzen vor seinem Kinn zusammen.

„Sie konnte nicht schlafen.“

„Würde es dir etwas ausmachen…“

„Nein, er hat recht, John.“, unterbrach Catherines Stimme ihn, obwohl der Ton dem Bild etwas hinterher hinkte.

„Und fang jetzt bitte auch nicht an…“, kam sie John zuvor, bevor er überhaupt seinem Mund öffnen konnte. „Sherlock hat mit bereits die Predigt gehalten.“

„Wirklich?“ Er runzelte die Stirn und blickte den Dunkelhaarigen an, dann wieder zu Catherine.

„Wirklich?“, wiederholte er ungläubig und sah Sherlock verwundert an. „Geht es dir gut, Sherlock?“

Catherine lachte im Hintergrund, während Sherlock ihm einen leicht eingeschnappten Blick zuvor.

„Bestens.“, gab er knapp zurück und verzog schnippisch den Mund.

„Wir hatten schon so eine Art Gespräch bevor du gekommen bist, John.“, erklärte Catherine schließlich, als sie sich von ihrem kleinen Lachanfall erholt hatte. „Er hat mir wirklich eine Predigt gehalten. Irgendwas von einem Supervirus kreieren…glaube ich. Ich habe nicht wirklich zugehört.“

Ihre Augen wanderten u Sherlock, als sie herausfordernd und frech grinste. Sherlock zog nur eine Augenbraue hoch, denn er kannte diesen Gesichtsausdruck ihrerseits nur allzu gut.

„Warum hast du eigentlich so lange gebraucht, Sherlock? Hast du dich immer und immer wieder umgezogen um den perfekten Kampfanzug zu finden?“

„Offensichtlich, meine liebe Cath.“, erwiderte Sherlock trocken.

„Ooooh…“, sagte sie und klimperte herzallerliebst mit ihren langen Wimpern. „Wie lieb von dir. Ich bin beeindruckt. Ich glaube ich sollte dir meinen besser erst zeigen, wenn wir wieder allein sind, glaubst du nicht auch?“

Verschmitzt zwinkerte sie Sherlock zu, der nur mit den Augen rollte, während John beinahe zu Grunzen schien.

„Könntet ihr beide bitte damit aufhören? Das ist verstörend!“

„Du kannst jederzeit gerne gehen, John.“, erklärte Sherlock und schlug die Beine übereinander.

„Ich bin mir nicht so sicher ob ich das sollte.“, erwiderte der Angesprochene nachdenklich. „Wer beschützt dann Catherine vor dir?“

Während Sherlock erbost über diese Äußerung seitens seines besten Freundes schnaubte und die Nase kräuselte, brach Catherine jenseits des Atlantiks in schallendes Gelächter aus.

„Oh, hör auf, John. Du weißt, dass wir nur spielen.“

„Ich dachte zumindest, dass ich das wüsste.“ Sherlock seufzte nur schwer und rollte mit den Augen, während Catherine noch immer leise lachte. Gott, wie sehr sie solche Momente vermisste. Langsam ließ sie sich auf ihre gemütliche, abgewetzte Couch fallen und bettete ihren Laptop in ihren Schoß. Sherlock zog eine Augenbraue hoch und betrachtete sie skeptisch.

„Glaubst du, dass dies der geeignete Platz für uns ist? In deinem Schoß?“

„Ach, halt die Klappe, Sherlock.“, sagte sie mit einem Augenrollen und gerade als er etwas erwidern wollte, fuhr John dazwischen:

„Hör auf, Sherlock! Ich will das nicht hören!“

John holte tief Luft und als er wieder aufblickte, sah sich Catherine plötzlich einem beinahe schon anklagenden Blick seinerseits gegenüber.

„Warum hast du uns bis jetzt noch nicht geschrieben?“, fragte er mit schwerer Stimme. Catherine zögerte und senkte den Blick. Für einen Moment herrschte eine drückende Stille in beiden Räumen. In der Bakerstreet waberte Johns Vorwurf, dass sie sie vermeintlich vergessen hatte, und in Catherines gab es nur Trauer und Schuldgefühle.

„Weil ihr es auch nicht getan habt.“, flüsterte sie so leise, dass die beiden Männer es kaum hören konnten und doch traf dieses leise Flüstern sie härter als alles andere. Große Traurigkeit zeigte sich in ihrem Gesicht, als sie wie gebannt auf die weiße Tastatur ihres Laptops starrte.

„Was? Ich habe dir viele Nachrichten geschickt.“, sagte John erstaunt. „Hast du sie bekommen?“

„Offensichtlich ni…“, setzte Sherlock an, doch sein Freund warf ihm einen mahnenden Blick zu.

„Lass das!“ Grummelnd ließ sich der Detektiv tiefer in seinen Stuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein.“, antwortete Catherine leise. „Ich habe keine Nachrichten bekommen.“

„Oh, Catherine. Das tut mir leid.“

„Ist schon in Ordnung.“ Sie lächelte ihren Ziehvater tapfer an, doch ihre Mundwinkel flatterten. „Es ist nur…na ja…“

Auch ihre Stimme zitterte heftig und Catherine schaute schnell zur Seite um die wenigen, hervorquellenden Tränen zu verbergen. Trotzdem entging Sherlock nicht, dass sich etwas an ihr veränderte, obwohl das deduzieren durch eine Webcam natürlich weitaus schwieriger war. Er beugte den Kopf um sie genauer betrachten zu können.

„Du hast Heimweh.“, stellte er dann schließlich fest. Catherine schluckte schwer und fühlte sich plötzlich sichtlich ertappt.

„Catherine…“, sagte John sanft und blickte sie an. „Warum hast du uns nicht eher angerufen? Sollen wir vorbeikommen? Wir könnten, weißt du? Es gab nichts Interessantes in letzter Zeit. Zumindest nichts, womit das Yard nicht zurechtkommen würde.“

Sherlock schnaubte nur verächtlich, doch blieb stumm, als sein Freund ihm einen mahnenden Blick zuwarf. Als beide sich wieder dem Bildschirm zuwandten, schüttelte Catherine nur schwach den Kopf.

„Es sind nur zwei Monate und ich dachte…nun ja, ich könnte…“ Sie hasste sich gerade selbst dafür wie armselig sie sich aufführte. Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen stark zu sein um den Beiden nicht zur Last zu fallen- und auch um etwas von ihrer Selbstwürde zu bewahren- und nun versagte sie kläglich. Außerdem wollte sie das hier einfach alleine durchstehen, schließlich war sie erwachsen.

„Du störst doch nicht, Catherine. Hör auf so etwas zu glauben.“, flüsterte John und schüttelte leicht den Kopf. Sie würde sich nie ändern. Sie blickte ihn traurig an und spürte, dass ihr Herz schneller schlug. John sah sie mitfühlend an, während Sherlock desinteressiert dreinschaute. Als sie die beiden so für einige Sekunden auf dem virtuellen Bild anschaute, übermannte sie immer stärker die Einsamkeit. Gott, wie sehr sie ihr fehlten. Sie gehörte einfach nicht hierher, sondern zurück nach London. Langsam lehnte sie sich vor, beinah so als könnte sie ihren Kopf gegen sie lehnen.

„Ich vermisse euch…“, flüsterte sie aus ihrer Emotion heraus und blickte sie dann traurig an. John lächelte.

„Ich vermisse dich auch. Und…“ Seine Stimme wurde lauter. „Ich bin mir sicher, dass es Sherlock auch so geht.“

Dieser stöhnte nur und ließ sich theatralisch, bäuchlings auf seine Couch fallen, was John dazu veranlasste zu lachen.

„Und wenn das keine Erklärung ewigwährender Liebe und Zuneigung ist, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Catherine lachte und schüttelte nur den Kopf. Er schaffte es wirklich immer wieder sie aufzuheitern egal wie traurig sie war und dafür schätzte sie John sehr.

Anschließend unterhielten sie sich noch über ihre Tagesplanung, das Wetter und San Diego im Allgemeinen. Catherine berichtete von einigen Abenden, die sie im Gaslampenviertel verbracht hatte und die umliegende Natur. Um San Diego herum gab es nicht nur Strand, sondern auch noch den See Loma mit seinem Leuchtturm und viele Ausflugziele, die sie alle gerne besuchen würde, doch leider, so beklagte sie sich, hätte sie kaum Zeit diese Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und dabei liebte sie die Natur. Schließlich war sie meist von acht Uhr morgens bis siebzehn, achtzehn Uhr jeden Tag im Labor und danach musste sie noch eine halbe Stunde mit der U-Bahn fahren.

„Also nicht viel anders in London.“, stellte John schließlich fest und lachte, obwohl er innerlich seufzte. Eigentlich hatte er sich erhofft, dass es in Amerika anders für Catherine seien würde, dass sie dort mehr am Leben teilnehmen würde, doch letzten endlich verkroch sie sich dort genauso im Labor wie sie es zu Hause auch tat. Er hatte sich für sie gewünscht, dass dieser Austausch eine Bereicherung für sie wäre und dass sie mal über den allzu begrenzten Raum ihres Labors hinaussah. Vielleicht hatte sie aber auch Recht gehabt. Vermutlich hatte sie- zumindest ihrer Meinung nach- genug Schlechtes in der Welt gesehen, als dass sie sich noch sonderlich für sie interessierte. Eigentlich konnte er sie dabei sogar verstehen. Seit John mit Sherlock durch die Welt ging und die tiefe, dreckige Schicht entdeckt hatte, die unter der glanzvollen, meist heilen verborgen war, die er zuvor gekannt hatte und nur eine Illusion gewesen war. Eigentlich war die Welt mittlerweile hoffnungslos verloren und verdorben und Catherine- in ihren jungen Jahren- hatte schon zu viel davon gesehen. Dass sie nach allem noch immer so fröhlich war- wirklich ehrlich fröhlich -, war für John noch immer überraschend. Er selbst hatte nach seinem Alptraum unter Depressionen gelitten und obwohl das, was Catherine erlebt hatte, sicherlich ebenso schlimm war, schaffte sie es damit umzugehen auch wenn sie innerlich oft wohl noch weinte oder unsicher war. Trotz allem ging sie besser mit ihrer persönlichen Belastung um, als er es je getan hatte und dabei wusste John zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht alles von ihrem Martyrium.

Auch Catherine lachte über Johns Bemerkung.

„Nein, nicht wirklich, aber die U-Bahnen sind hier leerer. Die meisten Amerikaner nutzen nicht die öffentlichen Verkehrsmittel. Glück für mich.“ Sie grinste.

„Sei nur vorsichtig, okay, Catherine? Du bist doch vorsichtig, oder?“, mahnte er sie mit Besorgnis in der Stimme. Catherine lächelte beruhigend.

„Natürlich bin ich das. Wenn Sherlock mich eines gelehrt hat, dann ist es, dass das Böse überall lauert- vor allem da, wo man es nicht erwartet.“ Ihr Blick wanderte zu Sherlock um ihn anzulächeln, doch dieser spielte nur mit seinem Handy herum. Offensichtlich hatte er sich längst aus der Konversation ausgeklinkt. Augenblicklich wurde Catherines Blick trauriger und sie seufzte. Als sie sich wieder John zuwandte, lächelte sie wieder tapfer für ihn. Er sollte nicht darunter leiden wie Sherlock sie behandelte. „Ich habe manchmal schon das Gefühl, dass ich paranoid bin. Ich bin ja schon immer skeptisch gewesen, aber nun würde ich sagen, dass ich wahrlich paranoid bind.“

Sie kicherte leise, doch es war aufgesetzt. Innerlich stellte sie traurig fest, dass Sherlock vollkommen desinteressiert war und somit fragte sie sich, ob sie im wohl zu langweilig wäre. Vielleicht sollte sie ja doch das Angebot ihrer Professorin annehmen. John würde sie besuchen kommen und mit ihr skypen. Der Einzige, der sie- neben Jeffreys Wohnung- an London band, war Sherlock, doch dieser schien sie nicht sonderlich zu vermissen. Sie schloss die Augen, beschloss aber ihre missliche Lage später mit John noch einmal unter vier- virtuellen- Augen zu besprechen.

„Es besteht ein Unterschied zwischen Paranoia und Alarmbereitschaft, Cath.“, sagte Sherlock ruhig ohne von seinem Display aufzusehen und trotzdem hatte er wieder diesen Ton in der Stimme, der seine Aussage als hundertprozentig wahr erscheinen ließ.

„Oh, du hörst also doch zu?“, fragte John verwundert und wandte sich zu ihm um.

„Natürlich tue ich das.“, erwiderte Sherlock etwas empört und funkelte ihn an. „Ich kann mehrere Dinge zeitgleich tun.“

„Dann bist du eine Frau.“, sagte Catherine nüchtern. „Weil nur Frauen haben die Fähigkeit zum Multitasking.“

„Moment…Was?“ Sherlock blinzelte sie verwirrt an, während John in schallendes Gelächter ausbrach.

„Du hast mich gehört, Sherlock, und du hast mich schon verstanden. Ich werde es nicht wiederholen.“

//Weil, wenn ich es tun würde, müsste ich Angst haben, dass er her kommt und ich sein nächster Fall werden würde.//, dachte sie unbehaglich, behielt aber nach außen ihre selbstbewusste Fassade. Sherlock runzelte nur über die äußerst freche Antwort die Stirn, stand auf und stahl den Laptop von Johns Schoß. Seine Augen funkelten durch die Kamera und selbst auf dem Computerbildschirm konnte sie seine Entrüstung erkennen.

„Du hast großes Glück, dass du in Amerika bist, Catherine.“, sagte er mit bedrohlich tiefer Stimme, doch sie ließ sich nicht beirren und grinste weiter.

„Ich weiß. Deshalb habe ich es auch gewagt.“

„Sherlock! Gib mir den Computer zurück! Es ist meiner, verdammt nochmal!“ Johns Appell blieb jedoch unerhört. Stattdessen starrte Sherlock in die Kamera und schien die unschuldig dreinsehende Catherine mit seinem Blicken durchbohren zu wollen.

„Catherine, wenn du nach Hause kommst, wirst du nach Hause laufen von Heathrow aus. Ich werde dich nicht abholen.“

„Was?“, fragte sie schockiert und sah ihn aus großen Augen an. „Das wirst du mir doch nicht wirklich antun, oder? Du kannst es doch nicht mehr erwarten, bis ich wieder da bin.“

Sie schniefte gespielt und ihre blauen Augen begannen zu wackeln. Sherlock und John nannten dies nur genervt die Welpenaugen, da dieser Blick stark an die unschuldigen Augen von jungen Hunden erinnerte. Catherine benutzte ihn eher unterbewusst, wenn sie die beiden zu gerne überzeugen wollte etwas zu tun und meist konnten sie diesem Blick nicht widerstehen- selbst Sherlock nicht. Vor allem nicht je länger sie ihn benutzte.

„Da liegst falsch.“, gab Sherlock bissig zurück. „Meiner Meinung nach, kannst du auch länger dort bleiben.“

In diesem Moment verschwand das Necken aus der Situation. Catherine erstarrte nur vor dem Bildschirm, ihr Herz setzte für einen Moment aus und sie weitete ihre Augen. Sherlocks Antwort hatte sie wie einen Hammerschlag getroffen. Wünschte sie sich doch nichts sehnlicher als nach London zurückzukehren, doch offensichtlich war sie dort nicht von Nöten. In diesem Moment überlegte sie erneut, ob sie nicht das lukrativere Jobangebot annehmen sollte. Dass Sherlock dies wohl einfach nur gesagt hatte, weil sie ihn verstimmt hatte, kam ihr nicht in den Sinn. Sie kannte es bisher nur, dass eines für Sherlock Holmes galt: Was er sagte, das meinte er auch so.

„Cath, ich warne dich.“ Ohne, dass Catherine selbst es merkte wurde ihr Blick noch trauriger, verletzter und sie senkte den Blick. Sherlock stöhnte, doch John bemerkte, dass er nicht mehr ganz so standhaft war wie zuvor. Sie schniefte erneut und blinzelte eine Träne aus den Augen. Sherlock glaubte noch immer, dass dies nur war um ihn weichzuklopfen und bemerkte nicht, dass er sie wirklich verletzt hatte. Noch einige Sekunde starrte er sie an, dann seufzte er.

„Fein! Ich hol dich ab! Zufrieden?“ Sie atmete erleichtert aus und wischte sich die Träne von der Wange. Sie hatte in diesen Augenblicken wirklich Angst gehabt, dass er sie gar nicht mehr haben wollte, dass er sie nicht mehr brauchte. Wieder einmal begann sie sich zu fragen inwieweit Sherlock ihr Leben kontrollierte und ob es ihr nicht allmählich Sorgen bereiten sollte.

John bemerkte ihre Erleichterung und wusste somit, dass das eben kein Spiel war.

„Alles in Ordnung, Catherine?“, fragte er besorgt, während er aufstand, da er sie von der Couch aus schlecht betrachten konnte.

„Ja…alles gut.“, murmelte sie abwesend, während sie in ihrem Browser ein Tab öffnete um zu schauen wie viel ein Rückflugticket nach London kosten würde.

„Cath, was versucht du vor uns zu verbergen?“, bohrte nun auch Sherlock nach, der, durch Johns Anstoß, ebenfalls ihr schlecht geschauspielertes Verhalten bemerkt hatte. Catherine hingegen lächelte nur, während ihre Augen zum ersten Mal nicht direkt in die Kamera schauten, während sie sprach.

„Du siehst Gespenster, Sherlock. Nicht jeder versucht etwas vor dir zu verbergen. Glaubst du ernsthaft, dass ich so blöd bin und noch immer glaube, ich könnte es?“ Sie schüttelte den Kopf. „Diesen Irrglauben habe ich schon längst verloren.“

„Normalerweise nicht.“, sagte Sherlock und wog den Kopf hin und her. „Aber du bist auch normalerweise hier.“

Catherine blinzelte verwirrt.

„…und dadurch habe ich die Möglichkeit deine Körpersprache zu lesen.“, fuhr er etwas genervt fort, als er ihren Blick sah. „Diese Form von Kommunikation ist…nun…nicht ideal.“

Sie seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ich verheimliche nichts vor dir, Sherlock.“, erklärte sie erneut mit Nachdruck um ihn endlich zu überzeugen. „Wie ich bereits sagte, ich weiß, dass ich es nicht kann.“

„Ich wollte nur sichergehen, dass du dich noch daran erinnerst, Catherine. Du bist schon so lange fort, dass du es vergessen haben könntest.“, neckte er sie und lächelte wieder. Diese kleine Geste erhellte Catherines Stimmung augenblicklich und auch sie lächelte wieder. Es war selbst sie für sie erschreckend wie sehr er Einfluss auf ihre Stimmung hatte und wie leicht er sie dadurch manipulieren könnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich fragte, ob das noch gesund war oder ob sie sich sorgen sollte.

Sie selber bemerkte gar nicht, dass das Lächeln trotzdem nicht wirklich überzeugend war und als sie beinahe melancholisch „Es ist wirklich schon eine lange Zeit.“ flüsterte, wussten beide wie es wirklich in ihr aussah. Sherlock ging langsam mit dem Laptop zurück, setzte sich wieder auf die Couch und lehnte sich zurück.

„Du bist bald wieder zurück, Catherine.“, sagte er in seinem nüchternen Ton aus dem Catherine oft sehr viel Trost zog. „Denk einfach nur daran was du alles dort lernst. Du solltest die Möglichkeit zur Erwerbung von Wissen nicht versäumen, weil du das Scheitern fürchtest.“

„Ich fürchte nicht das Scheitern. Ich fürchte mich davor aus der Übung zu sein, wenn ich nach Hause komme. Nachher gewinnst du noch eine Diskussion. Das kann ich nicht zulassen.“

„Es ist unausweichlich, Catherine. Du solltest es einfach akzeptieren und dir die Schmach ersparen.“

Catherine schüttelte lächelnd den Kopf und wollte gerade etwas erwidern, als ihr Blick auf die Uhr fiel und sie vor Schreck beinahe aufsprang. Sie hatte über den Chat vollkommen die Zeit vergessen und war nun spät dran. Hastig stellte sie den Laptop auf den Tisch und rief, während sie ins Schlafzimmer eilte um sich umzuziehen, dass sie nun gehen müsste.

Sherlock hingegen saß noch immer da und starrte weiterhin auf eine schwarze Couch, während seine Finger auf dem Laptop trommelten.

„Um, Cath? Cath?“

„Was?“, rief sie aus dem Schlafzimmer, während sie sich ein T-Shirt überstreifte.

„Hast du nicht etwas vergessen?“

„Was?“, fragte sie irritiert und blinzelte. Es war seltsam für sie Sherlocks Stimme zu hören ohne dass er in ihrer Wohnung war. „Oh, tschuldigung.“

Sie rannte zum Laptop, winkte einmal kurz und verabschiedete sich, bevor sie ihren Laptop zuklappte und somit nur ein schwarzer Bildschirm auf Johns blieb.

John saß noch einen Moment auf der Couch, bevor er seufzte und seinem Freund zuwandte.

„Sie ist wirklich unglücklich.“

Sherlock schloss währenddessen den Laptop und sah auf die Wand.

„Ja, das ist sie.“, flüsterte er leise. Er holte tief Luft, legte den Laptop zurück auf den Kaffeetisch, stand auf und begann unruhig durch das Wohnzimmer zu laufen. „Was tun? Was tun?“

„Sherlock? Sherlock?!“, fragte John irritiert, doch er erhielt keine Antwort. Er stöhnte und stemmte sich aus der Couch und ging in die Küche um sich einen Kaffee zu machen, während er vor sich hin murmelte. Sherlock hingegen zog noch weiterhin seine Bahnen um den Kaffeetisch herum und dachte nach.

„Sherlock, wir können nichts tun!“, versuchte er es erneut, als er merkte, dass sein Freund ernsthaft darüber nachdachte wie er Catherine helfen konnte. „Sie will damit alleine fertig werden und wir sollten das akzeptieren.“

„Warum?“, fragte Sherlock in seiner üblichen emotionalen Naivität.

„Weil sie erwachsen ist.“, stöhnte John. „Es ist ihr Leben.“

Der zerzauste Lockenkopf von Sherlock lugte nun aus der Schlafzimmertür hervor, das er nur kurz zuvor betreten hatte und er hielt sein Handy in der Hand.

„Das bedeutet nicht, dass sie keine Rettung benötigt. Also, pack deine Tasche und lass uns gehen!“

„Nein! Nein! Nein!“, rief John beinahe verzweifelt aus und schüttelte fassungslos den Kopf. „Sherlock, du übertreibst! Sie würde es dir niemals verzeihen, wenn du jetzt rüber fliegen würdest. Es würde für sie bedeuten, dass du ihr nicht vertraust und nicht auf ihre Wünsche achtest. Meine Güte! Wir haben es ihr angeboten- ob direkt oder indirekt- und sie hat mehrfach abgelehnt.“

„Was sollen wir also tun, John? Sag es mir! Was soll ich tun?“, fragte Sherlock mit tiefer Stimme.

„Gar nichts!“, antwortete er heftig. „Du kannst dich nicht einmischen! Es ist ihr Leben, sie muss es leben, ihre eigenen Fehler machen und daraus lernen. Sie will nicht, dass du auf deinem weißen Hengst heran galoppierst kommst und alles in Ordnung bringst. Sie will nur, dass du ihr zuhörst und Trost spendest. Allerdings…warum sie denkt, dass du dazu in der Lage bist, ist mir immer noch schleierhaft.“

Tief atmete Sherlock aus und schloss seine Augen.

„Ich kann nicht auf einem Pferd kommen. Wie sollte ich es überhaupt ins Flugzeug kriegen?“

„Ja, genau, weil das auch mein Punkt war.“, stöhnte er und drehte sich um. Er rollte genervt mit seinen Augen. „Lass sie einfach ihre eigene Erfahrungen machen. Du bist nicht ihr Vater!“

Sherlock blinzelte, sagte aber nichts. Langsam ging er zum Fenster, griff nach seiner Geige und begann gedankenverloren eine finstere Nocturne zu spielen, die ihm Catherine einst auf dem Klavier vorgespielt hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch 1-2 Kapitel, dann ist diese Zwischenarch vorbei und dann noch einmal 3-4 bis der erste große Höhepunkt endlich kommt :) Ich muss sagen, ich bin freu mich drauf ihn zu schreiben. Das ist rigendwie morbide :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mindpalace
2013-11-20T22:56:35+00:00 20.11.2013 23:56
Wow, Cath ist wirklich unglücklich. Ihr fehlen immerhin die zwei wichtigesten Personen in ihrem Leben... Ich hoffe diese zwei Monate gehen für sie schnell vorüber.
Ich musste lächeln als ich davon gelesen habe wie Cath und Sherlock Brieffreunde geworden sind. Sie haben so viele andere Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren, aber er hat sich trotzdem dafür entschieden ihr einen Brief zu schreiben. Ich fand auch die Vorstellung von Sherlock als ihren Retter auf dem weißen Hengst irgendwie... putzig xD Ich hätte das nur zu gern in echt gesehen.

Ich finds toll wie sehr John sie versteht und ihre Entscheidungen berücksichtigt.

Sie hat sehr gute Freunde in London gefunden und ich hoffe sie hat bald die Chance zu ihnen zurückzukehren.


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