Zum Inhalt der Seite

Try to set the night on fire

Yakuza meets Göre...?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erste Begegnung

Wortanzahl: 4.148

A/N: Das hier ist eine meiner leicht zu lesenden Fics, Lay ist mir mit der Zeit ziemlich ans Herz gewachsen, genauso wie Hitomi, und was Hakuei angeht... Ich glaube, da muss ich nicht viel sagen :D

Ich hoffe, die FF gefällt euch und ihr lasst mich wissen, was ihr von ihr haltet ^___^
 

~*~
 

„Völ-li-ger-Ab-sturz!“, sagte ich laut und in genau diese Silben unterteilt, während ich aufgebracht den Pappbecher in meinen Fingern zerdrückte. Ungeachtet dessen, dass die Cola, die noch darin war, gefährlich nah an den Rand stieg.

Kanoma nahm mir das vermaledeite Ding aus der Hand und stellte es an die Seite. „Was denn? Wieder mal dein Vater?“

„Ja!“ Ich seufzte frustriert auf. „Kommt der gestern zu mir hin und sagt mir, dass er für ’ne Weile... verschwinden muss.“ Die letzten beiden Wörter flüsterte ich. Es musste ja nicht jeder mitbekommen, über was wir uns unterhielten. „Er weiß noch nicht, wie lange, vielleicht für einen Monat, vielleicht weniger, vielleicht länger.“

„Ist doch cool!“, freute mein Gegenüber sich für mich. „Dann hast du sturmfrei und kannst machen, was du willst.“

„Eben nicht cool.“ Ich schnitt gequält eine Grimasse. „Meinst du, er lässt mich unbeaufsichtigt für einen ganzen Monat in unserem Haus? Nach DEM hier?“ Ich zeigte auf das Piercing in meiner linken Augenbraue. „Er hat mir fast den Kopf abgerissen, als er es gesehen hat!“

„Also heißt das, dass er dir einen Babysitter da lässt?“, schlussfolgerte Kanoma breit grinsend.

Ich lächelte ironisch. „Haha, sehr lustig. Genau das. Was denkst du denn? Und wahrscheinlich ist das auch so einer wie er selbst, total korrekt, im Anzug, so’n Schrank vermutlich oder so... Dann hab ich zwar meinen eigenen Bodyguard, aber mein Papa weiß trotzdem von allem, was ich mache. Das bringt’s auch nicht.“

„Tut mir leid, dass ich dich nicht bemitleide, aber Schadenfreude ist nun mal die schönste Freude“, bemerkte er schwach lächelnd. „Aber vielleicht kriegst du ja eine hübsche Brünette, die sich um dich kümmern soll...“

„Als ob.“ Ich hob eine Augenbraue. „Außerdem – was sollte ich dann mit ihr anfangen?“

„Tja, du kannst dich dann leider nicht um sie kümmern, überlass das dann am Besten Towa, der freut sich bestimmt...“ Ich wusste nicht, ob Kanomas Tonfall wirklich etwas abfällig war, oder ob ich mir das nur einbildete.

„Als ob mein Papa irgendwelche Bräute kennen würde. Und als ob er die zu mir schickt – wenn er welche hat, dann nimmt er sie eher mit.“

„Wann siehst du deinen Babysitter denn das erste Mal?“

„Heute.“ Ich verzog das Gesicht. „Willst du nicht vorbeikommen, dann kannst du ihn dir ansehen.“

„Heute geht nicht, ich fahr gleich übers Wochenende meine Tante besuchen. Dann krieg ich Geld und endlich mal wieder richtig leckeres selbstgekochtes Essen. Dass ich fast auf dem Land wohn, ist dann nebensächlich. Dafür lohnt es sich richtig.“

„Hm. Schade. Towa ist auch weg, das heißt, ich hab eh ein einsames Wochenende. Na toll.“ Ich trank meine Cola aus und malträtierte den Becher anschließend weiter. „Mal schauen, wie der Typ oder die Tussi drauf ist. Vielleicht werden wir ja beste Freunde.“

Kanoma hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich komm Sonntagabend mal bei dir vorbei. Wenn das Haus noch steht, gehe ich vom besten Fall aus, ja?“

„Kann ich dich wenigstens anrufen? Towa kommt nämlich nicht mal an ein Telefon dran.“

Er nickte. „Klar. Gib mir was zu schreiben, dann geb ich dir meine Nummer.“

„Ich hab nur einen Kajal griffbereit.“

„Ach, der geht auch.“
 

Ich war ein Scheißkind, kurz gesagt: Gerade mal achtzehneinhalb Jahre alt und fühlte mich schon wie volljährig, und daher benahm ich mich auch so. Ich soff und rauchte, ich ignorierte die meisten Verbote meines Vaters, lungerte bis spätnachts auf den Straßen herum, schminkte mich, färbte mir die Haare teilweise blond und ließ mir Piercings stechen. Ich hatte bereits eins im Kinn, eins im Nasenflügel und eins in der linken Augenbraue (ganz neu). Abgesehen davon waren meine Klamotten auch nicht gerade die bravsten. Ich hatte mich, zusammen mit meinen Freunden Kanoma und Towa, von der dunkleren Visual-Kei-Welle anstecken lassen und lief dementsprechend rum.

Meinem Vater passte das gar nicht. Aber er erzog mich nicht so autoritär, als dass er ernsthaft etwas dagegen unternehmen konnte beziehungsweise wollte. Eigentlich mochte ich meinen Vater sogar, ich fand, er hatte nicht vollkommen versagt bei seinem Job, alleine ein Scheißkind wie mich aufzuziehen. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und nach ihr hatte mein Vater keine andere mehr geschwängert, sodass ich Einzelkind geblieben war. Ich war zufrieden damit. Insgesamt war mein Leben ohnehin äußerst angenehm, ich kackte in der Schule nicht völlig ab, hatte meinen Spaß und verstand mich zeitweilig auch mit meinem Vater.

Was ich allerdings ziemlich lustig fand, war die Tatsache, dass unheimlich viele Leute mich nicht leiden konnten. Einige davon hatte ich aktiv provoziert, die anderen fühlten sich einfach nur so von mir angegriffen. Manche durch mein Aussehen, andere durch meine Wortwahl, wieder andere durch mein Verhalten. Wenige Erwachsene konnten etwas mit mir anfangen und noch weniger von meinen Gleichaltrigen. Ich amüsierte mich eher darüber, als dass ich mich ärgerte. Sollten sie doch denken, was sie wollten.
 

Als ich um vier Uhr nachmittags nach Hause kam, erwartete mein Vater mich bereits ungeduldig.

„Wo warst du so lange?“, fragte er mich leicht verärgert.

Doofes Kind, dachte ich. „Ich hab mich noch mit Kanoma getroffen“, entgegnete ich schulterzuckend.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du später kommst?“

Ganz doofes Kind, dachte ich. „Ich weiß nicht. Hab’s vergessen.“

„Gott sei Dank muss ich das die nächsten Wochen nicht ertragen“, murmelte er seufzend.

Scheißkind, dachte ich und musste lächeln. „Wann kommt er oder sie denn?“, erkundigte ich mich neugierig.

Mein Vater sah mich einen Moment verständnislos an, dann verstand er, wovon ich redete. „Ach so. Keine Ahnung. Wenn ich abgeholt werde, müsste er eigentlich dabei sein. Vielleicht noch eine Viertelstunde?“ Er blickte auf seine Uhr.

Okay, also ein Typ. „Wohin fährst du eigentlich?“

„Weg. Es ist besser für uns beide, wenn du es nicht weißt. Ich würde dich ja mitnehmen, weil es dort sicher ist, wo ich hinfahre...“

„Aber erstens würde dir mein Gelaber auf die Nerven gehen, zweitens sollte ich nicht noch öfter in der Schule fehlen und drittens würde das auffallen. Also beschaffst du mir einen Bodyguard.“ Ich musste grinsen. „Schon klar. Mach dir da keine Sorgen, solange mein Babysitter nicht ganz schrecklich ist, passt das schon. Rufst du denn wenigstens zwischendurch an? Sonst weiß ich gar nicht, was mit dir los ist.“

„Natürlich.“ Er lächelte mich väterlich an, was er selten tat, und zog mich an sich, was er noch seltener tat. Ich erwiderte die Umarmung und schloss die Augen, um den entfernten Geruch seines milden Parfums wahrzunehmen. „Mach bitte nicht allzu viel Unsinn, ja?“, flüsterte er mir ins Ohr. „Und mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme so schnell wie möglich wieder zurück.“

„Alles klar“, erwiderte ich leise und lächelte, als er mich wieder los ließ. „Ich sag jetzt aber nicht, dass du dich auf mich verlassen kannst, weil wir beide wissen, dass das nicht stimmen würde.“

Bevor er die Chance hatte, etwas zu sagen, klingelte es an der Tür. Er warf mir einen halb tadelnden, halb amüsierten Blick zu, verließ das Wohnzimmer und öffnete. Ich hörte Stimmen und folgte meinem Vater, der sich mit jemandem, der mit dem Rücken zu mir stand, hastig unterhielt. Dann wandte er sich wieder an mich. „Pass auf dich auf“, wünschte er mir noch, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand mit einem Koffer in der Hand aus der Tür. „Ich meld mich!“, rief er noch, dann winkten wir uns zu und ich schloss die Haustür. Ein ziemlich übereilter Abschied, aber ich hielt eh nicht allzu viel von Melodramatik.

Dann drehte ich mich zur Seite und musterte den Kerl neben mir, mit dem ich offenbar die nächsten vier Wochen verbringen würde. Ich war, gelinde gesagt, überrascht. Eigentlich stand ich kurz davor, ihn mit offenem Mund anzustarren, und er wirkte, als ginge es ihm ähnlich. Vor mir stand ein Typ mit Tattoos, Piercings, kaputten Klamotten, Deko und Schminke. (Mit Deko meinte ich zum Beispiel die Metallringe seitlich an seinem Oberteil oder die Ketten an seiner Hose. Nur mal so zwischendurch als Erklärung.) Er wirkte wie ein Yakuza, den man für ein VK-Event aufgestylt hatte. Ich fragte mich, was ICH wohl für einen Eindruck auf ihn machte.

„Und du... bist SEIN Sohn?“, wollte der Kerl in genau dem Moment zweifelnd wissen und deutete mit dem Daumen in Richtung Tür.

Ich grinste schief. „Obwohl er es am liebsten abstreiten würde, ja. Ich glaub schon. Und du bist mein Babysitter?“

„Nein. Ich bin Hakuei.“ Er hielt mir seine Hand hin. „Und du bist-“

„Ich bin Lay“, fiel ich ihm schnell ins Wort und schüttelte seine Hand. „Egal, was du über meinen Namen gehört hast, vergiss es, so heiß ich nicht. Ich reagier nur auf Lay.“

„Gut.“ Er zuckte erneut die Schultern. „Schon mal vorab – wenn du weggehst, will ich wissen wie lange. Du musst jederzeit erreichbar sein, egal wie. Wenn dein Handy-Akku stirbt, bist du selbst dafür verantwortlich. Du wirst dich nicht besaufen, keine Drogen nehmen und nicht die Schule schwänzen.“ Das alles wurde in ruhigem, aber dennoch ernsten Ton vorgetragen und es klang nicht wie auswendig gelernt – dadurch aber nur umso überzeugender.

„Und... was, wenn ich das doch mache?“, wagte ich zu fragen.

Hakuei fixierte mich ein paar Sekunden fest und verengte seine Augen. „Lass es einfach“, riet er mir kurzerhand.

„Petzt du das sonst meinem Papa?“, fragte ich weiter. Das wäre kein Problem, da, wo er war, konnte mein Vater eh nichts ausrichten. Und bestrafen konnte er mich auch nicht.

„Kennst du den Begriff Selbstjustiz?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, woraufhin sein Blick etwas mitleidiger wurde.

Er bluffte. Er konnte nur bluffen. „Du bluffst“, merkte ich an.

„Willst du’s herausfinden?“ Damit wandte er sich ab und betrat unser Wohnzimmer.

Okay. Das war schon mal absoluter Mist. Ich durfte mich nicht besaufen? Er wollte mich rund um die Uhr erreichen können? Na klasse. Das hatte er bestimmt nicht von meinem Vater. Oder? Ich wusste es nicht. Und was sollte das mit der Schule und den Drogen? Was störte ihn das? Stirnrunzelnd ging ich ihm hinterher und beobachtete ihn dabei, wie er interessiert die Glasschränke betrachtete und dann zum Bücherregal ging. „Bist du ein Yakuza?“, wollte ich wissen. Ich konnte es mir nicht länger verkneifen.

„Ja“, erwiderte er knapp, ohne mich anzusehen.

„Arbeitest du für meinen Papa?“

„Ja.“

„Hast du schon mal jemanden umgebracht?“

Er hob eine Augenbraue und sah mich kurz an. „Das geht dich nichts an.“

„Wie viele?“

„Mehr als du wissen willst.“

„Keinen einzigen“, meinte ich überzeugt.

„Glaub, was immer du willst.“ Er nahm sich ein Buch und blätterte es flüchtig durch.

„Warum arbeitest du für meinen Papa?“

„Weil er mir das Leben gerettet hat.“ Die Worte kamen ohne Emotionen, daher wurde ich langsam unzufrieden. Aber als er zielstrebig ein bestimmtes Buch in die Hand nahm, verstummte ich und musterte ihn. Er schlug es auf und überflog die handschriftliche und schwer lesbare Notiz schnell, ehe er das Buch wieder zurück stellte. Meine Mutter hatte es meinem Vater geschenkt, zusammen mit einer persönlichen Widmung darin. War es Instinkt gewesen, dass er es so schnell gefunden hatte, oder wusste er davon? Er nahm wieder Blickkontakt zu mir auf. „Wie alt war sie?“, fragte er mich, und es klang, als wollte er ein ‚noch gleich’ hinten anfügen. Er wusste davon.

„Neunzehn“, gab ich zögerlich zurück. Ich war mir nicht sicher, ob es ihn etwas anging oder nicht.

Hakuei nickte langsam. „Darf ich hier drin rauchen?“

Mann, hatte er komische Themenwechsel. Ich deutete mit dem Kinn zur Terrassentür. „Draußen. Hat lange gedauert, bis ich meinen Papa dazu gekriegt hab, aber jetzt zieh ich’s konsequent durch.“

Er nickte lediglich wieder und trat auf die Terrasse, während er sich eine Zigarette aus der Hosentasche fischte und diese danach anzündete. Er nahm zwei Züge, dann drehte er mir den Kopf zu (ich war ihm natürlich hinterher gegangen). Ich wusste nicht, ob er angepisst war, weil ich ihm die ganze Zeit nachlief, aber wenn, dann zeigte er es nicht. Ich musterte ihn neugierig. „Du wirkst wie jemand, der viel Aufmerksamkeit benötigt“, stellte er fest und blies etwas Rauch zur Seite.

„Ja, das... stimmt schon.“ Ich musste grinsen. „Wenn ich dir auf die Nerven gehe, dann sag nur Bescheid. Vorher hör ich nämlich nicht auf.“

Er stützte sich auf das Geländer zum Garten hin und schaute etwa eine Minute nur schweigend geradeaus. „Ist aber nicht gesagt, dass du danach aufhörst“, murmelte er dann.

Doofes Kind. Ich grinste breit. Nicht mal zehn Minuten, und schon war ich ein doofes Kind. Gute Zeit, fand ich. „Nein, das stimmt. Sag mal, warum hast du so viele Piercings?“

„Das hier-“, er zeigte auf das in seinem Nasenflügel, „-muss ich tragen, sonst könnte ich meine Stimme nicht mehr verstellen. Hier“, er deutete auf sein Kinn, „hat mich jemand angeschossen, aber die Kugel wurde von meinen Zähnen abgefangen, sodass ich nicht weiter verletzt wurde. Und ich hab mir gedacht, dass ich das Loch dann gleich nutzen kann. Und in der Augenbraue bin ich einmal beim Heimwerkern abgerutscht.“

Ich starrte ihn entgeistert an. „Willst du mich verarschen?“

„Yep.“ Er nahm einen weiteren Zug und blies einen Rauchring.

Ich knuffte ihn in die Seite. „Hey, das ist gemein!“

„Blöde Fragen verdienen blöde Antworten“, entgegnete er ruhig und schien sich nicht daran zu stören, dass ich ihn geboxt hatte.

„Warum denn eine blöde Frage?“

„Warum hast DU Piercings, hm?“ Er blickte mich wieder an.

„Weil ich’s schön finde“, antwortete ich sofort.

Hakuei machte eine Da-hast-du’s-Geste.

Hm. Leuchtete mir ein. Ich drehte mich um und lehnte mich mit dem Rücken ans Geländer. „Darf ich auch mal?“, wollte ich bittend wissen.

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil du nicht rauchen solltest. Du bist noch jung. Achtzehn Jahre. Das ist kein Alter, in dem man rauchen sollte.“

„Das ist auch kein Alter, in dem man sich hemmungslos besaufen, f***en, Drogen nehmen, sich nachts um drei auf einer Mülldeponie herumtreiben, von einer Autobahnbrücke Wasserbomben schmeißen oder sich durch pure Leichtfertigkeit den Arm brechen sollte“, widersprach ich trotzig und grinste, als ich seinen Blick auf mir spürte. „Hey, ich hab nicht alles gemacht. Gut, alles bis auf eins. Den Arm hab ich mir vor einem halben Jahr gebrochen. Weil wir nachts noch Trampolin springen wollten, und da sind wir über einen Zaun geklettert und... na ja. Und wegen der Wasserbomben hätten wir ziemlichen Ärger gekriegt, wenn sie uns erwischt hätten. Auf der Deponie haben wir Dinge gesehen, die-“

„Aber du bist nicht abhängig, oder?“, unterbrach er mich eher beiläufig.

Ich dachte kurz nach. Dass ich mich gerne betrank, wusste er bestimmt, das mit dem Arm, den Wasserbomben und der Müllhalde nun auch, und die Drogen hatte er erraten. Das hieß, er wusste jetzt, dass ich noch Jungfrau war, und schien sich kein bisschen dafür zu interessieren. Beides ärgerte mich irgendwie. „Nein. Ich hab nur ein paar Sachen ausprobiert.“

„Wenn ich dich erwische, wie du irgendwas nimmst, quetsch ich dein Hirn zusammen, bis es aus deinen Augenhöhlen wieder herauskommt“, versprach er mir ruhig, richtete sich wieder auf und drückte seine Zigarette in unserem Steinaschenbecher aus, der ständig voll zu sein schien. Dann ging er zurück ins Haus.

Ich starrte ihm hinterher. Was zur... Ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Er ließ sich nicht provozieren, schien mir nur halb zuzuhören, merkte sich aber höchstwahrscheinlich alles, was ich von mir gab, um es zu einem späteren Zeitpunkt gegen mich zu verwenden. Er verarschte mich, drohte mir und tat, als müsste ich Angst vor ihm haben. Er war zwar nicht gerade unfreundlich, aber die netteste Person war er auch nicht. Und er fand mich nicht konstant doof. Warum nicht? Ich ging ihm wieder hinterher und fand ihn in der Küche, wo er sich gerade den Inhalt des Kühlschranks besah. „Du-“

„Räum die Spülmaschine aus“, sagte er in meine Richtung, dann verschwand er wieder.

Ich traute meinen Ohren nicht. Bitte? Ich sollte die Spülmaschine ausräumen? Warum das denn? Meinte er, jetzt, wo er auf mich aufpassen musste, dürfte er mich auch herumkommandieren? Die Spülmaschine ausräumen! Der hatte sie wohl nicht mehr alle. Kopfschüttelnd ging ich die Treppe hoch und betrat mein Zimmer. Da ich gerade eh nichts Besseres zu tun hatte, schaltete ich meinen PC an und surfte erst ein bisschen, bevor ich Counter Strike öffnete und anfing zu spielen. Gerade, als ich zum wiederholten Mal gestorben war, betrat jemand mein Zimmer.

„Störe ich?“, wollte Hakuei wissen, wie immer gelassen.

„Hm“, machte ich zur Antwort und drückte beinahe hektisch auf den Tasten herum, als ich respawnte.

„Darf ich dir ein paar Fragen stellen? Wer hat bei euch vorher gekocht?“

„Mein Papa“, gab ich abwesend und ohne viel Nachdenken zurück.

„Wer hat Wäsche gewaschen?“

„Auch mein Papa.“

„Wer hat die Wohnung um- und aufgeräumt?“

„Auch mein Papa.“

„Wer ist einkaufen gegangen?“

„Auch er.“ So langsam begann er, mich abzulenken.

„Wer hat die Spülmaschine ein- und wieder ausgeräumt?“

„Auch.“

„Wie lange hat er durchschnittlich bei uns gearbeitet? Pro Tag?“

Sollte er das nicht selbst wissen? „Ein paar Stunden.“ Ich fluchte mehrfarbig, als ich erneut starb. „Vielleicht einen halben Tag, manchmal mehr.“

„Kurz – wer hat sich um den GESAMTEN Haushalt UND das Geldverdienen gekümmert und es dabei noch geschafft, ein Kind aufzuziehen, dessen Mutter gestorben ist?“

„Mein Papa natürlich.“ Ich runzelte die Stirn. „Was-“

„Dieses Netzwerkkabel wird im Safe eingeschlossen, wenn du nicht innerhalb von zwei Minuten dabei bist, die Spülmaschine auszuräumen.“

Entrüstet drehte ich mich zu ihm um. „Hey, ich hab vorher auch nichts gemacht, warum hast du jetzt auf einmal das Recht-“

„Weil ich mich unter keinen Umständen so ausnutzen lassen werde wie dein Vater“, unterbrach Hakuei mich beherrscht. „Ich habe nämlich keine Lust, mich für jemand so Undankbares aufzuopfern. Demnächst machst du, was ich sage.“ Er verließ mein Zimmer wieder.
 

„Er hasst mich“, flüsterte ich in den Telefonhörer und spähte aus meiner Zimmertür, um sicherzugehen, dass Hakuei auch nicht davor stand.

„Also doch ein er?“, fragte Kanoma interessiert. „Wieso hasst er dich? Findet er dich nur doof oder...“

„Nein, ich glaube, er hasst mich wirklich. Ich bin, soweit ich das mitgekriegt habe, kein doofes Kind, sondern ein Dreckskind. Er scheint mich wirklich nicht zu mögen.“

„Was hast du denn gemacht?“

Ich erzählte Kanoma von dem, was ich über Hakuei wusste, und von dem, was er mir gesagt hatte. „Er meinte wirklich ‚ausnutzen’... nutze ich meinen Papa aus? Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“

„Na ja, so, wie er es formuliert hat... klang es schon danach. Stimmt das alles denn wirklich? Dass dein Papa den ganzen Haushalt macht und so?“

„Bis ich vierzehn war, hatten wir noch eine Haushaltshilfe. Danach hat er alles übernommen, ja...“ Ich hatte überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, als dass ich mich um meinen Vater sorgen konnte...

„Tja, dann würd ich mich mal bei ihm bedanken, dass er dir das klargemacht hat. Aber sonst ist er ganz okay?“

„Abgesehen davon, dass er mir das Hirn zusammenquetschen will, ja.“

Kanoma musste lachen. „Das klingt echt voll cool.“

„Cool ist er auf jeden Fall. So ’ne richtige Ice Queen, lacht nicht, ist nicht allzu freundlich zu mir... aber mal schauen, vielleicht gibt sich das ja. Hoffentlich. Sonst wohne ich vier Wochen mit einem Eisklotz zusammen.“

„Na ja, ich glaub schon, dass sich da noch irgendwas ändern wird, wenn ihr euch erst länger ertragen habt... Ich will ja nicht angeben, aber ich dagegen werd die ganze Zeit von meiner Tante mit Geld zugestopft, richtig cool. Meinetwegen kannst du mal mitkommen, dir würde sie bestimmt aus Mitleid auch was geben.“

Ich musste lächeln. „Na vielen Dank, du verstehst es wirklich, mich aufzubauen.“

„Stets zu Diensten. Ach, worum ich dich noch bitten sollte – morgen trifft die eine, die Towa so heiß findet, Aya, sich mit ein paar anderen Kerlen. Kannst du dich da selbst einladen und ein Auge auf sie haben? Towa wollte sie sich nämlich nächste Woche krallen, wenn sie Geburtstag hat, und wenn sie ihm vorher schon weggeschnappt wird...“

„Klar. Kein Problem. Ihre Nummer hab ich ja, dann frag ich sie einfach.“

„Super. Ich bedank mich schon mal in Towas Namen.“
 

Nachdem ich die Spülmaschine ausgeräumt, mir eine Pizza zum Abendessen gemacht und erst mit Kanoma, dann mit Aya telefoniert hatte, saß ich noch etwa eine Stunde am PC, bis es mir endgültig zu langweilig wurde. Unzufrieden verließ ich mein Zimmer und ging nach unten ins Wohnzimmer, wo Hakuei auf einem der beiden Sofas saß und sich die Nachrichten ansah. Ich legte mich auf die zweite Couch und verfolgte das Geschehen eine Weile, bis auch das mir zu ereignislos wurde. Ich beschloss, Hakueis Stellung als Untergebener meines Vaters auszunutzen. Warum auch nicht? Sprach aus meiner Sicht nichts dagegen. „Haku?“, sprach ich ihn an.

„Hakuei für meine Freunde, Haku für meine Feinde“, entgegnete er desinteressiert.

Ich runzelte die Stirn. Ich wollte ihn aber nicht so nennen, wie alle anderen ihn auch nannten. „Ha-chan?“

Mit einem Blick, der hätte töten können, drehte er mir den Kopf zu. „Was ist?“, knurrte er leise.

Bis jetzt hatte ich es noch nicht geschafft, ihn ernsthaft zu verärgern, und ich wusste nicht, ob ich das gleich am ersten Tag herausfinden wollte. „Ehm... warum genau musste mein Papa untertauchen?“

„Hat er es dir nicht gesagt?“, lautete seine Gegenfrage.

Ich überlegte blitzschnell. Wenn ich ‚Nein’ sagte, würde er entgegnen, dass er es dann auch nicht machen würde, und wenn ich behauptete, dass ich es wieder vergessen hätte, würde er mir nicht-

„Also nein. Sonst würdest du nicht fragen. Weil ich Mist gebaut habe.“

Perplex sah ich ihn an. Ich hatte nicht damit gerechnet, überhaupt eine Antwort zu bekommen. „Du?“

Er nickte und wandte seinen Blick wieder dem flimmernden Fernseher zu. Ich erwartete beinahe, dass er mich auf diesem Wissensstand sitzen lassen würde, aber nach ein paar Sekunden fuhr er fort: „Ich kann dir aber nicht sagen, inwiefern. Und es war auch nicht ausschließlich meine Schuld. Aber hauptsächlich bin ich dafür verantwortlich, dass der Che... dass dein Vater untertauchen muss.“

„Der was?“, wiederholte ich leicht grinsend. „Der Chef? Wolltest du ‚der Chef’ sagen? Wie niedlich.“

Hakuei rollte mit den Augen, entgegnete allerdings nichts.

„Sag mal, ist es eigentlich lustig, für meinen Papa zu arbeiten?“, fragte ich weiter.

Daraufhin bekam ich ein schiefes Grinsen zurück. „Lustig? Was glaubst du, was wir machen? Also lustig ist ganz bestimmt nicht das richtige Wort.“

„Was macht ihr denn?“, beharrte ich, ungeachtet der Tatsache, dass er unter Umständen dem Geschehen auf dem Bildschirm folgen wollte – das war irrelevant für mich.

„Was glaubst du denn, was wir machen?“

Warum stellte er mir so viele Gegenfragen? Das irritierte mich. „Ehm... Schutzgeld eintreiben?“, schlug ich zögerlich vor.

„Ist das alles?“

„Errr... Dealen?“

„Was noch?“

„Euch... mit anderen Clans streiten?“

„Also bitte. Das alles ist als Hauptbeschäftigung irgendwie niveaulos.“

„Woher soll ich denn wissen, womit ihr euch beschäftigt?!“, brach es aus mir heraus. „Mir sagt ja keiner was! Nicht mal mein eigener Papa will mir erzählen, womit er seinen Lebensunterhalt verdient!“

„Stört dich das ernsthaft?“, lautete Hakueis Gegenfrage. Inzwischen sah er mich wenigstens wieder an.

„Ja! Ich dachte eigentlich immer, dass die Söhne der Clanchefs irgendwann mal deren Posten übernehmen würden, und dass sie schon viel eher eingeweiht werden, aber ich weiß fast GAR nichts!“, beschwerte ich mich wütend. Nur wenige Leute wussten, dass mein Vater ein Yakuza war. Towa und Kanoma wussten es, aber sie hatten keine Ahnung, dass er sogar der Clanchef und ein richtig hohes Tier war. Meine Lehrer und Lehrerinnen schienen es zu ahnen, da sie einiges an Respekt und Vorsicht an den Tag legten, wann immer sie mit meinem Vater sprachen.

„Warum, meinst du, ist das so?“

„Ja offenbar will mein Papa nicht, dass ich nach ihm der Chef werde“, erwiderte ich das Offensichtliche, obwohl mir zum ersten Mal dieser Gedanke kam. Zumindest in der Form.

„Und warum nicht?“

„Woher soll ich das denn wissen!?“

„Was glaubst du? Warum könnte dein Vater wollen, dass du kein Yakuza wirst?“

Ich machte den Mund auf, wieder zu, und wieder auf, dieses Mal mit gerunzelter Stirn. Warum sollte ich wohl kein Yakuza werden? Damit er den Posten des Chefs für sich allein hatte. Und rein aus Bosheit, damit sein kleines Scheißkind erstens keinen Unsinn machen kann; zweitens nichts zum Weitererzählen hat und drittens aus purer Schadenfreude, sodass es sich gehörig ärgert, außen vor gelassen zu werden. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, ergab das keinen Sinn mehr. Das konnten doch nicht die wirklichen Gründe sein. Oder? Wie ich meinen Vater einschätzte, hatte es ziemlich wenig mit Bosheit oder gar Schadenfreude zu tun. Sondern wenn, eher mit dem Gegenteil.

„Denk darüber nach“, sagte Hakuei sanft und ging wieder dazu über, meine Existenz zu ignorieren. Arrogantes Sonstwas. Meinte, mir andauernd was über meinen eigenen Vater erzählen zu müssen...

...das ich noch nicht wusste. Hm. Wahrscheinlich kannte Hakuei ihn auf eine völlig andere Art als ich – mein Vater war sein Chef, ein Yakuzaboss. Da bekam man schon andere Dinge mit, als wenn man der Sohn war. Und vielleicht hatten sie ja auch über mich gesprochen...

Unzufrieden und innerlich nicht richtig aufgewühlt, aber schon etwas in Unordnung gebracht, ging ich nach oben in mein Zimmer und setzte mich wieder an den PC. Ein paar virtuelle Gegner abzuknallen war jetzt genau das Richtige.
 

~*~
 

tbc~

Mit Waffen spielt man nicht

Wortanzahl: 4.762

A/N: Tja, die Fic ist schon fertig, deshalb werd ich sie wohl ziemlich schnell hochladen. Das hier ist der zweite von elf Teilen.

Viel Spaß!
 

~*~
 

„Wo ist Towa eigentlich?“, murmelte Aya mit schweren Augenlidern.

„Weg“, antwortete ich sehr informativ und seufzte einmal tief. „Hab vergessen, wohin. Ist das denn so wichtig?“

„Nö. Eigentlich nicht. Ich wollte nur... na ja, ich hab mich gewundert, dass er nicht... mitgekommen ist. Wär bestimmt lustig geworden.“

„Also ich find’s so lustiger“, gab ich zurück und grinste breit.

Sie erwiderte mein Grinsen. „Würd mich auch wundern, wenn nicht.“ Sie machte sich wieder über meinen Mund her und küsste, knabberte und saugte an allem, was sie erreichen konnte. Ich zog sie mit meiner Hand, die auf ihrem Hintern lag, etwas näher zu mir und erwiderte die Gesten großzügig. Towa hatte durchaus Geschmack bewiesen, als er sich in Aya verknallt hatte – sie war nicht nur äußerst hübsch, sondern auch schlagfertig, frech und trinkfest. Und sie stand unheimlich auf Typen, die sich schminkten. Ergo lag ich gerade im Wohnzimmer des jetzigen Gastgebers (ich hatte seinen Namen vergessen) auf der Couch, Aya auf mir, und knutschte seit etwa einer halben Stunde mit ihr rum. Sie machte allerdings keine Anstalten, weiter zu gehen als bis zu meinem Hals, wofür ich aus verschiedenen Gründen dankbar war.

„Magst du Towa?“, wollte ich leise wissen und leckte über ihre Unterlippe. Aya nickte. „Mehr als mich?“ Als sie zögerte, redete ich weiter: „Er ist nämlich eigentlich ernsthaft an dir interessiert. Also, wenn du grad nichts Besseres zu tun hast, gib ihm doch ’ne Chance.“

„Ja. Mal schauen. Ich find ihn schon süß. Und wenn du dein komisches Versprechen da halten willst, dann wär’s eh nichts mit uns geworden.“ Sie lächelte mich an und küsste mich dann weiter.

Komisches Versprechen? Eher ein gefasster Vorsatz. „Machst du eigentlich mit jedem rum, der dir gefällt?“, fragte ich weiter und legte meinen Kopf etwas in den Nacken, als sie anfing, in meinen Hals zu beißen.

„Nö. Nur, wenn ich Single bin. Und wenn mein Partner mich auch nicht betrügt. Ist Towa treu?“

Ich nickte langsam. „Ist er. Da kannst du dich auf ihn verlassen.“ Solange man ihn nicht abfüllte und mit einem hübschen Mädchen alleine ließ, zumindest.

„Cool.“ Sie saugte sich seitlich an meinem Hals fest.

„Keine Knutschflecken, bitte“, murmelte ich.

„Schon klar. Ich werd mir das mit Towa mal überlegen.“
 

Als ich um viertel nach drei zuhause ankam, fühlte ich mich wie gerädert. Ich hatte entgegen meines Vorsatzes und Hakueis Regel etwas zu viel getrunken, und dementsprechend fand ich auch das Schlüsselloch nicht. Eine Weile stocherte ich nur ziellos dort herum, wo ich es vermutete, und fluchte dabei halblaut vor mich hin. „Jetzt geh da rein du Mistschlüssel verf***te Drecksscheiße du Arschkackewurst mach da endlich...“

Irgendwann öffnete die Tür sich auch ohne mein Zutun und ich blickte in ein Gesicht, das mir vage bekannt vorkam. „Ich werde jetzt nicht fragen, woher du diese Ausdrücke hast. Du bist besoffen“, stellte Hakuei trocken fest.

Ich strahlte ihn an und knuffte ihn in den Bauch, der sich überraschenderweise hart wie Beton anfühlte. Oder vielleicht hatte ich nicht feste genug geknufft. „Genau! Und gut gelaunt! Willst du wissen, warum?“ Ich stolperte ins Haus und wäre beinahe hingefallen, aber Hakuei packte mich an den Haaren, sodass ich – um meine Kopfhaut nicht abzureißen – alle Anstrengungen unternahm, nicht auf die Schnauze zu fliegen, und stehen blieb.

„Das sehe ich“, bemerkte er unamüsiert und ließ mich beinahe angewidert wieder los, ehe er die Haustür schloss. „Aber eine Uhr lesen kannst du schon noch?“

„Natürlich!“, verkündete ich stolz, mir der Tatsache voll bewusst, dass ich etwa zwei Stunden später als ausgemacht zurückgekommen war. „Aber weißt du, die Leute da waren alle voll ... ....toll.“ Ich brach ab und runzelte die Stirn.

„Hat da jemand ein Wort vergessen?“, fragte Hakuei, was mich grinsen ließ. „Das war nicht lustig. Komm mit.“ Er schubste mich in Richtung Treppen.

„Wohin?“, wollte ich heiter wissen.

„Ins Badezimmer. Damit du nicht in den Flur kotzt.“

„Ich muss nicht...“ ... Ich musste doch. Und zwar direkt vor seine Füße.
 

~*~
 

Am nächsten Morgen wachte ich völlig abgespannt, noch immer todmüde und mich wie verdaut fühlend auf. Mühsam kämpfte ich mich aus meinem Bett – wie war ich dorthin gekommen? – und traute mich, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Ich fühlte mich nicht nur wie Scheiße, ich sah auch so aus. Ich hatte wohl nur meine Hose ausgezogen und in den restlichen Sachen geschlafen, meine Haare standen dank Haarspray etc. unkontrolliert in alle Richtungen ab, meine Schminke war derart verlaufen, dass ich wirkte wie ein Gespenst, und mein gesamtes Gesicht sowie mein Hals waren mit knallrotem Lippenstift verschmiert. Außerdem hatte ich etliche dunkelviolette Knutschflecken am Hals, auf meinen Armen und sogar einen auf der Wange.

Na herzlichen Glückwunsch, Lay.

Ich schlich mich in mein Badezimmer und schminkte mich erst einmal gründlich ab, bevor ich heiß duschen ging. Ich hatte ein eigenes Badezimmer, da wir zwei große auf unseren beiden Etagen hatten. Das gegenüber meines Zimmers war meins und das unten, an den Flur grenzende, das meines Vaters. Er schlief ohnehin unten, daher war das ganz praktisch. Ich hatte ein ganzes Stockwerk für mich. Hehe.

Nach der Dusche fühlte ich mich bereits etwas wacher, aber nicht wirklich besser. Ich machte mir mit dem Handtuch einen Turban auf dem Kopf, trocknete mich ab und betrachtete mich im Spiegel. Der Fleck auf meiner Wange musste weg, also überschminkte ich ihn, benutzte Eyeliner und einen schwarzen Kajalstift und klebte mir zum Schluss noch falsche Wimpern an. So. Besser. Dann föhnte ich meine Haare etwas und brachte sie dabei in eine angemessenere Form, sprich: Nicht komplett glatt, sondern auf einer Seite etwas nach oben abstehend. Den Trick hatte ich von Kanoma, es ging schnell und man sah trotzdem zufriedenstellend aus.

Nachdem ich nun endlich akzeptabel aussah, ging ich die Treppe runter und warf einen Blick in die Küche. Dann schaute ich im Wohnzimmer nach, aber Hakuei ließ sich nicht entdecken. Frustrierend. Ich frühstückte Cornflakes und einen Capuccino und lackierte mir anschließend die Fingernägel neu. Mein Schwarz wurde langsam leer, ich musste mir irgendwann mal neues holen.

Mit spitzen Fingern tippte ich auf meinem Handy herum und stellte fest, dass ich zwei neue Nachrichten hatte. Eine war von Kanoma, in der er mir mitteilte, dass er an diesem Abend so gegen sechs vorbei kommen würde, um mir Gesellschaft zu leisten. Die zweite war von Aya, die bedauerte, dass ich am Vorabend so früh hatte gehen müssen und sie gerne noch mehr Zeit mit mir verbracht hätte. Ich schrieb keinem der beiden zurück – mit Aya würde ich in Zukunft, wenn überhaupt, nur durch Towa Kontakt haben und Kanoma sah ich ohnehin später.

Gerade, als ich beschlossen hatte, ein bisschen draußen rumzurennen und zu schauen, ob ich irgendwen traf, den ich kannte, klingelte das Telefon. „Ja?“, fragte ich nicht allzu enthusiastisch.

„Lay?“ Mein Herz machte einen Sprung, als ich die Stimme meines Vaters erkannte. „Wie geht’s dir?“

„Der Keller steht unter Wasser, ich hab einen kleineren Brand in deinem Schlafzimmer verursacht, Hakuei aus Versehen einen Finger abgeschnitten und mir selbst das Bein gebrochen. Ach ja, und mein Nagellack ist alle“, antwortete ich amüsiert.

Kurzes Schweigen. Doofes Kind, dachte ich und musste lächeln. „Du-“

„Bis auf das Letzte stimmt das natürlich nicht. Mir geht’s gut, ich hab ein bisschen Kopfschmerzen. Letzte Nacht zu viel getrunken.“

Ein Seufzen. Ganz doofes Kind. „Kommt ihr denn miteinander klar?“

„Ich glaube, ich gehe ihm furchtbar auf die Nerven.“

„Ich hatte nichts anderes erwartet.“

Ich grinste. „Hast du ihn denn wenigstens vorher gewarnt?“

„Natürlich. Glaubst du denn, dass ihr es noch eine Weile miteinander aushaltet?“

„Klar. So schlimm ist es wirklich nicht“, beschwichtigte ich ihn. „Er schenkt mir nur nicht die Aufmerksamkeit, die ich brauche. Wie geht’s dir denn? Alles okay?“

„Ja, alles in Ordnung. Mehr als das, zugegebenermaßen.“

Oh ja, ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie er sich gerade an einer Strandbar im schönen Italien räkelte. Ich verengte meine Augen etwas. „Aber nicht, dass du’s dir ZU gut gehen lässt, denn sonst will ich nächstes Mal mitkommen. Und du weißt ja, wie das dann ausgehen würde.“

„Ja, weiß ich. Und sonst gibt es nichts Neues?“

„Nö. Eigentlich nicht.“

„Gut. Ich melde mich später, ja? Pass auf dich auf.“

Ich lächelte. „Du auch auf dich. Bis dann!“ Als ich auflegte, hatte ich ein seltsames Gefühl im Bauch. Zu wissen, dass ich meinen Vater jetzt vielleicht einen ganzen Monat – unter Umständen sogar mehr – nicht sehen würde... das war seltsam. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er für eine längere Zeit nicht da war, aber seitdem ich zwölf war, war es nicht mehr vorgekommen. Und vorher hatten wir noch eine nette Nachbarin gehabt, die auf mich aufgepasst hatte. Na ja, da hatte ich auch noch nicht ausgesehen wie ein Sack Sülze, um es mit Towas Worten auszudrücken.

Egal. Ich hatte Besseres zu tun, als darüber nachzudenken. Ich zog mir Schuhe und Jacke an und verließ das Haus, auf dem Weg zu einem Café, bei dem ich sicher war, dass ich die Leute mochte, die dort waren.
 

Als ich gegen fünf zurückkam, schien Hakuei auch wieder da zu sein. Zumindest standen seine Schuhe wieder an der Garderobe. Ich zog meine ebenfalls aus und schaute mich um. Und erstarrte. Auf der Ablage neben der Garderobe lag etwas Schwarzes, das so unauffällig war, dass ich es beinahe übersehen hätte. Eine Pistole.

Ich wartete einige Augenblicke, und als sich kein Lebenszeichen im ganzen Haus bemerken ließ, griff ich vorsichtig nach der schweren Waffe. Sie war kalt und lag mir ungewohnt in der Hand. Eine Pistole – wofür brauchte Hakuei die? Wenn nicht für Clankriege... Brachte er vielleicht Leute um, die ihm im Weg waren? Oder war sie lediglich als Drohmittel gedacht?

Hm. Wie öffnete man noch mal das Magazin? Ich wollte nur sehen, ob die Waffe geladen war. Stirnrunzelnd drückte ich an allem herum, was ich fand, und zog schließlich den kleinen Hebel oben an der Pistole nach hinten. Okay. Was war das jetzt? Meinen Kenntnissen nach hatte ich soeben den Hahn gespannt und damit die Pistole entsichert. Oder? Hieß das, ich bräuchte jetzt nur noch den Abzug zu drücken und ich würde... Woah. Ehm. Und wie sicherte man dieses Ding wieder?!

Ich zuckte heftig zusammen, als mir jemand die Pistole unvermittelt aus der Hand nahm. Mit unbewegter Miene tätigte Hakuei ein paar Handgriffe, öffnete das Magazin, leerte es aus – es waren noch zwei Kugeln darin gewesen – und sicherte die Waffe trotzdem noch. Anschließend steckte er sie sich in den Hosenbund und betrachtete mich fest. Ich starrte ihn mit großen Augen an.

„Nicht anfassen“, sagte er leise. „Nicht einmal schauen, verstanden? Das ist kein Spielzeug.“

„Hast du damit heute auf jemanden geschossen?“, wollte ich leise wissen.

„Vergiss, dass du diese Waffe jemals zu Gesicht bekommen hast.“

„Wo warst du überhaupt?“, fragte ich unbeirrt weiter. „Als ich aufgestanden bin, warst du schon weg.“

„Dann bist du nach eins aufgestanden“, gab er zurück. „Ich hatte was zu erledigen. Hatte ich dir nicht eigentlich gesagt, dass du dich nicht betrinken sollst?“

„Hatte ich dir zugestimmt?“ Ich konnte das auch mit den Gegenfragen. Triumphierend sah ich ihn an.

„Kann ich dich zumindest dazu überreden, nicht mehr in den Flur zu kotzen?“, erwiderte er ruhig.

Das nahm mir irgendwie den Wind aus den Segeln. Ich schwieg einen Augenblick und dachte darüber nach. „Okay. Du vergisst gestern Nacht und ich vergesse die Pistole“, schlug ich ihm vor.

„Meinst du, ich lass mich von dir erpressen?“

„Ja, ich denke schon. Wenn ich meinem Papa nämlich erzähle, dass du einfach so eine Waffe rumliegen lässt...“

Er hob eine Augenbraue. „Zwei Minuten lang. Weil ich nicht damit gerechnet habe, dass du so schnell wiederkommst.“

„Ja“, entgegnete ich und wusste selbst nicht so richtig, was ich meinte. Ich würde mich aber nicht geschlagen geben.

Zu meinem Erstaunen zuckte mein Gegenüber lediglich die Achseln, wandte sich ab und ging wieder. So schnell gab er schon auf? Kein Kampfgeist... Pff. Langweilig. Ich überredete ihn, Pizza zu bestellen (und überging seine Frage fachmännisch, ob ich mich nur noch davon ernähren wollte) und wartete darauf, dass Kanoma vorbei kam. Gegen halb sieben bekam ich die zweite SMS an diesem Tag von ihm: Er steckte im Stau und würde wohl nicht vor neun zuhause sein – außerdem musste er seine Hausaufgaben noch machen. Kurz, er kam doch nicht vorbei.

Ich ließ meine schlechte Laune eine Weile an meiner Umwelt aus (der Pizza, einigen Gläsern, etlichen Blättern Papier und Hakuei), klaute mir von meinem Babysitter eine Zigarette und rauchte sie mehr oder weniger heimlich vor der Haustür. Dann trank ich eine Flasche Bier vor dem PC und spielte ein Strategiespiel, das Towa mir vor einer Woche illegal besorgt hatte. Es war ganz nett, aber nur etwas für zwischendurch. Danach ein bisschen Counter Strike und gegen halb zwölf ging ich ins Bett. Frustrierender Tag.
 

Am nächsten Morgen wurde ich durch einen Ohrwurm wach. Ich lächelte selig vor mich hin und begann, das Lied leise mitzusingen. ‚In Media’ von deadman, ein absolutes Gute-Laune-Lied. Sollte ich damit irgendetwas verbinden, was... Nach etwa einem Drittel des nicht kurzen Liedes fiel mir auf, dass es auch der Weckruf meines Handys war. Ich tötete den Alarm und musste feststellen, dass mich sofort darauf jemand anrief. Verschlafen griff ich nach dem Ruhestörer und beantwortete den Anruf. „Mmnja?“

„Lay, du Vollpfosten!“, dröhnte mir Towas Stimme ins Ohr. „Wir haben in fünf Minuten Schule! Sag nicht, du hast verpennt!!“

Woah. Kacke. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker, den ich wahrscheinlich wieder nicht gehört hatte. „Hm. Hab ich wohl. Mist. Wir sehen uns gleich. Danke für die Info.“

„Hat dein Vater dich nicht geweckt?“

„Nein, hat er wohl vergessen“, brummelte ich zurück. „Bis später.“ Ich legte auf und fragte mich, weshalb sich meine Aussage irgendwie nicht richtig angehört hatte. Ach ja. Da war ja was. Mein Vater war überhaupt nicht da. Stöhnend rappelte ich mich auf, streckte mich einmal ausgiebig und sah verschlafen auf die Uhr. Scheiße, ich musste mich ja beeilen – wenn ich wieder zu spät kam, würde mir die Hölle heiß gemacht werden!

Ich rannte ins Badezimmer und beschloss, dass meine Haare einen weiteren Tag auch noch überstehen würden. Ich schminkte und frisierte mich in Rekordzeit, befand, dass ich akzeptabel aussah, zog mich hastig an und stopfte alles, was ich brauchte, in meine Schultasche. Die erste Stunde hatte bereits seit ein paar Minuten angefangen, also würde ich insgesamt vielleicht eine Viertelstunde zu spät sein. Na super.

Ich raste die Treppe hinab und überlegte mir, dass mein Vater wahrscheinlich selbst verschlafen hatte und ich ihn vielleicht wecken sollte. Also riss ich seine Tür auf. „Guten Morgen!“, begrüßte ich ihn fröhlich, hätte dann aber beinahe meine eigenen Zunge verschluckt. Verdammt. Ich hatte schon wieder vergessen, dass mein Vater ja... Mist. Ich hasste Montage.

Im noch ziemlich schwachen Morgenlicht konnte ich erkennen, wie Hakuei langsam den Kopf hob und ein Geräusch von sich gab, das klang wie das eines aufwachenden Bären. Nicht gut.

„Ahem... ich geh jetzt. Zur Schule. Ich hab verschlafen und... bin spät dran. Bis... später. Ciao!“, quasselte ich einfach weiter, machte die Tür wieder zu und stürzte aus dem Haus. Okay, heute war nicht mein Tag. Definitiv nicht.
 

Da ich mitten in den Unterricht hereingeplatzt war, hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mit Towa oder Kanoma zu kommunizieren, und hatte dies auf die Pause verlegen müssen. Ich begrüßte die beiden erst einmal sachgemäß und klärte Towa über meine Lage auf.

„Ach du Scheiße“, bemerkte er und hob eine Augenbraue. „Und du hockst da jetzt mit einem waschechten Yakuza im Haus rum, der dich scheiße findet und dich am liebsten jeden Moment abknallen würde? Also ICH hätte Angst. Willst du nicht vielleicht zu mir ziehen?“

„SO schlimm ist es jetzt auch nicht“, winkte ich ab. „Er ist eigentlich wirklich okay. Aber ich glaube, heute morgen hab ich’s mir mit ihm verscherzt.“ Towa und Kanoma lachten mich aus, als ich ihnen davon erzählte.

„Und? Hast du irgendwas gesehen, was du gegen ihn verwenden könntest?“, wollte Towa gleich sensationslüstern wissen.

Ich runzelte die Stirn. „Was hätte das denn sein sollen?“

„Keine Ahnung. Irgendwas Perverses.“

„Hallo? Was glaubst du denn, macht der nachts und vor allem im Schlafzimmer von meinem Papa?!“

„Weiß ich’s?“, gab Towa breit grinsend zurück.

„Nein, er hat nur ganz normal gepennt. Aber ich glaube, er ist kein Morgenmensch. Wirkt zumindest nicht so.“

„Zumindest in der Hinsicht versteht ihr euch gut“, warf Kanoma lächelnd ein.

„Klappe. Aber abgesehen davon darf ich fast nichts. Nicht mal rauchen! Ich darf mich nicht besaufen, nicht zu lange wegbleiben, nicht blau machen, muss im Haushalt mithelfen... und er hätte mich fast getötet, als er mitgekriegt hat, dass ich seine Waffe betatscht hab.“ Ich schnitt eine Grimasse.

Vier Augen wurden groß.

„Er hat eine Pistole?“, wiederholte Kanoma leise, und gleichzeitig murmelte Towa: „Du hast ihn befummelt?“

Kanoma und ich blickten Towa eine Weile schweigend an, bis der verteidigend die Hände hob: „Hey, es klang so!“

Ich überging seinen Einwand. „Ja, er hat eine. Ich hab sie gesehen, als er grad nicht da war, und aus Versehen entsichert. Ich glaub, da hätte er mich wirklich gern erwürgt. Er meinte, dass ich vergessen sollte, dass ich sie je zu Gesicht bekommen hab.“

Während Kanoma eher beunruhigt wirkte, begann Towa zu lachen. „Natürlich ganz super, dass du uns das dann erzählst, Lay, ehrlich!“, merkte er an.

„War sie denn geladen?“, wollte Kanoma wissen.

„Ja. Aber wisst ihr, was mich am meisten ...“ Ich brach ab. Geschockt? Irritiert? Aus der Ruhe gebracht?

„Berührt? Angewidert? Getroffen?“, versuchte Towa grinsend, meinen Satz zu vervollständigen.

„...am meisten gestört hat?“, beendete ich ihn unbeirrt selbst. „Es waren noch zwei Kugeln drin.“ Gespanntes Schweigen. Ich legte die Stirn in Falten. „Zwei! Kapiert ihr?“

„Nö“, meinte Towa.

„Wenn er sie nur aus praktischen Gründen hätte, zum Schutz oder so, dann würde man doch das Magazin ganz voll machen“, fuhr ich fort.

„Also muss er die anderen verschossen haben“, schlussfolgerte Kanoma. „Meinst du, er hat jemanden umgebracht?“

„Keine Ahnung. Ich hab ihn am Anfang gefragt, ob er schon Leute umgebracht hätte, und seine Antwort war: Mehr als du wissen willst. Wenn DAS nicht gruselig ist, weiß ich auch nicht...“

„Ey, das ist doch voll geil!“, freute Towa sich. „Wenn dir demnächst irgendwer auf den Sack geht, klaust du dir einfach seine Waffe...“

Kanoma und ich blickten ihn schweigend an.

„Was denn?“

„Was haben wir als nächstes?“, wechselte ich das Thema.

„Mathe“, gab Kanoma zurück.

„Habt ihr die Hausaufgaben?“

„Wofür hältst du uns?“ Towa hob eine Augenbraue.

„Okay. Ich dachte, ich könnte die von euch abschreiben.“

„Ich hab die. Aber beeil dich.“ Kanoma hielt mir sein Heft unter die Nase.

„Woah, cool, Kanoma!“, freute ich mich dankbar und kramte mein eigenes heraus.

„Ach, übrigens, ich heiße nicht mehr Kanoma“, bemerkte er mit einem leichten Lächeln. „Nennt mich ab jetzt bitte Sanaka.“

„Was ist passiert? Bist du irgendwie geläutert worden?“, wollte Towa spöttisch wissen.

Kanoma bzw. Sanaka schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Was dann?“

„Sag ich euch nicht.“
 

Mitten in der sechsten Stunde begann plötzlich ein Handy zu piepsen. Nein, nicht zu piepsen, es wurde ein Song gespielt, den ich ziemlich gut kannte: Kurokami no Aitsu von Kagerou. Hatte ich den gerade als Klingelton? Nein, ich hatte Shinshoku von Blast. Warum eigentlich? Die mochte ich doch nicht mehr so. Egal, auf jeden Fall klingelte ein Handy und es gehörte definitiv entweder zu Towa oder Ka- Sanaka. Letzterer brauchte einen Moment, bis ihm auffiel, dass das Lied gerade nicht nur in seinem Kopf spielte, dann sah er auf seine Jacke und holte sein Handy heraus. Noch bevor der Lehrer irgendetwas sagen konnte, entschuldigte Sanaka sich, stand auf und verließ den Raum. Alle starrten ihm entrüstet, irritiert, geschockt oder angepisst hinterher.

Alle bis auf Towa und mir. Wir grinsten uns an und nickten zustimmend.

Wir vertraten nämlich die Ansicht, dass man ruhig mal zu spät kommen, während des Unterrichts essen oder telefonieren und auf dem Schulgrundstück rauchen durfte. Deshalb taten wir das auch konsequent, was uns immer wieder Verwarnungen einbrachte. Und Bestätigungen, dass wir Scheißkinder waren. Nur konnten wir das mit dem Telefonieren nicht zufriedenstellend oft demonstrieren, da nicht allzu viele Leute uns um die Zeit anriefen. Die meisten, die wir kannten, hatten da nämlich selbst Schule.

„Also das...“ Herr Sugimoto schüttelte verständnislos den Kopf und machte sich auf den Weg zur Tür. Keiner rührte sich. Wir hörten, wie Sanaka draußen mit seinem Anrufer sprach, dann Herrn Sugimotos Stimme, dann wieder Sanakas und dann nur noch ein lautes Rufen. Die Neugier siegte und Towa und ich waren als erste bei der Tür. Wir konnten gerade noch verfolgen, wie unser Lehrer am Ende des Flurs rennenderweise um die Ecke bog. Wir sahen uns an und prusteten gleichzeitig los, ehe wir zum Fenster stürzten.

„Was macht er?“, fragte irgendjemand.

„Wird gejagt“, antwortete Towa breit grinsend. Wir verfolgten gespannt, wie Sanaka aus dem Hauptausgang herausstürzte und Herr Sugimoto stehen blieb, um ihm laut schreiend mit der Faust zu drohen. Als unser Lehrer zurück in den Klassenraum kam, hatten wir uns alle wieder brav auf unsere Plätze gesetzt.

Etwa eine Viertelstunde später klopfte es an der Tür und Sanaka trat ein, bevor er dazu aufgefordert worden war. Er schenkte Herrn Sugimoto ein Lächeln. „Entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt komme, aber hätten Sie mich nicht verfolgt, wäre ich schon eher wieder hier gewesen.“
 

„The fuck?“, fragte ich halb verständnislos, halb grinsend. „Warum bist du wieder zurückgekommen?“

Sanaka lächelte und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Das Thema hat mich interessiert.“

„Und warum bist du dann erst überhaupt dran gegangen?“, wollte Towa skeptisch wissen.

„Weil ich wollte“, entgegnete Sanaka trotzig.

„Wer war das überhaupt, der dich um die Zeit anruft?!“

„Einer, den ich am Wochenende bei meiner Tante kennen gelernt hab. Kamijo heißt er, der ist voll nett gewesen.“

„Glaub ich dir nicht“, warf ich ein. „Für irgendeinen dahergelaufenen Typen würdest du nicht so eine Show abziehen. So bist du nicht. War’s ein Weib?“

„Das wäre wahrscheinlicher“, stimmte Towa mir zu und musterte Sanaka fest. „Für eine Tussi, in die du Hals über Kopf verknallt bist, würdest du so was eher machen. Also? Wie heißt sie? Ist sie heiß? Hat sie ansehnliche Oberweite?“

„Hallo?!“, gab Sanaka zurück und zeigte uns den Vogel. „Glaubt mir doch mal, wenn ich sag, das war ein Kerl! Ich will’s mir nur nicht mit dem verscherzen, weil der meine Tante kennt. Und außerdem hört er dasselbe wie wir, das heißt, wenn ihr mal keinen Bock auf keine Ahnung wen habt, dann kann ich mit ihm auf ein Konzert gehen. Und meine Eltern lassen mich wahrscheinlich eher mit ihm gehen als mit EUCH.“

„Was soll DAS denn heißen?“, empörte Towa sich.

„Glaub ich trotzdem nicht“, meinte ich unüberzeugt.

Sanaka zuckte mit den Achseln. „Glaubt, was ihr wollt.“
 

~*~
 

Als hätte ich nicht schon ausreichend harte Schläge in den letzten fünf Tagen verkraften müssen – mein Vater machte Urlaub; Hakuei passte auf mich auf; Kanoma änderte seinen Namen; Towa fand heraus, was ich mit Aya angestellt hatte, und hasste mich für einen Tag, bis sie ihm sagte, dass sie ihn geil fand; mein Lieblings-Nagellack wurde abgesetzt und ich sollte meinen Vater zu einem Gespräch mit meinem Klassenlehrer einladen, da ich wiederholt im Unterricht geschlafen hatte –, am Donnerstag wurde dem Ganzen die Krone aufgesetzt.

Mittlerweile verstand ich mich so gut mit Hakuei, dass wir uns nicht mehr wegen irgendwelchen grundsätzlichen Dingen stritten, sondern nur noch in kleineren Angelegenheiten Meinungsverschiedenheiten hatten. Er fand mich doof, ich fand ihn lustig und die Fronten waren geklärt. Er hatte Towa und Sanaka bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen, weil es sich irgendwie nicht ergeben hatte, aber das war kein Problem für beide Seiten. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich ihm überhaupt schon von den beiden erzählt hatte.

Auf jeden Fall hatte ich mich für Donnerstag eigentlich mit Towa verabredet, aber da er sich lieber mit Aya traf, und Sanaka lieber den ganzen Nachmittag mit diesem Kerl von seiner Tante da chatten wollte, kam ich früher nach Hause. Schon als ich die Haustür aufschloss, wusste ich instinktiv, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war so... ich wusste nicht wie. Ich zog die Schuhe und meine Jacke aus und lauschte kurz an der Küchentür. Ich hörte das Wasser in der Spüle laufen, also war mein erster Impuls, Hakuei zu begrüßen. Dann aber sah ich einen Schuh im Türrahmen zum Wohnzimmer. Er stand aufrecht und kam mir unbekannt vor.

Erst, als ich etwas näher ging, fiel mir auf, dass an dem Schuh noch ein Bein war. Und dass dahinter ein zweites lag. Warum zur Hölle legte sich jemand in unser Wohnzimmer? Ich betrat den Raum und versteinerte so abrupt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich kannte den Typen nicht, er sah auch nicht sonderlich bemerkenswert aus, bis eben auf die Schusswunde direkt zwischen seinen Augen. Ich starrte ihn einige Herzschläge völlig regungslos und entgeistert an, dann hörte ich, wie die Zwischentür von der Küche zum Wohnzimmer geöffnet wurde. Meine Knie wurden weich, aber ich brachte es trotzdem über mich, den Blick zu heben. Ich wusste nicht, wie ich in dem Moment ausgesehen haben musste, aber höchstwahrscheinlich genauso bleich wie der Kerl auf dem Boden.

„Lay-“, begann Hakuei, aber noch bevor er weiterreden konnte, hatte ich mich umgedreht und war losgesprintet. Ich konnte nicht sagen, weshalb, vielleicht wollte ich vor diesem Bild wegrennen, das sich in meinem Kopf eingebrannt hatte, oder ich konnte Hakueis Gegenwart nicht mehr aushalten. Ich stürzte wieder zur Tür und hatte bereits die Klinke heruntergedrückt, da legte sich direkt neben meinem Kopf eine Hand flach auf die Tür und presste sie wieder zu. Ich hatte auf einmal eine furchtbare Angst, dass ich auch sterben würde, für das, was ich gesehen hatte. Ich konnte Hakueis Gegenwart direkt hinter mir spüren und ich wusste, dass er nicht einmal zehn Zentimeter von mir entfernt war.

„Du hast nichts gesehen“, sagte er leise und deutlich. „Nichts.“

„Wer ist das?“, fragte ich mit brüchiger Stimme und verfluchte mich dafür, dass ich auf einmal so schwach war.

„Niemand.“

„Hast du...“

„Das spielt keine Rolle.“

„Warum hast du ihn...“

„Unwichtig.“

„NEIN!“ Von einer plötzlichen Welle von Wut ergriffen, drehte ich mich um und brachte es sogar zustande, ihm in die Augen zu schauen. Sein Blick war kalt und unberührt wie eh und je. „Du kannst nicht einfach... einfach so...“

„Ich weiß“, gab er ruhig zurück und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich kann nicht einfach hingehen und Leute erschießen, wie es mir passt. Vor allem nicht in diesem Haus. Aber es war meine letzte Möglichkeit. Wärst du später gekommen, hättest du nichts davon erfahren.“

Eine urplötzliche Kälte erfasste mich, als mir die Bedeutung dieser Worte aufging. Er hätte unzählige Leute erschießen können, ohne, dass ich etwas davon bemerkt hätte. Vielleicht hatte er das ja. Nur zwei Kugeln in seinem Magazin... Und dabei wirkte er, als ließe ihn das Ganze vollkommen kalt. Als habe er gerade eben kein Menschenleben ausgelöscht. Als habe er niemanden... Ich biss mir auf die Lippe und tat mein Bestes, um nicht zu zittern. Ich hatte Angst vor ihm. Richtige Angst.

„Tut mir leid, dass du das sehen musstest“, fuhr er fort, nun mit etwas sanfterer Stimme. „Vergiss es besser wieder.“

Ich konnte nichts erwidern. Ich schloss die Augen und zuckte leicht zusammen, als sich eine Hand auf meine Wange legte. Hakuei strich mir kurz zärtlich darüber, dann zog er mich an sich, drückte meinen Kopf an seine Schulter. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und versuchte, mich wieder zu beruhigen. Er konnte mir nichts tun. Mein Vater würde niemals jemanden zu meiner Beaufsichtigung dalassen, dem er nicht vollständig vertraute.

Hakueis Hände wanderten nach unten bis zur Unterseite meiner Oberschenkel, gegen die er leicht drückte. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er wollte, dann löste ich meine Füße vom Boden und verschränkte meine Beine um seine Hüften. „Lass die Augen zu“, murmelte er, während er mich zurück ins Wohnzimmer trug, mich dabei festhaltend, damit ich nicht herunterrutschte. Ich gehorchte ihm und stellte mir vor, dass nicht er mich gerade die Treppen hoch schleppte, sondern mein Vater. Ich vermisste ihn.

Oben in meinem Zimmer angekommen, setzte Hakuei mich auf meinem Bett ab, streichelte mir wieder über die Wange, drückte mir einen Kuss auf die andere und rang mir das Versprechen ab, die nächste halbe Stunde nicht nach unten zu kommen.

Das war kein Problem für mich. Die komplette nächste Stunde lag ich regungslos auf meinem Bett, spürte ein Kribbeln auf meinen Wangen und mein Herz klopfen. Ich hatte einen toten Menschen gesehen. Ich hatte eine Leiche gesehen! Und Hakuei hatte den Typen umgebracht... Ich bekam zum wiederholten Mal eine Gänsehaut. Dann hatte er höchstwahrscheinlich bereits etliche andere erschossen, und vielleicht auf den Befehl meines Vaters...

Ich kuschelte mich an meine Decke und versuchte, an etwas anderes zu denken. An Freitagabend, beispielsweise.
 

~*~
 

tbc~

Der Autobahnvorfall

Wortanzahl: 3.863

A/N: Ich liebe Daisuke. In jeglicher Form. Nicht so sehr wie Hakuei, aber er ist immer für einen Auftritt gut ^____^
 

~*~
 

„Also gut. Wie heißt ihr?“ Der Mann schenkte uns über den Rand seiner Lesebrille einen strengen Blick. „Und wie sind eure Telefonnummern von zuhause?“

Wir drucksten etwas herum, antworteten ihm aber trotzdem, fügten allerdings auch hinzu, wie wir genannt werden wollten: Towa, Sanaka und Lay.

„Ist mir völlig egal, was für Spitznamen ihr euch gebt, das ist irrelevant. Hier, ruf mal die Eltern an!“ Er drückte einem seiner Kollegen den Zettel in die Hand, dieser wuselte gleich davon. Towa fluchte kaum hörbar und Sanaka wirkte etwas beunruhigter als vorher. Mir ging es auch nicht viel besser. Ich kreuzte unterm Tisch die Finger, dass Hakuei nicht da war, was angesichts der Uhrzeit extrem unwahrscheinlich war.

„Okay. Dann erklärt mir doch noch mal, was passiert ist, ja?“ Nun wirkte der Typ mit dem Namensschildchen, auf dem Daisuke Ochida stand, auf einmal ganz freundlich und lächelte sogar. Na ja, er versuchte es.

„Wurde Ihnen das nicht schon von Ihrem Untergebenen da erzählt?“, fragte Towa aggressiv und schnitt eine Grimasse.

„Ich möchte es trotzdem noch einmal gerne von euch hören“, erwiderte der Kerl sanft. Okay, wir waren in Schwierigkeiten. Zumindest wirkte es so.

„Wenn einer von euch auch nur einen Ton sagt-“, fing Towa an, aber ich fiel ihm ins Wort.

„Ist mir scheißegal, was DU uns sagst“, fuhr ich ihn an, „aber ich will keinen Ärger! Zumindest nicht noch mehr als eh schon.“

„Legst du dich lieber mit mir an als mit denen?!?“

„Ehrlich gesagt – ja, Towa!“, fauchte ich zurück.

„Hey, hey, hey, beruhigt euch!“, beschwichtigte Daisuke uns. „Ganz ruhig. Keiner legt sich mit niemandem an. Es geht nur darum, die Geschichte noch einmal aus eurer Sichtweise zu hören. Ich weiß ohnehin, was passiert ist.“

„Siehst du?“, knurrte ich in Towas Richtung. Sanaka saß etwas verschüchtert zwischen uns und traute sich nicht, mehr zu sagen als nötig. Ich wusste überhaupt nicht, weshalb. Vielleicht, weil wir zum ersten Mal von der Polizei bei etwas erwischt worden waren.

„Fang an“, bat der Polizist mich höflich.

„Also, Towa hatte diese Spraydosen besorgt und-“

„Klar, schieb alles auf mich!!“

„Das hast du selbst doch schon erzählt, unterbrich mich nicht!“

„Scheißfreunde seid ihr!“

„Wer wollte mich denn auf die Autobahn schubsen, hm?!“

„Beruhigt euch, das-“

„Wer hat denn so’n Stress gemacht!? Hosenscheißer, auf dich kann man sich kein bisschen verlassen, du Arsch-“

„RUHE!“ Daisuke schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Ich verhöre euch einzeln, wenn das so weitergeht!“

„Halt einfach die Fresse, Towa“, murmelte ich und bekam von zwei Seiten böse Blicke – vom Polizisten wie von Towa. „Also, er hatte irgendwo diese Spraydosen her und wir fanden, dass es keine schlechte Idee wäre, irgendwas ein bisschen damit zu verschönern.“

„Wessen Idee war das genau?“, fragte der Bulle nach.

„Weiß ich nicht mehr.“ Wusste ich wohl noch, nämlich Towas, aber wenn ich das sagte, schlug er mir den Kopf ab. „Egal, dann sind wir heute Nacht so um zwei zur Autobahn gegangen und haben jeder für sich ein bisschen rumgesprüht. Und ich war irgendwann fertig oder hatte keine Lust mehr, und hab mir erst Sanakas Graffitis angeguckt und dann Towas.“

„Welche das waren, habt ihr ja bereits vor Ort gezeigt“, warf Daisuke freundlich ein.

„Genau. Und als ich Towas gesehen hab... na ja, ich hab ihn angekackt, wie er so einen Scheiß schreiben kann, und hab angefangen, das Ganze zu übersprühen.“

Towa presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, konnte sich aber noch zurückhalten. Er hasste mich wahrscheinlich gerade wie sonst kaum jemanden.

„Und da wurde er angepisst und hat mich zurück angekackt, dann haben wir uns eine Weile gegenseitig angekackt, bis ich ihm eine reingehauen hab.“

„Also du hast damit angefangen?“, wiederholte der Polizist. „Nur, um das klar zu haben.“

Ich nickte. „Ja, aber erst, nachdem Towa mich übelst beschimpft hat. Er hat zurückgeschlagen, und Sanaka hat die ganze Zeit versucht, uns auseinander zu bringen. Und irgendwann hat Towa versucht, mich auf die Fahrbahn zu drängen und dann sind Sie gekommen. Wahrscheinlich hat irgendwer Sie angerufen, der vorbeigefahren ist, oder?“, wollte ich wissen und vermied es, Towa ins Gesicht zu sehen.

„Genau“, bestätigte der Kerl. „Wobei ihr darüber froh sein solltet, dass um die Uhrzeit nicht allzu viele Menschen unterwegs sind, sonst hätte einer von euch wirklich noch überfahren werden können. Könnt ihr beide das Geschehen so bestätigen?“

Sanaka nickte sofort, Towa erst nach einigem Nachdenken.

„Gut. Will einer von euch vielleicht Anzeige erstatten?“, fragend blickte Daisuke in die Runde. Ich hätte Towa bestimmt wegen versuchten Totschlags anzeigen können, aber darauf hatte ich irgendwie keine Lust. Wir schüttelten alle die Köpfe. „Alles klar. Es wird wahrscheinlich auf Beschädigung öffentlichen Eigentums, Sachbeschädigung, hinauslaufen, ihr müsst eure Schmierereien persönlich wegmachen und entweder eine Geldbuße zahlen oder einige Sozialstunden abarbeiten. Noch Fragen?“

Schweigen. Eisiges Schweigen.

„Dann hätten wir das.“ Er schenkte uns wieder ein Lächeln. „Eure Eltern kommen gleich, um euch abzuholen. Und seid heilfroh darüber, dass ich heute so gut wie im Lotto gewonnen habe und mich demnächst nicht mehr mit solchen Scheißern wie euch rumschlagen muss – denn sonst hättet ihr euch auf was gefasst machen dürfen. Wartet hier.“ Er verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Eine Weile blieb es genauso still wie vorher, dann explodierte das Donnerwetter.

„Was soll der ganze Scheiß überhaupt!? Hätte nur noch gefehlt, dass du mich wegen irgendwas anzeigen lässt!“, keifte Towa mich an.

„Halt die Fresse, Towa, das hätte ich vielleicht wirklich machen sollen! Außerdem ist das Ganze ja wohl nicht meine Schuld! Wer hat uns denn dazu überredet, nachts um zwei die Autobahnseitenabsperrungswand oder wie das Ding auch immer heißt anzusprühen!??“

„Halt doch selbst die Fresse, Mister Ich-muss-mich-aufspielen-um-den-Bullen-zu-beeindrucken!! Vielleicht bist du ja selbst schwul und wolltest ihm nur an den Sack, deshalb hast du hier so rumgeschleimt! Ich hab echt Angst, dass ich ausrutsche, wenn ich aufstehe!“

„Halt einfach die Fresse! Ich hab keinen Bock mehr auf dein dummes Gelaber, du spielst dich doch wohl selbst auf! Wem willst du was beweisen, hm? Außerdem find ich es echt asozial von dir, wenn du unter die Gürtellinie gehst, da hast du nämlich echt nichts verloren, vor allem nicht bei MIR!!“

„Ach, halt doch die Fresse, du bist selbst asozial, wenn du deine Freunde so verpfeifst! DU hast mir schließlich zuerst eine reingehauen, ich hab mich nur gewehrt, das war Notwehr, klar!?“

„Natürlich, mich vor ein Auto zu schubsen, das glücklicherweise gerade noch ausweichen kann, ist VOLL Notwehr, natürlich doch!“, gab ich spöttisch zurück.

„Könnt ihr nicht einfach-“, meldete Sanaka sich schwach zu Wort, wurde aber gleich niedergeschrien.

„Können wir nicht!“, zischte Towa ihn an. „Und jetzt halt die-“

In dem Moment öffnete jemand die Tür und Towa brach nicht nur ab, sondern starrte den Neuankömmling auch mit unverhohlener Fassungslosigkeit an.

„Guten Abend“, begrüßte Hakuei uns ruhig. „Oder sollte ich eher sagen: Gute Nacht?“ Er setzte sich auf den Stuhl, auf dem der Polizist vorher gesessen hatte, und störte sich kein bisschen an dem Rauchen-verboten-Schild an der Tür. Er betrachtete mich einige Sekunden, bis ich mir ein ‚hi’ abringen konnte. Ich war immer noch auf 180, aber das wollte ich ihm gegenüber nicht allzu gerne zeigen.

„Sind Sie der Babysitter?“, wollte Towa beschränkt wissen, noch immer einen Ausdruck der Ungläubigkeit im Gesicht.

„Sind das deine nichtsnutzigen Freunde?“, entgegnete Hakuei wie immer mit einer Gegenfrage. In diesem Moment war ich aber ehrlich gesagt so froh darüber, dass ich beinahe gegrinst hätte.

Ich nickte. „Das ist Sanaka und das Towa. Leute, das ist Hakuei.“

Sanaka, der ebenfalls etwas überrumpelt wirkte, erwiderte Hakueis höfliches Nicken, Towa starrte ihn lediglich weiter an.

„Freut mich, euch kennen zu lernen.“ Er aschte in das leere Wasserglas des Polizisten und musterte mich wieder eine Weile. „Wärst du jetzt so freundlich, mir zu erklären, weshalb ich um halb vier nachts von der Polizei aus dem Bett geklingelt werde und kurz vor einem Herzinfarkt stehe, weil ich denke, sie hätten etwas herausgefunden, was besser unbekannt geblieben wäre?“, wollte er ruhig wissen.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Sanaka und Towa einen Blick wechselten. Ich war kurz davor, ihnen zu sagen, dass Hakuei nichts tat, sondern nur spielen wollte, riss mich aber zusammen. „Ehm... ja. Ich wäre fast überfahren worden!“

Die Mitleidstour zog bei ihm nicht. Unbeeindruckt schnippte er wieder etwas Asche ins Glas und schob sich die Zigarette zurück zwischen die Lippen, ehe er mich erneut fixierte.

„Ja, also... wir haben-“

„Vergiss es, ich will’s eigentlich gar nicht hören“, winkte er seufzend ab. „Weißt du, wenn ich mir dich ansehe, dann bin ich richtig froh, dass ich selbst keine Kinder habe.“

„So schlimm ist er gar nicht!“, warf Sanaka plötzlich ein. „Das ist voll gemein, eigentlich ist er richtig nett!“

„Das glaube ich nicht“, entgegnete Hakuei unterkühlt und betrachtete nun Sanaka. „Ich glaube, dass er ein verwöhntes, rebellisches und vor allem zügelloses Dreckskind ist.“

„Das stimmt aber nicht!“, verteidigte Sanaka mich weiterhin vehement. „Haben Sie nicht so eine negative Einstellung zu ihm! Und bestrafen Sie ihn nicht wegen der Sache hier, er hat nämlich eigentlich nur-“

Und da tat Hakuei etwas, was ich vorher nur wenige Male bei ihm gesehen hatte: Er lächelte. Er verzog allen Ernstes seine Lippen zu einem echten Lächeln und drückte seine Zigarette aus. „Bestrafen? Also bitte, was hast du den beiden von mir erzählt?“ Er schüttelte den Kopf. „Und ich habe ihm gegenüber weniger eine negative als eine realistische Einstellung“, wandte er sich an Sanaka und zwinkerte ihm zu. „Ich WEIß, dass er ein Scheißkind ist. Komm, wir gehen.“ Er stand auf und verließ den Raum. Ich war so perplex, dass ich nicht anders konnte, als ihm zu folgen.

„Was... um alles in der Welt... war DAS?!“, fragte ich ihn leise vor der Tür.

Er schenkte nun auch mir ein Lächeln. „Ich hab erst zwei Stunden geschlafen und fühle mich wie gerädert, außerdem durfte ich aufstehen, weil du deine künstlerischen Gelüste nicht unter Kontrolle bringen, sondern unbedingt an einer Autobahn ausleben musstest. Ich hab gute Laune!“

Nun wurde er mir wirklich unheimlich. Gute Laune? Ich hatte bei ihm überhaupt keine Launen feststellen können, außer vielleicht genervt, angepisst, gelangweilt und genervt-gelangweilt, angepisst-genervt und so weiter.

„Willst du deinen Freunden nicht ciao sagen?“, fragte er mich und nickte in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

„Nee. Da hab ich grad keinen Nerv zu.“ Ich schüttelte den Kopf und musterte Hakuei skeptisch. „Du bist... gruselig gerade. Weißt du das?“

„Ich sag ja, ich hab gute Laune.“ Er winkte dem Polizisten zum Abschied freundlich zu, wechselte kurz einige Worte, die andeuteten, dass die beiden sich kannten, und trat dann vor die Tür des Polizeipräsidiums. „Aber sag mal, ganz ehrlich, es reicht ja schon, dass ihr so eine Scheiße macht, aber wie könnt ihr euch dabei noch ERWISCHEN lassen?“ Verständnislos schüttelte er den Kopf und ließ mich auf seinen Beifahrersitz einsteigen.

„Ich weiß auch nicht. Ich hätte wissen müssen, dass so etwas dabei rauskommt.“ Ich seufzte und blickte kurz aus dem Fenster, während Hakuei sich neben mich auf den Fahrersitz sinken ließ. Ich sah ihn an. „Bist du sauer?“, erkundigte ich mich vorsichtig.

„Das sollte ich höchstwahrscheinlich sein, aber nein, bin ich nicht“, gab er ganz offen zurück und erwiderte meinen Blick. „Warum hast du Towas Graffitis übersprüht?“

Woher wusste er davon? Wahrscheinlich hatte er sich vorher informieren lassen. Hm. Ich runzelte die Stirn. „Ich fand das, was er geschrieben hatte, asozial.“

„Warum?“, bohrte er nach.

„Er hat unter anderem geschrieben ‚Schwule raus’.“

„Ich weiß.“

Woher wusste er das schon wieder?

„Und warum hat dich das so gestört?“

„Ich weiß nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich fand’s scheiße. Ich meine... ich wusste nicht, dass er so extrem denkt. Aber ich find’s richtig asozial. Ich meine, ich bin nicht selbst schwul und ich kenn glaub ich auch keinen, aber... das wäre doch das Gleiche, wie wenn er Behinderte beleidigen würde. Das ist auch asozial. Also, sich manchmal über sie lustig machen, meinetwegen, ich hab auch nichts dagegen, wenn sich jemand darüber lustig macht, wie ich rumlaufe, zu ernst sollte man sich auch nicht nehmen, aber das... ging mir irgendwie gegen den Strich.“

Hakuei betrachtete mich eine Weile schweigend, dann lächelte er erneut und startete den Motor. „Erzähl mir von den beiden. Wen kennst du länger, wen magst du lieber?“

„Towa kenne ich zwei Jahre länger als Sanaka, mit ihm bin ich auch enger befreundet. Am Anfang waren es halt nur Towa und ich, und dann ist Sanaka dazu gekommen. Da hieß er noch Hitomi. Dann hat er einen schweren Unfall überlebt, wie durch ein Wunder, und sich in Kanoma umbenannt, weil er meinte, das Ganze hätte sein Leben verändert. Hat es eigentlich auch, danach war er viel ausgeglichener und ruhiger, hat nicht mehr SO viel Scheiß gemacht und ist richtig gut in der Schule geworden. Faselte irgendwas von das Leben nutzen und so...“

„Und Towa und du, ihr wart weiterhin solche Scheißkinder?“

„Genau. Waren wir von Anfang an, seitdem wir befreundet sind. Sanaka war nie so schlimm wie wir, deshalb konnte ich mit Towa immer mehr anfangen. Der hat sich nun mal eben Zeit für mich genommen, auch wenn wir eigentlich was für die Schule machen sollten. Na ja, bis das mit den Weibern anfing. Irgendwann hat er gemerkt, dass Weiber geil sind, und hat sich an alle rangemacht, die ihm gefielen. Ich hab teilweise mitgemacht, bin aber nie so weit gegangen wie er.“

„Du bist noch Jungfrau“, stellte er fest.

„Genau. Und ab dann haben wir angefangen zu saufen, er hat ein paar Drogen ausprobiert, ich hab mitgemacht, wir sind nachts um die Häuser gezogen und haben irgendwas kaputt gemacht... das war lustig. Aber inzwischen saufen wir fast nur noch auf irgendwelchen Partys und krallen uns irgendwelche Weiber. Ich weiß nicht, es macht mir zwar in dem Moment Spaß, aber hinterher frag ich mich oft, was das Ganze überhaupt sollte.“

„Was macht Sanaka?“

„Säuft ab und zu mit, aber längst nicht so viel wie wir. Er ist voll vernünftig, richtig gruselig. Mit Weibern hatte er’s auch anders als wir, wenn, dann hatte er wirklich eine feste Beziehung über ein paar Monate, ich glaub, die Kürzeste war vier, die Längste acht Monate. Er meint’s wirklich ernst mit ihnen, glaub ich. Er war auch schon mal mit einer im Bett. Towa mit was weiß ich wie vielen.“

„Warum heißt Sanaka jetzt nicht mehr Kanoma?“

Er hörte mir wirklich zu. Ich war beeindruckt. „Keine Ahnung. Hat sich letztes Wochenende umbenannt, aber ich weiß nicht, was so Bahnbrechendes passiert sein soll. Er nennt sich nämlich nur um, wenn irgendwas WIRKLICH Wichtiges passiert, Hitomi hat er sich genannt, als er anfing, VK zu hören.“

„Und wen von den beiden magst du lieber?“

„Towa. Eigentlich. Wobei der mir in letzter Zeit echt auf den Sack geht. Nimmt nichts ernst und so, nur auf Weiber und Saufen aus... und ich glaub, Sanaka mag mich voll. Zumindest unterhält er sich in letzter Zeit richtig oft mit mir und lässt durchhängen, dass er Towa doof findet. Ich mag ihn eigentlich auch, aber ich konnte nie so richtig viel mit ihm anfangen. Aber es hat mich gerade richtig überrascht, dass er mich vor dir so verteidigt hat.“

Hakuei lächelte erneut. Ich glaubte es fast nicht, dass er in dieser halben Stunde mehr gelächelt hatte als in der letzten Woche zusammen genommen. Inzwischen standen wir bereits vor unserem Haus, aber er machte keine Anstalten auszusteigen. „Vielleicht hatte er ja das Gefühl, dass du ihn bereits verteidigt hast und meinte, dir etwas schuldig zu sein. Versuch es doch mal mit ihm. Vielleicht kommst du mit ihm besser klar als mit Towa.“

„Ja...“ Ich nickte langsam. „Sollte ich glaub ich wirklich mal.“ Ich sollte Sanaka verteidigt haben? Bei was denn? Ich verstand nicht, was er meinte.

Fünf Minuten später stand Hakuei auf der Terrasse und rauchte seine zweite Zigarette. Ich gesellte mich zu ihm, in der Hoffnung, ein paar Züge abstauben zu können. Ich hatte sogar Erfolg. Während ich erleichtert den Rauch einsog, traute ich mich endlich, die Frage zu stellen, die mir so lange auf der Zunge gebrannt hatte.

„Ha-chan?“ Keine Antwort. Er antwortete nie, wenn ich ihn so ansprach. „Bist du eigentlich verheiratet oder vergeben?“

Er war eine Weile still. „Nein, bin ich nicht. Weder noch. Heiraten werde ich ohnehin niemals, das weiß ich schon. Und vergeben... nein, im Moment nicht. Warum fragst du?“

„Ich weiß nicht. Neugier. Mit wie vielen Frauen warst du denn schon zusammen?“

„Frauen? Oder allem, was weiblich ist?“

Wo war da der Unterschied? „Beidem.“

„Drei“, gab er zurück. „Einmal im Kindergarten, einmal in der Grundschule und für zwei Wochen auf der Mittelschule.“

Oh. „Und sonst gar nicht?“

„Nein, sonst gar nicht.“

„Sonst hattest du nie eine Beziehung??“, wiederholte ich ungläubig. Das konnte ich mir nicht vorstellen, nicht bei seinem Aussehen. Gut, Aussehen war nicht alles, aber ich konnte mir vorstellen, dass viele Weiber ihn attraktiv fanden.

„Doch“, entgegnete er, belustigt klingend. Er nahm mir die Zigarette wieder weg, rauchte einen letzten Zug und drückte sie im Aschenbecher aus.

„Uäh?!“, machte ich entgeistert. Das war doch wohl nicht...

Er zündete sich eine dritte Zigarette an. Ich musste ihn sehr frustriert haben. Aber schließlich war es vier Uhr nachts.

„Stehst du nicht auf Frauen...?“, fragte ich sehr unsicher.

„Nein“, gab er geradeheraus zurück und nahm einen tiefen Zug, den Blick irgendwo in den Garten gerichtet.

„Stehst du auf Männer?“ Ich konnte und wollte das nicht glauben.

„Yep.“ Die Antwort, die ich verdient hätte, wäre ‚was gibt’s denn sonst noch?’ gewesen, aber ihm war offenbar nicht nach Ironie.

„Was für Männer, zum Beispiel?“ Warum fragte ich das?

„Deinen Vater, zum Beispiel.“ Er besaß tatsächlich die Dreistigkeit, mich anzusehen, zu lächeln und mir seine Zigarette zwischen die Lippen zu schieben.

Ich brauchte eine Weile, bis ich glauben konnte, dass er mich nicht verarschte. „Verarschst du mich?“ Gut, vielleicht auch etwas länger.

„Nein. Warum sollte ich das tun?“

„Holy Shit.“ Ich drehte meinen Kopf zur Seite und schwieg sehr lange. Um es noch einmal klar zu haben: Hakuei war schwul und stand auf meinen Vater. AUF MEINEN VATER!!! Auf meinen Vater, der meines Wissens nach lediglich einige Affären gehabt hatte, nachdem meine Mutter gestorben war, auf meinen Vater, der Zeit seines Lebens an Frauen interessiert war, auf meinen Vater, der nun mal mein Vater war, auf meinen Vater, seinen Chef, den Yakuzaboss. „...Holy Shit“, wiederholte ich leise.

Ich dachte über alles Mögliche nach in den folgenden Minuten. Mein Vater vertraute ihm, das hieß, dass er entweder nichts davon wusste oder ihm gerade deshalb vertraute. Aber Hakuei konnte ihm das Ganze auch nur verschwiegen haben, um in meine Nähe zu kommen und mich umbringen zu können. Vielleicht war er ja auf mich eifersüchtig, weil mein Vater mich eben wie seinen Sohn liebte?

Aber vielleicht hatte er mich auch einfach nur kennen lernen wollen, weil er auf meinen Vater stand? Was, wenn er an einer heilen Familie interessiert war und ein harmonisches Zusammenleben wollte? ... Nein, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Und da fiel mir noch etwas anderes ein – er hatte mich, als er mich vor zwei Tagen von der Leiche weg in mein Bett getragen hatte, angepackt, und... irgendwie... Ich meine, seine Hand war auf meinem Hintern gewesen, aber doch nur, um mich festzuhalten, oder? Ich sah ihn misstrauisch von der Seite an. Nein, ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass er an einem Scheißkind wie mir interessiert sein sollte. Vor allem, wenn er auf meinen Vater scharf war.

Ich verwarf den Gedanken schnell wieder und trat die Zigarette aus. Dann atmete ich einmal tief durch und beschloss, dass diese eine Nacht der bedeutsamen Fragen war. „Was bin ich für dich?“, wollte ich direkt wissen.

Er schaute mich an. „Was bin ich denn für dich?“, fragte er zurück.

„Ich hab zuerst gefragt!“

„Ich weiß nicht, was ich auf so eine Frage antworten soll. Was würdest du denn antworten?“

Das war doch ganz einfach, er brauchte doch nur... Was wäre er denn für mich? ... Ehm... kein Ersatzvater. Auch kein Babysitter. Kein Freund, kein flüchtiger Bekannter, kein Verwandter, kein Vertrauter... was war er denn? Okay, vielleicht war es doch nicht so einfach. „Keine Ahnung.“

„Na also.“

„Sag mir doch wenigstens, ob du mich magst!“

„Ich halte dich zumindest nicht für ein verwöhntes und zügelloses Scheißkind“, bemerkte er belustigt.

„Das war nicht meine Frage“, beharrte ich, obwohl der Kommentar ziemlich nah an ein Kompliment heran kam, zumindest von Hakuei.

„Manchmal ja, manchmal nein.“

„Und jetzt?“

Er musterte mich. „Wenn ich von der Tatsache absehe, dass du dafür verantwortlich bist, dass ich diese Nacht außergewöhnlich scheiße schlafen werde, mir beinahe das Herz stehen geblieben ist und du eigentlich ein doofes Kind bist... einigermaßen, ja. Aber ich habe auch gute Laune. Du solltest dafür beten, dass ich dafür morgen nicht doppelt schlechte Laune habe. Gehen wir wieder rein?“

„Noch nicht. Noch eine Frage. Willst du eigentlich nicht wissen, warum ich immer noch Jungfrau bin?“, traute ich mich zu sagen. Heute war wirklich die Nacht der bedeutungsvollen Fragen.

„Eigentlich nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist ja deine Sache.“

„Aber es gibt dafür einen bestimmten Grund.“

„Echt? Ich dachte, du hättest nur keine abgekriegt.“

Ich sah ihn unamüsiert an.

Er hob entschuldigend die Hände. „Tut mir leid.“

„Schon okay. Ich hab mich bis jetzt noch nicht hinreißen lassen, weil ich gegen diesen ganzen Sexrausch bin. Ich meine... überall gibt es Pornoseiten, nachts kommen nackte Frauen im Fernsehen, überall wird mit sehr viel Haut geworben, alle Promis ziehen sich früher oder später aus... irgendwie finde ich das pervers.“

„Das heißt, du willst bis an dein Lebensende-“

„Das hab ich nicht gesagt. Ich meine, dass... die meisten Leute Sex nur als Zeitvertreib sehen. Towa, zum Beispiel. Ich finde aber, dass man nur mit jemandem schlafen sollte, wenn man ihn wirklich liebt und diese Liebe auch erwidert wird. Keine One-Night-Stands und so. Das kotzt mich an. Und ich finde, dass man damit auch bis zur Volljährigkeit warten kann.“

Hakuei hob beeindruckt die Augenbrauen. Na ja, vielleicht hob er auch nur unbeeindruckt, ungläubig, überrascht oder irritiert von so viel Dummheit die Augenbrauen, das konnte ich im schwachen Licht vom Wohnzimmer her nicht erkennen. „Das heißt, du hast noch zweieinhalb Jahre Zeit.“

„Genau. Ich finde das vollkommen okay. Ich hab im Moment eh nicht das Gefühl, dass ich unbedingt mit einer Frau ins Bett muss. Ich meine, knutschen und so ist okay, aber irgendwie... verspüre ich noch keinen Drang.“

„Das ist gut“, bemerkte er zustimmend und zeigte mir wieder ein Lächeln. Wenn ich mich nicht ganz täuschte, dann schwang in seiner Stimme noch etwas mit. Zufriedenheit? Stolz? Er klopfte mir auf die Schulter. „Das ist wirklich gut, Lay...“ Er ging an mir vorbei zurück ins Wohnzimmer.

Ich blieb noch eine Weile draußen stehen und dachte über alles nach, was passiert war. Über Towa und Sanaka. Dass Towa mir wirklich auf den Sack ging und ich Sanaka eigentlich immer mehr mochte. Über meinen Vater. Dass ich ihn mit jedem Tag mehr vermisste und nichts mehr von ihm persönlich gehört hatte, aber Hakuei blieb offenbar mit ihm in Kontakt, er meinte, es ging ihm gut. Über Hakuei. Dass er schwul war und auf meinen Vater stand. Über mich selbst. Dass ich meinen Entschluss, was Sex betraf, wirklich durchzog und konsequent blieb und mir das überraschenderweise keine Schwierigkeiten bereitete. Vielleicht war ich ja asexuell und brauchte überhaupt keinen Sex. Hm.
 

~*~
 

tbc~

Enthüllungen (im wahrsten Sinne des Wortes)

Wortanzahl: 4.966

Kapitelrating: light R

A/N: Hach, ich könnte so von Hakuei schwärmen... ^______^
 

~*~
 

Der Montag verlief genauso beschissen wie erwartet, aber wenigstens hasste Towa mich nicht. Wir entschuldigten uns beieinander wegen der Sprayaktion, winkten beide ab, er rechtfertigte sich damit, dass er besoffen gewesen war, und ich meinte, dass ich etwas überreagiert hätte. Schließlich hatten wir keine anderen engen Freunde außer uns. Sanaka war mit der Situation zufrieden und liebte uns beide wieder. Aber abgesehen davon hatten wir Schule und ich hatte noch immer nicht mit Hakuei wegen des Gesprächs mit einem meiner Lehrer geredet. Ich trainierte den restlichen Tag weiter, um endlich mit offenen Augen schlafen zu können, und stellte fest, dass mein neuer dunkelgrauer Lidschatten noch besser hielt als der, den ich davor gehabt hatte.

Ich verabredete mich mit Towa und Sanaka für diesen Abend, ging nach Hause und fand keinen Hakuei vor. Hm. Ich machte mir irgendetwas zu essen – die Qualität meiner Ernährung hatte innerhalb der letzten Woche drastisch abgenommen – und setzte mich für eine Stunde vor den PC, mich etwas abreagieren. Dann schrieb ich ein paar SMS, nur, um mich mal wieder geliebt fühlen zu können, wenn ich dementsprechend viele Antworten bekam, und ging wieder nach unten. Ich könnte mir eigentlich mal wieder ein Hemd von meinem Vater ausleihen, fand ich. Manchmal lief ich in ihnen rum, um business-like auszusehen, manchmal passten sie aber auch wirklich zu meinem Outfit. Und außerdem rochen sie nach ihm.

Ohne mir etwas dabei zu denken, betrat ich das Schlafzimmer meines Vaters und bemerkte erst dann, dass es noch immer stockduster war. Ich schloss die Tür hinter mir und brauchte eine Weile, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Hakuei lag noch im Bett und schien zu schlafen. Um die Uhrzeit? Seltsam. Ich zog die Jalousien etwas nach oben, sodass ich mehr sehen konnte, und kniete mich vor das Bett. Hakueis linker Arm hing über die Kante, und ich nahm mir zum ersten Mal Zeit, mir in aller Ruhe seine Tattoos anzusehen. Er hatte einen Schmetterling auf dem Handrücken und einen auf dem Unterarm, dazu noch diverse schwarze, graue und rote Verschnörkelungen, ein oder zwei Fabelwesen, eine violette Blüte... Eigentlich ganz hübsche Muster. Ich wollte mir vielleicht auch irgendwann einmal Tattoos machen lassen, aber ich hatte ein bisschen Angst davor.

Nach einer Weile lehnte ich meine Wange an seinen Unterarm. Ich vermisste meinen Vater. Hatte ich einen Vaterkomplex? Wahrscheinlich. Aber ich war auch ohne eine weibliche Fixperson aufgewachsen, da war es klar, dass ich mich so an meinen Vater klammerte. Ich vermisste seine Worte, seine Aufmunterungen, seine ganze Aufmerksamkeit, seine Streicheleinheiten. Ich wollte von ihm umarmt werden und so tun, als würde mich dagegen sträuben. Aber wir beide wussten, dass es uns gut tat. Ich rieb meine Wange etwas an der warmen Haut, dann stand ich auf. Hakuei war einfach kein Ersatz für ihn.

Da kam mir ein anderer Gedanke. Ich beugte mich über das Bett und schnupperte an der Bettdecke. Vielleicht roch sie ja nach meinem Vater, dann würde ich sie beschlagnahmen. Aber Hakuei hatte höchstwahrscheinlich ohnehin die Bettwäsche gewechselt. Wäre seltsam, wenn nicht. Obwohl, wenn er ohnehin auf ihn stand... Ich verdrängte diesen Gedanken und schnüffelte weiter. Doch, hier roch es ein bisschen... oder? Und da...?

„Was in Dreiteufelsnamen MACHST du da?!“, fragte mich jemand plötzlich.

Ich fuhr zusammen und richtete mich blitzschnell auf. Hakuei musterte mich, als wäre ich zurückgeblieben, also lächelte ich ihn an. „Hi. Warum bist du noch im Bett?“

„’Warum bist du noch im Bett’“, äffte er mich nach, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, gähnte einmal und setzte sich auf, zog die Knie an. „Warum bloß? Vielleicht, weil ich meine sieben Stunden Schlaf brauche?“

„Es ist vier Uhr nachmittags“, merkte ich an.

„Ja. Ich weiß“, gab er zurück und streckte sich einmal.

Ich starrte ihn an. „Du warst bis NEUN UHR heute morgen wach?!“

„Ich hatte was zu erledigen.“

Unwillkürlich dachte ich an die Leiche zurück, die ich... schnell schob ich das Bild beiseite, schauderte aber trotzdem. „Okay. Ehm... heute Abend kommen Sanaka und Towa vorbei, nur, damit du Bescheid weißt.“

„Habt ihr euch wieder vertragen?“

Ich nickte.

„Gut. Wenn einer von euch in die Wohnung kotzt, darf er’s selbst aufwischen.“

„Schön zu sehen, dass du auch nach den falschen sieben Stunden Schlaf deinen Humor noch hast.“

„Stets zu Diensten.“

Ich betrachtete ihn einen Moment. So kurz nach dem Aufwachen war er immer unheimlich neben sich und verpeilt, richtig niedlich war das teilweise. Seine Haare waren zerzaust, sein Shirt verknittert, er konnte seine Augen nur mit Mühe aufhalten... Ich grinste in mich hinein, besorgte mir ein Hemd meines Vaters und verschwand, um nicht noch weitere Fragen beantworten zu müssen.
 

„Hat er dich schon mal für ein Weib sitzen lassen?“, wollte Sanaka gähnend wissen. Er saß vor meinem Bett und spielte mit einem Kartenspiel herum, ich drehte mich auf meinem Schreibtischstuhl um meine eigene Achse.

„Ach, ein paar Mal“, winkte ich ab. „Nichts Besonderes. Wenn ihm das Weib gerade wichtiger war... Ich meine, ehrlich gesagt stört’s mich auch nicht großartig, dass er jetzt weg ist. Irgendwie geht er mir in letzter Zeit auf die Nerven.“

„Ja, ne?“, gab Sanaka bestätigend zurück. „Er ist noch vulgärer, noch mir-ist-alles-egaler, noch blöder als eh schon... vielleicht liegt’s ja wirklich an dieser Aya.“

„Kann sogar sein. Ich meine, küssen kann sie richtig gut, sie ist laut ihren Worten treu, sieht voll hübsch aus... und steht auf Towa. Kein Wunder, dass er dafür einfach so von hier abhaut.“

„Hm.“ Sanaka fächerte die Spielkarten aus und sah mich an. „Ich muss dir was sagen. Ein Geheimnis, das außer dir dann nur noch ein einziger Mensch weiß – mich selbst ausgenommen, natürlich.“

„Und das hab ich verdient?“, wollte ich skeptisch wissen und drehte eine komplette Runde.

„Vielleicht. Wenn du eine Bildkarte ziehst.“ Er hielt mir die Karten hin und ich zog wahllos eine. Als ich sie umdrehte, musste ich lächeln. Es war ein Joker.

„Das war ja einfach“, bemerkte ich.

„Okay, hör zu. Ehm... dieser Typ, den ich nicht dieses, sondern das Wochenende davor kennen gelernt habe, als ich bei meiner Tante war, Kamijo... Du meintest ja, dass es bestimmt eine Frau wäre, in die ich verknallt bin, weil ich sonst nicht so eine Show gemacht hätte.“ Er sah mich bedeutungsvoll an.

„Und es war eine?“, riet ich. „Und jetzt ist sie schwanger? Halt, das geht gar nicht. Und jetzt wollt ihr heiraten?“

Er schnitt eine Grimasse. „Haha. Wenn’s doch so einfach wäre. Nein, ich hab nicht gelogen, als ich meinte, dass es ein Typ ist. Aber ansonsten hattest du Recht.“

„Es ist ein Typ, und du bist in ihn verknallt“, schlussfolgerte ich. Ich redete mal wieder schneller, als ich denken konnte. Meine Augen wurden groß. „Jetzt echt?“

Sanaka nickte langsam. „Ja, echt.“

Warum wurden alle Leute um mich herum plötzlich schwul?? Ich starrte ihn an. „Und jetzt bist du mit ihm zusammen?“

Er senkte kurz den Blick. „Na ja, nicht wirklich... also, ich glaube, dass er mehr von mir will, aber ich habe keine Ahnung von gar nichts, was das angeht, und ich hab erst mal gebraucht, um überhaupt zu akzeptieren, dass ich so ticke... und ich traue mich nicht.“

„Findet er dich geil?“, fragte ich.

„Ich glaube schon.“

„Findest du ihn geil?“

„Ich weiß nicht...“

„Eher ja oder eher nein?“

„Eher ja...“

„Na also. Wo ist das Problem?“ Ich zuckte mit den Schultern.

Er rollte mit den Augen. „Hey, hier geht’s nicht um so eine F***bekanntschaft, ich überlege, ob ich wirklich eine Beziehung mit ihm anfange. Und zwar eine RICHTIGE.“

„Aber wenn ihr euch doch mögt-“

„Das ist nicht so einfach“, widersprach er mir kopfschüttelnd. „Wenn du wüsstest, was da alles noch eine Rolle spielt...“

Ich zuckte mit den Schultern. „Das kann ich nicht wissen. Aber du solltest dir das Ganze nicht komplizierter als sowieso schon machen.“

Er nickte und schenkte mir ein Lächeln. „Ja, mal schauen. Danke.“

„Warum erzählst du ausgerechnet mir davon? Ich meine... wer weiß es denn sonst noch? Towa?“

Dieses Mal warf er mit der Hülle des Kartenspiels nach mir. „Hallo?! Also ob ich DEM das erzählen würde! Nein, der andere ist eben der Typ, in den ich mich verschossen habe. Und rate mal, weshalb ich dir davon erzähle. Denk mal an Freitag zurück, an Spraydosen... Klingelt’s?“

Oh. Das ergab natürlich Sinn. Ich dachte an das zurück, was Hakuei mir gesagt hatte: ‚Vielleicht hatte er ja das Gefühl, dass du ihn bereits verteidigt hast und meinte, dir etwas schuldig zu sein.’ Sanaka fühlte sich dadurch verteidigt, dass ich mich – ohne davon zu wissen, dass es Sanaka betraf – für Schwule eingesetzt hatte. Deshalb erzählte er mir das hier auch. Hey, vielleicht war es doch keine Scheißidee gewesen, Towas Graffiti zu übersprühen, wie ich anfangs dachte. Jetzt wusste ich sogar von zwei Personen, von denen ich es nicht erwartet hätte, dass sie schwul waren.

Wir saßen noch eine Weile rum und unterhielten uns nur, tranken ein bisschen dabei, aber es hielt sich allgemein in Grenzen. Ich kam mit Sanaka aber wirklich besser klar, er war viel netter, lachte mehr über meine Scherze als über seine eigenen, hatte seinen ganz eigenen Humor... und eigentlich fand ich ihn viel toller als Towa. Warum hatte ich das nicht früher bemerkt?

Irgendwann allerdings fiel uns auf, dass es bereits nach zwölf war und wir am nächsten Tag Schule hatten.

„Ich sollte wohl wirklich besser gehen“, meinte Sanaka, der bereits etwas angetrunken war, aber nicht allzu viel, und stand mühsam auf.

„Willst du nicht hier pennen? Jetzt noch eine halbe Stunde nach Hause laufen... du hast dein Ticket nicht mit, oder?“

Er schüttelte den Kopf. „Und pleite bin ich auch noch.“

„Das ist wirklich kein Problem, wenn du hier bleibst“, versicherte ich ihm. „Mein Bett ist breit genug.“ Außerdem wollte ich auf seine Gesellschaft noch nicht verzichten, aber das konnte ich ihm schlecht sagen. Letztendlich ließ er sich von mir überreden, wir zogen uns aus, ich lieh ihm ein altes Shirt und dann legten wir uns ins Bett.

„Meinst du nicht, dass es für Hakuei ein bisschen komisch aussieht, wenn wir...?“ Er ließ seinen Satz unvollendet, aber ich wusste genau, was er meinte.

„Der ist noch nicht wach, wenn wir wieder gehen“, gab ich grinsend zurück. „Heute hat er von neun morgens bis vier Uhr mittags geschlafen.“

„Würd ich auch gerne“, seufzte Sanaka. Eine Weile lagen wir nur schweigend in der Dunkelheit, die mich immer müder und müder werden ließ, aber irgendwann sprach Sanaka mich noch mal an: „Hast du dir schon mal vorgestellt, wie es ist, einen anderen Mann zu küssen?“

Ich überlegte. Hatte ich? Vielleicht. Ein bisschen. „Ich weiß nicht. So halb, glaube ich. Du wahrscheinlich eher.“

„Klar. Und ich würde es gerne auch mal ausprobieren.“

Ich hatte kaum Gelegenheit zu antworten, da spürte ich Sanakas Fingerspitzen an meiner Schulter. Er tastete sich weiter an meinem Hals hoch zu meinem Gesicht, über meine Wange bis zu meinem Mund. Oh mein Gott, dachte ich, Jetzt hab ich gerade gemerkt, dass ich ihn mag, und er will mich küssen. Er strich sanft über meine Unterlippe und mehr aus einem Impuls heraus öffnete ich meine Lippen und berührte seine Finger mit der Zunge. Was machte ich hier?

„Darf ich...?“, flüsterte er und wartete, bis ich leicht genickt hatte. Dann richtete er sich etwas auf, beugte sich zu mir und verschloss meinen Mund mit seinem.

Es fühlte sich... anders an. Neu und ungewohnt, aber auf keinen Fall schlecht. Eigentlich so ähnlich wie mit einer Frau, aber irgendwie... Ich kam Sanaka etwas entgegen, um mehr von seinem Mund spüren zu können, bewegte meine Lippen gegen seine und langte schon nach kurzer Zeit nach seiner Zunge. Er zögerte erst noch, aber als ich eine Hand in seinen Nacken legte und ihn etwas mehr zu mir zog, verlor er sich in dem Kuss.

Nach einer Weile drehte ich ihn auf den Rücken und küsste ihn weiter, zog mit den Zähnen an seiner Unterlippe, ließ meine Hände über seinen flachen Oberkörper wandern und schmiegte mich an ihn. Er schlang die Arme um mich und spätestens da geriet das Ganze endgültig außer Kontrolle. Die nächste Zeit knutschten wir völlig selbstvergessen, grapschten nach allem, was wir erreichen konnten, wälzten uns immer wieder auf meinem Bett hin und her und überließen einander immer abwechselnd die Führung.

Gerade, als ich an der Reihe war, schob ich ein Bein zwischen Sanakas und drückte mit meinem Oberschenkel gegen seinen Schritt, woraufhin er unseren derzeitigen Kuss beendete und leise nach Luft schnappte. Ich hätte nie gedacht, dass ein Typ, und ganz besonders einer meiner beiden besten Freunde, mich so geil finden würde, dass er ... na ja... in diesen gewissen Körperregionen so aktiv wurde.

Etwas unsicher öffnete ich die Augen und sah Sanaka unter mir an. „Soll ich... aufhören?“, fragte ich leise.

Er schüttelte lediglich den Kopf, lächelte leicht und küsste mich wieder. Wir knutschten ein bisschen weiter, aber ich wusste nicht so recht, was ich machen sollte, weshalb Sanaka mich wieder auf den Rücken drehte und je ein Knie links und rechts meiner Hüfte platzierte, ehe er sich eng an mich kuschelte und mir über die Brust streichelte, während er mich küsste. Ich ließ meine Hände auf seinen Hintern wandern, was von ihm mit einem leisen Seufzen belohnt wurde, also wurde ich noch mutiger: Ich glitt mit einer Hand nach vorne und strich über seinen Schritt. Er seufzte erneut und bekam eine Gänsehaut, was ich als ein gutes Zeichen wertete, weshalb ich kurzerhand eine Hand in seine Shorts schob.

Sanaka wollte mir offenbar in nichts nachstehen, deshalb tat er es mir gleich und schloss seine Hand um meine eigene Erektion. Da erst begriff ich, wie er sich gerade fühlen musste – dieses Gefühl, das ich empfand, war viel intensiver als alles Vergleichbare, das ich bis dahin erlebt hatte. Und als er dann auch noch begann, seine Hand zu bewegen, musste ich mich konzentrieren, mich nicht darin aufgehen zu lassen, sondern mich um ihn zu kümmern.

Nach kurzer Zeit setzte ich mich auf, sodass Sanaka nun auf meinem Schoß saß, und schnappte immer wieder nach seinen Lippen, während ich selbst fast an Reizüberflutung starb. Wir stöhnten immer wieder gedämpft auf, und insgesamt war das Ganze so heiß, dass ich mich wirklich beherrschen musste, etwas länger auszuhalten.

Fünf Minuten später lagen wir wieder nebeneinander im Bett, dieses Mal allerdings aneinander geschmiegt und noch immer etwas nach Luft ringend. Wir schwiegen sehr lange, so lange, dass Sanakas Atem an meinem Hals sich wieder normalisiert hatte und auch mein Herz nicht mehr so schnell schlug. Dann atmete er einmal tief ein und ich wusste, dass er etwas sagen wollte, und ich wollte ihm eigentlich zuvorkommen.

„Sanaka“, begann ich, und genau gleichzeitig meinte er: „Lay?“

Wir konnten unser Grinsen zwar nicht sehen, aber wir wussten, wie der andere in dem Augenblick aussah.

„Das... Ganze bleibt doch unter uns, oder?“, wollte er zögerlich wissen und rieb seine Nase an meinem Schlüsselbein.

Ich lehnte mich etwas zurück, weil er mich kitzelte, und strich ihm dann über die Haare. „Logisch. Oder glaubst du, ich würde so was überall rum erzählen?“

„Towa reicht ja schon“, warf er ein.

„Als ob. Also bitte, da erschieß ich mich lieber.“ Unpassende Formulierung. Ich verzog das Gesicht. Nein, ich würde mich nicht erschießen. Nicht, nachdem ich in echt gesehen hatte, wie ein Erschossener aussah. „Sanaka?“

„Hm?“, machte er schläfrig.

„Kann ich dir auch ein Geheimnis erzählen?“

„Warum fragst du? Natürlich.“ Er strich über meinen Bauch. „Und dann wären wir ja quitt. Dann wüsstest du ein Geheimnis von mir und ich eins von dir.“

Stimmt, das ergab Sinn. Und so konnte ich auch sichergehen, dass weder ich aus Versehen seins erzählte und er meins ebenfalls nicht weitersagte. „Aber du darfst mich danach nicht komisch finden.“

„Mach ich nicht“, versprach er mir.

„Und du darfst Hakuei gegenüber auch nicht anders sein als sonst.“

„Ich versuch’s.“

„Ich hab eine Leiche gesehen.“ Ich machte eine Kunstpause, in der ich merkte, wie Sanaka die Luft anhielt. „Eine echte. Bei uns im Wohnzimmer. Hakuei hat jemanden erschossen, am Donnerstag war das... richtig heftig. Ich hatte voll Angst vor ihm.“

„Verständlich... ach du Scheiße... woah...“ Sanaka suchte nach Worten, fand aber offenbar keine. „Das ist wirklich heftig...“

„Ist es“, nickte ich. „Ich weiß auch nicht, worum es ging... aber... weißt du... er lag da einfach so und irgendwie...“

„Denk nicht mehr daran“, bat Sanaka und richtete sich etwas auf, um mich erneut zu küssen. Irgendetwas hatten seine Küsse an sich, sie waren süßer und hinterließen jedes Mal ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch. Ganz anders als bei allen, mit denen ich bis dahin geknutscht hatte. Aber dabei sollte es doch eigentlich keinen Unterschied machen, oder? Ob es nun eine Frau oder ein Typ war... Aber es machte eben doch einen Unterschied. Hm.

„Darf ich noch was ausprobieren?“, fragte Sanaka nach ein paar Minuten weiteren Knutschens, das keine Interpretationsmöglichkeiten mehr übrig ließ als ziemlich eindeutige.

„Klar“, antwortete ich, und dann spürte ich seine Lippen an meinem Hals, meinem Schlüsselbein, er schob mein Shirt so weit hoch wie möglich, dann war sein Mund auf meiner Brust, an einer meiner Brustwarzen, auf meinem Bauch, an meinem Bauchnabel, an meiner Hüfte und dann... fiel es mir nicht schwer, an etwas anderes zu denken. Ehrlich gesagt dachte ich gar nicht mehr.
 

Irgendetwas war anders. Das merkte selbst Towa. Als ich an diesem Morgen aufgewacht war und Sanakas Wärme noch neben mir spüren konnte, obwohl er bereits aufgestanden war, wusste ich, dass es ein guter Tag werden würde. Wir gingen zusammen zur Schule und saßen unsere Zeit ab und in den Pausen verhielten wir uns laut Towa ‚wie zwei gackernde Hühner, die sich auf eine Steckdose gesetzt haben’. Was konnte ich denn dafür, wenn ich gute Laune hatte? Und immer, wenn Sanaka mir von der Seite ein vielsagendes Lächeln zuwarf...

Und es wurde nicht besser. Na ja, also unser Verhalten wurde nicht besser, sondern eher nur unerklärlicher. Wir trafen uns am Montag, am Dienstag, am Mittwoch und am Donnerstag, und es lief jedes Mal nach dem selben Schema ab. Erst machten wir irgendetwas Unspektakuläres, wie etwa Hakuei ein bisschen über seine Rolle als Yakuza ausfragen (wobei ich ihm vorher ausdrücklich gesagt hatte, dass er nicht durchhängen lassen sollte, dass mein Vater sein Chef war), shoppen gehen oder ganz einfach essen, dann laberten wir ziemlich lange über alles Mögliche, das uns einfiel, und irgendwann sahen wir uns nur für einen Augenblick an und fingen an zu knutschen. Wir landeten jedes Mal auch im Bett, zogen das Ganze aber bis auf ein einziges Mal nicht bis zum Ende durch. Ich verlor ziemlich viel von meiner Unschuld in diesen fünf Tagen, den Sonntag mitgerechnet.

Ich weigerte mich völlig, über diese Sache nachzudenken oder mir zu überlegen, wie ich sie wohl rechtfertigen könnte. Ich genoss Sanakas Küsse, Berührungen, Nähe, Gesellschaft und die Tatsache, dass wir uns immer näher kamen, sowohl körperlich als auch geistig gesehen. Und mehr nicht. Wir sprachen allerdings auch fast nicht darüber. Als würde der Bann gebrochen werden, der uns ergriffen hatte, wenn wir aussprachen, was wir da taten. Aber so weit kam es nicht.

Am Freitag hatte Sanaka keine Zeit, und ich hätte mir nicht vorstellen können, was diese simple Tatsache für Folgen haben würde. Ich kam direkt nach der Schule nach Hause, nachdem ich Towa abgewimmelt hatte – ich hatte echt keinen Bock auf ihn – und beschloss, dass ich irgendetwas essen würde. Aber zuerst wollte ich Hakuei begrüßen, also ging ich ins Wohnzimmer, von da aus in die Küche und warf dann vorsichtig einen Blick ins Schlafzimmer. Keiner da. Ich ging zurück in den Flur, eigentlich, um in mein Zimmer zu gehen, aber da hörte ich gerade, wie die Dusche im Badezimmer meines Vaters ausgestellt wurde. Gut, das ergab Sinn.

Man machte viele seltsame Sachen, wenn man jung war. Man aß für ziemlich wenig Geld die erste Seite des Buchs, das man für die Schule lesen sollte, stellte sich unheimlich blöd an, wenn es darum ging, seinen Schwarm irgendetwas zu fragen, und man war unheimlich neugierig. Ich schob es auf die jugendliche Neugier, dass ich mich an diesem Tag vor der Badezimmertür hinhockte und durchs Schlüsselloch linste.

Ich hatte Hakuei noch nie oben ohne gesehen, daher hatte ich nicht gewusst, wie er gebaut war, ganz im Gegenteil zu Towa und Sanaka und allen anderen, die mit mir zusammen Sport hatten. Einige wirkten zwar sportlich, waren aber ohne Kleidung eher eine Enttäuschung, es gab extrem wenige, die ich – wäre ich eine Frau gewesen – ansprechend gefunden hätte.

Hakuei hätte ich mich in diesem Fall wahrscheinlich ohne zu Zögern an den Hals geworfen.

Und dann wurde mir erstens bewusst, was um alles in der Welt ich gerade tat, und zweitens, dass sich das von mir beobachtete Objekt gerade auf die Tür zubewegte. Das Resultat davon war, dass ich erschrocken hochfuhr und mir dabei mit voller Wucht die Türklinke gegen den Schädel rammte. Unfähig, mein Gleichgewicht zu halten, kippte ich nach hinten um, blieb mit einer Hand aufgestützt sitzen und hielt mir, entsetzt nach Luft schnappend, mit der anderen Hand den schmerzenden Kopf.

Gerade, als mir aufgrund des pochenden Schmerzes in den Schläfen und ganz besonders an der Stelle, wo mein Kopf Bekanntschaft mit der Türklinke gemacht hatte, die Tränen in die Augen stiegen, öffnete Hakuei die Tür, um nachzusehen, was zur Hölle dieses laute Geräusch verursacht hatte.

Ich hätte zu gerne gewusst, was er sich in dem Moment dachte, als er mich sah, ich jedenfalls war erstens wegen meines Kopfes unfähig zu denken und zweitens wegen des Anblicks, der sich mir bot. Hakuei hatte sich zwar ein Handtuch um die Hüften gebunden, aber seinen Oberkörper konnte ich trotzdem in allen Einzelheiten sehen. Ich sage nur: Six-pack.

Ich wäre am liebsten irgendwo versunken. Einige Sekunden starrten wir uns nur gegenseitig an, dann besaß ich den Mut, das Schweigen zu brechen. „Ich hab Hunger“, sagte ich und hätte ich mich dafür verfluchen können, dass der Schmerz mit jedem Wort schlimmer wurde.

„Dann mach dir was zu essen“, entgegnete Hakuei ruhig, wie er nun mal so war. Keine Spur von Ärger, keine Spur von gar nichts. Überhaupt nichts!!

„Kannst du nicht was kochen?“, bat ich ihn und wusste nicht, ob er es bemerkte, dass ich nicht zu seinem Gesicht hoch sah, sondern weiterhin auf seine Brust starrte.

„Ich muss gleich los“, gab er schulterzuckend zurück.

„Oh“, machte ich.

„Hast du dir den Kopf gestoßen?“, wollte er gelassen wissen und schloss die Tür hinter sich. Als ich nickte, hob er eine Augenbraue und grinste dabei. „Hab ich gehört“, bemerkte er, dann wandte er sich ab und ging ins Schlafzimmer meines Vaters.

Kaum dass er verschwunden war, drückte ich beide Hände auf meinen Kopf und beugte mich weit vor. „Auaaaaaaaaaaa“, flüsterte ich und schnitt eine Grimasse.
 

Letztlich hatte ich mich am Freitagabend doch mit Towa getroffen und bei einer seiner Bekanntschaften geschlafen. Natürlich hatte es ein großes Saufgelage gegeben und ich hatte probeweise mit einem Weib rumgeknutscht, aber dabei nichts gespürt. Unzufriedenstellend. Am Samstag kam ich wie gerädert nach Hause, holte erst einmal ein bisschen Schlaf nach und war dann erst gegen sieben Uhr abends wieder ansprechbar. Gegen zehn zog ich mir einen sehr langen Horrorfilme rein, den Towa mir ausgeliehen hatte, und gruselte mich fürchterlich. Ich hatte zwar nichts gegen Splatter, aber Psychoterror ging mir unter die Haut. Ich stellte zwar zwischendurch auf Pause und hörte etwas Musik, um mich wieder aufzulockern, ließ sie am Ende sogar währenddessen laufen, aber es half wenig bis gar nicht.

Um ein Uhr nachts, als ich schlafen gehen wollte, war ich ein einziges nervliches Wrack. Jedes Mal, wenn ich zu meinem Fenster sah, stieg die leise Befürchtung in mir auf, dass sich gleich ganz plötzlich ein Gesicht gegen die Scheibe drücken und mich anglotzen würde...

Ich legte mich ins Bett und schaltete das Licht aus, aber da ging es erst so richtig los. Ich hatte das Gefühl, dass da irgendetwas WAR, irgendetwas, das nur darauf wartete, dass ich einschlief, das in meinem Zimmer stand und mich beobachtete... Ich glaubte sogar, es leise atmen zu hören...

Ich schaltete das Licht wieder an. Nichts, natürlich. Moment mal, war da hinten nicht...

Etwas verstört machte ich alle Lichter an, die ich überhaupt besaß, und fühlte mich etwas sicherer. Dann trat ich aus meinem Zimmer und erleuchtete den Flur taghell. Einige Momente blieb ich regungslos stehen, dann machte ich alles in meinem Zimmer wieder aus und ging nach unten. Unten wieder das gleiche Spiel, alles an, oben alles aus. Irgendwann war ich im Schlafzimmer meines Vaters angekommen, dort schaltete ich lediglich die Schreibtischlampe ein und setzte mich vor das Bett, in dem Hakuei seelenruhig weiterschlief. Ein weiteres menschliches Wesen im Zimmer beruhigte mich etwas, und so re-normalisierte sich mein Herzschlag.

Ich hatte keine richtige Vorstellung davon, was ich jetzt machen wollte, aber als ich bemerkte, dass Hakueis Hand wieder an der Seite des Betts heraushing, lehnte ich meine Wange daran. Körperkontakt war gut, um meine eigenen Hirngespinste im Zaum zu halten. Irgendwann bewegten sich Hakueis Finger, betasteten mich etwas und strichen dann über mein Gesicht, über meine Wangen, meine Stirn. Es gab Stoffgeraschel, als Hakuei sich etwas aufrichtete und zu mir beugte.

„Was ist?“, wollte er leise wissen. „Kannst du nicht schlafen oder wolltest du dich einfach mal vors Bett setzen?“ Trotz seiner wie immer ruhigen Stimme konnte ich einen verschlafenen Unterton heraushören. Wie niedlich.

„Ich hab Angst“, antwortete ich ehrlich und legte den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können.

Er hob die Augenbrauen. „Angst?“, wiederholte er und unterdrückte merklich ein Gähnen. „Warum das denn?“

„Ich hab mir einen Horrorfilm angeguckt und jetzt hab ich Angst in der Dunkelheit. Und eigentlich nicht nur in der Dunkelheit. Sorry, wenn ich dich geweckt hab“, murmelte ich und musste nun selbst gähnen.

Hakuei tat es mir gleich und blinzelte müde. „Und jetzt?“, fragte er.

„Keine Ahnung. Es reicht eigentlich schon, dass du da bist.“ Hakuei würde bestimmt alle Monster erschießen, wenn es welche gab, haha. Irgendwie war ich im Selbstaufmuntern ziemlich schlecht.

„Willst du hier schlafen?“

Die Frage traf mich etwas unvorbereitet. Ich starrte ihn an. „Hier schlafen?“, echote ich ungläubig.

Er deutete ein Achselzucken an. „Ist doch Platz genug. Und wenn du dich nicht allzu breit machst, hab ich auch meine Ruhe und werd nicht wieder mitten in der Nacht geweckt.“

„Es ist ein Uhr.“

„Ich bin um zehn Uhr schlafen gegangen.“

„Oh.“

Wortlos rutschte Hakuei etwas näher an die Wand und hob die Bettdecke an. Ich zögerte einige Herzschläge, dann raffte ich mich auf und kuschelte mich in das Bett meines Vaters. Es war warm und weich und versprach Geborgenheit. Außerdem war ich Hakuei so nah wie selten zuvor, ich konnte seinen Arm berühren und sein Bein auch, und er war so schön warm...

Musste ich noch extra erwähnen, dass ich in den ersten Stunden dieser Nacht so gut schlief wie noch nie?
 

Am nächsten Morgen wurde ich davon geweckt, dass mir jemand einen schmerzhaften Stoß in die Rippen verpasste. Ich murrte laut und drehte mich auf die andere Seite, mit dem Rücken zu dem, der mir gerade weh getan hatte.

„Tja, Chef, sieht so aus, als würde er nicht mit dir sprechen wollen“, stellte Hakuei gleichgültig fest.

Ich brauchte einen Augenblick, um zu schalten. Dann saß ich aufrecht im Bett und streckte dem anderen erwartungsvoll die Hand entgegen. Hakuei grinste, verabschiedete sich von meinem Vater und drückte mir den Hörer in die Hand. „Morgen!“, begrüßte ich den Anrufer gut gelaunt.

„Guten Morgen“, entgegnete mein Vater nicht minder fröhlich. „Hast du gut geschlafen?“

„Kaffee?“, fragte Hakuei mich leise, woraufhin ich nickte und dann antwortete.

„Abgesehen davon, dass ich nicht einschlafen konnte, weil ich mir einen gruseligen Film angeguckt hab und danach Angst hatte, ja. Super.“

„Und sonst geht’s dir gut?“, wollte mein Vater weiter wissen und ich hörte das Grinsen aus seiner Stimme heraus. Doofes Kind, dachte ich, Macht sich selbst Angst.

„Klar. Alles super. Oh, doch nicht, mir fällt grad ein, dass du in die Schule kommen sollst, weil ich ein paar Mal eingeschlafen bin im Unterricht. Was mach ich jetzt?“

Kurzes Schweigen. „Keine Ahnung. Früher ins Bett gehen?“

War er irgendwie betrunken? Normalerweise war er nicht so gut gelaunt. Und nicht so sorgenfrei. „Papa!“, gab ich vorwurfsvoll zurück. „Ich meine... du kannst ja nicht hin, soll ich dann Hakuei hinschicken und sagen, dass er einer deiner Diener ist?“

„...so würde ich es an deiner Stelle nicht ausdrücken. Behaupte doch, er sei einer deiner Onkel.“

„Bei seinen Tattoos glauben die bestimmt, dass ich sie erschießen lasse, wenn sie ein falsches Wort sagen“, bemerkte ich nachdenklich.

„Da hast du Recht. Vielleicht solltest du einfach gar nicht-“

„Hey, das wär voll cool, dann lassen die mich endlich in Ruhe! Okay, das mach ich. Danke für den Tipp, Papa. Und wie geht’s dir? Hast du dir schon jemanden angelacht?“

„Glaubst du, ich würde-“ Er unterbrach sich selbst. „Was frag ich eigentlich noch, natürlich glaubst du das. Vergiss es. Nein, hab ich nicht.“

„Vielleicht solltest du mal“, schlug ich vor. „Baut Stress ab. Entspannt. Probier’s doch mal aus.“

„Lay, ich werde jetzt mein Liebesleben-“

„Schon klar. Ich hör auf. Sag mal, dürfte ich mir ein Tattoo machen lassen?“

„Nein.“

Autsch. Das kam schnell. „Wieso nicht?“

„Erstens tut das ziemlich weh, zweitens musst du bis zu deinem Lebensende damit rumlaufen und drittens käme man auf falsche Gedanken.“

„Hm“, machte ich unzufrieden.

„Kann ich Hakuei noch mal sprechen?“ Jetzt klang er etwas angepisst. Ich konnte mir schon denken, warum. Jetzt glaubte er bestimmt, Hakuei war Schuld.

„Klar, mein Kaffee kommt eh grad. Bis dann, Papa! Pass auf dich auf.“ Bevor ich seine Antwort hören konnte, gab ich das Telefon zurück an Hakuei und nahm dafür den Kaffee, den er mir gebracht hatte.

„Ja?“, fragte Hakuei und war dabei, das Schlafzimmer wieder zu verlassen, blieb dann aber mitten im Türrahmen stehen. „Ich hab nichts damit zu tun!“, verteidigte er sich vehement. „Wirklich nicht, Chef! ICH hab ihm das nicht eingeredet, ich weiß auch nicht, woher-“ Er brach ab und bedachte mich mit einen sehr finsteren Blick. Ich winkte ihm zu.
 

~*~
 

tbc~

Gedanken(los)

Wortanzahl: 4.459

Kapitelrating: R

A/N: Die Telefonszene ist gnadenlos übernommen von einer ziemlich guten FFVII:AC Fanfic :3
 

~*~
 

„Und ist irgendwann kein Bier mehr da, ist uns doch egal, ist uns doch egal, und ist irgendwann kein Bier mehr da, dann geh’n wir in die Bar!“

Mir war völlig bewusst, dass das Lied grottenschlecht war, aber ich machte mir inzwischen keine Gedanken mehr darüber. Alles, worauf ich mich mehr oder weniger konzentrierte, waren mein Gleichgewichtssinn, meine visuellen und akustischen Eindrücke, mein eigener Alkoholpegel und das Weib, das an meinem Hals hing und ständig mit mir knutschen wollte. Ich wollte nicht nachdenken, wie ich es auch die gesamte letzte Woche nicht getan hatte, aber seltsamerweise gerade jetzt, wo ich mehr Ablenkung hatte als vorher zusammen, drängten sich mir die Gedanken regelrecht auf.

Aber ich war noch nicht so weit, als dass ich die fundamentalen Erkenntnisse zugelassen hätte. Nein, das nicht, das schob ich weiter vor mir her, aber Teilgedanken, die diese Basisgedanken eigentlich voraussetzten, schwirrten mir unaufhörlich im Kopf und vor allem in meinem Bewusstsein herum. Wie zum Beispiel dieser Teilgedanke: Ich stand auf Hakuei. Ich hatte eine Weile gebraucht, um das zugeben zu können, aber jetzt hatte ich mich damit abgefunden. Ich stand auf ihn. Ich fand ihn geil. Und ich wollte mit ihm ins Bett.

Da hörte ich unweigerlich auf zu denken. Denn wäre ich einen Schritt weiter gegangen, dann hätte ich mir eingestehen müssen, weshalb ich mein Leben lang auf Sex verzichtet hatte und jetzt auf einmal so scharf drauf war, dann hätte ich eine Erklärung auf die Frage, weshalb Frauen mich nie groß interessiert hatten – Willensstärke war es nämlich ganz bestimmt nicht gewesen.

Aber so weit ging ich nicht. Ich blieb bei diesem Gedanken hängen: Hakuei war heiß. Inzwischen wurde ich schon immer unruhig, wenn ich über seinen Körper nachdachte, vor allem seinen Oberkörper... mit diesen Muskeln, den beiden bunten Vögeln links und rechts, dieser unheimlich glatten und makellosen Haut... Zum Anfassen, Ablecken und Reinbeißen.

Irgendwie kotzte mich das Mädel an, das sich schon den ganzen Abend an mich dran gehängt hatte. Sie fragte mich die ganze Zeit, ob wir nicht woanders hingehen sollten, und irgendwie nervte sie mich unheimlich. Ich entschuldigte mich, sagte ihr, dass ich mal auf Toilette müsste, und rappelte mich auf. Allein das dauerte etwa eine Minute, und nur schwankend konnte ich zu Towa rübergehen. Ich fragte ihn, ob ich mal telefonieren dürfte, schnappte mir dann das schnurlose Telefon und ließ das Gästeklo außen vor – das war nur zum Kotzen da. Ich schmiss ein f***endes Pärchen aus dem anderen, wenigstens noch halbwegs sauberen Badezimmer und schloss hinter mir ab. Sollte sich keiner beschweren, es gab schließlich noch ein zweites Klo.

Während ich meine eigene Telefonnummer wählte, dröhnte vom Wohnzimmer her Musik durch die Wand oder die Tür und ich konnte Gesang, Lachen, Geschrei und Gläserklirren hören. Aber das alles ließ mich kalt. Ich setzte mich auf den heruntergeklappten Klodeckel und wartete darauf, dass jemand abnahm. Als genau das passierte, hätte ich fast wieder aufgelegt.

„Ja?“, fragte Hakuei in seiner nervenzerreißenden stoischen Art. Manchmal konnte ich ihn dafür knutschen, dass er so ruhig war, und manchmal wollte ich ihn am liebsten töten.

„Hi“, entgegnete ich und setzte mich unwillkürlich etwas aufrechter hin. Was sollte ich sagen? Dass ich nur mal seine Stimme hören wollte? Das konnte ich doch nicht machen.

„Lay? Was gibt’s?“, wollte er wissen. Natürlich wollte er das wissen – warum sollte ich ihn auch um halb eins nachts anrufen?

„Na ja, ich dachte mir, ich ruf dich mal an.“ Imaginäres Facepalm, Hand-vor-die-Stirn-schlagen. ‚Ich dachte, ich ruf dich mal an, ich hatte sonst nichts Besseres zu tun in einem Haus voller Besoffener und Weiber und vor allem besoffener Weiber.’ Super. „Hab ich dich geweckt?“ Schnell das Thema wechseln.

„Nein, ich war noch auf.“

„Ach so.“ Ich rutschte etwas unbehaglich hin und her.

„Kann ich dir mit irgendwas helfen?“, erkundigte er sich freundlich.

„Hm. Eigentlich nicht. Ich hatte nur gerade nichts Besseres zu tun und dachte mir, ich nerv dich mal ein bisschen. Falls du nicht beschäftigt bist. Mit irgendwas.“ Hey, dafür, dass ich ziemlich viel intus hatte, konnte ich mich verdammt gut artikulieren. Zumindest noch.

„Nein, ich bin nicht beschäftigt. Du bist betrunken, oder?“

Ich grinste schief. „Ja, ich fürchte schon. Könnte daran liegen. Tut mir leid.“

„Kein Problem.“

„Bleibst du denn noch lange auf?“

„Nicht allzu lange, nein. Ich wollte eigentlich gleich ins Bett gehen.“

„Oh. Bist du denn schon umgezogen?“

„Ist das deine indiskrete Art zu fragen, was ich anhabe?“

Ich biss mir auf die Lippe. „Ehm... und wenn?“

„Dann würde ich dir empfehlen, bei so etwas vorher mehr zu üben.“

„Ist das deine seltsame Art, mir klarzumachen, dass du es mir sagen würdest, wenn ich direkt frage?“, wollte ich vorsichtig wissen.

„Ich werde es dir auf jeden Fall nicht verübeln, wenn du es tust.“

„Ehm, okay. Was hast du gerade an?“ Ich verprügelte mich innerlich gerade selbst. Was zur Hölle machte ich hier?!

„Außer Jeans eigentlich nichts, und das ist der klischeehafteste Einstieg für Telefonsex, den ich je gehört habe.“

Inneres Facepalm. „Hey, komm schon, als ob ich das hier ernst gemeint hätte, ja? So langsam solltest du wissen, wann ich nur Leute verarsche und wann nicht, glaubst du echt, ich würde-“

„Lay“, unterbrach er mich gelassen.

„...ja?“

„Wo bist du gerade?“

„Im Badezimmer von Towa. Warum-“

„Bist du noch angezogen?“

„Was, ernsthaft?“

„Spielt keine Rolle. Zieh dir die Hose aus.“

Ich erstarrte und blinzelte einmal, während mir langsam warm wurde. „Scheiße. Ist das dein Ernst?“

„Hast du’s?“

„Ja, Mo- Moment...“ Ich brauchte einige Sekunden, bis ich den Knopf an meiner schwarzen Hose auf hatte. „Verarschst du mich gerade?“

„Ist zwar das richtige Stichwort, aber nein, mache ich nicht.“

„Scheiße, ich schwör dir, wenn du mich verarschst...“ Ich zog meine Hose zusammen mit meiner Unterhose nach unten und versuchte, nicht nachzudenken und mich ganz auf die wohltönende Stimme an meinem Ohr zu konzentrieren.

„Bist du schon scharf?“

„Ja, seitdem du abgenommen hast“, murmelte ich und hoffte nur, dass das hier gerade wirklich kein Scherz war. Andererseits – wenn es keiner war...

„Gut. Ich will, dass du dir für mich einen runterholst. Und zwar so hart, wie du es aushältst.“

Ach du heilige Scheiße. Er meinte es wirklich ernst. Nur zögerlich griff ich nach meiner Erektion und umschloss sie mit der Hand.

„Stell dir dabei vor, dass es meine Hand ist, die dich berührt, die dich reizt.“

„Scheiße...“, murmelte ich und machte meine Augen zu. Sofort konnte ich Hakuei vor mir sehen, mit nacktem Oberkörper und einem Grinsen im Gesicht...

„Und dabei bleibt es nicht. Mein Mund ersetzt meine Hand und statt des vorherigen Drucks kannst du jetzt meine Zunge spüren, die langsam auf und ab leckt.“

Inzwischen wusste ich ziemlich genau, wie sich so etwas anfühlte, was meine Lage allerdings nicht allzu viel verbesserte.

„Und während ich immer stärker an dir sauge, fange ich noch an, dich zu befingern, um dich schön entspannt und bereit und offen zu kriegen. Kannst du meine Finger spüren, hm?“

Mittlerweile hatte seine Stimme einen samtigen, schnurrenden Unterton bekommen, der mich nur noch wahnsinniger machte. Während ich die Bewegungen meiner Hand immer schneller werden ließ, entfuhr mir ein leises Aufkeuchen. „Ja...“, wisperte ich außer Atem.

„Ich frage mich, ob ich dich jetzt schon kommen lassen soll, damit du dich selbst schmecken kannst, wenn wir uns küssen, aber ich lasse dich lieber noch ein bisschen leiden. Ich will dich darum betteln hören.“

„Ah... Haku... ei...“, keuchte ich automatisch.

„Dann dringe ich in dich ein, schön langsam, bis du fast durchdrehst, und dann f***e ich dich, so hart, dass du für mich schreist. Du winselst fast, während ich gnadenlos meinen ******* in dich ramme.“

Ach du heilige... Ich gab ein hilfloses Stöhnen von mir, legte den Kopf in den Nacken und spreizte meine Beine so weit es ging. „Hakuei, Scheiße... ahhn...“

„Ich stoße immer tiefer und fester in dich, immer und immer wieder, bis du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist, f***e dich so fest, dass du dich an mich krallst und nicht mehr lange aushältst.“

„Ja... ah... Hakuei...“ Ich biss mir erneut auf die Lippe und kniff meine Augen zu, so fest zu, dass ich Sternchen sah. Ich wusste, wenn er noch ein einziges Wort sagte, würde ich...

„Und während ich dich weiter vollkommen ausfülle, lasse ich dich dann endlich kommen, auf deinen eigenen Bauch, mit zugekniffenen Augen und dich um mich herum zusammenziehend.“

Das war zu viel für mich. Ich stöhnte ein weiteres Mal genussvoll auf, spannte mich dabei am ganzen Körper an und kostete meinen Höhepunkt voll aus. Danach schnappte ich noch etwas nach Luft, bevor ich wieder in der Lage war zu reden. „Scheiße, Hakuei... das war...“

„Ja, das hat man gehört“, entgegnete er, das Schnurren noch nicht ganz verschwunden. Aber trotzdem – er war so verdammt noch mal gelassen! Er war die ganze Zeit so ruhig geblieben... das konnte doch kein normaler Mensch!

„Du... ich meine... ich...“

„Ich leg jetzt auf.“

„Warte!“

„Was ist denn?“

„Ehm... gute Nacht?“

„Ja, durchaus. Bis morgen. Träum schön.“ Und damit legte er wirklich auf.

Ich starrte das Telefon eine Weile an, dann sah ich an mir herunter und schlug mir mit dem Hörer an den Kopf.
 

Am nächsten Morgen ließ ich es zu. Ich ließ die Gedanken zu, die sich in mir breit machten, obwohl ich unheimliche Kopfschmerzen hatte. Ich lag da, neben Towas Bett auf einigen Decken, halb über mir das Mädel, das in der Nacht mit dem einen Typen geschlafen hatte, und neben mir Arm in Arm Aya und Towa. Jemand hatte in sein Bett gekotzt, deshalb schlief er ebenfalls auf dem Boden, überall brannte Licht, sein Zimmer sah aus wie nach einer Teenager-Geburtstagsfeier und, ich zitiere Towa an einem seiner besten Abende: ‚Hier ist Puffluft’.

Mir selbst ging es nicht viel besser, ich hatte kaum geschlafen, mir war schwindlig – im Liegen! –, ich hatte Kopfschmerzen und fühlte mich wie ausgelutscht. Und hier, an einem der Tiefpunkte meines Lebens (soviel war mir klar), sagte ich mir zum allerersten Mal selbst, dass ich schwul war.

Ich hatte in den letzten beiden Wochen viermal mit Sanaka geschlafen, weil er mich dazu überredet hatte. Es war zwar kein kompletter Reinfall, aber das Gelbe vom Ei war es auch nicht gewesen – für uns beide nicht. Wir beschlossen, das Instabile, was sich zwischen uns gebildet hatte, als Freundschaft und nicht als mehr weiterzuverfolgen und uns nach etwas anderem umzusehen. Ich hatte es aber trotzdem irgendwie schön gefunden, mit Sanaka ins Bett zu gehen. Und wenn ich darüber nachdachte, mit einer Frau Sex zu haben... wurde mir irgendwie anders. Nein, das war nicht das Richtige für mich.

Und ich hatte mich in der letzten Woche in Hakuei verknallt. Ich hatte mich wie ein Teenager verhalten, was ich genau genommen ja noch war, hatte ihm hinterher spioniert, ständig über ihn fantasiert und von ihm geträumt. Wahrscheinlich war es nur eine vorübergehende Schwärmerei, aber das konnte ich ja noch nicht sagen. Das einzige, was ich wusste, war, dass ich mich von ihm vögeln lassen wollte. Und am Besten so schnell wie möglich.

Nein, ich hatte nicht meine bisherigen achtzehn Jahre auf Sex verzichtet, weil ich es nicht nötig hatte oder weil ich so willensstark war – sondern ganz einfach, weil ich noch nicht herausgefunden hatte, dass ich schwul war. So einfach war das – wäre mir das früher aufgefallen, hätte ich mein erstes Mal höchstwahrscheinlich schon mit vierzehn gehabt. Ich konnte kaum noch an etwas anderes denken. Es ging wirklich nach dem Prinzip ‚Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß’ – ich hatte mich für Sex nicht interessiert und punkt. Jetzt allerdings, wo ich herausgefunden hatte, wie geil es sich anfühlte, wollte ich immer mehr davon. Ich war ein Scheißkind, das wusste ich.

Und ich dachte über meine Mutter nach. Meine Mutter, die bereits mit neunzehn bei meiner Geburt gestorben war. Die ich umgebracht hatte, ohne irgendetwas davon mitzubekommen. War ich vielleicht selbst Schuld daran, dass mein Leben so ungeordnet war? Dass mein Vater so einsam war? Er machte sich Schuldgefühle, weil er sie so früh geschwängert hatte, das war mir absolut klar, und vielleicht traute er sich nicht, sich eine neue Frau zu suchen, weil er Angst hatte, dass ich ihm irgendwelche Vorwürfe machte.

Vielleicht hatte ich ja bis zur Volljährigkeit keinen Sex mit Frauen haben wollen, weil ich unbewusst Angst davor hatte, dass mir dasselbe passierte wie meinem Vater.

Mein Vater gab sich richtig viel Mühe, um es mir recht zu machen, er wollte eigentlich wirklich nur mein Bestes. Und erkannte ich das irgendwie an? Nein. Wie viel ich an ihm hatte, bemerkte ich erst jetzt, wo er nicht da war – er kochte für mich, kümmerte sich um den Haushalt, hörte sich geduldig alles an, was ich loswerden wollte, sorgte sich um mich, wenn ich mal wieder mitten in der Nacht draußen unterwegs war... Er liebte mich. Und ich? Ich sah das als vollkommen selbstverständlich an.

Um acht Uhr morgens kam ich zuhause an. Hakuei war noch nicht wach, das wusste ich. Ich ging nach oben, zog mich komplett aus und duschte erst mal. Dann legte ich mich ins Bett und versuchte, den versäumten Schlaf nachzuholen. Es ging nicht. Ich hatte so viele Gedanken, die gleichzeitig meine Aufmerksamkeit forderten... Ich stand auf, ging zu meinem Schreibtisch und zog eine Schublade auf, holte einen Fotorahmen heraus. Ich betrachtete das Bild darin. Meine Mutter wirkte nicht wie neunzehn, sondern viel älter. Vielleicht hatte mein Vater sich deshalb mit ihr eingelassen. Sie war ziemlich hübsch und hatte ein nettes Lächeln. Und wäre ich nicht gewesen, dann wäre sie jetzt noch am Leben, dann würde sie vielleicht mit meinem Vater verheiratet sein...

Mir wurde schlecht. Ich legte das Bild wieder zurück und setzte mich ans Fenster, sah nach draußen. Seltsam, wie wenig Leute doch Sonntagmorgens unterwegs waren. Und dabei fühlte ich mich so wach und so aktiv. Ich hatte Lust, nach draußen zu gehen, aber es war kalt.

Was hatte ich eigentlich für ein abgefucktes Leben? Mal ehrlich, das war doch nicht normal. Ich soff mir die Birne weg, rauchte und fand alles scheiße. Was sollte eigentlich mal aus mir werden? Wie sollte ich richtige Freunde finden und auch behalten, Freunde wie Sanaka, dem ich bestimmt – wie Towa bei mir – bald schon gehörig auf den Sack gehen würde... Ich war eigentlich nicht der Typ für Selbstmitleid, aber in dem Moment musste ich heulen, und zwar über mich selbst. Ich wusste, wer daran Schuld war, dass ich so war, wie ich nun mal war, so scheiße, so unzuverlässig, so nervig, so dumm: Ich selbst. Ich selbst war Schuld daran. Und ich hatte nie darüber nachgedacht.

Wie hätte ich mich wohl als Vater gefühlt, wenn mein Sohn sich systematisch das Leben zur Hölle machte und es nicht mal bemerkte?
 

Gegen ein Uhr mittags wachte ich auf – ich lag in meinem Bett und wusste nicht, wie ich dorthin gekommen war, aber es war mir egal, ich fühlte mich besser als vorher. Ich fühlte mich vor allem klarer im Kopf. Ein bisschen schämte ich mich für mein Emogehabe am Morgen, aber sobald ich wieder darüber nachdachte, schnürte sich mir die Kehle zu, daher ließ ich es. Ich stand auf, richtete mich vorzeigbar her und ging nach unten. Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer sagte mir, dass Hakuei trotz der Kälte auf der Terrasse war.

Und da traf es mich plötzlich wie ein Schlag. Ich hatte nicht nur geträumt letzte Nacht. Das Telefongespräch – falls man es so nennen konnte – war echt gewesen. Ach du Scheiße. Und wie sollte ich ihm jetzt in die Augen sehen? ... Moment mal, was hatte das eigentlich gesollt? Wenn er mich doof fand, warum hatte er...

Er sah nicht auf, als ich mich zu ihm gesellte. Ich stellte mich neben ihn, nahm ihm die Zigarette aus der Hand und erst einmal einen tiefen Zug. Den konnte ich jetzt gebrauchen.

„Du bist aber auch nur Gelegenheitsraucher, oder?“, wollte er wissen, auf das Geländer zum Garten hin gelehnt und den Blick in die Ferne gerichtet.

„Yep. Ich rauche bei jeder Gelegenheit, die sich bietet“, stimmte ich zu und zog ein weiteres Mal, bevor ich ihm die Zigarette zurückgab.

Eine Weile herrschte Schweigen, dann stöhnte er gequält auf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Ich hab so einen Kater...“, murmelte er und seufzte wehleidig.

„Willkommen im Club“, gab ich zurück und lächelte leicht. „Hast du dich etwa auch besoffen?“

Er nickte langsam. „Ja, hab ich. Und frag mich bitte nicht, warum.“

„Kann ich dich... ein anderes warum fragen?“ Gott, war das peinlich. Ich konnte ihn doch jetzt nicht drauf ansprechen!

„Ich war betrunken“, antwortete er sofort. „Wenn ich betrunken bin, werde ich unzurechnungsfähig. Es erschien mir wie eine gute Idee.“

Ich versuchte, mir das vorzustellen. Hakuei besoff sich, gammelte zuhause rum, wurde angerufen und dachte sich ‚Boah, das ist Lay, komm, machen wir doch mal Telefonsex, das ist bestimmt lustig!’, oder noch besser ‚Lay ruft an, erst mal Telefonsex!’. Meine Fantasie reichte weit, aber nicht bis dahin. Ich runzelte unzufrieden die Stirn.

„Hör zu. Ich weiß, dass du auf mich stehst – das tust du, oder? Hm. Du machst es auch nicht gerade unauffällig. Aber...“

Na los, gib mir einen Korb, das ist genau das, was ich gerade gebrauchen kann.

„Ich hab eigentlich kein Interesse an dir. Weder von deiner Persönlichkeit her noch physisch.“

Danke. Und ich find dich auch scheiße, übrigens. Ich starrte ihn durchdringend an, so lange, bis er sich endlich dazu bequemte, mich anzusehen. „Du willst lieber mit meinem Papa ins Bett, weil er so eine wundervolle Persönlichkeit hat und sexy ist“, stellte ich fest.

Er hob eine Augenbraue. „Und weil er durchhalten würde“, fügte er hinzu.

„Was?“, fragte ich irritiert.

„Wenn ich mit dir ins Bett gehen würde, dann würde ich’s auch durchziehen. Und damit hättest du ein ganz großes Problem, das kannst du mir glauben.“

Meine Augen wurden immer größer. Wovon zur Hölle sprach er? Warum sagte er mir erst, dass ich nicht nur scheiße aussah, sondern auch scheiße war, und erzählte mir dann einen von wegen ich würde es nicht aushalten, mit ihm Sex zu haben? „Was??“, wiederholte ich entgeistert.

„Du würdest direkt anfangen rumzuschreien, das sag ich dir. Und deshalb stehe ich auch nicht auf kleine Jungen. Das ist nämlich ziemlich uncool“, erklärte er mir geduldig.

Ich traute meinen Ohren nicht. Einige Herzschläge lang starrte ich ihn nur mit offenem Mund an. „Hallo? Geht’s noch!?“, rief ich dann ziemlich angepisst. „Ich meine, es ist eine Sache, wenn du mir sagst, dass du nichts von mir willst – wobei das an sich schon komisch genug ist, wenn du am Telefon so mit mir rummachst – aber wenn du dann auch noch solche Sprüche loslässt, ist das richtig asozial!! Woher willst DU wissen, wie ICH im Bett bin, hm?!“

Er lächelte. Er lächelte! Er lächelte mich seelenruhig an! „Ich will es jedenfalls nicht herausfinden“, bemerkte er sanft.

Dann tat ich etwas, was ich im Nachhinein sehr lustig fand, mir aber in dem Moment vollkommen gerechtfertigt vorkam: Ich trat Hakuei so fest ich konnte vors Schienbein. Anschließend drehte ich mich um und stapfte wütend ins Haus zurück. Ich hatte ein bisschen Angst, dass er mir hinterher kam und mir zurück weh tat, verdrängte diesen Gedanken allerdings. Er war meine Aufsichtsperson, er durfte mir nicht weh tun. Ich war ein Scheißkind, ich durfte alles.

Noch immer verärgert machte ich mir was zu essen und verzog mich wieder in mein Zimmer. Mir war nicht nach Kommunikation in irgendeiner Weise, ich hatte keine Lust, irgendwen anzurufen oder mich mit jemandem zu treffen, also spielte ich ein bisschen Counter Strike und dachte über Hakuei nach.

War das die feine japanische Art, mit jemandem Telefonsex zu haben und dann in einem Aha-Moment festzustellen, dass man eigentlich nichts von der Person wollte? Irgendwie nicht. Arschloch.

Es gab zwei Möglichkeiten, wie das mit uns beiden weitergehen könnte: 1. Ich akzeptierte, dass es mit uns beiden nichts werden konnte. Ich respektierte die Tatsache, dass Hakuei nicht auf mich stand. 2. Hakuei fiel in einem weiteren Aha-Moment auf, dass er doch an mir interessiert war und ließ sich auf mich ein.

Und dann gab es noch zwei Fakten: a) Hakuei stand auf meinen Vater. b) Ich war ein Scheißkind.

Wie hoch waren also die Chancen, dass die zweite Möglichkeit passieren würde?

Ich war kurz davor, meine Maus aus dem Fenster zu werfen, als ich zum wiederholten Mal umgebracht wurde. Heute konnte ich es einfach nicht. Obwohl ich eigentlich keine große Lust dazu hatte, schnappte ich mir mein Telefon und rief Towa an.
 

Es war Sonntag, und es war elf Uhr abends, aber ich hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Ich hatte mein Handy in meinem Zimmer gelassen und beschlossen, die Nacht durchzumachen. Towa hatte sich begeistert meinem Vorschlag angeschlossen und vorgeschlagen, wir könnten eine Tour durch seine Lieblingskneipen machen. Ich hatte nichts dagegen – aus den meisten wurden wir ohnehin nach kurzer Zeit rausgeschmissen, spätestens, wenn jemand Towa erkannte, was nicht allzu schwer war.

Gegen halb eins war ich so ausgepowert, dass ich kaum noch gerade stehen konnte. Towa und ich stützten uns gegenseitig und mussten uns immer wieder gegenseitig kneifen, um nicht auf der Stelle einzuschlafen oder umzukippen. Die vorige Nacht zeigte ihre Wirkung, und auch diese zehrte an unseren Nerven. Wir beschlossen, diese Tatsache mit noch mehr Alkohol runterzuspülen.

Gegen viertel nach eins hatten wir die Schwelle, an der es nicht mehr ging, längst überschritten und waren mit neuen Kräften gesegnet worden. Wie hatte irgendjemand mal gesagt? Nach müde kam doof. Wir waren bereits müde gewesen, und jetzt wurden wir doof.

„Ich wär so gerne ohne Hirn, was hätt’ ich dann noch zu verlier’n?“, sangen wir, während wir uns über den Bürgersteig schleppten. „Und kein Gedanke würd’ mich stör’n, ich wär so gerne ohne Hirn!!“ Im Nachhinein betrachtet, war es kein Wunder, dass es zu dem kam, was nun folgen sollte.

„So jung und schon so blau?“, sprach uns ein anderer Besoffener abfällig an. „Geht lieber in die Schule, ihr asozialen Bengel, und lernt was...“

„Ach, halt die Fresse“, fuhr Towa ihn an, was ich aus irgendeinem Grund unheimlich lustig fand. „Wenn du besoffen frei rumlaufen darfst, dürfen wir das auch!“

„Hey, so redet man nicht mit uns!“, mischte sich der zweite Kerl ein.

„Tja, offensichtlich ja schon, Arschlöcher.“

Ich dachte darüber nach, ob ich weglaufen sollte oder nicht, als Towa den ersten Schlag kassierte. Ich entschied mich dafür, dass meine Beine mich nicht halten würden, würde ich loslaufen, also blieb ich stehen und sah zu, wie Towa nach einem Kinnhaken zu Boden sank. Was hätte ich machen sollen? Ich hatte mich erst ein paar Mal in meinem Leben geprügelt, und da hatte ich jedes Mal den Kürzeren gezogen. Ich versuchte mich zwar zu wehren, aber Schläge, Tritte und Beschimpfungen musste ich trotzdem einstecken. Keine Chance. Ein Tritt am Kopf erwischte mich besonders stark, sodass ich fast das Bewusstsein verloren hätte. Glücklicherweise ließen die beiden ziemlich schnell von uns ab, da sie offenbar eine Prostituierte entdeckt hatten.

Towa und ich blieben vorsichtshalber noch ein wenig liegen, bevor wir uns trauten, uns aufzusetzen. Sein Gesicht war verdreckt und seine Augenbraue aufgeplatzt und ich wusste, dass ich nicht viel besser aussehen musste. Ich schmeckte Blut und merkte, wie mir etwas Warmes seitlich die Wange hinunter lief – offenbar hatte ich eine Wunde an der Schläfe. Ansonsten taten mir der Magen und der Rücken weh, meine Arme, und vor allem mein Kopf.

„Lebst du?“, wollte Towa nuschelnd von mir wissen. Ich nickte langsam, verzog das Gesicht und hielt mir den Kopf. „Ich auch“, bemerkte er überflüssigerweise. Das schien er so lustig zu finden, dass er anfing, leise zu lachen.

„Hey, das ist nicht witzig, ja?“, gab ich zurück, musste aber auch grinsen, und nach kurzer Zeit stimmte ich in sein Lachen ein, bekam beinahe Bauchkrämpfe. Und gleichzeitig liefen mir Tränen die Wangen hinunter, weil mir alles so weh tat und ich in diesem Moment sterben wollte. Ich war in ein Loch gefallen, aus dem ich nicht ohne Hilfe heraus kommen würde.

In diesem Zustand befanden wir uns, als Hakuei uns endlich gegen viertel vor zwei entdeckte.
 

Ich hatte geglaubt, dass ich Hakuei in allen seinen Stimmungslagen bereits erlebt hatte – oder dass ich mir vorstellen könnte, wie er war, wenn er sich so und so fühlte. Aber an diesem Montagmorgen um zwei Uhr wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich mir überhaupt keine Vorstellung davon hatte machen können, wie Hakuei sich verhielt, wenn er stocksauer, stinkwütend und endlos angepisst war. Denn das war er. Ohne Zweifel.

Erst hatte er Towa nach Hause geschleppt und mich angeschnauzt, ich solle mich nicht so anstellen, als ich meinte, ich könne kaum laufen. Aber es stimmte – irgendwie tat mein rechter Knöchel mir unheimlich weh. Er schleifte mich zu uns nach Hause, schubste mich im Wohnzimmer aufs Sofa und fing an, mich anzuschreien. Wirklich, er schrie mich an. Und wie.

Was genau es war, womit er mich anbrüllte, wusste ich nicht mehr, es hatte nur irgendetwas damit zu tun, dass er mich seit zwölf Uhr gesucht hatte, dass er kurz davor gewesen war, die Polizei einzuschalten und dass mir hätte sonst was passieren können. Er beschimpfte mich mit Wörtern, die ich nicht noch einmal wiederholen werde, und von denen ich eigentlich gedacht hätte, dass er sie nicht einmal kannte, nannte mich verantwortungslos, verwöhnt, arrogant und so weiter und so fort. Ich war noch nie in meinem gesamten Leben derartig zusammengeschissen worden. Was ich nur noch wusste, war, dass ich fast die ganze Zeit rumheulte, wie ein Mädchen, weil ich wusste, dass er Recht hatte, und weil ich nicht wollte, dass er mich hasste. Aber das hätte ich mir wahrscheinlich vorher überlegen sollen.

Danach versorgte er meine Verletzungen. Und ich schwor mir, dass ich ihn nie wieder aufregen würde, wenn ich verletzt war – es tat so weh wie als ich mir als kleines Kind mal den Arm gebrochen hatte. Er desinfizierte die ganzen Schrammen und Platzwunden, und allein da musste ich mich beherrschen, nicht rumzuschreien, aber so grob, wie er mit mir umging, konnte es auch nur weh tun. Anschließend verarztete er mich einigermaßen vernünftig, obwohl ich wusste, dass die Hälfte der Schmerzen, die er mir verursachte, hätte vermieden werden können, wäre er sanfter mit mir umgegangen.

„Und hüte dich, auch nur ein Wort zu sagen“, knurrte er mich mit unterdrückter Wut an. „Es interessiert mich kein Stück weit, wie du an diese ganzen Verletzungen gekommen bist, je weniger ich weiß, desto weniger kann ich mich aufregen. Kapiert?“

Ich biss mir auf die Lippe, nickte langsam und ignorierte die Tatsache, dass mir dabei schwindlig wurde.

„Hast du mir sonst noch irgendwas zu sagen?“ Hakueis Blick war so kalt, dass er mir wirklich Angst machte. Erst in solchen Momenten wurde mir wieder klar, dass er bereits etliche Menschen getötet hatte. Einen hatte ich ja selbst gesehen. Ich schauderte.

„Es tut mir leid“, murmelte ich leise.

„Geh ins Bett“, entgegnete er, stand auf und verließ das Zimmer. Nicht, ohne die Tür hinter sich zuzuknallen.
 

~*~
 

tbc~

(Ach ja, und für diejenigen, die die nächsten zwei Kapitel nicht lesen können... Pech gehabt! Ihr seid halt noch zu jung! Das ist nichts für eure Augen >:( http://www.mediafire.com/view/?v7lks7p5hjnfp1f

Dominanz

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Appetitliches

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Wacklig wie ein Gartenhaus

Wortanzahl: 3.531

Kapitelrating: PG-13

A/N: Das musste ja so kommen!
 

~*~
 

Am Montagnachmittag wollte ich nur noch sterben. Nein, eigentlich viel eher schlafen. Ich war am Morgen in meinem Bett neben Hakuei und mit einem rekordverdächtigen Ständer aufgewacht, musste zur Schule humpeln, wurde zwei Mal beim Schlafen erwischt, rutschte, wenn ich wach war, ständig auf meinem Stuhl herum und versuchte, die Bilder aus der letzten Nacht zu verdrängen (ich sage nur unter der Dusche – UNTER DER DUSCHE!). So gut wie kein Erfolg. Ich musste in jeder einzelnen verdammten Pause auf die Toilette gehen.

Sanaka hatte sich eigentlich mit mir treffen wollen, aber ich meinte, dass ich erst mal den Nachmittag ausschlafen würde. Deshalb legte ich mich gleich erst mal im Wohnzimmer auf die Couch und sah fern, um noch müder zu werden. Es klappte, aber besser, als ich es mir erhofft hatte.

Ich wurde zwei Stunden später dadurch geweckt, dass mir jemand ein Handtuch mit einem eiskalten Coolpack um den Knöchel wickelte. Schläfrig blinzelte ich Hakuei an, der unbeeindruckt auf dem Sessel neben mir Platz nahm und wirkte, als würde er ebenfalls fernsehen wollen. Ich streckte mich mit einem Gähnen und ließ meinen Blick eine Weile an ihm herauf- und herunterwandern. Ich wohnte jetzt seit etwas über einem Monat mit ihm zusammen, und ich hatte ihn auf mehrere Arten kennen gelernt. Ich wusste, wie er aussah, redete, ging, und sich fühlte, wenn er müde, hungrig, durstig, zufrieden, satt, ausgeschlafen, schlecht gelaunt, gut gelaunt, optimistisch, pessimistisch und angenervt war. Ich kannte etliche seiner Ticks, wusste, was er zum Leben brauchte und was nicht. Ich kannte ihn, nicht allzu gut, aber auch nicht nur flüchtig.

Für einen Moment drängte sich mir wieder der Gedanke auf, dass das zerbrechliche Gebilde, das sich zwischen uns gebildet hatte, bald einstürzen würde. Wenn mein Vater zurückkam. Aber daran wollte ich nicht denken, also schob ich es wieder beiseite. Nein, ich lebte im Hier und Jetzt, ich wollte froh darüber sein, dass er einfach da war.

„Hab ich Schokolade im Gesicht?“, fragte er mich unvermittelt, offenbar, weil er sich angegafft vorkam.

Ich spitzte die Lippen. „Hast du denn welche gegessen?“ Schweigen. „Warum hast du mir keine mitgebracht?“

„Weil du sonst dick wirst.“

Das ließ mich einen völlig entrüstetes Geräusch von mir geben. Ich setzte mich auf. „Also bitte, guck mich doch mal an! Seh ich aus, als würde ich-“

„Willst du nicht wissen, wie’s war?“, unterbrach er mich mit einem schwachen Lächeln.

„Natürlich will ich wissen, wie’s war“, gab ich wie selbstverständlich zurück. „Hatten sie Angst vor dir? Hast du sie eingeschüchtert?“

„Lay, es waren deine Lehrer“, erinnerte er mich streng. „Meinst du, ich bin hingegangen, um ihnen zu sagen, dass sie dich gefälligst im Unterricht schlafen lassen sollen?“

„Bist du nicht?“, fragte ich etwas aus dem Konzept gebracht.

„Hör zu. Weißt du, was sie mir erzählt haben? Nein, weißt du nicht, denn du warst schließlich nicht da. Haha“, entgegnete er trocken.

Ich starrte ihn erst an, dann musste ich lachen. „Was war DAS denn jetzt?!“

„Keine Ahnung. Ich hab erst, nachdem ich es gesagt habe, gemerkt, dass es Schwachsinn war. Ich glaube, dass ich immer noch traumatisiert bin – ich habe schon seit einiger Zeit mit keinen Lehrern mehr zu tun gehabt, und ich habe sie immer gehasst.“ Er schüttelte über sich selbst den Kopf. „Also, sie haben mir erzählt, dass es vorher auch schon oft genug vorgekommen ist, dass du während des Unterrichts nicht nur geschlafen, sondern auch telefoniert, mit etlichen Leuten Zettelchen geschrieben, gegessen und einmal sogar geraucht hast.“

„Ja und? Mir war langweilig“, verteidigte ich mich halbherzig.

„Ich hab auch ein paar der Zettel gesehen“, fügte er vielsagend hinzu.

Ich wäre fast aufgesprungen. „Wo haben die MEINE Zettel her?! Das ist Eindringen in meine Privatsphäre! Briefgeheimnis!!“

„Wohl kaum, wenn du’s im Unterricht schreibst“, merkte er trocken an. „Sie meinten, dass sie schon überlegt hätten, ob sie dich nicht von der Schule schmeißen sollten.“

„Was? Warum haben sie DIR das erzählt?“ Wortlos wurde mir ein Ausweis unter die Nase gehalten. „Hirohide S...“, begann ich, stockte allerdings bei dem Nachnamen. „Sa... Sakurai?! Aber das ist MEIN...“

„Ganz einfach: Sie haben’s mir erzählt, weil ich dein Onkel bin“, erklärte Hakuei sachlich. „Du solltest froh sein, dass du überhaupt noch auf der-“

„Moment mal, du kannst mir nicht einfach im einen Satz mitteilen, dass wir verwandt sind, und... du bist Papas Bruder? Aber... das kann gar nicht sein!“

„Genau“, nickte er.

„Was?“

„Man kann Ausweise fälschen.“

„Was??“

„Herrgott, du hast mir nicht wirklich geglaubt, oder?“ Er verdrehte die Augen.

„Hey, wenn du so ernst dabei aussiehst!!“, rechtfertigte ich mich entgeistert. „Du kannst nicht erst behaupten, du wärst mein Onkel, und es dann doch nicht sein!!“

„Doch, das geht ganz einfach.“

„Egal. Was hast du ihnen denn gesagt?“

Hakuei neigte seinen Kopf etwas zur Seite. „DANN hab ich angefangen, sie einzuschüchtern. Ich glaube, in Zukunft werden sie dich im Unterricht schlafen lassen.“
 

~*~
 

„Jetzt echt?“, wollte Sanaka ungläubig wissen und musterte mich prüfend, wie um von meinem Gesicht ablesen zu können, dass ich log.

Ich nickte langsam und konzentrierte mich weiter darauf, mein Kartenhaus nicht in sich zusammenfallen zu lassen. „Echt. Nein, wirklich.“

„Und? Wie war’s?“, fragte er weiter, sein sensationslüsterner Gesichtsausdruck nicht so recht zu seinem sonstigen Wesen passend.

„Es hat so was von wehgetan, das GLAUBST du nicht“, murmelte ich mit einem Grinsen und stellte zwei weitere Karten aneinander. „Aber schon direkt danach hat’s mir fast das Hirn weggepustet. Ernsthaft. Ich konnte echt nicht mehr denken, und DAS war vielleicht ein geiles Gefühl... Weißt du, sein... und sein... und erst sein... Haaah...“

„Und jetzt seid ihr zusammen?“

Ich spitzte nachdenklich die Lippen. „Na ja, nicht richtig. Also, ‚zusammen sein’ würd ich das nicht nennen.“

„Friedliche Koexistenz?“

Koexistenz? Ich runzelte die Stirn. „Keine Ahnung.“

„Ist es mehr als der Sex?“

Warum fragte er mir solche Löcher in den Bauch? „Woher soll ich das wissen?“

„Wenigstens DU solltest doch wissen, wie du ihm gegenüber stehst, oder nicht?“

„Ich hab doch keine Ahnung! Ich meine... ich mach mir darüber keine Gedanken. Ist mir egal, ob wir zusammen sind oder nicht, wir wohnen halt zusammen und gehen ab und zu ins Bett oder uns gegenseitig auf die Nerven... mich interessiert nicht, ob er das für eine kurze Affäre oder den Anfang von etwas ganz Großem hält, weißt du, ich bin nur seit keine Ahnung wie lange endlich mal wieder GLÜCKLICH, kapierst du? Mir geht’s gut, ich hab alles, was ich brauche, ich kann mein Leben genießen, wie es ist. Und ich brauch nicht mal Alkohol, Weiber oder sonst was, Drogen meinetwegen, dazu. Ich hab endlich das Gefühl, mein Leben im Griff zu haben.“

„Und was meinst du, wie lange wird das andauern?“, fragte Sanaka skeptisch und zog eine Augenbraue hoch.

„Woher soll ich das-“

„Was meinst du denn, wie’s mit dir weitergeht, wenn dein Vater zurückkommt?“, fügte er provokant hinzu.

„Das ist mir egal!“, rief ich so laut, dass die Lehrerin, die vorgegeben hatte, in ihr Buch vertieft zu sein, kurz aufsah. Die anderen drei, die ebenfalls mit uns nachsitzen mussten, warfen mir böse Blicke zu.

„Lay, ich möchte nur nicht, dass du dir ein Luftschloss aufpustest, das dann durch einen winzigen Nadelstich wieder in sich zusammenfällt“, entgegnete Sanaka sanft. „Du solltest dir Gedanken darüber machen-“

In dem Moment stürzte mein Kartenhaus in sich zusammen. Ich betrachtete es finster, sah Sanaka dann wieder an und wurde durch sein besorgtes Gesicht nur noch wütender. „Das geht dich doch nichts an! Und woher willst du wissen, dass es ein Luftschloss ist!? Vielleicht hab ich’s ja auch aus Beton gebaut!“

Den Rest der Zeit weigerte ich mich, mit Sanaka zu reden. Aber das war eigentlich das Schlimmste, was ich tun konnte, denn so kam ich zum Nachdenken. Mein Vater wusste noch nichts davon, dass ich schwul war. Er hatte keine Ahnung, dass Hakuei und ich... und er wusste auch nicht, was ich im letzten Monat alles erlebt hatte. Ich hatte das Gefühl, mich total verändert zu haben. Und wie sollte es werden, wenn er wieder da war...?

Als ich an diesem Nachmittag nach Hause kam, erwiderte ich Hakueis Begrüßung nicht, sondern stampfte direkt hoch in mein Zimmer, wo ich alle Sachen in eine Ecke warf und laute Musik anmachte. Nach fünf Minuten machte ich sie wieder aus, stampfte zurück nach unten und ließ mich von Hakuei beruhigen, indem er mich auf seinen Schoß zog und mir über den Rücken strich. So blieben wir ungefähr zwei Stunden sitzen und redeten nur, danach ging es mir wieder besser.

Aber keiner von uns sagte auch nur ein Wort über meinen Vater. Und da wurde mir zum allerersten Mal bewusst, dass wir Angst hatten.
 

~*~
 

„Ich glaub, ich lern Bass spielen“, murmelte ich in Hakueis Halsbeuge. Es war nicht normal für uns, dass wir schon am frühen Abend im Bett lagen, aber es war irgendwie dazu gekommen und ehrlich gesagt, hatte ich auch nichts dagegen. Nicht bei der Show, die Hakuei abgezogen hatte. Ich schmiegte mich dicht an ihn, so dicht, dass ich eigentlich keine Decke gebraucht hätte.

„Wie ernst meinst du das?“, entgegnete Hakuei leise und strich kurz über meinen Hintern, ließ seine Hand allerdings in meinem Kreuz ruhen.

„Wenn ich den nicht selbst bezahlen muss, sehr“, gab ich grinsend zurück. „Ist doch cool. Und Gitarre spielen kann jeder. Außerdem ist Bass viel einfacher.“

Er gab ein Schnauben von sich, das als eine Art Kichern zählte, zumindest bei ihm. „Das ist wohl kaum eine ausreichende Begründung.“

„Für mich schon.“ Eine Weile herrschte eine einvernehmliche Stille, in der ich die Augen schloss und die warme Haut vor meinem Gesicht ein paar Mal mit den Lippen berührte.

Und dann ertönte das Geräusch, das ich wohl mein Lebtag nicht vergessen würde: Ein Klimpern, Klirren, eine Art Klingeln. Ich war es so gewöhnt wie den normalen Straßenlärm, war damit aufgewachsen und hätte es unter Tausenden wiedererkannt. Aber in diesem Moment war es so unpassend, dass ich einige Sekunden brauchte, um es wieder zuordnen zu können.

Hakuei war schneller. Bevor ich irgendetwas sagen oder denken konnte, war er bereits aus seinem (nein, nicht aus seinem, es war ja eigentlich nicht seins) Bett geschlüpft, hatte mir zugeflüstert, ich solle ja bleiben, wo ich war, und war aus dem Raum verschwunden. Ich lag noch einige Herzschläge regungslos da, dann schaltete ich.

Aber als ich diese eine Stimme hörte, konnte ich mich nicht mehr halten. Ich sprang fast aus dem Bett, zog mir das erste Shirt über, das mir in die Hände fiel, und stürmte nach draußen in den Flur.

Mein Vater hatte mir den Rücken zugewandt, den Schlüssel, den ich zuerst nicht hatte zuordnen können, noch in der Hand, und ließ sich offenbar gerade von Hakuei bequatschen. Der wiederum gab ein seltsames Bild ab, weil er nicht wirkte, als hätte er die Situation unter Kontrolle – das war ich von ihm nicht gewohnt. (Außerdem trug er nichts außer seinen Shorts.)

„Papa!“, rief ich begeistert und fiel meinem Vater um den Hals, als er sich zu mir umdrehte. Etwas perplex drückte er mich kurz an sich, und in diesen paar Sekunden überschlugen sich meine Gedanken mehrmals. Ich wollte ihm gleich alles erzählen, was passiert war, dass ich mich in den letzten zwei Wochen nur ein einziges Mal besoffen hatte, dass ich (mit einem ganz großen Vielleicht) aufhören würde zu rauchen, dass ich mit dem Bassspielen anfangen wollte, dass ich etwas vernünftiger geworden war und dass ich ihn natürlich vermisst hatte. Da erst wurde mir klar, wie sehr er mir tatsächlich gefehlt hatte, seine ganze Person. Ich wollte ihn die Augen verdrehen, nachsichtig lächeln und ihn stolz auf mich sein sehen, ich wollte, dass er mir erzählte, wie es ihm ergangen war und dass er mir versprach, dass er mich nicht so schnell wieder allein lassen würde. Und ich wollte mich bei ihm entschuldigen, dass ich vorher so ausgenutzt hatte, wollte ihm versprechen, dass es ab jetzt anders werden würde, ich wollte ihn zum allerersten Mal über meine Mutter ausfragen, wollte... Und ich war so aufgeregt, dass ich kein Wort herausbrachte.

Als mein Vater mich wieder losließ, betrachtete er mich einen Moment mit einem fast irritierten Gesichtsausdruck. „Hey“, begrüßte er mich schwach. „Du hast da-“ Und als er kurz an einer meiner blond gefärbten Strähnen zog, um das weiße Zeug darin herauszuholen, kam er offenbar gleichzeitig mit mir zum selben Schluss: Dass es Schlagsahne war. Scheiße. Ich hatte immer noch Sahne in den Haaren.

Im Hintergrund legte Hakuei sich in einer Geste der Verzweiflung eine Hand über die Augen.

Mein Vater musterte mich noch einen Moment, dann drehte er sich kurz zu Hakuei um und fixierte mich anschließend, das Gesicht unleserlich. Die Bausteine hatten sich zusammengefügt, aber so schwer war es jetzt auch wirklich nicht gewesen. Schließlich trug ich nur Shorts und eins von Hakueis Oberteilen, und wir waren aus dem selben Zimmer herausgekommen, und ich hatte verdammt noch mal SCHLAGSAHNE in den Haaren. „Lay“, begann mein Vater mit leiser Stimme. „Geh nach oben.“

„Chef-“, versuchte Hakuei es, verstummte aber augenblicklich, als mein Vater eine Hand hob.

„Papa, das ist-“

„Ich habe gesagt: Geh nach oben“, wiederholte er mit fester Stimme. So langsam schien er sauer zu werden.

Ich hob abwehrend beide Hände, drehte mich um und stapfte die Treppe hinauf, ohne Hakuei noch einmal anzusehen. Mein Herz klopfte so sehr, dass ich es selbst in den Fingerspitzen spüren konnte. Scheiße, Scheiße, heilige Scheiße. Nein, so hatte es nicht sein sollen. Ganz und gar nicht. Ich hatte mich darüber freuen wollen, dass mein Vater endlich wieder da war, aber...

Okay. Trotzdem. Ich war achtzehn, ich würde mich nicht so einfach wegschicken lassen wie früher. Ich öffnete geräuschvoll meine Zimmertür und knallte sie hinter mir zu. Dann schnappte ich mir die Fernbedienung meiner Hi-Fi und überprüfte die CD, die darin war. Deathgaze. Perfekt. Ich machte meine Tür so leise wie möglich auf, schlüpfte nach draußen und machte sie bis auf einen kleinen Spalt zu. Mit einem Knopfdruck machte ich meine Anlage an und schloss meine Tür nun ganz. Zwei Sekunden später dröhnte das erste Lied nach draußen. Super. So würde keiner auf die Idee kommen, dass ich nicht in meinem Zimmer war. Ich legte die Fernbedienung hin und schlich die Treppe hinunter. Klang, als wären sie in die Küche gegangen, also legte ich mein Ohr an die dazugehörige Tür.

„-es gar nicht wissen, es interessiert mich gar nicht, weißt du?! Ob es nun deine oder seine Idee gewesen war, das ist mir gerade scheißegal!!“ Oh. Das war mein Vater. Und er war nicht sauer, er war stinksauer.

„Chef, es tut-“

„Er ist nicht mal VOLLJÄHRIG! Und behaupte nicht, dass es dir leid tut! Du wusstest, wie alt er ist, dass er mein Sohn ist und dass ich außer ihm niemanden auf dieser Scheißwelt habe!“

„Das stimmt nicht, Chef.“

„Und ob! Ich bin für ihn verantwortlich, ich habe mich mein ganzes Leben lang so gut wie möglich um ihn gekümmert, oder willst du das etwa abstreiten?“ Kurzes Schweigen. „Was meinst du, warum ich ihn ausgerechnet dir anvertraut habe? Was glaubst du, dass ich die einzige Person, die ich beschützen möchte, einfach irgendwem Dahergelaufenes in die Hände gebe? Ich habe dir vertraut, Hakuei. Weißt du überhaupt, was das heißt?“

Ich trat vom einen Fuß auf den anderen und hätte fast aufgeschrien. Mit einem Mal tat mein Knöchel wieder weh, der, der verstaucht gewesen war. Eine Grimasse schneidend, sank ich in die Hocke und hielt mein Ohr wieder an das weiße Holz.

„-ich. Aber... Chef, hör zu. Ich will mich nicht verteidigen, aber...“

„Ich glaube auch nicht, dass du es könntest, wenn ich ehrlich sein soll. Aber bis zu einem gewissen Punkt kannst du es wiedergutmachen.“

„Chef.“

„...Ja?“

„Ich habe dein Vertrauen missbraucht.“ Stille. „Und das ist das einzige, was mir leid tut.“

Oh mein Gott. Ich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen. Irgendwie kam mir diese ganze Situation unheimlich irreal vor, aber... das war etwas, das zu meinem Herzen vorgedrungen war. Hakuei bereute es nicht, mit mir... Da die Schmerzen nun verschwunden waren, wollte ich mich schnell wieder aufrichten, um kein Wort zu verpassen. Das nächste, was ich hörte, war ein lautes KLONK und das nächste, was ich fühlte, waren erst Schmerzen auf dem Kopf und dann an meinem Steißbein.

Nein, um Himmels Willen, NEIN! Das konnte mir doch nicht noch einmal passiert sein! Unter anderen Umständen hätte ich mich dafür ausgelacht, dass ich wieder mit dem Kopf von unten gegen die Türklinke geknallt und nach hinten umgekippt war, aber jetzt war mir irgendwie nicht nach Lachen zumute. Ich hatte fast ein Déjà-vu, als mein Vater halb irritiert, halb verärgert die Tür aufriss und ich mir mit Tränen in den Augenwinkeln den Kopf hielt. Aua, aua, aua, aua.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein“, stöhnte mein Vater, ehe er mich vollkommen unbeeindruckt ob meiner Schmerzen auf die Beine zog, mich die Treppe hoch schleifte, mich in mein Zimmer stieß und die Tür hinter mir zumachte. Fast erwartete ich, er würde abschließen.

Die nächste Stunde war fast völlig aus meinem Gedächtnis verschwunden, ich machte irgendwas und vergaß direkt darauf wieder, was es war, ich begann alles nur halbherzig und ohne wirklichen Ehrgeiz, mich abzulenken. Nach einer Stunde kam ich zu dem Schluss, dass es ausreichend Zeit gewesen sein müsste, und ging wieder nach unten. Mein Vater war in seinem Schlafzimmer und räumte offenbar entweder auf, ein oder um, aber zwei Dinge fielen mir noch vorher auf: 1. Er war allein und hatte 2. die Bettwäsche gewechselt.

„Papa?“, wollte ich leise wissen und ignorierte den dumpfen Schmerz, der von meiner Kopfhaut ausging.

Er drehte mir den Kopf zu, sagte aber nichts. Er war noch immer sauer, das sah ich ihm an.

„Wo ist... Hakuei?“

„Weg“, antwortete er knapp. „Und er wird auch so schnell nicht wiederkommen.“

‚Bis zu einem gewissen Punkt kannst du es wiedergutmachen’, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf, und mit einem Mal wusste ich genau, was das beinhaltete. „Du hast ihn... sich nicht mal verabschieden lassen?“, fragte ich ungläubig, während die Erkenntnis erst einmal einsinken musste. Hakuei war... weg? Und ich würde ihn vielleicht nie wiedersehen?

„Nein, sonst hätte es eine Szene gegeben.“

„Du hast ihn einfach so weggeschickt?!“, wiederholte ich und wunderte mich fast darüber, wie schrill meine eigene Stimme klang. Gleichzeitig formte sich ein Kloß in meinem Hals, der mir das Atmen erschwerte. Das konnte doch nicht...

„Lay, das-“

„Das kannst du nicht machen!“, schrie ich. „Du kannst nicht einfach... Du hast doch keine Ahnung!! Du verstehst doch nichts davon, GAR NICHTS, weißt du überhaupt, was ich...“ Ich wollte weiterschreien, wollte ihn beleidigen, wollte ihm jedes erdenkliche Schimpfwort an den Kopf werfen, aber ich konnte nicht. Meine Stimme war mit einem Mal weg, genauso plötzlich wie Hakuei. Meine Unterlippe zitterte, und ich starrte meinen Vater einige Augenblicke an. Er wirkte milde erstaunt, als hätte er so einen Gefühlsausbruch nicht erwartet. Und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich mich in einem Dilemma befand – einerseits wollte ich ihn anschreien, und andererseits wollte ich mich von ihm trösten lassen. Ich hatte ihn über einen Monat nicht gesehen, und er war immer noch mein Vater, derjenige, der mir immer zugehört hatte, und eigentlich wollte ich nur von ihm getröstet werden, unabhängig davon, dass er es war, der mir diesen Kummer verursacht hatte. Und dieses Wissen, dass ich nicht einmal richtig wütend auf ihn sein konnte, gab mir den Rest.

Was dann kam, war mir weder in dem Moment noch hinterher richtig bewusst, wahrscheinlich schrie ich ihn doch an, warf mit irgendwelchen Sachen nach ihm und haute ab, als ich merkte, dass ich vor Tränen nicht mehr richtig reden konnte. Ich flüchtete regelrecht vor ihm, ich wollte nicht, dass er sah, wie ich heulte.

Es war schon sieben Uhr, aber ich ging trotzdem zu Sanaka. Ich hätte es zuhause nicht ertragen. Und Sanaka ließ mich heulen, ließ mich erzählen, ohne ein einziges ‚ich hab’s dir doch gesagt’. War mir eigentlich klar gewesen, was für einen Schatz ich in ihm hatte?
 

Ich war bis zwei Uhr nachts bei Sanaka geblieben, war sogar auf seinem Bett eingeschlafen, aber ich musste trotzdem nach Hause. Weshalb, das wusste ich nicht, aber ich hatte das Gefühl, unbedingt wieder zurück zu müssen. Ich bedankte mich bei ihm und ging anschließend nach Hause.

Es roch so gut, dass ich unwillkürlich direkt in die Küche ging. In dem labilen Zustand, in dem ich mich befand, fing ich fast sofort wieder an zu heulen, als ich feststellen musste, dass mein Vater mein absolutes Lieblingsgericht gekocht hatte. Er war extra einkaufen gefahren und hatte sich eine Stunde in die Küche gestellt...

Ich machte es mir warm, während ich gegen die Tränen ankämpfte, und setzte mich anschließend an den Küchentisch, um zu essen. Ich versuchte, nicht nachzudenken, was mir allerdings mehr schlecht als recht gelang. Hakuei war weg. Und da würde er auch bleiben. Einfach so, genauso, wie er in mein Leben getreten war, war er auch wieder daraus verschwunden.

Irgendwann ging die Küchentür auf. Ich hob meinen Blick nicht, auch nicht, als sich jemand neben mich setzte. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich konnte nicht mit ihm in einem Raum sein. Als er meinen Namen murmelte, stand ich wortlos auf und ging nach oben in mein Zimmer. Nein, seine Gesellschaft konnte ich gerade nicht ertragen.

Ich begann wieder zu weinen, als ich merkte, dass mein Zimmer nach Hakuei roch.
 

~*~
 

A/N: Kurze Anekdote aus meiner Kindheit, um darüber hinwegzuspielen, dass dieses Kapitel nur so kurz ist: Als ich jünger war, spielte mein Bruder viel Stronghold Crusader (Strategiespiel), und wenn die eigene Infrastruktur etwas zu schwach war, sagte eine an Gott anmutende omnipotente Stimme: WACKLIG WIE EIN KARTENHAUUUS

Und ich verstand immer WACKLIG WIE EIN GARTENHAUUUS und war deshalb von da an etwas vorsichtiger, wenn ich etwas aus dem Schuppen in unserem Garten holen sollte.

Tja. Daher kommt der Titel.

tbc~

Ein Reh unter Löwen

Wortanzahl: 5.354

A/N: Ich warne vor übermäßiger Naivität.
 

~*~
 

Der nächste Tag war ein Freitag, aber ich beschloss, dass Schule mich mal kreuzweise konnte. Ich schlief bis zwölf Uhr mittags und blieb anschließend noch sehr lange in meinem Bett liegen.

Ich war davon überzeugt gewesen, dass ich mich geändert hatte. Das war ein Irrtum gewesen. Ich war immer noch derselbe Feigling wie vorher. Es musste etwas Durchschlagendes passieren, bevor ich mich dazu herabließ, über Dinge nachzudenken, die mich schon seit Längerem betrafen.

Dass ich schwul war, hatte ich erst akzeptiert, nachdem mir aufgefallen war, dass ich auf Hakuei stand. Dass ich vorher niemals auf eine Frau scharf, dafür aber unheimlich geil auf Sanaka gewesen war, dass ich ihm mit Freuden einen geblasen hatte und so weiter, das hatte mein krankes Hirn irgendwie abtun und erklären können. Erst durch Hakuei hatte ich intensiver darüber nachgedacht.

Und genau das Gleiche war wieder passiert. Ich hatte gewusst, dass das Ganze mit mir und Hakuei nicht ewig dauern konnte, ich hatte gewusst, dass mein Vater wiederkommen würde und dass er, falls er davon erfuhr, nicht sonderlich begeistert sein würde. Aber ich hatte mich niemals damit auseinander gesetzt. Nein, eigentlich war es nicht die Schuld meines Vaters, zumindest nicht komplett. Hätte ich mit Hakuei darüber geredet, hätten wir es höchstwahrscheinlich geschafft, nicht schon um halb sechs im Bett zu liegen, oder dann hätte ich vielleicht nachgedacht, bevor ich einfach so aus dem Schlafzimmer gestürmt war, oder ich wäre nicht so sauer auf meinen Vater gewesen und hätte wohlüberlegt mit ihm geredet, anstatt ihn mit seinen eigenen Sachen zu bewerfen.

Man konnte Geschehenes nicht wieder rückgängig machen. Das wusste ich. Aber man konnte versuchen, die gegenwärtige Situation zu ändern.

Gut, Lay, hör zu. Du hast bis jetzt in deinem Leben alles in den Arsch geschoben bekommen, und wenn du dich jetzt nicht für das einsetzt, was du wirklich willst, wirst du dir nie wieder in die Augen gucken können. Also reiß dich zusammen und zieh das jetzt durch.

Okay. Wo fing ich an? Mein Vater war nicht da, aber er war ohnehin nicht meine erste Anlaufperson. Ich musste mit Hakuei reden, egal wie. Ich musste ihn fragen, ob er das als Ende unserer sehr eigenwilligen Beziehung akzeptieren konnte, ob er mich noch sehen wollte, ob er es nicht doch noch mit mir versuchen wollte, und so weiter. Erst wenn ich wusste, wie er zu der ganzen Sache stand, konnte ich mit meinem Vater darüber reden. Ich konnte ihm schließlich nicht einen vorheulen, dass wir uns unsterblich ineinander verliebt hatten, wenn Hakuei mich eigentlich gar nicht leiden konnte.

Na ja, jetzt wurde es etwas dramatisch.

Ich stand auf, machte mir nicht die Mühe, mich anzuziehen, sondern ging gleich nach unten. Okay. Wo sollte ich mit dem Suchen anfangen? Sein Handy hatte er mitgenommen, Unterlagen hatte er meines Wissens auch nicht hier. Hm. Adressbuch?

Ich blätterte sämtliche Seiten des kleinen schwarzen Büchleins durch, fand aber lediglich unverbindliche Leute wie seinen Frisör, das Ordnungsamt (was zur Hölle?) und Imai. Hey, Moment mal, war Imai nicht auch sein Arbeitskollege? Aber ihn konnte ich schlecht anrufen. Hm. Verdammt.

Verzweifelt dachte ich in alle Richtungen. Ich musste herauskriegen, wo mein Vater arbeitete. Er würde es mir nicht sagen, außerdem hatte er nichts, keinen Fitzel Papier im Haus, auf dem irgendetwas Interessantes stehen könnte. Er hatte sein Zuhause (und vor allem mich) von seiner Arbeit so akribisch getrennt, dass es zwecklos sein würde, nach irgendetwas zu suchen. Ich könnte ihm folgen, aber er fuhr mit dem Auto. Ein Taxi konnte ich mir wohl schlecht nehmen, um ihn zu verfolgen, und mich in seinen Wagen schmuggeln... zu gefährlich. Könnte ich irgendwen fragen? Nein, ich konnte mich wohl schlecht in der Unterwelt nach meinem eigenen Vater erkundigen. Und nach Hakuei? Nein, da würde ich nur Schwierigkeiten kriegen.

Wer hatte den noch mit Yakuza zu tun, würde mich aber nicht sofort umlegen, wenn ich nachfragte...?

Aber natürlich. Fragte sich nur, ob ich da erfolgreich sein würde.

Nachdem ich geduscht und mich präsentabel hergerichtet hatte, verließ ich das Haus und nahm den Bus. Ich wusste genau, wo ich hin wollte, obwohl ich erst einmal dort gewesen war.
 

„Arbeitet nicht mehr hier“, murrte mich der gelangweilte Kerl an, der aussah wie ein schlechter Ersatz einer Empfangsdame.

„Wie, arbeitet nicht mehr hier!?“, wiederholte ich entgeistert. „Vor ein paar Wochen HAT er noch hier gearbeitet! Wo ist er jetzt??“

Der Polizist bedachte mich mit einem finsteren Blick. Scheißkind. Wie lange hatte mich schon keiner mehr so angesehen! „Geht dich nichts an.“

„Und ob! Ich MUSS mit ihm sprechen!“

„Gibt es Probleme?“, sprach mich jemand von hinten an. Ich wandte mich um.

„Ich muss wissen, wo Daisuke ist“, erwiderte ich fest. „Und zwar sofort. Ich muss mit ihm reden.“

„Sag mir einen vernünftigen Grund, weshalb ich jemandem, der jetzt eigentlich in der Schule sein sollte, die Privatadresse eines unserer besten Männer verraten sollte“, lachte der dicke Typ vor mir mich aus, andere stimmten in sein Lachen ein. Ich kam mir ziemlich bescheuert vor.

„Es ist was Persönliches!“, rief ich hilflos und war kurz davor, entweder nach draußen zu rennen oder irgendwem eine reinzuhauen.

„Was ist denn hier los? Oh, kennen wir uns nicht?“

Ich drehte mich erneut um, dieses Mal zur Tür. Einen Moment fürchtete ich, dass der Kerl nur eine Halluzination war, aber als Daisuke mich weiterhin fragend musterte, breitete ich die Arme aus. „Daisuke!“, begrüßte ich ihn erleichtert.

Er starrte mich an, wie es wohl jeder andere auch getan hätte. „Ich hab deinen Namen vergessen“, antwortete er frei heraus. „Aber du warst doch eins von den Scheißkindern, die ihre beschränkten Fähigkeiten zur Raumgestaltung unbedingt an einer wehrlosen-“

„Ja! Ich muss mit Ihnen reden! Sofort!“, drängte ich auf der Stelle und hüpfte etwas auf und ab.

Daisuke musterte mich einige Moment länger, schüttelte anschließend den Kopf und schob mich vor sich her in das nächstbeste Büro. „Ich kann mir nicht vorstellen, was du von mir willst. Aber egal. Du wirst es mir sicher sagen.“

„Sie kennen Hakuei“, begann ich fast atemlos und erwartete beinahe, dass er es abstritt.

Er nickte langsam. „Na ja, kennen ist zu viel gesagt. Es ist eine Art Hassliebe, wie sie nur bei Gesetzeshütern und –brechern vor-“

„Wo ist er?“, brach es aus mir heraus.

„Warum willst du das-“

„Ich muss ihn finden. Er darf sich nicht mehr bei mir blicken lassen, aber ich muss unbedingt wissen, wo er ist.“

„Warum? Ich meine... was hast du davon, wenn du weißt, wo ein berüchtigter-“

„Weil ich ihn liebe!“, fiel ich ihm ins Wort und merkte im selben Moment, dass es durchaus Sinn machte, was ich da von mir gab. Ja, ich liebte ihn wirklich. Ich hatte mich so sehr an ihn gewöhnt, dass seine Gesellschaft selbstverständlich geworden war, daher war mir nicht aufgefallen, wie gut er mir tat. Wie sehr ich es genoss, bei ihm zu sein. Verdammt. Ich liebte ihn. Ich hatte mich noch nie verliebt.

„Wundert mich nicht“, riss Daisuke mich aus meinen Gedanken. „Ist ein echter Herzensbrecher, der Typ. Wenn du wüsstest, wie viele schon hinter ihm her waren und wie viele er abserviert hat...“

Abserviert? Tja, mich nicht. Hm.

„Also, wenn ich dir den Tipp geben darf, kümmere dich nicht um ihn. Leb dein Leben weiter, du bist noch jung. Mit ihm wirst du niemals glücklich werden, es sei denn, du bist so veranlagt“, winkte Daisuke ab.

„So veranlagt?“, echote ich dümmlich.

„Der Kerl ist einer der kaltblütigsten Killer, die mir je untergekommnen sind“, erklärte er mir beiläufig. „Ich hab es gesehen. Er hat meine Frau erschossen, weil wir ihm und seinem ganzen Clan langsam auf die Schliche gekommen sind. Ich war dabei. Wenn du den Ausdruck in seinen Augen gesehen hättest, würdest du ihn ganz bestimmt nicht mehr lieben. Leider hat ihn noch nie einer erwischt. Außer mir natürlich, aber da stand es Aussage gegen Aussage, und außerdem hatte er noch ein Alibi. Das hat ihm sein Chef noch in allerletzter Sekunde verschafft, so ein kleiner Wich-“

„Sind... ich meine... wie steht es zur Zeit? Sind Sie dabei, den Clan dranzukriegen? Den Chef?“, unterbrach ich ihn vorsichtig.

Daisuke musste lachen. „Ich sowieso nicht mehr, ich hab aufgehört. War mir zu viel Stress. Ich weiß ohnehin, wer in diesem ganzen Scheißclan drinsteckt. Vor mehr als einem Monat hätten wir ihn fast gehabt, aber dann ist der Chef spurlos verschwunden. Alles verlief im Sand.“

„Womit... also... womit beschäftigt sich der Clan denn? Was machen sie? Bringen sie nur Leute um, oder...?“ Heilige Scheiße. Was für eine kranke Unterhaltung.

„Nein, nur so das Übliche. Schutzgeldeintreibung, ein paar zwielichtige Kneipen und Nachtclubs, ab und zu Geldwäsche, Pornografie... na ja, und eben Mordaufträge“, zählte der ehemalige Polizist schulterzuckend auf.

Mir wurde für einen Augenblick schwindlig. „Okay. Und... wo ist ihr Hauptsitz? Wenn sie einen haben? Wo hält Hakuei sich hauptsächlich auf? Und der Chef?“

Daisuke schnappte sich einen kleinen Zettel und schrieb mir eine Adresse auf, die er mir anschließend in die Hand drückte. „Hier. Wie’s aussieht, ist der Chef seit heute wieder da – aber das muss ich dir ja nicht erzählen.“ Er zwinkerte mir zu.

Ich starrte ihn an.

„Also bitte, glaubst du nicht, ich hätte es nicht schon letztes Mal gemerkt? Als du deine Personalien zu Protokoll gegeben hast? Derselbe Nachname, das fällt doch auf. Wundert mich nur, dass er dich aus dem ganzen Scheiß rausgehalten hat, du scheinst ja gar nichts über die Geschäfte deines Vaters zu wissen. War mir ein Vergnügen, da mitmischen zu können. Bestell ihm einen schönen Gruß von mir, und Hakuei natürlich auch. Viel Erfolg.“ Der Kerl nickte mir wohlwollend zu und verschwand sofort darauf.

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Gut. Schutzgeld, Pornos, Nachtclubs, Mordaufträge. Und da sollte mein Vater den Boss spielen? Und Hakuei sollte für ihn arbeiten? Okay... So langsam wurde es echt komisch.

Kurzerhand fuhr ich gleich zu der Adresse hin, fand allerdings nur eine sehr kleine sehr unscheinbare Holztür vor, auf der stand, dass der Laden ausschließlich Samstagabends ab sieben geöffnet hatte. Tja, musste ich wohl morgen noch mal vorbeikommen.

Auf dem Weg nach Hause dachte ich über Hakuei nach. Sein halbherziges, spöttisches Lächeln, die herablassende Art, mit der er mich manchmal behandelte, die Dominanz in seinem Auftreten, all das fehlte mir schon jetzt. Der Sex. Seine Küsse allerdings mehr als der Sex. Sein verschlafenes Gemurmel morgens jedoch noch mehr als seine Küsse. Die Art, wie er mich so beiläufig berührt hatte, im Vorübergehen oder einfach nur so, noch mehr als sein Gemurmel. Und die Momente, in denen er mir direkt in die Augen geschaut, meine Wangen festgehalten und mir Dinge erzählt hatte, noch viel, viel mehr. Was hatte er in solchen Augenblicken gesagt? Dass er auf mich aufpassen wollte. Dass er mich hübsch fand. Dass er nie geglaubt hätte, so viel Zeit mit jemandem wie mir zu verbringen und es auch noch zu genießen.

Ich wollte, dass er mich wieder auslachte, wenn ich gegen einen Türrahmen lief, weil ich meinen Blick nicht von ihm lösen konnte. Ich wollte, dass er mir schweigend seine Zigarette auf der Terrasse hinhielt, obwohl er es nicht gut fand, dass ich rauchte.

Einige Male hatte ich überlegt, ob ich ihn nicht nur begehrte und nichts dahinter steckte. Aber das stimmte nicht. Nein, ich liebte ihn wohl tatsächlich.
 

Ich kam mit Bauchschmerzen zuhause an, aß erst einmal was und dachte dann darüber nach, wo ich mich in der Zeit mit Hakuei schon überall verletzt hatte. Den Kopf gestoßen hatte ich mir, war verprügelt worden, hatte etliche Knutschflecken ertragen müssen, hatte mich mit Towa geschlagen, hatte mit Hakuei geschlafen (und das hatte echt wehgetan, vorher wie hinterher), hatte zwei Tage später wieder mit ihm geschlafen (nach dem lynch.-Konzert, wo ich eh schon fertig war, aber er hatte meinem Outfit nicht widerstehen können), hatte mich auf dem Küchentisch... Okay, da hatte ich mich nicht verletzt, aber es war verdammt unbequem gewesen. Oh mein Gott, wenn mein Vater wüsste, was Hakuei und ich alles in unserem Haus gemacht hatten, würde er bestimmt ausziehen. Allein schon in der Küche... und diese Scheißschlagsahne...

Ich hatte gute Laune. Ich würde morgen herausfinden, wo Hakuei war, mit ihm reden und das Ganze in Ordnung bringen. Wenn das mal keine guten Nachrichten waren.

Kurzerhand ging ich nach oben und machte eine meiner vielen gebrannten CDs an, eine, die ich von Towa bekommen hatte. Suicide Ali, eigentlich nur was für Partys, bei denen man sich nicht unterhalten wollte. Mir war gerade danach. Ich machte Chainsaw an und sang lauthals mit, wohl wissend, dass mein Vater solche blutigen Texte hasste. Aber er war ja nicht da.

Und morgen würde ich Hakuei wiedersehen, hihi.
 

~*~
 

Im Nachhinein erst wurde mir klar, wie naiv ich eigentlich gewesen war. Was hatte ich erwartet? Dass ich mit Kusshand empfangen werden würde? Also bitte. Das einzig Gute an der ganzen Sache am Samstag war, dass ich bestimmt jemanden auf dem Bürgersteig amüsiert hatte, der mich erst durch die Tür reingehen und keine Minute später wieder hochkant rausfliegen sah.

Es lief folgendermaßen ab: Am Samstagabend um neun Uhr stand ich wieder vor der kleinen unscheinbaren Tür und versuchte mich, innerlich auf mein Treffen mit Hakuei vorzubereiten – was würde ich ihn fragen, was musste ich wissen, wie wollte ich, dass es weiterging. Über alles andere machte ich mir keine Gedanken.

Ein Fehler, wie ich in dem Moment merkte, als ich die Tür öffnete und den großen Raum betrat. Es sah aus wie die Lounge irgendeines Nachtclubs, angenehm gedämpftes Licht, eine Bar auf der linken Seite, überall bequem aussehende Sitzgelegenheiten. Und Leute. Ein Haufen Leute. Ein Haufen Typen in Anzügen, Narben im Gesicht, Tattoos auf den Händen und einem kalten Lächeln auf den Lippen.

Ach du heilige Scheiße.

„Hey, Kleiner, hast du dich verlaufen?“, rief mir der Barkeeper von der Seite zu.

Ich starrte ihn einen Moment an. „Ehm... ich will zu Hakuei“, gab ich zögerlich zurück, mein Selbstbewusstsein dahin schwindend.

„Zu HAKUEI?!“, wiederholte der Kerl laut, sodass sich mir etliche Köpfe zuwandten. Er lachte, einige stimmten ein. Hatte ich das nicht schon mal gehabt? „Was willst du denn von dem?“

„Man... hat mir gesagt, dass ich ihn hier finden würde“, erklärte ich.

„Ach ja?“, fragte ein anderer neben mir. „Und wer ist ‚man’?“

Ich kniff ein Auge leicht zusammen. „Daisuke...?“, fragte ich unsicher.

Keine zwei Sekunden später wäre ich beinahe gegen ein parkendes Auto geflogen, hätte ich mich nicht im letzten Moment noch gefangen. Das Geräusch der Tür, die zugeknallt wurde, war ernüchternder als mein Rauswurf selbst.

Okay, was hatte ich erwartet? Dass ich mit dem Namen eines ehemaligen Polizisten weit kommen würde? Ich schlug mir gegen die Stirn und schüttelte über mich selbst den Kopf. Herrgott, wenn es um Hakuei ging, machte Liebe echt blind. Gut. Vielleicht sollte ich es noch mal versuchen. Ich betrat die Lounge ein zweites Mal, mit der Absicht, das Ganze zumindest in groben Zügen erklären zu wollen.

Ich war Rennen nicht mehr gewohnt, aber im Sprinten war ich nie schlecht gewesen. Es war wohl nur meinem jungen Alter zuzuschreiben, dass ich den beiden Kerlen entkam, und ich hatte wirkliches Glück gehabt – ich wollte nicht wissen, was sie mit mir angestellt hätten, wenn sie mich gekriegt hätten. Es war ein Wunder, dass ich selbst mit meinen Plateauschuhen so schnell laufen konnte.
 

„Würdest du bitte aufhören zu lachen?“, knurrte ich genervt und nahm beleidigt einen Schluck von meiner Cola.

„Ich muss mir die Szene nur gerade bildlich vorstellen – wenn irgendeine alte Lady dich beobachtet hat, konnte sie bestimmt letzte Nacht nicht schlafen!“, bemerkte Daisuke amüsiert und schüttelte den Kopf. „Ich kann’s nicht glauben, dass du allen Ernstes ins Hauptquartier des Clans deines Vaters reinmarschierst und ihnen erst mitteilst, dass du ihren besten Mann suchst und anschließend, dass du deine Informationen von MIR hast. Du solltest froh sein, dass du überhaupt noch lebst.“

Ich verdrehte angepisst die Augen. „Hör mal, du gibst mir eine Adresse, sagst mir, ich soll dahin gehen, und erzählst mir HINTERHER, dass ich hätte sterben können. Also irgendwas stimmt da nicht, ist dir das aufgefallen? Du verdammter... warum hilfst du mir dann überhaupt, wenn du mich eh in Lebensgefahr bringst!?“

„Ich habe dir nie gesagt, dass du mich als Quelle angeben sollst“, grinste Daisuke belustigt. „Ich war davon ausgegangen-“

„Ja, du bist davon ausgegangen, dass ich schlau bin!“, fauchte ich zurück. „Du hattest Unrecht! So, könntest du mir jetzt bitte etwas HILFREICHERE Informationen geben? Wo kann ich Hakuei finden, ohne Angst haben zu müssen, gelyncht zu werden?“ Haha, ich wollte immer schon mal das Wort ‚lynchen’ benutzen.

„Ich könnte dir einen Tipp geben, bei dem du allerdings Angst haben müsstest, von ihm selbst gelyncht zu werden“, erwiderte Daisuke gelassen und schlürfte einen Schluck Tee. Seine dunkelbraunen Augen musterten mich aufmerksam, und in dem Moment erst begriff ich, was er eigentlich war. Er war ein Feind. Mehr noch, er war so etwas wie mein Erzfeind – er hatte es beinahe geschafft, meinen Vater hinter Gittern zu bringen und den gesamten Clan auffliegen zu lassen, und abgesehen davon verband ihn mit Hakuei nur ein einziges Gefühl: Hass. Hakuei hatte Daisukes Frau erschossen, vor seinen Augen.

Weshalb hatte ich mich noch mal an ihn gewandt? Weil ich sonst keine andere Wahl hatte. Und wie es schien, wollte er mir tatsächlich helfen. „Was meinst du damit?“, wollte ich skeptisch wissen.

„Hakuei hat seine Dienste für deinen Vater noch nicht eingestellt“, begann der Ex-Polizist vielsagend. „Wenn du wirklich sicher gehen willst, ihn alleine zu erwischen, würde ich dir vorschlagen, dass du ihn während einer seiner Aufträge abpasst.“

Hm. Das machte Sinn. Schließlich wusste ich nicht, wo Hakuei wohnte, wo er sich überhaupt aufhielt, ich hatte keine Nummer, unter der ich ihn erreichen konnte, und außer Daisuke keine Kontaktperson. „Das Problem ist – wie finde ich raus, was für Aufträge er-“

„Rate mal, weshalb gerade ich dir diesen Vorschlag mache“, fiel Daisuke mir ins Wort, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen. „Ich mag zwar nicht mehr als Polizist arbeiten, aber die Unterwelt hab ich immer noch gut im Blick. Pass auf. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass nächsten Freitag.....“
 

~*~
 

So viel war in den letzten Wochen passiert, so wenig hatte ich verarbeiten können.

Es wollte noch immer nicht in meinen Kopf, dass Hakuei ein professioneller Killer sein sollte. Das passte einfach nicht. Ich hatte ausreichend Beweise, die belegten, dass Daisukes Behauptung stimmte – allen voran die Leiche, die ich mit eigenen Augen gesehen hatte. Aber dennoch... Bei dem Gedanken schnürte sich mir oft die Kehle zu. Diese Hände, die mich überall berührt hatten, sollten unzählige Menschen umgebracht haben? Ich erinnerte mich an das blutige Hemd in Hakueis Auto, als er mich vom lynch.-Konzert abgeholt hatte. Er hatte es sicherlich ausgezogen, damit ich es nicht an ihm sah. Oder dann noch die Pistole, in der die Schüsse gefehlt hatten.

Ich dachte daran zurück, wie Hakuei sich anfangs mir gegenüber verhalten hatte. Er war mehr als distanziert gewesen, durchaus abweisend, wortkarg und unfreundlich. Woran das gelegen hatte, konnte ich mir gut vorstellen – ich war ebenfalls ziemlich provokant gewesen und außerdem musste er auf seinen ärgsten Widersacher aufpassen. (Ich hatte das Gefühl, dass Hakuei der Ansicht war, wäre ich niemals geboren worden, dann hätte er meinen Vater ohne Probleme rumgekriegt. So krank das auch klang, ich konnte es mir vorstellen. So hatte mein Vater schließlich ständig den lebenden Beweis seiner Liebe für meine Mutter vor Augen. Kein Wunder, dass er sich seitdem nur sehr vereinzelt an Frauen herangetraut hatte.)

Aber wenn ich an die Art dachte, wie Hakuei zu Beginn gewesen war, erschien es mir gar nicht mehr so abwegig, dass er ein mordender Yakuza war. Er war kühl, er war stark und er war gut in dem, was er tat. Er hatte eine gewisse arrogante Aura und beschwerte sich nicht über unliebsame Aufgaben. Je länger ich mir das alles durch den Kopf gehen ließ, desto stärker konnte ich die Möglichkeit akzeptieren, dass Hakuei tatsächlich hauptberuflich Leute umbrachte – wenn es mich auch einige Überwindung kostete.

Mein Vater war ein ganz anderes Kapitel. Ich war Daisukes Worte nicht mehr losgeworden: ‚Nur so das Übliche. Schutzgeldeintreibung, ein paar zwielichtige Kneipen und Nachtclubs, ab und zu Geldwäsche, Pornografie... na ja, und eben Mordaufträge.’

Schutzgeldeintreibung. Nun ja. Mein Vater: ‚Hm, wie’s aussieht, sind wir gerade etwas knapp bei Kasse. Stattet doch mal der Ginkostraße einen Besuch ab, wo die ganzen Restaurants liegen...’ Schwer vorstellbar.

Die Kneipen und Nachtclubs, meinetwegen. Das passte noch am ehesten zu meinem Vater.

Geldwäsche? Wenn’s sein musste, okay.

Pornografie. ..... Mein Vater: ‚Habt ihr jetzt endlich die ganzen Videos aus Taiwan gekriegt? Immer noch nicht? Verdammt, dann sagt euren H****, sie sollen gefälligst schneller f***en.’ ........ Hallo? Ging’s noch?? Also hier hörte es auf. Endgültig.
 

Es machte mich auch ehrlich gesagt ziemlich traurig, aber ich weigerte mich weiterhin, mit meinem Vater zu sprechen. Ich meine, dem Notwendigen konnte man natürlich nicht ausweichen – ob ich zuhause essen würde oder nicht, wenn ich ging, wollte er wissen, wann ich wieder zurück war und das alles. Das Übliche eben.

Wenn ich gerade mal zuhause war (und das war ich fast gar nicht mehr, seitdem mein Vater zurück war), verkroch ich mich meist in meinem Zimmer, hörte laut Musik und spielte Counter Strike. Für meinen Vater war das seit jeher das unmissverständliche Bleib-mir-bloß-vom-Leib-Gehabe, und ich glaube, wir beide wussten, dass es eigentlich unnötig und lächerlich und blöd war. Zumindest fühlte ich mich so. Ich war froh, dass er wieder da war, aber ich hasste ihn ein ganz kleines bisschen dafür, dass er Hakuei nicht mal erlaubt hatte, sich von mir zu verabschieden. Und auch dafür, dass er ihm verboten hatte, weiterhin in irgendeinem Kontakt zu mir zu stehen.

Es war nicht leicht für uns beide. Ich konnte ihn in gewisser Hinsicht verstehen – er kam nach einem Monat Exil zurück und sein Sohn hatte sich in der Zwischenzeit mit einem seiner Untergebenen vergnügt. Kein Wunder, dass er sauer war. Und dass ich endlich meine sexuelle Orientierung herausgefunden hatte, dürfte ihn wohl nicht leichter getroffen haben.

Aber andererseits fühlte ich mich nicht ernstgenommen. In der Zeit, die ich ohne meinen Vater verbracht hatte, war ich erwachsener geworden. Nicht so, dass mich mit einem Mal Vernunft überkommen hatte, aber ich dachte anders über die Dinge nach, die für mich persönlich wichtig waren. Ich ging anders mit ihnen um.

Mein Vater versuchte einige Male, mit mir zu reden, setzte sich zu mir und sprach mich an. Meistens tat es mir in der Seele weh, aber ich wies ihn jedes Mal ab. Er wirkte so orientierungslos wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Es war wirklich nicht leicht für ihn, glaube ich.
 

Sanaka und Towa gegenüber zog ich mich ein wenig zurück. Wir drei schienen zu wissen, dass es nur temporär war – zumindest Sanaka und ich auf jeden Fall. Ihm gegenüber hatte ich angedeutet, dass mein Vater jetzt wieder da und Hakuei weg war, und er hatte Verständnis dafür. Towa störte sich nicht allzu sehr daran, dass ich meine normale gute Stimmung verloren hatte, aber das hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet.

Dass ich trotzdem unter einem ziemlich großen Druck stand, merkte ich erst während des Erdkundetests am Mittwoch. Nachdem mein Nachbar mich etwa drei Mal um mein Radiergummi gebeten und anschließend verzweifelte Hilferufe darauf gekritzelt hatte, regte ich mich dermaßen auf, dass wir beide rausgeschmissen wurden. Ich hatte einfach nicht anders gekonnt, ich war derartig geladen gewesen... offenbar hatte ich meinen gesamten Stress an dem armen Kerl ausgelassen.

Na ja, so kam es zumindest, dass ich am Mittwoch gegen halb zwölf mittags durch die Stadt streifte. Ich hatte keinen Nerv dazu, zurück in die Schule zu gehen, und keine Lust, zuhause rumzusitzen. Es war etwas idiotisch, alleine herumzulaufen und nicht einmal Sanaka oder sogar Towa dabei zu haben, aber wahrscheinlich hätte ich ihre Gegenwart auch nicht ertragen.

Erst erschnorrte ich mir einen heißen Kakao in einem netten Café und überlegte dann, wo ich noch hingehen könnte. Gerade, als mir auffiel, dass ich ziemlich nah an das ‚Hauptquartier’ des Clans meines Vaters geraten war, fuhr das Auto an mir vorbei, das den gesamten letzten Monat vor meiner Haustür gestanden hatte. Hakueis Auto. Und wie es aussah, saß er sogar drin.

Ohne darüber nachzudenken, begann ich zu rennen. Das Auto war natürlich viel schneller, aber wenn er zu diesem Nachtclub oder was auch immer das war fuhr, würde ich ihn trotzdem rechtzeitig erwischen – zu Fuß konnte man eine kleine Abkürzung nehmen. Während ich immer kurzatmiger wurde und langsam Seitenstechen bekam, überlegte ich mir, was Hakuei wohl sagen würde, wenn ich vor ihm stand. Höchstwahrscheinlich würde er mich fragen, weshalb ich nicht in der Schule war.

Bei dem Gedanken musste ich lächeln.

Gerade, als ich um die Ecke bog, sah ich, wie Hakuei das Hauptquartier (ich konnte diesen Namen immer noch nicht ganz anerkennen) durch die Holztür betrat. Ich hätte rufen können, aber er hätte mich wahrscheinlich nicht gehört. Also wurde ich etwas langsamer, um wieder zu Atem zu kommen. An der Tür angekommen, riss ich sie auf und stolperte in den hell erleuchteten Raum hinein.

Schlagartig fiel mir wieder ein, wie ich mich bei meinem letzten Besuch hier gefühlt hatte. Die Lounge wurde offenbar gerade nicht als solche benutzt, deshalb waren überall ungedämpfte Lichter eingeschaltet, die Bar und die Sitzgelegenheiten waren verlassen und die einzigen Anwesenden standen in der Mitte in einem kleinen Kreis zusammen. Und musterten mich halb irritiert, halb misstrauisch.

Hakuei war offenbar gerade auf dem Weg zu den anderen gewesen, auf jeden Fall war er in der Mitte (zwischen der Tür und den Anzugträgern) stehen geblieben und starrte mich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit, Entsetzen und Ärger an. Eine Miene, die sich perfekt mit einer einzigen anderen im Raum deckte. Sie gehörte zu einem Anzugträger, und erst auf den zweiten Blick erkannte ich meinen eigenen Vater.

Ach du Scheiße.

„Hey, bist du nicht der, der letzten Samstag schon mal nach ihm hier gefragt hast?“, sprach einer der dunklen Typen mich skeptisch an und deutete mit dem Kinn auf Hakuei. „Hey, Hakuei, kennst du den Bengel? Er wollte dich unbedingt sprechen.“

Sowohl Hakuei als auch mein Vater waren ungewöhnlich blass. Für einen Moment erwog ich die Möglichkeit, dass mein Vater sich dazu bekannte, dass ich sein Sohn war, und Hakuei sich vor mich warf, die Pistole gezückt, und verkündete, dass er jedem den Schädel wegpustete, der mir auch nur ein Haar krümmen wollte.

„Nie gesehen“, riss Hakuei mich trocken aus meinen Fantasien. Seine Stimme klang fest, obwohl er immer noch etwas geschockt wirkte. Kurzerhand stapfte er auf mich zu, packte mich am Schlafittchen und zerrte mich zurück zur Tür.

„Lass mich los!“, rief ich und versuchte, mich zu wehren. Selbstverständlich ohne Erfolg, bis auf dass Hakuei mich kräftig in den Nacken kniff. Ich biss die Zähne zusammen, um ein Wimmern zu unterdrücken und ließ mich ergeben bis vor die Tür schleppen. „Ha-chan-“

„Verschwinde!“, fauchte er mich unterdrückt an, in seinem Gesicht nun blanke Wut. „Und wag es dich nicht, noch einmal herzukommen, verstanden?!“ Er schubste mich nach vorne und knallte die Tür hinter mir zu.

Ich stand da, die Hände zu Fäusten geballt und erwägend, ob es sich lohnte, gegen die Tür zu treten. Ich blieb standhaft und wandte mich stattdessen ab, ging die Straße entlang. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Jetzt wusste mein Vater nicht nur, dass ich von seinem Hauptquartier wusste, sondern auch, dass ich bereits einmal dagewesen war und nach Hakuei gesucht hatte. Und mit ein bisschen Glück erfuhr er dann auch noch, in wessen Namen ich im Herzen seines Clans aufgetaucht war.

Als neben mir eine Autotür geöffnet wurde, schenkte ich dem nicht viel Beachtung. Fehler.

Keine zwei Sekunden später spürte ich etwas Hartes in meiner Seite und ein dunkel gekleideter Typ raunte mir etwas ins Ohr, das nur ‚einsteigen’ sein konnte.

Mein Herz setzte kurz aus. Ich wusste sofort, dass ich gerade eine Pistole wenige Zentimeter von lebenswichtigen Organen hatte und wohl besser das tat, was man mir sagte. So vorsichtig wie möglich setzte ich mich auf den Rücksitz. Der Kerl, der mir die Waffe an die Rippen hielt, setzte sich neben mich und schloss die Tür. Sowohl auf dem Fahrer- als auch auf dem Beifahrersitz saß jeweils ein finster aussehender Typ und betrachtete mich wie ein seltenes Insekt. Ich fühlte mich auch ein bisschen so.

„Wie viel weißt du?“, grunzte der Beifahrersitz mich ungehalten an.

Du heilige Scheiße. Dass ich nicht ohnmächtig wurde, war aber auch alles. „Was?“, fragte ich äußerst geistesanwesend.

„Wie viel du weißt!“, wiederholte der Kerl neben mir und bohrte mir den Lauf seiner Waffe zwischen die Rippen.

Nur mit viel Beherrschung unterdrückte ich eine Grimasse. „Wovon reden Sie?“, entgegnete ich und bemerkte nebenbei, dass meine Stimme mehr panisch als verwirrt klang.

„Hör mir mal zu, das ist nicht das erste Mal, dass du hier auftauchst!“, schnauzte der Typ auf dem Beifahrersitz mich an, als würde ich ihn gerade verarschen. „Außerdem hängst du mit diesem Bullen rum, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie heißt du? Wer ist dein Auftraggeber? Hast du irgendwas mit Hakuei zu tun?“

„Ich weiß nichts“, kiekste ich merkte, wie so langsam die Erkenntnis einsank, dass es nur einer kleinen Bewegung bedurfte, um mich ins Reich der Toten zu befördern. Ich hatte eine geladene und offenbar entsicherte Pistole an meiner Seite und keine Möglichkeit zu entkommen. Ach du Scheiße. Ach. Du. Scheiße. Mein Herz klopfte so schnell, dass es mich wunderte, dass es nicht regelrecht aus meiner Brust heraussprang. Herr im Himmel.

„Ich habe gehört, du suchst nach ihm, also musst du irgendwas wissen!“, bellte der Beifahrer mich an. Er trug eine nicht sehr unauffällige Sonnenbrille, aber dadurch konnte ich sein Gesicht nicht vollständig erkennen. „Wenn du nicht redest – und das würde ich dir empfehlen, du Pisser –, dann werden wir dafür SORGEN, dass du redest! Wenn du verstehst, was ich meine...“ Zustimmendes Gebrumm von mehreren Seiten.

Gerade, als ich beschloss, den ersten Nervenzusammenbruch meines Lebens zu bekommen, klopfte es plötzlich von draußen an die Scheibe. Wer jemals in einem Auto saß und unvorbereitet angeklopft wurde, der wusste, wie sehr man sich dabei erschreckte. Vor allem mit dieser Begleitung. Die Folge war, dass ich aufschrie (allen Ernstes) und daraufhin alle anderen ebenfalls zusammenzuckten. Ich traute mich kaum nachzusehen, wer es war, aber als ich es tat, hätte ich beinahe angefangen zu heulen.

„Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich“, lächelte Daisuke freundlich, als das betreffende Fenster einen Zentimeter nach unten gefahren war. „Ihr habt doch sicherlich nichts dagegen, wenn ich mir den Kleinen hier mal ausleihe? Ich brauche ihn nämlich gerade.“

Die nächsten Sekunden nahm ich nur noch verschwommen wahr. Ich stieg irgendwie aus dem Auto aus, schaffte es, neben Daisuke zu seinem Auto zu stapfen und mich auf den Beifahrersitz zu setzen. In dem Moment, in dem er seine Tür zuzog, fing ich an zu zittern. Es war, als hätte ich Schüttelfrost, mit einem Mal spannte sich mein gesamter Körper so derartig heftig an, dass ich überall zu zittern begann. Ich wäre beinahe gestorben. Ich war nur einen Fingerbreit davon entfernt gewesen zu sterben. Ich wäre fast krepiert.

Daisuke, der mich zuerst wortlos gemustert hatte, legte mir seine Hand auf den Oberarm. Sämtliche falsche Freundlichkeit, die er vorher den Kerlen geschenkt hatte, war einem vorwurfsvollen Ernst gewichen. „Lay“, sagte er leise. „Es ist alles in Ordnung.“

Und ich, weil ich nun mal so war und es brauchte, klammerte mich an ihn, zwar ziemlich verrenkt, aber das war mir in dem Moment völlig egal. Ich ließ mich von ihm halten, ließ ihn beruhigend über meinen Rücken streichen und hatte mein Gesicht an seiner Schulter vergraben. Er hätte ziemlich viel sagen können, dass es meine eigene Schuld war, dass ich es hätte wissen müssen, dass ich nicht hätte herkommen dürfen, dass es böse ausgegangen wäre und so weiter, aber er schluckte alles herunter. Dafür war ich ihm dankbar. Ich hätte es nicht ertragen – ich machte mir selbst schon genug Vorwürfe.

Eine Sache allerdings fiel mir nicht in ihrer Tragweite auf. Ich war bedroht worden, wäre beinahe gestorben, und das etwa fünfzig Meter von dem Ort entfernt, an dem sich sowohl mein Vater als auch Hakuei aufhielten. Und wer war es, der mich rettete? Wer war aufgetaucht, um für mich da zu sein? Niemand anders als Daisuke. Daisuke, der mir bereits geholfen hatte. Daisuke, der dagewesen war, als ich ihn brauchte.

Genau das war es, was mich hätte stutzig machen müssen.
 

~*~

Nacht der lebenden...

Wortanzahl: 3.671

Kapitelrating: PG-13

A/N: Und jetzt: das Finale! (Das ich einmal fast vollständig umgeschrieben habe, weil es ansonsten zu antiklimatisch gewesen wäre.)
 

~*~
 

Ich beschloss, das Ganze trotzdem durchzuziehen. Einen Tag nach meinem Beinahe-Tod und einen Tag vor meinem ‚Date’ mit Daisuke hatte ich noch einmal alles durchdacht. Hakuei hatte wütend gewirkt, als er mich rausgeschmissen hatte, mein Vater eher verängstigt. Ich konnte mir vorstellen, weshalb – sie hatten die Sorgen eines Löwen, der ein Rehkitz aufgezogen hatte. Ich, das naive und vor allem bekloppte Reh, war natürlich mitten in die Höhle der Löwen reingerannt und hatte mich auf dem Präsentierteller dargeboten.

Kurz gesagt: Sie hatten beide Angst gehabt, dass ich von ihrem eigenen Clan zerfleischt wurde. Nur hatte Hakuei es auf eine andere Art gezeigt als mein Vater.

Es überraschte mich selbst, dass ich mir dabei so sicher war, aber anders konnte ich mir Hakueis Verhalten nicht erklären – bis auf dass er mich wirklich abgeschrieben hatte und nie wiedersehen wollte. Aber das konnte er mir doch bitteschön auch auf eine andere Art und Weise mitteilen.

Dass es mir wirklich ernst mit ihm war, merkte ich in dem Moment, in dem mir klar wurde, dass es mich eigentlich nicht interessierte, ob Hakuei mich hasste oder nicht. Es war mir egal. Wenn ich die ganze Mühe auf mich nahm, um ihn zu sehen, und er wies mich zurück, gut so. Dann wusste ich wenigstens, was Sache war. Und im anderen Fall... war es die Mühe natürlich mehr als wert. Tatsache war, dass ich ihn auf jeden Fall noch einmal sehen wollte. Egal wie. Und hier kam Daisuke ins Spiel.

Nur kurz – ich war gleich Mittwoch, nachdem Daisuke mich zurück zur Schule gefahren hatte, bei Aya eingezogen. Ich hatte keine Lust, mich meinem Vater zu stellen, bevor ich mit Hakuei geredet hatte, und deshalb hatte ich mir bereits überlegt, bei jemand anderem kurzzeitig unterzukommen. Das Problem war, dass mein Vater sowohl Towas als auch Sanakas Adresse und Telefonnummer kannte. Deshalb bettelte ich Aya an und konnte sie schließlich mit dem Argument überzeugen, dass ich Towa sonst von ihrem Seitensprung erzählen würde. Sie hatte es, ehrlich gesagt, ziemlich lange mit Towa ausgehalten, also musste sie ihn wohl wirklich mögen. Ich erklärte Towa, dass es ziemlich wichtig für mich war, dass ich irgendwo hin ging, wo mein Vater mich nicht fand, und nach einigem Hin und Her akzeptierte er es auch.

Meinem Vater hatte ich, nachdem ich mir einige Sachen zusammengepackt hatte, nur folgende Notiz hinterlassen: ‚Bin für ein paar Tage bei Freunden, mach dir keine Sorgen um mich und such nicht nach mir. Spätestens Samstag hörst du von mir, versprochen. Bitte hass mich nicht ._.’ Ich war mir ziemlich sicher, dass er es nicht darauf beruhen lassen würde, aber das musste ich in Kauf nehmen.

Den gesamten Mittwochnachmittag und den Donnerstagmorgen (bis jetzt) war ich nicht aus Ayas Haus gegangen. (Wäre auch ziemlich blöd, wenn ich versuchte, mich zu verstecken und in die Schule ging.) Ich hatte auch vor, genau das bis morgen Nacht zu tun – bis Daisuke mich abholen kam. Er war einer der wenigen, die wussten, wo ich mich aufhielt.

Das Einzige, was ich hoffte, war, dass weder mein Vater noch eventuell Hakuei sich allzu viele Sorgen um mich machten.
 

~*~
 

Freitagnacht war es endlich soweit. Das ganze Warten hatte ein Ende. Ich hatte die Zeit bei Aya mehr oder weniger gut überstanden – sie hatte zwei kleine Schwestern, die ständig wissen wollten, was um alles ich bei ihnen zuhause machte. Ansonsten war alles reibungsloser verlaufen, als ich erwartet hatte. Ihre Eltern wunderten sich keinen Moment über meine Präsenz, nachdem ich ihnen erklärt hatte, dass ich ein Freund von Ayas Freund war und für einige Tage Asyl brauchte, weil ich mich mit meinem Vater gestritten hatte. Nach kurzer Zeit kam heraus, dass ich wohl nicht der Einzige war, der Aya auf diese Weise ausgenutzt hatte, und ab da machte ich mir keine Gedanken mehr. War ihre Sache.

Sanaka hatte mich Donnerstagnachmittag besucht und mich gefragt, was um Himmels Willen in letzter Zeit mit meinem Leben los sei. Ich hatte nur geantwortet, dass sich das hoffentlich klären würde. Und zwar genau jetzt.

Vielmehr, in der nächsten Stunde. Es war nach zwei Uhr nachts und ich saß auf der Treppe zu Ayas Haus, halb am Einschlafen. Daisuke hätte seit zehn Minuten hier sein müssen, aber stattdessen erntete ich von jedem, der vorbei fuhr, nur seltsame Blicke. Ich musste wohl besoffen gewirkt haben, wie ich da völlig erschossen saß und trotzdem nicht ruhig bleiben konnte, immer hin- und herrutschte, leise vor mich hin pfiff oder Songtexte murmelte.

Als ich endlich Daisukes Auto vorbeifahren sah, sprang ich auf, rannte auf die andere Straßenseite und stieg so schnell wie möglich ein. „Da bist du ja endlich“, meinte ich missbilligend, während ich mich anschnallte.

„Keine Hetze“, gab er gelassen zurück und fuhr los. „Ich weiß, wann er losgefahren ist, ich weiß, wo er sich in diesem Moment aufhält und ich weiß, wann er ankommen wird. Und wir liegen perfekt im Zeitplan. Wenn wir da sind, hat er höchstens zwei Minuten Vorsprung.“

Die nächsten zehn Minuten waren wir beide still. Ich spürte, dass Daisuke mindestens genauso angespannt war wie ich, aber das lag höchstwahrscheinlich daran, dass wir kurz davor waren, uns unbefugten Zutritt auf ein Fabrikgelände zu verschaffen. Die ganze Sache verhielt sich wie folgt: Daisuke hatte in Erfahrung gebracht, wo Hakuei sich diesen Abend aufhalten würde, und kurz gesagt – wir würden ebenfalls dorthin kommen. Das war laut Daisuke die einfachste Methode, an Hakuei heran zu kommen, wenn er nicht gerade unter Beobachtung stand oder von Clanmitgliedern umringt war.

„Wie’s aussieht, macht dein geliebter Vater einigen Terror“, bemerkte Daisuke neben mir und schnipste etwas Asche aus dem geöffneten Seitenfenster. Ich presste nur die Lippen zusammen und entgegnete nichts. „War kurz davor, auch mich auszuquetschen. Er muss wohl spitzgekriegt haben, dass wir uns recht gut verstehen.“ Als ich immer noch schwieg, fuhr er fort: „Sieht nicht gut aus für dich. Wenn du so weiter machst, hast du irgendwann niemanden mehr, der zu dir hält.“

Ich verengte meine Augen ein wenig und schaute ihn misstrauisch an. „Mein Vater würde mich nie im Stich lassen“, bemerkte ich bestimmt.

„Überleg dir, was du bis jetzt alles getan hast“, erwiderte er mit einem Achselzucken und verfiel erneut in Schweigen.

Unterm Strich war das wirklich viel. Nicht nur, dass ich in seiner Abwesenheit mit Hakuei... Nein, ich wusste nun auch noch, wo sein Clan sich bevorzugt aufhielt und war bereits einige Male unvorbereitet dort hereingeplatzt. Tja, und dazu kam noch, dass ich so gut wie von zuhause weggelaufen war. Nur mit dem Unterschied, dass ich zurückkommen würde. Und zwar gleich morgen, wenn ich wusste, was überhaupt los war mit Hakuei.

Es würde ziemlich lange dauern, bis mein Vater mir das alles verzeihen würde, das war mir bewusst. Ich könnte mir einfach etwas brechen, dann könnte er bestimmt nicht mehr sauer auf mich sein.

Ich wurde unsanft aus meinen Gedanken gerissen, als Daisuke plötzlich anhielt und mich vielsagend musterte. „Wir sind da“, verkündete er ruhig und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Ich hatte ganz vergessen, ihn um einen Zug zu bitten, so aufgeregt und angespannt war ich innerlich. „Und du bist noch immer sicher, dass du da rein willst? Du könntest Dinge sehen, die du nicht sehen wollen würdest. Du könntest eine Seite an deinem Liebsten entdecken, die dir lieber verborgen geblieben wäre.“

„Ich hab schon mal eine Leiche gesehen, die er umgebracht hat“, gab ich ernst zurück, um meine Abgebrühtheit unter Beweis zu stellen. Andererseits bekam ich wieder weiche Knie, als ich an diesen Vorfall zurückdachte. Hakuei hatte mich anschließend die Treppe hochgetragen, weil ich nicht mehr laufen konnte. Ich hatte Angst vor ihm gehabt... und das hatte ich jetzt auch. Aber ich musste mich nun mal mit der Realität auseinander setzen. Koste es, was es wolle.

„Er hat die Leiche umgebracht...?“, wiederholte Daisuke und betrachtete mich befremdet.

Ich brauchte einen Moment, um seinen Kommentar zu begreifen, dann musste ich gegen meinen Willen lächeln und schlug ihm mehr spielerisch auf den Oberarm. „Nein, Mann! Und jetzt lass uns endlich gehen, sonst entscheide ich mich doch noch um.“

Er hatte selbst ein schwaches Grinsen auf den Lippen, als er ausstieg, wurde allerdings wieder ernst, als wir vor dem großen Fabriktor ankamen. Die massive Eisenkette, die es zusammengehalten hatte, war offenbar mit einem Bolzenschneider durchtrennt worden. Eine Welle des Unbehagens überfiel mich. Es war dunkel und unangenehm kühl, ich spürte meine Finger kaum. Vom Gelände der im Moment still stehenden Fabrik fiel fahles Laternenlicht in unsere Richtung und beleuchtete einen großen, verlassenen Hof.

„Dann gehen wir doch mal“, beschloss Daisuke, der noch immer die Ruhe weg hatte, und betrat das Gelände direkt darauf. Ich folgte ihm unsicher. Trotz meiner angepassten Kleidung – unauffällig, normale Schuhe, Jeans, dunkles Oberteil, echt langweilig für meine Verhältnisse – fühlte ich mich mehr als fehl am Platze. Wir gingen langsam am Rande des Hofs entlang, möglichst dort, wo kein oder nur wenig Licht hinfiel, damit wir nicht wie auf dem Präsentierteller von der Straße aus gesehen werden konnten.

„Anfängerfehler“, murmelte Daisuke sehr leise. „Das erste, was man lernt, ist nicht aufzufallen. Entweder er will so schnell wieder hier weg sein, dass ihm die kaputte Kette egal ist, oder er fühlt sich so sicher, dass er es nicht für nötig befand, hinter sich aufzuräumen. Es kann natürlich auch sein, dass er es wirklich vergessen hat, aber das kann ich mir bei ihm kaum vorstellen. Bei jedem, außer bei ihm.“

Ich bemerkte eine gewisse Verbitterung in seiner Stimme und erinnerte mich wieder daran, was er mit Hakuei verband – aber bevor ich diesen Gedanken fortführen konnte, bogen wir auch schon um die Ecke.

Was auch immer ich erwartet hatte, der Anblick, der sich mir bot, traf es zwar nicht vollkommen, lag aber auch nicht im Bereich des Unglaublichen. Eine gedämpfte Klemmleuchte erhellte die kleine Nische, in der sich Hakuei und sein Opfer befanden. Das erste, was ich sah, war Blut, das zweite Hakueis Messer, das er dem Kerl an die Kehle hielt. Ich konnte ziemlich viel Blut erkennen, offenbar war der Typ zuvor gefoltert worden, und da Hakueis Klamotten weniger frischgewaschen als eher wie nach einer Schlachtung aussahen, konnte ich mir vorstellen, wer es gewesen war.

Meine Knie wurden weich – ich hatte Blut noch nie gut sehen können, es sei denn, es war mein eigenes –, aber ich zwang mich dennoch, weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich war hergekommen, um mit Hakuei zu reden, und mit Hakuei würde ich reden. Gerade, als ich den Mund öffnete, legte sich von hinten ein Arm um mich, allerdings nicht einfach so, sondern um meinen Hals, und drückte leicht an meine Kehle.

„Hallo Hakuei“, sagte Daisuke und ich brauchte keine Sekunde, um zu begreifen, dass das kalte Ding, was ich nun an meiner Schläfe spürte, eine Pistolenmündung war. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!

Hakuei blickte alarmiert auf, und für einen Moment glaubte ich, Panik in seinem Gesicht sehen zu können – die gleiche Emotion, die mir auch aufgefallen war, als ich einfach so ins Hauptquartier spaziert war. So schien er immer auszusehen, wenn ich in Gefahr war. „Daisuke“, erwiderte er die Begrüßung aus zusammengebissenen Zähnen.

„Lass mich los!“, rief ich und begann, mich im Griff des Polizisten hinter mir zu winden. „Lass – mich!! Nein! Du wirst mich nicht benutzen, um-“

„Sieh an, ganz so zurückgeblieben bist du wohl nicht, hm“, murmelte Daisuke und fügte dann laut hinzu: „Möchtest du wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem der Mensch geraubt wird, den man am meisten liebt? Soll ich es dir zeigen?“

Ich hätte mir selbst den Schädel einschlagen können. Natürlich, deshalb hatte Daisuke immer in meiner Nähe herumgelungert, deshalb hatte er mir geholfen, Hakuei zu finden, es ergab jetzt alles einen Sinn. Einen, den ich zugegebenermaßen schon vorher hätte sehen können. Müssen. Ich erwog kurz, einfach in Daisukes Arm zu beißen, allerdings könnte dann sein Finger ausrutschen und mein Gehirn zu Brei ballern. Nein, das wollte ich lieber nicht riskieren.

„Was willst du?“, knurrte Hakuei zurück, in richtiger Yakuzamanier, allerdings hätte ich ihm die Frage auch selbst beantworten können: Rache. Das war doch offensichtlich. „Außerdem, was bringt dich auf den Gedanken, dass ich den Kleinen liebe?“

Das brachte mich dazu, dass ich aufhörte, mich zu wehren. Ich starrte Hakuei an, Hakuei sah an mir vorbei, das Gesicht angespannt. Das ... meinte er doch hoffentlich nicht ernst. Doch ich wurde von etwas ganz anderem abgelenkt: Der Kerl, mit dem Hakuei zuvor zugange gewesen war, hatte sich weitestgehend unbemerkt aufgerappelt und stolperte nun auf seinen Widersacher zu. „Ha-chan!“, rief ich, um ihn zu warnen, doch er drehte sich nicht mehr rechtzeitig um.

Die folgende Minute kam mir vor wie eine gesamte Stunde. Ich verfolgte fast in Zeitlupe, wie Hakuei einen Schlag in die Seite kassierte, daraufhin herumwirbelte und sich auf eine Prügelei einließ. Gleichzeitig nutzte ich die allgemeine Verwirrung, um Daisuke meinen Ellbogen in die Magengrube zu rammen und mich von ihm loszureißen. Erst zog es mich zu Hakuei, ich wollte ihm helfen, allerdings sollte ich mich erst mal um den durchgeknallten Cop hinter mir kümmern.

Während ich mich noch umdrehte, schoss er das erste Mal. Ich hörte nur, wie Hakuei aufschrie und zu Boden fiel, kniff kurz die Augen zusammen und warf mich zusammen mit dem zweiten Schuss auf Daisuke. Ich hatte zwar schneller reagiert als wahrscheinlich jemals zuvor, allerdings wusste ich nicht, ob es schnell genug gewesen war, ich wusste nicht was eher kam – der zweite Schuss oder mein Kontakt mit Daisukes Arm, den ich sofort herunterriss. Ich rammte ihn mit all meiner (nicht sonderlich beeindruckenden) Kraft und wir landeten gleichzeitig auf dem Boden, ich dankenswerterweise auf ihm, sodass ich nicht so hart aufkam.

Sofort richtete ich mich auf ihm auf und nahm mir eine Sekunde Zeit, seinen Gesichtsausdruck einzufangen. Er war von Hass, von Wut und von Verzweiflung geprägt, Daisuke hatte offenbar nicht mehr gewusst, was er hätte machen können, um seine Trauer zu überwinden. Ich holte aus und schlug ihm so fest es nur irgend ging ins Gesicht. Ich konnte nicht anders, der Schock saß mir noch tief in den Knochen, so tief, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat.

„Geh von mir runter!“, rief Daisuke und versuchte, mich von sich herunter zu schubsen, während ich blind weiterhin auf ihn einprügelte. „Du wirst ihn nicht umbringen!“, kreischte ich, sämtliche anderen Gefühlsregungen in mir beiseite drängend: Ich wollte nicht darüber nachdenken, dass Hakuei mich vielleicht überhaupt nicht liebte, dass er vielleicht bereits tot war oder im Sterben lag oder lebensgefährlich verletzt war oder sonst was, ich spürte nur noch diese rasende Wut. Ich war immer der festen Überzeugung gewesen, dass ich mich in dem Moment, in dem es mal drauf ankäme, gut wehren könnte. Und da dieser Moment offenbar gerade gekommen war, setzte ich alles ein, was ich hatte.

Mein Glück war es, dass Daisuke sich nicht allzu sehr wehrte, sonst hätte ich mit meinem Fliegengewicht wahrscheinlich keine Chance gehabt, wobei Daisuke unter seinem Hass auch irgendwie resigniert wirkte. Ich endete unsere Rauferei damit, dass ich seinen Kopf kurzerhand auf das Pflaster knallte, woraufhin er reglos liegen blieb. Es war kein schöner Anblick, vor allem, wenn ich darüber nachdachte, dass ICH das verursacht hatte.

Ich traute mich kaum, den Blick zu heben, und das erste, was ich bemerkte, war die sich ausbreitende Pfütze, deren dicke Flüssigkeit rot war. Blutrot.

„Oh mein Gott“, wisperte ich kaum hörbar und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Leiche keine zwei Meter von mir entfernt. Ich hatte vorher noch niemanden gesehen, der so erschossen worden war, und ich hoffte, dass es auch das einzige Mal bleiben würde. Ich sah einzelne Stücke des Gehirns und konnte im Hinterkopf noch einige weiße Stellen sehen, wo der Schädel durchbrochen worden war.

Es dauerte keine drei Sekunden, da drehte ich mich weg und kotzte aufs Fabrikgelände. Zuerst kam das Abendessen, das schon eklig genug war, und danach noch einige Male pure Galle. Durch den sauren Geschmack in meinem Mund würgte ich noch einige Male und stützte mich dabei mit zitternden Armen auf dem kalten Boden ab. Sämtliche Kraft hatte meinen Körper verlassen. Ich konnte nicht mehr. Der Schock war einfach zu viel für mich gewesen.

Ich war kaum bei Bewusstsein, während ich mein Handy hervorkramte und einen Krankenwagen rief, ich hatte keine Ahnung, wie ich es schaffte, den Ort zu beschreiben, an dem wir uns gerade befanden, aber irgendwie musste ich es wohl geschafft haben, denn kurze Zeit später hörte ich in der Ferne eine Krankenwagensirene, die immer näher kam. Ich war inzwischen von Daisuke herunter gekrochen und hockte neben Hakuei an einer Stelle, die nicht ganz so sehr mit Blut versaut war, und hielt seine Hand. Ich wusste nicht, ob ich mir das einbildete, aber sie wurde langsam immer kälter.

Als der Krankenwagen vorfuhr, wusste ich nur eins: Dass ich mitfahren musste.

„Nichts da, Kleiner“, wies einer der Sanitäter, die sehr hektisch wirkten, mich ab. „Lass dich mal von einem Polizisten mitnehmen.“

Von denen hatte ich erst mal genug. „Lassen Sie mich mitfahren!!“, wiederholte ich nun schon zum fünften Mal. „Wenn Sie mich nicht lassen, reiße ich Ihnen erst ein Bein raus und dann das andere!“

„Hör mal zu-“

„Hören Sie mir mal zu, Sie Pisser, ich wäre beinahe gestorben, zumindest fühle ich mich so, und ich habe diesem Kerl da das Leben gerettet und Sie lassen mich jetzt gefälligst mitfahren!!!“, keifte ich den Sanitäter hysterisch klingend an. Ich war wirklich mit meinen Nerven am Ende.

„Jetzt lassen Sie diesem kleinen asozialen Scheißkind schon seinen Willen“, mischte Hakuei sich mit angestrengt klingender Stimme ein. Er schenkte mir einen kurzen Blick, den ich nicht deuten konnte, den ich aber dankbar erwiderte.

Die Sanitäter wechselten wenige Blicke und Worte und ließen mich letztendlich doch mitfahren. Als ich neben der Trage saß, auf der Hakuei lag, griff ich erneut nach seiner Hand und hielt sie so fest, dass es mich wunderte, dass sie nicht abfiel. Eine Weile starrte ich nur auf seinen Brustkorb, der sich hob und senkte, hob und senkte, und solange war noch alles in Ordnung. Zumindest jetzt noch.

Ich fixierte einen der beiden fest. „Überlebt er es?“, wollte ich mit zittriger Stimme wissen. Überhaupt zitterte ich wieder am ganzen Körper, wie das letzte Mal, als ich gefühlt dem Tod nur knapp entronnen war.

„Es war ein Schuss in den Oberschenkel“, presste Hakuei hervor, schaffte es dabei aber trotzdem, einen Also-bitte-stell-dich-doch-nicht-so-an-Tonfall zu treffen.

Daraufhin sah ich ihm offen ins Gesicht. Er schaute zurück und zog die Augenbrauen etwas nach oben, als wolle er sagen: Hör mal. Ein Schuss in den Oberschenkel, bisschen Blut verloren. Als ob mich DAS so leicht hinraffen würde. Für was hältst du mich?

Ich musste lächeln. Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich war noch immer am gesamten Körper angespannt, ich fühlte mich, als hätte ich tausend Todesängste ausgestanden, aber ich lächelte. Und grinste. Und grinste breiter, als Hakuei das Grinsen erwidern musste. Er wollte nicht, das sah ich ihm an. Aber es ging nicht anders, wir beide mussten einfach grinsen. Und wir konnten einfach nicht aufhören, selbst als er begann, sich darüber zu beschweren, dass sein Bein fürchterlich weh tat und ob er nicht noch etwas mehr Schmerzmittel kriegen könnte, aber dabei drückte er meine Hand. Und daher war es in Ordnung.
 

Eine Stunde später saß ich auf dem Gang des nächstgelegenen Krankenhauses, in der einen Hand eine Zigarette, neben mir einen Becher Kaffee. Ich starrte schweigend vor mich hin, nahm zwischendurch einen Zug oder einen Schluck und dachte, dass mir Minuten noch niemals derart lang vorgekommen waren.

Daisuke hatte Hakuei nur in den Oberschenkel geschossen, was wohl mir zuzuschreiben war – worüber ich mich aber nicht recht freuen konnte, hatte ich ihn doch erst in diese Situation gebracht –, aber der andere Kerl hatte einen glatten Kopfschuss kassiert. Wohl keine Absicht, zumindest sagte Daisuke das. Da der Tote offenbar ein ehemaliger Kollege von Daisuke gewesen war, hatte keiner von uns mehr Lust gehabt, das Ganze fortzusetzen. Ich bezweifelte, dass Daisuke Hakuei tatsächlich vergeben könnte, aber wahrscheinlich war zwischen den beiden nun eine Art Waffenstillstand eingekehrt.

Ich dagegen konnte Daisukes Gesicht nicht mehr ertragen, nicht mehr, nachdem ich es so von Hass verzerrt gesehen hatte. Das war seine wahre Persönlichkeit gewesen, und egal, was er tun würde, ich könnte diesen Anblick doch nie wieder vergessen.

Als ich meinen Kaffee ausgetrunken und meine Zigarette aufgeraucht hatte, fühlte ich mich so allein wie noch nie. Und gleichzeitig so erschöpft und erleichtert wie noch nie. Und schlecht. Ich fühlte mich schlecht. Hakuei lebte, aber dass dies überhaupt in Frage gestellt worden war, war allein mein Verdienst. Weil ich ihn unbedingt hatte sehen müssen. Und das um jeden Preis, ganz gleich, wen aus meinem Umfeld ich dabei alles verletzt hatte. Daisukes Bemerkung kam mir in den Sinn: ‚Wenn du so weiter machst, hast du irgendwann niemanden mehr, der zu dir hält.’ Ich fürchtete, dass er das durchaus ernst gemeint hatte.

Mit einem Mal hörte ich, wie mein Name laut gesagt wurde. Ich brauchte kurz, um es zu orten und stand anschließend abrupt auf. Vor mir stand mein Vater, die Haare offenbar zerzaust vom Schlafen, Augenringe im Gesicht. Und er tat das, mit dem ich am wenigsten gerechnet hatte: Er umarmte mich.

Als seine Arme sich um meinen Oberkörper schlossen, konnte ich nicht anders, als mein Gesicht an seine Brust zu drücken und die Umarmung so fest wie möglich zu erwidern. Seine starken Arme und seine aufrechte Gestalt gaben mir Halt, sein ganz eigener Geruch beruhigte mich und allein seine Gegenwart ließ den Schutzwall, den ich um mich herum aufgebaut hatte, in sich zusammenstürzen.

Ich begann hemmungslos zu flennen.

Mein Vater schloss sich mir an.

Und so standen wir da, mitten auf dem Krankenhausgang, klammerten uns aneinander wie zwei Ertrinkende oder zwei Schiffbrüchige oder wie Vater und der verlorene Sohn, und konnten nicht einen negativen Gedanken über den jeweils anderen fassen, so erleichtert waren wir. Ich darüber, dass er da war, er darüber, dass es mir gut ging. Wir hatten uns Sorgen umeinander gemacht, wir hatten schon ewig lange nicht mehr richtig miteinander gesprochen, so viele Dinge hatten zwischen uns gestanden. Aber hier, in dem Moment, war alles vergessen.

Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, dass es doch noch gut werden würde.
 

~*~
 

A/N: Sind die beiden, Vater und Sohn, nicht süß? Es tat mir in der Seele weh, dass ich sie so hätte auseinander bringen müssen D:

tbc: nur noch ein Kapitel!

Warum einfach, wenns auch kompliziert geht

Wortanzahl: 3.012

Kapitelrating: PG-13

A/N: Tja, hier ist er, der Epilog (der nur einer ist, weil er für ein Kapitel zu kurz wäre).
 

~*~
 

Hakuei war blass, blasser als ich ihn jemals gesehen hatte, aber trotzdem sah er nicht so schlimm aus, wie er sich fühlen musste. Es erschreckte mich nur ein wenig, wie zerbrechlich er mit einem Mal wirkte. Ich war ihn am Vortag bereits besuchen gekommen, aber da war er aufgrund der Narkose und der Operation und was noch alles ziemlich groggy gewesen, sodass er wohl kaum bemerkt hatte, dass ich da gewesen war. Und jetzt saß ich auch nur wieder hier und sah ihn an und unterdrückte den Drang, ihn ununterbrochen anzufassen. Ich konnte kaum glauben, dass dieser Gott auf einmal sterblich geworden sein sollte. Oder zumindest verletzlich.

Gerade, als ich beschloss, mir ein wenig die Beine zu vertreten, blinzelte Hakuei verschlafen und betrachtete mich einige Augenblicke wortlos. Er sah so verloren aus, so fehl am Platze in diesem blütenweißen, reinen Krankenhausbett, ich hätte am liebsten geschrien.

„Hey“, begrüßte ich ihn sanft.

Er nickte mir lediglich zu und wollte sich etwas aufrechter hinsetzen, riss aber gleichzeitig die Augen auf. „Heilige- Ach, verdammt.“ Er seufzte leise und schüttelte über sich selbst den Kopf. Ihm war offenbar wieder eingefallen, was passiert war, sodass sich auch seine Schmerzen von selbst erklärten. Er nahm zwei Schmerztabletten und legte eine Weile den Kopf in den Nacken.

Ich konnte ihn nur beobachten. Er war so Nicht-Hakuei, wie er überhaupt sein konnte. Er war so... menschlich. Mit einem Mal fühlte ich mich nicht so, als könnte ich bei ihm jederzeit Schutz suchen, sondern als habe er von Zeit zu Zeit selbst welchen nötig.

Als er mich wieder anschaute, lag in seinem Blick die gleiche Erkenntnis und die daraus resultierende Resignation. Er war nicht unzerstörbar. „Warum tust du eigentlich nie, was man dir sagt?“, wollte er leise wissen. Seine Frage klang gleichzeitig frustriert, verärgert und dankbar.

Ich schenkte ihm ein Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Weil es sonst zu einfach wäre?“, bot ich ihm an.

„Natürlich. Ein gefahrloses Leben ist auch sicherlich viel zu langweilig“, bemerkte er abfällig und hob eine Augenbraue. „Was hast du dir dabei gedacht? ... HAST du dir dabei was gedacht?“

„Wobei?“, fragte ich unschuldig und dachte mir: Dabei, dass ich dir das Leben gerettet habe? Oder dabei, dass ich unser beider in Gefahr gebracht habe?

„Bei allem. Fangen wir damit an, dass du ohne nachzudenken aus dem Schlafzimmer des Chefs rausgerannt bist, ohne dich wenigstens vernünftig anzuziehen.“ Er betrachtete mich aufmerksam, wie ein Lehrer, der eine falsche Antwort erwartet.

„Dabei habe ich mir nichts gedacht“, gab ich kleinlaut zu und senkte den Blick. „Aber dass er es herausgefunden hätte, wäre unvermeidlich gewesen.“

„Unvermeidlich sicherlich, aber du hättest ihn nicht gleich mit der Nase zuerst drauf stoßen müssen.“ Er seufzte tief. „Und was hast du dir dabei gedacht, dass du dich ausgerechnet an diese Ratte von Daisuke wendest? Du hättest wissen müssen, dass er-“

„-Hinterhältig und gerissen ist? Ja, das hätte ich!“, fiel ich ihm ins Wort. „Und ich hätte auch wissen müssen, dass ich nicht so einfach in euer Hauptquartier spazieren kann, ohne Angst zu haben, von den Leuten meines Papas gelyncht zu werden, und ich hätte wissen müssen, dass du der beste Killer des Clans meines Papas bist und ich hätte wissen müssen, dass mein Papa sein Geld mit Pornografie verdient!“

Hakuei hielt nun seinen Blick auf seine Bettdecke gesenkt und erwiderte nichts.

„Aber beantworte mir nur eine Frage: Woher?“, beendete ich meinen Ausbruch und wurde wieder ruhiger. „Ich hatte doch null Ahnung von dem Ganzen. Von gar nichts. Weder davon, dass Daisuke so besessen von seiner Rache an dir ist – wobei ich bestimmt darauf hätte kommen können, aber so schlau bin ich leider nicht –, noch davon, was mein Papa den gesamten Tag lang macht. Daraus kannst du mir keinen Vorwurf machen.“

„Ich kann dir einen Vorwurf daraus machen, dass du mich nicht einfach hast gehen lassen“, warf Hakuei ein und blickte mir wieder ins Gesicht. „Hättest du es auf sich beruhen lassen-“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“, unterbrach ich ihn erneut und musterte ihn empört. „Hör mir mal zu, du hast dich nicht mal von mir verabschiedet, was bestimmt an meinem Papa lag, und außerdem ist das, was wir hatten, von meinem Papa beendet worden, und zwar durch Zwang und unfreiwillig und plötzlich. Und du erwartest von mir, dass ich mich damit zufrieden gebe? Du bist mir zu wichtig geworden, als dass ich dich einfach hätte gehen lassen können. Ist das nicht klar geworden?“ Ich atmete einmal durch und ließ mich nicht von Hakueis unbewegter Miene abschrecken. „Ich liebe dich. Trotz allem hab ich mich in dich verliebt. Und deshalb... deshalb konnte ich es nicht einfach hinnehmen.“

Hakuei war eine Weile still. „Und was ist, wenn es mir anders geht und ich mich damit zurecht gefunden habe, dich nie wieder zu sehen?“, fragte er leise.

Ich betrachtete ihn einige Herzschläge, dann zwang ich mich zu einem Lächeln, das allerdings irgendwie schief ausfiel. „Dann ist das was anderes“, bemerkte ich schwach. „Aber das wusste ich nicht. Das hast du mir schließlich nicht...“ Als ich abbrach, streckte Hakuei eine Hand nach mir aus, legte sie auf meinen Hinterkopf und zog mich zu sich. Ich schlang die Arme um seinen Oberkörper und sog gierig seinen persönlichen Geruch ein. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und drückte mich fest an sich.

„Nein, das habe ich dir nicht gesagt“, flüsterte er und strich durch meine Haare, die ungewöhnlicherweise haarsprayfrei waren. „Warum auch? Ich wollte dich nicht anlügen. Aber ich war nicht so... willensstark wie du. Ich habe dem Chef nicht widersprochen. Hätte ich gewusst, dass es dir nicht anders geht als mir, dann hätte ich bestimmt. So habe ich mich nicht getraut.“

Bei den Worten musste ich meine Augen fest zukneifen. „Ich hab noch nie so ein umständliches ‚ich dich auch’ gehört. Ehrlich“, wisperte ich gekränkt zurück. Und als ich zum wiederholten Mal anfing zu heulen, hörte ich Hakuei leise lachen.
 

An diesem Abend (es war schon Sonntag, Hakuei war noch in der Nacht von Freitag auf Samstag operiert worden) stritten mein Vater und ich uns derartig laut, dass wir am nächsten Morgen wahrscheinlich beide heiser sein würden. Er fand es unverantwortlich von mir, dass ich mich auf eigene Faust aufgemacht hatte, Hakuei zu suchen, und dabei gerade Daisukes Hilfe gefordert hatte. Ich konterte damit, dass er mir nicht einmal die Chance gelassen hatte, noch ein einziges Mal mit Hakuei zu reden. Er meinte wiederum, dass Hakuei wohl kaum der richtige Umgang für mich sei.

Und so weiter und so fort.

Die Meinung meines Vaters stand fest: Alles, was ich gemacht hatte, war die letzte Scheiße gewesen. Meine Meinung stand genauso fest: Er hatte Recht, aber ich wollte trotzdem mit Hakuei zusammen sein.

„Das geht nicht, Lay, das ist zu gefährlich für dich“, wiederholte er zum ich weiß nicht wie vielten Mal.

„Ich weiß“, gab ich zurück. „Es ist ja schon gefährlich für mich, wenn ich mich vor den Untergebenen meines eigenen Papas zeige!“

„Es wissen zwar alle, dass ich einen Sohn habe, aber die wenigsten, wie du aussiehst“, räumte er ein.

„Schämst du dich für mich?“

Das ließ ihn einen Augenblick verstummen. Er sah mich verletzt und gleichzeitig wütend an. „Verstehst du mich nicht oder willst du mich nicht verstehen? Lay, es war zu deinem eigenen Besten. Je weniger sämtliche Yakuza von dir wissen, desto weniger kann dir etwas passieren.“

„Das heißt, du hast mich zu meinem eigenen Besten aus dem Ganzen rausgehalten?“, wollte ich skeptisch wissen und zog eine Augenbraue hoch. Jetzt kam das schon wieder.

„Glaub mir, Lay, ich habe mich gefreut, als ich hörte, dass ich einen Sohn bekommen würde und keine Tochter“, antwortete er ernst. Mit einem Mal war sämtlicher Ärger aus seinem Tonfall verpufft, wenn überhaupt, hörte ich nur noch Wehmut heraus. „Ich habe mir gleich ausgemalt, wie ich ihn als meinen perfekten Nachfolger erziehen würde, dass ich ihn langsam, aber zunehmend in die Geschäfte integrieren würde... so wie es alle anderen Bosse auch machen. Und weißt du, warum ich es nicht getan habe?“

Ich schüttelte wortlos den Kopf. Wahrscheinlich kam jetzt so etwas Kitschiges à la ‚weil ich dich so sehr geliebt habe, dass ich es nicht verantworten konnte’ oder so.

„Deine Mutter hat mich kurz nach deiner Geburt darum gebeten.“

Das brachte mich völlig aus dem Konzept. Einige Herzschläge lang war ich unfähig zu denken und starrte meinen Vater an. „Sie ist doch... bei meiner Geburt gestorben. ... Oder?“

„Nein.“ Er wich meinem Blick aus. „Sie wurde kurz danach umgebracht. Und da entschloss ich mich... ich...“ Er brach ab und rang nach Worten. „Ich habe schon einen... geliebten Menschen verloren. Ich hätte es nicht ertragen, dich auch noch zu verlieren.“

Und da hörten wir auf zu streiten. Ich setzte mich auf seinen Schoß und schlang die Arme um seinen Hals und er drückte mich fest an sich.
 

~*~
 

Hakuei und ich schwiegen, während der Pfleger geduldig freundlich die Überreste von Hakueis Mittagessen mitnahm. Als er eine Bemerkung über Hakueis Bein fallen ließ, erntete er von ihm eine höfliche Antwort und ein angedeutetes Lächeln, sodass er zufrieden wieder verschwand.

„Los, gib her!“, zischte Hakuei augenblicklich und hielt mir erwartungsvoll die Hand hin.

Ich rollte mit den Augen. „Meinst du nicht, dass er noch mal wieder kommt?“

„Nein, jetzt lassen sie mich erst mal noch eine Weile in Ruhe. Mach schon!“

Seufzend zog ich meine Zigaretten hervor, schob ihm eine Stange zwischen die Lippen und zündete sie an. Nachdem er einen Zug genommen hatte, seufzte er ebenfalls, allerdings hörbar zufriedener als ich selbst.

„Sieh mich nicht so missbilligend an. Wenn ich aufstehen könnte, würde ich ja am Fenster rauchen.“

„Tut es denn noch sehr weh?“, wollte ich wissen und nickte in Richtung seines Oberschenkels.

Er zuckte mit den Schultern. „Ist nur auszuhalten, wenn ich Schmerzmittel nehme. Nachts nervt es ziemlich, vor allem wenn es juckt oder ich mich bewege.“

Ich griff nach seiner Hand, die neben ihm auf der Bettdecke lag, und legte nach kurzem Zögern meinen Kopf darauf. Ich erinnerte mich an die Male, bei denen ich mich ähnlich an seine Hand oder seinen Arm geschmiegt hatte – einmal war es mitten am Tag gewesen, während er geschlafen hatte, und einmal in der Nacht, als ich Angst gehabt hatte. Da hatte er mir übers Gesicht gestrichen...

„Du wolltest mir noch von deiner Mutter erzählen“, brachte Hakuei mich mit sanfter Stimme auf mein ursprüngliches Thema zurück. Er drehte seine Hand herum, sodass seine Handinnenfläche meine Wange wärmte.

Knapp berichtete ich ihm, was ich am Vorabend von meinem Vater erfahren hatte. Er schwieg sehr lange, während er seine Zigarette zuende rauchte.

„Und wie stehst du dazu?“, fragte er schließlich.

Ich hob den Kopf wieder und sah ihn an. „Wozu?“

„Akzeptierst du seinen Wunsch, nichts mit uns Yakuza zu tun zu haben oder bestehst du darauf, integriert zu werden?“ Sein Tonfall verriet nicht, was ihm lieber war – wahrscheinlich wusste er es selbst nicht. Schließlich würde das Erste bedeuten, dass wir beide...

„Ich kann nicht“, murmelte ich mit gesenktem Blick. „Erst mal habe ich schon Todesängste ausgestanden und bin ziemlich sicher, dass das kein Leben für mich ist... und außerdem will ich meinem Papa das nicht antun. Das kann ich nicht. So blöd das auch ist.“ Erst setzte ich alles daran, Hakuei zurück zu kriegen, und dann...

„Gut“, meinte er neutral und nickte. „Gut so. Dann werde ich aufhören.“

„Aufhören“, echote ich irritiert. „Aufhören womit?“

„Für deinen Vater zu arbeiten“, erklärte er ruhig. „Ich habe mehr als genug Blut an den Händen. Ich möchte nicht mehr so weiterleben, außerdem bin ich nicht mehr derjenige, der ich mal war. Ich reagiere nicht mehr so schnell und all so etwas – außerdem wird mein Bein ohnehin nie wieder komplett gesund. Hättest du gesagt, dass du unbedingt in den Clan willst, wäre ich geblieben, weil ich es nicht hätte verantworten können, dich mit diesen Leuten allein zu lassen, aber so... Es ist besser so. Wirklich.“

Für einige Momente war ich sprachlos. Ich hatte das Gefühl, so langsam konnte mein Gehirn nichts mehr aufnehmen, so viel war in den letzten beiden Monaten passiert – und es hörte nicht auf. Ich hörte gerade zum allerersten Mal, dass Hakuei wohl bleibende Schäden davon tragen würde. Und es war meine Schuld, oder zumindest war ich mitschuldig. Und dann... wollte er mich nicht alleine lassen und würde niemanden mehr umbringen und wir könnten zusammen sein...

„Scheiße“, sagte ich und merkte, wie meine Unterlippe anfing zu zittern. Aber weinen konnte ich nicht mehr. „Ist es denn... ich meine... schlimm? Kannst du laufen?“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Es wird sich herausstellen, wie schlimm es ist. Laufen werde ich wahrscheinlich können. Mal sehen.“

„Es tut mir leid“, flüsterte ich.

Hakuei deutete ein Lächeln an. „Entschuldige dich nicht. Es ist okay. Ich wusste, irgendwann würde mir noch mal so etwas passieren. Nur gut, dass es erst so spät kam.“

Das brachte mich auf etwas anderes. „Ha-chan... wie alt bist du eigentlich?“
 

~*~
 

„Als was will er jetzt eigentlich arbeiten?“, fragte Sanaka mich, während wir auf dem Weg nach draußen waren, um endlich dem verhassten Schulgebäude zu entkommen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich glaub das weiß er selbst nicht so genau. Erst mal muss er sich ja wieder erholen.“

„Wie lange ist er schon aus dem Krankenhaus draußen?“

„Er war eine Woche drin, und seitdem sind’s glaub ich fast drei Wochen. Es geht ihm schon wieder ganz gut.“ Er ließ mich zwar noch immer laufen, wenn er etwas haben wollte, aber in gewissen anderen Dingen war er glücklicherweise wieder vollständig auf der Höhe. ... Na ja. „Wahrscheinlich lässt er sich über meinen Papa oder seine Kollegen irgendeinen Job besorgen. Die haben schließlich Beziehungen. Aber mal ganz ehrlich, ich kann ihn mir schlecht in irgendeinem normalen Job vorstellen.“

„Ehrlich gesagt, konnte ich ihn mir schlecht als Killer vorstellen“, bemerkte er kopfschüttelnd. „Und noch weniger als deinen Lover.“

„Aber jetzt überleg dir mal, er wird Immobilienmakler oder so was!“

Sanaka musste anfangen zu lachen. „’Und hier haben wir ein wunderschön in einer unauffälligen Gasse gelegenes Schmuckstück, mit vielen dunklen Ecken...’“, gurrte er mit tiefer Stimme und zog vielsagend seine Augenbrauen hoch. Daraufhin mussten wir beide lachen.

„Besser nicht, ich glaub nicht, dass er damit viel Erfolg hat“, grinste ich.

„Was gibt es denn noch für Jobs für finster wirkende Kerle wie ihn?“

Ich schnipste mit den Fingern und sah Sanaka mit einem triumphalen Gesichtsausdruck an. „Ich weiß! Er wird Zeuge Jehovas!“

Lachend verließen wir das Gebäude. Allerdings blieb Sanaka nach einigen Schritten wie angewurzelt stehen.

„Was ist?“, wollte ich wissen.

Er deutete mit dem Kinn auf eine an einem Baum lehnende schlanke Gestalt, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. „Da. Ach du Scheiße. Weißt du, wer das ist?“

„Keine Ahnung.“

„Das ist Kamijo“, flüsterte er, als ob der Typ uns hören konnte.

Kamijo? Irgendetwas klingelte bei mir. Moment mal... „War das nicht der Kerl, in den du mal verknallt warst?“

Er nickte hektisch. „Als ich bei meiner Tante war, da... Was MACHT der hier? Ich meine, er hat irgendwie angedeutet, dass er wohl in die Nähe ziehen wollte, aber... ich meine...“

„Ich würde dir vorschlagen, du gehst zu ihm hin, nimmst ihn zu dir mit nach Hause und holst mit ihm das nach, was ihr aufgrund der räumlichen Distanz die letzten Monate versäumt habt“, entgegnete ich und schenkte ihm ein Lächeln.

Sanaka nickte wieder, diesmal langsam. „Okay“, wisperte er, jetzt schon außer Atem. „Scheiße. Ich kann das nicht. Lay. Was soll ich sagen? Was, wenn ich eine Niete im Bett bin?“

„Bist du nicht“, versicherte ich ihm grinsend. „Keine Sorge. Und außerdem sieht er mindestens so alt aus wie Hakuei. Das heißt, du bringst deine Vitalität mit und er seine Erfahrung. Das klappt schon, glaub mir.“

„Okay“, wiederholte er und sah mich beinahe panisch an, sodass ich wieder lachen musste. Gegen seinen Willen grinste er. „Was?“

„Ich glaub, du stehst immer noch genauso sehr auf ihn wie ganz am Anfang.“

„Kann sein. Sag mal, wie alt ist Hakuei eigentlich?“

Ich hatte keine Zeit, ihm zu antworten, weil ich just in dem Moment eines Cabrios gewahr wurde, das am Rand des Schulhofs geparkt hatte. Na ja, das Cabrio an sich zog nicht so sehr meine Aufmerksamkeit auf sich, sondern mehr die Person, die drin saß. „Wir sehen uns morgen“, murmelte ich abwesend und wollte schon in Richtung des Autos gehen, da hielt Sanaka mich noch einmal zurück.

„Was ist denn, wenn er überhaupt nicht hergekommen ist, weil er was von mir will?“

„Blas ihm einfach einen, dann kann er gar nicht mehr anders“, antwortete ich, zwinkerte ihm zu und ging los. Je näher ich dem Cabrio kam, desto deutlicher konnte ich den Fahrer erkennen und desto weniger glaubte ich, was ich sah. Als ich ankam, schwang ich mich über die geschlossene Tür und ließ mich elegant auf den Beifahrersitz fallen.

Hakuei rauchte nicht nur und hatte ein ärmelloses schwarzes, eng anliegendes Oberteil an, sondern auch noch eine übergroße Sonnenbrille auf, sodass er definitiv wie ein Zuhälter aussah. Aber ein verdammt affengeiler. „Hey“, begrüßte er mich lässig und drehte mir den Kopf zu.

„Hey“, erwiderte ich seine Begrüßung und war unfähig, nicht zu grinsen. Stattdessen strahlte ich wohl eher wie ein Honigkuchenpferd. „Wie geht’s dir?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Wie seh ich denn aus?“

„Lass mich raten, ohne Schmerzmittel würdest du jammernd auf dem Boden liegen“, bemerkte ich skeptisch und hätte mich am liebsten gleich auf seinen Schoß gesetzt oder zwischen seine Beine oder...

„Sag nichts, was mein Image untergraben könnte“, meinte er tadelnd und schob seine Sonnenbrille hoch. Er sah zum Anbeißen aus. „Ich glaube, deine Mitschüler lassen dir gerade mehr Aufmerksamkeit als sonst zukommen.“

„Meine Mitschüler wissen auch noch nicht, dass ich mit einem so geilen Kerl wie dir zusammen bin“, antwortete ich und amüsierte mich im Stillen über die verwirrten, neugierigen, abfälligen und ungläubigen Gesichter der anderen Schüler, die gleichzeitig mit mir Schluss gehabt hatten.

„Dann zeigen wir’s ihnen doch mal“, schlug Hakuei vor.

„Mit Zunge?“

„Mit Zunge.“

„Wie lange?“

„Bis einer keine Luft mehr hat.“

Ich verengte meine Augen ein wenig, ein herausforderndes Lächeln im Gesicht. „Gilt.“ Dann beugte ich mich zu ihm und presste unsere Lippen aufeinander.
 

~*~
 

A/N: Und so geht eine weitere FF zuende. Lasst mich doch wissen, wie ihr sie fandet, ich freue mich über jede Rückmeldung.

Außerdem hat Kamijo endlich seinen Auftritt! *yay*

Aber abgesehen davon - wer jetzt (immer noch) nicht von Hakuei schwärmt, der ist schwer zu begeistern :3

Vielen Dank an alle, die mich regelmäßig oder unregelmäßig, aktiv oder passiv unterstützen, ihr alle seid meine Motivation, weiterzumachen. Ich liebe euch ♥



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (37)
[1] [2] [3] [4]
/ 4

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2014-11-22T05:01:36+00:00 22.11.2014 06:01
Hallo,
ich hab die komplette FF nun in einer viel zu früh geendeten Nacht gelesen und hat mir selbige versüßt....

eine wunderbare Story mit allem was dazugehört

ich hab sie bis auf wenige Ausnahmen mit einem Dauergrinsen und vielen Lachflashs gelesen...

allerdings hab ich auch ein paar Tränen vergossen

ich leide bei solch gut geschrieben FFs immer mit
und so lach und wein ich eben gleichermaßen....

ich wünschte ich hätte auch so ein Talent Ideen so in Worte zu fassen, aber da bin ich weit von entfernt..

Lieben Gruß
und ein wunderschönes Wochenende
und weiterhin viele gute Ideen für noch viele schöne Geschichten...
(man liest sich)
^-~

Aya-chan60
Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:35:21+00:00 26.03.2013 13:35
♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥
♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥

Diese Story war wirklich sehr gut, sogar eine deiner Besten wie ich finde..
aber ich muss auch sagen dass alle deine Stories sich bei mir im ranking
Platz 1 teilen xD

Ich liebe es, dass Hakuei sogar seinen Job für Lay schmeissen will und es auch macht
das zeigt, wie wichtig er ihm ist
wenn er nämlich ehrlich zu sich selbst waere wüsste er, dass selbst das kaputte Bein
ihm wenig bis garkeine Schwierigkeiten bereiten würde er ist der boss hahaha
aber dass er das nur für das Scheißkind macht, ist echt herzerwärmend ;______;

und wenn er dann am ende im Auto sitzt mit seiner Sonnenbrille und engem Shirt
IOESJHFIOERJG Q//////////Q ISDVJGIOPERJIGJ °Q° DGRHORIG ♥ . ♥ ~
das konnte ich mir so gut vorstellen, dass es fast wehgetan hat, so geil war er u//u

Yaaay Kamijouuu ^___^
Ich finds gut, dass sogar Sanaka sein happy-end bekommen hat
wo man doch sonst so anderes von dir gewohnt ist xD
Ich finde es aber sehr gut!!!!

Ich hätte gerne noch gesehen wie Hakuei sich ins normale Leben einlebt,
ob er sich dumm anstellt oder alles meistert
und ich würde gerne wissen, ob Lay ein einigermaßen guter Junge wird
und die Schule schafft und seinen Vater nicht verärgert...

Trotzdem war es ein sehr zufriedenstellendes Ende zu einer wundervollen Geschichte
und ich kann es garnicht erwarten, wieder eine deiner Tollen Stories zu lesen!!!
Das einzige was ich am Ende geHASST hab war...
DASS es das Ende war !!!! ^__________^;
Ich würde gerne direkt weiter lesen, mich gleich in ein neues Abenteuer mit Hakuei und
einem beliebigen Stricher schmeißen ! xD
Aber du bist auch nur ein Mensch und musst wahrscheinlich neue Inspirationen sammeln xD
(pppsssssssst! Schuljunge Hakuei !!!xD )

Danke für die tollen Stunden mit deinen aufregenden Geschichten !
Ohne dich gäbe es keine tollen Hakuei ffs und das verdient doch eine Medaille ^^
(ich fühle mich so schleimig XD Aber das ist alles wirklich so gemeint wie es da steht
keine Schleimerei sondern überzeugte Meinung!! )


Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:23:40+00:00 26.03.2013 13:23
booahhh der Junge is net das Scheißkind der is ScheißDUMM ^^°

ehe man sich versieht hat man auch schon wieder das Finale erreicht..
das ist wie im Lieblingsanime oderso und man ist bei der letzten Folge und denkt
WANN IST DAS PASSIERT ???
Naja kein wunder wenn man nur liest die ganze zeit hahahah

Ich will wissen wie alt Hakuei ist !!!! SOFOOOOORRRRRTTTTT uidrghirughierg
sorry ich hör auch schon auf deine Kommis zu vermüllen xD

Ich liebe die Story und sie darf nicht
aufhören vorallem wenn was trauriges passiert @__@;

der Kopfschuss war wirklich sehr........gut beschrieben ^^°
und ich hatte so angst dass Hakuei ernsthaft getroffen wird und omg
sie lieben sich dgrjdrohgiap ♥

und ja Lay und Papi sind sehr süß zusammen v____v
ich fand es ganz schlimm als sie streit hatten aber das musste
ja sein damit der versteht wie wichtig Hakuei ihm is..

ich finde obwohl es offensichtlich war, dass das dumme Scheißkind in eine Falle getappt ist
hast dus sehr gut geschrieben, es war eine Überraschung auch wenn man es geahnt hat
(geht das überhaupt?.. verstehst du was ich meine? xD)

Ich muss auch sagen, ich liebe deine Umgangssprache in dieser ff
und auch die "unnötige" Vulgärsprache war sehr amüsant und angebracht denn es
handelt sich hier um das Scheißkind höchstpersönlich ^^

es darf nicht zuende sein nnnnnnneeiiiiiiiiiiiiiinnnnnnn Q______Q
Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:14:20+00:00 26.03.2013 13:14
ha.ha.
dumm gelaufen für Lay xD
Wie kann man nur so dumm sein
UND SICH AUCHNOCH MIT DEM ERZFEIND EINLASSEN?????

Aber armes baby Papi hat ihm sein Spielzeug weggenommen q_____q
ich hatte schon angst dass er wie eine trotzige Katze auf die Schuhe vom Vater kotzt oderso..
Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:12:11+00:00 26.03.2013 13:12
Wacklig wie ein Gartenhaus ist urgeil xDDDDD
ich hab mich totgelacht als ich deine Erklärung gelesen hab lolololol
waclig wie ein Kartenhaus in einem Spiel mit einer Gott-ähnlichen Stimme? XD
Das hört sich sehr lustig an haha

erstma zu den zwei anderen Kapiteln, die ich nicht lesen konnte ; D
ich weiss deshalb NICHT, ob sie extrem geil waren und omg Hakuei is so sexy und
männlich und wie Lay geflennt hat war so süß und giorehgiohidthoütiseg

und dieses Kapitel :

armer Lay XD
Ich liebe es halt nur zu sehr wenn die am Tag danach nichtmehr
laufen und sitzen können hahahha
Hakuei bei seinen eigenen Lehrern in seiner eigenen Schulzeit
kann ich mir komischerweise gut vorstellen ö___ö
er ist wahrscheinlich selbst ein Scheißkind gewesen wie Lay und hat sich
bestimmt ständig geprügelt auf dem Schuldach (KLISCHEEEEEE)
ja... geiles Kapitel ^^
immer weiter schreiben!!
Vorallem immer Hakuei schreiben, das ist deine absolute Begabung !!!!
Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:06:37+00:00 26.03.2013 13:06
Der Telesex ist göttlich XD
Diese Situation an sich schreit einfach nach Sternhagelvoll ...
gut geschrieben!!
Ich liebe Hakuei aber deine fanfics machen einem unrealistische Vorstellungen von dem alten
weil er wie ein Gott wirkt, obwohl er in Wirklichkeit wahrscheinlich nur ein alter Lappen is
( denk jetz nix Falsches, Ich vergöttere Hakuei wies nur geht ^^)

und das Ende ist so süß XD
Wo ich das gelesen hab mit dem "nichts für eure Augen" hab ichs dir erstma FAST abgekauft hahaha aber dann kam der unauffällige link ehem ehem XD
Von:  almightywarumono
2013-03-26T12:02:26+00:00 26.03.2013 13:02
ahhhhhh neeeiiiin es kann doch kein sexytime
OHNE Hakuei stattfinden fhidruhguihrfugihfrg

aber das hat "Ha-chan" jetz davon dass er auf unantastbar macht v.v

ich kann Lays Faszination bezüglich Hakueis tattoos nur teilen ^^
sehr schön rüber gebracht, das mag ich an deinem Schreibstil !
Du kannst Dinge rüberbringen ohne sie Wort für Wort hinschreiben zu müssen das ist wahres Talent.

(falls du denkst wer ist dieser ekelhafte stalker, du kennst mich eig schon mein name is nur etwas anders xD )
Von:  almightywarumono
2013-03-26T11:58:50+00:00 26.03.2013 12:58
omg hahahahahahahaha WIE KAMST DU AUF DIE AUTOBAHNGESCHICHTE??? XDDDDD
Ich weiss nicht warum aber sie hat mich extrem amüsiert haha

Ich liebe diese nervigen Pennerscheißdrecksgörenjungs
Von:  almightywarumono
2013-03-26T11:53:21+00:00 26.03.2013 12:53
omg Hakuei is so sexy wie immer, ich liebe es wenn du einen Yakuza aus ihm machst ~
das ist wieder eine ganz tolle fanfic und das merkt man hier schon ^_________^

Lay ist eine kleine Nutte xD
Und ich finds gut so Hakuei bruacht eine Kratzbürste ^^
Von:  ChiChii
2012-05-19T23:02:01+00:00 20.05.2012 01:02
OMG das war eine der besten, wenn nicht sogar DIE beste Geschichte, die ich je in meinem Leben gelesen habe!!!! *_______*
Du bist Schuld, dass ich gerade Penicillin in Endlosscheife höre!
Aber ehrlich: diese Geschichte ist GEIL~
Ich hatte eigentlich nur Langeweile und hab gerade ein Video von Fatima gesehen und dann gestöbert und auf die Geschichte gestoßen und ich bin in die Story verliebt!
So sehr hat mich selten etwas mitgerissen und ich les ja schon eine Menge, wirklich!
Ich weiß gar nicht, was ich alles schreiben sollte, weil ich wahrscheinlich zu jedem Absatz einen Kommentar schreiben müsste, aber was ich wirklich los werden muss, ist, dass ich manchmal an den unpassendsten Stellen loslachen musste
Woah, ich hab keine Ahnung mehr, wa szu schreiben, weil die Geschichte meinen Kopf leer gemacht hat
aber wirklich DANKE dass du das geschrieben hast!


Zurück