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Laterna Magica

von

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Schreiben und Verbrennen

„Da bist du ja.“

Er erwiderte ihr Lächeln so wie er es immer tat, vielleicht schüchtern, vielleicht geheimnisvoll, es gab kein Wort, um diesen Ausdruck zu beschreiben. Dieser Mann an sich war ja ein Mysterium für sie. Nicht nur, weil er fremd wirkte und mit seinen markanten Gesichtszügen und dem langen Haar irgendwie exotisch aussah, sondern weil er etwas an sich hatte, etwas, das sie niemals benennen können würde, ganz gleich, wie sehr sie es versuchte.

Vielleicht ist das das Wundervollste an der Liebe, sie lässt uns Dinge sehen, die jedem anderen verborgen bleiben.

„Darf ich reinkommen?“

„Nein, hast du das „Wir müssen draußen bleiben“-Schild mit deinem Bild darauf nicht gesehen?“ scherzte sie und nahm ihm seinen Mantel ab. „Geh doch schon mal ins Wohnzimmer.“

Obwohl es nicht ihr erstes Date war, war sie aufgeregt. Ein bisschen ärgerte sie sich darüber, so euphorisch und gleichzeitig schrecklich nervös zu sein. Sie kam sich vor wie ein Teenager, der seinen ersten Freund nach Hause mitbrachte und ihn gleich den Eltern vorstellen wollte, aber das war sie nicht, sie war bereits Mitte 20 und FBI-Agentin.

Reiß dich verdammt nochmal zusammen Jodie!

Eilig schenkte sie zwei Weingläser ein und folgte ihm, wohlbedacht, keinen Tropfen zu verschütten. Bei ihrem weißen Flurteppich hätte das Resultat wohl auch ziemlich sicher einen mittelschweren Nervenzusammenbruch verursacht.

„Nett hast du es hier.“

Erleichtert, die Katastrophe erfolgreich abgewendet zu haben, stellte sie die Weingläser auf einen Beistelltisch und ließ sich neben ihn auf das Sofa fallen. „Du warst doch schon einmal hier.“

„Ja.“, schmunzelte er, aber ich hatte leider keine Zeit, die Einrichtung zu bewundern.

Ihr Gesicht begann purpurrot anzulaufen. „Oh… Und sonst warst du noch nicht hier? Naja, dann willkommen in meiner Wohnung.“

Er zwinkerte ihr zu. „Danke. Der Wein ist übrigens köstlich.“

„Italienisch, glaube ich.“ Sie rückte nervös ihre Brille zurecht, was ihm nicht entging und sein Grinsen noch ein wenig breiter werden ließ. „Aber sag mal…“, fuhr sie schnell fort, um die folgende peinliche Stille zu überbrücken. „Wollest du mir heute auf der Arbeit nicht was Wichtiges erzählen?“

Er seufzte. „Willst du jetzt wirklich über die Arbeit sprechen?“

„Ich bin eben neugierig!“

„Na gut…“ Er stellte sein Glas ab und blickte sie nachdenklich an, als müsste er sich einen Augenblick sammeln, bevor er anfing zu sprechen. Auf einmal wünschte sie sich nichts sehnlicher, als den Mund gehalten zu haben.

Das ist ein Date, musstest du das Gespräch ernsthaft auf die Arbeit lenken? Dabei ist das sicher unter den Top 10 der Romantik-Killer…

„Ich wurde für ein strenggeheimes Projekt ausgewählt.“

Sie blinzelte irritiert. „Was genau bedeutet das?“

„Dass ich nach Japan gehe. Mir wurde aufgetragen, mich eine Zeit lang als verdeckter Ermittler bei einer Verbrecherorganisation einzuschleusen.“

Aber der Dolch ist immer noch da…

„Was? Aber warum du? Du könntest verletzt werden! Du könntest sogar sterben!“

Ich könnte dich verlieren, jetzt, wo sich gerade etwas aus uns entwickeln könnte. Ich könnte dich verlieren! Wie herrlich egoistisch diese Welt doch ist.

„Es tut mir leid, Jodie. Außer mir hat keiner Erfahrung mit Japan, allein die sprachliche Barriere würde Probleme aufwerfen, die wir derzeit nicht brauchen. Mal abgesehen davon, dass sich ein Amerikaner womöglich von vornherein verdächtiger machen würde, als ein Einheimischer…“

„Aber du kannst nicht gehen!“

„Warum nicht? Es ist doch nicht für immer und danach…“

„Weil ich dich…!“

…liebe.

Auf einmal veränderten sich seine Augen. Nein, nicht nur die, sein ganzes Gesicht schien sich zu verändern, schien zu schmelzen und fremde Züge anzulegen, wie eine zweite Haut, eine teuflische Maske.

Nein, dachte sie, nein bitte, bitte nicht! Tu mir das nicht an! Ihr Herz pochte so laut, das sie glaubte, es würde jeden Moment in tausend Stücke zerbersten wie eine Zeitbombe.

NEIN!

Sie blickte in die blutunterlaufenen, toten Augen ihres Vaters, der sie spöttisch angrinste.

„Du LIEBST mich? LIEBST mich? Haha, du kennst mich doch gar nicht! Du weißt doch gar nicht, wer ich bin, du arme, kleine, hilflose Jodie…“
 

Mit einem lauten Schrei schreckte sie hoch. Schwer atmend, als hätte sie auf einen Schlag jeglichen Sauerstoff aus ihrem Körper gepumpt, richtete sie sich vollständig auf und blickte hektisch um sich. Von ihrem Vater war keine Spur zu sehen, allerdings auch nicht von Shuichi. Sie war ganz allein. Erleichtert stellte sie fest, dass unter ihrem Arm ein Zettel eingeklemmt war, ein Zettel verschmiert von Speichel und halb getrockneter Tinte. Sie musste eingeschlafen sein, während sie den Brief geschrieben hatte und einen extrem merkwürdigen Traum gehabt haben.

Merkwürdig, genau. Es ist einfach lächerlich, aberwitzig, absurd,…

Trotzdem fühlte sie sich auf einmal unbehaglich, fast so, als wäre der Traum noch nicht vorbei, als würde ein Teil davon noch in ihrem Kopf spuken und die Hand ihres Vaters gleich auf ihrer Schulter liegen. Nicht die warme, liebevolle, die sie kannte, sondern eine tote. Eine Knochenhand.

Und du sagst, du liebst mich? Wann warst du das letzte Mal an meinem Grab? Sollen wir die Toten nicht in Ehren halten?

„Sei still.“, zischte sie und hätte sich dann am liebsten selbst geohrfeigt. Wie in aller Welt kam sie dazu, mit einem Geist, nein, mit einer Ausgeburt ihrer Fantasie zu sprechen? Es wurde wirklich Zeit, ihr Leben in den Griff zu bekommen - oder eine Zigarette zu rauchen. Für eine spontane Beruhigung war das vermutlich sogar dienlicher.
 

Während sie auf dem Balkon stand und den tanzenden Nebelgestalten dabei zusah, wie sie eng umschlungen in die Finsternis glitten, wanderten ihre Gedanken unweigerlich zum angefangenen Brief zurück. War es nicht albern ihm einen Brief zu schreiben? Immerhin befand er sich vielleicht schon in der Organisation, wurde überwacht und würde durch sie auffliegen. Andererseits musste sie in dem Schreiben ja nichts von seinem Auftrag erwähnen, das wäre ohnehin schrecklich dumm gewesen. Einfach ein paar nette Worte von seiner Freundin, damit er sich nicht so einsam fühlte. Das war doch romantisch, oder nicht? Er würde das sicher zu schätzen wissen. Aber hatte Black ihnen nicht streng verboten, Kontakt zu haben? Konnte sie einfach eine Ausnahme machen?

Nein, natürlich nicht.

Sie würde den angefangenen Brief genauso verbrennen wie alle anderen, eigentlich wusste sie das bereits, wenn sie ihn begann, immerhin war es bei jedem Brief das gleiche.

Schreiben… verbrennen… schreiben… verbrennen…

Jeder normale Mensch hätte sie vermutlich für verrückt erklärt, aber irgendwie gab es ihr einen gewissen Halt. Es strukturierte ihre Tage, die ihr leer und unvollständig vorkamen, seit er gegangen war. Es war eine Art Tagebuch, dem sie alles beichten, alles anvertrauen konnte, während sie sein Lächeln vor sich sah und den Gedanken verdrängte, dass die Worte ihn niemals erreichen würden. Niemals konnte sie jemand lesen, denn sie wurden stets zu Asche, bevor sie sich der Welt offenbaren konnten.

Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Manchmal stimmte sie dieser Gedanke traurig, aber irgendwie hatte er auch etwas Beruhigendes, etwas Beständiges, das ihrem Leben genauso Rahmen und Rhythmus verlieh, wie ihr Beruf es tat. Es war ein Ritual, eine Gewohnheit, etwas, das jedem Menschen eine gewisse Befriedigung verlieh und ihm das Gefühl gab, gebraucht zu werden.

Wenn ich jetzt gehe, wer soll ihm dann morgen schreiben?

Manchmal war sie wirklich albern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Varlet
2016-01-04T10:25:03+00:00 04.01.2016 11:25
„Darf ich reinkommen?“
„Nein, hast du das „Wir müssen draußen bleiben“-Schild mit deinem Bild darauf nicht gesehen?“ scherzte sie und nahm ihm seinen Mantel ab

das ist mitunter meine Lieblingsszene in dem Kapitel. Ich fand die vergangene Geschichte zwischen Jodie und Shu einfach nur schön geschrieben. Am Ende war ich sogar teils geschockt. Für einen Moment dacht ich: nein, das kann er doch nicht sagen
und dann wars nur ein Traum. Gott sei Dank. Man merkt sehr gut, dass Jodie ihre eigene Vergangenheit sehr beschäfigt, und dass sie es bisweilen noch nicht geschafft hat, diese zu verarbeiten, obwohl das Verbrechen so viel Jahre her ist.
Jodies kurzes Selbstgespräch fand ich auch sehr authentisch. Im späteren Verlauf merkt man auch, wie wichtig Shu ihr ist und dass sie wirklich sehr an diesem Mann hängt. Wieder einmal konnte ich gut mit Jodie und ihrer Gefühlwelt mitfühlen und mich sehr gut in die blonde Agentin hineinversetzen. Wahrscheinlich braucht sie auch die Briefe,damit nicht alles aus dem Ruder läuft und sie wenigstens etwas Normalität hat. Und ich denke, es hilft ihr auch ungemein, diese zu schreiben, auch wenn sie sie nicht abschickt.



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