Es war mal wieder einer dieser Abende.
Am nächsten Tag stand ein mehr oder minder wichtiges Testspiel für die kommende Europameisterschaft in Polen und der Ukraine an und Manuel, mit dem sich Benedikt ein Zimmer teilte seit er selber A-Nationalspieler war, jammerte durchweg davon wie fertig er doch vom Abendtraining war und dass er gar nicht mehr groß in der Lage war etwas mit dem Jüngeren zu unternehmen. Jener nämlich war keiner dieser Langweiler, die sich gut die Zeit mit Schlaf oder dumm durch die Gegend gucken vertreiben konnten. Benedikt brauchte einfach auch mal ein bisschen Action; ein wenig Spaß. Sagte man doch auch so: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Und der Halterner fand, dass man weder das eine noch das andere einfach ausklammern konnte. Leider waren sich die beiden Freunde in diesem Punkt wie so oft uneins und weil Benedikt unter Action keinen handfesten Streit verstand, den er mit dem Älteren vom Zaun hätte brechen können, fand er sich gefrustet mit der Tatsache ab, dass der Abend nicht mehr viel bereit halten würde für ihn und surfte stattdessen genervt brummend mit seinem Laptop auf dem Schoß in den unendlichen Weiten des World Wide Webs. Der Torhüter hatte sich bereits mit seinem Gesicht tief in seinem Kissen vergraben. Da er sich aber nach wie vor noch ab und an nach einer bequemen Position suchend drehte und moserte, weil er sie wohl nicht fand, wusste Benedikt aber zumindest, dass er zumindest versuchen konnte den Neumünchner in ein Gespräch zu verwickeln. Zum Reden konnte man doch wohl kaum zu geschafft sein, oder?
„Du Manu?“
- „Mh...?“
Man merkte wie widerwillig sich Manuel dem Jüngeren zuwand um diesen ansehen zu können. Seine Augen hingen tatsächlich noch schon irgendwo zwischen halb Sieben und halb Acht und von den Mundwinkeln sollte man gar nicht erst anfangen. Aber Benedikt war das egal. Er hatte sich seinen besten Freund schließlich nicht als Zimmergenossen ausgesucht damit dieser dann einfach so früh wie möglich vor ihm nach Traumland flüchtete. Da hätte er sich ja gleich wieder mit Mats zusammen tun können – der war manchmal genauso. Eigentlich sogar schlimmer, denn der Borusse brachte es sogar fertig mitten in einem Gespräch wegzuratzen. Furchtbar. Wie konnten die beiden eigentlich nur so unheimlich langweilig sein? Kaputt von dem bisschen Laufen und Kicken...und so was schimpfte sich auch noch Profisportler.
„Weißt'e noch wie wir dich alle aufgezogen haben wegen diesem Internet-Spitznamen?“
- „Meinst'e jetzt dieses bescheuerte 'Duckie'?“
„Jaja, genau!“
- „Und? Willst'e jetzt echt wieder damit anfangen?!“
Der Jüngere schmunzelte etwas; schüttelte dann aber den Kopf. Wieso sollte er alte Kamellen wieder herauskramen? Er wollte Manuel lediglich an deren Revolutionierung teilhaben lassen.
Deswegen klickte der Schalker noch das ein oder andere Mal flink auf dem Touchpad des Notebooks herum; drehte das Gerät schließlich auf seinem Schoß so herum, dass der Liegende einen perfekten Blick auf den Klappbildschirm hatte – sofern der sich ein wenig bewegte um den richtigen Blickwinkel zu haben. Und tatsächlich - der Torhüter setzte sich grummelnd auf um sich auch sicher zu sein, das zu sehen, was er glaubte gerade in dem etwas aus liegender Position undeutlichem Bild erkannt zu haben. Neugierig war er ja schließlich schon und Gott verdamme Benedikt dafür, dass er seine Neugier immer wieder so schamlos gegen ihn verwendete.
„Ich hab' einfach wieder ein bisschen rumgegoogle't und bin dann irgendwie darauf gestoßen. Offenbar bist du für die ein oder andere schon lange kein normales Entchen mehr.“
Benedikts Schmunzeln war längst über ein breites Grinsen hinweg zu einem amüsierten Lachen gewachsen unter dem der Torhüter lediglich die Arme verschränkte; ungläubig den Kopf schüttelte, während sein Blick weiterhin nahezu prüfend auf dem flimmerndem Bildschirm lag, der neben einem Foto von ihm eine Zeichnung eines Pokémons zeigte. Genauer: ein Enton, das sich gerade dumm drein schauend an den Kopf fasste, so wie Manuel es selber auf dem abgebildetem Foto tat. Als wenn diese ganze 'Duckie'-Geschichte nicht schon unverständlich genug war, kamen diese Weiber auf so'n Schwachsinn.
„Klasse. Ich bin also keine normale Ente mit Torwarthandschuhen, sondern ein gelbes, dummes Vieh aus einer Zeichentricksendung, was absolut nichts tolles kann, außer auf die Fresse fallen und Kopfschmerzen haben. Wow, danke Benni – ich find's immer wieder erstaunlich was du a) für einen Schwachsinn im Netz findest und b) wie geil du jedes Mal drauf bist diesen Mist ungefiltert an mich weiterzuleiten.“
Oha. War da jetzt ein wunder Punkt getroffen? Benedikt sah zumindest nur einen Sekundenbruchteil später nur noch den Rücken des Torwartes an, der sich mit einem Augenrollen einfach wieder von dem Jüngeren weggedreht hatte. Und dieser wiederum seufzte schwer. Manuel war aber auch manchmal empfindlich.
„Ach komm schon, Alter. Mich hat's jetzt nicht unbedingt besser getroffen. Die werte Dame ist der Ansicht, dass ich ein wunderbares Bisasam abgeben würde. Begründung? Die Flecken von dem Teil würden ja die perfekten Sommersprossen sein. Wie du nur über deine Lippen definiert wirst, bin ich wohl auch nur die riesengroße, wandelnde Sommersprosse.“
Überraschenderweise wand sich Manuel dann doch wieder dem anderen zu; hob eine Augenbraue.
„Und das nennst'e jetzt schlimm oder was?“
- „Naja... in dem Zeichentrick war das doch immer der, der dauernd den Außenseiter markierte. Und im Spiel war's immer das Startpokémon was nie einer genommen hat. Also damit verglichen zu werden ist doch irgendwie nicht ganz so der Burner.“
„Also ich hab's gemacht.“
- „Mh? Was hast du gemacht?“
„Ich hatte bei den Spielen immer Bisasam als Starter.“
Das überraschte den Jüngeren nun wirklich - also nicht unbedingt die Tatsache, dass Manuel als Kind wohl ein Herz für das Pflanzenpokémon gehabt hatte, sondern eher der Umstand, dass genau das gerade ihr Gesprächsthema war und Manuel überhaupt darauf einstieg. Immerhin war es doch der Keeper gewesen, der einfach hatte schlafen wollen...und jetzt sprachen sie über Kinderserien und dazugehörige Gameboyspiele. Manchmal waren sie wohl doch einfach nur sehr großgewachsene Kinder...
„Wieso denn das? Glumanda war ja wohl definitiv am coolsten von denen.“
- „Stimmt. Glumanda und Schiggy fand ich eigentlich auch viel toller, aber die ersten beiden Arenaleiter konnte man mit Bisasam am einfachsten besiegen.“
Das war ja jetzt klar gewesen. Benedikt hatte ja – naiv wie er manchmal sein konnte – wirklich geglaubt, Manuel käme jetzt mit einer aufbauenden Zeile daher...und dann das. Aber der Defensivspieler hätte es ja besser wissen müssen. Manuel war eben so. So und nicht anders. Trotzdem machte der Halterner seiner Enttäuschung symbolisch Luft in dem er hörbar genervt durch verschlossene Lippen ausatmete.
„War ja eigentlich klar, dass du nicht wie jedes normale Kind danach gegangen bist welches Pokémon am besten aussah oder die coolste Weiterentwicklung hatte. Nö – Manuel Neuer war und ist ein komischer Kerl und dachte dabei einfach nur strategisch.“
- „Vielleicht hab' ich ja auch beides gemacht, du Pfeife!“
Nunmehr war es der Torhüter der bis über beide Ohren hinweg grinste als er sich von seinem Bett erhob um auf das von Benedikt hinüber zu treten; diesem den Laptop vom Schoß zu nehmen um selber die Suchmaschine Google anzuwerfen. Der Suchbegriff war das eben von Benedikt im Bezug auf sich selbst erwähnte mintgrüne Pokémon, das sie sogleich in mehrfacher Ausführung bei der Bildersuche anstarrte. Benedikt verzog etwas das Gesicht; suchte dann aber fragend den Blickkontakt zu Manuel. Der aber wiederum sah eine Zeit lang nur wie hypnotisiert auf den leuchtenden Bildschirm ehe er den tragbaren Computer neben Benni auf dem Bett abstellte – leicht seitlich gedreht, sodass sie beide weiter auf die Bilder sehen konnten.
„Guck mal. Das mit den Sommersprossen stimmt doch sogar, Bene.“
Nacheinander stupste Manuel mit dem Zeigefinger die einzelnen dunkelgrünen Flecken an, die dieses Pokémon aufwies und zum Schluss auch die Nasenspitze seines aufmerksam zusehenden Freundes, der ihn darauf wiederum nur irritiert anblickte und sogar ein wenig zurückwich. Darüber lachte der Keeper leise; sprach dann aber selber unbeirrt weiter.
„Es hat natürlich bei weitem nicht so viele wie du, aber immerhin. Dazu kommen dann noch diesen großen Augen und das breite Lachen. Das hast du doch auch alles, oder?“
- „Ich hör' grad heraus, dass du dem Mädel Recht gibst oder was?“
„Selbst wenn... warum denn nicht?
- „Hast'e mir vorhin nicht zugehört? Ich bin der Einzelgänger, den nie einer wollte.“
Mürrisch schlug Manuel seinem Freund kumpelhaft mit der Faust an die Schulter; sah diesen zugleich gespielt ernst an.
„Und du hast mir wohl nicht zugehört. Ich hab' dich doch immer genommen.“
- „Ja...weil du dann schneller das Spiel durch hattest. Toll.“
„Ich hab' auch gesagt, dass ich vielleicht beides gemacht habe. Nach Strategie und nach Aussehen gehen.“
- „Ja, vielleicht...“
„Definitiv bestimmt vielleicht. Zugegeben : die Entwicklungsstufen von Bisasam waren echt dämlich, aber das Vieh selber war doch wie du gerade hier siehst ganz niedlich. Ich hab's auch nie entwickeln lassen. Ich fand's gut so wie's war.“
Manuel zwinkerte seinem Freund kess zu. Der wiederum starrte Manuel nur noch verwirrter an als vorher schon. Erst wollte der Keeper einfach pennen und jetzt faselte er so seltsamen Kram...über Pokémon, Herr Gott nochmal!
„Okay. Hab's verstanden...du fandest Bisasam doch ganz in Ordnung und das auch so wie es war... und strategisch gesehen war es auch noch eine gute Wahl. Können wir dann jetzt über was anderes reden? Das ist irgendwie strange.“
- „Natürlich könnten wir... willst du denn auch, Bisasam?“
„Alter! Ich hab' doch gerade gemeint 'was anderes'!“
- „Und?“
„Ja also nicht weiter über Pokémon reden.“
- „Ich hab' doch vorher schon nicht mehr über Pokémon geredet, Benni...“
Wieder wich der Jüngere etwas zurück, doch diesmal ging Manuel dieser Bewegung lachend nach um seine Hände um Benedikts Gesicht legen zu können; in dessen stark geweiteten Augen blicken zu können.
„Da ist er wieder. Dieser Blick aus den großen Kulleraugen. Ja...das Mädchen hatte in der Hinsicht recht. Ähnlichkeiten zwischen dir und dem grünen Ding sind erkennbar, aber...“
Das Gesicht des Keepers näherte sich dem des erstarrten Verteidigers auf eine Distanz, die keine Hand mehr zwischen sie gelassen hätte; stoppte mit seinen Lippen knapp vor denen des Jüngeren.
„...du siehst nicht diesem Vieh ähnlich...sondern das Vieh dir. Du bist das niedliche Wesen mit den hübschen Sommersprossen, den großen Kulleraugen und dem frechen Grinsen … dieses Bisasam ist nur eine nette Nachbildung. Und die Tatsache, dass es kaum einer gewählt hat liegt nur daran, dass nicht sehr viele wissen, was hinter dieser niedlichen Schale noch alles schlummert: an Temperament, an Power... doch ich schon. Ich wusste aber schon immer wie großartig du bist...also änder' dich bitte niemals. Okay, ...Bisasam?“
Ein sanfter Kuss auf die Lippen des Jüngeren ging einher, ehe sich Manuel ohne weitere Worte wieder von Benni entfernte und sich wie zuvor wieder unter der Decke in seinem eigenen Bett verkroch. Der Halterner blieb mit offenem Mund dasitzend zurück; starrte wie auch schon zuvor auf den Rücken seines Freundes. Er schwieg – eine Weile zumindest, in der er über das Gesagte nachdachte. Dann zog auch Benedikt seine Bettdecke über sich; kuschelte sich seitlich liegend in sein abgekühltes Kopfkissen.
„...versprochen, Enton...“
