Zum Inhalt der Seite

Ein Angebot

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die kalte Abendluft peitschte seine nassen Haare unnachgiebig immer wieder zurück in sein Gesicht, ließ den Schweiß eisig werden. Sein rasselnder Atem war das einzige Geräusch in der sonst so verräterisch perfekten Stille. Das Rasen seines Herzens dröhnte ihm in den Ohren, erfüllte seinen Kopf und ließ keinen Platz für weitere Gedanken. Er rannte, so schnell er konnte, so weit er konnte, rannte in die Nacht hinein, jagte die Wolken und war frei.
 

Freiheit…
 

Er wurde langsamer, kam zum stehen und atmete schwer, die Hände auf beide Knie gestützt. Seine Seiten schmerzten, der Schweiß brannte ihm in den Augen. Die filigranen Finger waren deutlich gerötet und ganz klamm von der Kälte. Erschöpft zog er das Stück Pergament aus seiner Tasche und murmelte ein Versprechen, dass er nie würde halten können.
 

„Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut…“

Wie sehr er sich wünschte, dass er das sein können würde. Ein Tunichtgut, ein Herumtreiber, ein junger Mann mit nichts weiter als ein paar wahnwitzigen Ideen um die Welt ein wenig durcheinander zu wirbeln. Aber heute war er noch viel weiter von diesem Leben entfernt als jemals zuvor. Er war ein Held, der Goldjunge von Gryffindor, der Erretter der Zauberwelt. Die Leute sahen so viel in ihm – nur nicht das, was tatsächlich da war.
 

Was bedeutet es, frei zu sein?
 

Es mochte egoistisch erscheinen, wie er sich verhielt, aber er wusste es nicht besser. Alle Türen der Welt standen ihm offen, man wartete gebannt, durch welche er schreiten wollte. Und er? Blieb stehen und zögerte. Er wollte nicht mehr Erwartungen entsprechen oder Pflichten eingehen. Jetzt, da er gesiegt hatte sollte er sich in neue Fesseln begeben, es hieß, er würde noch immer gebraucht.

Man hatte ihm eine Stelle als Auror angeboten in der Erwartung, dass er es nicht gutheißen könne, dass es noch Böses auf dieser Welt gab. Alternativ wollte man ihn als Botschafter des Friedens einsetzen, da man sich sicher war, dass er die magische Welt nicht uneinig verbleiben lassen könnte. Sogar den Posten als Lehrer in Hogwarts plus Studium hatte man ihm nicht vorenthalten, schließlich müsse der gefeierte Held doch geradezu danach verlangen, der Nachwelt sein wissen mitzuteilen und den künftigen Generationen als Vorbild zu dienen.
 

Aber all das war soweit von dem entfernt, was er wirklich wollte, von dem, was sein Herz mehr als alles andere begehrte. Als ihm Hagrid damals offenbar hatte, dass er ein Zauberer war war Harry sich absolut sicher gewesen, dass diese neue Welt, die sich im eröffnet hatte die Erfüllung aller seiner Wünsche darstellte.

Aller, bis auf einen einzigen…
 

Welchen Preis muss man zahlen, um Freiheit zu erlangen?
 

Fahrig suchten seine Blicke die Karte des Rumtreibers ab, hektisch die verschiedenen Namen scannend. In seiner geballten Faust hielt er einen kleinen Zettel, klammerte sich daran, als hinge sein Leben davon ab. Hunderte Namen las er, hundert Erinnerungen. Hermine, Ron, seine besten Freunde, denen er längst nicht mehr so nahe stand wie früher. Ron hatte ihm nachstürmen wollen als er die große Halle verließ.
 

Heute war ihr letzter Tag in Hogwarts, das große Abschiedsfest, die Siegesfeier für den Jungen der lebte, den Goldjungen von Gryffindor, der schon lange kein Held mehr sein wollte. Bis vor wenigen Minuten war ihm seine Zukunft schleierhaft und unwirklich vorgekommen, als wäre er aus einem langen Traum erwacht. Er hatte alles erreicht, was man von ihm erwartet hatte. Er hatte gesiegt.
 

Doch die Zauberwelt erwartete mehr. Mehr, als er bereit war zu geben.
 

Ja, Harry Potter hatte gesiegt, doch der Preis dafür war hoch gewesen, viel zu hoch. Er hatte auf vieles verzichten müssen, nur wegen seines Namens und jetzt war er erschöpft, zu müde, um sich noch einmal Erwartungen stellen zu können. Doch dieses eine Mal hatte es sein Schicksal gut mit ihm gemeint und ihm eine Türe, einen Ausweg geboten.
 

Kannst du hier wirklich frei sein?
 

Eine einzelne, schwarze Eule hatte ihm mitten während des Festmahls einen Brief überbracht, einen kleinen schäbigen Zettel, auf dem eine elegante Handschrift ihm in nur wenigen Zeilen ein Angebot gemacht hatte, dass seine Welt erschüttert und den Stein ins Rollen gebracht hatte. Er war aufgesprungen und losgerannt, hatte sich für einen Moment frei gefühlt, endlich zu tun, was er wollte, wann er es wollte, ohne dass die Welt ihre Augen auf ihn gerichtet hatte.
 

Sein Atem wollte sich nur langsam beruhigen als er sich der vertrauten Stelle am See näherte, den Blick suchend in die Dunkelheit gerichtet. Aber er würde den Absender des Briefes nicht finden, wenn dieser es nicht wollte. Das war schon immer so. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich hier trafen.
 

Ich habe dir vor langer Zeit ein Angebot gemacht, nimmst du es an?
 

Erschöpft kam er am Ufer des Sees endgültig zum Stillstand und ließ die Karte des Herumtreibers achtlos neben sich in den Sand fallen. Und endlich war er nicht mehr der einzige Punkt auf der Karte, die sich dort befand.

Warme, schlanke Arme schlossen sich von hinten um ihn, der Geruch von Regen stieg ihm in die Nase und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit lächelte Harry Potter wieder. Die Umarmung war unendlich sanft und dennoch genauso bestimmt. Tiefe Sehnsucht, die er lange mit sich getragen hatte kam in Harry hoch. Sehnsucht nach einer Person, einem so Moment, einer Sommernacht, die ihm ewig her vorkam.
 

In so einer Nacht saßen sie das erste und einzige Mal so zusammen, hatten sich kaum berührt und nur geschwiegen. Ein Blick hatte damals gereicht und beide wussten, wie lächerlich und sinnlos das war, was sie am liebsten in diesem Moment getan hätten. Und so taten sie es nicht, widerstanden dem Drang, sich endlich nahe kommen zu können. Stattdessen schwiegen sie. Bis – ja bis ER ihm ein wahnwitziges Angebot machte.
 

„Wenn alles vorbei ist werde ich von hier weggehen und nie wieder kommen, ich werde meinen Namen und alles was dazu gehört hinter mir lassen um endlich frei zu sein. Und ich will, dass du mit mir kommst.“
 

Damals hatte er gelacht, bitter und verzweifelt, denn der letzte Kampf war noch nicht geschlagen worden. Er war allein sitzen geblieben und hatte diese Idee ins lächerliche gezogen, während der andere längst ins Schloss zurück gekehrt war. Harry Potter konnte doch nicht davonlaufen. Zu viele Menschen verließen sich auf ihn.
 

IHN hatte er seit dieser Nacht nicht wieder gesehen, der Krieg hatte begonnen. Und sie hatten gewonnen. Doch Harry hatte mit der letzten Schlacht alles verloren. Der strahlende Held hatte seine Aufgabe erfüllt und war nutzlos geworden. Ihn hielt nichts mehr, er entfremdete sich zunehmend und wartete. Auf diesen Moment.
 

Und endlich war er gekommen.
 

Lächelnd drehte er sich in der Umarmung um. Blondes Haar kitzelte an seiner Stirn, als er seinen Kopf nach vorne beugte, seinen Händen endlich den lang gehegten Wunsch erfüllte, den schmalen Körper vor ihm zu berühren, fast gespenstisch sanft. Der Duft von Regen wurde noch viel stärker als er in die tiefgrauen Augen blickte und lautlos ein „Ja“ gegen die zu einem unglaublich zärtlichen Lächeln geformten Lippen flüsterte.
 

Er war Harry Potter, der Junge der lebte, der Held ihrer Welt. Seine Welt hatte sich längst geändert. Er wollte endlich das haben, was er am meisten begehrte. Ein Zuhause, Liebe, Freiheit. Und er war sich sicher, das alles gefunden zu haben und den Armen seines größten Widersachers, dem einzigen, der ihm die Stirn seit jeher bot, weil er ihn als einzigen je richtig verstehen konnte. Denn wer sonst als Draco Malfoy, der die Bürde eines Namens sein Leben lang getragen hatte, teilte sein Schicksal. Das Schicksal, stets Erwartungen erfüllen zu müssen, die andere an ihn stellten.
 

Er schloss die Augen und überbrückte endlich die letzten wenigen Millimeter, die sich noch zwischen ihnen befanden um mit rasendem Herz und einem Hochgefühl der Freiheit die Lippen des Mannes zu erobern, der ihm endlich die Tür zu seinem eigenen Leben aufgestoßen hatte. Dieses Mal würde er keine Rücksicht mehr darauf nehmen, was die Welt von ihm erwartete. Er würde fortgehen, hier und jetzt. Mit IHM.
 

In dem Moment, in dem auch der Brief den Weg zum Boden fand erloschen auf der Karte des Rumtreibers zwei Namen für immer. Ihre Geschichte hier war erzählt, die Rolle gespielt und der Vorhang gefallen. Es wurde Zeit, dass sie anfingen zu leben.
 


 

Wenige Stunden später war es Hermine, die die Karte aufsammelte und mit ihr den Brief. Schmunzelnd strich sie über das Stück Papier, um es anschließend in Flammen aufgehen zu lassen. Sie hatte Ron daran gehindert, Harry zu folgen, denn sie ahnte, dass es für ihn Zeit war zu gehen. All die Jahre hatte sie die Blicke bemerkt, die ihr Freund mit dem Prinzen der Slytherin ausgetauscht hatte, Blicke voll Sehnsucht nach einer anderen Welt, einer Welt für die beiden und sie war sich sicher, dass sie diese zusammen finden würden.
 

Noch Jahre später war dies das Ende der Geschichte um Harry Potter, dass sie ihrem ältesten Spross erzählte, der jedes Jahr zu seinem Geburtstag ein Paket ohne Absender von einem Helden, der auszog um zu leben, erhielt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tosho
2015-04-05T20:38:19+00:00 05.04.2015 22:38
Wow, echt der Hammer!
Unglaublich, dass du bis jetzt nur einen Kommentar hast...

Ich finde, das hast du echt super gemacht. Richtig toller Schreibstil, so gefühlvoll ... , echt gut!
Von:  Omama63
2012-06-19T06:47:32+00:00 19.06.2012 08:47
Ein schöner OS.
Hat mir gefallen.
Klasse geschrieben.


Zurück