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Unterwelt

Die Chroniken der Tiefen
von

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Familienbande

Als ich meine Augen wieder öffnete, bemerkte ich zunächst, dass ich mich nicht in meinem warmen und gemütlichen Bett befand. Verwirrt setzte ich mich auf und zuckte schmerzerfüllt zusammen, als mit einem Mal Kopfschmerzen von unglaublicher Wucht auf mich einstürmten. Stöhnend schloss ich wieder die Augen und musste die aufkeimende Übelkeit erst einmal zurückdrängen, bevor ich mich wieder richtig konzentrieren konnte. Zuerst bemerkte ich, dass mich jemand mit einem grünen Parka zugedeckt hatte. Nachdem ich diesen angezogen hatte, schaute ich mich um und stellte erschrocken fest, dass ich tatsächlich nicht in meinem zu Hause war. Stattdessen saß ich auf der Rückbank eines großen Van, dessen Scheiben mit Gittern verriegelt waren. Die Tür war aufgezogen und ich bemerkte das der Wagen in einem Park stand, der sich ganz in der Nähe von unserem Haus befand. Weit von zu Hause weg war ich also nicht, doch wie war ich hier her gekommen?

Erst nach einigen Sekunden trudelten die Erinnerungen des vergangenen Tages in meinem Kopf ein und ich verfluchte sie daraufhin. All das Blut in unserer Wohnung und diese riesige schwarze Bestie, die versucht hatte mich in ihre Klauen zu bekommen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie haarscharf ich dem Tod eigentlich entkommen war. Wären diese Fremden nicht gekommen, um mich zu retten, wer weiß was dann geschehen wäre. Doch wie waren diese beiden eigentlich auf die Gefahr aufmerksam geworden? Ich hatte diese Männer noch nie in der Nachbarschaft gesehen und doch kamen sie mir irgendwie bekannt vor. Vergeblich versuchte ich mir einen Reim auf das Vergangene zu machen, doch alles war einfach viel zu furchterregend. Als wäre all dies nur einem schrecklichen Horrorfilm entsprungen. Mehrmals versuchte ich mich zu beruhigen, indem ich tief ein und aus atmete. Als ich mich wieder einigermaßen zur Ruhe gebracht hatte, überlegte ich, was ich von nun an tun sollte. Bei dem Gedanken an die tote Lilian wurde mir schlecht, doch ohne sie war ich vollkommen aufgeschmissen. Ich hatte zwar auch noch andere Verwandte, doch von denen hatte mir Lilian nie etwas richtiges erzählen wollten. Genau so wie sie immer die Gespräche über meine Eltern und meine beiden Brüder diskret ignoriert hatte. Angeblich hatten sie mich einfach nicht bei sich haben wollen, doch entsprang diese Geschichte wirklich der Wahrheit? Bis heute wusste ich nicht, warum ich wirklich bei meiner Tante aufgewachsen war und es hatte mich auch nie interessiert. Denn bei ihr war es mir immer sehr gut gegangen. Doch von nun an musste ich sehen, was aus mir wurde. Am besten wäre es wohl, zur Polizei zu gehen. Allerdings würden die mich wohl für verrückt erklären, wenn ich denen erzählte, dass mich eine riesige Bestie angegriffen hatte.

Erschöpft stieg ich aus dem Van und sah mich zunächst einmal um. Weit und breit war niemand zu sehen. Zu dieser frühen Stunde und noch dazu im Winter traf man zwar sonst auch niemanden im Park an, doch auch von meinen fremden Rettern war keine Spur zu erkennen. Wo mochten sie nur hingegangen sein? Ob sie noch immer bei mir zu Hause waren? Konnte ich wieder dorthin zurück gehen? Frierend zog ich den Parka enger um meinen Körper. Noch immer trug ich nur mein Nachthemd und es war wirklich sau kalt hier draußen. Lange konnte ich es so nicht aushalten, doch es war vermutlich auch keine gute Idee in diesen Klamotten nun irgendwo hin zu gehen. Vielleicht sollte ich lieber in dem Wagen warten und hoffen, dass mir erneut jemand tatkräftig zur Hilfe eilte. Während ich noch versuchte mich für die bestmögliche Lösung meines Problems zu entscheiden, bemerkte ich eine Gestalt, die am Rand des Parks neben einer der Tannen stand. Hätte sie sich nicht kurz bewegt, hätte ich sie wohl gar nicht bemerkt. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen und starrte in ihre Richtung. Doch die Person war vollkommen in schwarze Klamotten gehüllt und trug noch dazu eine dunkle Wollmütze auf dem Kopf. Wer auch immer es war, als derjenige meinen Blick bemerkte, wandte er sich ab und verschwand blitzschnell im Dickicht der Tannen.

Beunruhigt stieg ich zurück in den Van und schloss vorsichtshalber alle Türen. Ich setzte mich auf die Rückbank und schaute suchend aus dem Fenster. Ich hatte Angst und stellte dabei fest, dass ich dieses Gefühl in den letzten Stunden einfach viel zu häufig durchlebte.

Draußen konnte ich im schwummrigen Morgenlicht allerdings niemanden mehr erkennen. Noch dazu schoben sich dicke Nebelschwaden träge über das nasse Gras und griffen mit ihren dunstigen Fingern bereits nach dem Van.

Minuten vergingen, in denen ich, beinahe starr vor Angst, aus den Fenstern schaute. Irgendwann entdeckte ich die Umrisse von zwei Männern im Nebel. Mit schweren Schritten stapften sie durch den matschigen Untergrund und kamen vor dem Van zum Stehen. Es waren meine beiden Retter, die nun den Wagen aufschlossen und mehrere dunkle Taschen in dem Innenraum des Fahrzeugs abstellten.

Bei meinem Anblick strahlte der junge Mann mit dem Lockenkopf fröhlich und erkundigte sich sogleich, wie es mir ging.

Höflich antwortete ich ihm, dabei quälte ich mich innerlich jedoch mit der allumfassenden Frage, ob ich diesen Männern wirklich vertrauen sollte. Irgendetwas sagte mir zwar, dass ich sie von irgendwoher kannte, doch so richtig wohl war mir bei der ganzen Sache trotzdem nicht.

Neugierig beobachtete ich die beiden nun noch einmal im Tageslicht, während sie die Taschen nacheinander richtig im Van verstauten. Der mit dem Lockenkopf schien älter zu sein und war mir auch am sympathischsten. Und das lag sicher nicht nur daran, dass der jüngere der beiden Männer noch immer die riesige Armbrust auf dem Rücken trug. Er saß auf dem Sitz neben mir und suchte die Umgebung mit seinen Blicken ab. Erschrocken stellte ich fest, dass er genau wie ich rotes Haar und bernsteinfarbene Augen besaß. Der Lockenkopf schien meinen Blick zu bemerken und schmunzelte belustigt.

"Dir ist die Ähnlichkeit also nicht entgangen, oder Scarlet?"

Fragend wandte ich mich zu ihm um. Was hatte er da eben gesagt? Welche Ähnlichkeit? Der Ältere ließ sich mir gegenüber auf den kaputten Sitz fallen und musterte mich eingehend. Ich wartete meinerseits gespannt auf die Antwort meines Gegenübers und spürte bereits, wie sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit machte.

"Lilian hat dir doch mit Sicherheit gesagt, dass du noch andere Verwandte außer ihr hast, oder?" , fragte er mich schließlich.

"Sie hat es ein paar mal erwähnt mir aber niemals wirklich mehr darüber erzählt.", antwortete ich ihm mit brüchiger Stimme. "Sie sagte, dass man mich bei ihr abgegeben hatte. Angeblich weil meine Eltern mich nicht bei sich haben wollten." Bei meinen letzten Worten schnaubte der Rothaarige neben mir verächtlich und warf dem anderen einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Dieser strich sich durch die Haare und musterte mich anschließend.

"Dann weißt du von uns also nichts."

"Tu doch nicht so als hättest du es nicht schon längst geahnt, Dorian. Lilian hat mit uns und unseren Angelegenheiten noch nie etwas zu tun haben wollen. Deswegen hat Dad sie doch zu ihr geschickt.", sprach nun der Rothaarige zum ersten Mal verärgert und verwirrt horchte ich auf. Dad? Meine Blicke wanderten zwischen den Beiden hin und her. Die Verwandten von denen Lilian gesprochen hatte...

"Ihr seid meine Brüder?"

Der Lockenkopf, mit dem Namen Dorian, blickte erneut auf und nickte anschließend. Ein seltsamer Ausdruck brannte in seinen Augen.

"Unsere Eltern mussten dich damals zu Lilian geben. Es war die einfachste Lösung und am sichersten für dich."

"Wie meinst du das? Wie kann es sicher für ein Kind sein, wenn man es einfach bei den nächstmöglichen Verwandten abschiebt?", platzte es nun ärgerlich aus mir heraus. All die Fragen, die ich mir immer über meine Eltern gestellt hatte. Endlich gab es jemanden der sie mir beantworten konnte und diese Beiden....meine Brüder, redeten nur sinnlos daher.

"Glaubst du wirklich du wärest einfach abgeschoben worden? Du hast doch überhaupt keine Ahnung....!"

"Schluss jetzt, Jack! Niemand hat ihr jemals erzählt was wirklich passiert ist. Wie soll sie da überhaupt verstehen, warum unsere Eltern sich damals so entschieden haben." Dorian schnitt unserem Bruder einfach das Wort ab und strafte ihn anschließend mit einem vernichtenden Blick. Jack ließ seinem Ärger Luft indem er mit einem Satz aus dem Wagen sprang und anschließend die Armbrust spannte. kurz darauf war er in den hellen Nebelschwaden bereits verschwunden. Womöglich hatte er etwas entdeckt, doch was das genau war, wollte ich lieber nicht wissen. Ich hatte für den Rest meines Lebens eigentlich genug Übernatürliche Dinge erlebt.

"All die Jahre über haben wir versucht, dir ein friedliches Leben zu ermöglichen. Du solltest hier Oben bei den Menschen aufwachsen, während unsere Familie versuchen würde, die Probleme in der Unterwelt zu regeln. Deswegen mussten unsere Eltern dich damals weggeben."

"Von was für einer Unterwelt sprichst du da? So wie in der Bibel?"

"So gut wie jede Religion besitzt eine oder sogar mehrere Unterwelten und es gibt sie tatsächlich alle. Jede einzelne von diesen Unterwelten existiert unter unseren Füßen. Tief Unten, im Mittelpunkt der Erde, wurden diese zum Lebensraum all jener, die von der Menschheit verstoßen wurden. Auch für die Kreaturen, die heute dein zu Hause angegriffen und Lilian getötet haben."

Eine lange Zeit sprach keiner von uns ein Wort. All diese neuen Informationen stürzten auf mich ein und ich zwang mich dazu, sie irgendwie zu verstehen. Ich versuchte mir einzureden, dass mein Bruder verrückt war, oder sich einfach nur einen dummen Scherz mit mir erlaubte. Ich versuchte, all diese Dinge logisch irgendwie nachvollziehen zu können. Letzten Endes war jedoch die Bestie, die ich mit eigenen Augen gesehen hatte, der beste Beweis für seine Worte.

"Ich weiß, dass du viele Fragen hast und ich werde sie dir auch alle zu gegebener Zeit beantworten, doch fürs Erste, müssen wir uns in Sicherheit bringen."

Überrascht blickte ich zu ihm auf. Er hatte eine der Taschen neben sich geöffnet und zog einen Revolver aus deren Innereien. Auf den ersten Blick sah dieser vollkommen normal aus, doch bei genauerem hinsehen entdeckte ich mehrere Symbole am Lauf der Waffe. Es waren verschlungene Linien, die im schwummrigen Morgenlicht zu glühen schienen. Allerdings ergaben sie für mich absolut keinen Sinn. Ich beobachtete wie Dorian mit schlanken Fingern eine Schatulle zum Vorschein brachte und aus ihr anschließend mehrere Kugeln zusammen klaubte.

"Das hier sind speziell angefertigte Silberkugeln. Sie dienen dazu uns die Bewohner der Unterwelt, oder Dämmerlinge, wie sie sich selbst nennen, vom Leib zu halten."

"Okay, aber heißt es nicht in all diesen lahmen Horrorfilmen, dass Silberkugeln Werwölfe und Ähnliches töten?"

Ein amüsiertes Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben.

"Nicht alles, was einem Hollywood so auftischt, entspricht auch der Wahrheit. Schließlich haben einige der Vampire da ihre Finger mit im Spiel."

"Äh, hallo? Hab ich das gerade richtig verstanden? Vampire? in Hollywood?"

"Warum glaubst du, ist diese Twilight Saga so berühmt? Ganz sicher nicht, weil alle Welt auf glitzernde Vampire steht." Er schnaubte verächtlich und lud anschließend betont langsam die einzelnen Silberkugeln in die Trommel des Revolvers.

"Außerdem wollen wir die Werwölfe, die uns auf den Versen sind, nicht unbedingt töten. Die Silberkugeln bereiten ihnen zwar höllische Schmerzen, doch sind sie nicht zwingend tödlich."

Gerade als Dorian mit seinen Vorbereitungen fertig war, wurde die Tür des Van wieder aufgeschoben und Jack kletterte hinein.

"Wir müssen los, Dorian. Uns bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, bis sie uns hier gefunden haben. Fenrir hat ihren Geruch schon wahrnehmen können.", sagte Jack beim Hereinklettern ohne ihre Auseinandersetzung von Vorhin auch nur zu erwähnen. Behutsam, wie ein Neugeborgenes, legte er die Armbrust neben sich auf den Sitz und ließ dabei die Umgebung des Van keine Sekunde lang aus den Augen.

"So ein Mist! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie seiner Fährte so schnell folgen und Verstärkung anfordern würden." Mit einem Seufzen fuhr Dorian sich durch die dunklen Haare und schob sich anschließend auf den Fahrersitz vor. "Jetzt müssen wir uns auch noch mit dem Rudel rumschlagen."

"Hör lieber auf dich zu beschweren und bring uns schnell hier raus. Es ist noch ein langer weg bis nach Hause und wir müssen sie irgendwie ablenken. Irgendeine gute Idee?", fragte Jack unseren großen Bruder und kletterte dabei neben ihn auf den Sitz des Beifahrers. Mich schienen die beiden dabei vollkommen zu vergessen. Während Dorian den Wagen startete, blickte ich aus dem Fenster und fragte mich, ob dass alles nur ein schlechter Traum war. Allerdings erschien mir meine Umgebung dafür viel zu Real. Mit einem Rumpeln setzte sich der Wagen in Bewegung und so fuhren wir eine Zeit lang durch die Straßen meiner alten Heimat. Häuser zogen an uns vorbei und allmählich erwachte die Stadt aus ihrem friedlichen Schlummer. In nur wenigen Stunden würde die Schulglocke zur ersten Unterrichtsstunde klingeln und all meine Freunde würden sich für einen weiteren Tag wappnen. Bis dahin wäre ich allerdings schon weit weg von hier.

Noch immer hörte ich die Stimmen meiner Brüder, die mittlerweile immer lauter wurden. Scheinbar konnten sie sich nicht wirklich über unser weiteres Vorgehen einigen. Mir war das jedoch alles vollkommen egal. Noch immer war der Tod meiner Tante etwas, worüber ich nicht nachdenken wollte. Doch musste ich die Tatsache akzeptieren, dass ich von nun an in der Welt meiner beiden Brüder leben musste. Wir waren eine Familie und ich hoffte inständig, dass mich ihre Welt nicht bald schon mit aller Wucht zerfleischen würde, so wie sie es mit Lilian getan hatte. Vor allem musste ich begreifen, dass eben jene Welt ihren Bewohnern keine Zeit zum Ausruhen könnte. Sie bot keine Ruhe und Geborgenheit. Nein, sie war versessen darauf, dass Blut der Unachtsamen in Strömen fließen zu sehen. Denn wir waren alle vollkommen unvorbereitet, als sie uns zum Zweiten mal in nur wenigen Stunden mit aller Wucht in ihre tödlichen Arme riss und versuchte uns von ihrem Angesicht zu tilgen.



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