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the ice kingdom

Falsche Entscheidung
von

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Wolf

„Was?!“, quiekte ich erschrocken und stolperte rückwärts wie ein verängstigtes Kind, dass von einem wilden Tier angestarrt wurde. Das Spiegelbild regte sich nicht und machte auch sonst keine Anstalten mir zu folgen, als ich panisch nach draußen rannte und nur knapp einen Aufschrei unterdrücken konnte.

Was zum Teufel war das?! Das war doch nicht ich gewesen, oder doch? Das konnte doch unmöglich nur eine Einbildung gewesen sein? Eine Eis-Fata-Morgana? Halluzinierte ich bereits vor lauter Kälte?

Egal was es gewesen war, meine Beine gehorchten mir nicht mehr und hetzten über die gigantische Eisplatte, bis ich nicht mehr konnte und mein eingehüllter Körper unerträgliche Hitze ausstrahlte, obwohl sich mein Gesicht noch immer wie gefrorener Fisch anfühlte.

Keuchend sah ich mich um, konnte aber weit und breit kein Schiff erkennen. Was war hier nur los? Ich war mir sicher in die richtige Richtung gelaufen zu sein und auch so hätte ich es doch irgendwo sehen müssen, oder?

„Irgendetwas stimmt nicht“, murmelte ich, als ich etwa zehn Meter weiter den kleinen Schneemann entdeckte, der zusammengeknülltes goldenenes Bonbon-Papier als Augen hatte.

Es war Windstill, keine einzige Schneeflocke rieselte vom bewölkten Himmel hinab und ich konnte noch nicht einmal mehr behaupten, dass mir kalt war. Ich war mir so sicher, an genau der Stelle zu stehen, wo das Schiff gewesen war und dennoch war der Boden an dieser Stelle unversehrt. Bis auf den Schneemann, gab es keinen Beweis, dass hier je ein menschliches Wesen gewesen war.

Wo waren sie? Meine Mutter? Mein Vater? Timothy?

War ich alleine? Alleine auf dem Nordpol? Ich war zu verwirrt, um mich weiterhin tragen zu können und sank auf die Knie, raufte mir die Haare, weil das alles einfach zum Lachen war! Aber mir war nicht nach Lachen zumute. Stattdessen zog ich noch immer stark in Erwägung, dass ich vor Kälte einfach irgendwo umgekippt war und nun dieses irre Zeug träumte. Fragte sich nur, wie ich wieder aufwachte, bevor mein echter Körper erfror.

„Das ist doch bescheuert“, knurrte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen, weil ich mit aller Macht verhindern wollte zu weinen. Ich war alt genug, um nicht mehr zu bittere Tränen zu vergießen, wenn Mami und Papi nicht da waren, um mich zu trösten. Daher rappelte ich mich auf, klopfte mir den Schnee von den Beinen und erstarrte gleich wieder.

Ich war mir ziemlich sicher, dass vorher noch kein Schneewolf neben dem goldäugigen Schneemann gestanden hatte, als ich zuletzt hingesehen hatte.

Mensch, was tust du hier?

„Na toll, jetzt spricht er auch noch. Als ob ich mir nicht schon verrückt genug vorkomme.“ Egal zu was mein krankes Gehirn auch fähig war, mir sprechende Wölfe in den Kopf zu setzen, ging eindeutig zu weit. Eins war klar, ich würde mir nie wieder einen Fantasy-Film ansehen. Die taten meinem Verstand anscheinend keinen Gefallen.

Allerdings musste ich wohl oder übel mitspielen, wenn ich je wieder aufwachen wollte. „Ich suche meine Familie!“

Du solltest nicht hier sein, Mensch.

„Das ist mir klar“, erwiderte ich mit einem leicht verzweifelten Unterton. „Wie komme ich wieder zurück?“

Der Wolf knurrte leise und bleckte die Zähne, was angesichts der Tatsache, dass er aus reinem Schnee bestand, irgendwie merkwürdig aussah. Ah, ich kann sie riechen. Die anderen kommen. Lauf, Mensch!

„Wohin?“ Ich fragte mich, was er mit ‚den anderen‘ meinte und hatte gleichzeitig ein ganz, ganz mieses Gefühl bei der Sache.

Dorthin wo du hergekommen bist! Der Wolf drehte sich und schaute zurück. In der Ferne wirbelte Schnee auf und das Geräusch von mehrbeinigem Getrappel war bis hierher zu hören. Ein Rudel. Verdammt, es war ein ganzes Rudel, das auf dem Weg hierher war! Lauf, bevor sie dich fressen!

Das musste er mir nicht noch einmal sagen. Sofort machte ich kehrt und rannte heute schon zum zweiten Mal zu dem Eisberg, der all das erst angerichtet hatte.

Jetzt, da der Wind endlich ruhig war, war es wesentlich einfacher sich fortzubewegen, aber würde mich das vor einem ganzen Haufen nicht gerade langsamer Schneewölfe retten können?

Ich versuchte nicht zurückzublicken, hörte aber ein Heulen, das für meinen Geschmack viel zu nah klang. Hechelnd legte ich noch einen Zahn zu, spürte aber bereits das vertraute Stechen in meiner Seite, das mir signalisierte, dass ich nicht mehr lange durchhielt.

Nur noch ein paar Meter und ich wäre wieder in der Höhle. Und was dann? Was, wenn das nicht der Ausgang war und die Wölfe mich doch noch erwischten?

War vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, um das innerlich auszudiskutieren.

Schneller, Norah, sie haben dich gleich, wisperte diese echo-hafte Stimme wieder und hätte mich fast wieder zum Stolpern gebracht. Was war nur los mit diesem formlosen Stimmen? Konnte hier denn alles reden? Tiere? Spiegelbilder? Musste ich damit rechnen, dass der Schnee bald zu singen begann?

Ich schrie auf, als mich etwas am Bein erwischte und ich stürzte. Ein Wolf – wesentlich größer als der, der mich gewarnt hatte – hatte sich in meinem Stiefel verbissen und obwohl er nur aus Schnee bestand, spürte ich die spitzen Zähne klar und deutlich, wie sie versuchten sich in mein Fleisch zu bohren.

Ich verpasste dem Tier mit meinem freien Fuß einen Tritt gegen den Kopf und beobachtete verblüfft, wie es wie eine Sandburg in sich zusammen fiel. Das machte die anderen Wölfe nur noch wütender und ich konnte mich vor Furcht nicht mehr rühren, als sie alle aneinander stoben, Fell an Fell, und miteinander verschmolzen, zu einem einzigen, riesigen Wolf, mit Fangzähnen so lang wie mein Arm.

Norah!, schrie das Spiegelbild wieder und riss mich aus meiner Starre.

Ich kämpfte mich hoch und humpelte mit letzter Kraft zum Eingang der Höhle. Das Maul des monströsen Schneewolfes öffnete sich, bereit mich mit Haut und Haaren zu verschlingen, doch sobald ich die Schwelle zur Höhle übertrat und von der angenehmen Kühle dieser Eiswelt umschlossen wurde, prallte der Wolf mit voller Wucht gegen ein unsichtbares Hindernis und zerstob, wie auch der Wolf zuvor, in Millionen kleine Schneeflocken.

Ich wurde mit einem Schwall an Schnee zugedeckt und kroch alarmiert fort, ehe sich das Ding wieder zusammensetzte und womöglich noch wütender wurde.

Beruhige dich, du bist in Sicherheit, Norah. Das Spiegelbild – mein verfluchtes Spiegelbild – lächelte mich aufmunternd an und hob beschwichtigend die Hände. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie verstörend es für mich war, zu sehen wie ich mich bewegte, obwohl ich es eben nicht tat. Als würde man ein Video von sich selbst sehen, nur viel, viel realer.

„Woher kennst du meinen Namen?“, war das Erstbeste, was mir in den Sinn kam. Ich war gerade eindeutig überfordert und musste alles behutsam angehen, ansonsten hatte ich das Gefühl, mein Kopf würde gleich zerspringen.

Das Spiegelbild zuckte die Schultern, lächelte aber wieder. Ich bin dein Ebenbild. Es ist so lange her, seit ich die Gestalt einmal wieder wechseln konnte, daher bin ich sehr froh, dich kennenzulernen, Norah. Mein Name ist Twinny.

„Twinny“, wiederholte ich lahm und schaufelte den Schnee von mir runter. „Passt zu dir.“

Sie kicherte. Das waren auch seine Worte.

„Wessen Worte?“, fragte ich und kam allmählich wieder zu Besinnung. Himmel noch Mal, ich führte gerade ein Gespräch mit meinem Spiegelbild! „Wo bin ich hier? Wie komme ich wieder zu meinen Eltern? Und was zum Geier war das für ein Monster?“

Ich dachte mir, dass du viele Fragen haben wirst, antwortete sie und bedeutete mir, aufzustehen. Folge mir. Das Bild bewegte sich auf der Eiswand fort und ging tiefer in die Höhle hinein.

„Wohin?“, fragte ich misstrauisch, wollte aber auch nicht wieder nach draußen zu den Schneewölfen.

Du willst doch Antworten? Er wird sie dir geben. Twinny kicherte. Vielleicht.

Was blieb mir also für eine Wahl? Ich folgte ihr.



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