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Krähenlied

von

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-Ankunft-

Kalt. Es ist kalt. Dieses Gefühl kennt sie nicht. Auch Schmerz ist ihr völlig unbekannt. Alles tut ihr weh. Doch ist es ihr gleichgültig im Gegensatz zu dem Verlust, den sie zu erleiden hat. Gepeinigt setzt sie sich auf. Der Boden ist sanft und kalt. Er ist so schön hell. Anders, als ihr restliches Umfeld. Trotzdem scheint er abweisend, wie sonst nichts. Sie legt eine Hand auf das Weiß. Sollte das etwa Schnee sein? Sie hatte ihn sich anders vorgestellt. Wärmer und freundlicher.

Diese ganze Welt hatte sie sich anders vorgestellt. Weniger fremd und dunkel. Sie zieht die Knie an und legt die Arme darum. Etwas Kühles berührt ihre Wange. Sie fasst an die Stelle. Etwas Kleines zerrinnt von der Wärme ihres Fingers. Wärme. Ihr Körper ist warm. Erschrocken nimmt sie den Finger von der Wange und betrachtet ihn. Ein Wassertropfen auf ihrer Fingerspitze. Sie atmet aus. Dampfwolken. Auch ihr Atem ist warm. Sie starrt noch immer den Wassertropfen an, als weiße Flocken auf ihrer geöffneten Hand landen und sofort schmelzen. „Schneeflocken“, flüstert sie. Ihre Stimme klingt ungewohnt laut. Sie hält sich die Ohren zu. Sie will nach Hause. Alles ist so anders. Doch sie weiß wohl, dass sie nicht heim kann. Nie wird sie ihre Heimat wieder sehen. Nie. Sie spürt, wie ihre Augen feucht werden. Tränen rinnen über ihr Gesicht. Noch nie hatte sie einen Grund zum Weinen gehabt, warum ausgerechnet jetzt?

Sie hört ein Geräusch hinter sich. Erschrocken springt sie auf und dreht sich um. Ein Vogel, ein schwarzer Vogel.

„Krah!“, macht er und legt den Kopf schief, als könne er mit ihr nichts anfangen. Neugierig hüpft er ein Stück näher. Sie weicht zurück. Der Vogel macht einen weiteren Hüpfer in ihre Richtung. Wiederum geht sie ein Stück rückwärts und stößt auf etwas Hartes hinter sich. Zögernd wendet sie den Blick von dem Vogel ab, um zu sehen, was hinter ihr ist. Ein Engel. Aber er rührt sich nicht. Starr steht er da. Sie streckt die Hand nach ihm aus, wagt es aber nicht ihn zu berühren. Er ist von Schnee bedeckt und seine Haut ist grau. Ebenso Gewand und Flügel. Die Augen starren blind geradeaus. Da erkennt sie, dass es nur eine Statue ist. Warum haben die Menschen ausgerechnet hier so etwas gebaut? Sie lässt die Hand wieder sinken. Wo ist sie? Was ist das für ein Ort?

„Krah!“, macht der Vogel. Erschrocken fährt sie herum. Doch der Vogel steht nicht mehr, wo er gerade eben noch gewesen ist. Sie sieht nach unten. Er steht neben ihr und schaut sie aus seinen klugen Augen an.

„Was willst du von mir?“, fragt sie und wundert sich erneut über ihre laute Stimme. Statt zu antworten pickt er mit seinem Schnabel nach ihrem nackten Fuß. Sie weicht hinter die Statue zurück, als ob der Engel sie vor dem Vogel schützen könnte. Doch er folgt ihr. „Geh weg!“, sagt sie. Er pickt wieder nach ihr. Den Vogel nicht aus den Augen lassend stolpert sie rückwärts. Der Vogel verfolgt sie weiter. Sie bleibt mit der Ferse an einer Wurzel hängen und fällt hin. Der Vogel flattert auf ihren Schoß und hackt nach ihrem Gesicht. Sie schlägt nach ihm. Doch das scheint ihn noch mehr zu motivieren. Schützend hält sie die Hände vor das Gesicht und rollt sich auf der Seite ein. Der Vogel pickt nach ihrem Arm. Ein neuer, stechender Schmerz, und etwas Flüssiges rinnt ihr über die Schulter.

„Kura!“. Das hacken hört auf. Trotzdem wagt sie es nicht aufzublicken. Sie zittert. Ihr ist kalt, ihr tut alles weh und sie will nach Haus. Erneut rinnen ihr Tränen über das Gesicht. Schritte. Sie kommen näher. Kurz vor ihr halten sie inne. Jemand geht in die Hocke, sie fühlt es, sie hört es. Sonst geschieht nichts. Es dauert, ehe sie blinzelnd die Augen öffnet. Der Schneefall ist dichter geworden. Direkt vor sich sieht sie zwei Stiefel. Eine Hand streckt sich nach ihr aus. Sie schlägt sie weg und will aufstehen, doch die Hand packt sie an der Schulter. Der Griff ist sanft.

„Ruhig, ich will dir nichts Böses!“, sagt eine sanfte Stimme. Die Hand lässt sie wieder los, sobald der Besitzer sicher ist, dass sie bleibt, wo sie ist.

„Kura hat dir Angst gemacht, ich verstehe. Gegenüber Fremden verhält er sich immer so.“, sind die nächsten Worte.

Langsam setzt sie sich auf, um dem Sprecher ins Gesicht sehen zu können. Er lässt sie gewähren. Auf seiner Schulter sitzt der schwarze Vogel. Sie will zurückweichen, wird aber erneut zurückgehalten. „Schon gut, er tut dir nichts!“.

Argwöhnisch schaut sie den Vogel an, dann in die Augen des Fremden. Zögerlich nickt sie. Ein Lächeln stiehlt sich über sein blasses Gesicht. Seine Augen sind so schwarz, wie ihr Umfeld, seine Haut aber so weiß wie der Schnee. Er trägt einen schwarzen Umhang, den er nun abnimmt und ihr überwirft. Sie spürt, wie es wärmer wird. Er steht auf und zieht sie mit sich nach oben.

„Eine trostlose Gegend, in der du abgesetzt wurdest.“, stellt er fest. Er schaut sie an, als erwarte er eine Antwort. Sie bleibt sie ihm schuldig, schaut nur zu Boden. Lange sieht er sie an, dann führt er sie zu dem Abbild des Engels. „Du bist nicht die Erste!“, sagt er und deutet darauf. Ihre Lippen beben. Eigentlich müsste sie widersprechen. Sie ist kein Engel. „W- was ist das hier für ein Ort?“, fragt sie stattdessen und lässt ihren Blick über den Schnee schweifen. Ihr fallen viele schwarze Steine auf.

„Ein Friedhof.“, sagt er leise. Verständnislos schaut sie ihn an. Er seufzt. Sein Atem steigt in die Luft, genau wie der ihre. „Hier werden die Körper der Menschen zur Ruhe gebettet, wenn ihre Seelen dorthin gehen, wo du herkommst.“. Sie lässt seine Hand los.

„Ich bin kein Engel!“, sagt sie dann doch.

„Was dann?“

Darauf gibt sie keine Antwort. Schaut nur stumm vor sich hin. Erinnert sich. Denkt daran, was vor dieser Welt war. Wärmt sich an der Erinnerung von dem heißen Sternenfeuer, dass sie einst umgab, in dessen Vergleich ihr Atem kalt war. Dann lächelt sie über ihre Hochmütigkeit gegenüber den Menschen, auf die sie Tag für Tag und Nacht für Nacht herabgeblickt hatte.

Er wartet geduldig, mit dem Vogel auf der Schulter. Es scheint, als hätte er alle Zeit der Welt.

„Wer bist du?“, fragt sie, doch bekommt nur ein Kopfschütteln zur Antwort. „Wer bist du?“, wiederholt sie die Frage.

„Verzeih, aber dies ist nicht so leicht zu beantworten.“

„Ich habe Zeit!“

„Das glaube ich gerne.“, ein weiteres Lächeln huscht über sein Gesicht. Dieses Mal erreicht es nicht die Augen. „Ich möchte dir helfen. Ich kann das aber nicht, wenn du mir nicht vertraust. Ich bitte dich erst einmal mit mir zu kommen. Ich schwöre, dass ich dir nichts tun werde.“, er sieht ihr direkt in die Augen und hält ihr seine Hand hin. Sie greift danach.

„Wo bringst du mich hin?“, fragt sie, als er sie weg führt von dem Engel und dem Friedhof. Weg von dem Schnee und der Kälte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2012-09-24T09:02:13+00:00 24.09.2012 11:02
*sprachlos bin*
mir fehlen mal wieder die Worte
Das ist schon echt der Hammer
Allein diese Beschreibung, wie einsam und verängstigt sie ist, wie verlassen und traurig. Deine Wortwahl ist da so perfekt und passend.
Und dann taucht da diese Krähe auf, die ich zunächst etwas unheimlich fand. Ist ja auch eine grausige Vorstellung, wenn so ein Vogel auf einmal anfängt auf einen loszupicken.
Zum Glück kam dann der Mann. Er war so offen und nett, genau das was sie in diesem Augenblick braucht
Sie scheint ein Stern zu sein. Das ist wirklich mal eine besondere Begegnung. Ich wette Sterne hat er noch nicht viele getroffen. ^^
Die Arme. Ob sie je wieder zurück kann in ihre Heimat.



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