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Wingless

Leseprobe
von

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Ein Schritt zurück ...

Thanks to:
 

Teukie-Chan

KleineBine

merumii

tenshi_90

NARUT0
 

Love ya <3³
 

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--------- Ein Schritt zurück ... ---------
 


 

„Ich lebe, ok?“, gab Nathan von sich. Lindsay saß auf der Kante des Krankenhausbettes und sah ihn besorgt an. „Du bist zusammengebrochen, Nath. Das ist nicht gut.“
 

„Du hast doch die Ärztin gehört. Das kommt vom Kreislauf!“
 

„Und deine Rippen? Du hast dir bei diesem scheiß Sport was gebrochen.“
 

„Lin, bitte. Es ist alles in Ordnung. Es war klar, dass ich mir früher oder später irgendwas brechen würde. Vor allem war Links ohnehin sehr vorbelastet. Und jetzt hör auf mich voll zu nölen, ok?“
 

„Aber Nathan! Ich mache mir doch nur Sorgen“, sagte sie und strich ihm über die Wange. „Ich habe einen Bruder schon beinahe verloren. Soll ich den anderen auch noch verlieren?“
 

„Hör auf, über Blake zu reden.“
 

Zwei Mal klopfte es kräftig an der Tür, ehe die Tür geöffnet wurde und Ian sich ins Zimmer schob.
 

„Was knurrt ihr euch denn so an?“, fragte er.
 

„Was willst du denn hier?“, gab Lindsay nur recht angefressen zurück und stand auf.
 

„Beruhig dich, Babe. Bist ja kaum zum Aushalten“, sagte er ihr direkt ins Gesicht und erhielt einen angegriffenen, geschockten Blick.
 

Ach, geh in die Ecke, dachte er sich und kam auf Nathan zu.
 

Jener blickte den Brünetten ebenso ein wenig überrascht entgegen und legte dann seufzend den Kopf in den Nacken. Mussten ihn alle bemuttern?
 

„Eh, Arschkrampe“, begann Ian.
 

„Was?“, kam es nur zurück.
 

„Wieder alle Lichter an?“
 

„Immer doch, war nur ein kurzer Stromausfall.“
 

„Worum gings gerade.“
 

Nathan hörte deutlich, dass es wieder keine Frage war, die Ian stellte. Es war ein deutliches ‚Sagt mir gefälligst, was abgeht’. Keine Bitte, ein Befehl.
 

„Um unseren Bruder“, platzte Lindsay heraus und begann, wild mit den Händen zu gestikulieren, den warnenden Blick Nathans ignorierte sie dabei gekonnt. „Blake ist bei einer Schlägerei beinahe drauf gegangen.“
 

“Das wusste ich ja noch gar, Nathan.“
 

„Ich hasse deine scheiß trockene Art, Ian. Ich sagte es nicht, weil es dich nichts angeht“, feuerte er Ian angefressen entgegen. Konnten ihn nicht alle endlich mal mit Blake in Ruhe lassen? Warum verfolgte ihn das so? Immer und immer wieder?

Und warum musste Lindsay es einem eigentlich völlig Fremden erzählen? Das ging Ian nichts an.
 

„Er liegt seit Monaten im Koma und ich will nicht, dass es Nathan auch passiert. Es würde mich umbringen, wenn ich ihn auch noch verlieren würde, wegen diesem scheiß Sport“, brach es aus der jungen Frau heraus. Nathan tauschte einige Blicke mit seiner Schwester, ehe diese stumm aber wütend aus dem Zimmer stampfte.
 

„Hängt der Familiensegen schief oder was?“
 

„Halt die Fresse.“
 

„Ich steh drauf, wenn du so drauf bist.“
 

„Fick dich, Ian. Ich brauche deine Anmachversuche gerade wirklich nicht. Ich dachte, wir hätten das geklärt“, kam es von Nathan, welcher seinen Blick auf Ian legte.

Jener jedoch zuckte nur unbeteiligt die Schultern und kam auf ihn zu.
 

„Weißt du, wie sehr mir das am Arsch vorbei geht? Du musst lernen, aus meinen Worten Ernst und Spaß herauszufiltern, dann verstehen wir uns auch.“
 

„Super, wie einfach das ist! Du sprichst ja auch so gefühlsbetont, da fällt einem das echt einfach. Nur manchmal trieft deine Stimme vor Ironie, Sarkasmus oder Schadenfreude. Echt, du tust mir gar nicht gut. Da wird man depressiv.“
 

„Das kommt dir nur so vor. Vor allem hast du gerade wohl Schmerzmittel bekommen. Das legt sich alles. Wir haben uns die Tage doch so gut verstanden.“
 

„Die Tage. Da gings mir auch nicht so derart beschissen, ich hatte mich mit Lindsay nicht in den Haaren und da warst du nicht so abgefuckt zu mir.“
 

„Was war das mit deinem Bruder?“
 

„Nichts.“
 

„Natürlich.“

Ians Stimme triefte nur so vor Ironie, als er die Hände in der Jackentasche verschwinden ließ und auf Nathan herunterblickte.
 

Schweigend blickten sie sich einen Moment lang einfach nur an. Nathan war nicht einmal ansatzweise davon begeistert, dass Ian hier stand und das wissen wollte. Und er wollte nicht nachgeben. Jedoch bei diesem befehlenden, steinharten Blick, der sich in seine Augen bohrte, war er sich nicht so sicher, ob er lange schweigen wollte – oder konnte.
 

„Wir waren auf einer Hausparty – Blake und ich. Im Highsociety-Viertel von Orlando. Er wollte nach Hause, irgendwann um halb zwei in der Früh, ich jedoch wollte noch bleiben, weil ich ein Mädchen kennengelernt hatte“, begann Nathan und seufzte. Sein Blick richtete sich auf die sterilweiße Wand ihm gegenüber. „Er ging allein, ich folgte ihm nicht. Als ich nach Hause kam, irgendwann um fünf, fand ich meine Mutter heulend in der Küche vor, meine Schwester ebenso und mein Vater kam auf mich zu. Er hat damals das erste Mal die Hand gegen mich erhoben. Ich wusste nicht worum es geht, ehe ich erfahren habe, dass Blake ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Hätte ihn eine folgende Gruppe Jugendlicher nicht gefunden, wäre er wohl jetzt tot. Seit etwas über neun Monate ist er nicht ansprechbar – liegt im Koma.“
 

Es entstand eine kurze Pause, ehe Nathan sich durch die Haare fuhr. „Es ist immer noch nicht klar, wer es war. Blake hatte nie Stress mit irgendwelchen Typen – er war die Mutter Gottes in männlicher Gestalt. Ich war es, der zu der Zeit in Schwierigkeiten war. Man wusste nicht, dass ich einen Zwilling hatte – habe – und sie dachten wohl, ich wäre es gewesen. Es ist meine Schuld, dass das alles passiert ist. Mein Dad hasst mich deswegen, meine Mutter versucht das nicht so zu zeigen und Lindsay … ich glaube, sie kommt darauf auch noch nicht so klar. Ich spreche nicht gern darüber … Seitdem das passiert ist, verfolgt mich das überall hin. Blake ist wie ein großer Schatten geworden, der über mir liegt.“
 

„Also warst du in der Familie das schwarze Schaf, der Rebell?“
 

„War? Ich bin jetzt sogar noch schwärzer geworden, wenn das geht.“
 

Er hörte, wie Ian auf ihn zu kam, sich auf die Bettkante fallen ließ und ihn ansah. Eindringlich ansah. „Sicher, dass alles ok is?“
 

„Wenn du das fragst, klingt das so verdammt gleichgültig.“
 

„Sorry, das ist meine Stimme“, entschuldigt sich Ian, doch dieses Mal hörte Nathan deutlich, dass es nicht ernst gemeint war.
 

„Es tut dir halt nicht leid.“
 

„Nein.“
 

„Gott, du bist so grauenvoll.“
 

„Ian reicht vollkommen aus… Musst du hier bleiben?“
 

„Ich bekomm gleich noch’n Pflaster über die Nase und dürfte dann das Krankenhaus verlassen. Ist ja nichts Schlimmes gewesen.“
 

„Ich warte so lange und nehme dich mit.“
 

„Ian?“, kam dann jedoch die Frage des Schwarzhaarigen.
 

„Hm?“
 

„Warum tust du das?“
 

„Was?“
 

„Ja, das. Du müsstest nicht hier sein“, stellte Nathan recht trocken fest und verkniff sich ein tiefes Seufzen.
 

„Ich weiß, ich bin es aber. Ich mag dich.“
 

„Ian?“
 

„Hm?“
 

„Du bist ok. Zwar ein Arschloch, aber ok.“
 

„Du bist zu gut zu mir“, lachte Ian dann. Ein verwirrter Blick Nathans.
 

„Wow, ich hätte nicht erwartet, dass du lachen kannst“, kam es perplex von dem Jüngeren, welcher den Kopf leicht schief legte.
 

„Nein?“
 

„Nein“, bestätigte Nathan nur und sah, wie die Tür auf ging und eine Schwester ins Zimmer trat.
 

„Ich warte draußen auf dich.“
 


 

21. Mai 2011
 

- Konzertabend –
 

Ok, ich werde gleich auf ein Konzert gehen, dachte er sich, stand vor seiner Reisetasche und starrte diese nur an. Was zur Hölle soll ich anziehen?
 

Normalerweise machte er sich solche Gedanken nicht. Nur heute … Heute hatte er das Vergnügen auf ein Metalkonzert zu gehen, dementsprechend konnte er dort nicht erscheinen, wie er sonst immer herum lief. Wer weiß, ob die ihn dann nicht lynchen würden?

Augen zu und durch, fügte er hinterher und zog einfach eine dunkelblaue Jeans heraus, die schon an den Knien einige Löcher vorzuweisen hatte. Ein schwarzes Shirt, das er mal von seiner Schwester bekommen hatte und dementsprechend einen recht bunten modischen Aufdruck hatte. Klasse.
 

Umgezogen war er recht schnell, die Haare ließ er so und zog beim Verlassen seines Zimmers noch schnell die schwarzen Sportschuhe an. Hoffentlich brachte man ihn wirklich nicht um…
 

Die Treppen waren recht schnell gemeistert – hatte er doch die Zerrung im Bein endlich hinter sich – und schon von weitem sah er Ian vor der Tür warten.
 

Seine Schritte verlangsamten sich, ehe er die Tür aufzog und nach Außen trat.
 

„War nicht die Rede von im Foyer und nicht davor?“, sprach er den brünetten jungen Mann an, welcher sich zu ihm umdrehte.
 

„Hast mich doch gefunden, oder?“
 

Und es ging schon wieder los. Ian war wieder so gnadenlos humorvoll…
 

„Natürlich. Da braucht man nur der arktischen Kälte folgen, die von dir ausgeht.“
 

„Danke.“ Ein schmales Lächeln erschien auf Ians Lippen und er zog seine Schlüssel fürs Auto aus der Hosentasche. „Trinkst du?“
 

„Nein… warum?“
 

„Hast du’n Führerschein?“
 

„Ja?“
 

Und schon wurde ihm der Schlüsselbund zugeworfen und Ian ging vor. „Warte mal!“, rief Nathan hinterher und blickte zwischen dem Bund und Ian hin und her.
 

„Beweg dich einfach. So verletzt kannst du nicht mehr sein“, hielt Ian dagegen und kam vor einem dunklen Porsche stehen. Geschmeidig schwang er sich über die geschlossene Tür auf den Beifahrersitz und Nathan konnte erkennen, dass der Ältere ihn zu sich winkte.
 

Verpeilt bewegte er sich dann ebenso auf den Wagen zu und starrte das Gefährt an. „Deiner?“
 

„Natürlich.“
 

„Wo hast du das Geld für diesen Wagen her?“
 

„Er war Schrott. Ein einziger Schrotthaufen. Mein Ex hat mir geholfen, ihn auf Fordermann zubringen.“
 

„Ok“, gab Nathan von sich, ließ sich ebenso in den Wagen gleiten und startete ihn wenige Sekunden später. „Sicher, dass du mich fahren lassen willst?“
 

„Du meinst, du trinkst nichts. Also brauch ich einen Fahrer. Ich vertrau dir mein Baby einfach an“, meinte Ian betont kühl und meinte es dementsprechend auch recht ernst. „Ich sag dir schon, wo du hin musst“, meinte der Brünette noch hinterher und erntete ein Nicken von Nathan.
 


 

Es dauerte einige Minuten, ehe sie dort ankamen, wo sie hin wollten.

Eine beachtliche Menge an Autos stand bereits auf dem großen Parkplatz vor dem Open-Air-Gelände und sehr viele Menschen schienen heute Abend hier her gepilgert zu sein. Nathan parkte den Wagen sicher ein, stieg aus und folgte Ian dann. Einige begrüßten den Älteren, bei einigen hielten sie an und Nathan lauschte den kurzen Gesprächen zwischen Ian und den Unbekannten. Es ging meistens nur darum, was passiert ist die letzten Wochen und halt diese typischen Smalltalk-Gespräche, die man halt so führte. Letztlich drängelten sie sich durch eine recht beachtliche Masse Menschen und kamen recht weit vorn in der Mitte zum Stehen.
 

„Woher kennst du die alle?“
 

„Ich bin oft unterwegs. Die meisten-“
 

„Hattest du schon im Bett, alles klar“, beendete Nathan Ians angefangenen Satz. Warum fragte er überhaupt noch? Ian nagelte immerhin alles, was bei drei nicht auf den Bäumen war. Daher sollte er sich doch langsam mal solche Fragen sparen, oder?
 

„Genau, woher weißt du das nur?“
 

„Neunter Sinn oder was“, antwortete er nur darauf und wollte nicht weiter darauf herum reiten. Ihn ging das Sexleben seines neu gewonnen Kumpels nichts an. Oder besser, er wollte nichts davon wissen.
 

„Eine Frage noch, Nathan.“
 

„Bitte?“
 

„Hast du starke Nerven?“
 

„Ich hab Lindsay als Schwester. Ich denke, ja.“
 

Er erhielt ein zufriedenes, mattes Lächeln des Älteren, ehe dieser seinen Blick auf die Bühne richtete. Nathan tat es ihm gleich.
 

Die Instrumente waren bereits aufgebaut und die Lichter an, nur von den Musikern war noch keine Spur zu sehen. Ob sie wohl eine Vorband hatten? Er würde es ja sehen…
 

Einige Minuten verbrachte Nathan damit, sich ein wenig umzusehen und damit, ein wenig vor- und zurückzutreten, sobald einige Menschen begannen zu drängeln. Und spätestens als die ersten Weiber anfingen zu kreischen, so wusste man, das Konzert würde jetzt gleich anfangen. Die Lichter änderten sich und die erste Person kam auf die Bühne, trat hinter das Drumset und erhielt lautes Geschrei. Eine weitere Person erschien, fasste den Bass, hängte ihn sich um und riss in typischer Rockstarmanier schon einmal beide Arme in die Höhe und erhielt ebenso tosende Zustimmung. Zwei weitere junge Männer folgten und entpuppten sich als Gitarristen, danach folgten nur noch die beiden Sänger. Und der eine der beiden schoss für Nathan echt den Vogel ab.
 

„Das ist A.J. Er wird sich dir auch so vorstellen – eigentlich heißt er Mike“, wurde ihm von Ian ins Ohr geflüstert. „Und der Gitarrist dort.“

Nathan folgte dem Fingerdeut des Älteren. „Das ist Seth, sein Freund. Die anderen werden sich dir nachher ohnehin vorstellen“, erklärte Ian noch und Nathan nickte.
 

Die Stimmen der Sänger, bei ihrer Begrüßung, rissen ihn aus seiner Gedankenwelt. Jetzt würde es also losgehen…
 


 

Zwischen harten Gitarrenriffs, Basssoli und bebenden Drumms, fühlte sich Nathan zunehmend fehl am Platz. Irgendwie war diese Art der Musik nicht seins. Die Art von Geschrei, Gesang und dem Text an sich, war nicht seine Welt. Er hörte nun einmal nicht Heavy Metal, konnte nicht einmal mit Rockmusik etwas anfangen und mit Pop konnte man ihn loswerden, wenn man wollte. Und diese Band schaffte es, all diese Elemente in sich zu vereinen und das hieß im Umkehrschluss, dass er diese Band von der Musik her nicht mochte…. Erst recht nicht die Zwischeneinlagen, die zwischen dem einen Gitarristen und dem Screamer vorkamen. Nichts gegen Schwule – wie gesagt – aber dennoch empfand er solchen Fanservice doch eher unangebracht.

Es waren immerhin nicht nur irre Fangirls und homosexuelle Fans vorhanden. Nein, man glaubt es kaum, aber er stand hier als richtiger Mann zwischen all diesen kreischenden Wesen und dachte sich seinen Teil.
 

Ein Song nach dem anderen und Nathan hatte mehr und mehr das Gefühl, schreiend davon laufen zu wollen. Und so langsam war er sich auch nicht mehr ganz so sicher, ob er überhaupt noch die Lust hatte, diese Irren da kennenzulernen.
 

„Komm.“

Er hatte gar nicht mitbekommen, dass es bereits zu Ende war. Hatte er so lange vor sich hin gedacht und gehofft, dass es endlich ein Ende hätte, dass er das richtige Ende verpasste?

Wow…
 

Eine Hand fasste seine und es dauerte eine ganze Weile, bis er verstanden hatte, was Ian meinte.
 

Auf dem Weg hinter die Bühne, hörte er die Frage: „Wie fandest du’s?“, von Ian.
 

„Ist und bleibt nicht meine Musik“, sagte er und machte seine Hand aus der Ians los. „Und ich bin nicht gerade so davon begeistert, die jetzt kennenlernen zu müssen“, meinte Nathan ehrlich.
 

„Du bist echt die totale Spaßbremse, Nath“, konterte Ian jedoch nur nüchtern und verpasste dem Schwarzhaarigen einen Schlag an den Nacken.
 

„Und du bist’n Arsch.“
 

„Ich weiß das, aber danke, dass du mich daran erinnert, Babe.“
 

„Hm…“
 

Schweigend folgte Nathan ihm, bis sie endlich im ‚Backstage’-Bereich angekommen waren. Es sah aus … wie eine ganz normale beschissene Wiese. Nur dass so etwas wie eine Plane auf dem Boden lag und ein paar Tische herum standen, auf welchen wiederum irgendwelche Dinge standen, die dem Zeug glichen, welches Lindsay in ihrem Regal stehen hatte. Zudem fand man noch ein paar Klappstühle und ein paar Kisten Bier dort herum stehen. Nur von Musikern war keiner zu sehen.
 

„Keiner da, wir können gehen.“
 

„Du bleibst hier“, sagte Ian, hielt ihn am Arm fest und zog ihn mit Leichtigkeit wieder näher zu sich. „Ich bin angemeldet. Die wissen, dass ich mit’nem Kumpel komme. Nur ‚Fans’ sind halt wichtiger, damit das Image bestehen bliebt“, wurde ihm erklärt und es war ein kellertiefes Seufzen von Nathan zu hören. Tja, da hab ich wohl Pech gehabt, dachte er sich und schob die Hände in seine Hosentaschen. Hieß es jetzt, hier herumstehen und warten? Hm, bestimmt. Nur hoffentlich dauerte das hier nicht zu lange…
 


 

„Ian, Alter!“, hörte man es von hinten gut gelaunt und beide drehten sich zu der Stimme um.
 

Ok, hatte dann ja doch nur… zehn Minuten gedauert…
 

Nathans Blick fiel auf einen etwas kleineren jungen Mann, dessen Haare ungefähr schulterlang und pechschwarz waren. Er trug eines dieser Kopftücher, wie es bei den meisten Rappern üblich war. Ansonsten steckte er ohnehin in recht lockeren Klamotten. Ein engeres Shirt, dazu eine weitere schwarze Baggyjeans und weißschwarzkarierte Vans. Das war der Kerl, der hinterm Bass gestanden hatte, soweit sich Nathan erinnerte. Er hatte nicht aufgepasst…
 

„David, hey“, gab Ian von sich und ein lockerer Handschlag, sowie eine lockere Umarmung fanden statt.
 

„Und das ist?“
 

„Das ist Nathan.“
 

Angesprochner hob kurz die Hand und lächelte ein wenig gequält. Es würde jedem auffallen, dass er eher unfreiwillig hier war…
 

„Jo, setzt euch. Die anderen kommen gleich hier her. Ich bin vor einer Horde wilder Weiber geflüchtet. Bier?“
 

Nathan lehnte ab, ließ sich in der Nähe zu Ian auf einen der Stühle fallen und hörte dann der folgenden Konversation zu, die zwischen Ian und dem Bassisten der Band entstand. Super. Er war nur der Zaungast. War vielleicht auch ganz gut so. Wenn es um Skaten oder BMX ging, konnte er nicht mitreden. Das war noch nie so sein Gebiet gewesen.

Also hing er wie ein Schluck Wasser auf seinem Stuhl, drehte das leere Glas – in welchem gerade noch Wasser gewesen war – hin und her, das David ihm in die Hand gedrückt hatte.
 

Sein Blick glitt durch die Umgebung, man hörte immer noch einige Stimmen der Fans, aber es dauerte nicht lange, bis amüsiertes Lachen und Stimmen näher kamen.
 

Der Rest der Band gesellte sich ebenso zu ihnen.
 

David sowie Ian erhoben sich, Nathan tat es ihnen gezwungener Weise nach.
 

„Ian, Kerl, lange nicht mehr gesehen“, kam es von einem weißhaarigen jungen Mann, der auch gut eine Frau hätte sein können. So feine Gesichtszüge und eine weiche Art, sich zu bewegen. Er war der erste Sänger, das wusste Nathan auch noch in Verbindung zu setzen, aber ansonsten…
 

„Jo, man!“
 

In den folgenden Minuten ging Nathan vollkommen unter. Während der fröhlichen Begrüßungszeremonie bekam er mit, dass der Weißhaarige Mikael hieß.

Der Drummer, der ihn von der Haarfarbe an ein Stinktier erinnerte, hieß Sam.

Der schwarzhaarige erste Gitarrist, dessen Hosen sicherlich aus einer Damenabteilung stammten und dessen Shirt mindestens zwei Nummern zu klein war, hieß Vivian und war eher etwas zurückhaltend.

Mike, der Screamer, so wie Nathan von Ian wusste, war irgendwie der auffälligste Typ der ganzen Band. Er trug ebenso schwarze Haare, die jedoch auf der rechten Seite wesentlich länger waren als auf der linken und mit orange-roten Strähnen durchzogen waren. Er trug nur ein durchlöchertes Tanktop, durch welches man jedes der vielen Tattoos sehen konnte und eine zweifarbige Hose, ebenso zweifarbige Cowboystiefel. Irgendwie irritierte der Look des Screamers Nathan zunehmend.

Der einzige, welcher Nathan einigermaßen menschlich erschien, war der zweite Gitarrist. Seth hieß er. Er hatte braun-schwarze Haare, trug normale schwarze Jeans, Chucks und ein T-shirt mit dem Bandlogo. Aber er schien wirklich der Normalste von allen zu sein…
 

Nathan hatte sich inzwischen wieder gesetzt und hoffte, nicht aufzufallen oder gesehen zu werden. Aber seine Rechnung ging nicht auf.

David, der kannte ihn ja immerhin schon, meinte allen Ernstes ihn vorstellen zu müssen.
 

„Ian hat Frischfleisch mitgebracht“, gab der Bassist von sich und deutete auf den leicht verpeilten Nathan, welcher wirklich etwas unbeholfen zwischen den Leuten hin und her blickte, sich von seiner Position erhob. „Ähm, ja. Hi. Bin Nathan“, stellte er sich vor und kam sich beinahe peinlich vor, weil der Rest der Band ihn nur dämlich anstarrte.

Letztlich war es Seth, welcher auf ihn zu kam, ihm die Hand reichte. „Seth“, stellte er sich noch einmal vor, lächelte ihn an. „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du klingst, wie Andy, wenn du sprichst?“, sagte ihm der zweite Gitarrist und das Lächeln der gepiercten Lippen wurde breiter.
 

„Wer zur Hölle ist Andy?“, fragte er perplex und kam sich total unwissend vor, als alle anfingen zu lachen.
 

„Sag nicht, du hast noch nie was von B.V.B gehört?“
 

„Ich glaub, ich hab mal was über einen deutschen Fußballverein gelesen…“
 

Was darauf kam, war beinahe episch. Alle Personen, die um ihn herumstanden, schmissen sich beinahe auf den Boden, lachten und bekamen kaum mehr Luft. Nathan hingegen zog die Augenbrauen zusammen und bekam gar nicht mit, wie ihm geschah. Peinlich, das war das einzige Wort, welches ihm dazu einfiel.
 

„Alter, mach dich nicht lächerlich“, kam es von Ian.
 

„Du Arsch“, fauchte Nathan nur zurück.
 

„B.V.B ist die Abkürzung für Black Veil Brides. Das ist eine Band, du Genie“, brachte David heraus und rang nach Atem. „Das ist echt episch. Wo hast du den denn aufgegabelt, Ian?“
 

„In meinem Hotel…“, gab jener als Antwort und jeder beruhigte sich wieder. „Ich hätte ihm einen Crashkurs verpassen sollen…“
 

Wie bestellt und nicht abgeholt, stand Nathan da und wünschte sich nur ein Loch, in welches er kriechen konnte.
 

So etwas ist ihm ja schon seit Jahren nicht mehr passiert, dass er der Hauptgrund für einen Lachanfall war.
 

„Jetzt beruhigen wir uns erst einmal, atmen alle tief durch und setzen uns.“
 

Nathan spürte, wie sich ein Arm um seine Schulter legte und sah dann zu dem recht groß gewachsenen Mike hinauf. Rote Augen sahen ihm entgegen und ein merkwürdig lässiges Lächeln erschien auf dessen Lippen. Nathan ließ sich auf den Stuhl fallen, spürte, wie Mike ihm auf die Schulter klopfte. „Kann ja nicht jeder in der Scene unterwegs sein“, wurde ihm von Mike gesagt und Nathan nickte leicht.
 

Das war echt fies, wirklich.
 

Auf seiner anderen Seite saß auf einmal Seth, welcher ihn nur aufbauend anlächelte und ihm gegenüber grinste sich Ian einen ab. In seiner eiskalten, arroganten Art, die der Kerl eben an den Tag legte.
 

„Bist ja total verspannt, werd’ mal locker“, kam es dann nach einer Weile recht belustigt von Mike.
 

„Ich bin total locker“, antwortete Nathan, jedoch wenig überzeugend.
 

„Hm, merkt man. Kann es sein, dass du total unfreiwillig hier bist?“, fragte Seth nach, bohrte seinen Blick beinahe in Nathans Augen. Jener blickte nur leicht verpeilt in die grünen Augen seines Sitznachbarn und seufzte dann.
 

„Ein bisschen, Ian hat mich ja nicht direkt gezwungen… Er meint nur, mich von anderen Musikgenres überzeugen zu müssen“, gestand der wohl Jüngste in der Runde und begann, auf seine Knie zu starren.
 

„Ach, dann bist Du der Kerl, von dem er erzählt hat, der sich freiwillig prügelt?“, brachte Seth lachend heraus und hob die Augenbraue.
 

„Dann bin ich das wohl, ja. Was hat er gesagt? Wenn’s mies ist, muss ich ihn töten“, lachte nun auch Nathan.
 

„Nein, so schlimm ist es nicht, glaube ich“, hörte er von der anderen Seite und sah darauf folgend Mike groß an.
 

„Was hat er gesagt?“
 

„Nichts eigentlich …“
 

„Hat er wieder gesagt, dass es nur zu gravierenden Hirnschäden führt?“, fragte Nathan nüchtern.
 

„Ja“, kam es beinahe resignierend von Mike zurück.
 

„Ach, das weiß ich schon.“
 

„Und die andere Sache?“
 

„Hm?“, machte Nathan darauf hin nur und sah zu Seth rüber.
 

„Die Sache mit … du weißt schon.“
 

„Ach du meinst das“, kam es wissend von Nathan. „Ich bin nicht sein Typ. Und wenn, hätte er ohnehin nichts zu lachen“, grinste Nathan vor sich hin und wusste ganz genau, welches Thema Seth meinte.
 

„Gute Einstellung“, lobte Seth ihn und tätschelte seine Schulter. „Wirklich gute Einstellung. Ian ist ja eigentlich ein ganz umgänglicher Typ, es sei denn, es geht zu weit. Wobei, küssen kann er gut.“
 

„Seth!“, motzte Mike gleich gespielt hysterisch drauf los. „Warst du mir untreu?“
 

„Aber natürlich. Jede Nacht, Schätzchen, jede Nacht in der wir nicht zusammen sind.“
 

Verwirrt blickte Nathan hin und her. „Ihr seid wirklich zusammen?“, fragte er.
 

„Ja“, kam es im Chor von den beiden zurück.

„Wie könnten wir nicht?“, hängte Seth hinterher.
 

„Weiß nicht … Ian erzählt viel Mist, habe ich feststellen müssen.“
 

„Wir kennen uns seit 2006 und sind seit gut drei Jahren zusammen. Aber wann zur Hölle hast du Ian geküsst?“
 

Mike lehnte sich etwas nach vorn und sah über Nathan hinweg zu seinem Freund.
 

„Wir haben Flaschendrehen gespielt, weißt du noch? Letztes Jahr Helloween? Ich habs ja nicht gewollt, aber ich musste ja“, hörte Nathan Seth sagen. „Du hast Dora küssen müssen – Davids damalige Freundin, erinnerst du dich?“
 

„Uh, erinnere mich bitte nicht daran“, knurrte Mike vor sich hin und winkte das Thema unter den Teppich. „Dir sei vergeben, Babe.“
 

„Mum hat schon recht, wenn sie die Schwulen ein merkwürdiges Völkchen nennt“, meinte Nathan zu sich selbst und sank in seinem Stuhl ein wenig nach unten. Gott, er würde mit diesen Menschen niemals klar kommen können. Nicht, weil diese schwul und komisch waren, nein. Weil sie einfach nur komisch waren. Irgendwie verstand er nicht, was in den Köpfen dieser Musiker vorging.
 

„Merkwürdiges Völkchen? Wir haben nur Spaß am Leben. Das könnt ihr verklemmten Heteros ja nicht!“
 

„Das sagst du so vor dich hin, Alter“, konterte Nathan nur und blickte in Mikes rote Augen.
 

„Sicher?“
 

„Natürlich haben wir Spaß. Manchmal…“
 

„Ha! Siehst du? Ist doch langweilig immer normal zu sein. Hast du mal in den Spiegel gesehen? Du siehst aus wie ein ganz normaler Typ. Voll Mainstream.“
 

„Soll ich etwa zum nächsten Frisör rennen, mir’n Sidecut scheiden lassen und mich tätowieren lassen, oder was? Danke, ich bin mit meinem Aussehen glücklich. Dann bin ich eben Mainstream“, hielt er gegen Mikes Aussage und erntete ein Lachen von der anderen Seite.

Ein kurzer Blick zur Seite und er sah, wie Seth leise vor sich hin lachte und den Kopf in den Nacken fallen ließ.
 

„Was ist daran so lustig?“, fragte er nach, hob eine Augenbraue und hoffte inständig darauf, dass wenigstens Seth so freundlich war, um ihm mal etwas mitzuteilen.
 

„Die Tatsache, dass du einer der wenigen bist, die sich nicht verändern wollen. Aber dein Blick war einfach nur genial“, schaffte es Seth zu erklären und drehte seinen Kopf so, dass er Nathan direkt anblicken konnte, nachdem er sich beruhigt hatte.
 

„Aber Mainstream ist voll out. Bist du bis dahin noch nicht gekommen?“, versuchte Mike es noch einmal, doch sagte der Blick des Screamers sofort aus, dass er wusste, dass er verloren hatte.
 

„Lass ihn doch einfach, Mike. Du hast es bei mir auch nicht geschafft, mich zu überzeugen.“
 

„Nein? Wer hat sich denn letztes Jahr zum Piercer getraut? Hm, hm, hm?“
 

Nathan sah zwischen dem Pärchen hin und her, in dessen Mitte er ja nun saß und kam zu dem Ergebnis, dass sie einfach so verdammt unterschiedlich waren und dennoch so gut zusammen zu passen schienen.

Zwar war es komisch für ihn, gerade in der Mitte eines schwulen Pärchens zu sitzen, aber es war irgendwie doch ok.
 

Sie waren einfach… irgendwie normal. Auch wenn Mike so anders war, so speziell. Mit seinem Aussehen.... Mit dieser komischen, klischeehaft angehauchten schwulen Stimme. Wobei er ganz anders sang – das hatte er ja nun mitbekommen. Und Seth war so normal.
 

„Und? Ich hab nur lange gebraucht, um mich zu entscheiden. Du weißt, dass ich eine Nadelphobie habe.“
 

„Nadelphobie? Hast du dich K.O schlagen lassen, als du da warst, oder was?“
 

Ein merkwürdiger Blick lag auf einmal auf Nathan.

Wieder einmal wusste er nicht, was er falsch gemacht hatte, oder was er Falsches gesagt hatte. Langsam wurde es ihm echt zu komisch hier. Immer diese ewigen komischen Blicke, die ihn fragend und fordernd zugleich ansahen. Was sollte das?
 

„Nein. Nicht wirklich. Ich hab einfach an was anderes gedacht…“
 

„Und das hat geklappt? Ich hab die Frau damals angestarrt, als sie mit dem Ding um die Ecke kam, als wolle sie mich umbringen…“, gestand er dann. An etwas anderes denken, wiederholte Nathan für sich im Kopf. Nein, damals hat das bei ihm nicht geklappt. Obwohl es im Endeffekt gar nicht so schlimm gewesen ist, wie er immer gedacht hatte.
 

„Du hast Piercings?“
 

„Ja, im Moment nicht. Lippe ist von Innen noch nicht wieder ganz heil.“
 

„Scheiß Kampfsport was?“, grinste Mike ihn von der anderen Seite an und wippte mit der linken Augenbraue ein wenig in die Höhe.
 

„Nein, einfach nur scheiß Deckung.“
 

„Du Freak.“
 

„Das muss echt der Richtige sagen, hier“, konterte Nathan nur. Doch trug auch er jetzt ein Lächeln auf den Lippen.
 

So schlimm waren die ja doch nicht. Wobei, Mike und Seth waren nicht schlimm. David war ihm schon wieder ein wenig zu komisch und die anderen hatte er noch nicht so gut ins Auge fassen können…
 

„Ich zieh mir eben etwas anderes an. Bin gleich wieder da.“
 

Seth erhob sich, trat aber kurz zu Mike und drückte diesem einen Kuss auf die Wange, flüsterte ihm noch etwas zu, ehe er mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen in die Richtung des Tourbusses verschwand.
 

Mike sah ihm noch kurz hinterher, ehe er sich wieder zu Nathan drehte.
 

„Rauchst du?“, wollte Mike wissen.
 

„Nein.“
 

„Kommst du trotzdem mit?“, wurde er von Mike gefragt.
 

Und wenn er ehrlich war, war es vielleicht ganz gut, das Weite zu suchen. Mike war ja auch nicht gerade der beste Gesprächspartner, aber so gesehen, folgte er ihm doch gern.
 

„Ok“, gab er von sich und erhob sich beinahe synchron mit dem Screamer.
 

Langsam folgte er Mike, lief schweigend neben ihm her, während sie sich immer weiter von der kleinen Gruppe entfernten und in die nächtliche Welt dieses Parks oder was auch immer es war, eintauchten. Seine Hände in die Hosentaschen steckend, begann er, den Boden zu betrachten, auf welchem er lief. Seine Gedanken drifteten, wie so oft an diesem Tag, ab. In eine Richtung, die er selbst nicht ganz definieren konnte. Und die angenehme Stille, die zwischen ihnen herrschte, trug nicht gerade zu seiner eigenen Ablenkung bei.
 

Das einzige, was ertönte – neben ihren Schritten und dem regelmäßigem Atmen – war das Klicken eines Feuerzeuges. Ein Blick zur Seite und er sah, wie Mike einen langen Zug an der Zigarette nahm, den Rauch aber wenig später auch wieder ausstieß.
 

„Du willst irgendwas sagen. Spucks aus“, meinte Mike dann irgendwann ruhig, riss Nathan damit aber vollkommen aus seiner kleinen Gedankenwelt, in welcher er zu versinken drohte.
 

„Will ich das?“ kam es zurück.
 

„Ja, willst du.“
 

Leise seufzte Nathan. Mike wurde langsam gruselig.
 

„Wie lange kennst du Ian?“
 

„Reicht lange genug?“
 

„Genauer wäre mir schon lieb. Ian geht mir damit schon auf die Nerven, wenn er nur in halben Sätzen spricht.“
 

„Ok… Im September zwei Jahre.“
 

„Und wie gut?“, fragte Nathan weiter und blieb stehen, als auch Mike stehen blieb.
 

„Gut genug. Manchmal sogar zu gut. Warum?“
 

„Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich auch mal ein wenig mehr über ihn wissen will? Ich weiß gar nicht, mit was für einer Person ich es zu tun habe.“
 

„Mit einem Arschloch?“, kam die rhetorische Frage zurück und Nathan seufzte erneut. Damit hatte er schon gerechnet, wenn er ehrlich sein sollte. So kam Ian auch rüber.

„Er ist kompliziert, drücken wir es mal so aus.“
 

„Das hab ich mir schon gedacht“, sprach Nathan seine Gedanken aus, zuckte angedeutet die Schultern und verkniff sich vorerst jegliche weiteren Kommentare.
 

„Hm.“
 

„Dabei ist er eigentlich recht … human, wenn ich mir seine Verhaltensweise angucke…“
 

„Du kennst ihn noch nicht lange genug, Nath.“
 

„Nathan, bitte.“
 

„Nathan“, wiederholte Mike, grinste vor sich hin und schüttelte leicht den Kopf, ehe er einen weiteren Zug von der Kippe nahm. „Er mag jetzt noch ‚human’ sein“, sagte Mike, setzte das Human mit den Fingern in Anführungszeichen. „So wie du es nennst... aber glaub mir, er ist wirklich nicht leicht zu handhaben, der Gute. Manchmal, aber wirklich nur manchmal, ist er das absolute Gegenteil zu dem, was er jetzt ist. Jetzt ist er kühl, unnahbar und ‚geheimnisvoll’ wie viele es sagen. Aber manchmal, da gibt es Tage, da steht er halb verzweifelt vor einem und bittet darum, ihn einfach nur mal in den Arm zu nehmen.“
 

„Und das weißt du woher?“
 

„Erfahrung.“
 

„Oh…“
 

„Ja, oh“, lachte Mike jedoch nur trocken, aschte ab und setzte sich wieder in Bewegung, sodass Nathan ihm beinahe hinterher rennen musste. „Ian ist zwar älter als ich es bin. Aber manchmal erinnert er mich ein wenig an mich selbst, wenn ich ehrlich sein darf.“
 

„Darfst du“, kam es nur von Nathan zurück. Seinetwegen könnte man vor ihm einen kompletten Seelenstrip veranstalten, ohne dass es peinlich sein müsste. Wirklich. Vor allem, weil er alles, was man ihm sagte, ohnehin für sich behielt.
 

„Früher, in der Zeit, als ich Seth kennengelernt habe, hatte ich mich selbst entschieden, eine Rolle zu spielen, in die ich nicht hinein passte – rein vom eigenen Gefühl her. Ich bin schwul – wie du ja schon weißt und das ist bei Gott nicht einfach gewesen. Damals hatte ich leichte Probleme mit mir selbst und einfach mit allem um mich herum.

Bei Ian ist es nicht anderes. Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf…“, fing Mike an, stoppte aber mitten im Satz, zog an der Kippe und blickte überlegend in den Nachthimmel.

Ebenso blieb er stehen und hielt auch somit Nathan dazu an, stehen zu bleiben.
 

„Ich werds schon nicht weiter sagen…“
 

„Er ist siebenundzwanzig, das weißt du?“
 

„Ja. Das hat er mir bereits gesagt.“
 

„Weißt du auch, dass er mal verlobt war?“, wollte Mike wissen, ließ seinen Blick wieder zu dem Kleineren neben sich wandern.
 

„Nein, das wusste ich nicht… Wirklich?“
 

„Ja, wirklich. Ich habe sie zwar nie kennengelernt, das war vor der Zeit, in der ich ihn kannte, aber sie muss wirklich toll gewesen sein. Amanda hieß sie. Sie hatten sogar eine Tochter gehabt.“
 

„Er ist Vater?“
 

Überraschung schwang deutlich hörbar in Nathans Stimme mit. Ian war bei Gott nicht der Typ für eine Ehefrau, oder eine Verlobte und erst recht war er nicht der Typ für eine Familie – Kinder und … all das, was zu einem richtigen Familienleben dazu gehörte.
 

„Er war Vater. Als er neunzehn war kam seine Tochter zur Welt – er ist also früh Dad geworden. Aber er hat sich wirklich bemüht.“
 

„Was ist passiert?“, wollte er wissen, nahm die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte stattdessen die Arme vor der Brust.

Neugierde?

Ja, ein wenig.
 

Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass jemand, der so war, wie Ian, fähig war, eine Frau und Kinder zu haben. Wirklich nicht.

Konnte Ian überhaupt lieben?

So kühl wie er war, so trocken und emotionslos? Der sich durch die Weltgeschichte hurte und eine Frau oder einen Kerl nach dem anderen flachlegte?
 

„Cassy, so hieß seine Tochter, hatte einen angeborenen Herzfehler. Einmal im Suff hat Ian davon erzählt gehabt. Eigentlich war es ein fröhlicher Abend gewesen, bis er das dann erzählte.“
 

„Was?“
 

„Er saß da, die Pulle Vodka in der Hand, blickte uns alle an und meinte dann, uns erzählen zu müssen, warum seine Tochter gestorben war. Aber das schlimmste war, was Cassy wohl gesagt hatte, als sie selbst wusste, dass sie sterben würde. Sie war erst fünf gewesen…

Wie würdest du dich fühlen, wenn deine eigene Tochter sagt, dass du keine Angst und Sorgen mehr haben musst, weil sie auf dich aufpassen wird? Weil sie ja ein Engel werden wird?“
 

Nathan war sprachlos.

Ohne irgendetwas zu erwidern blickte er einfach nur auf Mike, welcher einen letzten Zug an der Zigarette nahm, diesen auf den Boden schmiss und ein tiefes Seufzen ausstieß.
 

„Ich hab beinahe geheult – ok, ich hab es nachher wirklich getan… Man guckt Ian immer nur vor den Kopf, denkt, er sei der harte Kerl, den nichts umhaut. Und dann das… Denk dir also bitte nicht zu viel bei dem, was er macht, ja? Eigentlich ist er total in Ordnung, ich glaube, dass es einfach nur ein Spiel ist, das er spielt, damit er nicht er selbst sein muss. Es nimmt ihn immer noch sehr mit. Ich weiß ja nicht, wie lange du gedenkst, hier zu bleiben oder mit Ian zu verkehren, aber urteile nicht zu hart über ihn ja? Und sein ewiges Gelaber vonwegen, er würde alles flachlegen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, ist absoluter Schwachsinn. Ich weiß von zwei experimentellen Beziehungen zu zwei Typen – der eine hat ihm beim Auto geholfen. Ansonsten hat er es mit Frauen versucht, aber bisher nie lange mit einer zusammen geblieben…“
 

„Also ist er gar nicht so’n Wichser?“
 

„Nein, nicht wirklich. Er ist nur ein begnadeter Schauspieler und das schon seit Jahren. Vielleicht sagt er dir mehr.“
 

„Warum sollte er das tun?“
 

„Weil er bisher noch nie jemanden mit zu einem Konzert gebracht hatte und meistens auch eher allein vorbei kam. Bist also eine große Ausnahme.“
 

„Soll ich mich geehrt fühlen?“, fragte Nathan spaßeshalber nach um die gedrückte Atmosphäre ein wenig zu lockern. Ein Versuch, der nur mäßig funktionierte.
 

„Fühl dich wie du willst. Aber sprechen wir über was anders. Über dich zum Beispiel.“
 

„Da gibt’s nicht viel.“
 

„Nein? Wirklich nicht? Familie, Freunde, Freundin? Ich kann davon ausgehen, dass du keinen Freund haben wirst.“
 

Ein dämliches Grinsen erschien auf Mikes Lippen, als er diese Frage stellte und Nathan musste automatisch mitlächeln.
 

„Familie kannste in die Tonne treten, Freunde habe ich nicht wirklich – ich habe keine Zeit dafür und eine Freundin kann ich auch nicht gebrauchen.“
 

„Sorry, aber… Jemand wie du hat keine Freundin?“
 

„Was ist daran so schlimm? Ich hab kein Bock auf’n Weib, das mir an den Hacken klebt. Ich hab andere Probleme!“
 

„Die da wären?“
 

„Verzeih mir bitte, aber das geht dich nichts an. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die gleich einen Seelenstrip abziehen. Dafür muss ich Menschen erst vertrauen können.“
 

„Ok, kann ich verstehen“, kam es nur von Mike.

Nathan hingegen war überrascht. Normalerweise begannen die Leute spätestens an dieser Stelle richtig zu bohren. Aber das war bei Mike nicht der Fall. Es überraschte ihn wirklich. Aber auf der anderen Seite war er ganz froh, dass der Größere es einfach hinnahm und nicht weiter fragte.

„Ich würde auch wildfremden Menschen nichts erzählen, was zu privat ist. Ich frage einfach in einem viertel Jahr noch mal nach.“
 

Langsam schlich sich ein Lächeln auf Mikes Lippen und Nathan nickte nur beruhigt.
 

„Hast du Geschwister?“, kam der Screamer jedoch wieder auf das Familienthema zurück.

Immerhin waren solche Informationen nicht zu privat und irgendwann wüsste man es ohnehin, ob da Geschwister oder was auch immer vorhanden waren.
 

„Eine jüngere Schwester und einen Zwillingsbruder“, antworte Nathan nur ruhig darauf, setzte sich wieder in Bewegung und hörte, wie Mike ihn folgte.
 

„Du hast ehrlich einen Zwilling?“
 

Jetzt war es Mikes Stimme, in welcher Überraschung mitschwang.
 

„Ja. Ian konnte es auch kaum glauben. Aber so etwas gibt es wirklich.“
 

Ironie triefte aus den gesprochenen Worten des Sportlers. Warum konnten nur so wenige Leute glauben, dass er einen Zwilling hatte?

Weil dieser nicht hier war?

Weil er ihn nicht vorstellen konnte, oder woran lag es?
 

„Haste den zu Hause gelassen?“
 

„Sozusagen, ja“, gab er von sich. Im Grunde war es so. Also, wenn man es von sehr weit entfernt betrachtete. Aber genaueres wollte er Mike dazu auch nicht sagen. Wie gesagt, es ging den Screamer nichts an, so sympathisch dieser auch noch sein mochte.
 

„Und ihr seid euch wirklich ähnlich?“
 

„Vom Aussehen, ja. Von der Lebenseinstellung eher weniger. Er ist der Familien- und gleichzeitig Karrieremensch. Er mag solche Musik, die ihr macht. Er hält nichts von Streetdance, hat mich aber immer unterstützt. Er hat eine ganz andere Stimme als ich, spricht er etwas höher und weicher. Er ist ein bisschen kleiner, ein wenig schmaler gebaut. Aber sonst sind wir uns ähnlich“, erklärte Nathan.
 

„Du tanzt?“, wollte Mike dann jedoch sofort wissen und Nathan strich sich die Haare zurück, schüttelte den Kopf.
 

„Nein, nicht mehr. Ich habe vor... puh… ich glaube andertalb Jahren aufgehört und mich dem Muay Thai zugeschrieben.“
 

„Machst du das wirklich gern? Ich meine, is’ doch scheiße, sich freiwillig schlagen zu lassen.“
 

„Ich fahre nicht oft mit auf Turniere wie dieses hier. Eigentlich war das hier das größte, auf dem ich bisher war. Ich finde eher gefallen an dem Training in der Halle. Das Prügeln an sich hat nicht so den Reiz, aber es gehört dazu“, erklärte er ihm und zuckte erneut mit den Schultern. „Und es hat den Effekt, dass mich die Pisser aus meinem Viertel in Ruhe lassen. So fallen nervige Auseinandersetzungen schon einmal weg.“
 

Mike grinste auf diese Aussage hin nur und nickte wissend. „Respekt?“
 

„Den, den ich nie hatte, ja“, lachte Nathand darauf und auch Mike lachte.

Es klang in den Ohren des Jüngeren merkwürdig, irgendwie hatte Mikes Lachen Ähnlichkeit mit einer Henne. Solche Glucksgeräusche gab nicht einmal seine Schwester von sich.

Aber es passte zu Mike, es passte einfach zu ihm, genau wie die schrille und ungewöhnliche Erscheinung, die der Screamer an den Tag legte.
 

„Nathan, wie alt bist du?“, hörte er die Frage, nachdem sie sich beide wieder etwas einbekommen hatten.
 

„Nächsten Monat neunzehn. Warum fragst du?“
 

„Nur so. Du kommst mir irgendwie älter vor.“
 

Leicht seufzte Nathan auf und seine Schultern sanken eine Etage nach unten. „Nicht schon wieder.“
 

„Das ist doch nichts Schlimmes, Babe. Es ist nur so, dass du reifer wirkst, als die Bengel meiner Band, und die sind alle über zwanzig.“
 

„Ian sagte mir das auch schon. Nur mit der Begründung, ich sehe älter aus, als ich es bin.“
 

„Sag das mal meinem Freund. Der würde dafür töten, damit man ihn mal für fast vierundzwanzig hält.“
 

„Hätte ich jetzt aber auch nicht gedacht… Und du bist gerade zwanzig?“
 

„Pack noch zwei Jahre drauf und du bist richtig.“
 

Leicht schmunzelte Nathan vor sich hin. „Na dann. Jetzt fühle ich mich mehr fehl am Platz als zuvor. Danke.“
 

„Fehl am Platz? Nur weil du nicht in der Scene bist? Weil dich das nicht interessiert? Und wegen dem Alter?“
 

„Ja, ein bisschen.“
 

„Alter!“

Mike schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter, ehe er ihm dem Arm darum legte und mit ihm zurück zum Tourbus ging.

„Das ist mal überhaupt kein Grund sich bei uns Fehl am Platz zu fühlen. Ok, was David angeht, kann ich das nachvollziehen, aber ansonsten?

Mikael ist recht normal, mit dem kannste dich auch unterhalten. Worüber auch immer, er ist ein wandelndes Lexikon. Mit uns kann man auch über andere Dinge reden, als Musik“, lächelte er zu ihm herunter.
 

Ja, Mike war größer als Nathan. Eine gute Handlänge vielleicht.
 

„Mach dir also keinen Kopf drum, ja? Ich für meinen Teil-“ Seine freie Hand legte sich auf seine Brust. „Bin froh mal jemand anderes kennenzulernen. Vor allem jemanden, der nicht wusste wer wir sind, hm? Es ist manchmal auch stressig, die Fans um sich zu haben.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  NARUT0
2012-04-09T00:25:56+00:00 09.04.2012 02:25
ommmg wie hab ich mike vermisst ehrlich jetzt XD
schön ihn mal wieder dabei zu haben haha.

egal zum Thema.
Das Kapi is soooooooooooo toll. <3
aber was Ian wiederfahren ist...
das is schon echt scheiße...
ich mag ihn jetzt in den arm nehmen :'(
hier ist echt nur ein schicksals schlag nach dem anderen drinne.
Aber das hebt auch wieder die spannung
und man erfährt auch ein wenig mehr warum Ian so ist
wie er jetzt ist.
Aber ich denke auhc das es wirklich nur ne reine maske ist
um nicht wieder so verletzt zu werden oder so..

Auf jeden fall freue ich mich auf das nächste kapitel :)

Von:  Teukie-Chan
2012-04-06T16:31:49+00:00 06.04.2012 18:31
aweeeeeeeeeeeeeeeee ich find das pitel toll
und das seth nun gitarrist ist ist auch genail und ja
so kanner ja nun jede minute mit sein mike verbringen xD

aber schon heftig was ian wiederfahren ist und so
aber vlt kann ihn ja nath dabei helfen so zum verabreiten ^^

mach weiter so

lg
Von:  Inan
2012-04-06T14:05:35+00:00 06.04.2012 16:05
Seth hat Piercings und ist Gitarist, the Epicness *_*
Nathan ist aber an sich n ganz cooler Typ, es ist ja eigentlich logisch, dass man nicht jedem nen Seelenstrip hinlegt, weil er danach fragt...dass er es Ian verraten hat, liegt wohl an seiner unwiderstehlichen, mysteriösen, unerbittlichen Ausstrahlung...oder so. Tragische Figuren sind eben faszinierend. Und man kann wunderbar mitfühlen. x3
Super Kapitel <3
Von:  Mado-chan
2012-04-06T11:55:42+00:00 06.04.2012 13:55
OMG. Seth is Gitarrist? Was ist mit Max? Hat ihn das Eheleben abgehalten?
Ich bin geschockt, aber ich finds auch gut XD so hängen Mike und Seth immer zusammen.
Ich finde es gut das Nathan nciht jedem seine Geschichte erzählt, dadurch wirkt er wirklich älter als 19.
Und das mit Ian...wow heftig. Ich bin ja mal gespannt wie weit Nathan Ian aufgetaut bekommt ^^
Ich hoffe bald kommt ein neues Kapitel.
Dein Schreibstil ist so toll *___*

LG
Mado


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