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Die Geflügelte Schlange - Aufstieg

* * make love, not war * * - Teil 1
von

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10. Fürstliche Gewänder

Ein Weilchen saßen Amemna, Nefut und Hamarem noch neben dem schon weit heruntergebrannten Festfeuer. "Ich übernehme die erste Wache", bot Hamarem an.
 

Nefut nickte, schickte Amemna in sein Zelt und ging schlafen.
 

Da die Ströme der Kräfte für diese Nacht Ruhe verhießen, spielte Hamarem für einen Moment mit dem Gedanken, während seiner Nachtwache Traumkraut zu kauen, um Amemnas Natur zu erforschen. Doch welche hilfreiche Erkenntnis mochte ihm das bringen? Sein Problem war nicht Amemnas unirdische oder vielleicht dämonische Natur, die in den Wirbeln der Kräfte um ihn verschlüsselt war, sondern Hamarems eigene Reaktion auf Amemnas menschliche Natur, auf den Körper des jungen Mannes.
 

Seit Hamarem selbst ein junger Mann gewesen war, waren seine Gefühle und Gedanken nicht mehr so auf einen Menschen gerichtet gewesen. Damals war das unerreichbare Ziel seiner Leidenschaft eine Fürstentochter gewesen, ähnlich wie in dem Lied, das er während des Festmahls gesungen hatte, nur seine Leidenschaft war nie erfüllt worden. Vermutlich hatte die schöne Temhalyprinzessin ihn noch nicht einmal wahrgenommen. Orem allein mochte wissen, wie sein Leben ausgesehen hätte, wenn er nicht wenig später in die Orakelstätte Orems gerufen worden wäre. Hätte ihn seine unerfüllbare Sehnsucht zerfressen oder hätte er einen Weg gesucht, das Herz der schönen Prinzessin zu erobern?
 

Das Orakel in Harna war weit von den Zelten der Temhaly und Hamarem lernte dort so unendlich viel Neues, daß er die schöne Prinzessin schließlich vergessen hatte. Erst jetzt dachte er wieder an sie - und wußte nicht einmal mehr ihren Namen.
 

*
 

Schließlich löste Nefut Hamarem ab und Hamarem begab sich in das große leere Zelt, um bis zum Sonnenaufgang noch ein wenig zu schlafen. Als er lag, dachte er an den Traum der vergangenen Nacht. Wenn er ehrlich zu sich war, sehnte er sich danach, von Amemna auch im wachen Zustand geküßt und liebkost zu werden, ihn zu küssen und zu liebkosen. Aber wie konnte er als treuer Diener seines Gottes wissentlich gegen die Gebote der Weisen und Heiligen verstoßen? Und die Schriften waren sehr deutlich, wie er bei nochmaliger Lektüre am vergangenen Tag festgestellt hatte. Träume wurden zwar nicht erwähnt, aber Männer durften sich nicht miteinander vereinigen und nichts unternehmen, was dazu führen konnte.
 

Was blieb ihm anderes übrig, als seine unerfüllbare Leidenschaft in seiner Phantasie auszuleben, so wie er es getan hatte, als sein Herz für die Temhalyprinzessin schlug, und er selbst nicht älter war als Amemna Darashy.
 

Also schob Hamarem im Schutze der Decke sein Untergewand hoch und faßte nach seinem bereits aufgerichtetem Glied. Er rief sich in Erinnerung, wie Amemna ihn im Traum geküßt und berührt hatte und fühlte, wie seine Lenden allein durch die Vorstellung zu pochen begannen. Er versuchte, Amemnas Kunstfertigkeit mit seiner eigenen Hand nachzuahmen und träumte, es wäre die Hand des jungen Mannes, die mal schnell und plötzlich wieder langsam, die Spannung herauszögernd, an ihm arbeitete, bis er sich endlich Erleichterung verschafft hatte. Und wie schon in seiner Jugend sorgte das zumindest dafür, daß er wenig später tief und fest schlief und trotz der Kürze der Nachruhe beim Weckruf entspannt und erholt aufwachte.
 

Das Frühstück mit den Resten des Festmahls fand in angenehm fröhlicher Atmosphäre statt. Die jungen Männer berichteten je nach Naturell prahlend oder schwärmerisch von den Erlebnissen der vergangenen Nacht, während die älteren lächelten und schwiegen. Auch Amemna schwieg und hörte zu. Hamarem merkte, daß er offenbar zunächst nicht verstand, worüber die Männer redeten. In dem Moment, als er es verstand, errötete er merklich und senkte den Blick.
 

Hamarem versuchte wie stets, wenn Ashan die Gunst gewährt hatte, daß ein Unterführer mit seinen Leuten eine der bewohnten Oasen aufsuchen und den Kauf von Vorräten auch mit dem Erwerb von Sinnesfreuden verbinden durfte, diese Art von Gesprächen zu ignorieren. Er hatte sich bei solchen Gelegenheiten prinzipiell herausgehalten, schon um seine mangelnde Erfahrung zu verbergen. Und auch Nefut hatte keine dieser Nächte mit einer Frau verbracht. Allerdings glaubte Hamarem nicht, daß Nefut ebenfalls unerfahren war, denn einige eher beiläufige Bemerkungen seines Herrn ließen auf anderes schließen. Aber bei aller Offenheit Hamarem gegenüber hatte Nefut über seine Beziehung zu Frauen nie ein Wort verloren.
 

*
 

Schnell waren die Zelte abgebaut und sie zogen in Richtung Hannai. Kurz nach der Mittagsstunde konnten sie bereits die ersten Türme der Stadt am Horizont erkennen und erreichten endlich die Straße, die durch das Zypressentor Hannais führte. In Sichtweite der großen geöffneten Holztore in der massiven Steinmauer hielten sie neben einem überdachten Brunnen und betrachteten das laute Treiben auf der Straße. Es wurden mit frischem Obst und Gemüse beladene Esel und Maultiere vorangetrieben, außerdem waren schwer beladene staubige Fußgänger mit ihren Waren auf dem Weg in die Stadt. Dazwischen sah man einzelne Reiter in prächtigen Gewändern, manche so vornehm, daß ein Diener die Zügel des Pferdes führte, und sogar eine reich geschmückte Sänfte mit einer tief verschleierten Städterin.
 

Die mit Speer und Schild bewaffneten, etwas erhöht stehenden Wachen neben den offenen Torflügeln ließen ihre Blicke geübt über die Köpfe der Passanten schweifen, und an Nefuts Gruppe, elf zum Teil recht abgerissen aussehenden Gestalten, blieben sie mehr als einmal hängen. Hamarem erinnerte sich an das Leben in dieser Stadt. Er war froh, es hinter sich gelassen zu haben. In Hannai waren Oshey nicht gern gesehen, obwohl einst sogar Osheykönige auf dem Goldenen Thron gesessen hatten, die Nachkommen von Hermil Tashrany, von dem es hieß, er habe vor vielen hundert Jahren die Stadt mit Unterstützung der Götter in nur drei Tagen erobert.
 

"Nefut, unser Wanack braucht angemessene Kleidung", bemerkte Farhan, als wieder einmal ein vornehm gekleideter Reiter an ihnen vorbeiritt.
 

Der junge Kermul flüsterte etwas und begann erwartungsvoll zu zappeln, machte so auch das Pferd, das er am Zügel hielt, unruhig, und Orem stieß ihn an die Schulter. "Sei ruhig, Kermul. Wir werden ohnehin nicht alle mit in die Stadt gehen."
 

"Wenn du willst, kannst du mit mir kommen. Ich habe eine Kleinigkeit zu besorgen", mischte Hamarem sich ein.
 

Farhan, Doshan und Nefut berieten sich noch, wer in die Stadt gehen sollte, um das Silbergeschirr aus den Banditenschatz zu verkaufen, als Hamarem feststellte, daß noch ein anderer Jüngling sehnsüchtig zu den schweren Holzflügeln des Stadttores blickte. Amemna wollte ebenfalls in diese Stadt, das hatte er Nefut ja auch schon vor zwei Tagen bei ihrem Gespräch in Bussir gesagt. Was mochte er in Hannai suchen?
 

"Wolltest du nicht mit in die Stadt?" riß Nefut ihn plötzlich aus seinen Gedanken.
 

Hamarem nickte. "Und Kermul auch", sagte er dann mit einem Seitenblick auf den Jüngling.
 

"Dann kommt mit."
 

Hamarem und Kermul beeilten sich, Nefut und Doshan zu folgen, während die anderen im Schatten des Brunnens Rast machten.
 

*
 

Mißtrauisch wurden sie von den Wachen gemustert, als sie durch das Tor gingen, den anderen Leuten waren sie jedoch gleichgültig. Kermul brachte den Mund kaum zu vor Staunen über die hohen, dicken Steinmauern, die riesigen Torflügel, den hinter dem Zypressentor liegenden weitläufigen, steingepflasterten Platz, die Brunnen an seinem Rand und die sie umgebenden schattenspendenden Bäume.
 

An einem der Brunnen machten sie kurz halt und Nefut erklärte: "Doshan und ich verkaufen das Silber, du suchst deinen Kräuterhändler auf und wir treffen uns dann wieder hier, um von dem Erlös des Geschirrs noch angemessene Kleidung für unseren Wanack zu kaufen."
 

"Ist es nicht auch mit einem edlen Stoff getan? Ich kann unserem Wanack einen Mantel nähen", warf Hamarem ein. Vor einiger Zeit hatte er auch für Ashan einen Mantel genäht.
 

Nefut nickte. "Das wäre wohl weniger kostspielig, und da du ihn während einer Rast auf unserem Weg nähen kannst, verlieren wir auch keine Zeit. Nach dem, was ich eben auf der Straße gehört habe, müssen wir uns beeilen, wenn wir uns anwerben lassen wollen. In zwei Tagen soll das Heer von Nemis aufbrechen." Dann nagelte Nefut den von seiner Umgebung völlig überwältigten Kermul mit seinem Blick fest. "Und du bleibst an Hamarems Seite, egal wohin er geht."
 

Kermul nickte eingeschüchtert.
 

An den Brunnenplatz hinter dem Zypressentor grenzte der große Basar und Hamarem erinnerte sich noch gut genug daran, um zügig die Straße zu finden, die er suchte. Hier hatten die Gewürz- und Kräuterhändler ihre betäubend duftende Ware unter den dicht an dicht aufgespannten Baldachinen vor ihren Läden ausgebreitet. Als Hamarem einen Stand entdeckte, der zwischen den gewöhnlichen Küchenkräutern auch einzelne Heilmittel in der Auslage hatte, fragte er den grauhaarigen Händler nach Schlafmitteln.
 

Der alte Mann sah von seiner Arbeit am Mörser auf. "Was für ein Schlafmittel sucht ihr, Herr?"
 

Nach einem Seitenblick auf Kermul, der aber ganz eingenommen war von der Vielfalt der ansprechend angebotenen Waren, rückte Hamarem mit seinem Wunsch heraus: "Stechapfelsud."
 

"Das ist nichts, was gewöhnlich verlangt wird", sagte der Händler gedehnt. "Und es ist nichts, was ich jedermann verkaufen würde, Herr."
 

Um zu bekommen, was er wollte, mußte er also wohl bluffen. "Auch nicht einem Diener Orems?" fragte Hamarem also nach und formte mit Daumen und Mittelfinger seiner Linken den Anfangsbuchstaben von Harna. Das Oremorakels lag nur wenige Wegstunden südlich von Hannai in der Wüste.
 

Der Händler zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Wenn die Dinge so stehen..." Er erhob sich und winkte Hamarem zu sich. "Kommt mit."
 

"Warte hier", zischte Hamarem Kermul zu und folgte dann dem alten Mann in den kühlen Raum hinter seinem Marktstand. Hier hingen Kräuterbüschel von der Decke und große und kleine verschlossene Tongefäße waren auf Regalen an den Wänden entlang gestapelt.
 

Der Händler legte seine faltige Hand auf einen der bauchigen Krüge. "Ich habe hier einen Sud aus den Blättern des weißblühenden Stechapfels, dort aus den Blättern des gelbblühenden Stechapfels und noch einen aus den Blättern des violettblühenden Stechapfels. Dann noch..."
 

Hamarem schüttelte den Kopf. Er hätte den Nächtlichen Träumer gar nicht erwähnen dürfen, seines Wissens waren die aus den Blättern gewonnenen Mittel in der Wirkung allesamt eher der des Traumkrautes ähnlich. "Ich meine ein Mittel gegen unerwünschte Träume, den Sud aus den Kernen des gelbblühenden Stechapfels."
 

Der Händler schürzte die Lippen. "Ihr seid also wirklich einer der Seher, nicht wahr, Herr? Eure Augenfarbe legt es ja nahe. Ja, ich habe auch den Sud aus den Kernen des gelbblühenden Stechapfels. Wieviel wollt ihr, Herr?"
 

Hamarems Gedanken verweilten einen Moment bei der Bemerkung des alten Mannes über seine Augen. Keiner der anderen Priester in Harna hatte eine ähnlich scheckige Augenfarbe gehabt wie er. Aber dann beließ er es dabei und holte die kleine gläserne Phiole aus dem Gürtel, aus der er die letzten Spuren des alten Suds herausgewaschen hatte. "Nur dieses Gefäß voll."
 

Der alte Händler nickte. Mit einem gläsernen Trichter füllte er die Phiole mit einer bräunlich-roten Flüssigkeit, verkorkte sie wieder und verlangte einen eher geringen Preis, den Hamarem ohne zu zögern zahlte.
 

Als Hamarem wieder auf die Straße trat, war Kermul verschwunden. Hamarem verfluchte im Stillen seine Unaufmerksamkeit und schaute rechts und links die Reihen der Marktstände unter den aufgespannten Baldachinen entlang, aber in dem bunten Treiben war kein schwarzer Mantel zu sehen. Und über den Lärm der Händler, die ihre Waren anpriesen und der Kunden, die mit ihnen feilschten, hatte es auch keinen Sinn, nach Kermul zu rufen. "Chelem!" entwich es Hamarem.
 

Da, ein dunkler Fleck zwischen den bunten Gewändern! Ja, das mochte ein Oshey sein, der Größe nach vielleicht sogar Kermul. Hamarem arbeitete sich durch die Menge. Jetzt konnte er einen Blick auf das Gesicht des Oshey erhaschen: es war tatsächlich Kermul. Hamarem beschleunigte seinen Schritt und holte seinen auf Abwege geratenen Schützling schnell ein, denn Kermul war stehen geblieben, um die Auslage eines Lederhändlers zu bestaunen. "Kermul, warum hast du nicht auf mich gewartet?"
 

Kermul sah sich zu Hamarem um. "Was ist los?" Er sah dabei so überrascht aus, das Hamarem lächeln mußte, denn er erinnerte sich noch gut an seinen ersten Tag in Hannai.
 

"Hier ist eine Menge zu sehen, nicht wahr?" fragte Hamarem verständnisvoll.
 

Der Jüngling nickte aufgeregt.
 

"Dann laß uns noch ein bißchen gemeinsam schauen", schlug Hamarem vor.
 

Sie gingen bis zur nächsten Straßenecke, dort hatten Tuchhändler und Schneider ihre Auslagen.
 

Und gerade besah sich Nefut an einem der Stände fein gewebte Untergewänder. Überrascht sah er auf, als Hamarem ihn ansprach. "Ich dachte, wir wollten uns auf dem Brunnenplatz wieder treffen." Dann bemerkte er, daß Kermul wie hypnotisiert auf den benachbarten Stand eines Tuchhändler zuging und Hamarem nach dem Arm des Jünglings griff, um ihn in der Nähe zu halten. "Ach, unser junger Freund wollte wohl ein wenig über den Markt schlendern." Und Nefut grinste.
 

Hamarem wußte, daß Nefut einige Jahre in Hannai und Berresh aufgewachsen war. Für ihn war der märchenhafte Zauber des Basars einer großen Stadt wohl nie so stark gewesen, aber anscheinend konnte er Kermuls Gefühle trotzdem nachvollziehen, der von der Pracht der Auslagen wie geblendet schien und zugleich den Blick nicht davon abwenden konnte.
 

"Wo ist Doshan?" fragte Hamarem dann, denn Kermuls ehemaliger Anführer war nirgends zu sehen.
 

"Hier", antwortete Doshan für sich selbst hinter Hamarem plötzlich. "Der Tuchhändler dort drüben hat schöne Stoffe, die wohl für einen Mantel geeignet wären", sagte er an Nefut gewandt und zeigte auf den fraglichen Stand.
 

Nefut nickte und hielt eines der weißen Untergewänder mit grün und blau besticktem Saum und Ärmeln an die eigenen Schultern. "Das müßte unserem Wanack passen, nicht wahr?" fragte er in die Runde und Hamarem und Doshan nickten. Da Amemna ebenso groß wie Nefut war, wenn auch etwas schmaler gebaut, würde alles, was Nefut vollständig bekleidete, auch Amemna passen.
 

"Sandalen brauchen wir noch", erinnerte Doshan die anderen, als Nefut die zwei Untergewänder, die er ausgewählt hatte, bezahlte.
 

"Und Tuch für den Mantel", ergänzte Hamarem.
 

"Und einen Gürtel", fiel Kermul überraschend ein und zeigte auf einen Stand, der die bunten Schärpen feilbot.
 

Sie entschieden sich für eine grüne Schärpe und gold und grün bestickte Sandalen und suchten dann gemeinsam das Tuch für den Mantel aus. Hamarem war auf den ersten Blick angetan von einem gänzenden schwarzen Stoff, der bei jeder Berührung leise raschelte.
 

"Das ist eine gute Wahl", beeilte sich der Tuchhändler zu versichern. "Ein sehr edler Stoff aus dem Osten, aus den Fasern eines Zauberkrautes gewonnen, heißt es." Der Preis den er nannte, war allerdings unverschämt. Immerhin würden sie gut vier Mannslängen davon brauchen, um einen angemessenen Mantel und ein passendes Kopftuch daraus machen zu können.
 

"Das können wir uns nicht leisten", sagte Hamarem und Doshan nickte dazu, während Nefut nachzählte, was er noch an Münzen hatte. Das Tafelgeschirr hatten sie offenbar zu einem guten Preis verkauft, mit dem Tuch würde dann allerdings fast der ganze Erlös in die Bekleidung ihres jungen Wanack fließen.
 

Der Händler ließ sich erweichen, und kam ihnen mit dem Preis etwas entgegen, aber was ihnen nach dem Kauf noch blieb, reichte nicht, die ganze Wannim für zwei Tage zu ernähren.
 

"Morgen sind wir in Nemis. Ich nehme doch an, daß wir das Handgeld sofort erhalten, dann können wir noch auf dem Markt von Nemis Lebensmittel kaufen", rechtfertigte Nefut seine Entscheidung, nachdem sie den Stoff gekauft hatten. Aber Hamarem sah, daß ihm trotzdem nicht ganz wohl bei der Sache war.
 

*
 

Als es schließlich Abend wurde, waren sie schon kurz vor Nemis und rasteten für die Nacht. Hamarem zog sich mit dem Stoff in das Zelt zurück, um mit dem Nähen des Mantels anzufangen, als plötzlich Farhan dazu kam und darum bat, helfen zu dürfen. Überrascht lud Hamarem ihn ein, sich dazuzusetzen. Farhan teilte den Stoff und dann begannen er und Hamarem gemeinsam, zwei Bahnen zu einem neuen Mantel für ihren Wanack zusammenzunähen.
 

Offensichtlich hatte Farhan irgendetwas auf dem Herzen, doch erst als sie schon eine ganze Weile schweigend nebeneinander gearbeitet hatten, fragte Farhan endlich: "Weißt Du etwas über das Buch unseres Wanack? Du hast doch schon mehrfach mit ihm gesprochen."
 

"Wieso fragt ihr, Herr?" fragte Hamarem. Eigentlich wußten alle, daß ihr Wanack gelegentlich die Schriftrolle hervorholte und darin las oder schrieb.
 

"Als wir vor Hannai rasteten, schrieb er in die Rolle und ich habe die seltsamen Zeichen gesehen, die er verwendet. Das müssen doch die Schriftzeichen der Unirdischen sein, nicht wahr? Ich habe sie jedenfalls nie zuvor gesehen und ich kenne viele Schriften. Aber auf meine Frage, was für ein Buch das sei, sagte er nur 'Das ist mein Opfer für Hawat'."
 

'Hawat die Große Mutter' war einer der Namen Amas, bei den Oshey war seine Verwendung jedoch unüblich. Hamarem dachte an seinen Diebstahl zurück. "Ich weiß, daß er fast täglich darin liest und schreibt, Herr. Sie ist ihm offensichtlich sehr wichtig." So wichtig, daß er Hamarem auf Knien angefleht hatte, sie ihm wiederzubeschaffen. Aber als Opfer für Ama oder Hawat war diese Schriftrolle natürlich heilig. Kein Wunder, daß sie Amemna wichtiger gewesen war, als alles andere. Das machte dann auch seinen überschwänglicher Dank verständlich, als er die Schriftrolle zurückerhalten hatte, der Kuß dieser seidenweichen Lippen... Hamarem versuchte, an nichts anderes mehr zu denken, als die Naht, die er gerade nähte.
 

Nach einer Unterbrechung für das gemeinsame Nachtessen war eine gute Weile nach Einbruch der Dunkelheit endlich der Mantel für den Wanack fertig, und Farhan holte Amemna für eine Anprobe. Dann aber zog er sich in das andere Zelt zurück und überließ es Hamarem, für den richtigen Sitz des Mantels zu sorgen.
 

Während Hamarem seinem Wanack vorsichtig den Mantel um die Schultern drapierte um ihn nicht versehentlich zu berühren - obwohl es auch Momente gab, in denen er sich die Träume, die die Berührung hervorrief, herbeisehnte - fragte Amemna leise: "Hamarrem, kannst du mirr rraten, wie ich am sicherrsten einen Brrief an meine Frrau schicken kann?" Und er strich wohlgefällig über den glänzenden Stoff seines neuen Mantels.
 

Hamarem hielt erstaunt im Nähen der Falten inne und dann ärgerte er sich über seine aufkeimende Eifersucht.
 

"Nun?" hakte Amemna nach und Hamarem erinnerte sich an die Frage.
 

"Ihr seid verheiratet?" fragte er jedoch mit gedämpfter Stimme zurück.
 

"Ja, mit derr Tochterr meines Ziehvaterrs. Nachdem wirr aus Ma'ouwat zu den Zelten derr Darrashy gezogen warren, hat err mich offiziell an Sohnes Statt angenommen und mit seinerr Tochterr Merrat verheirratet." Dann lächelte Amemna versonnen. "Und wirr haben eine kleine Tochterr."
 

"Wie alt seid ihr denn, wenn ihr bereits eine eigene Familie habt, Herr?" fragte Hamarem weiter.
 

"Und eine eigene Werrkstatt", fügte Amemna stolz hinzu, "denn ich habe die Schmiede meines Ziehvaterrs überrnommen... ich denke, ich bin etwa siebzehn."
 

Hamarem versuchte, seine Gefühle vor sich selbst zu verschließen und trat zum Zeichen der Beendigung seiner Arbeit ein paar Schritte von seinem Wanack zurück. "Gebt den Brief einem Darashy mit, der mit einer Karawane in den Süden zieht. Dann wird er wohl getreulich befördert werden."
 

"Ich danke Dirr fürr den Rratschlag, Hamarrem, und fürr diesen prrachtvollen Mantel. Err ist eines Fürrsten würrdig", und Amemna lächelte Hamarem in einer Weise an, daß diesem schwindelig und die Knie so weich wurden, daß er sich an einer Zeltstütze festhalten mußte. Sein Herz klopfte bis in den Hals, auch wenn sein Blut sich in einem anderen Körperteil sammelte.
 

Gerade in dem Moment betrat Nefut mit Derhan und Doshan das Zelt, wohl um sich zur Ruhe zu begeben. Nefut musterte seinen jungen Wanack zufrieden und klopfte Hamarem wohlwollend auf die Schulter, so daß dieser fast den Halt verlor. "Gut gemacht, Hamarem. Jetzt haben wir einen angemessen gekleideten Wanack."
 

Amemna nickte zustimmend, sagte irgendetwas zum Abschied und ging hinaus und Hamarem ließ sich auf den Boden sinken und versuchte, sein in Aufruhr geratenes Herz wieder zur Ruhe zu bringen. Wie kam es nur, daß Amemna ihn derartig in Wallungen brachte, wo er doch offenbar ein anständiger, dem Wahren Weg folgender Oshey mit Frau und Kind war?
 

"Was ist Hamarem?" fragte Nefut leise.
 

Erst da wurde Hamarem bewußt, daß Nefut ihn anscheinend schon eine ganze Weile beobachtet hatte. Er quälte sich ein Lächeln ab und rappelte sich auf. Was ihn bewegte war nichts, worüber er mit irgend jemandem reden konnte, und darum versuchte er, Distanz aufzubauen. "Es sind nur unerwünschte Gedanken, die mich heimsuchen, Herr."
 

Nefut musterte Hamarem skeptisch an, schaute dann jedoch in Richtung Zelteingang und sagte: "In dem Mantel wirkt er älter, als er ist. Eine gute Voraussetzung für sein Amt als Wanack."
 

"Herr, er sagt, er sei siebzehn Jahre", antwortete Hamarem. Er hätte lieber nicht über Amemna gesprochen, jetzt, wo er gerade seine Fassung wiedergewonnen hatte.
 

"Siebzehn und noch bartlos?" fragte Nefut ungläubig.
 

"Von einigen Abkömmlingen der Unirdischen berichten die Weisen, daß sie die ewige Jugend ihrer unirdischen Elternteile geerbt haben, Herr. Sie bleiben jugendlich und wenn sie sterben, verwandeln sie sich in Falken um in die Gärten der Freude zurückzukehren", erklärte Hamarem, der sich durch das Zitieren aus den vertraute Schriften wieder einigermaßen wohl fühlte. "Was ich bemerkenswert finde ist die Tatsache, daß er über die Bräuche der Stämme auffällig wenig weiß. Und außerdem betet er zu Ama und nennt sie Hawat, Herr."
 

"Ist das nicht der Name, den sie in Ma'ouwat für Ama haben? Insofern paßt doch alles gut zusammen: sein Akzent und die Unkenntnis über die Stammesbräuche liegen wohl daran, daß er in der Fremde aufwuchs und seine vielen Talente sind für einen Siebzehnjährigen zwar bemerkenswert aber realistisch. Oder haben wir Gründe, uns Sorgen zu machen, Hamarem?"
 

Hamarem dachte an die Träume zurück, die so lebhaft gewesen waren, daß er selbst jetzt, im wachen Zustand, die unkeuschen Berührungen Amemnas zu spüren glaubte. Aber das betraf nur ihn. Also atmete er tief durch und antwortete: "Die Kräfte sind unruhig aber nicht bedrohlich, Herr."
 

"Das ist doch eine gute Voraussetzung, wenn man in den Kampf zieht. Und nun laß uns schlafen gehen."
 

* * *
 



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