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Erzählungen aus Asgard

One-Shots
von

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Der Vetter

„Balder ist wieder da“, verkündete Loki, als er den Raum der Heilung betrat, in dem die Glorreichen Drei, Lady Sif und Thor es sich gemütlich gemacht hatten.

„Herrjeh!“, rief Fandral aus, „Sagt bloß, er kann jetzt auch noch hellsehen!“ Er saß mit dem Rücken zu Loki und wies mit dem Daumen über die Schulter auf ihn. Loki sparte sich eine Erwiderung, verwandelte Fandrals Wein jedoch mit einer unauffälligen Handbewegung in einen Haufen kleiner schwarzer Käfer.

Thors Reaktion auf seine Nachricht war von ganz anderer Art: Er war sofort aufgesprungen und blickte seinen Bruder erwartungsvoll an: „Wann ist er zurückgekommen? Und wann können wir ihn sehen?“ Er erntete einen strengen Blick von Sif, der ihn daran erinnerte, dass selbst Balder es nicht zu schätzen wusste, wenn kurz nach seiner Ankunft schon die Tür seines Gemachs aus den Angeln gehoben wurde, weil ein übereifriger Donnergott nach Abenteuergeschichten gierte. Thor räusperte sich und setzte sich wieder hin. Loki, für den mal wieder kein Platz war, blieb stehen und verschränkte die Arme. „Heimdall hat Vater von Balders Ankunft unterrichtet, als ich gerade bei ihm war. Es sieht so aus, als würde heute noch ein größeres Gelage zu Ehren des wiedergekehrten Helden stattfinden.“

„Wunderbar!“, sagte Volstagg.

„Oh ja, das ist es“, erwiderte Loki, doch sein Tonfall strafte seine Worte Lügen, „Du wirst dich sicherlich in Walhalla wähnen. Mal wieder. – Nun gut. Wir sehen uns heute Abend, Bruder.“ Thor nickte nur und sah schon wieder kreuzunglücklich aus, was wohl daran lag, dass das Verhältnis zwischen seinen Freunden und Loki einmal mehr schlecht war, seit sie ihn erneut solange aufgezogen hatten, bis er ihnen einen Streich spielte, der alle ihre Taten in den Schatten stellte. Während er den Raum verließ, sah der Magier aus den Augenwinkeln, wie Fandral sich zu seinem Becher beugte und grinste zufrieden in sich hinein. Kurz darauf erklangen Laute puren Ekels hinter ihm und er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Er stellte sich taub.

„Du meine Güte. Was hast du dieses Mal angestellt, hm?“

Loki hielt inne und wandte sich nach rechts. Halb rechnete er damit, dass Sigyn ihn wieder verfolgt hatte, um ihm ein paar Minuten seiner wirklich kostbaren Zeit zu stehlen. Aber es war nicht die junge, verspielte Asin, die ihn aufhielt. Viel schlimmer.

„Amora“, grüßte er kühl. Wenn sie sich dazu herabließ, mit jemandem wie ihm zu reden, der den ihr unwürdigen Rang eines Prinzen von Asgard besaß, musste sie ernsthafte Ambitionen haben. Und Loki konnte sich schon denken, um was es ging.

Amora löste sich von der Wand, an der sie sich geräkelt hatte, und hakte sich bei ihm unter, wie es Sigyn auch immer tat. Loki fragte sich besorgt, ob seine Gewänder vielleicht aus einem besonders weichen Stoff bestanden, der Frauen dazu verleitete, ihn permanent anzufassen. Oder er war ohne es zu bemerken einem Welpen ähnlicher geworden. Jedenfalls wurde es immer schwieriger, die Leute auf Abstand zu halten. Er sollte in nächster Zeit wieder etwas mehr Unheil stiften. Während seiner jüngsten Studien hatte er kaum Zeit für so etwas (ausgenommen natürlich notwendige Racheaktionen gegen Thors Freunde), und so hatte er seinen ganz besonderen Ruf wohl vernachlässigt.

„Mir ist etwas über dich zu Ohren gekommen“, sagte Amora in diesem Moment.

„Na?“

„Stimmt es, dass du eine der alten Schriftrollen der Magie entschlüsseln konntest?“

Nun, es war klar gewesen, dass es ihr darum ging. Wenn er jetzt den Kopf drehen und sie ansehen würde, hätte er mit Sicherheit einen prächtigen Blick auf ihre Brüste. Man hatte immer einen prächtigen Blick auf Amoras Brüste, wenn sie etwas von einem wollte.

„Was, wenn dem so wäre?“, fragte er und augenblicklich überschlug sie sich: „Oh Loki, du weißt doch, ich bin deine ergebene Schülerin! Und bist du nicht auch mein Schüler? Ich habe dich in die Grundprinzipien der Wassermagie eingeweiht, erinnerst du dich?“

Ja, tat er. Aber das war schon ein paar Jahrhunderte her, also beschloss er, dass dieser Gefallen schon längst verjährt war.

„Nun“, sagte er deswegen, „Ich muss dich enttäuschen. Ich habe den Spruch noch nicht vollständig entschlüsseln können. Du wirst verstehen, dass es unverantwortlich wäre, jetzt schon darüber zu sprechen, wo noch nicht einmal ganz klar ist, worum es eigentlich geht.“ Das war gelogen.

„Aber ich könnte dir behilflich sein!“, sagte sie eifrig, „Wir beide sind die talentiertesten Magier Asgards! Wenn wir uns zusammentun haben wir die Rolle schneller entschlüsselt als Thor Mjölnir zu sich rufen kann!“

„Amora.“ Er schlug einen Ton an, den er sich schon als Bengel bei seinen Lehrern abgehört hatte. „Du magst zwar eine talentierte Magierin sein, doch seien wir einmal ehrlich: Was Sprachen angeht, bin ich versierter als du. Und wir reden hier von einem sehr seltenen Dialekt unserer Sprache, der mehrere Jahrtausende alt und überdies nicht sehr weit verbreitet ist. Glaub mir, meine Liebe, dabei kannst du mir nicht helfen – auch wenn ich dein Angebot zu schätzen weiß.“

„Ich sehe schon, Loki, wir kommen auf keinen grünen Zweig!“, stieß sie theatralisch hervor. Sie beide hatten die Angewohnheit, immer überschwänglicher zu werden, wenn sie miteinander sprachen, weil jeder Dialog ein gegenseitiges Sich-ausstechen und Um-den-Finger-wickeln war. „Nun gut, aber ich kann es nicht ändern. Versprich mir, dass du mir eine Nachricht zukommen lässt, sobald du neue Erkenntnisse gewonnen hast. Bei mir wirst du Anerkennung finden, die dir ansonsten nicht zuteil wird“, schloss sie und gab sich jede Mühe, ihre Worte zweideutig klingen zu lassen. Bei der bloßen Vorstellung stellten sich Lokis Nackenhaare auf. Nein Danke, er verführte lieber selbst, als sich verführen zu lassen.
 

Der Rest seines Tages verlief ereignislos. Er verbrachte ihn über der erwähnten Pergamentrolle gebeugt, zog andere Schriftstücke zu Rate und korrigierte seine Fehler bei der Übersetzung. Seine Arbeit lag in den letzten Zügen. Er hatte nicht das gefunden, was er erhofft hatte – eigentlich war es etwas vollkommen anderes gewesen, so verblüffend, dass er wohl ein paar Minuten einfach dagesessen und gelacht hatte, als er es erkannte. Aber er hatte keinesfalls vor, jemandem von dieser Erkenntnis zu berichten. Nein, mit diesem Stück Pergament würde er noch viel Spaß haben, bis er ihr Geheimnis jemandem eröffnete.

Das Licht schwand zusehends. Er wartete nicht, bis jemand kam und die Kerzen anzündete, sondern beschloss, es für heute dabei zu belassen. Als er durch die stillen Korridore des Palastes zu seinen Gemächern ging, kam er an denen Balders vorbei. Die Tür war angelehnt und drinnen schob jemand eine Kiste über den Boden. Bei den Neun, wie lange hatte er keinen Fuß mehr in diese Räume gesetzt! Balder war eine halbe Ewigkeit fort gewesen. Er war durch alle Welten gestreift, auf der Suche nach Herausforderungen… und dem Sinn seiner Existenz. Odins Söhne waren noch viel, viel jünger gewesen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatten.

Loki überlegte nicht lange, bevor er handelte. In einer geschmeidigen Bewegung veränderte sich sein Körper, schrumpfte in sich zusammen und wurde schwarz wie die Nacht. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann strich ein sehniger Kater um die Ecke und verschwand in Balders Gemach.
 

Er blieb nicht lange unbemerkt. Kaum hatte er den Blick einmal schweifen lassen, erklang Balders tiefe, ruhige Stimme, die ihn an Heimdall erinnerte, auch wenn sie nicht die gleiche samtige Färbung hatte. „Na, kleiner Mäusefänger? Bist du mein Begrüßungskomitee?“ Zwei große, kräftige Hände schlossen sich um seinen Bauch und hoben ihn hoch. Balder setzte ihn auf seinen Schoß, und endlich konnte er das Gesicht seines Vetters sehen. Balder war gealtert. Nicht auf alarmierende Weise, doch deutlich erkennbar. Seine Abenteuer standen ihm ins Gesicht geschrieben. Die kleinen, dunklen Augen waren von mehr Fältchen umgeben und seine Haut war tief gebräunt und wettergegerbt. Durch sein beinahe schwarzes Haar zogen sich ausgeblichene rötlich-blonde Strähnen. Das einzige, was wirklich so geblieben war, wie Loki es kannte, war die Doppelreihe gerader, weißer Zähne, die Balder immer zeigte, wenn er lachte. So auch jetzt.

Der hünenhafte Ase musterte den Kater auf seinen Knien aufmerksam. „Sieh einer an“, brummte er, „Mir scheint, ich kenne diese Augen irgendwoher.“

Innerlich seufzte Loki. Er sprang zurück auf den Boden und stand augenblicklich als Mann vor seinem Vetter, der begeistert applaudierte. Loki verbeugte sich linkisch. Dann schlossen sie sich in die Arme. „Du bist gewachsen, mein Prinz“, stellte Balder fest, „Wo steckt dein Bruder? Ihr seid nicht mehr so unzertrennlich, wie einst, hm? Herrjeh. War ich wirklich so lange fort?“

„Thor wird es mir übel nehmen, wenn er erfährt, dass ich dich vor ihm gesehen habe“, entgegnete Loki, „Du wirst ihn mit einer Geschichte friedlich stimmen müssen.“

„Oh, keine Sorge. Wenn es etwas gibt, von dem ich genug besitze, dann sind es Geschichten“, sagte Balder, doch Loki entging der bittere Ton in seiner Stimme nicht. Er entschied, es schweigend hinzunehmen. Anders als sein Bruder wusste er, wie unangenehm es war, wenn jemand immer und immer weiter mit Fragen in einer Wunde bohrte, die noch nicht so weit verheilt war, dass sie keine Beschwerden mehr verursachte. Dieses Bohren schien Thors Spezialität zu sein, denn er konnte sehr hartnäckig, geradezu stur werden, wenn er Lokis Launen ergründen wollte.

Balder erhob sich. „Nun“, sagte er, „Ich werde heute Abend noch zur Genüge von mir erzählen müssen. Da du schon einmal hier bist, wie wäre es, wenn du mir erzählst, wie es euch hier in Asgard ergangen ist?“ Also machte Loki es sich auf einem gepolsterten Stuhl am Fenster bequem und erstattete Bericht, während Balder im Zimmer umherging und seine Truhen auspackte. Er erzählte ihm von dem langen Winter, in dem Eisriesen bis an die Tore Asgards gelangt waren und zurück geschlagen werden mussten. Es war Thors erste Heldentat für seine Heimat gewesen, und am Abend darauf hatte er sich das erste Mal besinnungslos gesoffen. Loki würde mit Sicherheit nie vergessen, wie er seinen Bruder am nächsten Morgen noch immer an der Tafel sitzend vorgefunden hatte, freilich tief schlafend, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Thor hatte sich an nichts erinnern können, und vielleicht war das auch besser so.

Dann die Schlacht, in die sein Bruder sie an Odins statt geführt hatte. Das kurze Gemetzel gegen Nornheim. Doch er kam nicht sehr weit mit seinem Bericht, denn auf einmal merkte er, dass Balder eigentümlich still geworden war. „Was ist los?“, fragte er. Der Hüne winkte ab. „Nichts, Loki, ich habe mich nur…an eine alte Geschichte erinnert.“

Das war gelogen. Wusste Balder nicht, dass er so etwas auf Anhieb erkannte? – Nein, fiel ihm ein, natürlich wusste er es nicht. Loki war nicht halb so verschlagen gewesen wie heute, als er gegangen war. Und, wenn man es genau nahm, nicht einmal halb so mächtig.

„Du erzählst die ganze Zeit von Thor und seinen Taten“, sagte Balder, offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln, „Ich weiß, dass du ihn sehr bewunderst. Oder zumindest hast du das als Kind.“ Er warf ihm einen forschenden Blick zu. „Aber sag, was ist mit dir selbst? Was tust du? Es hat nicht den Anschein, als würdest du deine Tage auf dem Kampfplatz verbringen. Und diese kleine Vorstellung von geradeeben war sehr aufschlussreich.“ Er hielt kurz inne, um ihn noch einmal von oben bis unten zu mustern. „Es ist doch Magie, nicht wahr?“ Wie viele Krieger Asgards stand er der Magie skeptisch gegenüber. Man genoss die kleinen Tricks, ja, aber stellte sich lieber nicht vor, was sonst noch alles mit Magie getan werden konnte. Außerdem waren die größten Magier Frauen. Karnilla zum Beispiel. Amora. In dieser Welt stellte Loki als Gestaltwandler eine groteske Ausnahme dar.

Loki spürte den kurzen Stich der Enttäuschung. Er hatte keine Lust, Balder von sich zu erzählen. Nicht nur, weil er sich so gern der Kunst hingab, die sein Vetter nicht verstehen wollte. Er würde schon noch früh genug von seinen Untaten zu hören bekommen; spätestens dann, wenn er Sif fragte, warum ihr Haar jetzt schwarz war.

„Balder, ich versichere dir“, sagte er schließlich kryptisch, „Die Magie ist nicht bloß schlecht. Ohne meine Hilfe wäre Thor schon mindestens dreimal verreckt. Auf verschiedene, unschöne Weisen.“
 

Balder, so stellte sich heraus, hatte trotz seines beträchtlich gewachsenen Repertoires an Geschichten keine große Lust, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Man bedrängte ihn gleich zu Beginn des Gelages von allen Seiten und er wirke, als wäre ihm alles andere als wohl in seiner Haut. Dann ließ Odin seine mächtige Faust auf den Tisch krachen und gebot den Wissbegierigen zu schweigen, bevor er Balder an seine Seite beorderte und in ein Gespräch verwickelte. Seine Söhne saßen ihnen gegenüber, konnten wegen des Lärms jedoch nichts verstehen. Da Thors Freunde heute ein gutes Stück von ihm entfernt platziert worden waren, war er ungewöhnlich ruhig und verlegte sich darauf, seinen kleinen Bruder unter den Tisch zu trinken. Das gelang ihm natürlich nicht; Loki verwandelte jeden zweiten seiner eigenen Becher Met heimlich in Wasser. So wurde Thor schneller betrunken, als ihm lieb sein konnte. Als sich die Tafelrunde langsam auflöste und einige Asen aufstanden, um durch die Halle zu gehen und mit anderen ins Gespräch zu kommen, lallte er bereits deutlich.

„Ach, es ist eine Schande!“, sagte er zu Loki und hätte sie beinahe hintenüber kippen lassen, weil er sich schwer auf die Schulter seines Bruders stützte, „Balder zieht eine Miene wie drei Tage Regenwetter. Was mag ihm nur wiederfahren sein, frag ich mich, ich meine, er sollte froh sein, so viele Abenteuer erlebt zu haben, ich meine… was ich sagen will, ist… Jeder wäre glücklich darüber!“

„Er wird schon irgendwann den Mund aufmachen“, entgegnete Loki gelangweilt und schob Thor von sich weg. Der Blonde hielt sich an der Tischplatte fest und machte eine Geste, um noch mehr Met zu bekommen. Im gleichen Moment legte jemand eine Hand auf Lokis Schulter. „Mein Prinz, gewährt mir Unterschlupf.“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, hatte sich Amora zwischen die Odinssöhne auf die Bank gedrängt.

„Vor wem fliehst du, Schönste?“, fragte Thor sofort, dem es nie entging, wenn eine Frau sich in seiner Nähe aufhielt.

„Fandral.“ Amora verdrehte vielsagend die Augen. „Über was reden die hohen Herren?“

„Balders Schweigen“, entgegnete Loki kühl. Amora warf dem Erwähnten einen flüchtigen Blick zu. „Ja, etwas scheint ihm auf seiner Reise die Sprache verschlagen zu haben. Wenn du mich fragst, mein Lieber…“ Mit diesen Worten bedeutete sie Loki, sich zu ihr zu beugen, damit sie ihn sein Ohr sprechen konnte. „Von Magier zu Magier: Du kennst Karnilla?“

„Natürlich.“

„Nun, gib Acht: Balder weilte eine Zeit lang auf Nornkeep.“

Loki konnte nicht verhindern, dass seine Augenbrauen in die Höhe schossen. „Interessant.“

„Nicht wahr? Sie ist eine Schöhnheit. Es ist nur natürlich, dass Balder ihr verfallen ist.“

„Wie du meinst“, sagte Loki, „Woher hast du diese Informationen?“

Amora hob einen Zeigefinger. „Nicht so voreilig, süßer Prinz. Wie wäre es mit einem Handel? Eine Antwort auf deine Frage gegen eine Antwort auf meine Frage von heute Nachmittag: Was hat es mit der Schriftrolle auf sich?“

„Oh“, machte Loki und spielte Bedauern, „Wenn das so ist, muss mein Wissensdurst wohl erlöschen.“

„Schade.“ Sie machte eine Handbewegung in der Luft, als wollte sie etwas formen. Es erschienen ein paar Dunstfetzen, die sich kurz darauf zusammenballten und einen Becher formten, den sie ergriff. „Du weißt, ich ziehe es vor, meine eigenen Trinkgefäße zu benutzen“, erläuterte sie und setzte den Becher an die Lippen. Dann hielt sie ihn Loki hin, doch der lehnte mit einer dankenden Kopfbewegung ab. Eine der obersten unausgesprochenen Regeln der Magier lautete, niemals von einem anderen Magier einen Becher anzunehmen. Amora hob nur die Schultern und stellte das Gefäß auf die Tafel. Sie holte Luft, um etwas zu sagen, doch da schnitt Thor ihr das Wort ab: „Oh, Liebes, ist das etwa Met?“ Und griff nach dem Becher. Amoras Augen weiteten sich vor Schreck und Loki rief „Thor, nicht!“, doch da war es schon zu spät: Thor stürzte den Inhalt des Bechers mit einem Zug hinunter. Sogleich nahm seine Miene einen abwesenden, aber zufriedenen Ausdruck an.

„Bei den Neun!“, stieß Amora hervor.

„Was war in dem Becher?“, fragte Loki. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es sich nicht um Met gehandelt hatte. Selbst dass Amora aus dem Gefäß getrunken hatte, war kein Grund, ihr zu vertrauen. Die meisten Magier wussten, wie sie sich vor ihren eigenen Zaubern schützten. Vermutlich hatte sie ihn mit Hilfe eines Trankes dazu bringen wollen, ihr das Geheimnis der Schriftrolle zu enthüllen.

„Ein…ein Wahrheitstrank“, antwortete sie zögerlich.

„Bei Odins mächtiger Lanze!“, sagte Loki laut, realisierte im Bruchteil eines Augenblicks, was er ausgesprochen hatte, schüttelte diesen Gedanken sofort wieder ab und sprang auf, um an Thors Arm zu zerren. „Komm, Bruderherz, der Abend war lang genug, ich bringe dich in deine Gemächer!“

Thor trug sein Herz eigentlich immer auf der Zunge. Aber ein Wahrheitstrank konnte diesen Zustand noch viel schlimmer machen. Thor musste aus der Halle geschafft werden, bevor er irgendetwas Peinliches ausplauderte.

„Aber Bruder!“, rief der Blonde, „Du bist noch nüchtern! Ich will dich einmal betrunken sehen, komm schon, einmal!“

„Beizeiten, Thor, beizeiten!“ Loki legte sich einen der massigen Arme um die Schultern, „Ich verspreche es!“

„Du hältst deine Versprechen nie!“ Thor hörte sich an wie ein beleidigter Bengel.

„Dieses Mal schon, ich schwöre! Nun komm!“

„Loki, du bist die schlimmste Matrone Asgards, weißt du das?!“

„Halt den Mund, Thor!“, fauchte er zurück. Innerlich verfluchte er Amora aufs Fürchterlichste. Inzwischen hatten sie die Aufmerksam der halben Tafel auf sich gezogen und ob Thors Beleidigungen erklang das erste Gelächter. Wunderbar.

„Kommt, ich helfe euch.“ Balder erschien auf Thors anderer Seite und griff ebenfalls nach dessen Arm. „Bringen wir ihn lieber ins Bett.“
 

„Was ist passiert?“, fragte der Krieger, sobald sie den Saal verlassen hatten. Loki fasste das Geschehene kurz zusammen. Ihm entging nicht, wie Balder bei der Erwähnung des Trankes missbilligend den Mund verzog und fügte hinzu: „Es war ein Versehen! Normalerweise wird Thor nicht mit hineingezogen, wenn ich mich mit Amora messe.“

„Glaub mir, das ist auch besser so. Manchmal habe ich das Gefühl, ihr Magier habt nur Unheil im Sinn. So etwas sollte unter euch bleiben!“

Loki biss sich auf die Unterlippe und sagte nichts. Er war enttäuscht von Balder. Es stimmte, er war immer für Untaten zu haben und liebte es, Asgard im Chaos versinken zu lassen. Doch er sah nicht ein, dass Balder ihm deswegen, und nur deswegen, auf einmal mit so großer Skepsis entgegentrat.

„Du darfst Loki nicht verurteilen, Balder“, meldete sich Thor wieder zu Wort. Er lallte noch immer ein wenig, und der Trank musste ihn auch körperlich geschwächt haben, denn er ließ sich mehr tragen als dass er selbst lief. „Er ist ein guter Kerl. Ein bisschen verrückt manchmal, aber du müsstest ihn sehen, wenn er neue Sprüche lernt, das ist faszinierend!“

Loki runzelte die Stirn. „Thor, woher weißt du…?“

„Ich beobachte dich“, sagte Thor und grinste ihn an wie ein kleiner Junge, „Wenn man auf die Eiche im Garten klettert kann man genau in dein Zimmer sehen!“

„Ich bitte dich, Bruder, halt den Mund“, stieß Loki zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er schwor sich, den Ast, auf dem Thor zu sitzen pflegte, beizeiten ausfindig zu machen und anzusägen. Niemand sollte es wagen, einem Magier beim Erlernen seiner Kunst zuzusehen!

„Du kannst mir nicht einfach den Mund verbieten, ich bin der Ältere von uns!“

„Jaja.“ Und dann würde er sich bei Amora angemessen für den vermaledeiten Wahrheitstrank revanchieren.

Als sie vor den Türen zu Thors Gemächern standen, murmelte Loki einen kurzen Spruch und die beiden Flügel schwangen sanft nach innen. Einige weitere Worte entzündeten reihum die Kerzen und den Kamin. Balder reagierte leider gar nicht darauf.

„Würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte Loki ihn, als sie Thor auf sein Bett gesetzt hatten, wo er mit einem verzückten Lächeln die Beine von sich streckte. Balder nickte.

„Lass bitte nach Sigyn schicken. Sag nicht, warum, aber sag, dass ich sie brauche.“ Als der Hüne gegangen war, setzte er sich neben Thor. „Nun, Bruder.“

Von Thor kam ein leises, wissendes Lachen. „Ich wusste es“, sagte er.

„Was?“

„Sigyn.“ Der Blonde hob die Hand und pikste Loki mit dem Zeigefinger in die Brust. „Du und Sigyn. Ihr beide. Ich wusste es.“

„Beim Barte unseres Vaters, Thor…“ Entnervt legte Loki eine Hand an die Stirn.

„Wie ist sie?“, fragte Thor, „Sag schon. Ihr macht es doch, oder? Ich bin neidisch, Bruder. Sie hat wundervolle Brüste…“

Loki schwieg. Thor stichelte noch eine ganze Weile weiter, kichernd wie ein Mädchen, doch dann erkannte er wohl, dass er nichts aus dem anderen rausbringen konnte und unterließ es. Unbehagliche Stille breitete sich im Raum aus und Loki registrierte verwirrt, dass es ihm normalerweise nichts ausmachte, einfach neben seinem Bruder zu sitzen und nichts zu sagen. Heute war es anders, als stünde etwas zwischen ihnen, und ihn befiel der Verdacht, dass dieses Etwas aus ein paar fiesen Streichen und falsch platzierten Worten bestehen könnte. Resigniert schloss Loki die Augen. War denn im Moment die ganze Welt gegen ihn? Eine leise Stimme in seinem Kopf äußerte sofort darauf die Vermutung, dass er sich daran gewöhnen sollte, weil er es ganz sicher irgendwann schaffen würde, mehr als eine Welt gegen sich aufzubringen.

„Loki, es tut mir leid, dass Sif und die Glorreichen Drei so schlecht auf dich zu sprechen sind.“ Thors Worte rissen ihn aus seinen Gedanken und er blinzelte verwirrt. „Wie?“

„Ich weiß, dass ihr euch nicht sonderlich mögt“, fuhr Thor fort und sah ihn aus weit geöffneten Augen an, „Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass du nichts Böses im Schilde führst und dass sie ziemlich oft selbst Schuld daran sind, wenn du ihnen Streiche spielst. Aber du kennst sie ja. Sie sind stur.“

„Nicht sturer als ich selbst“, sagte Loki, der spürte, wie etwas in ihm unter Thors Blick verdammt weich zu werden begann. Er rührte ihn, dass sein Bruder trotz allem immer nur das Gute in ihm sah. Dabei wusste er inzwischen selbst, dass er dafür auf Dauer einfach nicht geschaffen war. Seine Affinität zum Unheil würde sie beide wahrscheinlich irgendwann ins Verderben stürzen. Und während Loki schon jetzt darauf vorbereitet war, würde es Thor wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen.

„Eure Streitigkeiten sollen nicht zwischen uns stehen“, sagte der Blonde jetzt, „Aber ich will auch nicht zwischen ihnen und dir entscheiden müssen, Bruder. Das wäre nicht gerecht.“

„Thor“, entgegnete Loki, „Ich verstehe nicht, warum ich als der Jüngere von uns immer der bin, der dir die Weisheiten des Lebens unterbreiten muss. Nun hör zu und lerne deine Lektion“ Er hob den Zeigefinger. „Nimm dir nicht immer alles zu Herzen. Wenn die Lady Sif oder deine Glorreichen Krieger sich mit mir streiten –ignoriere es. Wir führen keine erbitterte Fehde. Es ist mehr ein… Kräftemessen. Lehn dich zurück und genieße es, denn ganz ehrlich: In Asgard gibt es selten so gute Duelle zu sehen, wie solche, in denen ein talentierter Magier wie ich einer bin, involviert ist.“ Er fand, er hatte das Schiff ganz gut in den Hafen gebracht. Thor musste das auch denken, denn plötzlich stürzte er sich auf ihn und zog ihn in eine stürmische Umarmung, die Loki mit einem Schlag in ihre Kindheit zurückkatapultierte. Thor hatte ihn seit Jahrhunderten nicht mehr so kraftvoll an sich gedrückt. Nicht einmal nach der Schlacht gegen Nornheim. Lokis erschrockenes Keuchen wurde an Thors Schulter erstickt.

Verdammter Wahrheitstrank.

„Bruder, du weißt gar nicht, wie das auf mir gelastet hat“, sagte Thor, doch er ließ ihn nicht los, „Ich meine, du weißt Vieles nicht. Ich brauche dich, Loki. Ich wüsste nicht, was ich tun soll, wenn du dich von mir abwandtest, doch mit deinen Untaten erschreckst du mich jedes Mal und ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Du wirst mich doch nicht verlassen, oder, Loki? Du musst an meiner Seite bleiben. Ohne dich würde ich es nie schaffen, Asgard zu regieren.“ Im Schutze von Thors Körper weiteten sich Lokis Augen. Normalerweise drückte sich Thors Bruderliebe in Gesten aus, nicht in Worten. Und selbst diese Gesten waren immer seltener geworden, vielleicht aus Anstand oder Männlichkeit oder ähnlich Absurdem. Diese Umarmung und Worte waren beinahe schon zu viel des Guten. Loki hätte nie damit gerechnet, wie sehr er Thor mit seinen Taten, die ja nicht einmal gegen ihn gerichtet waren, wirklich traf. Seltsamerweise verletzte ihn diese Erkenntnis.

Er schob den Blonden von sich weg. „Du darfst an Vielem zweifeln, Bruder“, sagte er, „Seien es meine Fähigkeiten. Sei es mein Verstand. Du wärest nicht der einzige. Doch ich bitte dich, zweifle niemals daran, dass ich dich liebe.“ Auf Thors Gesicht breitete sich pure Erleichterung aus.

„Ich werde dich nicht verlassen“, fuhr Loki fort und meinte jedes Wort ernst. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Wahres gesagt. „Wenn du auf Asgards Thron sitzt, bin ich an deiner Seite. Wenn du mich brauchst, bin ich da. Du wirst vielleicht nicht immer glücklich darüber sein…“

„Wie sollte ich?“, unterbrach Thor ihn.

„Es liegt in meiner Natur, anderen Sorgen zu bereiten“, sagte Loki und lächelte müde, „Das müsstest du doch wissen.“ Thor packte ihn bei den Schultern und sah ihn einfach nur an. Es war erschreckend, wie viele Gefühle sich in seinem Gesicht wiederspiegelten. Loki ging auf, dass selbst sein Bruder mehr Gedanken vor der Welt verbarg, als er zeigte. Es schockierte ihn. In seiner Vorstellung war Thor die aufrichtigste Person, die er kannte. Er wollte, er hätte die Wahrheit nie gesehen.
 

In diesem Augenblick kehrte Balder zurück. An seiner Seite war nun tatsächlich Sigyn, die sofort zu den Odinssöhnen trat und Thor besorgt musterte. „Balder sagt, Amora habe ihn vergiftet.“

Loki schloss die Hände um Thors Handgelenke und löste sie sanft von seinen Schultern. Thors Miene zeigte einen deutlichen Wandel: Er lächelte Loki noch einen Augenblick lang befreit und strahlend an und erlaubte sich dann, sich wieder alltäglicheren Dingen zu widmen. In diesem Fall Sigyns Ausschnitt, der sich auf seiner Augenhöhe befand. Als sie seinen Blick bemerkte, richtete sie sich schnell wieder auf. „Meine Güte, was hat sie ihm gegeben?“

„Es war ein Wahrheitstrank“, sagte Loki, „Und er hat genug getrunken, um eine Woche lang so zu bleiben. Du musst mir einige Dinge für ein Gegengift besorgen.“ Sie nickte und er zählte ihr einige Zutaten mit klangvollen Namen auf. Balder, der sich im Hintergrund hielt, blickte immer verständnisloser drein. „Ach, und Sigyn“, fügte Loki hinzu, als sie sich schon zum Gehen wendete, „Sei diskret. Der Allvater muss nicht erfahren, dass sein Sohn ein größeres Problem als einen schweren Kopf hat.“

„Natürlich“, sagte sie, „Soll ich alles in deine Gemächer bringen?“

„Ja. Ich komme nach. Zuerst muss ich irgendwie dafür sorgen, dass Thor keine Dummheiten macht, während wir den Trank brauen.“

„Vielleicht solltest du ihn in Schlaf versetzen?“, schlug sie vor, doch Loki schüttelte den Kopf.

„Ich will ihn nicht zu vielen Zaubern auf einmal aussetzen.“

„Dann gebe ich auf ihn Acht.“ Balder trat wieder vor und blickte ernst auf die drei jungen Asen herab. Instinktiv wollte Loki etwas einwenden, denn er war nicht sonderlich erpicht darauf, dass Thor aus dem Nähkästchen plauderte, während er nicht anwesend war. Doch im Augenblick fiel ihm kein guter Grund dafür ein, warum Balder nicht hierbleiben sollte. Also fügte er sich. „Wenn es Probleme gibt, weißt du, wo ich bin“, sagte er und bedeutete Sigyn mit einem Kopfnicken, dass sie ihm folgen sollte. Bis er durch die Tür schritt, spürte er Balders Blick auf sich.
 

Der nächste Morgen fand einen erfrischten Thor, eine zerzauste Sigyn und einen übernächtigten Loki auf dem Balkon in den Gemächern des Ersteren sitzend wieder. Thor hatte nur noch verschwommene Erinnerungen an die Nacht und zehrte von der belebenden Wirkung des Gegengiftes, das sein Bruder ihm eingeflößt hatte. Sigyn hielt einen Becher in der Hand, der ihr aber jedes Mal zu entgleiten drohte, wenn sie kurz einnickte. Loki hatte die Augen gegen das Licht verschlossen, denn selbst Asgards ewige Dämmerung blendete ihn. Er war es gewohnt, nächtelang durchzuarbeiten, doch nach all den Wochen, die er nun schon mit der geheimnisvollen Schriftrolle verbracht hatte, waren auch seine Kräfte erschöpft. In seinem Schädel pulsierte der Schmerz. Am liebsten würde er in seine Gemächer gehen, alle Vorhänge zuziehen und den Tag im Bett verbringen, aber sie rechneten jeden Moment damit, dass der Allvater sie zu sich rief, damit sie bei irgendeiner Audienz die Einigkeit der Königsfamilie repräsentierten. Sigyn war wahrscheinlich nur deswegen noch hier, weil sie in seiner Nähe sein wollte. Irgendwie rührend, aber auch ziemlich lächerlich…

Eine große Hand legte sich auf seine Schulter und weckte Loki, der erst in diesem Moment bemerkte, dass er kurz eingeschlafen sein musste. Er öffnete die Augen und blickte direkte in Thors Gesicht. Sein Bruder hatte sich über ihn gebeugt und musterte ihn mit leichter Sorge. „Du solltest schlafen.“

„Vater wird uns irgendwann rufen“, entgegnete Loki.

„Dann lasse ich dich wecken. Du würdest sowieso an Vaters Tisch einnicken, wenn du dich jetzt nicht hinlegst.“ Damit hatte er wahrscheinlich nicht einmal Unrecht. Loki warf noch einen Blick in die Runde und bemerkte, dass Sigyn sich in ihrem Sessel zusammengerollt hatte. Jemand, vermutlich Thor, hatte ihr den Becher abgenommen und eine Decke über sie gelegt. Zärtliche Gesten vonseiten seines Bruders? Das war etwas Neues. Endlich nickte Loki zustimmend und erhob sich schwerfällig. Thor folgte ihm bis auf den Gang, ging dann aber in eine andere Richtung davon, vermutlich, um die Glorreichen Drei zu finden. Bevor sich ihre Wege trennten, klopfte er ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter.

Erst beim Anblick seines Bettes ging Loki auf, wie müde er wirklich war. Es kam ihm vor, als hätte er seit Wochen nicht mehr auf diesen Laken gelegen. In der Luft hing noch der leichte Geruch nach dem Trank, den Sigyn und er in einem Nebenraum gebraut hatten. Es war eine der besseren Rezepturen. Normalerweise stanken Tränke fürchterlich.

Was hatte sich Amora nur dabei gedacht, ihm so ein Gift verabreichen zu wollen? Er wäre nie im Leben darauf hereingefallen. Unterschätzten sie ihn alle so sehr? Nun, er bekam kaum Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren. Alles war er tat, war im Grunde nur Spielerei. Doch er hätte nicht erwartet, dass selbst Asgards Magier derartig die Augen vor seinem Können verschlossen. Hatten sie vielleicht selbst keine Ahnung, wie weit man mit solchen Fähigkeiten kam?

Vielleicht spielten sie sich alle gegenseitig etwas vor. Loki gähnte. Wie dem auch sei. Jetzt brauchte er erst einmal Schlaf.
 

Balder und der schwarze Kater maßen sich stumm mit Blicken. Das Tier saß auf dem Fensterbrett und Balder stand mitten im Raum. Nach einer Weile wandte er sich ab und fuhr fort, Kleider in eine Truhe zu legen. „Was willst du damit bezwecken, hm?“, fragte er an den Kater gewandt, „Ja, ich gebe zu, ich bin beeindruckt. Aber du musst verstehen, Loki, dass es unheimlich ist. Du bist unheimlich.“ Er hob noch einmal kurz den Blick, der ungeniert von grünen Katzenaugen erwidert wurde. „Magie ist kein Spielzeug, Junge“, fuhr Balder fort, „Das solltest du wissen. Doch was höre ich von dir? Thor hat mir Vieles erzählt. Du spielst mit deiner Macht. Du weißt wahrscheinlich nicht einmal, was du damit anrichten könntest.

Ich habe immer gehofft, dass du dich irgendwann dafür entscheidest, es deinem Bruder gleichzutun. Ein ehrbarer Krieger zu sein, der offen mit geschmiedeten Waffen kämpft. Ich sage es dir, wie es ist, Loki, alles was du getan hast, hat mich nur misstrauischer gemacht. Was ist aus dem Jungen geworden, den ich hier zurückgelassen habe?“ Der Kater rührte sich nicht und Balder seufzte. „Ich habe so vieles gesehen, das mir Angst macht, und dann komme ich nach Hause und treffe dich und spüre Dunkelheit in dir. So viel Dunkelheit. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass es ein Schicksal gibt und dass man ihm nicht entkommen kann. Ich frage mich, was ist dein Schicksal, Loki? Was ist dir bestimmt? Und warum fürchte ich mich davor? Ich bete, dass ich mich irre, wirklich.“ Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. „Das sollte ich dir vielleicht gar nicht so offen sagen…“

„Mit wem sprichst du, Balder?“

Der Krieger fuhr herum. Im Türrahmen stand Loki, der amüsiert die Augenbrauen gehoben hatte. Verwirrt sah Balder zwischen ihm und dem Kater auf dem Fensterbrett hin und her. Loki folgte seinem Blick. „Ach, hier steckst du!“ Er ging auf den Kater zu und nahm ihn auf den Arm. „Normalerweise kommt er immer zu mir. Aber wie es scheint, ist er mir fremdgegangen.“ Das Tier wand sich und sprang schließlich auf den Boden, wischte um eine Ecke und war verschwunden. „Störrisches Vieh“, kommentierte Loki. Dann sah er zu Balder auf. „Ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte er und zog eine Pergamentrolle hervor, „Um dein Fernweh etwas zu lindern. Es ist eine sehr alte Schrift, von der man bisher glaubte, sie sei magisch. Ist sie aber nicht. Tatsächlich verbirgt sich in dieser Rolle die unterhaltsamste erotische Geschichte, die ich seit langem gelesen habe. Sie wird dir gefallen.“



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