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Fatale Neugier

von

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Fatale Neugier

Rufus konnte nicht anders – er klappte die Kinnlade herunter und bekam sie einfach nicht mehr zu.

Was? Was sollte das? Getötet? Sollte das heißen, diese vermummten Gestalten waren hinter ihm her? Und, Moment... Er hatte doch keinen Hüter umgebracht! Der letzte Hüter... Elenor DeFleur! Das war doch der Name seiner Mutter! Seine Mutter, die im Kindbett gestorben war... Seine Mutter, die er als Säugling umgebracht hatte.
 

Rufus' Magen verkrampfte sich.

Jetzt wusste er wie er zu der fragwürdigen Ehre kam eines der drei Zeitenbücher zu hüten.

Seine Mutter hatte ihm ihr Leben geschenkt und ihm ihre Aufgabe übertragen.

Ein bitteres Lachen entstieg seiner Kehle. Er hatte die Frau getötet die sein Stiefvater so sehr geliebt hatte, dass er über das Kind eines Anderem in ihrem Bauch, über ihn, hatte hinwegsehen können.

Kein Wunder dass er den Jungen so verabscheute.

„Elenor DeFleur war der Mädchenname meiner Mutter... sie starb bei meiner Geburt.“ sagte Rufus niedergeschlagen und mit hängendem Kopf.

Er sah Helena nicht an, wusste aber, dass sie über das Gehörte entsetzt war. Sie sog scharf die Luft ein und schwieg. Dann streckte sie zögerlich die Hand nach seiner Schulter aus, ließ es aber doch sein ihn trösten zu wollen. Stattdessen wandte sie sich an Lonán und begann wieder in dieser seltsamen Sprache mit ihm zu reden. Rufus versuchte nicht einen Sinn in ihren Worten zu erkennen.

Als sie damit fertig war tippte sie ihm gegen den Arm damit er sie ansah und sagte: „Ich werde meinen Meister holen gehen. Lonán ist der Meinung dass es sinnvoller ist wenn du direkt mit Liam sprichst statt über ihn.“

Rufus sah sie verwirrt an.

„Was meinst du...?“ fragte er.

Sie schlug sich die flache Hand gegen die Stirn und lächelte ihn verlegen an.

„Entschuldige! Das weißt du ja gar nicht... Wir Bibliothekare sind eng mit unseren tierischen Partnern verbunden. Wenn ich mich konzentriere kann ich mit Mai, meiner Amsel, kommunizieren. Es ist schwierig, selbst für geübtere Leute wie meinen Meister. Sein Partner ist, wie du dir vielleicht denken kannst, Lonán durch den er mich quasi überwachen konnte als ich mich zu Sir Vacé begeben habe.“ erklärte sie Rufus und lenkte ihn damit von seinen düsteren Gedanken ab.

Der Junge dachte daran zurück, wie er vor dem Regal gestanden und versucht hatte Lonán zu sich zu locken. Eine leichte Röte stieg in seine Wangen, als er sich vorstellte wie Helena's Meister just in dem Moment mit seinem Raben verbunden war und die kindischen Bemühungen von ihm mitbekam. Er schüttelte den Kopf als könnte er dadurch den peinlichen Gedanken aus seinem Kopf vertreiben und stand abrupt von der Schlafstätte auf.

„Ich komme mit.“ sagte er und legte Betrayal zur Seite.

„Nein.“ Gab Helena entschieden von sich und verschränkte die Arme vor der flachen Brust.

„Du wirst hier bleiben und dich ausruhen. Es dauert auch nicht lange.“ sagte sie. Helena trat neben das Regal und öffnete eine schmale Tür die sich im Schatten daneben versteckt hatte. Lonán wartete nicht lange sondern flog durch die Öffnung aus dem Zimmer.

Viel konnte Rufus nicht sehen, der Raum hinter der Tür war nicht besonders gut beleuchtet. Und Helena schob schnell die Tür wieder so weit zu, dass er nur noch einen dunklen Spalt zwischen Tür und Rahmen sehen konnte.

„Hüter!“ sagte sie mahnend und hob den Zeigefinger.

„Du. Bleibst. Hier. Haben wir uns verstanden?“ fragte sie und wartete geduldig ab bis er widerwillig seine Zustimmung grummelte.

Ein kurzes Nicken dann verließ Helena den Raum.

Rufus stand einige Minuten lang einfach nur da und sah sich im Zimmer um. Viel gab es da nicht. Ein paar Bücher im Regal die der Junge nicht lesen konnte da sie in einer fremden Sprache geschrieben waren und eine kleine Holztruhe mit einem dicken Vorhängeschloss neben dem Bett.

Er setzte sich wieder hin und nahm Betrayal in die Hände. Das Buch war noch immer aufgeschlagen und schrieb fleißig auf wie langweilig dem Jungen doch wurde und dass er am liebsten aus diesem Alptraum erwachen würde.

Mit einem kurzen Kopfschütteln schloss er den Wälzer und warf der Tür einen verstohlenen Blick zu. Es juckte ihm in den Fingern sie zu öffnen.

Rufus wollte ja nicht abhauen. Er wollte nur einen kurzen Blick riskieren und sich vielleicht die Beine vertreten.

Was konnte schon passieren?

Er nahm Betrayal und erhob sich, seine nackten Füße trugen ihn wie von alleine über die kalten Steinfliesen zu der Tür. Seine Finger schlossen sich um die Klinke und drückten diese herunter. Innerlich betete er zu allen Göttern, dass Helena nicht genau in diesem Moment auf der anderen Seite stand. Doch als er die Tür mit einem leisen knarren öffnete fand er einen menschenleeren, breiten und hohen Gang vor der sich nach links und rechts erstreckte. Rufus konnte in keiner Richtung ein Ende sehen, das wenige Licht, das ein paar Kerzenständer an den Wänden spendeten, reichte nicht aus. Dafür sah er Türen, dutzende, schmale Pforten hinter denen sich sicher ähnliche Räume wie der befanden, aus dem er gerade kam und ein großes, eckiges Loch in der Wand welches seine Neugier ansprach. Das Buch mit einem Arm an seine Brust gedrückt ging er auf den quadratischen, zum Gang hin offenen Schacht zu. Eine Art riesiger Vogelkäfig hing darin. Goldene Gitterstäbe die sich oben verbanden und an gleich vier dicken Ketten hingen, ein runder Boden aus dunklem Holz und ein seltsames Pult aus dem ein Hebel und ein großer, rot leuchtender Stein ragten. Rufus setzte vorsichtig einen Fuß in den Käfig. Es schien sicher zu sein, zumindest solange er nicht darin hüpfte und den Käfig zum wackeln brachte. Also trat er ganz ein und besah sich das Pult näher. Neben dem Regler waren Ziffern in den dunklen Holzkasten geritzt und mit goldener Farbe nachgezogen. Die Zahlen reichten von 35 bis zu minus 15 und neben der untersten Zahl prangte ein kleiner, nachträglich und etwas unsauber eingebrannter Totenschädel. Der Junge wandte sich von den Zahlen ab und betrachtete den Stein näher. Ein großer, glatt geschliffener Edelstein der ein pulsierendes Licht ausstrahlte. Es reflecktierte von den goldenen Stangen und hatte etwas hypnotisches an sich. Als wolle der Stein dass man ihn anfasste. Rufus warf einen kurzen Blick hinter sich, trat einen Schritt zurück um noch einmal zu beiden Seiten in den Gang zu schauen und streckte dann seine Hand nach dem Stein aus. Es prickelte an seinen Fingerspitzen als Rufus über die glatte Fläche strich, doch mehr passierte nicht. Irgendwo zwischen enttäuscht und froh darüber, dass nichts passiert war, wandte er sich wieder dem Gang zu und wollte zurück in das Zimmer gehen um auf Helena zu warten. Doch er hatte die Grenze zwischen Käfig und Tunnel noch nicht erreicht als er etwas hörte. Eine Art Rascheln das schnell lauter wurde bis er sah was da auf ihn zu kam. Gut hundert Raben und andere schwarze Vögel bewegten sich mit einem ohrenbetäubenden Lärm auf den Käfig zu und störten sich nicht daran dass jemand darin war. Sie strömten in den Schacht, stürzten nach unten oder stiegen in die Dunkelheit auf. Dabei rammten gleich mehrere Vögel den Jungen, der nicht wusste dass er einfach hätte stehen bleiben müssen. Er fuchtelte panisch mit einem Arm um die Raben zu vertreiben und ging dabei Stück um Stück rückwärts bis er gegen das Pult stieß und mit dem Hintern gegen den Stein drückte. Mit einem metallischen Schaben bewegte sich die Käfigtür, ein Schiebeelement dass Rufus zuvor nicht weiter beachtet hatte, und versperrte dem Jungen den Weg auf den Gang hinaus. Die Vögel kreischten protestierend auf und schienen in dieser seltsamen Sprache über Rufus zu fluchen.

Er schaffte es mit Mühe sich durch den abebbenden Vogelstrom zu kämpfen, erreichte die Schiebetür aber zu spät. Sie schloss und verriegelte sich bevor er sie packen konnte und ein Ruck ging durch den Käfig. Einen Moment lang stand Rufus zittrig vor dem Gitter das ihm den Weg hinaus versperrte und sah den letzten Vögeln hinterher, wie sie in den Schatten über ihm verschwanden.

Und dann ging es abwärts...

Der Käfig rauschte in die Tiefe des dunklen Schachts.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sotar
2012-04-17T20:14:39+00:00 17.04.2012 22:14
Wieder mal eine sehr gute Fortsetzung. Insbesondere die Idee mit der Thelepatie(?) zwischen dem Tier und dem Bibliothekar finde ich interessant und gut gewählt. Auch der "Käfig" ist eine super Idee. An das Ende dürfte sich auch prima anknüpfen lassen, da es sehr sehr viel Spielraum lässt.
Aber, wie wäre es im letzten drittel des Textes mit ein paar Absätzen oder etwas in der Art? Es ist meiner Meinung nach dann doch ein ganz schöner Textwulst der etwas schwer zu kauen ist. 1 oder 2 Absätze/Leerzeilen wären für mich als Leser zum verschnaufen ganz nett gewesen und hätten auf jeden Fall auch in dem Text noch Platz gefunden.
Ansonsten ließt sich deine Weiterführung aber schön flüssig, Rufus kindliche Neugier kommt nun auch mal wieder zum tragen (mit welcher die ganze Geschichte ja mehr oder weniger los ging) und es ist alles auch wie immer schön anschaulich und detailliert beschrieben.
In diesem Sinne viel Erfolg beim WB

mfg
Sotar


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