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Graue Asche

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Graue Asche

Graue Asche

Hass ist wie Feuer. Rot. Feuerrot. Er nimmt das Herz eines Menschen ein und brennt. Brennt so lange, bis von den Herzen der Menschen nur noch Asche übrig ist. Graue, kalte Asche. Ein erstaunliches Gleichnis, doch noch erstaunlicher ist, dass es mir jetzt einfällt. Jetzt wo ich hier auf grauer, toter Erde stehe und die Asche meiner Zigarette zu Boden fällt. Aus diesem Blickwinkel gibt es keinen erkennbaren Unterschied zwischen dem Boden und der Asche… Erstaunlich…

Es begann alles an einem blassen Montag, einer dieser Tag, an denen es regnet und regnet und gar nicht mehr aufhören will. Doch bei diesem Regen hat man nicht das Gefühl, er würde den Schmutz vom Körper spülen. Nein, es fühlt sich so an, als würde es Staub regnen und dieser Staub bleibt am Körper kleben. Er drückt einen näher zum Boden. Und an die Realität.

Diese Tage sind keine Seltenheit hier in New York. Es regnet viel und der Himmel ist selbst wenn es nicht regnet dunkel und grau. Wie gesagt, an diesem Tag war es auch so. Und er sollte auch noch nicht heller werden…
 

Die Arbeit als Polizeiinspektor ist nicht erstrebenswert. Sie ist nicht so aufregend wie man sie sich vorstellt, sie ist nicht einmal besonders erträglich. Die Leiche, die wir untersuchten, lag auf dem schäbigen Boden eines winzigen, heruntergekommenen Apartments. Er trug Kleidung, die darauf schließen ließ, dass er nicht vorgehabt hatte, das Haus zu verlassen. Locker und bequem war er gekleidet und seine Position dort am Boden ließ ihn beinahe entspannt wirken. Wenn er nicht tot gewesen wäre.

Seine Vermieterin hatte ihn gefunden. Sie hatte sich Sorgen gemacht, da sie laute, polternde Geräusche von oben gehört hatte. Die arme, rundliche Frau wurde von meinem Kollegen ausgefragt und weinte vor Schock und Angst Wasserfälle.

Ich habe in meinem Leben viele Leichen gesehen, es ist nicht besonders. Menschen sterben. Zur Zeit des Krieges sterben sie in Massen. Und wenn sie anderen im Weg sind, dann auch. Die Welt ist schlecht. So etwas kommt vor… Seine Augen waren geschlossen, sein Körper lag ganz ruhig da. Nur an seinem Hals zeichneten sich geradezu sanfte Würgemale ab. Das war seine Todesursache.

Fingerabdrücke gab es keine. Man brauchte auch keine Tatwaffe, um jemanden zu erwürgen, die bloßen Hände genügten. Doch es erforderte Kraft und Überwindung, jemandem ins Gesicht zu blicken und solange auf seinen Hals einzudrücken, bis das Leben aus ihm wich. Solche Täter sind entweder sehr entschlossen… oder sehr verzweifelt.

Ich fischte in meiner Jackentasche nach einer Zigarette und meinem Feuerzeug, als sie auftrat. Ihre Stimme war fast schon anstößig dunkel für eine Frau…

„Ist es nicht pietätslos vor einer Leiche zu rauchen?“

„Der größte Teil meines Lebens besteht daraus, Leichen zu betrachten. Solange kann ich nun wirklich nicht aufs Rauchen verzichten“, gab ich schroff zurück.

Das entlockte ihr ein Lächeln. Ein gefährliches Lächeln. Unangebracht. Verführerisch. Die Art wie Frauen lächeln verrät viel über sie. Dieses hier sprach Bände. „Und die Beweise?“

„Lassen Sie die meine Sorge sein, Madame. Was machen Sie überhaupt hier? Sind Sie eine Bekannte?“

Ihre Augen hatten eine kalte, blaue Färbung, die Haare waren lang und blond. Sie trug ein zu kurzes Kleid, doch in ihrer Mimik gab sie sich keine Blöße. „Ein Kollege von Ihnen brachte mich her… Ich scheine verdächtig zu werden.“ Sie hielt meinem Blick stand und strich sich eine blonde Strähne zurück. Sie trug schwarze Handschuhe, doch es half nichts. Meinem Blick entging die Beule an einem ihrer rechten Finger nicht. Trotzdem zogen sie eine Zeit lang meiner Aufmerksamkeit auf sich. Ich konnte nicht erahnen aus welchem Material sie bestanden. Sie waren trotzdem fein und fraulich… aber das war kein Stoff. Es war etwas anderes…

„Kannten Sie den Toten?“, fragte ich ungeachtet von ihrem anziehenden Blick.

Sie nickte schwach und ihre Augen rollten einmal durch das Zimmer: „Er war mein Kellner. Ab und zu…“

„Er arbeitet also als Kellner?“

Wieder bewegte sich ihr Kopf leicht auf und wieder ab.

„Waren sie zum Zeitpunkt des Mordes hier im Haus?“

„Nein, ich bin gerade erst gekommen. Deshalb haben mich Ihre Leute wohl aufgegriffen.“

„Tragen Sie diese Handschuhe immer?“, ich interessierte mich nicht für ihre Augen, die gleichzeitig kühl waren und mich trotzdem gefangen nehmen wollten. Zumindest versuchte ich, das Interesse zu verdrängen.

Ihre roten Lippen formten sich zu einem amüsierten Lächeln: „Nicht… immer.“

„Nicht… immer?“, ahmte ich ihre gespielte verführerische Betonung nach und seufzte, „Der Mörder hat keine Fingerabdrückte hinterlassen. So wie es Personen tun, die Handschuhe tragen.“

„Oh…“, sie schien sich nicht ertappt zu fühlen, nicht im Geringsten. Sie beugte sich leicht an mir vorbei, um einen Blick auf die Leiche zu werfen. „Tut mir leid, Inspektor…“, sagte sie mit einem harten Blick, aber einer hauchenden Stimme, „Aber ich ziehe es schon vor, meine Männer zu zeichnen“, mit diesen Worten zog sie den linken Handschuh aus. Ihre Finger waren feingliedrig und dünn, doch die Nägel wirken stabil, trotz ihrer Länge und waren in einem tiefen roten Farbton gefärbt. Dass diese Farbe einen praktischen Grund hatte, sollte ich erst noch erfahren…

So endete unsere erste Konversation. Sie nannte den Namen des Taxifahrers und er konnte bestätigen, dass er sie genau zehn Minuten nachdem die Leiche gefunden worden war, vor dem Gebäude abgesetzt hatte…
 

Ihre Lippen sehe ich noch jetzt vor mir. Rot. So unbeschreiblich rot…

Ich habe gewusst, dass sie zu der Sorte der gefährlichen Frauen gehört. Nicht die Art von Frau, die einen Mann hat und ihr Leben am Herd verbringt. Nicht die Art von Frau, die nur zum Einkaufen das Haus verlässt. Nein, das war sie nicht. Sie war gefährlich. Und doch war ich ahnungslos, wie gefährlich sie eigentlich wirklich war.

Meine Zigarette ist aufgeraucht. Der Rauch vollkommen in meine Lunge eingezogen. Und die graue Asche am Boden ist alles, was noch übrig ist davon. Nur noch Asche. Graue Asche…

Erstaunlich…

Was wohl aus der rätselhaften Frau geworden ist? Wir hatten ihre Personalien aufgekommen, aber wiedergesehen habe ich sie nie...
 

Wir untersuchten die Leiche und fanden etwas Ungewöhnliches. Sein Rücken war übersäht mit Kratzern. Lange und dünne, leicht blutige Spuren. Erst dachte mein Kollege wir hätten die Todesursache zu früh bestimmt. Doch sie waren älter. Auch wenn sich rote Ränder um die einzigen Wunden abzeichneten, so war keine von ihnen wirklich frisch. Eine Woche müssten sie wohl alt gewesen sein und einen hohen Blutverlust hatte er sicherlich nicht davon getragen.

Da klang eine süße Stimme in meinem Kopf wieder an. „So so… Er war also ihr Kellner…“, murmelte ich und schüttelte den Kopf.

„Was meinst du?“, fragte mich mein Partner.

Ich erklärte ruhig: „Sie zeichnet ihre Männer. Nett von ihr, dass sie uns diesen Tipp gegeben hat.“

„Du meinst… Die Frau, die du verhört hast… hatte eine Affäre mit dem hier?“

„Das vermute ich. Und offensichtlich ist sie gelangweilt von ihm gewesen. Oder ihr Mann hat etwas rausbekommen“, führte ich meine damaligen Überlegungen aus.

Offensichtlich überforderte ich meinen Partner immer mehr: „Sie ist verheiratet?“

„Natürlich… Unter den schlanken Handschuhen trägt sie einen Ehering. Ein relativ gutes Versteck für die Leute, die nicht richtig hinsehen.“

„Sie hat ein Alibi.“

„Von einem Taxifahrer. Und wer weiß… ob dieser Taxifahrer… nicht auch einer ihrer Kellern ist“, ich zog die Augenbrauen hoch und nahm einen tiefen Zug an meiner Zigarette.

„Du übertreibst…“

„Menschen sind verlogen. Frauen sind gefährlich“, meinte ich kühl und war überzeugt davon. Diese Frau war nicht zufällig dort gewesen. Mörder kehren zurück an den Ort des Verbrechens, sie wollen sehen, wie ihr Opfer aussieht und sie wollen Spuren verwischen. Aber diese Dame hatte gar keine Spuren hinterlassen. Wäre sie nicht auftaucht, hätte niemand sie verdächtigt. Sie lebte in einem anderen Stadtteil. Sie arbeitete nicht und kam aus einer Schicht, in der sie sich es gar nicht leisten konnte, Essen zu gehen – der Tote arbeitete wirklich als Kellner. Dies war also keine Lüge und überhaupt. Auf ihre ganz besondere Art hatte ich das Gefühl, als hätte sie mir nur die Wahrheit erzählt. Und sich dabei verraten?

Es war bereits sehr spät. Die Nacht war dunkel und kalt. Mein Mantel war schwer, der Regen des Tages war kaum aus ihm herausgetrocknet und die Feuchtigkeit der Nacht füllte ihn nur noch mehr. In der Straße, in der meine Verdächtige wohnte, waren die meisten Straßenlaternen ausgefallen. Dunkelheit erfüllte die Straße, so wie sie sonst nur die Herzen von Menschen und Mördern füllte.

Ich fand ihr Haus trotzdem recht schnell. Doch sie war nicht da. Ihr Mann öffnete mir die Tür…

Ihr Mann. Ein bedauernswerter Typ. Er ließ mich ins Haus, wahrscheinlich weil er Angst hatte. Sein rechtes Bein war amputiert worden und er ging nur wackelnd an Gehhilfen. Er hatte wohl die Befürchtung gehabt, dass wenn er mich versucht hätte hinauszuwerfen, er die Tür gar nicht rechtzeitig wieder zu bekommen hätte. In seinem Zustand hätte er sich nicht wehren können.

Er zitterte leicht, während ich ihn ausfragte. Doch wo seine Frau war, das wusste er nicht. Sie wäre von einigen Stunden gegangen und sei noch nicht wieder da…

„Sie wissen, wie spät es ist?“, fragte ich kühl, um anzuzweifeln, dass seine Frau sich wirklich um diese Zeit sich noch alleine rumtrieb.

In seinen Augen glänzte noch mehr Angst. Doch jetzt fürchtete er nicht mich. Er fürchtete etwas anderes... „Natürlich…“, seine sonst ruhige, eher melancholische Stimme hatte sich nun in das Schnauben eines Tieres verwandelt, „Natürlich weiß ich wie spät es ist! Aber glauben Sie, das interessiert sie? Nein… Sie kommt und geht… wann sie will…“ Seine Zähne knirschten ungesund. Seine verschrammten, dürren Finger kneteten sich gegenseitig durch und des Öfteren zuckte er zusammen, als ob seine Gedanken ihm leichte Stromstöße verpassen würden.

Ich konnte erkennen, dass er wusste, wo sie war, ohne es wirklich zu wissen. Bei einem anderen Mann, aber wer das war, das wusste er selbstverständlich nicht. Auch nicht, wo dieser Andere war.

Er erzählte mir, wie glücklich sie früher gewesen waren. Es interessierte mich nicht im Geringsten, doch dann begann er vom Krieg zu erzählen. Er hatte im Krieg gekämpft, dabei war er kein starker Mann, sein Körper war relativ schmächtig, auch schon vor der Verletzung gewesen. Sie hatten beide nicht daran geglaubt, dass er wieder kommen würde. Doch er war wiedergekommen. Als einer der Verletzten. Sein Bein war so schlimm getroffen worden, dass nichts es noch hätte retten können.

Vor dem Krieg hatte er einen Job gehabt. Danach war es schwer gewesen, etwas zu finden. Lange hatten sie nur mit wenig Geld auskommen müssen. Ich vermute, dass er mir das erzählte, damit ich von seiner Geschichte gerührt sei. Er verfehlte seine erhoffte Wirkung. Es gibt zu viele Menschen wie ihn, man kann nicht alle bemitleiden.

Nun arbeitete er in einer Fabrik, die Bomben und Waffen herstellte. Seine Arbeit war monoton und schlicht; er zählte die Bestandteile, dabei konnte er offensichtlich sitzen…

Ironisch und bedauernswert war dieser Mann. Aber ich bedauerte ihn nicht. Es ging uns doch allen nicht anders. Jetzt arbeitete er also an einem Ort, der den Krieg unterstützte und das obwohl eben dieser ihm sein Leben zerstört hatte…

Viel her gab das Gespräch nicht, und deshalb verließ ihn bald wieder. Ich wollte wiederkommen um noch einmal mit seiner Frau zu sprechen. Doch auch in den herauffolgenden Tagen schien ich sie zu verpassen. Sie war eh selten zu Hause. Erst hielt ich es für einen unglücklichen Zufall, dass sie mir immer wieder entwischte. Doch dann blieb sie ganz Tage und sogar Wochen fort von dem Haus ihres Mannes…
 

„Lass uns verschwinden. Wir können hier nichts tun“, das ist keine Vernunft in der Stimme meines Kollegen. Er will einfach nur weg. Weg von hier, bevor noch mehr geschieht. Weg, auf nach Hause. Vier Wände sind so viel sicherer. Obwohl wir hier nicht in Gefahr sind, hat er Angst. Weg… Weit weg. Fliehen vor diesem Job. Das ist nicht die Vernunft, die aus ihm spricht und sagt, hier können wir nichts mehr tun. Man ist nie fertig, man kann immer noch etwas tun.

Es ist die Angst davor, in noch etwas verwickelt zu werden wenn man hier bleibt. Gefahr, die auftauchen könnte. Oder gar etwas, das man noch herausfinden würde, und gar nicht finden wollte. Diese Welt ist dunkel. Aber hier ist es hell. Dieser Fleck hier ist hell. Und das Gute an der Dunkelheit ist doch gerade, dass man das, was man nicht sehen will, auch nicht sehen muss.

Hier kann man alles sehen und wenn man nicht schnell die Augen verschießt sieht man vielleicht etwas, das man gar nicht sehen will…

Uns Polizisten verbindet keine Neugier oder Gerechtigkeit mit unseren Job. Es ist nur noch das Geld und dafür ertragen wir das hässliche Gesicht dieser Welt und die Angst…

„Geh schon…“, meine ich kühl, „Ich sehe mich hier noch um.“

„Was?“, er sieht geschockt aus. Doch das ist mir egal. Es war immer dunkel. Jetzt ist es hell. Und ich will jede Sekunde des Lichts nutzen. So grausam sie auch ist…
 

Ich frage mich, warum ich so besessen war, sie zu finden. Der Fall war eigentlich schon geschlossen. Mangelnde Beweislage. Solange ich sie nicht verhören konnte, konnte ich sie weder anklagen, noch irgendeinen Beweis für ihre Schuld finden. Eine erotische Anspielung bedeutete schließlich noch nicht, dass sie sich selbst verraten hatte. Auch wenn mein Gefühl mir genau das suggerierte…

Doch ich suchte nach ihr. Wochenlang. Der Fall war längst vergessen. Vermissen tat den Toten auch niemand. Es war vorbei. Nicht für mich. Wahrscheinlich hatte sie mich doch in ihren Bann gezogen, so wie ihre roten Lippen und ihre intensiven, kühlen Augen es die ganze Zeit über versucht hatten. Ich dachte, ich hätte sie durchschaut. Das hatte ich auch. Aber immun war ich deshalb wohl noch lange nicht gegen ihre Blicke gewesen…

Ich wollte sie unbedingt finden! Wissen, ob sie das getan hatte… Ich fand sie nicht. Ihren Mann besuchte ich oft. Er wusste nie etwas Neues. Ich verschwendete Gedanken daran, dass er mich anlog um sie zu beschützen, doch dafür war er zu sehr verstört von ihrem Fortblieben.

Ich konnte seinen Hass und seine Angst sehen. Die Angst, dass sie bei einem anderen Mann war. Doch vor allem, dass sie diesen anderen Mann nicht mehr verlassen würde. Dass sie ihn verlassen hatte und dafür bei dem anderen Mann blieb. Wo sie doch sonst gewohnt war, die anderen Männer zu verlassen um wenigstens zum Schein zu ihm zurückzukehren. In seinem Blick konnte ich lesen, dass er schon lange eingesehen hatte, dass er ihr nicht das geben konnte, was sie wollte. Das, was ihn am Leben erhielt war jedoch noch immer der Gedanke, dass sie zurückkommen würde.

So sah er mit zunehmender Zeit immer schlechter aus. Er aß kaum noch, seine Haut viel ein. Zudem schien er sich eine Erkältung zugezogen zu haben. Er konnte nicht nach ihr suchen, und ich konnte ihm nicht versprechen, sie zu finden. Ich wollte auch nicht für ihn nach ihr suchen. Ich suchte sie für mich…

New York kann eine grässliche Stadt sein. Ein Gewirr aus hohen Häusern und Autos. Abgase lassen dich erblinden und wenn du die Augen, die von all dem Schmutz brennen wieder öffnen kannst, stechen Leuchtschilder dir die Augen aus. Und laute Musik aus Nachtclubs tönt auf die Straßen und vernebelt dir weiter die Sinne…

Aber ich habe fast jede Bar und jeden Club in den letzten Wochen besucht. Ich habe mich durch Rauch und Nebelwolken gekämpft, mich gegen den Schall gewehrt. Ich hatte die absurde Hoffnung sie zu finden, in einem Club, bei einem Mann…

Ich dachte, sie wäre dort, wo verheiratete Frauen eigentlich nicht sein sollten. Aber sie gehört ja auch zu den gefährlichen Frauen. Das waren eigentlich ihre Orte. Die Orte, an denen sie auf Beutezug gingen und Kellner verspeisten.

Doch auch dort fand ich sie nicht. Ich fand keinen Schlaf und verirrte mich des Öfteren in der Stadt, doch ich fand sie nicht.

Aber einmal hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Es ist in New York nicht ungewöhnlich, dieses Gefühl in New York zu haben. Man wird immer beobachtet. Misstrauisch und neidisch schneiden einen die Blicke von Fremden. Dieses eine Mal war es anders. Es war ein kalter Luftzug, der mich im Nacken traf. Ich hatte das Gefühl, jemand beobachtete mich, weil er mich beobachten wollte. Nicht weil er einen tieferen Sinn dahinter sah. Nicht weil er mich ausrauben wollte. Nicht weil er dachte, dass ich ihn ausrauben könnte. Einfach nur, um zu sehen, was ich tat und warum ich in dieser Gegend war. Ohne deshalb irgendetwas zu tun…

Er hatte keinen Hintergedanken. Oder sie…

Jetzt bin ich mir sehr sicher, dass sie es war, die mich damals gesehen hat. Nur ihr könnte so ein Gefühl ausgelöst haben. Kein Wunder, dass ich sie nicht gefunden habe. Wenn sie mich beobachtet hat. Ich werde sie nie kriegen.

So ist Verbrechen heutzutage… Sie gewinnen. Ich weiß das. Ich bearbeite den Papierkram. Ich schreibe das „ungelöst“ in die Akte. Liegt es daran, dass sie besser sind als wir? Geschickter, klüger? Vielleicht. Vielleicht geben sie sich aber auch einfach mehr Mühe als wir. Wer betrügt, stiehlt oder mordet, tut das, weil er sich dazu entschlossen hat. Weil er es will, weil es seine freie Entscheidung ist. Wir arbeiten doch bloß bei der Polizei, damit wir nicht auf der Straße landen. Und klauen müssen. Ein merkwürdiger Kreislauf, aber ich glaube uns fehlt die Entschlossenheit. Das, was wir tun, ist nicht unsere Entscheidung. Täter entscheiden sich zu ihrer Tat, wir müssen Fälle aufklären…

Eine schreckliche Welt, ein schreckliches System, aber irgendwann wird einem das egal. So wie mir. Deshalb wundert es mich so sehr, dass mich diese Frau so in ihren Bann gezogen hat. Was war es? Dieser Ausdruck in ihren Augen? Diese Leichtigkeit in Umgang mit Leben und Tod? Vielleicht wollte ich auch einfach nur wissen, wie diese zierlichen Hände es geschafft hatten, einen Mann einfach zu erwürgen…
 

Ich wollte damals nicht aufgeben sie zu finden, und ich will es jetzt nicht. Es ist absurd, doch etwas zieht mich näher an die noch stehenden Trümmer der Fabrikhalle. Etwas Ungewisses zieht mich zu den Flammen, die bis in den Himmel steigen. Etwas Merkwürdiges zieht mich an…

Ich sagte, heute sei so ein Tag ohne Wetter, aber es kann auch gut sein, dass ich mich irre. Denn grauer Rauch bedeckt den Himmel und man kann nichts erkennen. Es ist heller Rauch… So hell…

Die Luft ist warm, um nicht zu sagen heiß. Heiß von zerstörerischem Feuer und genau das ist hier passiert. Ein weiterer Fall, den wir aufgeben müssen. Ungelöst zu den Akten legen der vielen anderen Fälle legen. Ist das grausam oder einfach nur antriebslos von uns? So viele Menschen sind in den Flammen umgekommen. So viele, die vielleicht nie wieder identifiziert werden konnten. In Stille gestorben…

Jemand hatte Feuer in der Fabrik gelegt. Ohne Vorwarnung. Ohne Gnade. Es war eine Fabrik für Waffen und Bomben. Kriegswerkzeuge vernichtet durch die Flammen. Letztendlich sind wir Menschen doch auch nur Werkzeuge des Krieges… Ironisch…

Der Boden ist staubig. Von einer leichten Schicht aus Asche überzogen. Das Feuer war gewalttätig. Es gab eine Explosion der Technik im Inneren des Gebäudes und die Erde um die Fabrik herum war ebenfalls verbrannt. Der Boden unter den Füßen fühlte sich merkwürdig an und jeder Schritt wird schwerer.

Die Luft wird dicker, doch ich will nicht stehen blieben. Ich will jetzt auch nicht umdrehen. Vielleicht ist es so nah am Gebäude doch gefährlich. Wir Polizisten haben hier sowieso nichts mehr zu suchen. Der Sondertrub der Feuerwehr ist noch nicht eingetroffen. Es wurden nur diejenigen Leichen hinausgebracht, die nahe dem Eingang gefunden worden waren. Ins Innere oder besser, dass was davon noch übrig geblieben war, hatte sich niemand getraut.

Hinter mir höre ich Stimmen. Feuerwehrleute, die mich anschreien, ich solle jetzt umdrehen und warten bis das Gebiet abgesichert sei. Ich solle nach Hause gehen. Das Feuer brenne zwar bereits schwächer und sei zwar beinahe erloschen, doch noch bestehe Gefahr. Ich könnte hier nichts mehr tun. Aber ich bin Polizist! Unter diesem Gesichtspunkt habe ich das lange nicht mehr gesehen, wie lange ist es her, dass ich einen Tatort aus Neugier betrachtet habe und nicht weil ich gerade da war und es musste?

Ich weiß es nicht, aber jetzt ist es egal, ich bin hier und habe etwas zurückerhalten. Hinter den Wänden, die noch vom Gebäude übrig sind, sieht es schlimm aus. Der Boden ist hier ein einziges Meer aus heller, grauer Asche und geschmolzenem Metall. Leichen dekorieren Boden und Wände und die Trümmer der Gerätschaften. Eine merkwürdige Aura aus Tod liegt in der Luft. Es liegt nicht an dem Feuer und nicht an der Asche in der Luft, es liegt an den Toten. Ihr Geruch, ihr Anblick versucht mir die Kehle zuzuschnüren.

Die Asche hier ist noch viel heller als auf dem Gelände außen. Im Hellen kann man alles sehen. Im Hellen kann man nichts verstecken. Alles zu wissen, alles aufzuklären, ich glaube deshalb wollte ich als Kind Polizist werden. Damals wusste ich noch nicht, wie schlecht die Welt wirklich ist…

Jetzt sehe ich beides. Die schlechte Welt und die Helligkeit, die alles offenbart. Und plötzlich wird mir klar, wer das Feuer gelegt hat, denn ich sehe etwas am Boden liegen. Es sticht hervor. Denn es ist keine verbrannte Leiche. Es ist kein schmelzendes Metallgerät. Und es ist nicht zu grauer Asche geworden. Es ist ein kleines, schwarzes Etwas dort am Boden… Etwas schwach rötlicher Schimmerndes umrahmt um den Gegenstand.

Es ist ein Handschuh. Ein schwarzer Handschuh, eine merkwürdige Konsistenz. Feuerfest? Es scheint so. Leicht bröckeln Teile der obersten Schicht ab, doch der Handschuh hat das Feuer überlebt, obwohl seine Oberfläche brüchig erscheint, hält das Gerüst noch. Ich lasse das Innere des Handschuhes auf ein Taschentuch fallen. Helle Asche rieselt hinaus und dazu das, was von der Hand noch übrig geblieben ist, die in dem Handschuh gesteckt hatte. Der Handrücken ist beinahe vollständig verbrannt, ein schwaches Band aus Haut- und Muskelfetzen hält die Finger schwach an ihm befestigt…

Die Finger sind noch ganz. Es ist die rechte Hand, die Fingernägel sind lackiert. Und an einem Finger steckt ein…

Ich lasse die Hand fallen und schnappe nach Luft. Zu viel Staub und Asche dringt in meine Lunge. Hustend versuche ich sie wieder auszuspucken. Ich taumele zurück und habe Mühe stehen zu bleiben, denn hier ist nichts, an das man sich stützen könnte. Auf Boden liegt nun der schwarze, abgegriffene Handschuh. Neben ihm die Reste der Hand, als ich sie fallen ließ ist auch ihr letzter Zusammenhalt geschwunden. Ein wenig abseits davon sind die fünf nun von der Hand abgetrennten Finger. Alle mit rotem Nagellack. Und an einem ein silberner Ehering. Der gleiche, wie ich ihn in den letzten Tagen oft gesehen habe…

Bei dem Mann, der aus dem Krieg zurückkam. Mit nur einem Bein. Der eine wunderschöne Frau hatte, der er nicht genug sein konnte. Der Mann mit dem ironischen Schicksal. Der Mann, der ohne sie nicht mehr leben konnte. Der Mann, der durch den Krieg alles verloren hatte und nun Waffen für den Krieg herstellte. In einer Fabrik. In dieser Fabrik…

Plötzlich beginnt mein Kopf zu Schmerzen. Hass macht aus uns Menschen Mörder. Es brennt noch immer… Aber mir ist nicht warm. Mir ist kalt. Eiskalt. Ich stehe in einem Ozean aus Leichen und Asche und habe die Frau, die ich seit Wochen suche gefunden. Zumindest ihre Hand. Der Rest von ihr ist in den Flammen verbrennt, die noch immer um mich herum lodern. Fließbänder brennen, die Haut von Leichen schmorrt vor sich hin. Ich stehe hier und starre diese Hand an.

Nur wenige Tage später werde ich dem Mann mit dem Ehering einen Besuch abstatten, doch auch er wird nicht mehr mit mir sprechen wollen. Er wird sich erschossen haben. Er hat nicht gewusst, dass seine Frau an diesem Tag in der Fabrik war. Er hatte alles gut geplant. Nur nicht, dass sie ihn an diesem Tag besuchen wollte. Sie hatte nicht gewusst, was er vorhatte, denn sie hatte ihn ja seit Wochen nicht mehr gesehen. Er wollte wohl ein Stück seines Lebens wieder haben, in dem er, der so oft von Krieg geschlagen worden war, einmal den Krieg zurückschlagen. Dabei hatte er die einzige Person getötet, wegen der, er leben wollte. Das alles stand in seinem Abschiedsbrief, der nur so von Hass tropfte und triefte. Hass auf sich… Hass auf die Gesellschaft. Hass auf alles.

Ich werde mich dann fragen, ob ich etwas hätte ändern können. Ob ich sie hätte finden können, vor der Katastrophe. Ob ich der Presse hätte verschweigen sollen, dass sie unter den Opfern war. Ob ich einfach hätte stehen bleiben sollen und das Innere nie hätte betreten sollen. Ob ich einfach hätte die Augen verschließen sollen, vor all dem, was die Helligkeit ans Licht brachte. Ob ich wie sonst auch, die Augen hätte schließen sollen…

Das wird passieren, das weiß ich jetzt natürlich noch nicht. Jetzt stehe ich einfach nur hier und starre die hellgraue Asche am Boden an. Ich habe keine Lust zu rauchen. Und irgendwie vergeht mir auch die Lust Mensch zu sein… Sehen unsere Herzen vielleicht alle so im Inneren aus?

Ein letztes Mal knie ich mich zu der Hand hinab. Ich greife mit der rechten Hand in die Asche. Sie ist bereits kalt. Wirklich kalt. Das Gute an der Dunkelheit ist, dass wir nicht sehen müssen, was wir nicht sehen wollen. Graue Asche gehört dazu, denn sie steht für verlorene Menschlichkeit. Unter Tätern… Opfer… und Polizisten…

Wo auch immer der Hass lodert, bleibt nur Asche zurück…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -ladylike-
2012-07-21T23:01:17+00:00 22.07.2012 01:01
Ich kann nicht viel zum Genre sagen, ich kenn mich leider nicht aus. Aber das, was ich über das Genre weiß, hast du erfüllt.
Und auch ansonsten: WOW!!
Ich muss sagen, ich bin ein großer Fan deines Schreibstils. Die Art, wie du Wörter aus einem Satz im nächsten wieder aufgreifst. Mache ich auch recht häufig, danke aber manchmal, es wird zu viel. Bei dir nicht.
Auch der Kommissar wird mit seinem Charakter gut verdeutlicht, auch im Bezug auf den Ehemann.

Von daher würde ich mal sagen: Sehr gelungen!

Grüße,
lady
Von:  LucifersBraut
2012-06-11T22:17:20+00:00 12.06.2012 00:17
So mir hat die Geschichte gut gefallen und meiner Meinung nach hast du das Genre gut getroffen. Pessimistische Grundstimmung, die Zeit meiner Meinung nach gut beschrieben, die Not des Ehemanns gut deutlich gemacht und trotzdem blieb der Komissar so pessimistisch und mitleidslos. Hach mir hat es gefallen, in meinem Kopf lief ein richtig schöner Schwarz-Weiß- Film mit passender Erzählerstimme. Ein paar Sachen bezüglich Rechtschreibung und Wortwiederholung sind mir allerdings aufgefallen hier mal einige Beispiele:

- Ich habe in meinem Leben viele Leichen gesehen, es ist nicht besonders. -> es ist nichts besonderes.

- Ich scheine verdächtig zu werden.“ -> Ich scheine verdächtigt zu werden.

- Uns Polizisten verbindet keine Neugier oder Gerechtigkeit mit unseren Job. -> mit unserem Job.

- Dabei hatte er die einzige Person getötet, wegen der, er leben wollte. -> Ohne das letzte Komma.

Mir sind einige solche kleinen Fehler aufgefallen, aber abgesehen davon hat mir der One-Shot gefallen.

Lg, LucifersBraut8


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