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Wintersterne

Ein Panem Adventskalender
von

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Wintermädchen


 

     2.  Dezember – Wintermädchen

Peeta

 

Eisig kalt wehte der Dezemberwind um die Ecken der verwinkelten Gassen in Distrikt zwölf, während Peeta Mellark, der jüngste Sohn der Bäckerfamilie, mit tief in das Gesicht gezogener Kapuze versuchte, dem Wintersturm zu entgehen, der sich seit einigen Tagen angekündigt hatte und nun zu wahrer Größe fand. Hohe Schneewehen versperrten ihm den Weg und der viele Schnee durchnässte selbst seine dicksten Wintersachen. An und für sich fand Peeta Schnee wunderschön, vor allem, wenn er aus dem Fenster schaute. Im Moment allerdings durchnässte eben diese weiße Pracht seine letzten Wollsocken, die heute Morgen noch im Schrank gelegen hatten. Dennoch würde er die drei Kuchenpakete, die er eng an sich drückte, heute noch zu den Familien, die sie bestellt hatten, bringen. Ihm blieb sowieso keine Wahl, würde seine Mutter sonst furchtbar erbost werden. Sie hing mit vollstem Herzen an der Bäckerei und würde vermutlich alles für ein gutes Geschäft tun. Zwar war sein Vater mit ihrer Härte teils nicht konform, doch er wagte es selten, dies auch einzugestehen. Stattdessen kaufte er lieber hinter ihrem Rücken seine geliebten Eichhörnchen. Wenn Ella Mellark wüsste, dass beinahe jeden Freitag Troy Everdeen auftauchte und seinem Vater für ein paar Münzen einen Teil seiner Jagdbeute überließ, hätte sie wohl einen Herzinfarkt bekommen. Schon der Gedanke daran ließ Peeta lächeln. Er verstand sich einfach so viel besser mit seinem Vater und das lag nicht an ihrer gemeinsamen Vorliebe für Eichhörnchen, wie er ihm erzählte, sondern daran, dass er geduldig jeden Freitag mit seinem Vater wartete, nur um eventuell einmal Everdeens  Tochter Katniss zu sehen.

Fünf Jahre war er alt gewesen, als sie im Singkreis aufgestanden war, um aus voller Kehle den Valleysong zu singen. Er hatte es nie vergessen, wie ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten waren und ihr kariertes Kleid sich im Wind wiegte. Ein warmes Rot schoss in die Wangen des Jungen, während er an diese schöne Zeit dachte.

Jetzt jedoch sollte er sich lieber darum kümmern, seine mittlerweile erkaltete Fracht auszuliefern, sonst würde es wieder Schelte geben.

Vorsichtig erklomm er die gefrorenen Stufen zu dem Haus des Bürgermeisters. Wie immer hing ein kleiner Tannenkranz als einziger Weihnachtsschmuck an der Haustüre. Selbst der Bürgermeister musste in Distrikt zwölf mit der Dekoration geizen.

Energisch klopfte er an und die blondhaarige Tochter des Bürgermeisters, Madge Undersee, öffnete ihm freudig strahlend die Tür.

„Unser Kuchen“, freute das Mädchen sich.

Peeta seinerseits jedoch war nervös, weil er wusste, dass Katniss und Madge so etwas wie Freundinnen waren. Er wollte lieber einen guten Eindruck machen, nur für den eventuellen Fall, dass beide einmal… nun über ihn reden würden.

Der Brief in seiner Manteltasche, den er einst für Katniss geschrieben hatte, fühlte sich plötzlich unglaublich heiß an. Madge könnte ihn nehmen und ihr geben… nein. Wieder einmal traute sich Peeta nicht. Stattdessen gab er Madge höflich den Kuchen, nahm das Geld entgegen und wünschte dem mittlerweile hinzugekommenen Bürgermeister und Madge eine schöne Weihnacht, sowie gute Besserung für ihre Mutter, die immer noch mit schweren Leiden im Bett lag. Winkend ging er schließlich wieder, den brennenden Brief noch immer in der Tasche.

Schwer seufzte der Blondhaarige und angelte in seiner Manteltasche nach der Lieferliste, die seine Mutter ihm gegeben hatte. Die nächsten, denen er einen Kuchen liefern musste, war die Apothekerfamilie. Er versenkte die Liste wieder und ertastete dafür eine Kante des Briefes. Ohne ihn auch nur anzuschauen erinnerte er sich an den Namen darauf, für den er sich so viel Mühe gegeben hatte, mit Kringeln und Schwüngen. Katniss. Der Name war genauso schön wie sie. Auch der Inhalt hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, hatte er ihn doch so oft neu geschrieben, weil er nie zufrieden war. Dennoch würde sie ihn selbst jetzt nie erhalten.

Wie immer lächelnd überreichte er schließlich auch Marian Threelight ihren bestellten Kuchen, nahm das Geld entgegen und wünschte ein frohes Fest. Die letzte Adresse auf seiner Liste erregte jedoch seine Aufmerksamkeit, befand sie sich doch im Saum. Er war noch nie zuvor bei der Familie gewesen, doch er ahnte, warum eine Familie aus dem Saum sich einen Kuchen bei ihnen kaufte. Alle paar Jahre kam dies einmal vor und jedes Mal wieder verspürte Peeta diesen tiefliegenden Ärger. Er war nicht wütend auf diese Familien. Zumeist hatten sie ein äußerst freudiges Jahr gehabt, weil jemand geheiratet hatte oder die Kinder 18 geworden waren, sodass sie sich nie wieder vor der Ernte fürchten mussten. Nein, es war viel ärgerlicher, dass sie dafür all ihr Erspartes zusammenkratzten. Wie sehr wünschte er sich, er könne den Kuchen einfach verschenken, um der Familie wenigstens ein kleines Weihnachtswunder zu ermöglichen. Doch die Furcht vor seiner radikalen Mutter lähmte ihn dann. Natürlich war er sich seiner Schwäche bewusst. Jemand wirklich engagiertes hätte sich von einer Frau wie seiner Mutter wohl kaum einschüchtern lassen.

Der Weg zum Saum war vor allem von einem gekennzeichnet: Verfall. War zumindest der große Platz im Zentrum so gut es ging gekehrt worden, überdeckten hier die hohen Schneewehen die kleinen Hütten fast, aus vielen Schornsteinen kam kein Rauch und die Fenster waren mit Eisblumen aufgrund der schlechten Isolierung übersäht. Alles sprach für die große Armut in Distrikt zwölf. Peeta schätzte sich zwar glücklich, zu den wohlhabenderen Familien zu gehören, aber doch fragte er sich mitunter, wenn er seine Familie beobachtete, ob es nicht glücklichere Familien gab, auch wenn sie ärmer waren.

Kaum, dass er tiefer in den Saum hineinwanderte, fühlte er sich immer unwohler. Abgemagerte Kinder in viel zu dünner Kleidung standen da und beobachteten ihn, ihre Augen dunkel und groß. Er wünschte sich, dass man ihm seine Herkunft nicht ansehen könne, doch das war hoffnungslos.

Kurz vor seinem Ziel stolperte ein kleines Mädchen vor seine Füße, dass nur eine abgenutzte Strickjacke trug. Sie mochte vielleicht zwölf sein und entschuldigte sich immer wieder, aber sie sei gerade auf dem Weg zum Rathaus, um sich ihre Getreideladung abzuholen.

Er wusste sofort, was das bedeutete. Obwohl so klein, hatte sich das Mädchen bereits für Tesserasteine eingetragen. Dennoch lächelte sie und fragte aufgeregt, ob sie einmal die verzierte Torte sehen dürfe. Ohne zu zögern öffnete Peeta die Schachtel ein Stück und ließ sie hineinschauen. Fasziniert weiteten sich ihre Augen, als sie die kunstvollvollen Verzierungen aus Zuckermasse sah, die er erschaffen hatte.

„Wow, die ist wunderschön!“

Obgleich sie keinen Kuchen hatte, freute sie sich über den Anblick bereits. Diesmal zögerte Peeta nicht, sondern wickelte sich den warmen Wollschal vom Hals.

„Hier, nimm ihn. Als Ersatz für den Kuchen“, sagte er zwinkernd.

Erstaunt rief das Mädchen aus: „D-Danke!“

Zufrieden blickte er ihr hinterher, wie sie mit dem viel zu großen Schal um den Hals glücklich davon hüpfte. Es war nicht viel, aber ein Anfang.

Auch seinen letzten Kuchen lieferte er schließlich ab, wobei er am liebsten geflohen wäre.

Die Eltern feierten die Geburt ihrer Enkelin und obwohl alle ausgezehrt waren, freuten sie sich unheimlich und wünschten ihm ebenso euphorisch ein schönes Weihnachtsfest. Wehmütig betrachtete er das kleine Kind und fragte sich, ob und in welchen Hungerspielen es die Hauptrolle spielen würde.

Mit der Zeit hatte es wieder begonnen zu schneien, und dicke Flocken ließen sich auf Peetas Haar nieder. Fröstelnd schlug er den Kragen hoch und vergrub die Hände tief in den Taschen. Er sehnte sich bereits wieder den warmen Kamin herbei und stapfte schnell durch den Schnee, als er sie erspähte. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, eine viel zu große Lederjacke an und die Tasche prall gefüllt kam sie ihm in einiger Entfernung entgegen. Freundlich grüßte sie all die Bewohner der Häuser, an denen sie vorbeikam.

Katniss.

Er hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen. Aber er hätte es sich denken können, gehörte sie doch zu den armen Familien des Distrikts. Man konnte es an ihrem Körper ablesen, wie erschöpft sie war, doch sie schien glücklich zu sein, denn sie lächelte ungehemmt einigen Kindern auf der Straße zu.

Sie war sicherlich im Wald jagen gewesen, zumindest versprach ihre gefüllte Tasche das. Freude darüber, dass es ihr anscheinend gut ging, breitete sich in ihm aus, denn nach dem Tode ihres Vaters hatte das ganz anders ausgesehen. Ein Glück war dies bald 4 Jahre vergangen. Jetzt musste sie nur noch die nächsten Ernten überleben, dann wäre sie frei. Vielleicht würde er dann ja den Mut aufbringen, mit ihr zu sprechen, wenn das Schicksal es gut mit ihm meinte und sie vielleicht sogar einmal zusammen brachte. Aber unter den gegebenen Umständen würde es wohl für immer ein Traum bleiben.

Peeta Mellark, der jüngste Sohn der Bäckerfamilie lächelte, als Katniss Everdeen, seine geheime Schwäche, in nur einigen Zentimetern glücklich lächelnd an ihm vorbeiging, nicht ahnend, dass er einen Liebesbrief an sie in der Tasche trug. Denn er würde diesen Traum immer weiter träumen.

In den folgenden Wochen würde sich zu dem Brief in den Tiefen der Manteltasche ein Bild gesellen, das er heimlich malen würde. Und wer weiß, wann er es ihr zeigen könnte, seinem Wintermädchen…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Couscous
2012-12-05T16:39:19+00:00 05.12.2012 17:39
Hey ^^
Ich finde es unheimlich schade, dass du noch keine Kommentare bekommen hast, obwohl du dir so viel Mühe gibst und ganz alleine einen Adventskalender schreibst. Wo findest du nur die Zeit dafür? ^^

Ich habe mir grade diese Geschichte ausgesucht, weil ich Peeta einfach liebe und du ihm mehr als gerecht wirst. Dein Stil ist dieses Mal ganz wunderbar vorweihnachtlich (sehr passend ;D) und wie immer wundervoll zu lesen. Ich schmelze dahin wie eine Schneeflocke in der Sonne.

Wie gesagt, hast du Peetas Charakter äußerst überzeugend dargestellt. Sowohl mit dem Liebesbrief als auch die Geschichte mit dem Schal oder seine Angst vor der Mutter.

Dann sind immer wieder Anspielungen auf die Bücher, sodass sich deine Geschichte ganz hervorragend einfügt, so z.B. Madges Mutter oder die allgegenwärtige Gefahr der Hungerspiele.

Ich persönlich habe zwei Lieblingsstellen:
1.Peeta seinerseits jedoch war nervös, weil er wusste, dass Katniss und Madge so etwas wie Freundinnen waren. Er wollte lieber einen guten Eindruck machen, nur für den eventuellen Fall, dass beide einmal… nun über ihn reden würden. Soooooo süß ^^

2.Jetzt musste sie nur noch die nächsten Ernten überleben, dann wäre sie frei. Vielleicht würde er dann ja den Mut aufbringen, mit ihr zu sprechen, wenn das Schicksal es gut mit ihm meinte und sie vielleicht sogar einmal zusammen brachte. Aber unter den gegebenen Umständen würde es wohl für immer ein Traum bleiben. Einfach ganz wunderbar für jeden Fan der Trilogie, eine ganz tolles fore-shadowing

Mal sehen wie's weitergeht
Coco


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