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Das Gesicht im Wind

Wichtelgeschichte für Glimmer
von

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18. Dezember 1978, 8 Uhr, Glasgow

Heute brauchte die elektrische Verdrahtung keinen magischen Schubs mit dem Zauberstab. Kaltes Neonlicht flackerte mit der Behäbigkeit von Leuchtstoffröhren, die ihren Lebenszenit längst überschritten hatten, auf und blendete ihn. Aus der Mitte des Raumes drang hinter der Rückenlehne des Sofas ein leises Stöhnen hervor und kündete davon, dass Sirius sein Bett in der letzten Nacht nicht gefunden hatte. Vielleicht hatte er auch gar nicht erst danach gesucht.

Gegen das Licht blinzelnd schob Remus sich in den Raum und trat über den Katalysator hinweg, den Sirius nicht mehr brauchte und den Remus ganz sicher nicht wegräumen würde. Er war sein Mitbewohner, nicht seine Putzhexe, auch wenn Sirius den Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten möglicherweise noch nicht verinnerlicht hatte. Die zugezogenen Vorhänge, die James seinem besten Freund zum Einzug geschenkt hatte – möglicherweise um diesen zu beleidigen – ignorierend, passierte Remus mit traumwandlerischer Sicherheit auch die Halde aus Schmutzwäsche und einschlägigen Magazinen, welche sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr bewegte, dafür aber beständig wuchs. Noch so eine Sache, die Remus ganz sicher nicht aufräumen würde. Zumindest nicht, wenn Lily nicht für die nächsten Tage einen Überraschungsbesuch ankündigte. Und das würde sie nicht, denn sie verbrachte ihren Urlaub mit James in den Staaten. Das Stöhnen vom Sofa wurde indes eindringlicher.

Mit einem knappen Blick zu dem abgegriffenen Möbel, das er nun voll sehen konnte, kontrollierte er, ob Sirius tatsächlich auf der Sitzfläche kollabiert war. Fazit: Er war. Und er hatte sich nicht einmal die Sachen ausgezogen. Statt sich zu regen oder gar selbst aufzustehen, stöhnte die unförmige Gestalt seines Mitbewohners nur erneut.

„Was hast du gesagt, Sonnenschein? Ich kann dich nicht hören.“

„Machdachlichausch“, antwortete Sirius, nicht ihm sondern der Sofalehne.

Kopfschüttelnd tat Remus ihm den Gefallen und betätigte den alten Muggellichtbediener neben der Küchentür. Dunkelheit umfing ihn, begleitet von einem dankbaren Murren seitens der Couch. Leise öffnete er die Tür und schlüpfte hindurch.

In der Küche benötigte er kein Licht. Während die Fenster des Wohnzimmers zum finsteren Hinterhof zeigten, der auch zur Mittagszeit oft im Schatten der ihn umgebenden Hauswände lag, zeigten die der Küche zur Straße und überdies nach Osten. Und dort, hinter den Wohngebäuden auf der anderen Straßenseite, zogen sich die ersten hellen Schwaden der Dämmerung über den Horizont und kündigten einen Sonnenaufgang an, der von den finsteren Regenwolken über ihnen verschluckt werden würde.

Sirius wäre, so wie Remus seine Verfassung momentan einschätzte, bei diesem schummrigen Lichteinfall vermutlich gegen die Anrichte gestoßen oder sogar in die Feuerstelle gefallen, die er illegal betrieb, doch ihm reichte das Licht vollkommen aus. Problemlos erreichte er den Schrank mit den Kesseln, aus denen er sich den kleinsten aussuchte, um Wasser aufzusetzen.

Nach wie vor im Dunkeln hängte er den Kessel ins Feuer, das er mit einem Wink seines Zauberstabs aus der alten Glut aufflammen ließ, und machte sich auf die Suche nach einer sauberen Kanne.

Ein dumpfer Schlag störte das leise Knistern des Feuers. Er bewegte Remus nicht dazu ins Nachbarzimmer zu laufen und sich dabei möglicherweise doch noch an der Anrichte zu stoßen. Er bewegte ihn nicht einmal dazu aufzusehen. Stattdessen ließ er von seiner Suche ab und entzündete nun doch die Kerzen im Raum. Das Licht von einem Dutzend kleiner Flammen flackerte auf Geheiß seines Zauberstabes auf und blendete ihn, doch mit dieser Angelegenheit hielt er sich nicht länger auf. Er kannte Sirius‘ Haushalt, vermutlich besser als dieser selbst, und die dreckigen Kannen fand er auch halbblind. Es gab genug davon und das war nicht seine Schuld. Ein erneuter dumpfer Schlag ertönte, während er missmutig damit begann, seine Kanne der Wahl von Teeresten zu befreien. Oder was auch immer darin zu leben begonnen hatte.

Dem dritten Schlag schließlich folgte ein unflätiger Fluch. Einen Sirius-Augenblick später – welcher zu dieser Zeit des Tages einer Remus-Minute entsprach – streckte sich ein Mob schwarzen Haares durch die Küchentür. Der Kopf hob sich nur ein wenig, sodass Remus die Ringe sehen konnte und die Augen darüber.

„Wiespätisses?“, verlangte der Mob zu wissen.

„Kurz nach um acht. Lange Nacht?“

Sirius kollabierte erneut, dieses Mal vor Remus‘ Augen auf dem einzigen Küchenstuhl. Es gab zwar noch zwei weitere, aber die waren … irgendwo. Ja, irgendwo traf die Beschreibung ziemlich gut. In Sirius‘ Wohnung war alles irgendwo. Und während man über das, was weggeräumt, geputzt oder gewaschen gehörte, fiel, wie andere Leute über Elektrizitätskabel, suchte man den Rest zumeist vergebens. Remus hatte sich im Verlauf des letzten halben Jahres damit arrangiert, genauso wie mit Sirius Beleuchtungsvorlieben.

„Hölle.“

Statt die Einsilbigkeit seines sonst so wortgewandten Freundes zum Anlass zu nehmen, diesen mit weiteren Fragen zu belästigen, goss er den Tee auf, gab Milch dazu und schob Sirius schließlich eine dampfende Tasse zu.

„Bist du in eine Prügelei geraten oder in ein anderweitiges … Abenteuer?“, fragte er, bevor er einen vorsichtigen Schluck aus der eigenen Tasse nahm.

Sirius trank ebenfalls, vermutlich noch zu müde um zu realisieren, dass er sich gerade die Zunge verbrannte.

„Beides“, antwortete er schließlich. „Glaub ich. Verdammt, ist das heiß!“

Remus zuckte mit den Achseln und stellte die Tasse ab. „Hätte ich dich gewarnt, hättest du mir ohnehin nicht zugehört.“

„Argument. Aber du könntest meine Zunge ein wenig kühlen, weißt du? Aaa-“

Mit zu offensichtlichen Hintergedanken öffnete Sirius den Mund und streckte ihm die Zunge entgegen. Nicht einmal mehr die Augen darüber verdrehend ließ Remus das Thema kurzerhand fallen.

„Also? Zurück zum Thema. Du bringst die halbe Nacht in Soho zu und erinnerst dich dann nicht mehr, ob du dir eine Schlacht auf der Straße oder eine in einem Bett geliefert hast?“

Die Frage war generell überflüssig – Remus kannte die Antwort auch so, aber ihm war bewusst, dass er sich mit dem Ego seines Freundes beschäftigen musste, wollte er dessen aktuellen Wachheitsgrad bewahren. Die Antwort kam dann natürlich wie erwartet. Zumindest, nachdem Sirius den Mund wieder geschlossen und ihn einen Sirius-Augenblick lang beleidigt angestarrt hatte.

„Ein Bett war nicht involviert. Da bin ich mir ziemlich sicher. Frag meinen Rücken. Wenn der weich gelegen hat, frisst James seinen Besen.“

„Vergiss es“, gab Remus zurück und schnaubte belustigt. „Der hat gestern seine Koffer packen lassen und ist mit dem letzten Portschlüssel nach Hawaii. Vermutlich hat er seine Lily mitgenommen, denn ich glaube, im Gegensatz zu uns vergisst er sie nicht in der Portschlüsselzentrale. Der wird dir nicht einmal den Gefallen tun an dich zu denken, geschweige denn einen Besen für dich zu essen.“

„Ach ja. Die Liebe. Rosarot und klebrig wie eine angelutschte Zuckerstange. Das könnte ich jetzt auch gebrauchen. Die ganze Nacht.“

„Sirius, es ist kurz nach acht.“

„Sag ich doch.“ Um seine Worte zu unterstreichen zog Sirius die Augenbrauen hoch und warf ihm einen Padfoot-Blick zu. Der wirkte bei Lily, der wirkte bei Peter und er wirkte vermutlich auch bei der Hälfte der Bevölkerung von Soho, aber Remus hatte schon vor Jahren beschlossen, dass sich Sirius mit diesem Blick an ihm die Zähne ausbeißen durfte. Angestrengt blinzelnd ignorierte er den Augenaufschlag. Es wirkte. Eine Spur frustrierter fuhr Sirius schließlich fort. „Du bist ein oller Spielverderber, Moony. Aber gut, du hast Recht. Mit James muss ich nicht rechnen, der ist im sommerlichen Winterwunderland und lebt glücklich und zufrieden, bis der Arbeitsalltag sie scheidet. Was ist mit Wormtail?“

„Hat gesagt, er verbringt sein Weihnachtsfest bei seiner Mutter.“

„Also ist er eigentlich bei Karen und hat mit ihr sein ganz eigenes Stückchen klebriger Zuckerstangen. Habe ich erwähnt, dass ich auch gerne welche hätte? Nach Möglichkeit jetzt?“

Remus schnaubte. Statt zu Sirius blickte er eisern in seine Tasse. Darauf würde er sich garantiert nicht einlassen. „Davon hattest du letzte Nacht doch wohl genug, oder?“

„Auf einer Parkbank?“ Sirius schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Nein, nein, Remus, mein prüder Freund, das war keine rosarote, klebrige, angelutschte Zuckerstange. Es war ein Zitronenbrausebonbon. Und es gibt einen Unterschied zwischen denen und rosaroten, klebrigen, angelutschten Zuckerstangen. Die einen prickeln kurz auf der Zunge, von den anderen hat man länger was von. Vornehmlich, weil man sie nicht mehr aus den Haaren bekommt.“

„Und das jetzt wäre natürlich eine rosarote, klebrige-, nein, spar dir die Antwort. Ich kenne sie.“ So viel zu den guten Vorsätzen Sirius Ego den Raum zum Aufwachen zu lassen. „Was machst du zu Weihnachten?“

Sirius starrte ihn erneut an. Im Licht der Kerzen und der langsam höher kriechenden Dämmerung konnte Remus mitverfolgen, wie seine Mimik von beleidigt schmollend über grübelnd an seiner Unterlippe kauend bis hin zu dämlich grinsend wechselte. Die Sache war zu einfach, wirklich.

„Das Übliche. Ich denke, ich vergifte meiner Verwandtschaft mit meiner Sexualität die traute Weihnachtsatmosphäre.“

„Das heißt, du schickst eine Karte?“

Sirius schüttelte den Kopf. „Nö. Ich schicke einen Brief. Mit Abzügen. Ich brauche nur noch jemanden zum Posieren. Interesse? Peter könnte die Photos machen, gesetzt den Fall, dass er sich nicht schon bei Karen verkrochen hat, wie eine Ratte in ihrem Loch.“

Die Stirn runzelnd überging Remus den schlechten Witz und schüttelte den Kopf. „Nein. Kein Interesse, aber ich bin mir sicher, dass du jemanden findest.“

„Sicher?“

„Ganz sicher.“

„Spielverderber.“

Schmollend, aber immerhin wach genug, um sich zu bewegen, griff Sirius selbstständig nach der Kanne und goss sich nach. Vermutlich verbrannte er sich beim Trinken erneut die Zunge, aber dieses Mal ließ er die Sache unkommentiert. Stattdessen musterte er Remus, die Tischplatte, das Blumenmuster der Kanne, die orangen Küchenschränke und dann wieder Remus.

„Und, was machst du zu Weihnachten?“

Auf die Frage hatte er es angelegt, zugegeben, aber das hieß nicht, dass es ihm Spaß machte, sie zu beantworten. Vermutlich wartete Remus deshalb zu lange, sodass Sirius die Lunte roch. Die Augenbrauen zusammengezogen und das Kinn vorgestreckt schob er sich über den Küchentisch näher in sein Blickfeld.

„Deshalb machst du mir Tee“, stellte sein Freund trocken fest. „Was ist es dieses Mal?“

Ohne ein weiteres Wort zog Remus den Brief – Dumbledores Brief – aus seiner Tasche und reichte ihn an seinen Freund. Ebenfalls wortlos schnappte Sirius sich das Pergament und entfaltete es. Seine Augenbrauen zogen sich beim Lesen noch weiter zusammen.

„Moony, Moony, Moony“, tadelte er schließlich. „Andere Leute kriegen Socken zu Weihnachten. Oder Schmuck. Oder Lily in Unterwäsche. Und was kriegst du? Ein Selbstmordkommando.“

„Es ist kein Selbstmordkommando, Padfoot“, gab Remus zurück, war sich gleichzeitig aber bewusst, dass selbst sein Gegenüber hören musste, wie halbherzig diese Antwort klang. Wenn er ehrlich war: Er war selbst zu einem ähnlichen Schluss gekommen, als Dumbledore ihm den Auftrag, über Weihnachten hinter den Polarkreis zu verreisen, erteilt hatte. Aber man sagte nicht nein, wenn Dumbledore einen Auftrag vergab. Das hatte er in dem halben Jahr, in dem er nun für den Orden des Phönix arbeitete, begriffen. Natürlich, man konnte ‚Nein!‘ sagen. Offiziell ließ der alte Direktor diese Entscheidung genauso offen, wie er seinen Schülern die Entscheidung überließ, ob sie ihre Hausaufgaben machten, oder nicht. Gleichzeitig schwebte aber auch immer die Gewissheit mit im Raum, dass alles noch viel, viel schlimmer werden würde, wenn man sich für das ‚Nein!‘ entschied. In der Schule bedeutete das nur Punktabzüge und Strafarbeiten – das hatte er deutlich an seinen drei Lieblingsmitschülern erlebt – aber nun, in der Ordensarbeit, waren die Folgen nicht mehr einfach nur unangenehm. Und Remus kannte viele unangenehme Dinge. Einmal im Monat wurde er schließlich selbst zu einem.

Den Bissen, den Dumbledore ihm zwischen all den freundlichen Worten zuwarf, hatte er jedenfalls geschluckt, obwohl der sich in seinen Gedanken anfühlte, wie ein Kohlkopf im Mund eines Werwolfes. Dabei war Remus nur Teilzeit-Carnivore.
 


 

Sirius ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen und schien das Quietschen zu genießen, das davon kündete, dass sie möglicherweise bald gar keinen Stuhl mehr in der Küche haben würden. Die Anrichte in seinem Rücken, gegen die Remus sich lehnte, fühlte sich gleich noch ein wenig unbequemer an. Möglicherweise hatte sich Sirius Einrichtung mit ihrem Besitzer verbrüdert. Aber nein, das war Quatsch. Niemand, der noch ganz bei Trost war, verbrüderte sich mit Sirius Black. Deswegen waren sie ja die Herumtreiber und Sirius Anrichte gehörte sicherlich nicht dazu.

„Seit wann weißt du, dass Dumbledore dich zu seinem kleinen, niedlichen Selbstmordkrieger auserkoren hat?“

Für einen Moment war Remus versucht, zu lügen. Aber er wusste zwei Dinge: Erstens log er nicht gern und zweitens würde Sirius es sowieso erschnüffeln, als sei er ein großer, schwarzer Bluthund. Seufzend blieb er bei der Wahrheit.

„Zwei Wochen.“

Sirius beugte sich vor. Remus musste ihn nicht in seinem Augenwinkel beobachten, um zu wissen, dass er mit dünnen Fingern nach seiner Tasse griff, um sich daran festzuhalten, wie sonst an einer Flasche Butterbier.

„Und das sagst du mir jetzt?“

„Sieh es so: Ich sage es dir überhaupt.“

Angesichts seines Wachheitszustandes verstand Sirius erstaunlich schnell. Für einen Moment – einer Remus-Minute, im Übrigen, keinem Sirius-Augenblick – starrte er ihn an. Seine Augen weiteten sich nur ein wenig, vermutlich, weil er sie um diese Uhrzeit nicht weiter öffnen konnte. Dann stürzte er ruckartig den Inhalt seiner Tasse hinunter und verbrühte sich dabei möglicherweise den Rachen. Die Hälfte hustete er ohnehin wieder aus, weshalb es Remus nicht irritierte, als Sirius mit kratzigerer Stimme fortfuhr.

„James weiß nichts davon?“, fragte sein Freund heiser und hustete erneut.

Remus Mitleid hielt sich in Grenzen und beschränkte sich darauf, nach dem nächstbesten Lappen zu greifen und die Teelachen vom Tisch zu wischen.

„Ich habe es ihm erzählt. Zwischen Montrose gegen Puddlemere und Arrows gegen Portree. Also ja, er weiß, dass ich auf Mission gehen werde“, gab er schließlich dünn zur Antwort. Dabei zelebrierte er es, den Lappen über der Spüle auszuwringen. „Ich kann allerdings nicht ausschließen, dass er glaubt, ich besuche meinen familiären Streichelzoo.“

Das Husten, das Sirius Kehle entwich, war möglicherweise gleichzeitig ein Lachen.

„Allein das Unternehmen wäre lebensmüde genug, Moony. Was ist mit Peter?“

„Kennt die gleiche Geschichte.“

„Ich sollte mich wirklich geehrt fühlen, huh?“

Als Antwort zuckte Remus nur mit den Achseln. Sirius würde ohnehin nicht von seiner Meinung abweichen, die er längst gefasst hatte. Dazu war er ein viel zu großer Dickschädel. Außerdem kannte Remus die drei Phasen einer Padfoot-Entscheidungsfindung und konnte diese gerade viel zu deutlich im Gesicht des anderen lesen. Die erste Phase, die so viel umfasste wie ‚Ich bin entsetzt und spucke daher all das aus, was ich gerade im Mund habe. Sollte ich wieder erwarten nichts im Mund haben, werde ich schon etwas finden, was ich mir hineinstecken und anschließend wieder ausspucken kann‘, hatte er hinter sich gelassen. Genauso hatte er auch Phase zwei - ‚Ich entscheide, was ich will und werde ab jetzt jede abweichende Meinung ignorieren oder durchschütteln‘ – überwunden. Nein. Genauso, wie seine Gedanken gingen auch Sirius‘ Gesichtsmuskeln zu Phase drei über und fletschten, metaphorisch gesprochen, angriffslustig die Zähne. Remus mochte Phase drei nicht sonderlich. Sie bedeutete, sofern er in der Nähe war, in der Regel, dass Sirius ihn ins Kreuzverhör nehmen würde. Und auf das konnte Remus verzichten, allein schon, weil alle Aussagen, die er möglicherweise vornehmen oder auslassen konnte, das Ergebnis kaum beeinflussen würden. Ohnehin lagen Phase eins und zwei, die für eine Beeinflussung von Sirius Meinungsbild nötig waren, schon unüberwindbar weit zurück.
 


 

Einen letzten Hustenreiz schluckend, beugte Sirius sich wieder vor. „Dumbledore erwähnt in seinem Liebesbrieflein zwar leider nicht die große W-Frage, aber dafür für mich ominöse Mitsuizidgefährdete. Er nennt sie ‚Ordensmitglieder‘. Das heißt, wenn ich den Absatz richtig dekodiert habe. Die ganzen Schnörkel, Kringel und Schleifen könnten auch ‚Lieber Remus, ich wünsche mir zu Weihnachten ein Paar hübsche, warme, flauschige Liebestöter. Bitte nicht in grün. Dein Albi‘ bedeuten. Und schau mich nicht so an. Das da sieht nicht aus wie ein ein ‚us‘. Oder sieht das deiner Meinung nach aus wie ein ‚us‘? Ich finde, es sieht nicht aus wie ein ‚us‘.“

Zwar hielt Sirius ihm den Brief ziemlich prägnant vor die Nase, um ausgesprochen aufdringlich auf eines der Wörter zu deuten, doch Remus würdigte den Text keines Blickes. Er hatte ihn längst verinnerlicht, konnte jedes Wort rezitieren, und das nicht nur aufgrund seines beeindruckenden Textgedächtnisses. Die Nachricht war ihm längst ein Mantra geworden. Er seufzte.

„Dort steht ‚Tromso‘, Padfoot. Das am Ende ist ein O mit einem durchgezogenen Strich. Man spricht es seltsam aus. So wie O aber nicht ganz. Ö. So ähnlich. Jedenfalls – wirst du dort kein ‚us‘ finden können, weil es kein ‚us‘ gibt. Im Übrigen ist Fenwick der Glückliche.“

Sirius stockte und rückte näher.

„Fenwick? Fenwick wie in Benjy Montrose-Magpies-for-Zaubereiminister Fenwick?“

Ein knappes Nicken genügte Sirius, um sich in seinem Stuhl zurückzuwerfen. Der quietschte erneut ausgesprochen unglücklich.

„Wundervoll. Wenn Fenpie der Glückliche ist, dann weiß ich ganz genau, wer von euch der Unglückliche sein wird. Ich gebe dir einen Tipp: Er ist dummerweise kein Fan der Montrose Magpies und ich bin es nicht. Wer ist der Rest?“

„Dumbledore hat uns empfohlen, zwei Begleiter nach unserem Gutdünken auszuwählen, wenn wir wollen. Fenwick einen, ich einen. Ich fürchte nur, den Namen von Fenwicks Vorschlag kannst du nicht schreiben.“

Diese Antwort hatte ihren gewünschten Effekt. Sirius Kopf ruckte hoch. Beleidigt richtete er sich in seinem Stuhl auf.

„Moony? Falls du es noch nicht wusstest: Ich kann schreiben. Wirklich. Oder denkst du, ich habe meine N.E.W.T. von James abgemalt?“

Remus griff zu einer der gemeineren Antwortmöglichkeiten, die er im Ärmel hatte – er reagierte mit einem wohlplatzierten Schweigen, bei dem sich Sirius die Bedeutung von selbst aussuchen durfte. Alles war möglich von ‚Nein, natürlich nicht‘ über ‚Ja, was wohl auch sonst?‘ zu ‚Nein, natürlich nicht. Ihr habt beide von mir abgemalt‘. Sirius‘ Reaktion war klar, denn Sirius war eben Sirius und dieser entschied sich, wenn er die beleidigte Leberwurst spielen wollte, immer für die Variante, die ihn am meisten beleidigte. Sein Kopf näherte sich der Tischplatte, damit er besser von unten auf ihn herab grollen konnte. Schmollend schob er die Unterlippe vor und funkelte ihn an. Tatsächlich schafften es seine Augen in diesem Moment, mehr zornig als müde zu wirken.

„Du bist gemein, Moony“, verkündete er theatralisch und verzichtete nicht darauf, drohend mit dem Zeigefinger unter Remus‘ Nase herumzufuchteln.

Remus antwortete daraufhin mit weiterem Schweigen, woraufhin Sirius die Unterlippe noch ein wenig mehr vorschob. Dann sah er schlagartig ein, dass Remus nicht nachgeben würde, möglicherweise, weil er sich daran erinnerte, dass es ihn Mühe kosten würde, Remus zum Aufgeben zu bringen, denn der war nicht James oder Peter. Mit einer harschen Bewegung hob er den Kopf wieder und schob seine Nase und den Rest seiner Existenz noch weiter in Remus‘ Blickfeld. Ein Hund hätte bei dieser penetranten Nähe möglicherweise bereits zugebissen – Sirius passierte das manchmal – aber er war ein artiger Wolf. Außerdem wollte er sich die darauf unvermeidlich folgenden Kommentare ersparen.

„Okay, nächste Frage. Wenn Fenwicks Begleiter Mister Sirius-kann-seinen-Namen-nicht-schreiben ist, wer ist dann deiner?“

Remus zuckte mit den Achseln.

„Niemand.“

„Niemand?“

„Niemand. Ich habe nicht vor, jemandem das Weihnachtsfest zu verderbe, indem ich ihn auf eine lebensgefährliche Ordensmission zum Polarkreis nötige.“

„Also“, Sirius unterbrach sich für einen Moment, um mit der Zunge zu schnalzen, „verdirbst du lieber allen anderen das Weihnachtsfest, indem du einen Mann weniger mitnimmst und deswegen noch viel wahrscheinlicher in den Schnee beißt?“

„Nicht Weihnachten. In Anbetracht der Gesamtsituation des Auftrages, wird der Ausgang von selbigem eine Weile benötigen, um Großbritannien zu erreichen. Ich verderbe also niemandem das Fest.“

„Nur Neujahr.“

„Ja.“

Dieses Mal konnte Remus Sirius‘ Mimik nicht zu seiner Zufriedenheit lesen. Entweder war sein Gegenüber gerade ernsthaft belustigt oder aber ernsthaft gekränkt. Möglich auch, dass er sich zwischen diesen Aspekten nicht entscheiden konnte oder wollte. Jedenfalls zuckten seine Mundwinkel verdächtig, während sich seine Augenbrauen zusammenzogen wie die Regenwolken um den Sonnenaufgang in Remus‘ Rücken. Sirius-Augenblicke vergingen. Auch wenn sie sich nicht deutlich widerspiegelten und das Spucken fehlte, erahnte Remus doch die drei üblichen Phasen.

‚Verdammt!‘

‚Okay, was anderes kommt ohnehin nicht in die Tüte.‘

Und dann: Festbeißen.

Glücklicherweise biss Sirius nur verbal. Dieses Mal.

„Ich glaube, du vermiest mir viel mehr das Weihnachtsfest, wenn du nicht da bist und stattdessen in den Schnee beißt, als wenn du mich zum in den Schnee beißen einlädst. Bin dabei.“

Natürlich hatte er geahnt, dass Sirius zu genau diesem Schluss kommen würde. Er hatte die verbalen Zähne in seiner Mimik gesehen, bevor er zugeschnappt hatte, und jetzt spürte Remus förmlich, wie sein Wille ihn gepackt hielt und durchschüttelte. Unwillig schloss er die Augen und zählte bis zehn. Dann zählte er noch einmal, dieses Mal bis hundert, nur um sicher zu gehen. Er konnte Sirius Blick zwar nicht sehen, doch er spürte ihn auf der Haut. Dieses fordernde Kribbeln, das er immer dann in ihm auslöste, wenn er sich etwas wirklich felsenfest in den Kopf gesetzt hatte. Remus wusste, dass er zur nächsten Stufe, dem Hundeblick, übergehen würde, wenn er seinen Willen nicht bekam. Und im Gegensatz zu den meisten Hunden war Sirius ausgesprochen ausdauernd, was selbigen anbelangte. James vermutete dahinter eine Überlebensstrategie, die ihn davor bewahrte, von einer Horde wütender Fünftklässlerinnen in der Luft zerrissen zu werden, und Remus billigte dieser Idee gewisse Realitätschancen zu. Wenn er ehrlich war, konnte er sich besseres vorstellen, als die nächsten drei Tage von einem herzerweichenden Dackelblick verfolgt zu werden.

Kapitulierend vergrub er das Gesicht in seiner linken Hand.

„Du brauchst einen Schlafsack, Soren braucht die Informationen für die zusätzlichen Vorräte und ich brauche mehr Tee. Oh, und ich hoffe, du kannst Skifahren.“

Die unausgesprochene, dafür aber reichlich verdatterte Frage „Wie? Skifahren?“ hing für einen Moment im Raum, dann erhob Sirius sich ächzend. Mit mehr Körperkontakt als nötig schob er sich an Remus vorbei, erhielt aber nicht die angestrebte zwischenmenschliche Aufmerksamkeit, denn Remus konzentrierte sich darauf, sich die Schläfen zu reiben. Während sein Freund sich möglichst geräuschvoll daran machte, Wasser aufzusetzen, verfluchte er sich dafür, so einfach nachgegeben zu haben. Natürlich war er nicht dumm genug um zu behaupten, dass er nicht bereits vor diesem Morgen darauf gehofft hatte, Sirius würde ihn begleiten. Aber trotzdem hatte er geglaubt, standfester zu sein. Zumindest für eine Weile. Vielleicht sogar bis tausend zählen zu müssen...

Die nächsten drei Tage würden Stress bedeuten. Er hatte die Ausrüstung bereits komplett, auch weil das meiste der Norweger besorgte, dessen Namen er nicht aussprechen konnte. Aber er würde Sirius noch den Spaß, den er sich vermutlich unter dieser Mission vorstellte, austreiben müssen. Und natürlich wollte Sirius noch diese Photographien-

Er schluckte und warf einen Blick zwischen seinen Fingern hindurch. Der Himmel war mittlerweile regenwolkengrau und das Licht, das durch die Fenster fiel, ließ Sirius Gestalt als dunkle Masse erscheinen, der man keinen Wasserkessel – und erst recht kein Feuer oder gar einen Zauberstab – in die Hand geben sollte.

„Und du willst deiner Familie wirklich Abzüge zu Weihnachten schicken?“

Die dunkle Masse, die Sirius war, zuckte mit den Schultern.

„Ich dachte an einen Brief für Mama Walburga und einen für mein liebstes Brüderchen. Wallis Blick werde ich nicht sehen können, aber ich dachte daran, unsere Jungs aus Gryffindor um einen kleinen Gefallen zu bitten. Irgendwer wird schon ja sagen. Also, willst du nun mitmachen oder willst du nun mitmachen?“

Remus seufzte verhalten. „Ich habe dir bereits gesagt, dass das nichts für mich ist.“

„Du bist so prüde.“

„Bin ich nicht! Ich habe nur andere Probleme, da brauche ich nicht noch eins mehr. Zumal wir keine rosaroten, klebrigen und angelutschten Zuckerstangen sind. Vergessen?“

Leise blubberte heißes Wasser in die Teekanne, ein langer Moment, in dem sich Sirius zu sehr auf seine Tätigkeit konzentrierte, als dass er mehr Aufmerksamkeit zum Reden übrig gehabt hätte. Viel zu schnell war er vorbei, doch das Wort, das schließlich folgte, war nicht das, welches Remus erwartet hatte.

„Okay.“

„Okay?“

Remus hob den Kopf, ohne die Hand vom Gesicht zu lösen. Zwischen Ring- und Mittelfinger hindurch musterte er seinen Mitbewohner argwöhnisch. Der zuckte neuerlich mit den Achseln. Für einen Moment drehte er Remus den Rücken zu, um den Kessel zurückzustellen.

„Okay“, wiederholte er. „Du musst echt nicht mitmachen. Ich werde schon einen passenden Ersatz finden. Denke ich. Das heißt – glaube ich. Na gut. Hoffe ich. Oder... Ach, weißt du...“

Nicht nur Remus war gut darin, Sprachpausen zu seinen Gunsten zu nutzen. Die folgende zögerte Sirius gerade genug hinaus, damit Remus das Grinsen darin spüren konnte. Dann drehte er sich um.

Jedes seiner Nackenhaare stellte sich auf. Ein Kloß bildete sich in Remus‘ Hals und ließ ihn nicht schlucken. Wie magisch angezogen suchte er Blickkontakt. Und da war er.

Der Blick.

„Ich glaube, ich hab‘s mir gerade anders überlegt.“

20. Dezember 1978, 18 Uhr, Glasgow

Peters Augen wurden immer größer, während er durch die Abzüge blätterte. Remus-Minuten dehnten sich in Peter-Weilen. Außerdem war er genauso rot im Gesicht, wie Remus sich fühlte. Nur Sirius, der grinste vor sich hin, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Beine über die Sofalehne baumeln lassend. Matschige Schneeflocken klatschten gegen die Fensterscheiben und schmolzen dort genauso wie auf den Gehsteigen. Durch das nasse Glas drang schmutziges Licht in Sirius‘ Wohnzimmer und ließ die gepackten Muggelrucksäcke – Fenwicks Idee – bei der Tür zum Flur in den Schatten verschwinden. Peters blonden Haaren nahm es die Farbe und auch Remus eigener Haarschopf erschien in diesem Licht eher mausbraun. Nur Sirius konnte das nichts anhaben – der strahlte, ausgesprochen zufrieden mit sich, eine Selbstsicherheit aus, dass man ihm weder die Bilder in Peters Händen noch die anstehende, möglicherweise tödliche, Auftragsreise nach Norwegen zutrauen mochte.

Und doch stand er felsenfest hinter beidem und freute sich darüber. Und über Peters entsetztes Gesicht. Vermutlich vor allem über Peters entsetztes Gesicht. Bevor Peter geklingelt hatte, hatte Sirius hatte ihn, Remus, in den Plan eingeweiht, dass er einen letzten Test mit den Bildern durchziehen wollte – Peter hingegen nicht. Der hatte zwar bereitwillig zugestimmt, für Sirius ein paar Briefe an Eulen zu binden, solang dieser weg war, doch er hatte nicht damit gerechnet, den Inhalt dieser Briefe zu Gesicht zu bekommen. Und hätte er gewusst, was darin war, er hätte ihn vermutlich auch gar nicht sehen wollen. Mit Sirius in der Gleichung ging das natürlich nicht auf. Der war zwar einer von Peters besten Freunden, aber das bedeutete auch, dass er ihm – genauso wie Remus – die Gnade erwies, ihn nicht von seinen Scherzen auszusparen. Ausgespart wurde nur James und das vermutlich auch nur, weil Sirius Lilys Zorn fürchten musste.
 


 

Peters Mund indes bewegte sich wie der eines Karpfens.

„Ich wusste nicht, dass ihr-“

Er beendete seinen Satz nicht. In seinem Augenwinkel sah Remus, wie Sirius den Mund zu einer Antwort – für die er ihn würde beißen müssen – öffnete und entschied spontan, ihm das Wort abzuschneiden.

„Sind wir auch nicht, Wormtail“, warf er, möglicherweise etwas schärfer als nötig, ein. „Sirius brauchte nur einen … Mitspieler für die Bilder und hat mich darum gebeten, mehr nicht.“

Peters wässrige Augen richteten sich von den Bildern auf sein Gesicht, ohne dabei seinen Blick zu suchen. „Aber wenn ihr nicht … ihr wisst schon … warum machst du dann mit?“

„Ja, Moony, warum machst du dann mit?“, höhnte Sirius neben ihm. Missbilligend schlug Remus seine Hand beiseite, die gerade erneut zu seiner Schulter wanderte.

„Warum wohl? ‚Komm schon, Moony! Ich tu dir den Gefallen und geh mit auf deine Mission. Damit du nicht so einsam bist, mit dem ollen Fenwick im ewigen Schnee, und passe auf, dass du nicht aus Versehen reinbeißt. Und dafür machst du mit, ja?‘, darum.“

„So habe ich das nie gesagt!“

„So hast du es gesagt. Mit deinem Blick und das weißt du.“

„Gar nicht wahr.“

Statt weiter Kontra zu geben, verdrehte Remus nur die Augen. Peter würde die Geste schon sehen und verstehen. Peter war gut darin, Gesten zu sehen und zu verstehen, besser als er selbst und sowieso besser als der Idiot neben ihm.

Doch Peter las seine Geste nicht – er warf stattdessen den Rucksäcken neben der Tür einen so langen wie zweifelhaften Blick zu.

„Ewiger Schnee?“, echote er schließlich leise. „Ich dachte, eure Mission...“

„Weißt du...“

Peters Augen wurden ganz langsam immer größer. Remus konnte ihnen dabei förmlich zusehen. Und, vielleicht war das auch nur seine Einbildung oder aber tatsächlich sein Werwolfblut, er konnte praktisch riechen, wie der Stress in dem jungen Mann wuchs. Genauso, wie er sich einbildete beobachten zu können, wie sich seine Haltung versteifte und sich seine Nackenhaare aufstellten.

An dieser Stelle schüttelte er endlich den Kopf und vertrieb damit seine Jagdinstinkte. Er konnte Peters Nacken nicht einmal sehen. Es ging nicht, allein schon wegen dem roten, flauschigen Schal um seinen Hals. Peters Nackenhaare konnte er deshalb noch viel weniger sehen. Er blinzelte, um auch das Bild zu vertreiben, das seine Sinne ihm vorgaukelten.

Sirius musste das Ganze bemerkt haben, denn Remus spürte seinen Blick auf sich ruhen. Dieses Mal veräppelten ihn seine Sinne nicht. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann beugte sich sein Mitbewohner zu ihm hinüber. Dieses Mal ganz ohne anzügliche Hintergedanken.

„Kleines, haariges Problem?“

Remus zuckte mit den Achseln. „Sollte sich demnächst bessern. Übermorgen ist Halbmond.“

„Dann hoffen wir, dass wir bis übermorgen Zeit haben, bevor die Probleme richtig losgehen, hm?“, murmelte Sirius zurück. „Das letzte, was wir brauchen, ist ein Moony, der komplett den Weg des Werwolfs geht, wenn wir mit den Todessern kuscheln.“

Remus schnaubte belustigt. „Ich glaube, in so einem Fall willst du, dass ich komplett den Weg des Werwolfs gehe, Padfoot.“

Vor ihnen räusperte sich Peter verhalten und lenkte ihre Blicke wieder auf ihn. Er sah nicht mehr zu dem Gepäck, vermied es lieber ganz dorthin zu sehen und zog stattdessen angespannt beide Augenbrauen hoch, um sie kritisch zu mustern.

„Ich will euch Turteltäubchen ja wirklich nicht stören –“

„– Hörst du, Remus, jetzt nennt selbst Wormtail uns schon Turteltäubchen, Zeit dass du es endlich einsiehst –“

„– Halt den Mund, Padfoot –“

„– aber könntet ihr bitte für einen Moment aufhören, euch mit euch selbst zu beschäftigen und damit beginnen meine Phantasien und Ängste zu zerstreuen? Bitte? Wisst ihr, ich sehe gerade ziemlich viel Schnee und Blut vor meinem inneren Auge und einen lachenden Lucius Malfoy noch dazu, und eigentlich möchte ich das nicht vor meinem inneren Auge sehen.“

Remus‘ Phantasie war generell nicht sonderlich blühend. Nur wenige Dinge schafften es, seine Vorstellungskraft so sehr anzustacheln, dass sie Peters übertraf. Oder die von Sirius, allerdings selbige nur dann, wenn diese gerade an bestimmte, zwischenmenschliche Aktivitäten dachte. Eines dieser Worte war das Wort mit B: Blut. Die Phantasie seines inneren Werwolfes machte Freudensprünge. Dummerweise durfte Remus es ausbaden. Schlagartig sah auch er Blut und Schnee – ja, in dieser Reihenfolge – vor seinem inneren Auge. Als er die Lider aufeinander presste, um das Bild loszuwerden, wurde es nur noch intensiver. Dunkelheit umfing ihn, durchbrochen nur von hellen, weißen Flocken, die nicht gegen die Fensterscheiben klatschten, um dort zu schmelzen. Sie sammelten sich vielmehr zu einer dichten Schneedecke und die war, nun, durchtränkt von Blut. Viel Blut. Rosafarbene Schlieren zogen sich durch das Weiß des Schnees und konzentrierten sich in ihren Zentren zu einem leuchtenden Rot.

Warum auch immer Peter sich Lucius Malfoy vorgestellt hatte – Remus hatte ihm keine Namen der betreffenden Todesser nennen können, da er sie selbst nicht kannte – wusste er nicht. Fakt aber war: Remus sah ihn auch. Nur lachen tat er in seinem Bild nicht. Würde er vermutlich auch nie wieder. Dafür spürte er in sich selbst eine überschäumende Genugtuung aufsteigen, die dafür sorgte, dass ihm schlecht wurde. Seinem inneren Werwolf nur leider nicht.

Ruckartig drehte Malfoy ihm das Gesicht zu.

„Siehst du mich auch oder nur den ollen Schnösel? Seh ich gut aus? Wie viel habe ich an?“
 


 

Abrupt öffnete Remus die Augen. Ein toter und trotzdem sprechender Malfoy? Das war zu viel Phantasie für ihn. Sirius‘ Wohnung erschien wieder in seinem Blickfeld und überlagerte sich mit der Phantasie. Er blinzelte. Die Vorhänge mit den blauen und grünen Blumen auf orangem Grund – die Remus nur noch nicht weggeworfen hatte, weil sie von James waren und er diesem den Triumph nicht gönnte – traten wieder deutlicher hervor. So deutlich, dass ihm von dem Farbkontrast die Augen tränten. Noch heftiger blinzelnd sah er weg und erkannte den Katalysator dicht bei der Flurtür. Ihre gepackten Rucksäcke daneben. Die Halde. Der Teppich, dessen Flecke mittlerweile echt waren. Und Peter, der wie ein Häufchen Elend auf einem der Küchenstühle, die Remus in der Küche vermisste, saß und überlegte, wie ernst er Sirius nehmen sollte. Nun, wenigstens achtete er nicht auf Remus.

Schließlich schürzte Peter die Lippen zu einem schmalen Grinsen und sah gar nicht mehr so elend aus.

„Ja. Nein. Du hast sogar Teile deiner Haut ausgezogen.“

Den Druck von Sirius Hand auf seiner Schulter bemerkte Remus erst, als dieser ihn löste, um sie stattdessen für eine Geste anzuheben. Nicht, dass Remus diese Geste erkennen konnte. Für ihn sah es einfach nur so aus, als wolle Sirius seine Nase erschlagen. Vorsichtshalber hob er daher die eigene Hand zwischen seiner Nase und Sirius fuchtelndem Körperteil. Sirius bellendes Lachen spürte er sogar über die Rückenlehne.

„Dass die olle Winselbacke mich einmal so weit bringen würde!“

„Er ist eben ein richtiger Charmeur“, antwortete Peter nickend. Sein Grinsen wurde breiter, erlosch dann aber schlagartig. „Also? Was macht ihr auf eurem … Ausflug wirklich?“

Der Themenumschwung kam so abrupt, er wischte Sirius das Lachen aus dem Gesicht – kurzzeitig zumindest – und trat dem erhebenden Gefühl, das immer noch in Remus Brust lauerte, die metaphorischen Beine weg. Irgendwie war er darüber nicht so unglücklich, wie er es sein sollte. Die Grimasse, die er für das, was nun kam, brauchte, zog sein Gesicht da fast von selbst. Er schluckte bedeutungsschwer und ergriff das Wort, bevor Sirius den Mund aufbekam.

„Die Kurzfassung genügt? Nun, Dumbledores Augen und Ohren haben ihm offenbart, dass Voldemort eine Expedition in den Norden Europas entsenden will. Seine Vorbereitungen sollten – wie die unseren – abgeschlossen sein, weshalb er davon ausgeht, dass es nur eine Frage von Tagen ist, wann seine Todesser starten. Dumbledore hat beschlossen, den Orden ebenfalls zu entsenden, um genauere Informationen einzuholen und, wenn möglich, die Pläne der entsandten Todesser zu vereiteln oder zumindest der Verstärkung den Weg zu ebnen.“

Nachdenklich nickte Peter und sah von Sirius zu ihm, wieder zu Sirius und schließlich auf seine Fingerkuppen. In einer nervösen Geste schlug er Daumen und Mittelfinger immer wieder gegeneinander, während er das Gesagte in seinem Kopf hin und her zu wälzen schien. Jäh hielt er inne und sah auf.

„Zusammenfassung: Ihr wisst weder, wonach ihr sucht, noch wo genau ihr suchen sollt. Richtig?“

„Richtig“, antwortete Sirius, doch Remus fiel ihm kopfschüttelnd ins Wort.

„Tatsächlich vermute ich, dass Dumbledore eine recht genaue Vorstellung davon hat, was uns erwartet.“

„Also erzählt er euch nur nichts, damit ihr nicht panisch die Flucht ergreift?“

Remus zuckte mit den Achseln. „Möglich. Fenwick hat er, soweit ich dessen Geplapper richtig verstanden habe, einen magischen Gegenstand überlassen. Mir ebenfalls.“

Bevor Sirius sich darüber beschweren konnte, dass Remus ihm noch mehr Dinge vorenthielt – und ja, Remus wusste, dass sein Freund genau das im Sinn hatte – griff er in seine Hosentasche und zog das kleine, rechteckige Päckchen heraus, das Dumbledore ihm mit der Auftragsbeschreibung anvertraut hatte. Wie immer, wenn er es aus der Tasche zog, lag es überraschend schwer und warm auf seiner Hand.

„Ich soll es erst in Tromso öffnen, also bittet mich erst gar nicht darum, es hier-“

Zu spät.

Sirius war natürlich schneller. Bevor Remus überhaupt realisierte, dass er nach dem Päckchen schnappte, hatte sein Mitbewohner es längst in der Hand. Papier knisterte bedeutungsschwer, als Sirius die Verpackung von der kleinen Kiste riss.

„Sirius!“

Die Ermahnung brachte nichts.

Statt des Päckchens erwischte er nur Sirius Pullover, als dieser sich von ihm abwandte. Mit einem „Wird so gefährlich schon nicht sein!“ öffnete er die kleine Schatulle, die er aus dem Papier zog. Remus Blick fiel auf einen Anhänger an einer schlichten Goldkette. Der in das Metall eingelassene Edelstein leuchtete in orange, rot und braun. Seine Farben erreichten eine Tiefe, die sie pulsieren ließ.

Remus spürte, wie sich seine Atmung dem ruhigen Strahlen unterwarf. Langsam und stetig sog er die Luft ein. Genauso bedächtig atmete er aus. Angenehm warm legte sich eine unmerkliche Brise über seine Haut und ließ ihn sich weiter entspannen. Die Luftfeuchtigkeit stieg langsam. aber nicht unangenehm, an und kündete von einem Wind, der bald auffrischen würde.
 


 

Dann erreichte er das Kästchen mit den Fingern und schlug den Deckel zu.

Bevor Sirius „Hey!“ über dessen Lippen kommen konnte, nahm Remus die Schatulle wieder an sich. Er schluckte hart. Mit dem nächsten Atemzug fiel ihm das Luftholen schwerer, so, als hätte er plötzlich eine Sauna betreten. Die Temperatur in Sirius Wohnzimmer stieg nicht weiter, doch mit einem Mal war alles Angenehme verflogen. Die Luft drückte auf ihn, wie ein bevorstehendes Gewitter.
 


 

„Sirius?“, knurrte er. „Tu das nie wieder.“

„Aber ich will auch ein magisches Spielzeug.“

Sirius Blick fiel erneut, nichts Gutes versprechend, auf die Schatulle in seiner Hand. Doch dieses Mal war Remus vorbereitet. Ohne viel Federlesen steckte er sie unzeremoniell wieder zurück in seine Tasche und beließ seine Hand vorsichtshalber ebenfalls dort. Darauf, von Sirius wegzurücken, verzichtete er. Es würde ohnehin nicht viel bringen.

Für einen Moment wusste er, dass Peter eine Frage stellen würde, bevor dieser überhaupt den Mund geöffnet hatte. Im nächsten wurde ihm klar, dass Peter sich die Frage mühsam verkniff, weil er wusste, dass weder Sirius noch Remus ihm eine Antwort geben konnten. Die Frage hing dennoch einen weiteren Augenblick stumm zwischen ihnen, blieb aber unausgesprochen und unbeantwortet.
 


 

Schließlich fuhr Peter fort, so als hätten sie die stille Konversation tatsächlich geführt.

„Was auch immer das war, wenn Fenwick auch so eines hat, seid ihr–“

„Ich will auch eins!“

Keiner von ihnen beachtete den Zwischenruf. Peter schüttelte nur den Kopf und brach seine Vermutung ab – möglicherweise um kein unnötiges Unheil heraufzubeschwören.

„Egal. Ihr werdet Glück brauchen, Jungs. Also: Viel Glück. Wann seid ihr wieder hier?“

Remus zuckte mit den Achseln. Er spürte Sirius‘ Blick auf sich, woraufhin sich sein Griff um das Kästchen fast automatisch verstärkte. „Das werden wir erst wissen, wenn es so weit ist.“

Peter nickte. „Okay. Meldet euch, verstanden? Zumindest zu den Feiertagen.“

Natürlich wusste Remus nicht, wie er das bewerkstelligen sollte, mitten im norwegischen Winterwunderland, aber er nickte dennoch zustimmend. Sirius erneuten Einwurf blendete er, genauso wie das weitere Gequengel, aus. „Werden wir.“

„Und ich soll diese Photos wirklich an eine Eule binden?“

Sirius schüttelte den Kopf und wurde dann zu aufdringlich, um ihn zu auszublenden. „Nein Wormtail. Du sollst sie an zwei Eulen binden. Eine für Walli Black und eine für Heulsuse Black. Du weißt schon, die eine terrorisiert den Grimmauld Place, die andere Hogwarts. Nicht zu verfehlen.“

Nein, diesen Einwurf konnte Remus nicht überhören. Und Peter ganz sicher auch nicht. So blieb Remus nichts weiter übrig, als zu hoffen, dass Peter seine Geste des Augenrollens verstand. Diese Bilder waren nicht lustig, besonders nicht für ihn. Am besten, sie verschwanden irgendwo in der Themse. Peter sollte die Geste wirklich verstehen. Er kannte Remus schließlich. Dem dünnen Grinsen nach zu urteilen, das sich auf sein Gesicht stahl, kannte er Remus tatsächlich – und entschied sich dennoch dafür, die Geste zu ignorieren. Kleine, miese Ratte.

„Verstanden.“ Peter nickte und salultierte, als sei er ein standhafter Soldat im Anblick des unausweichlichen Todes. „Ich nehme an, dass ich mich mal umhören soll, welcher Gryffindor zufällig in der Nähe sein möchte, wenn die Eule die Heulsuse erreicht?“

„Wenn Karen dir genug Zeit zwischen Tannenbaum beschmücken und Karen entschmücken lässt, wäre das ein hervorragender Schachzug von dir. Natürlich würde ich verstehen, wenn sie das nicht tut.“

Peters Wangen wurden rot. Vermutlich waren sie wieder so rot, wie Remus sich beim Anblick der Photographien fühlte, die Peter zwischenzeitlich wirr auf den Tisch vor sich hatte fallen lassen. Sein Blick fiel auf eine Abbildung seines Rückens – mit Pullover, weil er ihn genauso festgehext hatte, wie die Hose, noch bevor Sirius den Gedanken äußerte, er könne ihn ausziehen – von dem er glücklicherweise nicht allzu viel sah, weil Sirius‘ anzügliches Grinsen ihn halb verdeckte.

Peters Hand legte sich darauf und schob die Bilder zusammen. Unwillkürlich atmete Remus auf, während sie in einem der Pergamentumschläge verschwanden. Viel deutlicher als die Rückenansicht wurden die Bilder zwar nicht, denn Remus hatte sich erfolgreich geweigert – und Sirius hatte die Klebeflüche nicht lösen können – doch peinlich waren sie definitiv genug.
 


 

Was folgte, war eine schnelle Verabschiedung. Die sonst so wortreichen Herumtreiber – zumindest drei der vier – verabschiedeten sich leise. Keine ausufernden Reden auf ihre Tapferkeit, keine Klapse auf Sirius Hinterkopf und auch keine übersentimentalen Umarmungen. Sie tauschten Blicke, wünschten einander viel Glück und dann schloss sich hinter Peters Rücken die Tür.

„Das war einfach“, murmelte Remus leise, ohne den Blick von der Wohnungstür zu nehmen, von der er nun nur noch Holz und den Türspion sah.

Neben ihm grinste Sirius und zuckte mit den Achseln. „Er rennt uns möglicherweise hinterher.“

„Oder er rennt Dumbledore hinterher und beschwert sich.“

„Oder James.“

„Oder James, ja.“

Remus schluckte. Der Druck, diese Expedition überleben zu müssen, war während des Gespräches um diverse Sprossen nach oben geklettert. Wenn er starb, würde Peter ihnen folgen. Möglicherweise mit James im Schlepptau. Selbst, wenn er James nicht mitnahm, würde der ihm nachfolgen. Und James wiederum folgte Lily. Unweigerlich. Und wenn es ihr nur darum ging, Remus wiederzubeleben, nur um ihn dann noch einmal umzubringen. Jemanden von den Toten wiederzuerwecken war nicht möglich, das wusste er, aber Lily traute er es zu. Lily traute er alles zu. Die Herumtreiber waren nicht ohne, doch keiner von ihnen war tollkühn genug, den Zorn der Lily E. nicht zu fürchten.
 


 

„Denkst du auch gerade an Lils?“

Remus nickte stumm. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

„Was machen wir jetzt?“

Schnaubend sah er nun doch von der Tür fort und erwiderte Sirius‘ Blick. Ihr Blickwechsel dauerte nicht lange, doch er verhieß unendlich viele, angenehme Möglichkeiten. Die meisten von denen, die in Sirius‘ Augen glänzten, waren nicht jugendfrei. Kopfschüttelnd wandte Remus sich schließlich ab.

„Tu uns beiden und deiner Wohnung den Gefallen und räum‘ deine Halde auf. Ich koche – falls ich noch etwas totes im Kühlbehälter finde.“
 


 

Sirius schob die Unterlippe vor, doch er fügte sich dem K-Wort. Vor einem halben Jahr hatte Sirius den Fehler gemacht, ihn für einen dieser ‚Köche‘ zu halten – einen von denen, die kochten, weil es feminin war und sie gerne feminin wären – zumindest hatte er ihn damit aufgezogen. Doch nach diesem halben Jahr des Zusammenlebens hatte er nicht nur begriffen, dass Remus nicht hinter ihm her räumte, wie ein artiges Weibchen, sondern auch, dass er nicht kochte, wie ein artiges Weibchen. Überdies hatte er verstanden, dass es keinen Nerven – weder denen von Remus noch seinen eigenen – gut tat, wenn er ihn in der Küche störte. Zumindest glaubte Remus das. Vielleicht hatte es Sirius auch einfach nur traumatisiert, mit anzusehen, wie er den Hasenbraten für Peters Geburtstag zubereitete. Das, oder die bittere Erkenntnis, das Fleisch nicht auf Bäumen wuchs.

Widerstandslos ließ er Remus passieren. Der wiederum würdigte weder ihn noch seine Plakate, die er in den Flur gehangen hatte, eines Blickes. Dafür beäugte er die hässlichen Vorhänge, den Katalysator und die Halde. Vornehmlich in der Hoffnung, dass das Zelt, welches sie sich teilen würden, nicht binnen kürzester Zeit ähnlich aussehen würde.

Das Wohnzimmer durchquerte er unbehelligt. Erst, als er die Klinke der Küchentür bereits hinuntergedrückt hatte, hörte er ein „Moony?“ hinter sich – doch da war er bereits weit genug entfernt, um bedenkenlos in die Küche zu treten und die Tür hinter sich schließen zu können. Der Rest von Sirius‘ Frage drang nur noch dumpf durch die Tür und ließ sich gut ignorieren. Mit einem Wink seines Zauberstabs ließ er die Flammen der Kerzen und der illegalen Feuerstelle auflodern, um den Raum zu beleuchten. Bedächtig schritt er an der Anrichte vorbei.

Vielleicht fand er ja noch ein paar Steaks im Kühlbehälter. Wenn er sich das Wetter in Glasgow so ansah und sich dann vorstellte, was ihn möglicherweise in Norwegen erwartete, stand ihm der Sinn nach Steaks. Blutigen Steaks.

Bevor er sich zu der Holztruhe, die, mit diversen Kühlzaubern versehen, ihre Lebensmittel frisch hielt, hinab beugte, warf er einen Blick aus dem Fenster, um sich das Elend noch einmal vor Augen zu führen und sich auf die Steaks einzustimmen.

Noch immer klatschten nasse Schneeflocken gegen die Scheiben, verharrten dort nur kurz, um dann zu schmelzen und in Schlieren das Glas hinab zu rinnen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Draußen schien das Licht der Straßenlaternen auf eine feine Schneedecke, die sich auf dem Gehweg gesammelt hatte und die kaum liegen bleiben würde, während sich drinnen das Licht der Kerzen in der Scheibe spiegelte. In seinem Augenwinkel verzerrte es sich zu seltsamen Schemen, die selbst wie Flammen tanzten, als er sich schließlich hinab beugte. Andere Zauberer, mit einer Phantasie, die nicht nur auf bestimmte Schlüsselworte reagierte, vermochten vielleicht mehr zu sehen. Er nicht. Er sah nur Schneeflocken, die Lichtreflexe der Kerzen und ein Paar hell glänzender Augen über einen schmalen Nase.

Sein Kopf ruckte hoch, so heftig, dass Remus sich beinahe an einem der Küchenschränke stieß. Unter der Nase lächelte ein zarter Mund. Helle Haare flatterten um die feinen Gesichtszüge des Mädchens, das nicht so undurchsichtig war, wie sie es hätte sein sollen, und umspielten ihre schmalen Schultern.

Er blinzelte irritiert.

Dann war sie fort.

21. Dezember 1978, 10 Uhr, Glasgow

Egal wie oft und wie lange er in dieser Nacht noch aus dem Fenster geblickt hatte – Remus hatte das Mädchen nicht wieder gesehen. Und wenn er daran dachte, welche Wesen dazu neigten, durchsichtig umher zu gehen und Zauberer zu erschrecken, kam er zu dem Schluss, dass es besser so war. Es gab natürlich Geister, aber das war nur die Spitze eines magischen Eisbergs. Die meisten davon waren alt und hielten sich von Menschen fern, weshalb Remus darauf hoffen konnte, dass sie sich auch von ihm fern hielten. Wenn er wirklich etwas gesehen hatte. Denn er war sich nicht mehr so sicher, dass das seltsame Gesicht auf der anderen Seite der Fensterscheibe da gewesen war. Vielleicht erwartete er auch nur, dass etwas seltsames geschehen musste, weil Sirius gestern die Schatulle geöffnet hatte, obwohl Dumbledore ihm etwas anderes befohlen hatte. Normalerweise hatte Dumbledore seine Gründe, wenn er Fristen setzte. Und normalerweise gingen die Sache nicht gut aus, wenn man diese Fristen missachtete.

Nicht, dass Remus in diesem Augenblick etwas daran hätte ändern können.

Seufzend wischte er Schnee vom Fensterbrett und starrte in den Innenhof. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses, dort wo Sirius‘ Zimmer und die Küche lagen, war die Sonne mittlerweile aufgegangen, doch ihr Licht drang kaum hierher. Nur durch das quadratische Loch, das die mehrgeschossigen Häuser, die zu allen Seiten hin aufragten, ließen, konnte er das Graublau des Himmels ausmachen. Unter ihm lagen die Mülltonnen, die Fahrräder der Bewohner und das Spielzeug von Kindern, die längst erwachsen waren, im Schatten. Hätte der Schnee nicht das Licht reflektiert, der ganze Hof läge im Dunkeln.

Ein dumpfes Fluchen, das durch die Wände drang, informierte ihn darüber, dass Sirius morgendliche Dusche nur noch kaltes Wasser für ihn bereit hielt. Nun, so beeilte er sich wenigstens.

Nachdem er einen letzten Blick in den tristen Innenhof geworfen hatte, schloss er mit sanfter Gewalt das klemmende Fenster. Sein Zimmer war nicht groß, so dass er nicht viel hatte, von dem er sich verabschieden musste. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch mit Stuhl und ein Regal voller Bücher. Eigentlich war das Regal zu klein. Die Bücher standen schon in zwei Reihen hintereinander und in einigen Zeilen hatte er sogar welche zwischen die Buchreihen und den nächsten Regalboden darüber geklemmt. Noch dazu waren die meisten davon nicht in dem besten Zustand – doch es war das Einzige in diesem Zimmer, von dem er sich wirklich verabschieden wollte. Ein weiches Bett war sicher nett und er würde es vermutlich vermissen, wenn er sich mit Sirius ein Zelt teilte, und der Schrank war möglicherweise der aufgeräumteste in der ganzen Wohnung, doch nichts davon hing ihm wirklich am Herzen.

Schweigend passierte er seine gedruckten Schätze, strich einigen davon über den Rücken und drückte andere etwas weiter ins Regal. Die, die ihm besonders wichtig erschienen, ein Buch über das Brechen von Flüchen und ein weiteres für Defensivmagie, hatte er genauso eingepackt, wie seine Ausgabe von Wuthering Heights. Es war eine Schande, dass er die anderen nicht ebenfalls mitnehmen konnte, aber sie wären nur Ballast auf einer Reise, die sich nicht zum Ziel gesetzt hatte, ein Literaturstudium zu beginnen. Für die, die er zurück ließ, konnte er nur hoffen, dass er wieder zurückkam. James hatte, genauso wie Peter, schlicht keine Ahnung davon, was Bücher wirklich bedeuteten. Mit einem letzten Blick auf die wenigen gut gepflegten Ledereinbände in der obersten Reihe, das Herzstück seiner Sammlung, wandte er sich ab und schritt zur Tür.

Dort drehte er sich ein letztes Mal um – und sie winkte ihm zu.

Dieses Mal war sie nicht mehr als eine Bewegung der Luft. Ihr Gesicht, ihre Haare, die Schultern und ihre feinen, dünnen Finger, all das konnte Remus nur erahnen. Aber er war sich sicher, dass sie da war. Ein Kichern spielte über ihre Lippen, erreichte seine Ohren durch das Fensterglas aber nicht.

Den Zauberstab gezogen war er schneller beim Fenster, als er auch nur auf den Gedanken kommen konnte, Sirius zur Hilfe zu rufen. Zitternd griff er nach der Klinke und hatte Mühe, sie zu drehen. Als er das Fenster endlich aufriss, war sie fort.

Nur eine Pfütze auf dem Fensterbrett, dort, wo er den Schnee nicht fort gewischt hatte, zeugte davon, dass er sich diese Erscheinung nicht eingebildet haben konnte. Einbildungen tauten keinen Schnee, nicht einmal in der magischen Welt.

Ein Angriff indes blieb aus. Genauso wie positive Ergebnisse auf die Aufspürzauber, die er eilig sprach. Nichts. Kein Geist. Keine weiße Frau. Keine Fee. Kein Fluch.

Nichts. Nur die Frage, ob er sich nicht doch nur einbildete, und Sirius, der aus der Dusche polterte und ihn daran erinnerte, dass Fenwick vermutlich schon auf sie wartete.
 

Eine halbe Stunde später wusste Remus: Fenwick wartete nicht, denn Fenwick kam zu spät. Als er endlich in dem alten, ungenutzten Geschäft auftauchte, sah Remus ihn in schwarz und weiß. Erst nach mehrmaligem heftigen Blinzeln realisierte er, dass er nicht in einen der seltsamen Muggelfilme geraten war, die Sirius manchmal auf dem Fernseher schaute, von dem Remus nicht wissen wollte, wo er ihn aufgetrieben hatte. Sirius hatte zwar gesagt, es gäbe auch Geräte mit Farbe, aber die gingen scheinbar kaputt, wenn er sich ihnen näherte. Sirius schob das auf seine überschäumende Magie, Remus auf sein überschäumendes Ego.

Fenwick indes blieb schwarz-weiß. Nur der Rest der Umgebung, so stellte Remus fest, war es nicht, weshalb es wohl an Fenwick liegen musste, dass nicht nur sein Hut, sein dicker Winterumhang und sein langer Schal schwarz und weiß waren, sondern auch sein Gesicht. Dann bemerkte Remus die Elstern auf der Kleidung und die Augenringe, die blass unter der weißen Gesichtshälfte durchschienen. Skeptisch hob Remus die Brauen.

Sirius, der dick eingepackt neben ihm stand, war schneller damit, einen dummen Kommentar vom Stapel zu lassen. „Guten Morgen Fenwick. Wie hoch habt ihr verloren?“

Für einen Moment sah die schwarz-weiße Gestalt Fenwicks so aus, als würde sie Sirius anspringen und ihn ganz unzeremoniell und unmagierhaft schlagen, doch dann sackte der Mann in sich zusammen, wie Peter wenn es um die Zensurvergabe ging.

„Vierhundertzwanzig zu Vierhundertzehn. Das Spiel ging die ganze Nacht, weil unser Sucher den Schnatz bei diesem beschissenen Schneefall nicht gefunden hat. Was kein Wunder war. Ich wette, dieser Mistkerl von den Wasps hatte ihn schon seit Stunden und hat einfach nur darauf gewartet, dass seine Mannschaft endlich genug Tore macht, und ihn dann aus dem Umhang gezogen. Nicht, dass ich das beweisen kann. Das meiste, was ich vom Spiel gesehen habe, war eine weiße Wand.“

„So siehst du auch aus.“
 

Fenwick schlug nicht zu. Er riss sich den triefend nassen Hut vom Kopf und warf ihn nach Sirius. Der duckte sich lachend. Wassertropfen flogen in alle Richtungen. Dort, wo der Spitzhut wie ein Sack Froschaugen gegen die Wand klatschte, hinterließ er einen mahnenden, nassen Fleck.

Immerhin war Fenwick damit nicht mehr ganz schwarz und weiß. Jetzt störten seine blonden Haare, die in Strähnen an seinem Kopf klebten, die Illusion.

Sirius lachte weiter. „Schlechter Wurf, Fenwick. Ich dachte, du hättest für Schottland spielen können und was tust du? Wirfst wie ein Mädchen.“

„Jedes Mädchen wirft besser als du, Mr. Ich-falle-bei-meiner-ersten-Flugstunde-in-die-Gewächshäuser Black. Aber gut. Als die Talente zwischen dir und Potter verteilt wurden, musste ja einer leer ausgehen, weil es für zwei nicht reicht.“

„Du-!“

Remus trat einen raschen Schritt vor und damit zwischen die beiden Streithähne. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, dass Sirius behauptet hatte, er, Remus, wäre der Unglückliche, wenn er mit Fenwick auf eine Expedition ging. Nun hatte er das Gefühl, dass sich jemand anderes diesen Schuh anziehen würde.

„Hört auf, alle beide. Wir haben besseres zu tun, als uns über Quidditch zu streiten.“

Um seine Worte zu unterstreichen, hob er die Arme, um den Raum, den er einnahm, zu vergrößern. Nicht, dass sie das in irgendeiner Weise aufhielt. Sirius fand es scheinbar sogar lustig, sich ein wenig vor und gegen seine ausgestreckte Handfläche zu lehnen, während er verbal nachlud.

„Ja, zum Beispiel darüber, dass Fenwick die Nacht vor dem Start dieses kleinen Selbstmordkommandos bei einem dummen Quidditchspiel verbracht hat und immer noch nass ist wie ein Sack! Nicht einmal James ist so dumm.“

Fenwick war keinen Deut besser. Aber wenigstens verschränkte er nur die Arme vor der Brust.

„Tut mir ja Leid, dass auch die Überwachung von Quidditchspielen auf dem Dienstplan eines Auroren steht!“

„Und deswegen bist du jetzt Schwarz-Weiß, Fenpie?“

„Sirius, darf ich dich daran erinnern, dass du dich aus der Wohnung geschlichen hast, nachdem ich ins Bett gegangen bin? Und darf ich dich darauf hinweisen, dass das Poltern heute Nacht um halb vier sehr eindeutig war?“

Dieser Hinweis saß. Er brachte Sirius effizient dazu, mit den Zähnen zu knirschen und zu schweigen. Fenwick seinerseits hatte wohl zumindest so viel Respekt vor ihm, Remus, um zwar abfällig zu grinsen, aber wenigstens nicht weiter zu provozieren. Remus atmete auf.

„Dankeschön. Können wir jetzt bitte zum Thema kommen? Ich habe den Portschlüssel, den Dumbledore uns hier hinterlassen hat, bereits gefunden. Er wird sich“, er warf einen Blick auf seine Uhr, „in wenigen Minuten selbst aktivieren und ich schlage vor, dass wir ihn nicht verpassen. Also. Fenwick, wo sind deine Sachen und, noch wichtiger, wo ist deine Begleitung?“

„Tromsö“, antwortete Fenwick schlicht. Er blickte kurz zu Remus, ignorierte Sirius und marschierte zu seinem Hut. Gelassen zog er den Zauberstab und behandelte das unschuldige Stück Stoff mit einem Zauber, dessen Aussprache Remus in den Ohren weh tat. Nach ein paar Versuchen dampfte der Hut unglücklich. Fenwick schien das immerhin zu bemerken und ließ davon ab, es noch einmal mit dem Trockenzauber zu versuchen und ihn damit eventuell in Brand zu stecken. Missmutig klatschte er sich den immer noch nassen Hut wieder auf den Kopf.

„Also, wo ist der Portschlüssel und müssen wir Black wirklich mitnehmen?“

In Anbetracht der Tatsache, dass Sirius die Fäuste ballte und Remus ihn am Umhang festhalten musste, um ihn daran zu erinnern, dass dies weder die Zeit noch der Ort für eine Prügelei war, fragte Remus sich das auch.

„Auf dem Fensterbrett.“

Fenwick folgte seinem Blick zu einem der verstaubten Fenster, auf deren Fenstern in Spiegelschrift noch immer ein Laden angepriesen wurde, den es längst nicht mehr gab. Auf einem der Fensterbretter, zwischen ein paar vor Jahren eingegangenen Blumen, stand der Portschlüssel, klein und rostig, wie der Rest des Ladens, und absolut unauffällig.

„Die Gießkanne?“

„Ist genauso hässlich wie du, j-au! Remus!“

Remus seufzte und nahm seinen Fuß von dem von Sirius. „Hört endlich auf, ihr beiden. Und ja, die Gießkanne. Können wir gehen oder wollt ihr euch davor noch eine Runde prügeln?“
 

Glücklicherweise wollten sie das nicht – wobei sich Remus nicht ganz sicher war, ob sie sich nicht einfach nur nicht trauten. Während Fenwick bereits Aufstellung bei der Gießkanne bezog, schulterten die beiden anderen ihre Rucksäcke, die nur deshalb noch halb leer und leicht waren, weil sich der Großteil ihrer Ausrüstung bereits in Norwegen befand. Als sie schließlich zu ihm traten, reichte Fenwick ihnen die Kanne, damit sie sie ebenfalls berühren konnten.

Nach einem Blick auf seine Armbanduhr, die ihm verkündete, dass ihre Zeit so gut wie um war, legte Remus seine Handfläche gegen die Kanne, streng darauf bedacht, nicht darüber nachzudenken, wie viele Gesetze er gerade brach. Sollten sie bei dieser Reise erwischt werden, waren sie nicht nur wegen eines illegalen Portschlüssels dran – sondern auch wegen eines illegalen Grenzübertritts. Gut, es waren die Norweger, nicht die Sowjets, aber ein paar Nächte in der nächsten Aurorenzentrale würde es ihnen einbringen. Mindestens. Zu genau wollte er darüber wirklich nicht nachdenken.

Das tat er dann auch nicht mehr. Als die kleine, rostige Gießkanne blau zu leuchten begann, sah er auf, um sich zu vergewissern, dass seine Teamkollegen ebenfalls bereit waren.

Sie waren bereit – und sie waren zu viert. Zwischen Fenwicks schwarz-weißem Gesicht und Sirius angespannter Miene schwebte die Gestalt eines Mädchens. Leuchtende Augen, schmale Nase, flatternde, helle Haare. Sie war halb durchsichtig, von ihrem Scheitel über ihr helles, langes Kleid bis hinunter zu ihren baren Füßen. Sie war nicht weiß, wie ein Geist, eher gelb und rot, aber klar und durchscheinend wie viel zu dünnes Pergament. Lächelnd legte sie einen ihrer Finger gegen die Mündung des Kännchens.

Er wollte seine Hand zurück ziehen, seine Begleiter warnen – doch der Portschlüssel aktivierte sich. Seine Finger klebte an der Kanne. Ein übelkeitserregender Ruck ging durch seinen Magen. Dann ergriff ihn ein Sog an einer Stelle hinter seinem Bauchnabel, die er nicht genau lokalisieren konnte. Die Farben um ihn herum begannen zu verwirbeln, die Formen verschwanden. Er schluckte hart und schloss die Augen.
 

Hart schlug Remus mit den Knien auf einem anderen Boden an einem anderen Ort wieder auf. Die Luft entwich seinen Lungen mit einem Schrei. Augenblicklich brannte sich heißer Schmerz durch seine beiden Beine und die Oberschenkel hinauf. Er sackte zur Seite und sog so viel Luft ein, wie nur möglich. Nach ein paar heftigen Atemzügen ließ der Schmerz langsam nach. Irgendwo neben ihm hörte er Sirius fluchen. Den genauen Wortlaut verstand Remus nicht, aber dass es sich um eine Beleidigung handelte, stand bei dem Tonfall außer Frage. Fenwicks Erwiderung geschah keinen Deut freundlicher.

Desorientiert öffnete Remus die Augen. Das Mädchen war verschwunden. Stattdessen sah er ein Knäuel aus Sirius und Fenwick, die aufeinander einschimpften wie zwei Rohrspatzen – und einen Zauberstab, der sich auf sie richtete. Der Zauberstab gehörte zu einem großgewachsenen Mann mit dunklen Haaren und einem ebenso dunklem Zaubererumhang. Die Spitze des Zauberstabs war deutlich prominenter als ihr Besitzer, weshalb Remus‘ Aufmerksamkeit darauf verzichtete, diesen genauer zu Mustern. Glattes, dunkelbraunes Holz mit einer fein geschnitzten Spitze und einem makellos gefertigten und mit Runen versehenen Schaft, der in einem nur leicht breiteren Griff wurzelte, nahmen sein Blickfeld ein.

Verdammt. Man hatte sie erwischt.

Der Mann sagte etwas, doch Remus hörte ihn nur dumpf. Sein eigener Herzschlag war so viel lauter als alles andere. Fenwicks Erwiderung verstand er etwas klarer. Nur mit Mühe schaffte er es, dem Auroren in ihrem Team einen Seitenblick zuzuwerfen. Er lag zwar immer noch, doch er hatte ebenfalls seinen Zauberstab gezogen. Ein scharf befohlener Zauber peitschte durch die Luft. Ein silbernes Geschöpf folgte der magischen Aufforderung.

Der Fremde senkte seinen Zauberstab, sodass seine Spitze gefahrlos auf den Boden wies. Schlagartig fiel Remus das Atmen wieder leichter. Er blinzelte heftig und sein Blickfeld erweiterte sich auf die Größe, die es eigentlich haben sollte. Jetzt konnte er Sirius deutlich erkennen, der Fenwicks Bein angehoben und dann scheinbar ebenfalls den Zauberstab entdeckt hatte. Jetzt schob er Fenwicks Körperteil zur Seite, nur um, als er es losließ, einen Tritt gegen den Hinterkopf zu bekommen. Er schrie erneut, doch Remus entschied, dass die beiden für diesen Moment in Ordnung waren.

Blinzelnd schaute er sich um, ohne auf das „Moony, tu was!“ zu reagieren, das Sirius ihm entgegen rief. Wie schon in Glasgow befanden sie sich auch hier in einem verlassenen Geschäft. Durch die vernagelten Fenster drang Licht und von den Holzwänden blätterte alte Farbe. Statt des Tageslichts erhellten zwei Kerzen und ein silbernes Geschöpf den Raum. Als er diesem mit dem Blick folgte, erkannte er die Form – es war ein Papagei. Ein plappernder Papagei überdies, denn kaum hatte Remus ihn bemerkt, begann er, wirres Zeug zu krächzen. Das fand Remus reichlich seltsam – denn Patroni konnten nicht sprechen. Dennoch musste es sich bei diesem Zauber um einen Patronus handeln – Fenwicks Patronus.

Und der Fremde hatte diesen erkannt.

Remus blickte zurück zu dem Unbekannten. Den Zauberstab hatte er immer noch auf dem Boden gerichtet, doch erst jetzt fiel Remus auf, dass neben ihm ein weiterer Patronus saß – ein kleiner Fuchs mit ausgesprochen viel silbernem Fell. Er ließ sich von dem Papagei nicht irritieren und war so stumm, wie es ein Patronus sein sollte.

„Sie sind Remus, richtig?“, fragte der Mann mit ausländischem Akzent und einem so gelassenen Tonfall, dass er leicht hätte darüber hinwegtäuschen können, dass er sie eben noch mit seinem Zauberstab bedroht hatte. Und im Übrigen auch darüber, dass sich die beiden anderen Zauberer im Raum gerade stritten, wie kleine Kinder.

Remus nickte.

„Richtig. Das ist- Der Schwarzhaarige ist Sirius. Und der Blonde – ich nehme an, sie kennen Benjy Fenwick?“

Der Mann nickte. Mit einer behäbigen Bewegung stand er auf. Umsichtig trat er um Sirius, der gerade von Fenwick auf den Boden gedrückt wurde, herum und zu Remus, um diesem die Hand zu reichen. „Søren Landvik. … Ben, aufhören.“

Remus griff die ihm dargebotene Hand und ließ sich aufhelfen. Seine Knie brannten noch immer, doch sie fühlten sich nicht mehr so furchtbar an, als seien sie ernsthaft verletzt. Neben ihnen folgte Benjy der Bitte und wurde dafür von Sirius mit einem Faustschlag belohnt, der ihn mit Wucht am Auge traf.

„Sirius! Hört beide auf, ihr Kindsköpfe!“, mischte sich nun auch Remus ein.

Tatsächlich ließen beide ihre Fäuste sinken, auch wenn der Blick, den Sirius ihm zuwarf deutlich ‚Muss ich?‘ fragte.

Søren schüttelte den Kopf.

„Danke“, sagte er und fügte mit einer Unschuld, die nur ein Ausländer, der der Sprache nicht wirklich mächtig war – oder zumindest so tat, als ob – hinzu: „Wenn er Remus ist, bist du Trottel, richtig?“

Nicht einmal Sirius‘ Empörung übertönte Fenwicks schadenfrohes „Jap. Ist er.“

Na das konnte ja noch heiter werden...

21. Dezember 1978, 11 Uhr 30, Tromsø

Eine Viertelstunde später hatte Remus Sirius‘ Temperament abgekühlt und die schwarze und weiße Gesichtsfarbe von dessen Fäusten entfernt, die daran kleben geblieben war, und Fenwick war endlich trocken. Mit einem Norweger, der sich nicht nur keiner Schuld bewusst, sondern auch die Ruhe in Person war, als Anführer durchquerten sie nun die Straßen einer der nördlichsten Städte Europas. Sie passierten alte Holzhäuser, etwas modernere Häuser, die entstanden waren, nachdem man den Bau von Holzhäusern in der Stadt verboten hatte, kleine Läden und die wohl seltsamste neugotische Kirche, die Remus je in seinem Leben gesehen hatte – und als ein an eigentlich allem interessierter Zauberer hatte Remus bereits einige Kirchen gesehen. Sie war nicht einmal besonders groß, aber dafür aus Holz und überraschend farbig, mit ihrer hellen Fassade, den weiß gerahmten, hohen Fenstern und den blauen Kontrasten, die sich an Pilastern und Giebeln genauso wiederfanden, wie am Turm.

All das sahen sie unter einem Himmel, der nicht so dunkel war, wie Remus erwartet hatte. In Glasgow ging die Sonne zu dieser Zeit erst kurz vor neun auf. In Tromsø tat sie es von Ende November bis Mitte Januar gar nicht. Und dennoch war es hell. Nicht taghell, aber so hell wie während der Dämmerung. Dank der Beleuchtung durch Straßenlaternen und dem Licht aus den Häusern, die, wie das Dämmerlicht auch, vom Schnee reflektiert wurden, erschien der Mittag in Tromsø noch ein wenig heller.
 

Søren indes führte sie durch die Stadt, ohne ihnen allzu viel Zeit zum Staunen zu lassen. Vor einem der unzähligen Cafés blieb er schließlich stehen. Um welches es sich genau handelte, konnte Remus nicht sagen, denn er konnte das norwegische Ladenschild nicht lesen, aber er glaubte nicht, dass es der Zufall war, der Søren gerade hierher trieb.

Er sollte recht behalten, als der Mann sachte, halb durch seinen Ärmel verdeckt, mit dem Zauberstab gegen die Türklinke klopfte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf ein ganz normales Café frei. Ein ganz normales Café blieb es aber nur, bis sie es betreten hatten – denn statt in einem gemütlichen Raum mit vielen Holztischen, heimeliger Atmosphäre und einer freundlichen Kellnerin standen sie im Freien auf einer völlig anderen Straße. Als Remus einen Blick zurück warf, konnte er gerade noch dabei zusehen, wie die Tür des Cafés hinter ihnen zu schwang und den Blick auf den gleichen Raum verbarg, den er auch von der anderen Seite gesehen hatte. Irritiert blickte er zurück zu den Anderen – und verstand plötzlich, wo sie waren. Die Meisten der Menschen um sie her trugen Umhänge mit oder ohne Fell, mit überbordenden Verzierungen und spitzen Hüten und in allen Farben, die sich Remus vorstellen konnte. Andere zeigten sich in traditioneller Kleidung. Er konnte Besen sehen, Kessel und Eulen, die tief über den Besuchern der Einkaufsstraße flogen.

Irgendwo jaulte ein Hund dreistimmig, ein kleines Orchester spielte auf recht eigenwilligen Instrumenten Weihnachtslieder und die Gerüche von würzigen Zutaten, dem Tierladen die Straße runter, Zimt und explodiertem Zaubertrank hingen in der Luft. Sein innerer Werwolf winselte ob des olfaktorischen Chaos, doch das war Remus egal. Er sog die Luft tief ein – ihm gefiel es hier.
 

Dann waren sich Fenwick und Sirius plötzlich erschreckend einig in ihrem Tun. Beide erstarrten in ihrer Bewegung. Erst zwei Schritte weiter bemerkte Remus ihr Fehlen und blieb seinerseits irritiert stehen. Skeptisch drehte er sich zu ihnen um. Beide blickten geradeaus, zu einem Punkt hinter ihm, doch Remus konnte nichts ausmachen. Sir wirkten, als hätte ihnen jemand einen Erstarrungszauber in den Rücken gejagt. Statt die Stimme zu erheben, griff er nach seinem Zauberstab. Im Augenwinkel sah er, dass Søren seinen hellen Holzstab bereits in der Hand hatte. Doch er sah niemanden – und Søren vermutlich auch nicht.

„Jungs?“, fragte er schließlich leise.
 

Es war Sirius, in den als erster wieder Leben kam. Abrupt ballte er die Hände zu Fäusten. Sein Unterkiefer trat deutlich hervor, als er ihn vorschob. Dann griff Fenwick nach seinem Unterarm.

Remus ahnte das Schlimmste – doch zu seiner Überraschung holte Sirius nicht mit der anderen Faust aus und schlug zu.

„Sie wissen noch nicht, dass wir hier sind. Wir sollten sie nicht darauf hinweisen, Black. Überlass das dem Auroren in der Familie.“

Ohne den Blick von dem ominösen Punkt in Remus‘ Rücken abzuwenden und einander anzusehen, ohne den Mund überhaupt aufzumachen, stritten die beiden ein eisiges, unfreundliches, mit stummen Beleidigungen versehenes Schweigen. Remus war froh, dass sie diesen Konflikt nicht mit Fäusten und Zauberstäben austrugen. Nicht mitten in der Zaubererstraße von Tromsø.

Seine Nackenhaare stellten sich auf. Plötzlich war er sich sicher, dass sie doch im nächsten Augenblick ihre Zauberstäbe ziehen würden.

Aber dann war der Moment genauso plötzlich vorbei. Fenwick ließ Sirius los. Ohne einen Blick in Remus Richtung zu werfen, machte er drei Schritte vorwärts und blieb neben Søren stehen.

„Bei dir.“

Remus wusste nicht, was „Bei dir“ bedeutete, doch er hatte keine Gelegenheit mehr, Fenwick zu fragen. Der war keine Sekunde später nämlich verschwunden, untergetaucht, verschmolzen mit dem Dämmerlicht der Polarnacht und den norwegischen Hexen und Zauberern in Weihnachtsstimmung.

Schnee knirschte leise, als auch Sirius sich bewegte. Im Gegensatz zu Fenwick eilte er nicht kommentarlos davon. Stattdessen hob er schweigend den Arm und wies in die Richtung, in die er schon die ganze Zeit starrte, ohne dabei die Faust mehr als nötig zu lösen. Remus folgte seinem Blick erneut, doch er sah nur Menschen, ein paar Eulen und Weihnachtsdeko.

Er blinzelte und sah genauer hin.

Und dann verstand er.

Weiter hinten führte die Straße zunächst in eine leichte Senke. Dann knickte sich nach rechts ab, sodass er ihr Ende nicht sehen konnte. Dafür stieg eine Nebenstraße aus der Senke hinauf, in der sich nur wenige Menschen herumtrieben. Und einer davon war großgewachsen und hatte lange, blonde Haare. Auf die Entfernung konnte er den ebenso blonden Bart, der bei reichen Reinblütern gerade Mode war, um sich vom Schlammblut-Pöbel, wie sie es nannten, abzugrenzen, nur erahnen. Natürlich konnte er sich auch irren. Aber Sirius witterte Lucius Malfoy auch noch drei Meilen gegen den Wind. Und Fenwick, der ausgebildete Auror, vermutlich ebenfalls.

Er fluchte leise.

Sirius fluchte neben ihm ein bisschen lauter.

„Hat er uns gesehen?“, fragte Remus leise.

„Glaube nicht. Wir sollten zusehen, dass wir verschwinden.“

„Und Fenwick?“

„Ist ein großes Moody-Kind. Der kommt allein klar oder sprengt die Todesser mit sich in die Luft. Nichts, wobei ich ihm helfen kann oder will. Gehen wir.“

Das mussten sie Søren nicht übersetzen. Remus konnte nicht einschätzen, wie gut das Englisch ihres norwegischen Reiseleiters war, aber egal, ob er sie verstanden hatte, oder nicht – die Situation hatte er begriffen. Er nickte ihnen zu und führte sie zügig in ein weiteres Café.

Dieses Mal handelte es sich tatsächlich um eines. Warme Luft umfing sie als sie eintraten, genau wie Gelächter und eine ganze Portion Norwegisch, die Remus nicht verstand. Der Besitzer hatte im Raum großzügig Tische verteilt und die meisten davon waren besetzt. Zauberer aßen Snacks und tranken Tee und Kaffee, während dutzende Kerzen den Raum beleuchteten. Es wäre schwer geworden, einen Platz für vier Personen zu finden, doch Søren steuerte ohnehin keinen der Tische an. Er grüßte ein paar Leute, unter anderem eine Kellnerin, die ihnen ein warmes Lachen schenkte, und bahnte sich seinen Weg durch den Raum.

Vor einem urigen Kamin blieben sie stehen. Auf dem Sims standen verschiedene Schnitzereien und Mitbringsel aus Frankreich, Italien und Asien – und eine große Schale voller Flohpulver.

Remus ahnte richtig. Søren ließ ein paar Münzen, jede mit einem Loch in der Mitte, in den Kelch neben der Schale klimpern und reichte ihm dann ein kleines Pergament. Vorsichtig entfaltete Remus es und las die Adresse – Søren Landvik, Skibotn, was er, so ganz ohne Straßennamen, etwas seltsam fand –, dann reichte er es an Sirius weiter. Der wiederum verbrannte den Zettel sicherheitshalber im flackernden Feuer.
 

Es war Søren, der als erster nach dem Flohpulver griff, es ins Feuer warf und verschwand. Und das war gut so – denn allein vom Lesen des Zettels hätte er den Ort und Sørens Namen nicht aussprechen können. So hatte er wenigstens die Chance, ihn noch einmal zu hören und es vielleicht richtig hinzubekommen. Er spürte Sirius skeptischen Blick und griff trotzdem nach dem Flohpulver. Hastig warf er es ins Feuer und trat hinterher, als die Flammen grün aufloderten.

„Sören Landwik, Skybotn.“

Irgendetwas war daran definitiv nicht ganz richtig. Vielleicht das leuchtende Mädchengesicht, das er im Kerzenleuchter hinter Sirius sah. Doch dann verschluckte das Feuer ihn. Die Arme an die Seiten gepresst wirbelte Remus durch das norwegische Flohnetzwerk, das keinen Deut angenehmer war, als das britische. Kamine rauschten an ihm vorbei. Kurz sah er eine Katze, die ihn nicht sehr begeistert anfauchte, dann spuckte ihn ein anderer Kamin wieder aus. Eine andere Katze fauchte, als er, noch leicht taumelnd, ihren Stuhl umstieß, mit dem er versuchte sich zu bremsen. Eine helle Stimme lachte. Fast glaubte er, sie zu hören, doch als er aufblickte, sah er stattdessen in das Gesicht eines kleinen Mädchens. Ihre blonden Zöpfe hingen ihr sorgfältig geflochten über die Schultern, während in ihren Zahnreihen die beiden oberen Schneidezähne fehlten. Sie sagte etwas, das Remus nicht verstand. Eine andere Stimme antwortete ihr, dann reichte Søren ihm die Hand und half ihm zum zweiten Mal an diesem Tag auf.
 

Aus dieser Perspektive sah die Welt schon ganz anders aus. Immerhin war damit eine Sechsjährige nicht mehr größer als er. Der Tisch, an dem eine Frau saß und sich nicht für ihn interessierte, weil sie damit beschäftigt war, Brei in und nicht neben ein zweites, jüngeres Kind zu bekommen, im Übrigen auch nicht.

„Remus? Das ist meine Tochter Kjersti. Und das sind meine Frau Agnetha und mein Sohn Torleif.“

Agnetha beachtete ihn nun doch, indem sie ihn kurz, aber auf Englisch grüßte, Kjersti sagte „Hej“ und Torleif irgendetwas das wie „Madabu“ klang.

Im nächsten Augenblick krachte Sirius durch den Kamin und tauchte den Raum in eine schwarze Aschewolke.
 


 


 

Ein harscher Knall ließ Remus seine Suppe halb verschütten. Neben ihm schreckte Sirius ebenfalls auf – nur Søren blieb ruhig.

Dann schlug die Haustür auf und wieder zu. In der Etage über ihnen fing Torleif an zu schreien. Benjy Fenwick stimmte in sein Theater mit ein paar nur halb unterdrückten Flüchen mit ein.

„Vier! Es sind vier! Vielleicht mehr!“, verkündete er zwischen zwei derben Ausdrücken, die Remus nicht verstehen wollte. Er sah von seinem Platz am Küchentisch auf und beobachtete Benjy, wie dieser die Tür nicht sehr leise wieder schloss. Er marschierte am Kamin vorbei, schnappte sich einen Teller aus dem Regal, von dem er scheinbar ganz genau wusste, wo er ihn fand und setzte sich Sirius gegenüber.

„Was sind vier? Lucius Malfoys?“, fragte Sirius. „Bitte sag mir, dass es keine vier Lucius Malfoys sind. Niemand kann so blöd sein und einen Vielsafttrank schlucken, in dem ein Haar von dem schwimmt. Geschweige denn vier!“

Fenwick verdrehte die Augen. Statt sofort zu antworten, nahm er sich Suppe aus dem Topf, den Agnetha ihnen freundlicherweise auf den Küchentisch gestellt hatte, nachdem Sirius‘ Aschewolke beseitigt worden war. Danach hatte sich die zweifache Mutter mit ihren Kindern in die obere Etage des Holzhauses begeben und so, wie es klang, wurde sie nach Fenwicks Auftritt dort oben auch gebraucht. Den aber interessierte das kein Stück.

Stattdessen fluchte er erneut. „Todesser, du Trottel. Mitten in Tromsø. Nicht, dass ich sie hier hätte festnehmen können, selbst wenn ich Beweise hätte.“

„Welche Todesser?“, fragte Remus, bevor sich Sirius über die Beleidigung beschweren konnte – und Remus wusste, dass er genau das vorhatte. Dafür kannte er den großgewachsenen, dunkelhaarigen Schönling mit der großen Klappe und dem lockeren Zauberstab lang genug. Und er kannte auch seine Fluchkünste lang genug, um zu wissen, dass er kein ausgewachsenes Duell zwischen ihm und einem Auroren des britischen Zaubereiministeriums mitten in Agnetha Landviks Küche haben wollte.

Bevor Fenwick antwortete, nahm er einen Löffel Suppe – und verteilte den Lammeintopf beim Reden beinahe. Remus zumindest wusste, dass es Lamm war, er schmeckte das. Bei Sirius, der scheinbar keine funktionierenden Geschmacksnerven besaß (sonst würde er sein Fleisch blutiger essen), und bei Fenwick, der vermutlich schlang wie eine Raupe Nimmersatt, war er sich nicht so sicher, beließ es aber dabei, darüber zu schweigen und Fenwicks Schmatzen zuzuhören.

„Malfoy“, begann dieser und schluckte. „Wilkes, dieser rote Idiot. Rosier Junior, wenn ich Mums Teestunden richtig im Gedächtnis habe, heißt er Evan.“

Remus seufzte. Er kannte die drei. Malfoy sowieso, an dem kam man nicht vorbei, egal, wie sehr man es sich auch wünschte. Blieb nur zu hoffen, dass Vater Abraxas noch lange lebte, bevor sein verzogener Sohn Galleonen und Macht erbte. Wilkes war einer der Slytherin aus dem Jahrgang über ihm, die sich lieber Voldemort anschlossen, als ihren Abschluss zu machen. Und Rosier war ein Mistkerl aus seinem Jahrgang. Slytherin. Breit, blond und blöd, wie Sirius ihn gerne beschrieb. Noch dazu spielte er in der Hausmannschaft Quidditch. James hatte ihn gehasst.

Aber das ließ einen offen.

Bevor er fragen konnte, tat es Søren. „Der Vierte?“

Fenwick zuckte mit den Achseln.

„Mum kennt ihn nicht, also kenne ich ihn auch nicht. Euer Alter. Nicht sonderlich groß, nicht sonderlich kräftig gebaut. Lange, schwarze Haare, bräuchten mal ne Wäsche. Die Nase ist genauso lang.“

Neben ihm stöhnte Sirius und vergrub das Gesicht in seiner freien Hand. Remus hätte es ihm gerne gleich getan, verzichtete aber darauf, um die anderen weiterhin sehen zu können. Nicht, dass er nicht auch gut genug hörte.

„Ihr kennt ihn?“

Remus nickte.

„Klingt nach Severus Snape. War in unserem Jahrgang, genau wie Rosier“, antwortete er. Unter dem Tisch gab er Sirius einen kleinen Tritt, damit der endlich wieder den Kopf hob. Seine Haare hingen mittlerweile halb in seiner Suppe. Doch der schreckte zwar auf, warf ihm aber keinen sonderlich dankbaren Blick zu. Remus funkelte zurück, bis Sirius klein bei gab. Statt weiter zu schmollen wandte er sich erneut an Fenwick.

„Rosier ist kein Problem. Der ist gewalttätig, aber dumm. Snape ist eklig, nicht nur wegen den Haaren. Ass in Zaubertränke. Konnte schon in der ersten Klasse mehr Flüche, als die meisten älteren Schüler. Ich meine, gegen mich ist er trotzdem nicht angekommen–“

Remus hob die Augenbrauen und erinnerte sich an einen vierzehnjährigen Sirius, schwebend über der Toilette der Maulenden Myrte, die ihm seither überall hin gefolgt war. Um des lieben Friedens willen hielt er den Mund.

„–aber er ist gefährlich. Gerade in Kombination mit der blonden Winselbacke. Malfoy sagt, Snape tut. Und wenn Malfoy nichts sagt, dann tut Snape trotzdem.“

Fenwick ertränkte seinen vermutlich aufkeimenden Frust in Suppe. Remus hatte recht – er schlang sein Essen hinunter, er aß es nicht. „Wundervoll“, murrte er zwischen zwei Löffeln. „Also zwei Probleme und zwei halbe. Wilkes ist nämlich auch nicht der Hellste. Gefährlich, wenn ein intelligenterer Todesser ihm sagt, was er tun soll, aber selbstständiges Denken ist nicht seine Stärke. Egal. Wir wissen jetzt zumindest: Der Rauschebart hat recht.“

„Die Todesser sind hier“, sprach Remus die Schlussfolgerung aus. Vornehmlich um zu vermeiden, dass Fenwick mehr Suppe über dem Tisch verteilte, als er es schon getan hatte. „Und wo vier sind, sind möglicherweise noch mehr. Das wird kein Spaziergang. Ich hoffe, du hast einen Plan.“

Benjy machte den Mund auf, um zu antworten. Dann zuckte er zusammen und funkelte Søren finster an. Der schaute mit hochgezogener Augenbraue zurück. Für einen Moment erschien es Remus, als würden die beiden ein stilles Duell ausfechten. Falls dem so war – war Søren der Sieger. Fenwick jedenfalls senkte abrupt seinen Kopf zurück über seinen Teller und aß weiter. Statt ihm war es Søren, der sich an Remus und Sirius wandte.

„Er hat den Wegweiser“, erklärte er. „Ich habe den Transport. Wir wissen, wohin wir müssen. Wir wissen, wie wir dorthin kommen. Und wir sollten schnell dorthin kommen. Heute packen wir. Morgen fahren wir.“

Remus stockte und blickte aus einem mit hellen Vorhängen gerahmten Fenster. Dort wurde es langsam dunkler. Dieses Mal sah er kein durchsichtiges Mädchen und war dankbar dafür.

„Es ist erst Mittag, oder? Das heißt, wir haben noch Zeit, um heute aufzubrechen, oder?“

„Ich nicht“, antwortete Søren nach einer kurzen Pause. „Ich habe Steine in Wege zu legen. Und Ben auch nicht. Denn Ben hat ein Problem, richtig?“

„Richtig“, ertönte eine Frauenstimme am oberen Ende der Treppe. Fenwick zuckte zusammen. Er schien nicht sonderlich glücklich darüber zu sein, die Stimme zu hören. Zumindest dem Blick nach zu urteilen, mit dem er in Richtung Treppe schielte. Erst jetzt fiel Remus auf, dass Torleif verstummt war. Als er Benjys Blick mit dem eigenen folgte, wusste er auch, warum – und auch er kam zu dem Schluss, dass Benjy ein Problem hatte. Bei diesem handelte es sich ziemlich sicher nicht um Kjersti, die oben an der Treppe stand, aber ihnen nur ein Zahnlückengrinsen schenkte. Es handelte sich auch nicht um Torleif, den sie stolz durch die Gegend trug. Aber möglicherweise war es die Frau neben ihr, die zwar ein anderes Kleid trug, und etwas dunklere Haare hatte, aber die gleiche Frisur, wie ihre Tochter.

Fenwick schluckte hart und machte sich dann ziemlich klein.

„Hej, Agnetha.“

22. Dezember 1978, 6 Uhr, Skibotn

„Fenwick?“, fragte der Zaubertrankkessel, in den James definitiv die falsche Zutat gekippt hatte. Er begann grün zu blubbern und für einen Moment war Remus sich sicher, Snapes Gesicht in den aufsteigenden Blasen zu erkennen. James neben ihm hatte den sprechenden Kessel scheinbar nicht bemerkt, Remus aber sehr wohl. Er wollte etwas erwidern, doch die Frage, seit wann er denn Fenwick hieß, hielt ihn davon ab.

Dann realisierte er, dass er träumte. Keinen Augenblick später war er wach. Er sah nicht viel mehr als den Schatten von Sirius‘ Schlafsack, doch das war Grund genug, um seine Decke noch etwas weiter über seinen Kopf zu ziehen.

„Wie bist du eigentlich an Soren und seine hinreißende Frau gekommen?“, fuhr die Stimme fort und ließ keinen Zweifel daran, dass sie keinem Kessel gehörte, der gleich explodieren würde, sondern Sirius Black. Nicht, dass der nicht vielleicht auch gleich explodierte. Der, der angesprochene Auror oder Remus. Letzterer hoffte allerdings, dass zumindest der Auror einen tieferen Schlaf hatte, als er selbst.

„Weißt du, wie spät es ist?“, antwortete Fenwick in dem Moment, in dem Remus bereits hoffte, er hätte die Frage nicht gehört. „Ich sag es dir, Black. Es ist um sechs. Also halt die Schnauze, ich will schlafen.“

Immerhin – der Auror klang genauso wach, wie Remus sich fühlte. Und im Übrigen genauso griesgrämig. Bei Sirius sah das leider anders aus – der war wach und das allein war ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Nacht unwiderruflich vorbei war.

„Um sechs? Woher willst du wissen, dass es erst um sechs ist? Ist doch eh die ganze Zeit dunkel. Könnte schon um zehn sein. Oder erst um drei.“

„Hinter dir hängt ne Uhr, du Trottel. Und jetzt halt‘s Maul.“

Remus presste die Augen ganz fest aufeinander und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass Fenwicks Herangehensweise die völlig falsche war, wenn man Sirius – der ausnahmsweise einmal früher wach war, als man selbst – zum Schweigen bringen wollte. Aber vielleicht war das nicht sein Problem. Noch hatte Sirius ihn nicht bemerkt. Wenn er sich ganz fest vorstellte, seinen Freund nicht hören zu können, konnte er vielleicht noch ein paar Minuten dösen.

„Erst will ich wissen, woher du Soren und Agnetha kennst.“

„Klappe.“

Es half nicht viel. Vielleicht konnte er Sirius‘ Schlafsack nicht mehr sehen, aber das änderte nichts an dem Fakt, dass er dessen Besitzer hörte. Grimmig zog er die Decke noch dichter über den Kopf, in der Hoffnung, sie würde die Stimme seines Freundes dämpfen. Tatsächlich hörte er daraufhin kein Wort von Sirius und hoffte schon auf Ruhe – dann schrie Fenwick auf.

„Ah! Black, du bist so ein-“

„Sag‘s mir einfach, sonst werf ich Remus‘ Kissen auch noch.“

Okay – das brachte nichts. Taktikwechsel. Bevor Sirius sich zu ihm wälzen und nach seinem Kissen greifen konnte, hob Remus die Decke ein wenig, gerade genug, damit sie seine Stimme beim Sprechen nicht zu sehr verzerrte.

„Sag es ihm einfach“, murrte er, „bevor ich ihn in die nächste Woche hexe und Torleif wieder schreit.“

Fenwick entschied sich ausnahmsweise für die richtige Alternative – er antwortete. Unwillig und verschlafen, aber er tat es. Endlich. Vielleicht bekam Remus doch noch Ruhe.

„Ich bin ein Fenwick. Meine Mutter kennt jeden. Agnetha ist eine Graves.“ Bereits an dieser Stelle zuckte Remus zusammen. Er kannte den Namen Graves – und er mochte weder ihn, noch die Familie, für die er stand. Sirius natürlich kannte die Graves natürlich auch und damit war klar, was kommen würde. „Über vier Ecken, jedenfalls. Und da jeder die Graves kennt … Eins und eins kannst du ja wohl–“

Fenwick kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.

„Eine Graves?“, fragte Sirius und klang erschreckend schrill. Ja, Remus wusste, was kommen würde. Fenwick hatte das rote Tuch gefunden. Eines der vielen. „Sie ist ausgerechnet ‘ne Graves?“

„Schrei noch lauter, dann sagt sie‘s dir bestimmt persönlich. Nachdem sie dich in den Schnee gehext hat.“

Selbst durch seine Decke hörte er Sirius schnauben. „Ausgerechnet ‘ne Graves! Hast du die Norweger gestern nicht gesehen? Hättest du dir nicht jemanden aus einer weniger schwarzmagischen Sippe aussuchen können?“

„Sagst ausgerechnet du?“

Mit vorsichtigen Bewegungen löste Remus seine Finger, die er in seine Decke gekrallt hatte, und fuhr sich mit ihnen über die Stirn um seine Schläfen zu massieren. Das mit dem Dösen konnte er spätestens jetzt vergessen. Fenwick hatte das nächste rote Tuch gefunden und Remus konnte nur hoffen, dass Sirius das nicht auch noch bemerkte.

Die Hoffnung war vergebens.

„Ich bin nicht wie die“, spie Sirius mit seinem ätzendsten Tonfall.

Fenwick natürlich war das egal, denn der war möglicherweise so sensibel wie ein Hippogreif.

„Wenn du es nicht bist, warum sollte sie es dann sein? Ich sagte doch – über vier Ecken ‘ne Graves. Die Sippe ist eben international. Nenn mir ein Land, ich nenn dir den Graves. Außerdem hatte Dumbledore die Idee–“

„Aber ‘ne Graves!“

Ja, langsam kannte Remus diesen Satz. Frustriert knurrte er in sein Kissen, doch dadurch wurden die beiden Streithähne auch nicht leiser. Er hörte sogar, wie sich zumindest einer von beiden aufsetzte – aber der polterte generell auch wie ein kleiner Hornschwanz.

„Ja, ne Graves“, gab Fenwick finster zurück. Allein der Tonfall implizierte, dass er die Graves kannte – und dass er sie im Regelfall genauso wenig mochte, wie Sirius es tat. Kein Wunder, wirklich. Die Graves waren eine schwarzmagische Sippe. Reinblütig, arrogant und reich genug, um dich aus dem Weg zu räumen, wenn du sie nicht mochtest. Oh und die Kinder, die nicht das Glück hatten, der Stammhalter zu sein, neigten dazu, eher früher als später zu emigrieren – das hielt den Stammbaum der Kernfamilie übersichtlich und die Kontakte einflussreich und weitreichend.

Natürlich war das nicht das eigentliche Problem, das Sirius – und Remus, aber das nur am Rande – mit dieser Familie hatten. Immerhin stammte Sirius aus recht ähnlichen Verhältnissen. Nein, das Problem hatte einen Namen und dieser lautete Nathanael. Er war ein Jahr jünger als sie, in Slytherin und der beste Freund von einem kleinen, verblendeten Dummkopf namens Regulus – und der wiederum schon immer ein sensibles Thema für seinen großen Bruder.

Vielleicht hätte Remus Sirius daran erinnern sollen, dass sein Problem ein persönliches war, doch das war es ihm nicht wert. Am Ende schmollte sein Freund nur wieder und außerdem musste er Fenwick nicht noch ein weiteres Druckmittel an die Hand geben. Der wehrte sich auch so gut – und vor allem lautstark – genug.

„Darf ich dich daran erinnern, dass du die böse, schwarzmagische Graves gestern noch angestarrt hast, als hättest du seit Monaten Druck? Und überhaupt – siehst du hier irgendwo schwarzmagisches Zeug? Nein, siehst du nicht. Und weißt du auch warum? Es gibt keins. Ich hab‘s nachgeprüft. Was denkst du, warum Agnetha so sauer auf mich ist?“

Remus hatte da eine ganz eigene Theorie. Eine, die den Gedanken ‚Vermutlich, weil du durch ihr Haus trampelst wie ein Drache‘ beinhaltete, aber er behielt sie für sich. Sowohl Sirius als auch Fenwick schienen seine Anwesenheit bereits wieder vergessen zu haben und ihm war daran gelegen, dass dem auch so blieb.

„Aber wem sag ich das? Du urteilst nach der Größe von Brüsten.“

„Ich zeig dir gleich, wer hier-“

Sirius verstummte abrupt. Remus sah nicht nach. Stattdessen fasste er den Entschluss, dass es jetzt an der Zeit war, den geordneten Rückzug anzutreten. Darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, griff er nach seinem Zauberstab und seiner Kleidung. Das Bündel fest an sich gepresst, schlug er die Decke zurück, befreite sich aus seinem Schlafsack darunter und kroch Richtung Tür. Ohne die wärmenden Stoffschichten fror er beinahe augenblicklich. In weiser Voraussicht hatte er lange Unterwäsche angezogen, doch über Nacht war das Wohnzimmer ausgekühlt. Bevor er begann richtig zu zittern, erreichte er die nahe Tür. Er stand mühsam auf, zog die Tür auf und beeilte sich durch den Durchgang zu schlüpfen. Er sah gerade noch, wie ein Kissen durch das Wohnzimmer segelte. Für einen Augenblick sah er Agnethas teures Geschirr, das sie in einer Vitrine ausstellte, vor seinem inneren Auge bereits in tausend Teile zerbrechen, doch Fenwicks Dickschädel bremste den Flug. Der Getroffene fluchte derbe, griff nach dem Kissen und feuerte es zurück, ohne Remus zu beachten.

Vielleicht sollte Remus etwas sagen, die beiden aufhalten, doch berechtigte Zweifel wiesen ihn darauf hin, dass sie ohnehin nicht auf ihn hören würden. Seufzend schloss er die Tür, auch um das Schlachtfeld, das aus drei Schlafsäcken und Sirius‘ im Raum verteilten Habseligkeiten bestand, nicht mehr sehen zu müssen. Die Beleidigungen wurden sofort leiser.

Erleichtert atmete er auf und drehte sich um. Der Flur, in dem er stand, war nicht groß. Er beherbergte nicht mehr als die Fronttür, einen Durchgang zur Küche und die Treppe in die obere Etage. Oh, und eine wütende Agnetha Landvik, die Arme in die Hüften gestemmt und ihn finster anfunkelnd. Sofort zuckte er unter ihrem Blick zusammen wie der Schuljunge Remus Lupin seinerzeit unter den wachen Augen von Professor McGonagall.

„Remus, du weißt, dass es um sechs ist?“, fragte sie leise.

„Ja“, antwortete er genauso leise.

Ihr bodenlanges Nachthemd raschelte leise, als sie von der untersten Treppenstufe schritt. „Du weißt, dass meine Kinder schlafen und ich erwarte, dass das auch so bleibt?“

Ich schon.“

Sie schnaubte finster und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei warf sie in einer fließenden Geste die langen, dunkelblonden Haare zurück, die sie über Nacht offen trug.

„Sicher? Na gut. Wenn du nichts mit der Sache zu tun hast, Remus, dann rate ich dir, jetzt baden zu gehen. Lass dir ruhig Zeit. Das Wasser sollte warm sein und ich gehe nicht davon aus, dass einer deiner Begleiter es noch braucht.“

Sie schenkte ihm ein dünnes Lächeln, das er mit der Vorsicht eines Vertrauensschülers erwiderte, dessen vorgesetzte Schulsprecherin wie ein ungarischer Hornschwanz gewesen war. Für einen Moment fühlte er sich erneut wie der Schüler Remus Lupin – der, statt selbst einzuschreiten, einfach beide Augen geschlossen hatte, wenn Sirius und James nicht hatten auf ihn hören wollen und ein Vertrauensschüler in Anmarsch gewesen war.

Dann beeilte er sich, in die Küche zu kommen und dort in seine Schuhe zu schlüpfen.

Bei seinem kurzen Sprint über den verschneiten Hof brauchte er keinen Ansporn mehr durch Agnethas Schimpftirade, die gerade über Sirius und Fenwick herein brauch. Er beeilte sich auch so. Der Himmel war sternenklar. Vor seinem Gesicht kondensierte sein Atem zu weißen Wölkchen, kaum dass er seinen Mund verließ, und der Schnee knirschte unter seinen Schuhen.
 

Der Abstecher in das freistehende Toilettenhäuschen war wirklich nicht länger als zwingend nötig. Dennoch fühlte er sich endgültig durchgefroren, als er die Waschküche erreichte. In seinen Füßen hatte er da schon kein Gefühl mehr, bis auf eisiges Kribbeln. Er würde Søren unbedingt nach dem Wärmezauber fragen müssen, von dem dieser am Vorabend erzählt hatte. Möglichst, bevor ihm etwas abfror.

Warme Luft schlug ihm entgegen, als er die Tür zu dem kleinen Anbau erreichte, der die Waschküche beherbergte. Agnetha hatte nicht gelogen – der Raum war warm, genau wie das Wasser, das in einem großen Zuber auf ihn wartete.

Nur für einen Moment noch musterte er die anderen Gegenstände, die die Familie Landvik hier lagerte. Einen Augenblick später entschied er, dass ein paar alte, rostige Kessel, weitere Zuber und ein wenig Ramsch, von dem er nicht sagen konnte, ob er noch funktionierte, nicht interessierten. Kurz überlegte er noch, ob und wie viel Respekt er Agnetha dafür zollen sollte, dass sie scheinbar auf gute, alte Hausfrauenart waschen konnte. Allein schon, weil er genug Leute kannte, die daran verzweifelten. Nicht zuletzt seine Freunde – Remus hatte das Drama von James und dem Waschzauber noch gut im Gedächtnis und wusste, dass er selbst ähnlich hilflos war.

Dann gewannen die Versprechungen, die der warm aufsteigende Dampf des Badezubers ihm zuflüsterte und er schob den Gedanken an James und die trotz Nässe brennenden Socken beiseite.
 

Nachdem er sich an die Wärme des Wassers gewöhnt hatte, ließ Remus sich träge gegen die Wand des Waschzubers gleiten. Sofort fühlte er sich wieder angenehm schläfrig. Noch einmal wegzudösen traute er sich allerdings nicht. Allein schon, da er ungern von einem lauten Sirius oder einem trampelnden Fenwick geweckt werden wollte, weil einer der Beiden beschlossen hatte, dass er doch noch ein Bad benötigte.

Sirius auf die Expedition mitzunehmen war wirklich nicht die beste Idee seines Lebens gewesen. Nicht in der Kombination mit Fenwick, von der er hätte ahnen müssen, dass es zwischen den beiden knallen würde. Immerhin – sie boten einander Paroli. Das war laut und nervtötend für alle anderen und vermutlich würde es in einem Zaubererduell gipfeln, aber er traute den Beiden auf diesem Level zu, einander nicht versehentlich ernster zu verletzen.

Dennoch – im Moment war ihm selbst das herrlich egal. Er verdrängte die Gedanken an die Streitereien, an die Todesser und an die möglicherweise suizidale Mission, die vor ihm lag. Hier im warmen Wasser war selbst das seltsame Mädchen, von dem er immer noch nicht wusste, was es war, und wie er ihre Existenz seinen Begleitern erklären sollte, sehr weit weg. Weit genug, um sich noch einmal darauf zu versteifen, es sich einfach nur eingebildet zu haben.

Stattdessen schweiften seine Gedanken zu der Erinnerung an Kerzenlicht, Plätzchen und einer knusprigen Weihnachtsgans im Ofen. In seinen Ohren klangen festliche Geschichten und das dazu passende Lied summte sich beinahe von selbst.

Zumindest, bis ein hoher Schrei die Stille durchbrach.

Noch bevor er es wirklich realisierte, stand Remus im Zuber. Wasser schwappte überall hin. Obwohl es in der Waschküche nicht kalt war, fror er beinahe augenblicklich. In diesem Moment kümmerte es ihn nicht. Ohne Zeit zu verlieren stieg er aus dem Zuber und warf sich seinen Umhang über, der sofort an ihm klebte. In jahrelanger Herumtreiber-Übung fand er seinen Zauberstab beinahe sofort.

Als er die Waschküchentür aufstieß, wehte ihm Schnee ins Gesicht und gegen den Körper, wo der Umhang ihn nicht bedeckte. Er riss den Arm hoch um seine Augen zu schützen und blinzelte in die Nacht, doch mehr als wirbelnden Schnee sah er nicht. Seit wann schneite es? Und dann auch noch so stark, dass das Licht, das durch die Fenster des Hauses drang, kaum durch die Flocken drang?

Ein weiterer Schrei gellte durch die Luft, gab seinen durch die Werwolfinfektion geschärften Ohren eine Orientierung. Er blickte auf. Zwischen den Schneekristallen sah er Sterne funkeln, doch weitere Schreie irritierten ihn zu sehr, als dem wirkliche Beachtung zu schenken. Dann sah er einen Schatten in der Luft, fünf, sechs Yards über dem Boden. Remus konnte den Körper nicht genau erkennen, doch er ahnte, wer diese Gestalt war.

Kjersti.

Das Mädchen schrie erneut, so laut, dass der Ton in seinen Ohren schmerzte.

Er tat das, was nur dumme Helden und Gryffindors taten – er stürzte nach vorn. Erst in der Bewegung realisierte er, dass er den Wind, in dem die Schneeflocken trieben, völlig unterschätzt hatte. Mit jedem Schritt ahnte er mehr, dass er sich in eine Windhose begab, die den gesamten Hof erfasst hatte, aber er sah Kjersti, war sich jetzt sicher, dass sie es war, und sah nicht ein, sich abschrecken zu lassen.

Kjerstis Körper stieg immer höher, getrieben durch den Wind unter ihr. Er wusste, dass der Luftstrom sie nicht ewig tragen würde und rannte noch schneller, dann sah er sie fallen.

Mobilicorpus!“, rief er, den Zauberstab hochreißend.

Der Zauber war furchtbar schlecht gezielt und segelte ins Leere. Dann war es zu spät für einen weiteren Zauber. Sie fiel. Er rannte, streckte die Arme aus, war zu weit entfernt. Wind peitschte ihm ins Gesicht, für einen Moment sah er Gesichter, dann knallte Kjerstis Körper gegen den seinen und er wusste nicht mehr, ob er sie sich nur eingebildet hatte. Der Zusammenprall warf sie beide zu Boden. Die Luft entwich seinen Lungen in einem gellenden Schrei, dann schlug er auf.
 

Er konnte nichts sehen. Für einen wirren Moment fragte Remus sich, ob die Polarnacht wirklich so dunkel war, dass sie Sterne schluckte. Erst dann wurde ihm klar, dass er die Augen aufschlagen musste, um etwas sehen zu können. Die Augen tatsächlich zu öffnen war unglaublich schwer. Er bekam kaum Luft und er wusste, dass ihm alles weh tun musste, auch wenn er den Schmerz nur langsam realisierte.

Blondes Haar wischte über sein Gesicht. Er hörte seinen Namen und verstand nur verzögert, dass es Kjersti war, die ihn aussprach. Nur mit Mühe konnte er sich darauf konzentrieren, das Mädchen anzusehen. Der Schmerz in seinem Körper wurde stärker. Sein Rücken tat weh und irgendetwas war mit seiner linken Schulter ganz und gar nicht in Ordnung. Wie sollte er da verstehen, was Kjersti sagte?

Das Mädchen stemmte sich hoch. Augenblicklich fiel ihm das Atmen leichter, auch wenn der Schmerz nicht nachließ. Kjerstis Worte wurden eindringlicher, dann bemerkte er das kleine, eckige Ding, das sie vor sein Gesicht hielt. Was wollte sie damit?

Moment.

Klein.

Eckig.

Augenblicklich wusste er, was es war.

„Das Amulett“, murmelte er schwach. „Woher hast du das Amulett?“

Kjersti indes verstand ihn so wenig, wie er sie. Mittlerweile redete sie betont langsam auf ihn ein, schüttelte dann aber den Kopf. Einen Blick über ihre Schulter später glitten ihre Finger zu dem Deckel der Schatulle.

„Nicht!“, befahl er noch, doch da schnappte das Deckelchen bereits auf. Warme Luft blies ihm ins Gesicht. Warm, feucht und gegen die Kälte unangenehm. Er versuchte seinen Arm zu heben, die Schatulle wieder zu schließen, doch er gehorchte ihm genauso wenig, wie Kjersti ihn verstand.

„Mach das Ding zu!“, sagte er erneut, doch das hielt sie nicht auf. Kurz musterte sie den Gegenstand in der Schatulle, so, als fasziniere der Schmuck sie, dann griff sie nach dem Anhänger. Bevor er sich daran erinnerte, dass er auch noch einen rechten Arm hatte, strich sie ihm die Kette über den Kopf.

Augenblicklich wurde die Wärme intensiver, drang über seine Haut in seinen Körper. Erst jetzt verstand er, wie sehr er fror, doch das Zittern ließ nach. Gegen seinen Willen spürte er, wie er sich entspannte, der Schmerz etwas nachließ. Erst jetzt bemerkte er die Rufe und Schreie, die über den Hof gellten – Sirius und Fenwick. Vielleicht Søren und Agnetha.

Die Luft um ihn herum flackerte, kurz sah er ein weiteres Gesicht im Wind – das Gesicht, das Mädchen – und eine durchsichtige Hand, die sich auf Kjerstis Schulter legte. Für einen Augenblick ließ der Wind nach. Der Schneesturm wurde dünner, ließ genug Licht durch, um weiter sehen zu können – und dann sah er mehr, als er hätte sehen sollen. Er bemerkte die Bewegungen im Wind, sah die Luftströme, die sich im Zentrum des Hofes zusammenballten, wirbelten, ein zorniger Wall aus Wind und Eis, an dem die Zauber abprallten, die die Hexer auf der anderen Seite des Hofes sprachen, eiskalt und blau. Er sah das Mädchen erneut, nur für einen Augenblick. Turbulenzen wirbelten durch den Wind, ließen Schnee davon wehen und rissen Lücken in den Wall, durch die er sie wieder erkennen konnte. Sie und zwei weitere Gestalten.

Für diesen Moment schob er alle Fragen nach dem Warum zur Seite, zerrte dafür die Erinnerung daran aus seinem Gedächtnis, was sein Verteidigungs-Lehrer in der fünften Klasse ihnen eingeprügelt hatte. Harpers Stundenthema hatte sich nicht um seltsame Geistwesen gedreht, doch seine Stimme hallte in Remus Ohren. Ihr kämpft gegen ein magisches Wesen, das keinen festen Körper hat. Vergesst die physischen Angriffe, die bringen euch nur um.

Er rappelte sich auf, so dass er hexen konnte, und tat, was Harpers Stimme ihm befahl – und sprach den ersten Zauber, der ihm einfiel.

Expecto Patronum!

Es war kein hübscher Patronus. Er hatte nicht einmal eine richtige Form, nur einen massigen Körper und zwei Vorderläufe, aber vermutlich besser als alles, was er im Angesicht von Dementoren zustande gebracht hätte. Mit Wucht krachte er in den Wirbel, verband sich mit einem anderen Zauber von der anderen Seite des Hofes und explodierte. Silberne Strahlen wehten mit dem Wind. Dann peitschten Schnee und Eis über ihn hinweg, warfen Kjersti und ihn zu Boden. Augenblicklich brannte seine Schulter erneut und ließ ihn schreien.

Als er die Augen wieder öffnete, war es vorbei. Schnee stob auseinander und rieselte zu Boden. Von den drei Wesen war nichts mehr zu sehen, außer ein paar Funken knisternder Magie, die sich zwischen den Schneeflocken auflösten.

„Fenwick?“, hörte er Sirius Stimme, die klang, als spräche er mit Schnee im Mund. „Du bist ein elender Angeber.“
 

Dafür, dass Kjersti aus sechs Yard Höhe gefallen war, ging es ihr erstaunlich gut. Gut genug, um ein paar Minuten später fröhlich durch die Küche zu hüpfen und schließlich nur deshalb nach oben zu verschwinden, weil ihre Mutter sie hinauf schickte.

Dafür, dass Remus sie nur gefangen hatte, ging es ihm erschreckend mies.

Die Zähne aufeinander gebissen starrte er auf den Teller mit Hühnerbrühe, den Agnetha vor ihm abgestellt hatte. Das war bereits der dritte. Nachdem auch die ersten Beiden den widerlichen Geschmack, den Agnethas Heiltrank hinterlassen hatte, nicht von seiner Zunge hatten spülen können, fragte er sich, ob er ihn überhaupt noch essen wollte.

Hinter ihm zog Agnetha den Verband um seine Schulter straffer. Augenblicklich flammte der Schmerz wieder auf, doch er sog nur zischend die Luft ein, statt wieder zu schreien. Geschrien hatte er in den letzten Minuten wirklich genug.

„Stell dich nicht so an“, ertönte Agnethas Stimme hinter ihm. Trotz der harschen Worte hörte er einen sanften Tonfall in ihrer Stimme, doch das kümmerte ihn nicht – er hoffte statt auf tröstende Worte darauf, dass sie endlich aufhörte, an den Bandagen herumzubasteln. Leider schien die gelernte Medimagierin noch immer nicht zufrieden und zupfte weiter.
 

Die Hintertür schlug auf und ließ neben einem Schwall kalter, klarer Luft auch zwei ziemlich mies gelaunte Zauberer herein.

„Nichts“, verkündete Fenwick grimmig und rieb sich die Hände. Remus konnte seine Finger im Licht der Kerzen sehen. Sie waren genauso rot wie seine Nase und seine Wangen. „Wer auch immer das war – er war gut. Alle Schutzzauber sind intakt. Keine Versuche, irgendwelche Passierzauber auszuhebeln. Keine Apparationen. Keine unerwünschten Kamingespräche. Wenn ich diese Scheiße nicht selbst gesehen hätte, ich würde nicht glauben, dass jemand hier war, der nicht hierher gehört.“

„Fenwick, achte auf deinen Tonfall oder ich stecke dich in den Schnee“, verkündete Agnetha hinter Remus, ohne Anstalten zu machen, endlich von seiner Schulter abzulassen. Und nur weil Fenwick und Søren ihn sehen und hören konnten, schluckte er das Bedürfnis, wieder aufzujapsen.

„Agnetha“, mischte sich Søren mit ruhiger Stimme ein, doch seine Frau schnaubte nur.

„‚Agnetha.‘ mich nicht! Wenn meine Kinder auch nur ein Wort aus seinem Vokabular aufschnappen, das über ‚Hallo mein Name ist‘ hinaus geht, dann gnade ihm Gott!“

Fenwick zuckte augenblicklich in sich zusammen. „Oh komm. Am Zählen bis Zehn ist jetzt wirklich nichts schlimmes dran, oder?“

„Du weißt, was ich meine.“

Dass er etwas erwidern wollte, stand Fenwick förmlich auf der Stirn geschrieben, doch irgendetwas, möglicherweise der Blick, den Søren ihm zuwarf, ließ ihn schweigen. Stattdessen setzte er sich nur auf einen der Küchenstühle und zog mit einem „Isst du die noch, Lupin?“ Remus‘ Teller einmal quer über den Tisch.

Hinter ihm murmelte Agnetha etwas auf Norwegisch, doch Remus musste den Wortlaut nicht verstehen, um den Inhalt zu begreifen. Ein Kuss und ein paar beruhigende Worte ihres Gatten schien sie allerdings erfolgreich zu besänftigen.

„Ist schon in Ordnung“, fügte Søren seinen norwegischen Wörtern lauter hinzu. „Wie geht es dir, Remus?“

Bevor er antworten konnte, ergriff Agnetha das Wort. „Der übliche Heilzauber schlägt nicht so gut an, wie ich erwartet habe. Darum habe ich seine Schulter auf die alte Art gerichtet und ihm einen Trank gegeben.“

Unwillkürlich zuckte Remus zusammen und das nicht nur, weil Agnetha abwesend über seine Schulter strich. Dass der Heilzauber bei ihm nicht ansprach, hatte er bemerkt. Und er hatte auch eine dumpfe Ahnung, warum dem so war. Nicht, dass er Agnetha deshalb freiwillig von seinem kleinen, haarigen Problem erzählt hätte, das sich zuweilen negativ auf die Wundheilung auswirkte. Er musste ohnehin schon darauf hoffen, dass sie nicht eins und eins zusammengezählt hatte, nachdem sie die Bissnarben auf seinem Arm gesehen hatte. Immerhin – vielleicht war es ein gutes Zeichen, dass sie sich nach wie vor nicht weiter dazu geäußert hatte. Vielleicht hatte sie die Geschichte vom Nachbarshund, der ihn als kleinen Junge gebissen hatte, tatsächlich geschluckt.

„Jedenfalls: gönnt seiner Schulter in den nächsten Tagen Ruhe, und er ist bald wieder auf den Beinen.“

Dieser Meinung stimmte Remus indes voll und ganz zu – mit dem kleinen Zusatz, dass bitte auch sie seiner Schulter endlich Ruhe gönnen konnte. Das tat sie jedoch erst, als hinter ihnen ein unzufriedenes Schnaufen ertönte.

„Bei Merlins Eiern, was hast du da drin, Fenwick? Hinkelsteine?“

Wie um seine Worte zu unterstreichen, ließ Sirius fallen, was er in den Händen hielt – vermutlich Fenwicks Rucksack, auch wenn Remus das aus seiner Position nicht sehen konnte. Irgendwas klirrte dumpf.

Fenwick, der die letzten Minuten nur deshalb geschwiegen hatte, weil er damit beschäftigt war, Remus die Suppe wegzulöffeln, blickte indes auf. „Schon mal was von Proviant gehört, Black? Du weißt schon, das Zeug, das man essen kann.“

Sirius schnaufte erneut. „Als wenn du so etwas bräuchtest.“

„Dringender als du, Röllchen“, antwortete Fenwick spitz, nur um sich noch einen Löffel Brühe in den Mund zu schieben. „Wer war hier vorhin so außer Atem, dass er sooo dringend eine Pause brauchte? Ich geb dir ‘nen Tipp: Ich war‘s nicht. Im Übrigen hattest du Recht.“

„Ich brauchte die Pause, um nach Remus zu sehen, du – Halt. Ich hatte Recht?“

Fenwick nickte. „Irgendwas an unseren Besuchern ist definitiv komisch. Bis auf die Verwüstung im Hof haben sie keine Anhaltspunkte dafür hinterlassen, dass sie überhaupt da waren. Die Sicherheitszauber haben keine Anomalien registriert und bevor du jetzt einen unqualifizierten Spruch ablässt, wir reden hier von Sicherheitszaubern auf Moody-Niveau.“

Sirius ließ keinen dummen Spruch ab, möglicherweise, weil ‚Moody-Niveau‘, und da stimmte Remus uneingeschränkt zu, tatsächlich etwas war, mit dem man arbeiten konnte. Niemand mit etwas Verstand nahm die Spielereien auf die leichte Schulter, die Fenwick in seiner Aurorenausbildung von Alastor Moody gelernt hatte. Niemand. Vermutlich hatte Dumbledore ihn deswegen auf diese Mission geschickt.

„Scheiße“, antwortete Sirius schließlich, was auch ihm einen finsteren Kommentar von Agnethas einbrachte. Genauso wie Fenwick nahm er das „Ich wasch dir gleich den Mund“ scheinbar nicht einmal zu Kenntnis. „Wie zum Geier soll ein normalsterblicher Zauberer bitte an Moody-Zaubern vorbei kommen? Ohne eine Spur zu hinterlassen?“

„Vielleicht, weil es kein Zauberer war?“, warf Remus ein, bevor er sich der Konsequenzen dieses Einwurfs gänzlich bewusst war. Die Blicke aller richteten sich auf ihn und ließen ihn schuldbewusst zusammenzucken.

„Wie meinst du das?“, fragte Sirius hinter ihm „Was soll‘s sonst gewesen sein? ‘Ne Hexe?“

Vorsichtig schüttelte Remus den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber ich glaube nicht, dass es Menschen waren.“

Ihm gegenüber zog Fenwick die Augenbrauen immer höher. „Du glaubst?“

Für einen Moment presste Remus die Lippen aufeinander. Er hatte sich definitiv verquatscht. Eigentlich hatte er den dreien nicht von seiner Begegnung der durchsichtigen Art erzählen wollen, aber da musste er jetzt wohl durch.

„Gut, ich denke es nicht, ich weiß es“, antwortete er langsam. „Ich habe sie gesehen. Vermutlich zwei Wesen, die den Sturm im Hof verursacht haben, und eines, das mir – uns – zur Hilfe gekommen ist.“

Unangenehmes Schweigen antwortete. Remus fing Fenwicks Blick auf und der war nicht begeistert. Vermutlich hatte es etwas damit zu tun, dass der Auror möglicherweise für nichts und wieder nichts durch Schnee und Kälte gestapft war und die falschen Sicherheits- und Kontrollzauber gesprochen hatte. Hinter ihm trat Sirius näher und das Tempo seiner Schritte verhieß nichts Gutes.

„Eines der Wesen ist dir zur Hilfe gekommen?“, fragte Sirius. Remus hörte sehr wohl den Unterton aus seiner Stimme heraus – und der versprach, dass Sirius Lunte roch. „Warum sollte es das tun, Moony, wenn seine Kollegen aus uns Gulasch-“ Sirius stockte und Remus konnte förmlich spüren, wie seinem Freund ein Licht aufging. „Du trägst das Amulett. Es ist das Amulett, richtig?“

Treffer, versenkt. Remus schluckte hart.

„Seit jemand die Schatulle mit dem Kästchen geöffnet hat, obwohl Dumbledore mir befohlen hat, genau das nicht zu tun–“

„–ich wette, das war Black, der Idiot–“

„–Halt‘s Maul, Fenpie–“

„–Halt selber deine–“

„–Haltet beide den Mund oder ihr schippt gleich Schnee!“

Remus atmete tief durch. „Danke, Agnetha“, sagte er mit dem freundlichsten Tonfall, den er aufbringen konnte, vornehmlich um Fenwick und Sirius von neuem Protest abzuhalten.

„Wie gesagt – seit die Schatulle mit dem Amulett geöffnet wurde, hatte ich ein paar Mal das Gefühl, jemanden zu sehen. Ein Mädchen, durchsichtig wie ein Geist, aber ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich da ist oder ob ich sie mir nur einbilde.“

Hinter ihm stöhnte Sirius auf. „Remus Moony Lupin! Du bist dir nicht sicher, ob du sie dir nur einbildest? Meine Güte, bist du ein Zauberer oder nicht? Nenn mir ein gottverdammtes Mal, an dem du dir irgendwelche magischen Wesen, die potentiell dazu geeignet sind, dir ans Leder zu wollen, nur eingebildet hast! Und komm mir jetzt nicht mit dem Monster unter deinem Bett! Ich hab nachgesehen, wie du dich vielleicht erinnern kannst. Und ich hab die Narbe immer noch!"

Die Narbe. Ja, richtig. Remus kannte die Narbe natürlich – ein kleines, unscheinbares Strichelchen, dort wo der Dickschädel eines elfjährigen Sirius Black gegen einen Bettpfosten geprallt war. Aus Schreck vor einem Nest voller Knuddelmuffs. Bis heute hatte Remus es nicht übers Herz gebracht, Sirius zu verraten, dass er die ganze Zeit gewusst hatte, was für furchtbare Dinge unter seinem Bett lauerten. Er entschied sich dafür, es weiterhin dabei zu belassen, stattdessen beim Thema zu bleiben und sich so zu schämen, wie Sirius es von ihm erwartete.

„Ich weiß. Sie war nur so flüchtig – und ich habe noch nie etwas von so einem Wesen gelesen. Fakt ist – ich habe sie mir nicht eingebildet. Ich denke, das Amulett zieht sie an. Als Kjersti mir die Kette umgehangen hat, war sie wieder da und hat sich in den Kampf eingemischt.“

Remus kam kaum dazu, auszureden – zu viele der Anwesenden hatten das Bedürfnis, ihm ins Wort zu fallen. Er hörte, wie Sirius „‚Flüchtig‘ sagt er“, murmelte, doch das ging unter Agnethas „Wie kommt meine Tochter an deine Kette?“ und Fenwicks „Mein Amulett zieht keine durchsichtigen Wesen an, oder Søren?“ unter.

Bevor die Anderen auch noch auf die Idee kommen konnten einander zu antworten und damit endgültig dafür sorgen würden, dass Remus der Kopf schwirrte, entschied er sich dafür, selbst zu antworten. Zumindest auf Agnetha und Fenwick, denn auf Sirius‘ Laune goss man besser kein Öl, wenn man kein Feuer wollte.

„Ich weiß es nicht, Agnetha. Vielleicht habe ich sie mitsamt der Schatulle im Haus verloren, ich würde mir da nicht zu große Gedanken machen.“ Natürlich würde Agnetha sich Gedanken machen, egal, was er sagte. Er konnte nur hoffen, dass er nicht auch noch Kjerstis Zorn auf sich zog. „Oh und Fenwick, wenn dein Amulett keine magischen Wesen anzieht, was tut es dann?“

Während sich Agnetha tatsächlich nicht überzeugt zeigte, zumindest dem Druck nach zu urteilen, den ihre Hand auf seine Schulter ausübte, ohne dass sie es merkte, horchte Fenwick tatsächlich auf.

„Ich-“

Im nächsten Moment sprang Fenwick auf und klopfte halb panisch seine Taschen ab, drehte sie auf links und sich selbst dreimal im Kreis. Dann rannte er zu seinem Rucksack, stieß dabei gegen Sirius und ignorierte dessen Protest völlig. Schlagartig blieb er stehen und lief zurück, nur um noch einmal in allen Taschen zu wühlen.

Schließlich präsentierte er eine Schatulle, die Remus ziemlich bekannt vorkam. Er hatte ein sehr, sehr ähnliches Modell.„Ist das das, was ich denke, dass es ist?“, fragte Sirius, bevor Remus eine ähnliche Frage stellen konnte.

„Wenn du darauf hoffst, dass ich dir ein Gehirn schenke, muss ich dich enttäuschen“, gab Fenwick zurück, doch der Spott in seiner Stimme zitterte. „Aber Agnetha hat bestimmt noch ein paar Erbsen über.“

„Du kleiner Quid-“

Remus verdrehte die Augen. Möglichst laut und möglichst deutlich, sodass er Sirius‘ Beleidigung übertönte, sagte er: „Es ist das Amulett, das Dumbledore dir gegeben hat, richtig?“

Fenwick wollte etwas erwidern, möglicherweise auch nur auf Sirius‘ Worte, die tatsächlich unter Remus‘ Feststellung untergegangen waren, doch Sørens Blick brachte ihn zum Schweigen. Statt Sirius an die Kehle zu gehen, nickte er vorsichtig.

„Wir haben es probiert“, ergriff Søren das Wort. „Es ist ein Kompass. Sein Ziel ist im Osten. Ein Tag von hier. Vielleicht zwei.“

Fenwick nickte. „Im Übrigen völlig geistfrei.“

„Bis vorhin, meinst du“, tönte Sirius‘ bissige Stimme über Remus‘ Kopf hinweg. Statt beleidigt in die Defensive zu gehen, nickte Fenwick nur knapp. Es war klar, worin beide überein stimmten. Wenn Remus‘ Amulett Geistwesen anzog, dann tat Fenwicks das vielleicht auch. Und wenn Remus die freundlich gesinnten abbekam, hatte Fenwick vielleicht weniger Glück.

Doch wieder war es Søren, der statt Fenwick antwortete. „Ich sage, wir brechen auf. Ich hole den Wagen, ihr die Sachen.“

Remus blinzelte irritiert. Hatte er gerade das Wort ‚Wagen‘ gehört? So wie in dem Muggelwort ‚Wagen‘ für ‚Fahrzeug‘? Er war sich ziemlich sicher, es gehört zu haben.

„Wagen?“, fragte Sirius und klang so irritiert, wie Remus sich fühlte.

Søren, der die Hintertür bereits erreicht hatte, hielt inne und nickte. „Ja. Wir fahren.“

„Fah-ren? Wie in ‚Fahren mit nem Muggelding‘?“

„Ja.“

„Warum apparieren wir nicht?“

„Zu gefährlich“, antwortete Søren. „Dort, wo der Kompass hinzeigt, ist es gefährlich. Nur Eis und Schnee und es ist sehr kalt. Wir würden uns – wie sagt ihr Briten – zerteilen? Nein. Jedenfalls, es ist gefährlich. Wir fahren. Holt eure Sachen.“

Remus kam nicht umhin, einen skeptischen Blick mit Sirius zu tauschen. Ja, das Konzept des Fahrens war ihm fremd. Denn so gern Sirius Muggelzeug – und vor allem Muggel selbst, solang sie in etwaige Raster fielen – auch hatte, er verließ sich nicht gerne darauf, wenn wirklich etwas auf dem Spiel stand. Damit herumspielen und dumme Streiche damit aushecken? Oh ja, sicher. Die Sachen auseinander nehmen und auf dem Flur liegen lassen, in der Hoffnung, dass jemand anders – also Remus, es wegräumte oder zumindest darüber fiel? Natürlich. Aber dem Ganzen vertrauen, noch dazu wenn es um sein Leben ging? Ganz sicher nicht. Remus konnte sehen, wie er die Idee mental durchkaute und versuchte, sie nicht wieder auszuspucken.

Fenwick indes schien weniger Skrupel zu haben.

„Okay“, verkündete er. Seine Schatulle hatte er da längst in einer seiner Umhangtaschen verschwinden lassen und war nun auf seinem Weg zu seinem Rucksack. Damit gab er Søren scheinbar das Stichwort die Küche zu verlassen, denn der blieb nicht um sich Fenwicks Drohung, die folgte, anzuhören. „Black, kommst du oder soll ich dein Zeug einfach aus dem Fenster werfen? Ich nehm‘ auch die Hefte von ganz unten zu erst.“

„Das wagst du nicht!“, knurrte Sirius, doch Fenwicks Antwort, die nur aus einem Lachen bestand, verkündete, dass er das sehr wohl tun würde. Skeptisch blickte Remus über seine Schulter und sah gerade noch, wie Fenwick sich seinen Rucksack überwarf, als hätte der kein Gewicht, und gleich darauf aus dem Raum sprintete. Sirius setzte ihm mit einem grollenden „Du kleiner Mistkerl!“ hinterher. Als die Stubentür hinter ihnen zuschlug, wurden die Beleidigungen, die zu diesem Zeitpunkt bereits fielen, leiser.
 

Hinter ihm seufzte Agnetha gedehnt.

„Diese Kindsköpfe“, murrte sie und schüttelte den Kopf.

Remus kam nicht umhin, dünn zu lächeln. „Ich habe ein wenig Angst um dein Küchenservice. Und um Blut auf dem Parkett.“

Zu seiner Überraschung winkte Agnetha ab. „Ich denke, die beiden haben ihre Spielchen besser unter Kontrolle, als sie uns wissen lassen wollen. Es gibt andere Dinge, um die du dich sorgen solltest.“

Da hatte sie natürlich recht. Gerade die Mission, die vor ihnen lag, würde kein Spaziergang werden. Dennoch ließen ihre Worte ihn aufsehen. Etwas schwang in ihrem Tonfall mit, das er nicht recht deuten konnte. Und das ihre Hand wie zufällig seinen Oberarm berührte, dort, wo Greyback ihn gebissen hatte, zerstreute seine Sorgen nicht. Verunsichert suchte er ihren Blick, doch sie sagte nichts dazu.

„Ich nehme an, du weißt, wie du mit der Information, dass mein Mann ein Auto besitzt, umzugehen hast?“, fragte sie stattdessen leise, bedacht darauf, von niemandem außer ihm gehört zu werden.

„Oh“, sagte er und hätte sich bereits im selben Moment dafür Ohrfeigen können. Natürlich wusste er, wie er mit dieser Information umzugehen hatte. Es blieben nicht viele Möglichkeiten. Er wusste zwar, dass es wirre Zauberer wie Arthur Weasley gab, die Muggelgerätschaften einfach nur aus Spaß sammelten, und coole Zauberer wie Sirius, die Muggelgerätschaften als Hobby betrachteten, das sie aber weiter nicht ernst nahmen, aber er hatte nicht das Gefühl, dass Søren zu einer dieser Gruppen gehörte.

„Ich werde mit den Kindern nach Oslo flohen. Vielleicht lassen sie uns über die Feiertage nach Göteborg zu meiner Familie. Wenn nicht habe ich dort Freunde. Wir sind dort sicher. Søren ist es hier nicht.“

Hart schluckend nickte er erneut.

„Ich will nicht, dass meine Kinder ihren Vater verlieren. Ich will meinen Mann nicht verlieren. Erst recht nicht zu Weihnachten.“

„Du wirst ihn nicht verlieren.“

Das Versprechen klang mutiger, als sich fühlte. Natürlich sollten die Versprechen eines Gryffindors mutig klingen – das hieß aber nicht, dass er sich auch so fühlen musste. Letztendlich gab es zwei Sorten von Gryffindors. Die einen waren tollkühn, so wie Sirius und James, die anderen, nun, nicht. Die waren mutig, weil sie mutig sein mussten, auch wenn ihnen die Knie schlotterten. Genauso wie Peter schlotterten Remus erschreckend häufig die Knie.

Agnetha indes nickte. „Wenn du nicht dafür sorgst, tu ich es. Zwing mich nicht dazu.“

In der Stube wurde der Lärm lauter. Remus hörte Sirius fluchen und Fenwick lachen. Vermutlich war es gut, dass sie ein Flur trennte, auch wenn in diesem Moment die Küchentür aufschlug. Beinahe gleichzeitig drang das helle Licht zweier Scheinwerfer durch die Küchenfenster und mit diesem das Geräusch eines laufenden Motors.

„Oh und Remus?“, hörte er Agnetha noch sagen, als sie die Hand von seiner Schulter nahm, möglicherweise um nach Kjersti und Torleif zu sehen. „Ich nehme an, deine Freunde wollen dich auch nicht verlieren. Viel Glück.“

23. Dezember 1978, 0 Uhr 30, Verwaltungsbezirk Finnmark

Sirius‘ Sorgen über ihr Fortbewegungsmittel hatten sich zerstreut, seit Søren das erste Mal das Gaspedal des weißen Golfs durchgetreten hatte. Søren konnte so sehr ein Muggelgeborener sein, wie er wollte – sein Auto hatte mit Muggeln in etwa so viel zu tun, wie Sirius‘ Unterhosen. Nur die Form war gleich, am Rest hatte Søren mittlerweile so sehr herumgehext, dass es keiner Muggelgesetzgebung mehr entsprach.

Ja, der Golf sah aus, wie ein Golf, zumindest nahm Remus, dessen Kenntnisse über Muggelfahrzeuge zwangsläufig noch geringer waren, als über Besen aus den 1940ern, an, dass er noch aussah wie ein Golf. Immerhin erkannte Remus die Form eines Autos, wenn er sie sah. Als Søren vor seinem Haus gehalten hatte, hatte Remus es für ein ganz normales Auto, wie sie tagtäglich unter den Fenstern in Sirius‘ Zimmer hinweg fuhren, gehalten. Als sie die Rucksäcke im Kofferraum verstauten, war ihm gedämmert, dass das Auto so klischeemuggelmäßig nicht sein konnte. Denn die Rucksäcke hatten gepasst, alle vier, inklusive zusätzlicher Vorräte und zweier Zelte.

Spätestens, als sie im Wagen saßen, wusste er, dass dieses Auto nicht legal sein konnte. Seine Nackenhaare kribbelten vor Magie und das taten sie sonst nur, wenn James etwas so auffällig verhext hatte, dass jeder Trottel es merkte – um dann zu dem fatalen Schluss zu kommen, dass die Zauber so schlimm schon nicht sein konnten, wenn jemand seine Zauber so dilettantisch verbarg. Genauso wie ‚harmlos‘ James Zaubertrickkiste nicht annähernd umschrieb, so hatte auch die Umschreibung „Muggelstandard“ ihre Probleme mit diesem Fahrzeug. Und beim Kofferraum fingen sie gerade einmal an.

Sie endeten bei einem vergrößerten Innenraum, einer magischen Innenwärmung, magisch aufpolierter Höchstgeschwindigkeit, Sicherheitszaubern und jeder Menge anderem magischem Schnickschnack. Die Muggel mussten ihre Sitze selbst verstellen, insofern das überhaupt möglich war. Sie mussten selbst den Schalthebel betätigen und sie sich darauf verlassen, dass sie rechtzeitig bremsten. Der Golf tat all das und noch viel mehr von selbst. Vielleicht nicht komplett von selbst, wobei Remus den Verdacht hatte, dass der Wagen das durchaus konnte und Søren nur darauf verzichtete, weil es ihm den Fahrspaß nahm.

Nachdem Søren ihnen zumindest einen Teil der Spielereien mit seinem mittelmäßigen Englisch – das im Übrigen nicht mehr so mittelmäßig klang, seitdem er von seinem Wagen erzählte – erklärt hatte, hatte er eingeworfen, dass in ganz Norwegen Geschwindigkeitsbegrenzungen galten. Dann hatte er ihnen erklärt, dass es ‚hier oben‘ ohnehin niemanden interessierte, wenn ein Magier etwas schneller fuhr.

Und dann – dann hatte er das Gaspedal durchgetreten. Aus Spaß und um sie zu beeindrucken. Bei Sirius war ihm das gelungen – ein Fakt, der Remus nicht so recht gefallen wollte, weil er das Funkeln in Sirius Augen, das immer dann auftauchte, wenn er eine besonders dumme Idee hatte, sehr wohl bemerkte.
 

Mittlerweile fuhr Søren langsamer und Remus war froh darüber. Im Gegensatz zu James mochte er keine Besen, die schneller flogen als achtzig Meilen die Stunde. Er mochte auch keine Autos, die schneller fuhren, als achtzig Meilen die Stunde. Vor allem mitten in der Nacht. Dementsprechend war er mit den sechzig, siebzig Meilen, die Søren fuhr, so zufrieden, wie er sich traute. Es war nicht das, was Remus sich wünschte, aber angesichts ihres Zeitdrucks ein Kompromiss, mit dem er leben konnte.
 

Er fühlte sich trotzdem immer noch, als würden sie rasen, was vielleicht trotz der nun niedrigeren Geschwindigkeit zutraf. Sie flogen förmlich über Schnee und Eis. Es hatte Schneewehen gegeben, von denen Remus niemals gedacht hätte, dass sie den Wagen dort jemals wieder herausbekommen würden. Doch dem Golf waren sie einfach egal. Er preschte durch sie hindurch und glich dabei Senken und Huckel in der Strecke aus, als seien sie gar nicht da.

Noch so ein Punkt, für den Remus dankbar war, auch wenn diese Funktion definitiv nicht legal war.

Seine Schulter fühlte sich bei weitem besser an, seitdem Agnethas Trank endlich wirkte, aber trotzdem wurde er sich bei jeder Erschütterung der Verletzung wieder schmerzlich bewusst. Und auch die anderen nutzten die ruhige Fahrt. Nachdem sie einander sogar während der Pausen den Tag vermiest hatten – und Søren und ihm gleich mit – schnarchte Fenwick nun leise im Beifahrersitz. Sirius dagegen war wach, auch wenn er so tat, als würde er, gegen Remus gesunde Schulter gelehnt, ebenfalls schlafen. Das wiederum nervte Remus, denn es hielt ihn selbst vom Schlafen ab.

Immer, wenn er am Hinüberdämmern war, stieß Sirius ihn wieder wach. Zuweilen drückte er ihn mit seinem Gewicht gegen das Innere der Wagentür. Immer wenn er dachte, Sirius würde endlich wirklich schlafen, stellte dieser irgendeine sinnfreie Frage, von der er erwartete, dass Remus sie ihm mit seiner Engelsgeduld beantwortete. Und zwar sofort. Langsam aber sicher war Remus‘ Engelsgeduld erschöpft. Wenn er schon reden sollte, dann hätte er lieber über Themen gesprochen, die ihn interessierten. Die Mission, beispielsweise. Aber er verstand natürlich, dass die anderen der Meinung waren, dass alles besprochen war und dass Remus nur die Fakten wiederholte. Er hätte sich auch mit anderen Dingen zufriedengegeben. Magietheorie oder Politik. Selbst ein paar norwegische Floskeln, die Søren ihm sicher beibringen konnte, hätte er aufgesogen wie ein Schwamm.

Aber Sirius‘ Sexualleben interessierte ihn nicht. Genauso wenig wie das von Peter, Lily und James oder Fenwick. Zumal er nicht einmal wusste, ob Fenwick überhaupt ein Sexualleben hatte oder ob es dafür zu viele Quaffel in seinem Kopf gab – diese Frage hatte sich Sirius übrigens ebenfalls gestellt. Dummerweise gingen Remus langsam die Themen aus, auf die er Sirius Aufmerksamkeit lenken konnte. Gerade auch, da er jetzt, wo er Weihnachten nicht daheim verbrachte, Weihnachtsdiskussionen ebenfalls nicht führen wollte. Und über seine Schulter reden wollte er auch nicht. Er war froh, wenn er nicht daran denken musste.
 

Statt erneut zu versuchen, die Augen zu schließen und zu schlafen, begnügte er sich seit einer Stunde damit, aus dem Fenster zu schauen. Zuweilen erahnte er in der Polarnacht das Meer, das sich tief in die Fjords hineinfraß, zuweilen nur einen Ozean aus Schnee. Mehr sah er von der Landschaft zugegeben nicht, dazu war es zu dunkel. Nur dann und wann erhaschte er einen Blick auf das Polarlicht, das seit einer halben Stunde in grünen Kaskaden über den Himmel zuckte und sich im Schnee spiegelte. Er gähnte leise.

„Remus?“, flüsterte Sirius gegen seinen Umhang. „Bist du noch wach?“

„Du lässt mich nicht schlafen, vergessen?“

Für einen Moment schwieg Sirius und Remus wusste, dass er das nur tat, um ihm wenigstens vorzugaukeln, dass er sich schämte. Als hätte er die Uhr danach gestellt, fuhr Sirius, für seinen Geschmack viel zu früh, fort.

„Ich will ein Motorrad zu Weihnachten.“

Innerlich stöhnte Remus, äußerlich verdrehte er nur die Augen. Nichts, was Sirius mitbekommen würde, solang er es nicht für nötig hielt, sich tatsächlich mit ihm auseinander zu setzen.

„Das fällt dir früh ein.“

„Wie spät ist es?“

„Sirius.“

„Du solltest froh sein, dass es mir überhaupt einfällt!“, gab Sirius, von seinem Tonfall nicht einmal ein wenig abgeschreckt, zurück. Als Remus zu seinem Freund blickte, funkelten dessen Augen. Vergessen waren die dummen Sprüche bezüglich des Selbstmordkommandos, auf das er Remus so freiwillig und vor allem so heroisch und todesmutig begleitete. Vergessen war der Fakt, dass er noch vor ein paar Stunden nicht einmal hatte einsteigen wollen. Jetzt funkelten seine Augen übermütig und Remus ahnte nichts Gutes. Es dämmerte ihm, welche Forderung Sirius mit seiner Aussage stellen wollte, und es dämmerte ihm auch, dass ihn nichts davon abhalten würde, Remus so lange zu nerven, bis er sie erfüllte. Nicht einmal eine lebensgefährliche Mission irgendwo hinter dem Polarkreis.

Diese Momente waren es – schon immer gewesen im Übrigen – in denen Remus verstand, dass sein Freund leben würde. Einfach, weil er es so wollte und ganz egal, was dagegen stand. Sirius‘ Wille war beeindruckend. Zugegeben meist war dieser Wille vor allem nervtötend und störend, aber er blieb dennoch beeindruckend – und ließ ihn regelmäßig schlucken, weil er so viel stärker, ja überwältigender, war als sein eigener. Ja, Remus wollte leben, aber er gab sich mit dem zufrieden, was er hatte. Er würde nicht gegen Dumbledore aufbegehren, wenn der ihn auf eine lebensgefährliche Mission schickte. Er würde sich nicht beschweren, wenn er in ein Duell geriet, das er nicht gewinnen konnte. Wenn er sterben musste, dann musste er eben sterben, auch wenn ihm das nicht passte. Sirius war anders. Beeindruckend und mitreißend anders.

Deshalb war er bei ihm eingezogen, nach dem Abschluss – und deshalb ging er Remus so oft auf die Nerven.
 

„Du wirst das hier überleben müssen, bevor du dir eins kaufen kannst.“

Sirius Augenbrauen zogen sich zusammen. Es dauerte einen Sirius-Augenblick, den dieser voll auskostete, indem ihr ihn eingehend musterte und den entrüsteten spielte, bevor er antwortete. „Ich sagte, ich will es zu Weihnachten. Wer kauft sich seine Weihnachtsgeschenke schon selbst?“

Für einen Augenblick erinnerte sich Remus an einen Berg von Schokolade in ihrem ersten Schuljahr, an einen Quaffel der Arrows in ihrem zweiten, sowie an eine ganze, verdammte Wohnung in ihrem siebten Schuljahr. Es fiel ihm leicht sich daran zu erinnern – dafür war es umso schwerer, darauf zu verzichten, es Sirius unter die Nase zu reiben. Und er wollte darauf verzichten, um des lieben Friedens willen. Sirius stritt bereits genug mit Fenwick und würde das auch weiterhin in überschäumendem Maße tun, da musste er nicht auch noch eine Auseinandersetzung provozieren. Stattdessen besann er sich darauf, das abzuwiegeln, was Sirius eigentlich bezweckte.

„Du erinnerst dich, warum ich bei dir eingezogen bin, richtig?“

„Weil ich so ein unglaublich charmanter, gutaussehender und umwerfender Typ bin.“

Remus seufzte tief.

„Das auch“, gab er widerwillig zurück, auch wenn er es nicht so meinte. Sirius charmante Art biss bei ihm auf Granit und das wussten beide. Er sagte es nur, um Sirius‘ Ego zu streicheln, damit der Tritt, der folgen musste, nicht so weh tat. „Weil ich kein Geld für eine eigene Wohnung habe. Und was sagt dir das?“

„Ich bin nur Mittel zum Zweck?“

„Ich habe kein Geld für ein Motorrad, Sirius.“

„Oh. Richtig.“

Hatte er das jetzt wirklich … Remus warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch Sirius hatte seinen Kopf von ihm abgewandt. Er sah nur seinen Scheitel und den Mob schwarzen Haares. Möglich wäre es.

„Du kannst James fragen, wenn wir wieder zurück sind.“

Sirius schwieg für eine ganze Weile. Beinahe so lange, dass Remus schon fast annehmen musste, dass er tatsächlich schlief. Aber nur beinahe. Ohne den Kopf zu heben murmelte er schließlich: „Denkst du, wir leben lange genug, damit ich ihn fragen kann?“

Weiterhin sah Sirius nicht auf und plötzlich war Remus froh darüber, nicht in seine Augen sehen zu müssen. Einerseits weil er nicht wusste, ob er dann noch überzeugen konnte, und andererseits, weil ihn die Frage aus der Bahn warf. Solche Fragen stellte Sirius nicht. Hatte sie einfach nicht zu stellen. Das war Remus‘ Job oder der von Peter, aber nicht der von Sirius. Er schluckte hart.

„Ja“, antwortete er mit rauer Stimme.

Sirius antwortete mit einem Nicken und einen Gähnen. „Gut.“

Einen Moment später hielt Søren am Straßenrand und verkündete die nächste Pause. Er bräuchte Schlaf und das dringend. Remus war froh, als er Fenwick weckte...
 

Das Zelt war nichts, womit Remus auch nur im Ansatz gerechnet hätte. Er kannte Zelte. Sie waren in der fünften Klasse einmal campen gewesen, mit dem Zelt, das James seinerzeit zum Geburtstag bekommen hatte. Dieses Zelt hatte alles gehabt. Mehrere Zimmer, eine Küche und sogar ein Bad, dazu diversen Schnickschnack, den kein Zauberer brauchte, inklusive eines überdimensional großen Wandspiegels. Gut, bei diesem war sich Remus noch heute nicht sicher, ob James und Sirius ihn nicht tatsächlich gebraucht hatten, wenn auch nur um ihr Ego zu pflegen. Vielleicht brauchten sie so etwas auch immer noch – denn Sirius hatte tatsächlich einen in seinem Zimmer – aber generell waren solche Dinge zum Campen nicht notwendig.

Sørens Zelte hingegen waren … Zelte. In ihrer ursprünglichen, muggelhaften Bedeutung und Ausstattung. Dreieckig, ein Boden, eine Plane fürs Dach und Stoffbahnen, die die Seiten verhängten. Dazu Schnüre, Heringe und zwei Stäbe, um das Zelt aufrecht zu halten. Gut, sie bauten sich von selbst auf und hatten tatsächlich einen guten Heizzauber, der das Innere auf einer angenehmen Temperatur hielt, aber ansonsten waren beide Zelte spartanisch, ohne drei Räume und vier Anbauten und sogar ohne Raumvergrößerungszauber.

Beim Anblick des Innenlebens begann Sirius herumzumosern und Fenwick schloss sich ihm an. Es war vielleicht das erste Mal auf dieser Reise, dass sie sich einig waren. Genauso einig waren sie sich im übrigen bei der Tatsache, sich ‚nie im Leben‘ ein Zelt teilen zu wollen, weshalb Remus zehn Minuten später neben Sirius in einem Zelt lag und überlegte, ob er es seiner Schulter zumuten konnte, sich zu bewegen und auf die Seite zu legen.
 

Und während draußen der Wind jaulte und die Aurora Borealis leuchtende Muster in den Himmel warf, döste Remus zu den mürrischen Beschwerden seines Zeltmitbewohners ein.

Moony, ich glaube, ich habe einen Stock im Rücken.

Moony, mir ist kalt.

Moony, hörst du das auch?

Moony, gibt es hier eigentlich Wölfe?

Moony, schläfst du etwa?

„Junge, warum hörst du dir dieses Geschwätz eigentlich an?“, fragte eine heisere Stimme im Nichts. Er wusste im gleichen Moment, dass er träumte. Das aber bedeutete nicht, dass er aufwachen konnte.

Mit einem Mal stand er am Ufer eines Sees. Zu allen Seiten ragten eisige Hügel auf, riesig und weiß wie eine vor Kälte erstarrte Version der Hölle. Vor ihm erstreckte sich ein See. Die schneebedeckte Eiskruste glitzerte abweisend im roten Licht der Aurora Borealis. Nur zu seinen Füßen war das Eis getaut. Wellen umspülten seine Knöchel und durchnässten seine Hosen. Er wusste, dass er nicht frieren konnte, nicht wirklich, denn es war nur ein Traum. Das Zittern in seinen Waden verschwand, als er sich diesen Gedanken vergegenwärtigte.

Skeptisch blickte er an sich hinab, auf seine baren Füße und schaute dann über den See. Den Besitzer der Stimme konnte er indes nicht ausmachen.

„Du hast wichtigere Dinge zu tun, als dir dieses Gejammer anzuhören, Wolf“, fuhr die Stimme fort. Das Wasser zu seinen Füßen erzitterte bei jedem Wort, doch er sah niemanden. „Aber vielleicht brauchst du das ja.“

Im nächsten Augenblick saß er auf Sirius‘ Couch in James‘ Wohnung – und das war seltsam genug. Alle waren sie da, James, Sirius und er, dazu Lily, Peter und Severus Snape. Ein großer, mit Kugeln und Schleifen behangener Weihnachtsbaum befand sich im Raum und tanzte zu den Liedern, die sie sangen. Remus summte nur mit, doch James und Sirius schmetterten Strophe um Strophe ‚An den zwölf Weihnachtstagen‘ und gipfelten jedes Mal begeistert in einem „Und ein Rebhuhn in einem Birnbaum!“

Spätestens bei der zwölften Strophe fragte Remus sich, woher die beiden den Atem nahmen – und augenblicklich schien James eben dieser zu fehlen. Wie in Zeitlupe sah er ihn zur Seite kippen, wollte aufspringen und konnte nicht. Dann schrie Lily und Sirius kippte hinterher und Remus wusste nicht, an wen der beiden anderen er sich wenden sollte. Sein Herz raste–

Plötzlich schwebte er in der Luft und war nicht mehr als ein Geist. Seine Hände, die er vor sein Gesicht hielt, waren nicht mehr als ein blasses Blau und durchsichtig. Seine Kleidung flatterte im Wind und war so transparent wie der Körper darunter. Neben ihm stand eine junge Frau mit einem zarten Gesicht und langen, roten Haaren, die um ihre schmalen Schultern wehten. Ihre großen, braunen Augen sahen durch ihn hindurch und doch lächelte sie, als könne sie ihn sehen. „Lohe“, flüsterte sie. Er wiederholte das Wort, ohne dass sie ihn hörte.

Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus, doch wie ein Geist fasste er durch sie hindurch. Dort, wo seine Finger ihre Haut berührten, wurde diese selbst so weiß, wie die eines Geistes. Weiße Strähnen wehten ihr plötzlich in die Stirn. Sie musterte ihn mit abschätzigem Blick. Dünne Augenbrauen zogen sich in einem zeitlosen Gesicht zu einem feinen Strich zusammen. Blaue Lippen kräuselten sich. Mit einer scharfen Bewegung drehte sie sich um und marschierte davon. Ihr langer Mantel peitschte ihr bei jedem Schritt um die Beine. Er wollte etwas sagen, reagieren – doch er konnte sich nicht bewegen. Nicht sprechen. Nicht hören. Das Denken fiel ihm schwer. Dann wurde alles schwarz.
 

Ein Schlag trieb ihm die Luft aus den Lungen. Remus riss die Augen auf, doch erheben konnte er sich nicht. Panik wallte in ihm auf, ließ sein Herz schnell gegen seine Brust schlagen und ihn die Luft anhalten. Dann erkannte er Sirius‘ Körper über sich. Durch seine Schulter zog sich ein brennender Schmerz, dort, wo der Arm seines Freundes sie getroffen hatte. Ein tiefer Schnarcher ließ ihr Zelt erzittern.

Für einen langen Moment starrte er im Dunkel der Polarnacht zur Zeltplane hinauf. Langsam atmete er auf und sog kontrolliert Luft ein. Er blinzelte. Neben ihm schnarchte Sirius erneut. Seufzend hob er den Kopf und ließ ihn wieder fallen.

Vorsichtig griff er nach Sirius‘ Arm und schob ihn halb, zog ihn halb von seinem Körper um sich aufzusetzen. Sein Kopf berührte die Zeltplane, die im Gegensatz zum Inneren des Zeltes kalt war.

„‘mus?“, hörte er Sirius‘ Stimme neben sich.

„Du hast mich geweckt.“

„Oh.“

‚Oh‘ in der Tat. Sirius‘ ‚Oh‘ war in etwa genauso ‚Oh‘, wie Fenwicks Kopf, der einen Augenblick später im Zelteingang erschien – und mit ihm ein Schwall kalter Luft.

„Morgen, Lupin“, grüßte der Auror ihn fröhlich. Sirius indes warf er einen Blick zu, der Remus gar nicht gefiel. „Und was dich betrifft – aufstehen, Dornröschen.“

„Zieh Leine, Fenwick.“ Sirius‘ Worte waren nicht viel mehr, als ein Knurren.

Glücklicherweise bemerkte der Angesprochene Remus‘ frustrierten Blick, bevor er weiter sprach. Er zuckte, scheinbar ergeben, mit den Achseln. „Gut, packen wir dich eben mit dem Zelt ein. Remus, es gibt Frühstück.“

Fenwick zog seinen Kopf zurück und verschwand in der Dunkelheit. Nur seinen Schatten konnte Remus noch sehen, als er an ihrem Zelt vorbei ging, vermutlich zum Feuerplatz, den Søren in der Nacht angelegt hatte.

Neben ihm knurrte Sirius erneut. „Fenwick is ein Idiot“, verkündete er, schien dabei aber mehr mit seinem Schlafsack zu sprechen, als mit Remus.

Der wiederum – Remus, nicht der Sack – verdrehte die Augen. „Ihr seid beides Kindsköpfe. Das ist euer Problem.“

„Remus!“

„Komm jetzt, oder willst du kein Frühstück?“

Als Antwort stöhnte Sirius erneut. „Du bist gemein.“
 

Das Frühstück war eine ebenso stille wie kalte Angelegenheit. Søren hatte auf dem neu entfachten Feuer Kaffee gekocht, aber das war das einzig Warme für diese Mahlzeit. Der Rest ihres Proviants war kalt und außerhalb des magisch gewärmten Zeltes fror Remus erbärmlich und zumindest Sirius und Fenwick ging es genauso. Nur Søren schienen die Temperaturen nichts auszumachen. Der trank seinen Kaffee, aß sein Brot und seinen Fisch und packte dann die Zelte zusammen, während sie sich zitternd um das Feuer scharrten. Dabei war es noch nicht einmal so kalt. Remus hatte sich – im Gegensatz zu gewissen Begleitern – zumindest ein wenig darüber informiert, was ihn in Norwegen erwartete. Und das bedeutete eben nicht nur polare Nacht, sondern eben verhältnismäßig mildes Wetter an den Küsten, da diese, genau wie Großbritannien auch, vom Golfstrom beeinflusst wurden. Natürlich befanden sich diese Regionen im krassen Gegensatz zum eisigen Binnenland. Ihre Reise würde sich nicht zu weit von der Küste entfernen – wenn Fenwicks und Sørens Berechnungen denn stimmten – aber es würde ihn nicht verwundern, wenn es noch kälter werden würde.
 

Remus sollte recht behalten. Kurze Zeit später wurde es kälter. Deutlich kälter.

Nur hatte das reichlich wenig mit der Entfernung zur Küste zu tun.

Der Sternenhimmel war schon während der Nacht einem trüben, finsteren Himmel gewichen und hatte das Licht des Mondes genauso geschluckt, wie das Licht der Aurora Borealis. Als Remus seine Tasse in seinem Rucksack verstaute, bemerkte er die erste Schneeflocke auf seinem Umhang. Das hätte nichts Ungewöhnliches sein sollen, doch seine Nackenhaare stellten sich auf, als wüssten sie es besser. Ein kurzer Blick zu den Anderen half ihm nicht weiter. Søren lud gerade den ersten Rucksack zurück in den Wagen und Fenwick und Sirius ignorierten einander, so gut man sich ignorieren konnte, wenn man versuchte, gemeinsam ein Zelt in einen Rucksack zu stopfen, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, was man überhaupt tat.

Unwillkürlich tastete er nach dem Amulett, doch das hing warm um seinen Hals. Es pulsierte leicht und nur dann spürbar, wenn er es mit den Fingern berührte, doch dieses Phänomen kannte er bereits. Er konnte keine Veränderung feststellen.

Als er sich seinen Rucksack vorsichtig auf die gesunde Schulter bugsierte, rieselten nicht mehr nur ein paar Flocken – es schneite. Augenblicke später stand er bei Fenwick und Sirius und mitten in einem Schneesturm. Søren konnte er nicht einmal sehen. Ein heftiger Wind zerrte an seiner Kleidung und trieb ihm schneidende Eiskristalle ins Gesicht. Seine Alarmglocken begannen im Gleichtakt der Böen zu schrillen. Er sah den Gegner nicht und trotzdem spürte er den Zusammenhang mit dem Angriff auf Kjersti.

Ohne zu zögern ließ er den Rucksack fallen und zog seinen Zauberstab. Die Schemen von Sirius und Fenwick taten das gleiche, zumindest vermutete er das, denn wirklich erkennen konnte er nichts. In geduckter Haltung spähte Remus nach dem Gegner. Doch so wenig, wie er Søren sehen konnte, so wenig sah er die Angreifer oder das Zentrum des Sturms. So viele Parallelen, wie dieser Schneesturm auch aufwarf – etwas war anders. Etwas entscheidendes.

Und dann verstand er es. Beim letzten Mal hatte der Wind sie angegriffen. Dieses Mal tat er es nicht. Er hatte eine andere Aufgabe.

„Runter!“, hörte er Fenwicks gellenden Befehl neben sich.

Remus überlegte nicht – er warf sich flach auf den Boden.

Einen Augenblick später donnerte ein greller Lichtstrahl über ihn hinweg und tauchte den Schnee für einen Wimpernschlag in rotes Licht. Sirius und Fenwick sprachen die derben Worte aus, die Remus sich nur dachte. Das war ein Zauber. Definitiv ein Zauber. Und ein Zauber bedeutete auch einen Zauberer, der ihn sprach. Remus fragte sich nicht, wer dieser Zauberer sein mochte – die Auswahl war klein und unangenehm.
 

Angestrengt blinzelte Remus in den Schnee, doch er sah niemanden. Mit Glück taten das die Gegner auch nicht-

Ein weiterer Lichtblitz segelte über ihm vorbei. Der Dritte prallte gegen einen Schutzschild. Die Funken sprühende Kuppel katapultierte ihn außer Sicht. Fenwicks Schutzschild war gut – aber so unauffällig wie ein Weinfleck auf einem weißen Kleid. Einen Augenblick später prasselten Flüche auf sie nieder. Funken barsten in alle Richtungen, gleißende Lichtblitze schossen auf sie zu, schrammten über den Schild und verschwanden leuchtend im Schnee. Die Polarnacht wurde taghell.

„Haltet mir den Rücken frei!“, hörte er Fenwick befehlen. Der Auror keuchte vor Anstrengung, den Schild zu halten.
 

Der nächste Fluch durchbrach den Schild wie ein Zauberstab Froschaugengelee. Grünes Licht feuerte über sie hinweg und selbst Remus spürte das klaffende Loch im Schild, das der Todesfluch riss. Fenwicks Zauber brauchte einen Moment, um den letalen Schaden zu registrieren, doch dann barst er klirrend.

„Nicht der-!“, ertönte eine Stimme hinter der Schneewand, doch die nächste Böe riss den Rest des Satzes mit sich fort.

Neben sich nahm Remus eine Bewegung wahr. Im gleißenden Schnee sah er nicht mehr als die Anomalie in der Bewegung der Schneeflocken, die Sirius Zauber hinterließ. Im nächsten Augenblick hörte er einen Schrei.

„Treffer!“

Remus spürte den nächsten Fluch, bevor er ihn sah – und er war bereit. Sieben lange Jahre Verteidigung gegen die dunklen Künste bei sieben verschiedenen Lehrern mit hohen Ansprüchen zahlten sich aus. Er musste den Zauber nicht einmal sprechen, der nonverbale Befehl genügte und die Magie fügte sich, wie er es im Unterricht gelernt und in den Pausen vertieft hatte. Subtiler als Fenwicks schloss sich eine durchsichtige Kuppel über ihnen. Der Fluch prallte an ihr ab und verschwand in der Polarnacht.

Die Kuppel indes zitterte vom Zusammenprall mit der gegnerischen Magie, aber sie hielt. Ein weiterer Zauber traf und wurde reflektiert. Er spürte auch diese Erschütterung, doch er wusste, dass das vor allem darin begründet war, dass er den Zauber führte. Das würde mit der Zeit anstrengender werden, spätestens wenn Sirius und Fenwick erneut zu hexen begannen, doch noch hatte Remus Luft für eigene Taktiken. Sein zweiter Zauber war so nonverbal, wie der erste. Keinen Augenblick später ließ die schneidende Kälte nach.

„Es sind drei“, ertönte Fenwicks Stimme hinter ihm. „Zwei vor uns, einer duelliert vermutlich Søren. Sie haben Tarnzauber – gute Tarnzauber, ich komme kaum durch – und einen Apparationsschild. Vermutlich mit einem Amulett gewirkt. Dafür sind ihre Schutzzauber von ‘nem Stümper. Tippe auf improvisiert. Die Angriffszauber sind kräftig, aber in der Regel simpel-“ Ein Fluch feuerte über sie hinweg und ließ den Schutzschild pfeifen, als er ihn streifte. Remus sog die Luft ein, doch der Zauber hielt.

„-Haudraufs ohne Finesse.“

„Rosier und Wilkes?“, fragte er, als er sich sicher war, dass er den Schild weiter kontrollieren konnte.

„Möglich. Oh und noch was-“

Ein weiterer Fluch prallte auf dem Schild ab. Rote Funken stoben davon.

„-wollen uns lebend.“

Sirius auf der anderen Seite schnaubte. „Natürlich. Und warum sollten Willykins und Vanny das tun?“

„Du weißt, was passiert, wenn ein Todesfluch einen Gegenstand trifft?“, fragte Fenwick finster. „Explodiert in tausend Teile. Nettes Feuerwerk, aber vermutlich nicht das, was sie wollen.“

Eine weitere Salve von Stupor prasselte auf seinen Schutzschild ein. Der Wind, den er mit dem anderen Zauber halb blockte, wurde wieder stärker, als seine Kontrolle nachließ. Dennoch verstand Remus, worauf Fenwick hinaus wollte. Die Geister hatten Kjersti angegriffen, als sie sein Amulett bei sich hatte. Jetzt waren sie wieder da, auch wenn er sie nicht sah. Und sie hatten Freunde mitgebracht.

„Wie auch immer – mich kriegen die nicht einmal tot!“, hörte er Sirius knurren. Dann fluchte er zurück und sein Fluch war kein freundlicher Ohnmachtsfluch.

Der Wind drehte im selben Moment. Remus Herz setzte für einen Moment aus und vollführte dann einen Freudensalto, noch bevor er verstand, was geschah. Dann registrierte er, dass er roch – und was er roch. Den Geruch hätte er nicht einmal übersehen, wäre Neumond gewesen. Er hätte ihm nicht einmal entgehen können, wenn er sich mit einem Zauber die Nase mehrfach gebrochen hätte.

Tief sog Remus die Luft ein und begann instinktiv zu wittern. Seine Nase war nicht so gut, wie an den Tagen um Vollmond oder gar in der Nacht, indem er kein kleines, haariges Problem hatte, sondern sein haariges Problem ein kleines, menschliches. Doch es genügte. Es genügte vollkommen. Augenblicklich zeichnete sie ihm ein olfaktorisches Bild seines nasalen Blickfeldes, eines kleinen Streifens, aus dem der Wind kam. Er roch Schnee, subtil und überdeckt, genauso wie altes Gras und die wenigen größeren Pflanzen, die sich in die Einöde verirrt hatten, doch all das wurde überdeckt vom Geruch nach Mensch. Natürlich – er roch Sirius, Fenwick und Søren die ganze Zeit, doch normalerweise blendete er es aus. Jetzt nahm er Fenwick und Sirius wahr, bewusst, roch ihren Schweiß, ihre unterdrückte Angst, ihren Adrenalinschub. Und genauso roch er zwei weitere Männer, was mindestens einer zu viel war. Doch all das – der Geruch nach Körperausdünstungen, nach Kleidung und nach einem teuren Rasierwasser, das einer der beiden benutzte – wurde übertüncht. Ja, nahezu ertränkt, von einem anderen Geruch. Dem Geruch nach Blut. Und den ortete er erst recht ohne Fehlerquote auf seiner olfaktorischen Landkarte. Er wusste, wie viele Schritte er gehen musste, um dort zu sein, und er wusste auch, wohin der Blutende ausweichen würde, wenn er es tat.
 

Seine Zauber brachen unter der Last der Böe, die über sie hinweg fegte. Der Wind griff an der Stelle unter ihn, wo er Kopf und Oberkörper aus dem Schnee gehoben hatte, um besser wittern zu können. Bevor er wusste, was geschah, schleuderte es ihn fort wie ein Spielzeug. Was mit Sirius und Fenwick geschah, wusste er nicht – er hörte nur seinen eigenen, gellenden Schrei.

Den Aufprall spürte Remus nicht. Das Nächste, was er sah, war Schwärze. Lichtblitze des Schmerzes zuckten über seine Netzhaut wie eine surreale Aurora Borealis. Seine Schulter meldete sich als erstes – und ihre Nachricht war keine gute. Er blinzelte und sah nur Dunkelheit und Schnee. Wind peitschte über ihn hinweg–

Und plötzlich war alles still. Um ihn her wirbelte Schnee mit einer Geschwindigkeit, dass ihm schlecht wurde, doch keine Flocke erreichte ihn. Das Auge des Wirbels war windstill. Zu allen Seiten tobte der Sturm, doch über sich sah Remus den klaren Sternenhimmel. Er konnte sich nicht bewegen, seine Schulter schmerzte zu sehr. Dumpf hörte er sich selbst stöhnen, roch sein eigenes Blut.

Die Luft um ihn vibrierte und verzerrte sich. Als er erneut nach oben in den Himmel blinzelte, sah er ihn im Augenwinkel. Und nur dort. Ein Verschwimmen der Luft. Ein Leuchten. Die Figur eines Hühnen, breit wie ein Troll, mit einem harschen Gesicht und so durchscheinend wie das Mädchen. Seine Formen wurden fester und Remus wurde sich eines bewusst – er hatte ein Problem. An Aufstehen war nicht zu denken, stattdessen stieß er sich mit den Beinen nach hinten, doch ohne Erfolg. Der Wirbel folgte ihm einfach und der Hühne mit ihm. Langsam beugte sich das Monstrum zu ihm hinunter und streckte die Hand aus.

Remus verstand die Geste und fluchte. Die Worte klangen kratzig und viel zu leise, um beruhigend zu sein. Er hatte mit seiner Vermutung recht gehabt. Fenwick hatte mit seiner Vermutung recht gehabt. Sie wollten das Amulett.

Die Erkenntnis kam zu spät. Er stemmte erneut seinen Fuß in den Schnee, doch der Geist folgte ihm. Panisch griff er nach dem Amulett, das warm gegen seine Haut pulsierte, ohne zu wissen, worauf er hoffte.

Gleich würde der Hühne die Kette umfassen-

Zu Remus‘ Verwunderung schlossen sich die Finger des Monstrums statt um die Kette um seinen Hals. Plötzlich war die Hand erschreckend solide. Durch den Oberarm konnte Remus hindurch sehen, doch die Finger berührten seinen Hals, als hätte er tatsächlich einen Körper. Remus versuchte, sich gegen den Druck zu wappnen, der kommen musste – doch er wappnete sich vergebens. Der Druck blieb aus. Irritiert blickte er auf in das Gesicht, das sich mit dem Wind verzerrte.

Der Geist sprach nicht. Keinen Befehl, keine Frage, kein Nichts. Und beim nächsten Atemzug verstand Remus auch, warum. Der Hühne hatte nicht vor, mit ihm zu kommunizieren. Sein Vorhaben war … endgültiger.

Remus bekam keine Luft. Er öffnete den Mund und versuchte, so viel Luft in seine Lungen zu ziehen, wie möglich – doch nichts geschah. Er spürte die Hand auf seiner Kehle. Seine Lungen begannen zu brennen. Noch immer klammerte er sich an das Amulett, nicht gewillt, loszulassen. Vergessen war der Schmerz in seiner Schulter. Er hob den Arm trotzdem, griff nach der soliden Hand seines Widersachers, versuchte, daran zu zerren, doch sie rührte sich nicht. Er japste, doch er bekam keine Luft. Er trat zu, doch seine Beine glitten durch die seines Gegners, als gäbe es sie gar nicht. Ihm wurde heiß. Schwärze zog sich über seine Augen. Er wusste, er würde sterben. Die Erkenntnis fraß sich durch seine Gedanken und ließ ihn noch panischer werden. Er wollte so nicht sterben, er konnte so nicht sterben, aber er wusste nicht wie er sich retten sollte. Er hatte keine Kraft mehr zum treten, keine mehr zum Zerren, er spürte nicht einmal mehr, wie seine Hand zu Boden glitt.

23. Dezember 1978, 11 Uhr, Regierungsbezirk Finnmark

Der erste Atemzug tat weh. Der zweite Atemzug war keinen Deut besser. Kalte Luft brannte in seinen Lungen, von denen er nicht glaubte, dass er sie genügend füllen konnte. Und dennoch sog er die Luft ein drittes Mal ein und stieß sie keuchend wieder aus. Dann atmete er – schnell, unkontrolliert und zu flach, aber Remus atmete. Er konnte nichts sehen, er spürte nur Hitze und seine brennenden Lungen, aber er atmete. Er klammerte sich mit aller Macht an diese Erkenntnis und sie half ihm zur Ruhe. Er atmete. Seine Lungen glühten noch immer, aber er hatte das Gefühl tatsächlich Luft zu bekommen. Blinzelnd öffnete er die Augen. Gerade noch konnte er ein kleines Oval weit über ihm ausmachen, in dem die Sterne funkelten, dann schluckte der Schneesturm auch diesen kleinen Riss. Schnee brandete über ihn. Feine, eiskalte Kristalle, die in seine Haut stachen.

Er atmete, das wusste Remus, doch noch eine Sache wurde ihm klar: er musste etwas tun. Er wusste nicht was, aber er konnte nicht liegen bleiben und einfach nur atmen. Sich auf den Bauch zu rollen war unglaublich schwer. Jede Faser in seinem Körper schmerzte und das Stechen in seiner Schulter war die Hölle. Er brauchte seinen Zauberstab, doch er fand ihn nicht. Neue Angst wallte in ihm auf.

Ja, er lebte, aber er war schutzlos. Irgendwo hier waren Zauberer. Todesser, wahrscheinlich. Und er roch Blut.

Blut.

Er roch. Remus hasste es, das zu tun, aber er gab dem inneren Werwolf nach. Vermutlich hätte er noch dümmere Sachen getan, um sich selbst zu schützen, doch das war definitiv dumm genug. Langsam schloss er die Augen und roch. Blut hing überall in der Luft, der Wind trug den Geruch überall hin, Menschen, Schnee, Gras, Bäume – und Holz. Bearbeitetes, geöltes Holz. Ohne einen nahen Vollmond war es unglaublich schwer etwas anderes zu orten als das Blut. Blind drehte er sich um und tastete sich vorwärts. Zwei Mal griff er nach irgendwelchen Zweigen mit ähnlicher Dicke und merkte den Fehler erst, als er daran zog. Dann schlossen sich seine Hände um glattes Holz und er wusste, dass es sein Stab war.

Den inneren Wolf zu verdrängen, sich darauf zu besinnen wer er war und welche Mondphase gerade herrschte, war trotz des abnehmenden Mondes schwierig. Der Schutzzauber, dieses Mal genauso fragil wie subtil, ging ihm nicht so leicht von den Lippen, wie er es hätte tun sollen. Knisternd schloss sich die Kuppel über ihm. Ein oder zwei Zauber würde sie aushalten, doch den Wind milderte sie nicht.

Auf den Boden gekauert blickte er sich um, doch er konnte niemanden entdecken. Er hörte jemanden schreien, etwas rufen, doch die Worte waren zu weit entfernt, wurden zu sehr verzerrt, um sie zu verstehen. Nur seine Nase – die sah wunderbar. Ihm gefiel die Idee nicht, und doch ließ er die Zügel wieder lockerer, verlor ein wenig die Kontrolle, an die er sich so sehr klammerte, um nicht so zu werden wie Fenrir Greyback. Er musste sich selbst – und seine Freunde – retten. Keine Zeit für Gewissenskonflikte.
 

Der einzige Geruch, an dem er sich in diesem Chaos orientieren konnte, war der des Blutes. Er übertünchte den Rest und der Vollmond war bereits zu weit entfernt, um seine Sinne weiter zu schärfen. Auf allen Vieren – das hieß, auf allen Dreien, denn seine linke Schulter ließ sich nicht mehr belasten – robbte er durch den Schnee. Es war einfacher so. Er bot so weniger Angriffsfläche. War schwerer zu sehen.

Der Blutgeruch indes wurde stärker. Flüche ertönten, Schreie gellten darüber hinweg und sein Gehör schaffte es, Sirius‘ Stimme herauszufiltern. Er hörte Fenwick ebenfalls. Luft knisterte, als ein Schild sich materialisierte. Die Veränderung in der Luftströmung, die der Zauber bewirkte, war minimal, doch er war nah genug, um sie wahrzunehmen. Kurz schloss er die Augen und witterte. Sirius und Fenwick roch er weiter weg, das Blut dichter in seiner Nähe und er wusste, auf wessen Seite des Schutzschildes er sich befand. Vorsichtig kroch er weiter.

Funken stoben laut, erleuchteten die Dunkelheit und ließen ihn aufschrecken, doch sein Schild hielt dem Irrläufer, der gegen ihn prallte, stand. Dennoch spürte Remus die feinen Schäden in seinem Zauberwerk. Er würde den Zauber erneuern müssen-

„Da ist jemand“, waberte eine Stimme durch den Schnee.

„Dann sieh nach, du Idiot!“, antwortete eine andere. „Sectumsempra!

Der Fluch ging nicht in seine Richtung. Remus kannte die Stimmen, hatte aber keine Zeit sie zuzuordnen. Er musste sich beeilen. Ohne zu zögern ließ er den Schutzschild fallen – der würde ihm nicht mehr helfen und ihn am Ende nur verraten. Sein Gegenzauber gegen die Aufspürzauber, den er statt eines neuen Schildes sprach, war dürftig, aber mehr bekam er nicht zustande.

Er hatte Glück. Kein Zauber flog gezielt in seine Richtung. Da war ein weiterer Blindgänger, aber der segelte weit über ihn hinweg und verschwand bald im Schneetreiben. Der Blutgeruch kam indes näher. Er war beinahe überwältigend. Remus wusste, dass er aufhören musste, zu wittern. Doch es war schwer, unglaublich schwer.

Und in dem Schneegestöber sah er nicht weit genug, auch wenn das Licht der Flüche sich wirr in den Flocken reflektierte. Viel zu spät für seinen Geschmack erkannte er sie doch, die Gestalt eines Mannes, dunkel gegen den Schnee. Augenblicklich war ihm eines klar – der Mann sah ihn auch. Remus tat das Naheliegende. Das, was ihm nicht sein Verstand befahl, sondern sein Adrenalin. Er spannte die Muskeln seiner Beine an und katapultierte sich hoch. Es war die dümmste Idee, die er hatte haben können, das sagte ihm seine Schulter deutlich noch während er sprang. Sein Gewicht kollidierte mit dem Körper des Mannes. Schmerz explodierte in seinem Arm. Der andere verlor das Gleichgewicht. Sie kippten und überschlugen sich in einem Knäul aus Gliedmaßen.

Das Glück verließ Remus in genau diesem Moment. Er hatte den Mann überraschen können, aber er kam schließlich mit dem Rücken auf. Der Schmerz in seiner Schulter war mörderisch. Immer noch roch er Blut, doch der Schmerz erinnerte ihn daran, dass er kein Wolf war. Kein Wolf sein wollte. Blinzelnd öffnete Remus die Augen und schaute in das Gesicht eines Todessers. Wilkes.

„Sieh an. Lupin“, raunte er. „Ich dachte, der Anemoi hätte dich erledigt. Aber wenn er meint, er schafft das nicht-“

Wilkes zuckte mit den Achseln und ließ seine Schlussfolgerung unausgesprochen. Das siegessichere Grinsen, das über sein Gesicht spielte, während er Remus musterte, war Erklärung genug. Langsam hob er die Hand. „Oh, und übrigens – das nehme ich.“

Der Todesser griff nach seiner Kette. Es war die falsche Bewegung. Zu klar erinnerte sich Remus an die Hand um seinen Hals. Zu klar erinnerte er sich daran zu ersticken. Seinen Zauberstab hatte er fallen gelassen, doch er brauchte ihn nicht. Ruckartig streckte er die rechte Hand empor und umfasste Wilkes‘ Arm, bevor dieser ihn berühren konnte. Dann trat er mit dem Knie zu. Das war nicht die feine Zaubererart – aber sie war effektiv. Wilkes schrie auf und verdrehte die Augen. Der Schmerz lenkte ihn lange genug von Remus ab, damit dieser ihn von sich stoßen konnte. Blind tastete er nach seinem Zauberstab, bis sich seine Finger um das gewohnte Holz schlossen. Mühsam rollte er sich auf die Knie und drückte sich in eine stehende Position. Zitternd hob er den Zauberstab. Nur wenige Meter von ihm entfernt gewann Wilkes den Kampf gegen den Schmerz und stemmte sich ebenfalls hoch – doch Remus war bereit. „Stupor“, knurrte er leise.

Der rote Lichtblitz traf. Die massige Gestalt sackte in sich zusammen. Der Geruch von Blut lag Remus immer noch in der Nase, doch nun war es sein eigenes. Er wusste nicht, wo er blutete und er hatte keine Zeit, es herauszufinden. Denn er roch Wilkes nicht mehr so stark, wie er ihn hätte riechen sollen. Dieses Mal wusste er, was das bedeutete.

Flach ließ er sich auf den Boden fallen. Seine Schulter protestierte, doch für diesen Moment war sie nicht wichtig. Die Böen sausten über ihn hinweg, rissen an seinen Kleidern und seinen Haaren, doch er blieb auf dem Boden gekauert liegen.

Dann war das Auge über ihm. Als er den Kopf zur Seite drehte, konnte er es sehen. Das Flackern in der Luft, das sich zu einer Gestalt verdichtete.

Remus wartete nicht darauf, dass der Geist – der Anemoi, wie Wilkes ihn genannt hatte – nach ihm griff. Er wartete nicht einmal, bis er das kantige Gesicht unter den gleißenden Haaren sehen konnte. Fest umklammerte er seinen Zauberstab und hob den Arm. Die Bewegungen fielen ihm aus der liegenden Position heraus schwer, genauso wie die Suche nach einer geeigneten Erinnerung. Sein erster Schultag, nein, sein N.E.W.T.-Zeugnis, nein, Sirius. Er konzentrierte seine Gedanken auf Sirius. Auf den Hundeblick, auf das ansteckende Lachen, auf Sirius.

Expecto Patronum!

Silberner Nebel schoss formlos aus der Spitze des Zauberstabs und umhüllte sie beide. Sein Herz schlug höher, als die Hoffnung des Zaubers ihn durchflutete.

Im Licht des Patronus verzerrten sich die Züge seines Gegners. Das Wesen berührte Remus Zauber und zuckte zurück, doch der silbrige Nebel war nicht stark genug. Remus wusste, es würde nicht reichen. Die Bewegungen waren nicht gut genug. Er biss die Zähne aufeinander, drückte sich auf alle Viere, dann in eine kniende Position und drehte sich um. Wind wirbelte durch den Raum, den der Sturm schuf und mit ihm wehten die Energien seines Zaubers davon. Den kleinen, leuchtenden Partikeln, die ihn etwas kälter, etwas hoffnungsloser zurückließen, sah er nicht nach. Sie kümmerten ihn nicht. Er dachte an Sirius – und an James, Peter und Lily. Und er wusste, dass er hier nicht sterben wollte, nicht sterben durfte, und nicht sterben würde.

Expecto Patronum!
 

Der Zauber war möglicherweise das Nächste zu einem gestaltlichen Patronus, was er je erschaffen würde. Silberner Nebel stob aus dem Zauberstab, entwickelte Beine, formte einen schwammigen Rumpf, einen Kopf, einen Schwanz. Die Gestalt blieb vage, doch sie krachte in den Anemoi. Der Wind um ihn erstarb mit einem Heulen. Das Leuchten des Zaubers und die Figur verschwammen im Schnee, bis nur noch Anomalien in der Bewegung des silbrig glänzenden Schnees übrig blieben. Unwillkürlich atmete Remus auf.
 

Hinter ihm knirschten Schritte im Schnee. Augenblicklich zuckte er zusammen. Bevor er sich herumdrehen konnte, drückte sich eine Spitze in seinen Nacken. Ein Zauberstab. Es musste ein Zauberstab sein.

„Reife Leistung, Lupin“, säuselte ein Mann hinter ihm. Es klang ausgesprochen nasal, so, als sei seine Nase gebrochen, doch er erkannte Lucius Malfoys Stimme. „Aber nicht reif genug. Wirf deinen Zauberstab fort, Abschaum.“

Remus‘ Nacken kribbelte von der Magie, die von dem Stab ausging. Er kannte Malfoy. Vielleicht nur flüchtig, aber gut genug um zu wissen, dass sein Zauber nicht schnell genug sein würde, um den Todesser zu überrumpeln. Seine Finger gehorchten dem Befehl wie von selbst. Kraftlos glitt sein Stab aus seiner Hand und versank halb im Schnee.

Malfoy schnalzte mit der Zunge. Ohne den Druck zu verringern fuhr die Spitze des Zauberstab tiefer, zog Remus Kette mit, bis sie ihn würgte. Er biss die Zähne zusammen. Erwürgen konnte Malfoy ihn so nicht, das wusste Remus – und er klammerte sich an dieses Wissen. Panik würde ihm dieses Mal nicht helfen. Sie würde ihn nur noch schneller umbringen.

Die Spitze des Stabes glitt über die Kettenglieder hinweg und tiefer. Mit einer scharfen Bewegung rutschte die Kette zurück in ihre ursprüngliche Position. Der Anhänger schlug hart und warm gegen seine Brust. Zwischen seinen Schulterblättern kam der Stab zur Ruhe.

„Brav so. Und nun...“, raunte Malfoy hinter ihm. Seine Stimme ließ Remus die Nackenhaare zu Berge stehen. Mit einem Schlag wusste er, was kommen würde. Wie gelähmt riss er noch die Augen auf, als Malfoy den Zauberstab hob. „Avada Ked-
 

Calvorio!

Malfoy stockte in der Intonation. Sein Zauberstab bebte gegen Remus‘ Rücken. Zwischen die Schneeflocken mischten sich blonde Haare, als sie Malfoy eins nach dem anderen ausfielen, und stoben in alle Richtungen davon. Die Spitze des Zauberstabs berührte Remus‘ gesunde Schulter und zitterte wieder höher. Remus spürte förmlich, wie Malfoy begriff, welcher Fluch ihn getroffen hatte. Genauso spürte Remus Malfoys aufsteigenden Zorn. Ohne Nachzudenken warf er sich zur Seite.

Avada Kedavra!

Der grüne Lichtstrahl explodierte im Schnee neben ihm. Malfoy wartete nicht darauf zu sehen, ob er getroffen hatte. Er wirbelte herum. Sein Stiefel traf Remus in der Seite, rutschte am Umhang ab und fand erst im Schnee neben ihm Halt. Schmerz pulsierte durch seinen Oberkörper, doch Remus war noch nie so froh gewesen, überhaupt noch etwas zu spüren.

Avada Kedavra! Avada Kedavra! Stupor!

Grüne und rote Flüche erhellten das Schneetreiben um sie her, doch Malfoy feuerte weiter. Ein gelber Blitz explodierte nicht weit von ihnen entfernt im Schnee, ein roter folgte ihm keinen Wimpernschlag später. Remus wusste, wer die Zauber sprach. Irgendwie hatten Fenwick und Sirius es geschafft, sich zusammenzureißen. Sie würden Malfoy zu Fall bringen, da war Remus sich sicher. Und vermutlich würden sie ihn dabei gleich mit erledigen. Seine Alternativen waren begrenzt. Sein Zauberstab lag außer Reichweite. Seine Schulter protestierte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Die Zähne zusammenbeißend stützte er sich dennoch hoch, streckte den gesunden Arm aus und griff nach oben. Er bekam nur den Umhang zu fassen, aber der genügte. Malfoy bemerkte ihn, hob den Zauberstab, doch es interessierte Remus nicht. Er hatte nicht vor, Malfoy zum Zug kommen zu lassen. Bevor der Todesser ihn verfluchen konnte, ließ er sich wieder fallen und riss Malfoy mit all der Kraft, die ihm blieb, mit sich. Es reichte nicht, um ihn zu Fall zu bringen, aber er lenkte Malfoy ab. Ziel erreicht.

Der Zauber, den Malfoy sprach, raste nicht wie geplant in einen der beiden Angreifer. Der rote Lichtstrahl traf stattdessen Remus ins Gesicht.
 

Das nächste, was Remus wahrnahm, war Wärme auf seiner Stirn. Um ihn herum waberten Stimmen, Worte, doch sie hatten keine Bedeutung für ihn. Er wusste nicht, was geschehen war, nur, dass er noch atmete. Ihm war vage bewusst, dass er erst vor Kurzem gedacht haben musste, dass ihm alles weh tat, doch er musste diesen Gedanken korrigieren. Ihm tat jetzt alles weh und jetzt war definitiv schlimmer als beim letzten Mal. Seine linke Schulter war ein einziger, heißer Schmerz. Sein Brustkorb pulsierte drohend. Kälte stach in seinen Rachen und hinunter bis in seine Lungen. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Das, was nicht schmerzte, war möglicherweise einfach so taub vor Kälte, dass er es nicht mehr spürte.

„Verschwunden?“, sagte eine Stimme am Rande seiner Wahrnehmung, doch er hatte keine Idee, wer oder was verschwunden sein mochte. Jemand antwortete, doch die Stimme war zu weit entfernt, um ihn zu verstehen. Die Wärme verschwand von seiner Stirn und mit ihr ein leichter Druck, den er erst jetzt wahrnahm, wo er ihn nicht mehr spürte. Erneut erklang die Stimme, doch er verstand nicht, was sie sagte. Hitze kribbelte seine Wange hinauf zur Nase und weiter bis zur Stirn. Er zuckte zusammen, bevor er realisierte, dass die Wärme angenehm war.

„–wacht auf“, verkündete die Stimme über ihm. Sie musste über ihm sein. Die andere antwortete ihm undeutlich. Etwas drückte sich warm und weich gegen seine Wange.

„Hör auf, ihm deine Nase ins Gesicht zu pressen. Am Ende kriegt er noch ‘nen Schock“, verkündete die erste Stimme, die, die über ihm waberte.

„Quatsch“, erwiderte die andere, nah an seinem Ohr. Dieses Mal verstand er sie deutlich. „Die Prinzessin muss wach geküsst werden. Richtig, Remus?“

Er hörte sich selbst stöhnen und sogar das hörte sich dumpf an. Diese Stimme kannte er. Da war er sich sicher. Nur wer-

Die Prinzessin wach küssen …

Sirius. Solche dummen Sprüche kamen nur von Sirius. Und er wollte … Oh nein. Das würde er nicht tun. Das würde er definitiv nicht tun. Was auch immer geschehen war, das würde er nicht tun.

Remus zwang sich dazu, die Augen zu öffnen. Es kostete mehr Kraft, sich daran zu erinnern, wo seine Augen waren und wie man sie öffnete, als er sich hätte vorstellen können, und noch mehr Kraft, die Lider so weit zu heben, dass er etwas sah, aber er zwang sich dazu und stöhnte dabei. Zwischen seinen Lidern hindurch sah er nicht viel. Über ihm tobte eine verschwommene, weiße, graue, schwarze Masse, in der er keine Formen erkennen konnte. Dunkelheit schob sich in sein Blickfeld, dann sah Remus Haut. Es musste Haut sein. Er blinzelte angestrengt. Er erkannte ein Auge, eine Nase, Sirius. Richtig, er wollte die Prinzessin wachküssen.

„Nicht“, knurrte er, hörte seine Stimme aber selbst kaum. Sirius blickte zu ihm.

„Bist du dir sicher?“

„Ja“, gab Remus zurück. Der Versuch, sich aufzusetzen, scheiterte kläglich und endete in einem Ächzen.

Sirius‘ Gesicht entfernte sich zumindest ein wenig, sodass er ihn besser erkennen konnte. Sein Freund blutete über der Stirn und jetzt, wo Remus es sah, roch er es auch. Genauso wie sein eigenes Blut und das weiterer Personen. Was bei Merlins Bart war nur -

Wilkes. Er erinnerte sich an Wilkes‘ Blut. Und mit Wilkes erinnerte sich auch an den Geist – Anemoi – und an Malfoy. Die Sache hatte irgendetwas mit Malfoy zu tun.

„Wach genug, dir selbst einen Gefallen zu tun, Lupin?“, ertönte eine andere Stimme. Er drehte den Kopf schwach zur Seite und Fenwicks Gestalt tauchte in seinem Augenwinkel auf. Der blutete auch, da war er sich sicher, auch wenn Remus es nicht sah. Er roch es und das genügte völlig. Bevor Remus sich weiter in den Gerüchen verlieren konnte, hielt der Auror ihm ein Fläschchen vor die Nase. „Schlucken, nicht spucken.“
 

Der Trank hielt, was Fenwicks dämlicher Spruch versprach – er schmeckte widerlich. Das Fenwick ihn zum Trinken in eine aufrechtere Position hievte, während Sirius sie skeptisch und vielleicht ein wenig beleidigt beobachtete, machte die Situation nicht besser. Immerhin – der Trank half. Es war zwar vermutlich ein Aurorentrank, der nur bedeutete, dass er jetzt einen Energie- und Heilungsschub bekam und dafür später bezahlen würde, doch seinem Körper war das egal. Der Schmerz in seiner Schulter ließ nach, genauso wie der Schmerz in seinem Kopf. Das Gefühl kehrte in seine Gliedmaßen zurück und er hatte tatsächlich den Eindruck, wieder geradeaus sehen zu können. Remus blinzelte und verzog das Gesicht noch ein wenig mehr.

„Was war das?“

„Drachenpisse.“

Der Blick, den er Fenwick zuwarf, war kein freundlicher. Ächzend stemmte Remus sich in eine sitzende Position, in der er auf etwaige Hilfestellungen seiner Begleiter verzichten konnte.

„Glaub mir, du willst es nicht genauer wissen. Cocktail made by Moody. Hilft immer. Aber wissen, was drin ist, willst du besser nicht. Das wollte ja nicht mal ich, nicht. Dass ich mir das hätte aussuchen können, als Moody mit den Dingern anfing.“

Wenn es möglich war, wurde Remus noch ein wenig schlechter. Er vergrub den Kopf in der freien Hand. Die andere folgte seinem Befehl nicht, was vielleicht an dem frischen Verband lag, den er erst jetzt bemerkte. Irgendwer musste ihn verarztet haben, während er bewusstlos gewesen war. Warum auch immer er bewusstlos gewesen war. Er hatte den dummen Verdacht, dass er es so genau nicht wissen wollte. Nur die Erinnerung an lose blonde Haare, die wie Schnee im Wind wehten, kam zurück, die an Wilkes, an den Anemoi. Irgendetwas musste noch geschehen sein. Er fiel nicht einfach so in Ohnmacht. Und seine Begleiter fingen nicht einfach an zu bluten.

„Was ist passiert?“, fragte er schließlich, ohne auf Fenwicks Ausführungen zu bestimmten Heiltränken weiter einzugehen. Schlagartig spürte er die Blicke der anderen auf sich, wie sie von ein wenig besorgt zu deutlich besorgt wechselten.

„Du erinnerst dich schon noch an den Angriff, oder?“, fragte Sirius, so vorsichtig, als fürchte er, dass mit Remus‘ Kopf etwas ganz gewaltig nicht in Ordnung war. Der schnaubte ob des Tonfalls.

„Ich hätte Wilkes beinahe gebissen, hätte er nicht versucht, mich zu erwürgen“, gab er zurück. Dessen war er sich zwar nicht komplett sicher, aber er vertraute seinem Gefühl. Sirius neben ihm atmete auf und hoffte scheinbar darauf, dass Remus es nicht bemerkte. Den Gefallen tat er ihm allerdings nicht.

„Ich glaube, ich habe Malfoy die Nase gebrochen“, warf Fenwick ein. „Nachdem dich dieser Wind erwischt hat, hat er uns mit Zaubern belegt. Wir wollten dir helfen, aber wir kamen aus dieser Scheiß Kuhle nicht raus, bis Malfoys kleiner, dreckiger Handlanger das Feuer eingestellt hat.“

„Das muss ich gewesen sein“, stimmte Remus zu und nickte. Ja, so fügte sich das Bild zusammen.

„Dann sah es schlecht für Malfoy aus. Bis Rosier uns in den Rücken gefallen ist. Ich glaube, einer von unseren Flüchen hat ihn erwischt, aber da war Malfoy längst weg. Hat gedauert, bis wir ihn wiedergefunden haben.“

„Da wollte er dich übrigens gerade kalt machen“, warf Sirius ein. Remus konnte förmlich sehen, wie seine Brust bei den nächsten Worten vor Stolz schwoll. „Nicht, dass ich das zugelassen hätte.“

„Nein“, schnaubte Fenwick trocken, „du verhext Malfoy mit einem Haarausfallzauber. Ehrlich – die Nummer war ja cool, aber ein anderer Zauber hätte es mehr gebracht.“

Irgendetwas stimmte mit Fenwicks Tonfall nicht. Er war nicht so beleidigend, wie Remus erwartet hätte und klang fast so – er klang fast so, als sei Fenwick zufrieden mit dem, was Sirius getan hatte. Der wiederum hob abwehrend die Hände.

„Hey, lass mich. Ich wollte das immer schon mal tun!“

Während Sirius zu lachen begann, versuchte Remus erneut, sich zu erinnern. Der Haarausfallzauber ließ tatsächlich Saiten seiner Erinnerung klingen. Der Rest … nicht. Der Bericht seiner Begleiter fügte sich ins Bild, ja, aber … sein Kopf begann erneut zu pochen. Remus beschloss, das Thema vorerst ruhen zu lassen. Er lebte noch. Sirius lebte noch. Und Fenwick tat es auch. Außerdem spürte er seine Finger wieder, genauso wie seine Beine. Zwar konnte er nicht behaupten, dass er keine Schmerzen mehr hatte, aber der Zaubertrank wirkte. Er war bereit, aufzustehen.
 

Während er noch abwog, ob das wirklich eine gute Idee war, gerade wo Fenwick so aussah, als hätte er seine Lust zum Streiten wiedergefunden, nahm ihm ein Schrei die Entscheidung ab.

Fenwick war aufgesprungen und hatte den Zauberstab gezogen, während Remus sich ebenfalls hochwuchtete und noch ein wenig mit seiner Balance kämpfte. Dass Sirius sich erhob, sah er nicht, aber er spürte einen Moment später Sirius‘ Hand, die seinen Oberarm umfasste und ihn stützte.

„‘ne Viertelstunde Pause ist wohl zu viel verlangt, huh?“, hörte er Fenwick neben sich maulen, bevor dieser anfing, Zauber zu murmeln.

Remus‘ Gleichgewichtssinn beruhigte sich indes. Erst jetzt registrierte er den Schnee, der immer noch fiel. Es wehte kaum ein Wind, aber dennoch konnte er nicht weit sehen. Ein weiterer Schrei gellte durch die weißen Flocken. Seine Ohren waren hier nützlicher, als seine Augen – oder Fenwicks Zauber. Er drehte sich in die Richtung, in der er die Quelle der Schreie vermutete, noch bevor der Auror seine Rezitationen beendet hatte und ebenfalls in diese Richtung zeigte.

„Dort lang?“, fragte Remus dennoch.

Fenwick nickte.
 

Sie kamen nicht schnell voran und stolperten mehr, als dass sie gingen. Der Wind frischte auf, blies ihnen kalten Schnee in die ohnehin schon kalten Gesichter und ließ sie ahnen, was sie erwartete. Seinen Zauberstab fand er in Sirius Umhangtasche, als dieser endlich verstand, dass er nicht gestützt werden wollte.

Licht flammte vor ihnen auf, grell und silbern. Ein Fuchs. Das Wesen rannte einen Bogen, ohne den Boden zu berühren und sprang-

Dann stand der Wind still. Ein weiterer Schrei gellte durch die Luft und schlagartig wusste Remus, wer dort schrie. Er sah sie. Schlank, mit einem wehenden Kleid und lodernden Haaren. Um ihren Hals spannte sich eine Hand, die Remus kannte. Unwillkürlich griff er schon nach seinem eigenen Hals, als er realisierte, was er tat und seine Hand wieder sinken ließ.

Das Mädchen wirkte so real, so greifbar, so menschlich, ihr Schmerz, als der Patronus sie traf, war förmlich greifbar. Einen Augenblick später frischte der Wind wieder auf.

„Das ist sie?“, fragte Sirius neben ihm.

„Das ist sie“, bestätigte Remus nickend.

„Protego!“, fauchte Fenwick.

Ein blauer Lichtstrahl krachte gegen den Schutzzauber und wurde reflektiert. In der nächsten Sekunde hatte Sirius seinen Zauberstab ebenfalls gezogen.

„Fenwick, hast du nicht gesagt, du hättest Rosier erledigt?“

„Ich hab dir gesagt, wir haben keine Zeit, um seine Überreste zu verbrennen. Ich habe nicht gesagt, dass sie nicht möglicherweise noch leben.“

Den nächsten Fluch blockte Remus. Die Kuppel seines Zaubers leuchtete über ihnen, als er den Stupor absorbierte. Das war das Zeichen für Sirius und Fenwick. Während der Auror ihn in Richtung Boden schob, feuerte Sirius den ersten Fluch. Er glitt durch Remus‘ Schild wie ein Messer durch Flubberwurmschleim und verschwand in der Polarnacht. Ein weiterer Zauber kündete davon, dass er nicht getroffen hatte.

Dann zischten mehr Flüche durch die Luft, als Remus zählen wollte.

Rosier – wenn er es tatsächlich war – musste sich die Seele aus dem Leib hexen und Sirius tat das gleiche, während Remus vollauf damit beschäftigt war, den Schild zu halten. Fenwick indes tat nichts, kauerte nur neben ihm im Schnee und starrte in die Nacht.

Das musste Sirius stören, Remus war sich da beinahe sicher. Das Remus ihn nicht unterstützen konnte, war seinem Freund mit Sicherheit klar, aber gerade der Auror sollte doch in der Lage sein ihm Feuerkraft zu geben. Noch dazu, da es nicht so aussah, als würde Sirius treffen.

Ein grüner Fluch riss ein Loch in Remus Schild und ließ die Kuppel bersten. Gerade noch rechtzeitig konnte er den Schutz erneuern. Nochmal würde er das nicht schaffen, da war er sich sicher.

Beinahe flehend schaute er zu Fenwick, doch der starrte in die Nacht. Unter den roten Funken eines abprallenden Stupors wanderte sein Blick weiter zu Sirius. Der hexte so unbarmherzig, wie konzentriert – Stupor, Reducto, Stupor, Confringo, Stupor, Stupor, etwas, von dem Remus nicht wissen wollte, was es war, Reducto...

Dann blickte Sirius kurz, nur für den Bruchteil einer Sekunde, an ihm vorbei zu Fenwick und Remus wurde klar, dass er etwas verpasst hatte. Fenwick schnellte hoch und riss den Zauberstab durch die Luft. Eine dunkle Gestalt, die Remus zuvor nicht hatte sehen können, bewegte sich im Schnee, wurde fortgerissen und flog außer Sicht.

Der Wind erstarb keinen Augenblick später und Fenwick hob den Zauberstab erneut. Aus der Dunkelheit schoss etwas auf sie zu, doch Sirius fing es mühelos, so als wäre er tatsächlich der Jäger, der er in seiner Schulzeit hatte sein wollen, wäre da nicht die Angst vor dem Fliegen gewesen. Mit einer lässigen Bewegung warf er den Gegenstand weiter, den Fenwick genauso geschickt fing. Bei näherem Hinsehen erkannte Remus einen Stab.

„Jep, Rosiers“, sagte Fenwick und ließ den Zauberstab in seinem Umhang verschwinden.

Sirius verzog das Gesicht. „Den Trottel erledigt, bleibt noch ein Problem.“

Er hatte recht. Fenwicks Manöver hatte nicht einfach nur Evan Rosier außer Gefecht gesetzt, sondern auch das Mädchen befreit. Oder es zumindest versucht. Remus konnte sie sehen. Sie schwebte in der Luft, was ihn nicht einmal mehr irritierte, doch die Hand des Anemoi schloss sich um ihren Knöchel. Sie strampelte wie wild, doch gegen den anderen Geist hatte sie keine Chance.

Dann bemerkte er das silberne Licht, den silbernen Fuchs, der sich materialisierte. Søren. Der Zauber raste auf den Anemoi zu, doch der bemerkte den Angriff. Er wirbelte herum und schleuderte von sich, was er in den Händen hatte. Das Mädchen verfehlte den Patronus um Haaresbreite. Remus wartete nicht darauf, ihr beim Aufschlagen zuzusehen.

Expecto Patronum!“, donnerte er und jagte einen zweiten Patronus, der halb Gestalt und halb silbriger Nebel war, gegen den Feind. Dem Fuchs wich der Anemoi aus – dem Wolf nicht. Er hörte Søren schreien, noch während die Gestalt des Geistes mit einem Heulen verschwand.

Für einen Moment konnte er weder Søren noch das Mädchen sehen, dann nahm er eine Bewegung war, dicht bei einem Felsen, der aus dem Schnee ragte wie ein dunkler Schatten. Er wusste – er musste helfen. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorn. Der Anemoi blieb verschwunden, der Wind blieb still. Er ahnte, dass es möglicherweise noch nicht vorbei war, aber er würde Søren dort nicht liegen lassen. Entschieden schritt er weiter voran.

Luftbewegungen schimmerten vor ihm. Bevor er sie sehen konnte, warf sie sich auf ihn. Dafür, dass er sie für einen Geist hielt, war sie erschreckend schwer. Ihr Gewicht riss ihn wie von selbst zu Boden. Er hob den Zauberstab – dann brach die Hölle los. Böen fegten über sie hinweg. Hinter sich erstickte der Wind Fenwicks Schrei. Schnee schlug ihm ins Gesicht. Und obwohl ihr Körper ihn schützte, konnte er nicht mehr tun, als seinen Zauberstab zu umklammern. Er kniff die Augen zu um wenigstens diese zu schützen, während ihre Haare in sein Gesicht peitschten. Das Atmen fiel ihm schwer. Er erinnerte sich an eine Hand auf seinem Hals. Panik stieg in ihm hoch, doch er konnte sich nicht bewegen. Keinen Zoll weit. Eine weitere Böe presste ihn in den Schnee und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er wollte schreien und konnte nicht-

Dann war alles still.
 

Verunsichert nahm er einen tiefen Atemzug. Und dann noch einen. Als er die Augen öffnete, blinzelte er in einen wolkenverhangenen Himmel. Überall war Schnee. Um ihn herum, auf ihm, in seinem Mund. Hustend richtete er sich auf und bemerkte erst dann, dass das Mädchen nicht mehr auf ihm lag. Die Faust gegen die Brust schlagend, hustete er noch einmal und schaute sich danach um. Hinter sich sah er Sirius, den er nur an den Stickereien auf seinem Umhang erkannte, der aus dem Schneeberg ragte, der sein Freund in diesem Moment war. Schnee rieselte von Sirius‘ Schultern, als dieser sich aufrichtete. Auf der anderen Seite hörte er Fenwick husten.

Den beiden ging es gut. Er musste darauf vertrauen, dass es ihnen gut ging. Wenn Remus darauf vertraute, dass es ihnen gut ging, konnte er nach Søren schauen, musste er nach Søren schauen. Schnee rieselte von ihm, als sei er selbst eine Wolke, während er sich mühsam in eine stehende Position hievte. Taumelnd blinzelte er die Sterne fort, die vor Anstrengung vor seinen Augen zu tanzen begannen. Vorsichtig, den Zauberstab noch immer in der Faust, blickte er sich um. Søren konnte er nicht entdecken. Wenn er sich umdrehte, sah er Sirius, der benommen im Schnee saß, und Fenwick, der immer noch hustete, doch Søren blieb außer Sicht, genauso wie Evan Rosier – obwohl er zumindest den ersten hätte sehen müssen, jetzt, wo es nicht mehr schneite. Er sprach einen Lumos und das Licht strahlte weit, doch die beiden Männer blieben verschwunden. Vorsichtig ging er in die Richtung, in der er Søren das letzte Mal gesehen hatte. Unter seinem Zauber glänzte der Felsen, auf den er zuschritt. Dann erkannte er, dass es kein Felsen war, sondern Sørens Golf. Er war nicht mehr, als ein Wrack. Das Dach war eingedellt, die Motorhaube eingedrückt und die Frontscheibe existierte einfach nicht mehr.

Remus trat näher, bis selbst der Schnee im Innern des Wagens sein Zauberlicht reflektierte. Søren sah er nicht und langsam realisierte er, dass er ihn nicht finden würde. Genauso wenig wie Evan Rosier. Er schluckte und blickte zurück zu Sirius. Der hatte sich aufgerappelt. Statt mit Fenwick zu streiten, half er ihm hoch. Remus war klar, dass sie es noch nicht wussten – und dass er es ihnen sagen musste.

Eine Bewegung ließ ihn herum schnellen, doch wieder sah er niemanden. In der Hoffnung, er habe sich geirrt, schritt er trotzdem weiter, vom Wagen weg. Doch Søren war nirgends zu sehen. Die Luft bewegte sich, formte ein Gesicht – ihr Gesicht – und dann ihren Körper, ihr wehendes Haar, ihren schmalen Körper in ihrem flatternden Kleid. Sie lächelte nicht, schüttelte stattdessen nur den Kopf. Ihre Beine verblassten erneut, wehten fort und ihr Körper folgte.

„Warte“, krächzte er und erschrak über seine eigene Stimme. „Warte. Bitte.“

Sie wartete tatsächlich. Ohne, dass ihr Körper dabei wieder sichtbar wurde.

„Du weißt, was das für Wesen sind, richtig?“, fragte er langsam. Die Worte kratzten in seinem Hals. Während er sprach hatte er keinen Zweifel daran, dass sie ihn verstand. „Du hast mich gerettet. Mehrfach. Und ich bin dir wirklich dankbar. Aber – ich brauche deine Hilfe noch einmal.“

Für einen Moment zögerte sie, dann verschwand auch ihr Gesicht. Enttäuscht biss er die Zähne aufeinander, während Hoffnungslosigkeit in ihm hoch kroch. Er kniff die Augen zusammen und schluckte hart.

„Mein Name ist Lohe“, verkündete eine Stimme, so leicht, wie eine Brise im Sommer. Als er die Augen öffnete, war ihr Gesicht nur einen Zoll weit von seinem eigenen entfernt. Sie wirkte beinahe so fest und real, wie in seinem Traum. „Und es bist nicht du, der hier der Bittsteller sein sollte, sondern ich.“

23. Dezember 1978, 12 Uhr, Regierungsbezirk Finnmark

„Remus, was ist das und warum schwebt es in dir?“, hörte Remus Sirius schon von Weitem, als er mit Lohe zu seinen Begleitern zurückkehrte. Sein Tonfall sprühte vor Eifersucht – und das war kein gutes Zeichen. Sirius konnte nervtötend sein, wenn er wollte, aber wenn er eifersüchtig war, dann wurde aus nervtötend unerträglich.

Lohe konnte das natürlich nicht wissen. Mit der Anmut eines magischen Wesens, das tatsächlich nicht einfach nur schwebte, sondern das auch immer wieder um ihn herum wehte, warf sie die Haare zurück. Dabei verzichtete sie darauf auf Abstand zu gehen und das ausgesprochen selbstbewusst, während ihr Kleid sich im Wind aufblähte und um seinen Umhang strich.

„Mein Name ist Lohe“, verkündete sie mit ihrer klaren Stimme und machte sich Sirius damit ganz sicher nicht zum Freund. In der Tat verzog Sirius sein Gesicht zu einer besonders finsteren Miene.

„Lohe, huh? Herzlichen Glückwunsch, Remus, dein Geist hat den dümmsten Namen, den ich je gehört habe.“

„Ist er immer so unhöflich?“, fragte Lohe, deren Tonfall keinen Deut freundlicher als der von Sirius war. Spätestens nach dieser Antwort war Remus klar, dass die beiden keine Freunde werden würden. Ergeben zuckte er mit den Achseln.

„Meistens.“

„Moony!“

„Klappe, Black!“, knurrte eine weitere Stimme. Metall schepperte. Unwillkürlich ließ Remus den Blick schweifen, bis er den Sprecher fand. Der war, selbstredend, der Auror ihrer Truppe. Und in diesem Fall der sehr mies gelaunte Auror ihrer Truppe obendrein.
 

Fenwick – er schien bis dato in Sørens Wagen gewühlt zu haben – trat noch einmal frustriert gegen die eingedellte Tür.

„Wir haben andere Probleme als euer Sexualleben, Black“, fuhr er fort und verfiel in einen Tonfall, der implizierte, dass der ramponierte Golf hätte ihm persönlich etwas getan hätte. Als Sirius zu einer giftigen Antwort ansetzen wollte, hob Fenwick die Stimme und sprach unbeirrt weiter. „Oder kannst du Søren hier irgendwo sehen?“

Diese Frage brachte Sirius effektiv zum Schweigen, wenn auch nicht für lange. Statt aber ihren Streit zu vertiefen, begann er beinahe zu stottern.

„Er sollte hier sein. Wir haben ihn hier gesehen – wo sollte er sonst sein?“

„Die Anemoi Thuellai haben ihn mit sich fort gerissen“, warf Lohe ein. Sie zeigte dabei nicht so viele Gefühle, wie Remus sich erhofft hatte. Dennoch kam er zu dem Schluss, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als er sie um ihre Hilfe gebeten hatte. Sie schien zu wissen, wovon sie redete. „Genauso wie ihre Gefährten und dein Artefakt, Benjy Fenwick.“

„Mein Artef-uck.“

Ausnahmsweise waren Remus Gedanken denen seines Begleiters erschreckend ähnlich. „Solltest du es nicht bei dir haben?“

„Ich habe es in meinen Rucksack–“

Fenwick brach ab und stürzte zu ihren Habseligkeiten, die zweifelsohne von Sirius zusammengesucht worden waren. Ein Zelt flog durch die Luft und entfaltete sich im Flug selbst. Vorräte, ein Schlafsack und Unterhosen, die Remus nicht näher klassifizieren wollte, flogen hinterher. Keinen Augenblick später griff Fenwick nach dem nächsten Rucksack.

„Der gehört mir“, konnte Remus gerade noch einwerfen, bevor auch sein Hab und Gut sich über den norwegischen Boden verteilte. Seinen Ranzen wieder loslassend, langte Fenwick nach dem letzten, ließ ihn aber gleich darauf ebenfalls wieder fallen.

„Sørens“, kommentierte er die Geste knapp. „Diese Schweine haben mein Zeug.“

„Dein Zeug?“, entfuhr es Sirius. Remus schluckte. Beide blickten zu verstreuten Gegenständen im Schnee. „Fenwick, ich bring dich–“

„Versuchs doch.“

„Sirius!“

Lohes Stimme übertönte sie alle drei. „Ihr habt keine Zeit für Streit“, sagte sie und schwebte zu den Rucksäcken. „Euer Freund hat das Artefakt an sich genommen, als die Anemoi Thuellai angriffen. Das verschafft euch Zeit, insofern sein Wille stark ist. Aber sie werden zurückkommen.“

„Für das zweite Amulett“, schlussfolgerte Remus. Unwillkürlich griff er nach der Kette um seinen Hals. Unter seinen Fingerspitzen glühte sie förmlich, doch sie verbrannte ihn nicht. Nach all der Kälte war die Hitze angenehm, genauso wie die warmen Brisen, die stetig von Lohe zu ihm herüber wehten.

Sie nickte. „Dein Artefakt, Benjy Fenwick, verstärkt ihre Kraft. Doch das andere verstärkt die Macht ihrer Feinde.“

„Uns.“

Zur Antwort nickte Lohe erneut. „Euch, solang ihr es bei euch tragt.“

Mit einem pulvrigen Knirschen ließ Fenwick sich in den frischen Schnee fallen, die Rucksäcke nun vollkommen ignorierend. Stattdessen starrte er auf seinen Ärmel und zupfte an einem losen Faden, den er entdeckt haben musste. Unter anderen Umständen hätte diese Geste möglicherweise verspielt gewirkt, so wie es viel mehr zu dem aufgedrehten Quidditchfan passte, aber seine grimmige Miene verzerrte das Bild. So wirkte er viel mehr, als habe ihm der Faden ein Leid angetan. Plötzlich sah Fenwick auf.
 

„Du hast gesagt, er würde uns schützen, weil er das Artefakt an sich genommen hat.“

„Niemand kann die Artefakte an sich nehmen, solange ein anderer sie trägt. Er muss sie ihnen überreichen.“

Fenwick ließ den Faden los. Remus konnte sehen, wie sein Blick in die Ferne wanderte, während er in den Schnee starrte. Er konnte nur vermuten, woran der junge Auror dachte – und wollte die Details so genau gar nicht kennen. Die Details, die seine eigene Phantasie dank Lohes emotionslosem Tonfall malte, reichten vollkommen. Es war nicht schwer sich vorzustellen, auf welche Art und Weise Lucius Malfoy und seine Todesser jemanden dazu überredeten, ihnen etwas auszuhändigen. Und womit auch immer diese jetzt zusammenarbeiteten, es setzte die Hemmschwellen vermutlich nicht höher. Flüche zuckten vor seinem inneren Auge, Schnee peitschte in alle Richtungen und die Schreie konnte Remus beinahe greifen.

Nein, er wollte ganz sicher nicht wissen, was Fenwick sich vorstellte – oder Sirius.

Dafür standen andere Fragen deutlich höher auf seiner Liste der zu erfahrenden Dinge. Er blickte zu Lohe.

„Wer sind sie?“, fragte er schließlich. „Wir wissen, dass vermutlich vier Todesser dazugehören. Aber wer, oder was, sind diese Anemoi?“

Zugegeben – Remus hatte eine Idee, die seine Frage möglicherweise beantworten konnte. Doch das bedeutete, die Mythologie-Arbeitsgemeinschaft, die Professor Plank seinerzeit geleitet hatte, nicht nur als Fach wahrzunehmen, das ihm durchaus Spaß gemacht hatte, sondern auch als Realität. Zumindest einen Teil davon. Remus mochte diesen Teil nicht sonderlich. Zwar sog er bereitwillig alles auf, mit dem er sein Wissen über die Welt, in der er lebte, erweitern konnte, aber sein gefasstes Weltbild zu verändern, ihm eine neue Richtung zu geben – das hatte er schon gehasst, als er noch ein kleiner Junge in einem Krankenhausbett gewesen war. Professor Planks Unterrichtsinhalte als etwas wahr zu nehmen, das mehr als nur Geschichten waren, mehr als nur Kulte, an die die Menschen früher geglaubt hatten, so wie sie heute an Christus glaubten, schlug ihm viel zu sehr in die Weltbild-Problematik.

Nur kam er vermutlich nicht drum herum, dass Lohe an seinem Weltbild rüttelte, wenn er diese Expedition überleben wollte.

Lohe indes warf ihm einen Blick zu, so als hätte sie seine Gedanken bemerkt. Sie lächelte und vielleicht war es sogar aufrichtig, doch die positiven Gefühle erreichten ihn nicht.

„Anemoi Thuellai, die Wesen, die ihr bereits kennengelernt habt, sind Sturmgeister. Schwer zu beherrschende Wesen, die dafür existieren, Chaos zu hinterlassen.“

„Und du gehörst dazu, nehme ich an“, murrte Sirius finster. Grollend stapfte er mittlerweile durch den Schnee und sammelte sein Hab und Gut wieder ein. Nur das Zelt, das ignorierte er standhaft, so als wolle er sich nicht damit auseinander setzen, mit welchem Zauber man es dazu brachte, wieder zu einer Rolle zu werden, die in seinen Rucksack passte.
 

Lohe war nicht erfreut. Sie reckte das Kinn und funkelte ihn an – nein, die beiden würden keine Freunde mehr werden. „Ich bin eine Aurae, du Tölpel!“

Eine seiner Unterhosen in den Rucksack stopfend blickte Sirius auf. „Wie eine Ausstrahlung siehst du mir nicht aus.“

„Sie meint auch nicht die Ausstrahlung, Sirius“, warf Remus ein. Ihm gefiel der Gedanke gar nicht, sich mit der Idee anzufreunden, die sich ihm mittlerweile aufdrängte, doch er würde ohnehin nicht darum herum kommen. „Sondern die Nymphe. Wenn ich richtig liege, die aus der griechischen Mythologie.“

„Nymphen? Oh bitte. Dieses Flittchen ist dir durchs Gehirn gespukt!“ Sirius spuckte die Worte förmlich aus. „Du weißt, dass das nur Märchen sind.“

„Warum sollten wir Märchen sein, Sirius Black? Nur, weil ihr Menschen nicht mehr an uns glaubt, heißt das nicht, dass wir nicht mehr existieren. Götter und ihre Diener können nicht sterben, Mensch. Sie schwinden lediglich. Einige hören möglicherweise in der Tat auf, zu existieren. Andere agieren ungesehen oder verändern ihre Form, erscheinen euch in neuer Gestalt. Und wieder andere warten, schlafen, aber das heißt nicht, dass sie sich nicht von Zeit zu Zeit regen. Khione regt sich nicht nur. Sie wurde geweckt.“

„Wer ist Khione?“

Remus schluckte. „Entweder eine Dame, die mit Hermes und Apollo die selbe Nacht verbracht hat, oder die Tochter des Boreas, dem Gott des Nordwind und des Winters.“

„Sie ist euer wahrer Feind und sie ist es auch, die schon bald den Schnee schicken wird. Wenn ihr sie besiegen wollt, dann solltet ihr ihre Feste erreichen, bevor sie euch unter Schnee begräbt.“

Sirius schob das Kinn vor, während sich seine Stirn in tiefe Falten legte.

„Die Geschichte mit Hermes und Apollo gefiel mir besser.“

23. Dezember 1978, 21 Uhr, Regierungsbezirk Finnmark

Remus beklagte sich nicht über Lohes Nähe. Die Aurae, die nun neben ihm ging – allerdings nach wie vor ohne den Boden zu berühren – und aufgehört hatte, in ihn hinein zu wehen – weil Sirius ihr versprochen hatte, dass er seinen Patronus an ihr üben würde, wenn sie sich nicht selbst aus seinem Freund nahm – strahlte nach wie vor eine Wärme ab, die die Kälte zumindest ein wenig aus seinen Gliedern vertrieb. Außerdem hatte er das Gefühl, dass ein paar Brisen ihm unauffällig dabei halfen, seinen Rucksack durch den Schnee zu schleppen.

Natürlich sah Sirius das anders. Sein lauter Zorn war einem tiefen, grollenden Schmollen gewichen, dass ihn verfolgte, seit sie aufgebrochen waren. Natürlich wusste Remus, warum er schmollte. Und es hatte nicht das Geringste damit zu tun, dass Lohe diejenige war, die sie führte. Das wiederum war allerdings der Grund für Fenwicks finstere Laune, da war sich Remus sicher.

Vermutlich mochte der Auror den Gedanken nicht, einem mythologischen Phantasiewesen zu folgen, das es eigentlich gar nicht geben sollte. Vermutlich mochte er es noch viel weniger, dass er auf ein mythologisches Phantasiewesen angewiesen war, dass den anderen mythologischen Phantasiewesen, die versucht hatten sie alle umzubringen, so ähnlich war.

Dummerweise ließen sich ihre übrigen Möglichkeiten auf einen noch unangenehmeren Nenner zusammenaddieren: einfach heillos durch den Schnee zu irren und nie ihr Ziel zu finden. Daran hatte Lohe sie deutlich genug erinnert, als Fenwick sich das erste Mal beschwerte hatte.
 

Über ihnen hatten sich die Schneewolken immer fester zugezogen. Das Dämmerlicht der Polarnacht war einer tiefen Dunkelheit gewichen, sodass sie auf das Licht ihrer Lumoszauber angewiesen waren. Die Straße, der sie zunächst noch hatten folgen können, hatten sie längst aus den Augen verloren. Unter anderen Umständen hätte Remus vorgeschlagen, für die Nacht zu rasten, doch auf helles Tageslicht brauchten sie nicht zu hoffen und die Zeit saß ihnen im Nacken. Jeder Schritt, den sie zurücklegten, ohne angegriffen zu werden, war ein gutes Zeichen – doch Remus wusste nicht, wie lange dieses Zeichen ihnen erhalten bleiben würde.

Dennoch würde er demnächst eine Pause brauchen. Moodys Wunderelexier – von dem er nicht wissen wollte, was darin schwamm – hatte seine Verletzungen so weit geheilt, dass er sich wieder rühren konnte. Das aber bedeutete nicht, dass seine Schulter von dem Rucksack oder von der Wanderung sonderlich begeistert war. Sirius wusste das auch, das ahnte er, aber der sprach nicht mehr mit ihm, seit Remus Lohes Nähe so widerspruchslos duldete.
 

Etwas kaltes traf Remus‘ Wange. Irritiert hob er den Kopf, konnte in der mondlosen Nacht aber nichts erkennen. Ein weiterer kalter Tropfen schlug gegen seine Stirn und dann noch einer.

Jetzt blieb er doch stehen. Sirius und Fenwick mussten es geahnt haben, denn sie stoppten ebenfalls, ohne erst in ihn zu laufen. Es war Fenwick, der seinen Zauberstab mit dem Lumoslicht hob. Ein kleines Flöckchen fiel durch den Lichtkegel des Zaubers und außer Sicht. Es blieb nicht das einzige.

„Es geht los“, murmelte er.

Es wäre Remus lieber gewesen, Lohe hätte es nicht getan, doch sie nickte. „Sie hat das Artefakt.“

An eine Pause war nach diesem Satz nicht mehr zu denken. Die Gedanken an Søren, an das Schicksal, welches ihn möglicherweise gerade ereilte, holten Remus ein, trieben ihn an. Er sah Agnetha vor seinen Augen und er wusste, dass er sich beeilen musste. Der widerwilligen Eile nach zu urteilen, mit denen seine beiden Begleiter ihm und Lohe folgten, waren auch Sirius und Fenwick zu diesem Schluss gekommen. Obwohl Lohe ihnen nicht passte, begannen beide zu hetzen.
 

Aus den ersten wenigen Flocken wurden zu schnell viele Flocken. Erst waren sie dick und schwer und klebten nass auf ihren Umhängen, doch desto näher sie ihrem Ziel kamen, desto trockener wurde der Schnee. Dadurch wurde er leider keineswegs angenehmer. Der Wind frischte auf und trieb ihnen die nunmehr feinen Flocken ins Gesicht. Remus‘ Haut wurde langsam taub und auch Lohes warme Brisen halfen nicht mehr. Mit jedem Schritt musste er sich mehr in den Sturm stemmen.

Dieses Mal waren es keine Anemoi Thuellai. Remus spürte es. Dieser Sturm war größer, mächtiger und nicht nur ein um sich selbst wirbelnder Geist.
 

Als sie die nächste Steigung überwunden hatten, sah Remus selbst im Licht seines Zaubers nicht mehr als Schnee überall. Schnee verklebte seine Haare unter dem Stoff seiner Kapuze und sein Schal war hart gefroren. Im Tal unter ihnen heulte der Sturm mit einer Stimme, die ihn noch mehr zittern ließ.

Der Aufstieg war bereits zu anstrengend gewesen – so anstrengend, dass selbst seine Begleiter Lohes wärmende Nähe für sich entdeckt und gesucht hatten – doch wie sie den Geröllhügel wieder hinunter kommen sollten, noch dazu ohne zwei Yard weit sehen zu können, war Remus schleierhaft. Er stoppte erneut und stütze sich schwer atmend auf seine Knie. Die Anstrengung brannte in seinen Lungen, doch Erholung fand er keine. Auch Lohes warme Hand auf seiner Schulter verschaffte ihm kaum Linderung. Gerade jetzt, wo der Wind so unerbittlich blies, war ihr Körper fester, realer als all die Male zuvor, in denen er zu ihr geblickt hatte, fast so, als fürchte sie, weggeblasen zu werden, wenn sie selbst zum Wind wurde.

Er fühlte Sirius finsteren Blick mehr in seinem Rücken, als dass er ihn sah, ignorierte ihn aber weiter standhaft. Vielleicht konnte er bei der nächsten, längst überfälligen, Pause ein Wort mit ihm reden. Wenn sie eine Pause einlegten.

„Euer Ziel befindet sich dort unten, Remus Lupin.“

Lohes klare Stimme verwehte beinahe im Heulen des Windes. Dennoch weckten ihre Worte seine Aufmerksamkeit. Ruckartig hob er den Kopf und starrte in den Schnee. Fenwick trat vorsichtig neben ihn, um einen besseren Blick zu haben. Nicht, dass Remus glaubte, der Auror könne mehr sehen, als er. Nackter Fels, dort wo der Wind den Schnee fortblies und ansonsten nur weiß und dunkle Nacht.

„Keine Chance, dass wir da heil runter kommen“, rief Fenwick gegen den Wind. „Nicht bei dem Wetter und der Dunkelheit. Vorschläge?“

Remus zuckte mit den Achseln. Sie hatten keine Portschlüssel, nicht einmal Zauber dafür, auf Kamine brauchten sie genauso wenig hoffen und den Punkt mit der Apparation hatten sie längst verworfen. Solang nicht einer von ihnen voran ging und das Areal erkundete, war eine Apparation auf gut Glück undenkbar. Zu groß war die Gefahr, aus Versehen in einem Felsen zu landen oder in luftiger Höhe ohne einen Hauch von Boden unter den Füßen. Doch auch jemanden vorzuschicken stand außer Frage, allein schon, weil niemand sagen konnte, wie derjenige zurückfinden sollte..

„Apparieren wir“, drang Sirius Stimme durch den Schnee hinter ihm.

Remus seufzte. „Sirius, du weißt, dass das nicht geht. Solang wir nicht wissen, was uns da unten erwartet, ist die Gefahr viel zu hoch.“

„Außerdem brichst du dir den Hals, wenn du da jetzt runter kriechst, um dir das Terrain anzuschauen.“

Sirius schnaubte, aber vielleicht war das auch nur der Wind.

„Ich schon. Aber Fünkchen hier nicht.“

Lohe war von den Spitznamen nicht begeistert, man hörte es an ihrer Stimme, die über den Sturm schallte. „Ich dachte, du misstraust mir.“

„Tu ich ja auch“, gab Sirius finster zurück. „Ich vertraue keinen magischen Wesen, die intelligenter sind als ein knallrümpfiger Kröter. Eigentlich misstrau ich sogar denen.“

Remus zog die Augenbrauen zusammen, soweit er dazu noch in der Lage war. Die Muskeln seiner Stirn waren so kalt, sie gehorchten ihm kaum noch. Trotzdem – niemand, der noch alle Zutaten im Kessel hatte, traute knallrümpfigen Krötern, eben weil sie so dumm waren wie eine Fee im Sonnenlicht. Stellte sich nur die Frage, ob Lohe knallrümpfige Kröter kannte. Vermutlich war es besser, sie tat es nicht.

„Und dennoch erwartest du meine Hilfe, Sirius Black. Dein Verhalten ist – wie nennt ihr Menschen das?“

„Dumm?“, warf Fenwick hilfsbereit ein. Remus hätte ihn dafür am liebsten gewürgt. Seine Worte heiterten höchstens Lohes Laune ein wenig auf, aber die von Sirius sackte dementsprechend noch tiefer den Abhang vor ihnen hinab. Immerhin hatte Lohe so viel Respekt vor der Situation, dass sie diese Vorlage nicht weiter nutzte, um Sirius zu triezen, obwohl Remus ihr derlei durchaus zutraute.

„Ich denke, ich bevorzuge das Wort ‚ambivalent‘, aber danke.“

Remus hörte Sirius sogar durch den Sturm murren. Es klang wie „Vielen Dank auch.“

Nur geringfügig lauter und genauso wenig begeistert fügte er hinzu: „Es geht nicht darum, ob ich dir traue oder nicht. Es geht darum diesen Berg hinunter zu kommen, ohne dass Remus oder ich uns den Hals brechen. Fenwick ist auch keine Alternative, der überlebt den Abhang auch nicht. Und hier kommst du ins Spiel, Lüftchen. Du bist hier das Wind-Auren-Wasauchimmer. Wenn jemand von uns lebend dort unten ankommt, dann bist das du.“

Zugegeben – er hatte Recht, das musste Remus ihm lassen. Lohe hatte oft genug bewiesen, dass sie sich wortwörtlich in Luft auflösen konnte. Sie hatte in den letzten Stunden darauf verzichtet und Remus vermutete nach wie vor, dass der gegnerische Sturm ihr Probleme bereitete, aber das schloss nicht grundsätzlich aus, dass sie ihre Fähigkeiten nicht verwenden konnte. Nein, er stimmte Sirius durchaus zu, auch wenn er diese Forderung vermutlich nicht gestellt hätte. Nur mit seiner Formulierung war er nicht einverstanden.

„Wenn du dich dazu entscheidest, zu verschwinden: Bitte. Scheiß drauf, dann finden wir einen anderen Weg“, fuhr Sirius fort und redete sich langsam warm. „Wenn du uns in eine Falle lockst – lass dir gesagt sein: Blacks sind zu Lebzeiten angenehmere Zeitgenossen als nach dem Tod.“

Fenwick gluckste, laut genug für alle, um ihn zu hören. „Du stellst dich freiwillig in eine Reihe mit deiner wundervollen Verwandtschaft? Seit wann das?“

„Ich fürchte, ich wurde nicht adoptiert“, antwortete Sirius trocken. „Und irgendwas muss ich ja geerbt haben. Lieber das, als den restlichen Mist. Also, Flatterfee? Nimm die Finger von Remus und mach dich nützlich.“

Die Temperatur um Remus fiel, sobald Lohe sich vor Zorn schwebend von ihm entfernte. Sirius hingegen kam vermutlich ziemlich ins Schwitzen, als sie über ihm aufragte. Schnee verdampfte in der Luft um sie herum und kondensierte zu bedrohlichen, weißen Wolken. Nicht, dass Sirius sich davon beeindrucken ließ. Hätte Remus ihn darauf angesprochen, er hätte vermutlich nur geantwortet, dass ihm Lucius Malfoys Unterwäsche schließlich auch keine Angst machte. Statt also zurückzuweichen reckte er den Kopf empor, um der Schwebenden in die Augen blicken zu können.

Fenwick stieß gegen Remus‘ rechten Oberarm. Kurz hielt dieser die Berührung für einen Zufall, dann bemerkte er den besorgten Blick des Auroren, den er im Lumoslicht nur erahnen konnte. Er erwiderte den Blick ebenso besorgt. Darauf, die anderen Blicke zu erwidern, verzichtete er, auch wenn Remus das Gefühl hatte, dass die Blicke aller auf ihm ruhten, obwohl weder Lohe noch Sirius sich ihm zugewandt hatten.
 

„Wie du wünschst, Sirius Black.“

Einen Augenblick später wirbelte Lohe durch den Wind, wurde selbst zur Luftströmung und verschwand. Die Temperatur fiel abrupt. Schnee peitschte um sie herum. Fenwick atmete hörbar auf.

„Weißt du, Black, ich glaube, irgendwann bringst du dich mit deinem Dickschädel noch selbst um. Ich dachte, sie pustet dich gleich den nächsten Abhang runter“, verkündete Fenwick, sein Tonfall so theatralisch wie besorgt.

Sirius jedoch schnaubte nur und ließ seinen Rucksack in den Schnee fallen, wo er begann, darin zu kramen. „Soll sie eben“, knurrte er und zog eine gut verschnürte Rolle hervor, „aufhören, in meinem Territorium zu wildern. Fenwick – Hintern beiseite oder ich zelte dich ein.“

Zu Remus‘ Überraschung trat Fenwick tatsächlich aus dem Weg und begann unaufgefordert, Schutzzauber zu sprechen. Einen Augenblick später warf Sirius das Zelt. Es entschnürte sich von selbst. Die Plane entfaltete sich noch im Flug. Heringe bohrten sich wie Harpunen in den Steinboden. Mit einem Plopp richtete sich das Zelt auf. Als die Vibrationen in der Plane nachließen, flackerten im Inneren bereits zwei magischen Kerzen, die ebenfalls zu Sørens Zeltausrüstung gehörten.
 

Remus jedoch achtete nicht darauf. Er war gedanklich selbst dann noch bei Sirius‘ Territorium, als er diesem seinen Rucksack ins Zelt reichte und ihm hinterher kroch.

Natürlich – er wusste, dass Sirius eifersüchtig war. Sirius war immer eifersüchtig, wenn die Gelegenheit gerade besonders ungünstig war. Aber wie oft sollte er ihm noch erklären, dass er es nicht schätzte, wenn er den Platzhirsch markierte? Und das nicht nur, weil James der Hirsch der Runde war. Außerdem war Remus kein Territorium, er war Sirius‘ Mitbewohner und auch nur das. Gut, die Photos, zu denen sein Freund ihn genötigt hatte, sprachen eine andere Sprache, aber selbst das machte ihn nicht zu einem Ort und zu dem von Sirius gleich gar nicht.
 

„Du weißt, dass Lohe ein Geistwesen ist und ich nicht, richtig?“, murrte Remus daher, als sich auch Fenwick zu ihnen ins Zelt quetschte. Angenehm war das nicht, auch weil Fenwick kurz darauf mit seinen Beschwörungen fortfuhr und ihm dabei beinahe in der Nase bohrte, aber immerhin war das Zelt warm und hielt Wind und Schnee draußen. Seine Finger tauten langsam wieder auf und begannen unangenehm zu kribbeln. Genauso tauten seine Haare und klebten sich in nassen Strähnen an seine Stirn. Auch der Schal verlor seine weiße Farbe und klatschte ihm unangenehm nass gegen sein Kinn.

„Du hast selbst gesagt, dass sie eine Nymphe ist. Und was machen Nymphen in der griechischen Mythologie?“

„Sie singen“, warf Fenwick zwischen zwei Zaubern ein. „Und tanzen und toben durch die Natur, zumeist recht dürftig bekleidet. Oh und sie sind das Lustobjekt sämtlicher männlicher Götter, Helden und Ziegenhintern der näheren Umgebung – und sind sie nicht willig, nimmt man sie eben mit Gewalt. Protego Totalum!“

Die Zeltplane schwankte, als sich Fenwicks Schutzzauber auf sie legte.

„Ich meinte eher den Teil mit den Menschenmännern und deren niedrigen Lebenserwartungen, Ziegenhirn.“

Fenwick senkte den Blick tief genug, um zu Sirius starren zu können. Einen Moment sah er so aus, als würde er gleich Beleidigungen spucken, doch stattdessen sagte er nur grinsend: „Weiß nicht, bei deiner Göttlichkeit.“

Remus räusperte sich deutlich genug, um gegen das Heulen des Sturms anzukommen.

„Jungs“, knurrte er finster. „Ich habe nicht vor, mich weiter als nötig auf ein magisches Wesen einzulassen, durch das ich hindurch gehen kann. Zufrieden?“

„Nein?“

Er warf Sirius einen langen Blick zu, den dieser, störrisch wie er war, erwiderte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn zusammenzustauchen, aber vor Fenwick würde er das nicht tun, aus diversen Gründen. Einer davon war sicherlich Fenwicks dreckiges Grinsen.

Statt einer Antwort gab er nur ein Schnauben von sich, als Zeichen dafür, dass ihm die Diskussion zu dumm wurde. Den Blickkontakt unterbrechend legte er sich auf seinen Rucksack, der nicht viel weicher als der Boden war und lehnte sich zurück. Seine Schulter pochte, seine Haare waren nicht nur feucht sondern nass und obendrein kalt und das neue Gefühl in seinen Fingern war nicht angenehm. Dennoch spürte er, wie er sich langsam entspannte und gegen den Stoff in seinem Rücken sank.

„Remus?“, hörte er Sirius neben sich und beschloss, dass er die Diskussion nicht mehr aufnehmen würde.

„Nein.“

Sirius tat ihm den Gefallen. Vielleicht hexte Fenwick ihn auch mit einem Super-Spezial-Auroren-Zauber außer Gefecht. Ihm war es egal. Die magische Kerze verströmte ihr weiches Licht und die Zeltplane verschwamm vor seinen Augen, während er gähnte. Das Heulen des Windes wurde zu einem eigensinnigen Lied...

24. Dezember 1978, 4 Uhr, Store Måsvatn (Regierungsbezirk Finnmark)

Sein Schlaf war weder tief noch sonderlich erholsam, aber angesichts der Tatsache, dass es vielleicht sein letzter sein würde, würde Remus sich nicht darüber beschweren. Das inkludierte allerdings nicht, dass man ihn einfach so wecken durfte – und es brauchte in diesem Zustand nicht viel, um genau das zu tun. Auslöser war letztendlich ein zusätzliches Gewicht auf seinem Bauch. Vermutlich lag es dort schon länger, aber erst, als Remus sich drehte und es ihm über die Hand rutschte, rutschte es damit auch in sein Bewusstsein.

Irritiert schlug er die Augen auf, zu erschöpft, um seinen Reflexen zu folgen und den Zauberstab zu ziehen. Mit Fingern, die wenigstens nicht mehr vor Kälte brannten, tastete er nach dem Ding auf seinem Körper. Sie strichen über raues Pergament, das gerade noch glatt genug war, um trotzdem teuer zu sein. Er stockte, um zu blinzeln.

Einen Moment später war er hellwach und griff nach dem rechteckigen Päckchen, um es in Augenschein zu nehmen. Das Pergament funkelte im Licht der magischen Kerze – und es funkelte teuer. Genauso wie die rote Schleife, die jemand mit ungeschickten Fingern darum gewickelt hatte. Er warf einen skeptischen Blick zu Sirius, doch der hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Remus täuschte er indes nicht, denn dazu war seine Atmung etwas zu leise und zu unauffällig. Einen Moment lang überlegte er, ob er das Päckchen einfach in seinen Rucksack stecken sollte, statt es zu öffnen. Mit einem weiteren Blick zu dem nicht schnarchenden Sirius entschied er sich dagegen – auch wenn ihm Böses schwante.

Mit spitzen Fingern zog er an der Schleife. Immerhin war sie tatsächlich gebunden und nicht einfach ein Knoten, an dem er ewig ziehen konnte. Sie flog ihm auch nicht um die Ohren. Vielleicht doch ein wenig neugierig löste er die Klebezauber auf dem Pergament mit einem leichten Ziehen und schlug das Blatt zurück. Ein schweres Buch fiel ihm entgegen. Unter seinen Fingern fühlte es sich nicht sonderlich teuer an. Der Umschlag bestand nicht aus Leder, sondern aus einem billigen Ersatzstoff, vielleicht sogar Muggelpapier. Eine dunkle Umrandung mit kleinen, leuchtenden Punkten – Sternen? – umfasste ein ebenso düsteres Bild. Der Werwolf fiel ihm als erstes ins Auge, die Zähne, die Ohren, die Rute, die Augen, das Knurren, das sich in seiner eigenen Kehle hochkämpfte...

Dann sah er die Leine.

Und dann – dann sah er Gilderoy Lockhart.

Er kannte Gilderoy Lockhart. Jeder Schüler, der in der ersten Hälfte der Siebziger nach Hogwarts gegangen war, kannte den Sucher von Ravenclaw, der seinem Haus eine Serie mit dreizehn Niederlagen in Folge beschert hatte – dann warf man ihn aus dem Team und versuchte sein Glück mit einem Zweitklässler. Ja, er kannte Gilderoy Lockhart. Für viereinhalb Jahre war er James‘ Lieblingsquidditchthema gewesen. Dass er Werwölfe an der Leine Gassi führte und dabei so aussah, als habe er nicht nur eine kleine Dosis Felix Felicis geschluckt, war dagegen eine neue Zutat, genauso wie das Grinsen, das magisch strahlte.

Wanderungen mit Werwölfen.

Er warf einen skeptischen Blick auf den Text auf der Rückseite und dann noch einen. Er blätterte von hinten durch die dünnen Seiten. Erst die Titelseite erregte seine Aufmerksamkeit. Nicht der billige Druck, den er auch mit geschlossenen Augen gerochen hätte. Es war die teure, königsblaue Tinte und die Worte, die sie zeigte.

Für die wundervolle Romilda Lupin.

Romilda Lupin. Romilda. Lupin.

Er schloss die Augen und atmete tief durch. Dabei zählte er erst bis zehn – und dann bis hundert. Romilda Lupin.

Er warf das Buch blind. Ein leises Keuchen verriet ihm, dass er getroffen hatte. Hoffentlich dort, wo es weh tat.

„Gefällt es dir nicht?“, fragte Sirius viel zu schnell.

„Romilda Lupin?“

„Es ist der Renner bei den Damen.“

Romilda?

„Ich habe ihm Romulus diktiert.“

Schnaubend öffnete er die Augen und warf Sirius einen finsteren Blick zu. Der hatte das Buch im Übrigen gefangen. Er hielt es immer noch in der Luft, kurz vor seiner Magenkuhle, auf die Remus eigentlich gezielt hatte.

„Du weißt, dass heute erst der dreiundzwanzigste ist?“, wechselte er seine Taktik.

Das wischte das Grinsen von Sirius‘ Gesicht. Langsam ließ er das Buch sinken und schüttelte den Kopf, allerdings zu vorsichtig, um nicht zu zeigen, dass er ihm eigentlich zustimmen wollte. „Es ist der vierundzwanzigste. Seit knapp vier Stunden.“

Remus seufzte. „Du weißt, dass heute erst der vierundzwanzigste ist?“

„Ja.“

Sirius reckte nicht einmal das Kinn, obwohl sein ‚Ja‘ einen eindeutigen Tonfall trug. Nur in seinen Augen spiegelte sich die Geste, vordergründig. Wenn Remus genauer hinsah, bekam er allerdings das Gefühl, dass Sirius ein bitterer Geschmack auf der Zunge lag, den er nicht schlucken konnte. Remus schmeckte ihn auch. Er kratzte in seinem Rachen und sammelte sich in seinem Hals zu einem Kloß.

Wortlos hob er die leere Hand und streckte sie seinem Freund hin. Genauso wortlos warf dieser das Buch ausgesprochen zielsicher zurück.

„Ich lese es später“, erklärte er und versuchte, beim Schlucken nicht an dem Kloß in seinem Hals zu ersticken. Sirius antwortete mit einem knappen Nicken und einem Funkeln in den Augen, dass ihm verriet, dass der bittere Geschmack etwas weniger bitter geworden war.

Vorsichtig legte Remus das Buch mit Gilderoy Lockharts Gesicht nach unten neben sich und stemmte sich hoch. Genauso behutsam drehte er sich und zog seinen Rucksack, auf dem er gelegen hatte, zu sich um ihn zu öffnen und Gilderoy Lockharts Zahnpastalächeln möglichst tief nach unten – und möglichst weit von den anderen Büchern entfernt – zu stopfen.
 

Als er aufsah, bemerkte er Lohe auf seiner anderen Seite. Sie schien schon eine ganze Weile halb auf dem tatsächlich schnarchenden Fenwick zu sitzen, halb über ihm zu schweben. Sie lächelte dünn, als sie seinen Blick erwiderte.

„Im Tal ruht ein gefrorener See. Eine Meile und eine halbe von hier ragt eine Landzunge in den See. Die Oberfläche ist sicher für eure Wegezauber. Dieser Hügel endet ebenfalls am Ufer des Sees. Es liegt noch im Sturm. Ich sage, es ist sicherer, wenn ihr dorthin geht. Ich kann euch leiten, sofern ihr mir traut.“

Remus zog die Brauen zusammen. Das Angebot würde er, wenn auch nicht sonderlich begeistert, vermutlich annehmen, solange die anderen beiden nicht protestierten – und Fenwick schnarchte aktuell zufrieden, obwohl sie auf ihm saß. Es war etwas anderes, dass ihn stutzig werden ließ.

„Wir können sicher auf eine Landzunge apparieren, aber das Ufer am Hügel ist sicherer, obwohl es vermutlich abschüssig ist und im Sturm liegt?“, fragte er skeptisch. „Was liegt außerhalb des Sturms?“

Lohes Lächeln wurde bitter. „Euer Ziel. Mein Ziel. Vielleicht der Tod von uns allen.“

„Und du hast uns schlafen lassen.“

„Ihr werdet die Kraft brauchen.“
 

Lohe belog sie nicht. Sie geleitete sie sicher an den Fuß des Geröllhügels, als sie Seit-an-Seit apparierten, und nicht etwa in einem Felsen oder in die Arme von Lucius Malfoy. Obwohl letzteres sicher noch eine offene Alternative war, wenn sie weiter gingen. Und das Ufer lag tatsächlich im Sturm. Sie hatten nur das nötigste bei sich und ihr Zelt und ihre Rucksäcke unter den Schutzzaubern zurückgelassen. Ohne die Zauber, die den Wind abhielten, fror Remus sofort. Einen Moment lang konnte er nicht sagen, ob es seine Hände waren, die vor Kälte zitterten, oder die seiner Begleiter. Er kam zu dem Schluss, dass er sich zwischen den Optionen nicht entscheiden brauchte.

Langsam löste er seine Hände aus denen der Anderen und versuchte, sich umzusehen. Mehr als seine Begleiter sah er dabei allerdings nicht. Lohes Haar schimmerte und flatterte im Wind. Fenwick war beinahe so weiß wie vor ein paar Tagen nach dem Quidditchspiel, nur dass er dieses Mal keine schwarze Gesichtshälfte hatte. Von Sirius‘ Gesicht sah Remus nicht mehr als die Augen, die über einem Schal leuchteten, der bald so weiß wurde, wie Fenwicks Haut. Um sie herum tobte der Sturm mit unverminderter Kraft, war sogar noch stärker geworden und riss an ihren Umhängen und sie beinahe von den Füßen.

Lohes wehende Gestalt schwebte zwischen ihnen. Ihr Körper schien greifbar, doch Remus glaubte nicht, dass er sie würde berühren können, wenn er seinen Arm nach ihr ausstreckte. Stattdessen berührte sie ihn. Mit einer flüchtigen Bewegung flackerte sie über ihm, so durchsichtig, wie er sie kennengelernt hatte. Ihre Hände legte sie mit einer federnen Leichtigkeit auf seine Schultern, so dass er sie kaum spürte – doch seine Aufmerksamkeit ruhte nicht auf ihrem Körper, nicht auf ihren Armen, sondern auf ihrem Gesicht. Auf den zarten Zügen, auf der schmalen Nase, deren Nasenflügel sich leicht blähten, als sie lächelte, auf dem schmalen, bitteren Lächeln selbst. Es war ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte – und mit einem Mal verstand er auch, warum. Er wusste, was sie sagen würde, ihm sagen würde, und wusste auch, dass ihm nur eine Reaktion bleiben würde. Das bittere Gefühl des Betrogen-werdens kroch seine Speiseröhre hinauf.

Diesem Gefühl folgte ein weiteres – Enttäuschung. Puzzleteile fügten sich ineinander, Dumbledores Befehl, das Kästchen, seine früheren Treffen mit der Aurae, plötzlich passten sie ineinander und er sah ein Bild, obwohl noch Teile fehlten.
 

„Du kennst Dumbledore“, flüsterte Remus, bevor sie sagen konnte, was sie sagen wollte.

Sie jedoch schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nie gesprochen“, antwortete sie mit flüchtiger Stimme, die im Heulen des Windes kaum zu hören war. „Denn ich bin unwichtig. Ob ich oder eine meiner Schwestern diesen Weg beschreitet – es ist völlig gleich. Du bist derjenige, der nicht austauschbar ist.“

Durch sie hindurch konnte er Fenwick und Sirius sehen. Der eine war genervt, der andere hochgradig frustriert, aber beide verstanden sie nicht. Konnten sie nicht verstehen, vielleicht nicht einmal hören, und er wusste nicht, wie er es den beiden verständlich machen sollte. Nicht mit Lohe vor ihm, zwischen ihnen, mit ihren Händen auf seinen Schultern und mit ihren Augen, die unerschrocken seinen Blick suchten. Ihre Gestalt wurde dichter, noch während sich seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre Augen fixierte.

„Ihr seid verloren“, fuhr sie fort. „Der Schritt aus dem Sturm ist eine Falle.“

Diese Aussage hätte ihn erschrecken sollen, doch sie tat es nicht. Längst hatte Remus diese Schlussfolgerung selbst geahnt.

„Was ist, wenn wir umkehren?“, fragte er und wusste, wie lahm diese Frage war. Noch während er sprach, konnte er ihre Antwort voraussehen.

„Das werdet ihr nicht“, sprach sie aus, was er ahnte. Sanft lehnte sie sich vor. „Du wirst es nicht.“

Weil er wusste, dass alles noch viel, viel schlimmer werden würde, wenn er ‚Nein‘ sagte. Das tat es bei Dumbledores Aufträgen immer und das wusste jeder, der sich auf Dumbledore einließ. Dieser Auftrag war keine Ausnahme, das hatte er gewusst, als er den Auftragsbissen schluckte, den Dumbledore ihm mit freundlichen Worten gereicht hatte. Er schloss die Augen. Nur, weil er musste, hieß das nicht, dass er auch wollte.

„Der Rest liegt an dir, Remus. Was auch immer geschieht – bewahre das Artefakt. Ich kann es nicht berühren, Khione kann es genauso wenig. Niemand außer dir ist dazu in der Lage, vergiss das nicht.“

Unwillkürlich hob er die Hand und legte sie auf den Anhänger, der warm an seiner Brust lag. Unter seinen Fingern pulsierte die Magie des Edelsteins rhythmisch zu dem Flackern in Lohes Gestalt.

„Viel Glück, Remus“, flüsterte sie. Ihr Körper wurde eins mit dem Wind. Für einen Augenblick spürte er sie dicht bei ihm, sah noch einmal ihr Gesicht, ihren schlanken Hals und die schmalen Schultern, als sie ihm einen Kuss auf die Stirn gab – dann war sie verschwunden.

Die Magie, die diese letzte Berührung hinterließ, blieb. Sie kribbelte über seine Stirn und kroch unter seine Haut wie ein unsichtbarer Schutz, den er schließlich nicht mehr spüren konnte. Dennoch wusste er, dass sie noch da war – er konnte sie sich nur nicht vergegenwärtigen oder gar greifen.
 

„Black, du Idiot, bleib-“, drang Fenwicks Stimme ausgesprochen genervt an sein Ohr. „Ach, Scheiße. Lupin! Könntest du aufhören zu turteln? Dein Lover ist auf dem Egotrip!“

Remus blinzelte.

„Sirius ist nicht mein Lover.“

„Sag das ihm. Er ist da lang.“

Remus blinzelte erneut. Er sah Fenwicks durchgefrorene Gestalt. Zitternd hielt der Auror einen Arm schützend vor seine Brust, mit dem anderen wies er Richtung See. Zumindest vermutete Remus, dass Fenwick in diese Richtung wies, denn sehen konnte er den See genauso wenig, wie er ihn hören konnte.

Sirius indes war verschwunden. Remus erinnerte sich an die finstere Miene, die er durch Lohe gesehen hatte und er ahnte, was sich in Sirius‘ verquerem, eifersüchtigem Kopf abspielen musste.

„Dieser Idiot“, murrte er, bevor er den Kommentar schlucken konnte. „Der See ist eine Falle.“

„Dieser See ist-“

Bevor Fenwick seine Frage komplett formulieren und Remus dafür, das nicht schon früher gesagt zu haben, erwürgen konnte – unabhängig davon, ob Remus es früher hätte sagen können – drang Sirius Stimme zu ihnen, durch den Wind zu stark verzerrt, um sie zu verstehen.

In seinem Augenwinkel sah er, wie Fenwick die Augen verdrehte. „Da haben wir das Problem“, verkündete er. Mit Grabesstimme fügte er hinzu: „Tu mir einen Gefallen. Turtel nie wieder mit einer Nymphe. Egal wie groß ihre Brüste sind.“

Dann zog Fenwick seinen Zauberstab und wartete darauf, dass Remus es ihm gleich tat. Der ließ sich nicht zwei Mal bitten, auch wenn ihm der Kommentar gar nicht passte. Immerhin hatte er nicht geturtelt. Wenn das irgendwer gewesen war, dann Lohe.

Sie tauschten einen letzten Blick, den Remus damit verbrachte, die Schutzzauber zusammenzuklauben, die ihm bei dieser Kälte noch einfielen. Dann rutschten und schlitterten sie die Böschung hinunter, aus dem Sturm.
 

Remus‘ Füße trafen auf Eis. Er musste sich bemühen, den Halt nicht zu verlieren. Als er sich umdrehte, sah er den Sturm. Eine riesige, dunkle Wand voller Wolken aus Schnee, die sich direkt hinter ihnen erhob. Sie streckte sich über beide Seiten des Sees hinein in die Nacht. Der Krümmung nach zu urteilen schloss sie sich in einem kreisförmigen Gebilde von mehreren Meilen Durchmesser. Vor ihnen ruhte der Wind und über ihnen strahlte der klare Nachthimmel.

Seine Augen weiteten sich, als er den Ort erkannte. Am anderen Ende des Sees ragten kahle Steinhügel in die dunkle Front und schwanden außer Sicht, doch er war sich sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. Genau wie den See zu seinen Füßen, obwohl er dieses Mal auf dem Eis stand und nicht im Wasser. Über ihnen zog sich eine Aurora Borealis über den Himmel und tauchte ihn in rotes Licht.

Nur das Schloss – das auf einer kleinen Insel ein ruhiges Zentrum in all dem Sturm war – das kannte er nicht. Es wuchs hoch in den Himmel mit Zinnen und Türmen und es war weiß. Nicht wie der Schnee um sie herum, von dem er wusste, dass er weiß war, obwohl er bei Nacht viel dunkler erschien, sondern strahlend weiß und so gleißend, dass es beinahe von sich aus leuchtete.

Und es war eine Falle. Dieser Fakt war so klar, wie der Himmel über ihnen.

Die Temperaturen fielen von ‚zu kalt‘ auf ‚eisig‘. Sein Atem kondensierte in Wolken vor seinem Gesicht und wenn er zuvor gefroren hatte, kam ihm das im Vergleich immer noch warm vor.

„Das ist es“, murmelte er beinahe ehrfürchtig und hörte bei jedem Wort seine Zähne klappern.

„Erinnert mich an diese eine Geschichte aus deinem Muggelbuch, Moony“, hörte er Sirius sagen. Er verschwendete nur einen kurzen Gedanken daran, dass Sirius seine Bücher las. Ohne ihn zu fragen. Und überhaupt las. „Die Schneehexe, oder wie das hieß.“

„Die Schneekönigin“, gab Remus automatisch zurück. „Ich glaube nicht, dass das hier viel mit Andersens Märchen gemein hat.“

Sirius zuckte mit den Achseln. Zumindest glaubte Remus, dass er das tat, aber vielleicht war es auch nur ein Zittern. „Egal, oder? Gehen wir, bevor ich mir Körperteile abfriere, die ich noch benutzen will. Oder dein Fünkchen ihr Gesicht zeigt.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte Sirius sich in Bewegung. Und obwohl er ziemlich sicher zitterte, strahlte seine Geste dennoch die Erwartung aus, dass die anderen beiden ihm folgen würden. Remus kannte diese Rückfront. James‘ breite Schultern fehlten daneben, aber er kannte diese Art von Situation. Automatisch verfiel er in alte Muster und trat ebenfalls ein paar Schritte vor, nur um sich dann zu fragen, ob nicht jemand neben ihm gehen sollte.

„Lupin?“, hörte er Fenwick hinter sich. Statt stehen zu bleiben, drehte er nur den Kopf. Auch das gehörte zu dieser Art von Szene – nur war es normalerweise Peter, der nach ihm rief. „Was ist mit der Falle?“

Sirius blieb genauso abrupt stehen, wie Remus.

Falle. Richtig. Gottverdammt, wie konnte er nur so – er würde ein ernstes Wort mit Sirius‘ Führungsambitionen reden müssen.

„Falle?“, hörte er Sirius fragen.

Leise seufzte er. Wie sagte er das jetzt am besten, ohne dass ihm jemand dafür den Hals umdrehte? „Deshalb hat Lohe mit mir gesprochen, Padfoot“, begann er vorsichtig. „Sie hat nicht mit mir geflirtet. Das Schloss, es ist–“

Fenwick stieß ihn zur Seite, bevor er seine Aussage beenden konnte. Er stolperte, rutschte, fiel aber dank Sirius griffbereiter Hand nicht aufs Eis. Sirius Brust bremste seinen Fall. Remus Finger gruben sich beinahe automatisch in den Umhang des anderen. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete durch.

„Danke“, sagte er matt und richtete sich wieder auf. Vorsichtig prüfte er, dass er sicher stand, dann ließ er den Umhang los. Erst dann sah er kurz zu Sirius auf – der sich anscheinend mehr erhofft hatte, als ein einfaches Danke.

Abgesehen davon, dass so etwas für ihn ohnehin nicht in Frage kam, hatte Remus jedoch gerade andere Dinge im Kopf.

„Fenwick“, murrte er, wenig begeistert und blickte zu dem anderen Mann. Der ignorierte ihn, den Zauberstab gezogen und auf einen Punkt auf dem Eis gerichtet. Der Anblick ließ Remus stutzen und Sirius vermutlich auch. Irritiert folgten sie der Spitze des Zauberstabs mit dem Blick und plötzlich erkannte auch er den Schatten, der sich schnell näherte.

„Schutzzauber, Lupin“, hörte er Fenwick sagen, doch den Befehl brauchte er gar nicht mehr, um den eigenen Zauberstab zu heben. Neben ihm zog Sirius den seinen.

Der erste Schutzzauber ging schwer über seine Lippen, die Zauberstabbewegung durch die tauben Finger ungeschickt und plump. Fenwicks erster Fluch flog sauber durch seinen Schild. Der Schemen wich aus, fiel halb, und hielt trotzdem auf sie zu. Remus hörte ihn schreien, doch keine rabiate Antwort traf Remus‘ Schild.

Sirius‘ und Fenwicks nächste Flüche trafen vermutlich allein aufgrund der Entfernung nicht. Nach der zweiten Salve rief der Rennende erneut. Dieses Mal verstand er Evan Rosiers Stimme laut und deutlich.

„Verschwindet, ihr Idioten!“, brüllte er. „Lauft, solange ihr noch-“

Rosier stoppte so abrupt, dass er den Halt verlor und fiel. Weder die Worte noch der Sturz hielten Remus‘ Begleiter davon ab, zwei präzise Zauber abzufeuern. Ihn hingegen verunsicherte beides noch im selben Augenblick. Todesser neigten nicht dazu, ihn zu warnen. Oder mitten im Lauf zu stoppen, wenn sie keine Gefahr in ihm sahen.

Donner grollte hinter ihm, doch er drehte den Kopf nicht mehr rechtzeitig, um die Schneeböe kommen zu sehen.

Mit voller Wucht fegte sie über sie hinweg. Schmerz explodierte in seinem Rücken, als sei der Wind eine riesige Faust. Schreiend riss er die Augen auf. Die Energie schleuderte ihn hoch in die Luft. Er sah Fenwick unter sich, Sirius über sich, dann verlor er die Orientierung. Ob er höher stieg, ob er fiel – er wusste es nicht. Es blieb nur ein Gedanke.

Wie seltsam es war, fliegend zu sterben.

Später

Er konnte sich nicht daran erinnern, das Bewusstsein verloren zu haben. Genauso wenig konnte er sich allerdings daran erinnern aufgewacht zu sein. Der Angriff, der Flug und der Sturz, der gefolgt sein musste, weil er definitiv nicht mehr fiel, waren ihm über weite Strecken genauso ein Rätsel.

Das Nächste, woran er sich sicher erinnerte, war der Boden aus gefrorenem Eis. Danach erinnerte er sich an den kalten, brennenden Schmerz, der sich durch seinen gesamten Körper zog, ohne dass er ihn auf seine Schulter reduzieren konnte, und dann an den Dreck auf Lucius Malfoys Drachenlederschuhen.
 

Der Dreck auf Lucius Malfoys Drachenlederschuhen war feucht und klebrig und hinterließ vermutlich einen deutlichen Abdruck in seinem Gesicht, als Malfoy befand, es sei an Zeit ihn zu treten. Remus realisierte den Tritt – und alle weiteren – nicht so sehr, wie er sie hätte realisieren sollen.

Was er realisierte, war sein heftiger Atem, das Fehlen seines Zauberstabs und der Schmerz überall, als er auf dem Rücken zu liegen kam. Er blinzelte gegen das Licht, das er nicht orten konnte, an, doch den Raum, in dem er sich befand, konnte er nicht erfassen. Er sah die weiße Gewölbedecke über ihm, die mit blauen Kristallen wie mit Sternen besetzt funkelte, und vermutete weiße Wände und Säulen halb außerhalb seines Blickfeldes. In diesem Moment war es schlicht zu unwichtig, um es genauer wahrzunehmen. Das, was seine Aufmerksamkeit beanspruchte, war Malfoy, denn der war noch längst nicht fertig mit ihm.

Der gleiche dreckverschmierte Fuß, an dem nun auch sein Blut klebte, stemmte sich auf seine Brust. Der Tritt ließ ihn ächzen, doch er schaffte es, nicht zu schreien. Malfoy gefiel das vermutlich nicht, doch es war ein Triumph für Remus. Ein kleiner Triumph angesichts des Mannes, der sich zu ihm hinunter kniete, ohne dabei den Fuß von seiner Brust zu nehmen.

Sirius‘ Calvorio hatte getroffen und schien obendrein äußerst hartnäckig zu sein. Statt dass ihm gepflegte, blonde Haare glänzend in die Stirn fielen, spiegelte sich das kalte Licht des Raumes auf seiner Glatze. Seine Wangen waren so glatt wie die eines Zehnjährigen. Er hatte nicht einmal mehr Augenbrauen. Doch der Treffer gegen seinen Körper war vermutlich nichts verglichen mit dem gegen sein Ego.

Ohne Wimpern wirkte das Funkeln in Malfoys Augen seltsam, aber nicht weniger gefährlich. Seine Mimik zeigte ihm auch so deutlich, dass er wütend war und seinen Zorn jetzt an jemandem auslassen wollte. Und Remus brauchte nicht fragen, um wen es sich bei diesem jemand handeln würde.
 

„So sieht man sich wieder, Mister Lupin“, säuselte Malfoy.

Das Atmen fiel ihm schwer. Noch dazu dämmerte Remus langsam, wo er sich befinden musste – und dass Malfoys Rache für den möglicherweise nicht nur temporären Haarausfall nur der Anfang sein würde. Dennoch zwang er sich zu einem dünnen Lächeln.

„Die Freude ist ganz meinerseits, Lucius“, gab er so nonchalant zurück, wie es seine krächzende Stimme und die durch die Tritte aufgeplatzten Lippen zuließen. „Du bist so ein charmanter Gastgeber.“

Malfoy antwortete mit einem Grinsen – es war das Grinsen eines aristokratischen Haifischs. Vermutlich würde Remus das eigene Lächeln sehr bald vergehen, doch noch willigte er nicht ein, Lucius diese Genugtuung zu geben.

„Fühl dich wie daheim, mein Lieber. Aber denk dran – gute Gäste bringen ihren Gastgebern Geschenke, wenn sie sie besuchen. Und da ich fürchte, dass du leider knapp bei Kasse bist–“

„Wie immer!“, rief jemand im Hintergrund und lachte.

„Halt den Mund“, gab Malfoy zurück und seufzte gespielt. Sein Blick glitt von Remus‘ Gesicht hinunter zu dem Amulett, das um seinen Hals hing. Remus spürte das Verlangen in diesem Blick, doch Malfoy griff nicht gedankenlos nach dem Artefakt. Möglicherweise hatte er es bereits versucht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Malfoy den Zauberstab in der linken Hand hielt und die andere außerhalb Remus‘ Blickfelds versteckte.

Ja. Vermutlich hatte er es längst versucht.

Zunächst aber zuckte Malfoy beiläufig mit den Achseln. „Du musst meinen Freund Wilkes entschuldigen. Seine Eltern hatten kein Gold für einen Benimmkurs. Aber kommen wir zurück zum Thema. Ich glaube nicht, dass du ein Geschenk bei dir hast, angesichts der Situation, dass du von unserem Aufeinandertreffen kaum ahnen konntest, als dich unser alter Zausel hierher entsandte. Wie also wäre es, wenn du mir, um der Tradition Genüge zu tun, das Schmuckstück um deinen Hals schenkst?“

Malfoys Tonfall war so freundlich, als würde die Drohung hinter seinen Worten nicht existieren. Natürlich war sie dennoch da und Remus war weder dumm noch naiv genug, um sie zu ignorieren. Er würde ihr dennoch nicht Folge leisten. Stattdessen zwang er sich weiter zu dem Lächeln, das ihm langsam aber sicher in den Mundwinkeln schmerzte.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass du bereits im Besitz meines Zauberstabs bist? Ich denke, dass ist Geschenk genug.“

„Oh, aber ich habe deinen Zauberstab nicht. Ich darf doch meinen Mitgastgeber Severus nicht vergessen, nicht wahr?“

Ein Seufzen erklang außerhalb seines Blickfelds. Remus mochte dieses Seufzen nicht.

„Ich wäre dir verbunden, würdest du unserem Gefangenen nicht sämtliche unserer Namen auf einem Silbertablett servieren.“

Nur im Augenwinkel traute Remus sich, zum Besitzer dieser weiteren Stimme zu blicken. Er konnte Snape nur als dunklen Schatten am Rande seiner Wahrnehmung erkennen. Dunkler Umhang, dunkle, lange Haare. Vermutlich war Lucius selbst ohne Haare gepflegter.

„Sie werden nicht lange genug leben um es auszuplaudern. Wer soll sie retten? Der Auror, der sich nicht einmal bewegen könnte, wenn er bei Bewusstsein wäre? Sitzt es sich gut, Willikins?“

Wilkes‘ Lachen dröhnte durch den Raum – dem Hall nach zu urteilen einem Saal. „Ausgezeichnet.“

Das war Information genug für Remus, um die Möglichkeiten zu überschlagen. Wilkes hielt Fenwick gefangen und Malfoy hatte seinen Fuß immer noch auf Remus‘ Brust. Rosier war getürmt und würde sicher nicht mit allen Ehren begrüßt werden, sollte er zurückkehren. Blieb möglicherweise – hoffentlich – nur Snape in Lucius‘ Gefolge. Remus war klar, dass auch dieser jemanden bewachte und ihm war auch klar, wen - Sirius. Tatsächlich erkannte er, als er den Kopf minimal drehte, eine dunkle Gestalt zu Snapes Füßen – und Snapes Arm, die sich auf diese Gestalt richtete. Vermutlich mit seinem Zauberstab in der Hand, auch wenn er den nur erahnen konnte.

Das war … keine gute Besetzung. Snape war noch nie sonderlich gut auf Sirius zu sprechen gewesen. Ein Umstand, an dem Sirius zugegebenermaßen eine gewisse Mitschuld trug, aber das änderte nichts an der Situation.

Über ihm richtete Malfoy mit einem süffisanten Lächeln, das in dem haarlosen Gesicht furchtbar deplatziert wirkte, seine Aufmerksamkeit zurück auf Remus und zog damit auch dessen Blick zurück auf sich.

„Entschuldige mich für das Geplauder“, flötete er fröhlich. „Wo waren wir? Ah, richtig – Gib mir die Kette.“ Sein Tonfall verlor die vorgeschobene Freundlichkeit mit den letzten Worten. Remus blinzelte. Der Umschwung überraschte ihn nicht, es verwunderte ihn nur, dass er schneller kam, als er erwartet hatte. Dennoch machte genau dieser Umschwung das Lächeln für Remus ein wenig leichter.

„Wenn du sie haben möchtest, dann nimm sie dir“, antwortete er mit einem Tonfall voller ausgesuchter Höflichkeit. Vermutlich trübte seine raue Stimme und die aufgeplatzten Lippen das Bild, dass er mit seinen Worten entwerfen wollte. Das jedoch machte die Zufriedenheit, die er in seine Worte legte, wieder wett.
 

Malfoy hatte es versucht – und er war gescheitert. Für einen Moment spiegelte sich der Misserfolg in seiner haarlosen Miene – doch nur für einen Moment. Dann hatte der Todesser sich wieder unter Kontrolle und lächelte erneut.

„Aber dann wäre es kein Gastgeschenk mehr, mein Bester“, warf er mit einem belehrenden Tonfall ein, den er bereits während seiner Zeit als Schulsprecher perfektioniert hatte. Sich Lucius aber als Schüler vorzustellen, nahm diesem einen Teil seiner Bedrohlichkeit – denn es bedeutete auch, ihn sich als jemanden vorzustellen, den zwei Zweitklässler ohne größere Probleme ins Mädchenklo im dritten Stock eingesperrt hatten. Und es weckte auch die Erinnerung daran, dass Malfoys einzige Rettung damals die Schulsprecherin von Gryffindor gewesen war.

Malfoy bekam von diesen Gedanken freilich wenig mit, doch scheinbar spiegelten sie sich in Remus‘ Blick. Als er fortfuhr, schwang kaum hörbare Unsicherheit in Malfoys Worten mit. „Du willst doch wohl kein rüder Gast sein, nicht wahr?“

Das Bild einer triumphierenden Elizabeth Ivers vor Augen, die Sirius und James nur der Form halber abstrafte, entschloss er sich dazu, Malfoy dazu zu zwingen, die Karten auf den Tisch zu legen. Er lächelte immer noch.

„Natürlich möchte ich das nicht. Aber ich fürchte, wenn wir uns der Sache etwas genauer annehmen, bist du nicht der Gastgeber.“

Seine Worte hatten die gewünschte Wirkung – der Todesser stockte. Nur kurz, kaum merklich, aber Remus hatte es geschafft, ihn aus dem Konzept zu bringen. Nun konnte er Malfoy ansehen, wie dieser sich bemühen musste, seine Fassade aufrecht zu erhalten.

„Richtig, richtig. Natürlich, du hast selbstverständlich recht“, antwortete Malfoy. Er klang unsicher, zog den Kurswechsel aber dennoch durch. „Wir sprechen natürlich von einer Gastgeberin, nicht wahr? Das weißt du natürlich, du schlauer Junge. Wie wäre es also, wenn du mir dein Gastgeschenk gibst, damit ich es an sie weitergeben kann?“

Die Antwort, die Remus ihm geben würde, war natürlich schon zum Zeitpunkt dieses Vorschlags vorhersehbar. Dennoch nahm sich Remus die Zeit, den Vorschlag zu durchdenken – oder zumindest so zu tun. Stattdessen widmete er sich gedanklich den zwei Möglichkeiten, die Lucius offen lagen, sobald er das Artefakt hatte. Entweder, er reichte es tatsächlich an Khione weiter oder – und das war mindestens genauso wahrscheinlich – er steckte es in die eigene Tasche und verschwand anschließend eiligst. Nicht zwingend mit seinen Begleitern. Was auch immer Malfoy vor hatte – Remus glaubte nicht, dass auch nur eine dieser Möglichkeiten einen lebenden Remus Lupin inkludierte. Das hatte er bereits deutlich genug gesagt, auch wenn er diese Worte an Snape und nicht an ihn gerichtet hatte. Dementsprechend kam keine der beiden Möglichkeiten für Remus in Frage. Er brauchte eine Möglichkeit Nummer drei und er brauchte sie dringend.

Gedanklich bemüht, eine Alternative zu einem toten Remus Lupin zu finden, bemühte er sich, weiter Zeit zu schinden. Dafür schüttelte er bedauernd den Kopf. „Ich fürchte, ich kann nicht sicher gehen, dass du es tun wirst.“

„Aber Remus!“ Der – möglicherweise nur gespielte – Schock wirkte ohne Augenbrauen nicht. Malfoy selbstredend kümmerte das nicht. „Was denkst du nur von mir?“

Nichts, was nicht genau so zutreffen würde, Lucius, dachte Remus, sprach es aber nicht aus. Er beließ es einfach bei einem lächelnden Schweigen und wartete. Mit diesem Schweigen hatte er bereits einen Sirius Black weich gekocht und er zweifelte nicht daran, dass es ihm bei Malfoy auch gelingen würde – die beiden hatten ein zu ähnliches Temperament.

Tatsächlich hatte seine unausgesprochene Antwort den gewünschten Effekt – Malfoy verlor langsam die Geduld. Remus wusste, dass das ein gefährliches Spiel war. Seine Grenzen in diesem Machtkampf waren eng gesteckt. Dennoch war es vielleicht seine einzige Chance. Ihre einzige Chance. Malfoys Aufmerksamkeit war essentiell. Wenn sein Geduldsfaden riss, musste er das Ziel sein. Er war der Träger des Artefakts – und Malfoy kannte die Problematik dieses Schmuckstücks. In einer abstrusen Weise war er sicherer als seine beiden Freunde. Und das sollte auch so bleiben, zumindest bis die beiden aufwachten und er nicht mehr alleine denken musste.
 

„Ich sehe schon, ich sehe schon“, fuhr Malfoy fort und seufzte so schwer wie gespielt. Er hatte sich wieder unter Kontrolle – doch die Möglichkeit des Kontrollverlusts blieb in seinem Blick, bewusst gesetzt. „Du willst sie wirklich reizen, nicht wahr?“

„Vielleicht sollte sie das selbst entscheiden, findest du nicht?“

Lucius lachte ein kaltes, pointiertes Lachen. „Wenn sie das selbst entscheidet, sieht das so aus, Lupus.“

Ohne den Zauberstab aus der Hand zu nehmen, hob er eben diese und wies in die Richtung, die Remus bis jetzt noch nicht beachtet hatte. Wie zufällig streifte er dabei Remus‘ Kinn.

Remus spürte Malfoys Willen, die Magie seines Zauberstabs zu entfesseln. Dennoch bewegte er den Kopf nicht und blickte auch nicht in die ihm gewiesene Richtung, sondern weiterhin zu Malfoy.

Der nahm sich Zeit, seinen Widerwillen zu registrieren. Schließlich schüttelte er dennoch den Kopf. „Ach, Lupin, seit wann bist du so uneinsichtig?“

Remus lächelte nur schweigend. Keine Sekunde später presste sich Lucius Zauberstab in seine Wange. „Sieh dort hin!“

Unwillig folgte Remus der Bewegung, die Lucius ihm aufzwingen wollte, aber nicht, ohne Malfoy dabei ordentlich Kraft abzuverlangen. Der Spitze des Zauberstabs stieß so schmerzhaft gegen seine Wange, dass es ihm beinahe Tränen in die Augen trieb. Dennoch folgte er dem Druck nur so sehr, wie unbedingt nötig war. In die Richtung, in die er schauen sollte, blickte er erst recht nicht. Natürlich erkannte er, im Augenwinkel, trotzdem, was Lucius wollte, das er sah.

Skulpturen. Unmengen von Skulpturen. Die hintersten schimmerten weiß und blau, doch die näheren gewannen an Farbe. Die, die ihnen am nächsten war, war so farbig, wie ein realer Mensch.

Vielleicht, weil es ein Mensch ist, stellte Remus einen Augenblick später fest.

Das Lächeln gefror auf seinen Gesichtszügen. Entsetzen kroch in ihm hoch, als er die kniende Gestalt gegen seinen Willen musterte. Er kannte den Umhang, der der Skulptur in steifen Fetzen über die Schultern hing. Er kannte auch die Kleidung darunter, die kalkweiße Hand mit dem Ehering und den dunklen Haarschopf. Auch wenn der Mann sich vornüber beugte, um sich den Bauch zu halten, und ihm damit seinen Kopf abwandte – Remus war sich sicher, dass er auch sein Gesicht kannte. Søren Landvik war wortwörtlich zu Eis erstarrt. Eine dünne Schicht durchsichtigen Frosts zog sich über seinen gesamten Körper und ließ ihn im Licht des Raumes bläulich schimmern. Eben dieses Licht brach sich in Schneekristallen in seinen Haaren und ließen sie funkeln.
 

Malfoy musste sein Entsetzen nicht nur erwartet, sondern auch bemerkt haben. Ohne den Druck seines Zauberstabs zu lösen, beugte er sich vor.

„Siehst du, Lupus? Das ist es, was dich erwartet, wenn sie entscheidet. Das passiert, wenn du dich ihr verweigerst. Willst du das? Gib mir das Artefakt.“

Er schluckte. Nicht, weil er um sich selbst fürchtete, diese Furcht war bei Sørens Anblick wie weggewischt, sondern weil er den Anblick nicht ertrug. Er schloss die Augen, doch das Bild blieb. Malfoys Worte hätten ihr übriges getan – hätte er sich nicht an Lohes Worte erinnert. Søren hatte Khione sein Artefakt abgegeben. Und Remus glaubte Lohe. Nicht bedingungslos alles – aber in diesem Punkt hegte er bei Sørens Anblick keinerlei Zweifel.
 

Malfoy log. Vielleicht war die Möglichkeit, an Ort und Stelle von dem Todesser getötet zu werden, verlockender, als das, was ihn erwartete – aber er würde nicht darauf eingehen. Er wusste nicht, ob Søren noch lebte, glaubte nicht daran. Aber er würde ihn nicht hier lassen, in einem Statuengarten einer verrückten Schneegöttin. Nicht, wenn er es verhindern konnte. Und um das zu erreichen, musste er leben.

Die Zähne aufeinander pressend wappnete er sich gegen das, was kommen würde. Er kannte den nächsten Schritt. Er wusste nicht, ob er ihn würde ertragen können, aber er musste ihn wagen. Die Augen öffnend fixierte er Sørens reglose Gestalt, erinnerte sich an Agnetha, an Kjersti und Torleif – und an Sirius und Benjy neben ihm. Lohe hatte recht. Vielleicht war er derjenige, der über das Scheitern dieser Mission entschied. Doch in diesem Moment interessierte diese ihn nicht. Es waren die Personen, an denen er hing, nicht Dumbledores Auftrag.

„Du kannst auf das Amulett warten, bis meine Leiche verrottet, Malfoy. Rutsch mir den haarigen Buckel runter.“

Malfoys Reaktion ließ keine überflüssige Sekunde auf sich warten – und sie war nichts, gegen das man sich wappnen konnte.

Crucio!

Die Welt um ihn herum explodierte. Er hörte jemanden schreien, doch der Schmerz, der durch seinen Körper brach, war zu allumfassend, um zu verstehen, dass er selbst es war, der schrie. Er konnte keinen Gedanken fassen. Er konnte sich nicht rühren. Vor seinen Augen flackerte zorniger Schmerz. Alles brannte und es hörte nicht auf. Es war eine Ewigkeit.
 

Der Fluch stoppte so abrupt, Remus realisierte es nur verspätet. Die Welt vor seinen Augen wurde schwarz, dann wieder weiß. Seine Lungen brannten, als er sich wieder atmen spürte, zu flach und viel zu schnell. Er bekam kaum Luft. Er hörte jemanden reden, doch er verstand ihn nicht, es war nicht wichtig. Wichtig war der Schmerz, der nur langsam wirklich abklang und seine Muskeln glühen ließ. Wichtig war, dass er diesen Schmerz nie wieder spüren wollte. Egal, was er dafür tun musste. Für einen Moment war er bereit, alles zu tun, was Malfoy von ihm erwartete. Dann erkannte er Sørens zusammengekauerte Gestalt in all dem verschwommen Weiß und erinnerte sich daran, dass Aufgeben keine Option war. Er wusste nur nicht, wie er noch so einen Zauber überstehen sollte.

Eine wirre Mischung aus Angst und Verzweiflung kroch in ihm hoch, als er Malfoys Atem an seinem Ohr spürte. Es musste Malfoy sein. Die Stimme gehörte Malfoy, als der Atem sprach.

„Soll ich dir immer noch den Buckel herunterrutschen?“, flüsterte er. „Du zitterst doch jetzt schon vor Angst, Abschaum. Genauso wie deine Blase.“

Er wollte widersprechen, doch die Erinnerung an den Fluch war noch zu präsent, als dass er hätte sprechen können. Einen Augenblick später realisierte er, dass er gar nicht wusste, wie er hätte widersprechen sollen – denn Malfoy hatte recht. Er fühlte es deutlich. Die Erkenntnis trieb ihm die Scham ins Gesicht, das wusste er. Statt zu widersprechen, ignorierte er ihn, so gut er konnte. Er würde nicht betteln.

Noch nicht.

Denn so sicher, wie er gerne gewesen wäre, war er sich nicht.

„Ich sage es dir noch einmal, Abschaum. Gib mir die Kette. Ich habe noch nicht einmal mit dem angefangen, was ich mit dir tun werde, wenn du es nicht tust. Überleg es dir.“

Er tat es. Gegen seinen Willen überlegte Remus über das Angebot. Sein Entschluss blieb. Er atmete so tief ein, wie es mit Malfoys Fuß auf seinem Oberkörper möglich war.

„Da gibt es nichts zu überlegen. Tu, was du nicht lassen kannst.“

Crucio!

Der zweite Fluch war nicht besser oder leichter zu ertragen, als der erste. Schmerz riss durch seinen Leib. Seine eigenen Schreie gellten in seinen Ohren. Er versuchte, den Arm zu heben, irgendetwas zu tun, aber er konnte es nicht. Der Schmerz war zu stark, zu blendend, zu überwältigend.

Als Malfoy den Zauber beendete, war sein Schrei nicht mehr, als ein Krächzen. Wimmernd erkannte er, dass er weinte, doch er konnte nicht aufhören. Er ertrug das nicht – er musste etwas tun. Doch was?

Crucio!

Der dritte Fluch war eine abartige Routine. Er verkraftete ihn nicht leichter, doch er überraschte ihn nicht mehr.

Als der Schmerz dem dumpfen Pulsieren wich, das dem Zauber folgte, gelang es Remus auf eine perverse Art leichter, sich wieder auf das zu fokussieren, was wichtig war. Søren. Seine Freunde. Dumbledores Auftrag. Malfoy durfte ihn nicht dazu treiben, das aufzugeben. Egal, was er auch versuchen würde. Er würde nicht aufhören, daran musste er sich erinnern. Egal, was er tat, egal, was Malfoy ihm versprach – es würde nicht besser werden, wenn er darauf einging.

„Meinung geändert, Missgeburt?“, grollte Malfoy über ihm.

Remus hob den Blick, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Nein.“

„Nein? Oh Lupin. Du bist so ein dummer Junge.“

„Natürlich ist er das. Er ist ein Freund von Potter und Black“, drang eine weitere Stimme an sein Ohr, die er nicht einordnen konnte, obwohl er wusste, dass er sie kannte. „Ich denke nicht, dass man mehr von ihm erwarten kann, als von den beiden Trotteln.“

„Vermutlich hast du recht“, hörte er Malfoy zustimmen. „Was uns aber keinen Schritt weiter bringt. Und langsam tun mir seine Schreie in den Ohren weh.“

„Das heißt, du überlässt das Problem mir. Wie reizend von dir, Lucius“, antwortete die Stimme erneut. Remus erkannte sie endlich.

Snape.

Natürlich. Es war Snape. Und er hatte etwas vor – etwas, das Remus noch weniger gefallen würde, als die Flüche und die Tatsache, dass man über ihn sprach, als sei er gar nicht anwesend. Er musste etwas tun. Nur wusste er nicht, was. Malfoys Gewicht hielt ihn am Boden. Sein Zauberstab war selbst dann außer Reichweite, wenn er gewusst hätte, wo er sich befand. Er konnte versuchen, nach Lucius‘ Stab zu greifen, doch wenn der Versuch scheiterte, sprengte Malfoy ihm möglicherweise den Kopf von den Schultern. Und die Chancen standen schlecht für ihn – in der Position wäre Malfoy selbst dann der Stärkere, wenn Remus seine Finger nicht nur deshalb spüren würde, weil sie ihm weh taten.

Die Chance ging ungenutzt vorüber, Snape sprach weiter. „Wie dem auch sei – glücklicherweise habe ich eine Idee. Es hätte dir besser getan, länger mit diesen Herumtreibern zur Schule zu gehen.“ Er hörte Snape bitter lachen. „Dann wüsstest du jetzt, wie du mit dieser Bagage umgehen musst. Du triffst sie nicht, indem du sie selbst verletzt.“

Remus stockte der Atem, als er verstand, worauf Snape hinaus wollte. Nein. Mit Malfoy konnte er ringen, Malfoy konnte er kalkulieren, obwohl er ihn weniger kannte, als dessen Partner. Er kannte Menschen wie Lucius Malfoy. Snape hingegen war derjenige mit dem ganz persönlichen Hass. Hass, der sich nicht in erster Linie auf ihn, Remus, konzentrierte, der aber auf ihn abfiel, weil er ein Freund von Sirius war – der gerade hilflos zu Snapes Füßen lag. Er hatte Snape vergessen – und wenn nicht vergessen, dann völlig falsch eingeschätzt.

„Wie dann, Severus?“

Dann

„Es ist einfach“, versicherte Snape jovial. „Du verletzt ihre Freunde.“

Das Lächeln, das sich auf der Miene des Todessers widerspiegeln musste, klang in seiner Stimme nach. Auch wenn Malfoy Remus nach wie vor dazu zwang, in die andere Richtung zu blicken, wusste er, dass Snape in diesem Moment den Zauberstab hob. „Wach auf, Black. Crucio!

Remus wusste nicht, ob Sirius bereits wach gewesen war, oder ob es der Fluch war, der ihn aus der Bewusstlosigkeit riss. Sein Schrei ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Remus wollte aufspringen, etwas tun, irgendwas – doch er wusste, dass er an Malfoys Gewicht und dem Zauberstab, der sich in sein Gesicht bohrte, scheitern musste.

Doch Sirius schrie und Malfoy lachte – und es interessierte ihn plötzlich nicht mehr, dass Malfoy stärker war, als er. Statt nach dem Zauberstab zu greifen, wie er vor einer gefühlten Ewigkeit angedacht hatte, entschieden sich seine Reflexe für die direkte Lösung. Er schlug zu – und erwischte Malfoy kalt. Seine Faust rammte den Kiefer des Todessers. Malfoy riss den Zauberstab hoch, doch auch dafür war er bereit. Er griff in der Stab und zerrte daran. Es war pure Willenskraft, die ihm den Sieg über den Stab einbrachte.

Compulso!

Der schwarzmagische Stab gehorchte ihm nicht, wie er sollte, doch das hielt Remus nicht auf. Er war nah genug, um Malfoy trotzdem zu treffen und von sich zu schleudern. Taumelnd stemmte er sich hoch und richtete seinen Zauberstab auf einen verdutzten Severus Snape. Sirius war verstummt, bewegte sich aber unkoordiniert.

„Zauberstab runter, Snape.“

Die verblüffte Miene wich einem feisten Lächeln. „Ich denke, nicht, dass ich das tun werde.“

Er glaubte–

Das konnte kein gutes Zeichen sein. Nicht mit Malfoys Zauberstab in seinen Händen, der sich ihm widersetzte.

Dann geschah alles gleichzeitig. Remus zog Malfoys Zauberstab durch die Luft und formte den nächsten Fluch.

Stupor!

Immobulus!

Snape blockte den kränkelnden roten Zauber mit einem Wink seines Zauberstabs, für den er nicht einmal Worte brauchte. Remus indes hörte Wilkes‘ Stimme und wusste, wen seine Reflexe vergessen hatten – doch es war zu spät. Er konnte sich nicht einmal mehr in die Richtung des anderen Todessers wenden, da traf ihn der Fluch. Er erstarrte, den Zauberstab halb in der Bewegung.

Einen Augenblick lang schwiegen die drei Todesser und er hörte nur Sirius Keuchen, dann ertönten Schritte hinter ihm – Malfoy. Wilkes bewegte sich auch.

„Netter Versuch, Lupus“, säuselte Malfoy hinter ihm, der süßliche Tonfall bebend vor Zorn. Ohne, dass er etwas dagegen hätte tun können, griff der Todesser an ihm vorbei und zog ihm mit spitzen Fingern den Zauberstab aus der Hand. Einen Augenblick später entglitten Zauberstab und Arm seinem Blickfeld. Remus musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass Malfoy seinen Zauberstab auf seinen Rücken ausrichtete. „Nett, ja. Aber nicht nett genug.“

Ein Seufzen erklang hinter ihm. Remus konnte förmlich spüren, wie Malfoy bedauernd den Kopf schüttelte. „Entschuldige die Störung, Severus. Fahre bitte fort.“
 

Malfoy hätte Snape nicht bitten brauchen.

Remus hatte Snape im Blick, genauso, wie er problemlos sehen konnte, wie Sirius sich desorientiert auf die Unterarme stützte und in seine Richtung blickte. Als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass Sirius verstand, was geschah – doch das half ihm nicht, als Snape den Zauberstab erneut auf ihn richtete.

Crucio!

Sirius brach schreiend zusammen und es gab nichts, was Remus hätte tun können, um ihm zu helfen. Er konnte nicht einmal blinzeln. Seine Finger gehorchten ihm nicht. Nichts gehorchte ihm, auch nicht sein Gehirn, dem er verzweifelt den Befehl gab, dass er das nicht hören und nicht sehen wollte. Wenigstens schreien wollte er – doch auch das konnte er nicht.

Als Snape den Fluch aufhob, konnte Remus nicht aufatmen. Nicht, als er sah, wie Sirius weiter in sich zusammen sackte und hörte, wie seine immer laute, immer impulsive Stimme zu nichts als einem Wimmern verkam. Er wollte schreien, fluchen und Snape die zu lange Nase brechen und Malfoy ignorieren, der ihm in den Rücken hexen würde. Stattdessen weinte er hilflos.

„Denkst du, das funktioniert?“, ertönte Malfoys Stimme in seinem Rücken. „Lupus hier hat den Cruciatus verkraftet – und Black ist der Dickschädel in diesem Duo.“

Snape lächelte finster und entblößte eine Reihe gelber Zähne. Dass er noch vor einem halben Jahr ein Schüler in Hogwarts gewesen war, sah man ihm nicht mehr an. Er wirkte älter – zu alt für einen Achtzehnjährigen. „Das kommt darauf an, wie viel Zeit wir haben.“

„Und wie viel Langeweile“, fügte Wilkes ungefragt hinzu. „Ich sage euch, wir hätten Bella mitnehmen sollen.“

Der Einwurf irritierte Remus. Es gab nicht viele Bellas – er selbst kannte nur eine. Eine, von der er nicht wusste, dass sie eine Todesserin war, aber der er es ohne mit der Wimper zu zucken zutrauen würde. Nach dem, was Sirius über diese Bella erzählt hatte, konnte er nur hoffen, dass Wilkes eine andere meinte. Doch er glaubte nicht daran – und das verunsicherte ihn. Was konnte diese Todesser mehr unterhalten, als ein gut gezielter Cruciatus?

Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er es erfahren sollte. Malfoy jedenfalls lachte hinter ihm, so, als gefiele ihm die Idee – oder als sei die ganze Szene nur ein gut eingeübtes Stück und Remus der einzige schlechte Schauspieler.

„Sie ist in der Tat eine ausgesprochen kreative Hexe“, hörte er Malfoy glucksen. „Es ist eine Schande, dass sie uns nicht begleiten konnte. Aber ich denke, dass sie mit Severus einen sehr lernfähigen Schüler hatte, nicht wahr? Warum zeigst du uns nicht ein wenig von dem, was du erlernt hast, Severus?“

Die Miene des Angesprochenen verzog sich zu einer finsteren Maske – eine Geste, die Remus ahnen ließ, warum Snape so schnell auf eine so unansehnliche Art gealtert war. Für einen Moment wirkte er, als wolle er widersprechen, doch dann fiel sein Blick auf Sirius und der alte Hass war wieder da. Warum eigentlich nicht?, schien Snape zu denken, als er angewidert den Kopf schüttelte.

„Dafür brauche ich keine Lehrstunden.“

Ein magischer Ruck zog Sirius nach oben, mit den Füßen voran, in die Luft. Sirius schrie auf, doch das kümmerte keinen der Todesser, genauso wenig, wie seine Versuche, nach dem nächsten Umhang zu greifen. Remus konnte nichts tun, außer seinem Freund dabei zuzusehen, wie er hilflos in der Luft zappelte.

„Was denn, Black? Gefällt dir der Zauber nicht?“, fragte Snape bissig. „Du hast ihn doch selbst oft genug verwendet!“

„Fick dich, Snivellus.“

Snape lachte und es war kein freundliches Lachen. „Hast du also dein loses Mundwerk wieder gefunden. Aber ich fürchte, du verkennst deine Lage, Black. Dieses Mal bist du auf der Seite des Zauberstabs, auf die du gehörst.“

Remus wünschte sich, dass Sirius den Mund halten würde – denn Snape hatte recht. In diesem Moment war Sirius ihm ausgeliefert. Dummerweise hatte Sirius ein Händchen dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen und Grenzen zu überschreiten. Die Schwierigkeiten, in denen sie sich befanden, waren bereits zu groß, als dass er ihren ehemaligen Mitschüler weiter reizen sollte. Aber es war Sirius, der ohnehin nicht auf ihn hörte, wenn Remus ihn warnte – und der war verhindert. Sein Kiefer war genauso gelähmt, wie der Rest seines Körpers.

Sirius tat ihm den Gefallen nicht.

„In deinen fettigen Träumen, Hakennase“, knurrte er, statt die Klappe zu halten und tat damit genau das, was Snape wollte.

„Deine Mutter scheint dir genauso wenig Manieren beigebracht zu haben, wie dein kleiner Freund. Wasch dir den Mund, Black. Ratzeputz!

Augenblicklich begann Sirius erst zu husten und dann zu würgen. Die Beleidigungen, die er dabei ausspie, verließen seinen Mund undeutlich und blubbernd. Remus konnte Sirius‘ Gesicht nicht sehen, doch die Seifenlauge, die seinen Kopf hinunter tropfte, sah er sehr wohl. Die Todesser außerhalb seines Blickfeldes sahen es auch und lachten.
 

Snape lachte nicht – aber Snape sah auch nicht so aus, als wäre er bereits fertig. Bis jetzt war er alten Schemata gefolgt – Abläufen, die er genauso gut kannte, wie Sirius und Remus es taten, und damit Abläufe, zu denen er bewusst griff, um sie zu verhöhnen. Ihnen die Medizin zu verabreichen, die sie ihm selbst jahrelang eingeimpft hatten. Remus hatte geahnt, dass er den Spieß irgendwann umdrehen würde, schon vor Jahren. Er wusste, dass er damals hätte einschreiten müssen. Auch wenn das bedeutet hätte, sich zwischen seine Freunde und einen Jungen zu stellen, der nicht mehr für ihn übrig hatte, als Beleidigungen unter der Gürtellinie. Doch Remus war nicht eingeschritten. Jetzt schluckte er, doch der bittere Geschmack in seinem Mund wich nicht und auch die Gewissheit blieb, dass Snape die ausgetretenen Pfade verlassen und weiter gehen würde, als es die Herumtreiber getan hatten.

Den Umschwung kündigte er mit einem Kopfschütteln an. „Seht ihn euch an. Lupin, du hättest ihn erziehen sollen, als du die Zeit dafür hattest. Jetzt liegt diese Aufgabe bei mir und ich bin nicht so nachsichtig, wie du. Diffindo!

Wie unter dem Angriff einer unsichtbaren Schere riss Sirius‘ Umhang und fiel ihm in Fetzen vom Körper. Ein zweiter Streich mit dem Zauberstab schickte den Pullover hinterher und entblößte seinen nackten Rücken. Remus konnte nicht einmal ahnen, was Snape plante. Sirius‘ geblubbertes „Der war neu, Schleimscheißer!“ schien den Todesser nur in seinem Tun zu bestärken. Unbewusst kniff Remus die Augen zusammen, ohne überhaupt zu realisieren, dass er es konnte.

Als Sirius schrie, riss Remus sie wieder auf. Er roch Blut und dann sah er den Schnitt, der auf Sirius‘ linkem Schulterblatt klaffte. Drei Zoll in der Länge zog er sich schräg über die Haut. Auch ohne ihn aus der Nähe sehen zu können, wusste Remus, dass er nicht tief genug war, um bedrohlich zu sein. Es beruhigte ihn kein Stück.

Snape jedoch schien nicht zufrieden.

„Wilkes!“, blaffte er, ohne seine Augen von dem sich windenden Sirius zu nehmen. „Steh nicht rum wie ein gaffender Erstklässler. Stell diesen Jammerlappen ruhig!“

„Jammerlappen? Wer ist denn hier der Jammerlappen?“, höhnte Sirius. Er schien immer noch Seife im Mund zu haben, doch das hielt ihn nicht mehr davon ab, in den alten Tonfall zurück zu fallen, der die früheren Begegnungen mit Severus Snape geprägt hatte.
 

Als Antwort ließ Snape seinen Zauberstab durch die Luft sausen. Sirius schrie auf, als seine Haut in einem zweiten Schnitt aufriss. Remus biss die Zähne aufeinander, als ihm der Geruch des Blutes in die Nase stieg, das gleich darauf hervorquoll – doch er schluckte den Wolf. Es war einfacher, als bei ihrer ersten Begegnung, der Vollmond lag länger zurück. Außerdem half es, sich auf das Muster der beiden Schnitte zu konzentrieren, die an ihren oberen Ende spitz zusammenliefen, sich schließlich berührten, ohne sich zu kreuzen. Den Zufall als Formgeber schloss Remus aus. In Snapes Vokabular kam das Wort ‚Zufall‘ nicht vor.

„Wilkes!“, blaffte Snape indes erneut. Eilige Schritte ertönten, als der Todesser in Bewegung kam. Seine drahtige Gestalt erschien in Remus‘ Blickfeld, als er an ihm vorbei eilte. Neben dem in der Luft hängenden Sirius blieb er stehen und richtete den Zauberstab auf diesen. Remus verstand die Beschwörung, die folgte, nicht, aber einen Moment später erlahmten Sirius‘ Arme. Sein Oberkörper wurde still. Nur sein Kopf bewegte sich noch, als er zu lachen begann.

„Snape, du bist ein Feigling. Nicht einmal das kriegst–!“

Das nächste Wort ging in einem Schrei unter. Ein dritter Schnitt zog sich blutig über seinen Rücken, senkrecht und links von den ersten beiden, die er nicht berührte. Sirius schrie nicht noch einmal, als drei weitere folgten. Stattdessen schimpfte er, sein blutender Rücken hielt ihn nicht auf. Die Worte, die er ausspie, klangen gepresst aber nichtsdestotrotz spöttisch. „Nicht einmal das kriegst du allein hin, du Niete.“

Remus jedoch riss die Augen auf. Er verstand – verstand, was Sirius nicht, noch nicht, begreifen konnte. Er erkannte das Muster und wusste, dass es Buchstaben waren. Snape schrieb sie auf dem Kopf, sodass man sie würde lesen können, wenn Sirius stand, doch Remus erkannte sie trotzdem deutlich. Ein V und ein E. Dann schnitt Snape unter Sirius halb gelachtem Schrei ein R.
 

Sirius keuchte beim nächsten Schnitt, doch er knickte nicht ein. Remus kannte dieses Verhalten. Es hatte viel mit der Art seines Freundes zu tun, wie er Entscheidungen fasste. Mittlerweile hatte sich sein Entschluss festgebissen und schüttelte sein Opfer gut durch, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Die Erkenntnis ließ Remus die Augen zusammenkneifen. Wenn Sirius nur den Mund halten würde... Doch er tat es nicht.

„Glaubst du wirklich, dass du mich damit beeindrucken kannst?“

„Ja.“

Remus warf seine ganze Willenskraft gegen den Zauber, der ihn hielt, als der nächste Schrei sein Gehör erbeben ließ, doch er brach nicht. Beim Übernächsten riss er die Augen wieder auf, um das S und das A zu sehen – doch Sirius verstand nicht. Wenn er doch nur-

„Hör auf!“

Sein Kiefer barst schier vor Schmerz, als er die Worte formte. Es war egal, genauso, wie das Lachen von Malfoy und Wilkes egal war und die skeptisch hochgezogene Braue von Snape. Malfoys Zauberstab presste sich zwischen seine Schulterblätter, doch auch das kümmerte ihn nicht.

„Warum sollte ich? Hat er je aufgehört, Lupin? Hat er das? Ich kann mich nicht daran erinnern.“

„Es gibt dir trotzdem nicht das Recht-“ ein G, begleitet von einem Schrei, der seine Worte übertönte. „Hör auf!“

„Schnauze, Moony“, antwortete Sirius statt seines Folterers. „Der kriegt mich nicht klein. Nicht mit ein paar jämmerlichen Schnitten.“

„Hörst du ihn? Er ist der selbstgerechte Idiot, der er schon immer war“, erwiderte Snape trocken. In einer schwungvollen Geste beugte er sich zu seinem Opfer hinunter und neigte sich so, dass Sirius ihn sehen konnte. „Aber das wird dir vergehen, Black. Du solltest auf deinen Freund hören. Er war schon immer der Intelligenteste von euch Dummköpfen, auch wenn das nicht viel heißt. Aber du – du bist hier der Versager. Und ich werde dafür sorgen, dass es jeder sehen kann. Für immer.“

„Fick dich.“

„Hör auf! Snape! Bitte-“

Doch Snape hörte nicht auf. Mit zufriedener Miene richtete er sich auf und schnitt die letzten beiden Buchstaben. Remus schloss die Augen. Die Schreie allein waren mehr, als er verkraften konnte. Die Hilflosigkeit überwältigte ihn, genauso wie das Lachen um ihn herum. Sirius mochte nicht verstehen, was Snape da tat – doch er verstand es, viel zu gut. Er spürte seine Wangen brennen, genauso wie seine Muskeln, die den Kampf gegen den Erstarrungszauber nicht gewannen.

„Nette Arbeit, Severus“, lobte Malfoy über Remus‘ Scham, über seine Angst und seinen Hass hinweg. „Aber ich glaube nicht, dass sie uns unserem Ziel näher bringt.“

„Wir könnten es ihm auf die Stirn schreiben. Vielleicht kapiert Black es dann. Wenn wir ihm einen Spiegel bringen.“

„Dazu müsste er lesen können, Wilkes.“

Snapes Stimme war so selbstgefällig, wie seine Miene, als Remus die Augen wieder öffnete. „Aber es wäre natürlich einen Versuch wert.“

In dem Moment schien auch Sirius endlich zu begreifen. „Was- Remus?“

Er klang alarmiert, doch Remus wusste nicht, wie er ihm helfen sollte. Ihm war klar, wie er das beenden konnte, vielleicht, aber eine Hilfe würde es nicht sein. Sie wollten das Amulett – Malfoy wollte es. Wenn er es ihm gab, würde er dieses Schmierentheater vielleicht beenden. Doch was war mit Snape? Und mit Wilkes, aber was war mit Snape? Der würde weiter machen. Er hörte es in seiner Stimme. Er sah es in seinen Augen. Vielleicht hatte ihm das diese Bella beigebracht, vielleicht war es der Hass, der ihn trieb. Nein, Snape würde nicht aufhören.

Aber er musste aufhören. Wenn er ihn nur dazu bewegen konnte...

Verzweifelt suchte er den Blick des Anderen.

„Severus“, krächzte er. „Ich weiß, es war nicht richtig, was … geschehen ist. Aber macht es das hier besser? Hör auf. Bitte. Hör auf.“

„Ja, Severus. Hör doch auf“, ertönte eine fröhliche Stimme. Sie hallte im Raum wieder, schlug um sie und ergriff von der Atmosphäre Besitz, als gehöre sie ihr. Remus konnte die Frau, die sprach, nicht sehen, doch ihre Stimme ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Severus selbstgefälliges Grinsen erstarrte auf seinem Gesicht zu einer grotesken Maske. Gleichzeitig verlor sich der Druck des Zauberstabs in seinem Rücken.

Ausladende Schritte auf hohen Absätzen hallten von den Wänden des Raumes wieder, als die Frau näher trat. Er sah sie zuerst nur im Augenwinkel. sie wehte in einem Wind, den sie kontrollierte und mit ihr flatterte ihr Kleid ebenso wie ihr langes Haar. Lohe. Für einen Moment war sie Lohe – wie Lohe – doch als sie näher trat, manifestierte sich ihre Gestalt. Ihr Haar wurde heller, weiß wie ihre Haut und ihm wurde bewusst, dass es nicht Lohe sein konnte – denn es war Khione. Die Göttin des Schnees.
 

Expelliarmus!

Der Zauber donnerte aus zwei Kehlen. Snapes Zauberstab segelte in hohem Bogen davon, als Wilkes seinen eigenen auf den schmächtigen Todesser richtete. Hinter sich hörte er Malfoy fluchen.

„Auroren haben einen Ersatzzauberstab im Stiefel, ihr Idioten!“, brüllte Fenwick. „Finite Incantatem!

Sirius schlug dumpf auf den eisweißen Bodenplatten auf. Im gleichen Moment bemerkte Remus, dass er sich wieder bewegen konnte. Ohne darüber nachzudenken stürzte er vor, überbrückte die wenigen Yards Distanz. Seine Geschwindigkeit reichte, um Snape von den Füßen zu reißen. Sie knallten auf den Flur. Noch halb im Sturz registrierte Remus die vier Zauberstäbe in Snapes Gürtel – und Snape registrierte sie auch. Er griff danach, doch Remus bekam sein Handgelenk zu fassen und riss es hoch. Klappernd verstreuten sich die Stäbe über den Boden. Ohne zu zögern sprang er ihnen hinter her.

Fest schlossen sich seine Finger um seinen Stab. Nachdem er mit Malfoys Zauberstab gehext hatte, fühlte es sich unglaublich richtig an, das vertraute Holz unter seinen Fingern zu spüren. In seinem Augenwinkel sah er, wie Snape ebenfalls nach einem der Stäbe griff. Er wartete nicht darauf, dass der Todesser Zeit dazu hatte, sich so weit aufzurichten, dass er hexen konnte – er riss den Zauberstab hoch. Die Beschwörung ging ihm leicht von der Hand, mit dem gewohnten Gewicht und dem warmen, angenehm abgenutzten Griff.

Stupor!

Snape war schneller als erwartet. Ihre Zauber trafen sich zwischen ihnen, doch mit einem fremden Stab gesprochen hatte Snapes Fluch keine Chance. Remus‘ Stupor warf ihn nach hinten. Noch während sein Gegner fiel, erinnerte er sich an die anderen Todesser und wirbelte herum. Malfoys reglos am Boden liegende Gestalt, die ihm seine Glatze zuwandte, sah er als erstes. Dann fiel sein Blick auf Wilkes, der seinen Zauberstab auf Malfoy gerichtet hatte. Irgendetwas war daran seltsam – und das lag nicht nur daran, dass er sich nicht regte.
 

Fenwick bewegte sich auch nicht. Den Zauberstab noch immer auf einen Gegner gerichtet, der längst nicht mehr stand, starrte er ins Leere wie eine Statue – wie Søren. Remus verstand zu spät. Kälte legte sich auf seine Arme und auf sein Gesicht, kroch unter seine Kleidung und unter seine Haut. Erschrocken gelang es ihm noch, den Zauberstab um wenige Zoll zu heben, dann erstarrte er ganz. Er spürte seine Finger, seine Füße, seinen Körper, doch er konnte sich nicht rühren. Nicht einmal die Augen gehorchten ihm. Es war keine Ganzkörperklammer und es war auch kein Erstarrungszauber. Dafür war ihm zu kalt.

Lohes Gesicht erschien vor ihm, ohne wirklich das von Lohe zu sein. Das Haar der Frau war heller, weiß, und ihr zeitloses Gesicht genauso blass wie Schnee. Ihre Lippen funkelten blau, als sie ihn anlächelte.

„Es freut mich auch, dich kennen zu lernen, Remus Lupin. Danke für das Schauspiel, aber ich verliere die Lust.“

Behutsam strich sie über seine Wange. Ihre Berührung war kalt.

„Lass ihn gehen!“, ertönte Sirius Stimme von irgendwo. Er konnte ihn nicht sehen, doch es tat gut, ihn zu hören. Ihn hatte sie nicht erwischt – noch nicht. Noch bestand–

Stupor!“, gellte Malfoys Stimme durch den Saal.

Ein dumpfer Aufschlag kündete davon, dass der Mistkerl traf, Sirius‘ Schweigen davon, dass der Zauber effektiv gewesen war.

Khione schüttelte bedauernd den Kopf.

„Lucius mein Bester, du bist immer so rabiat.“

„Er nervt mich“, gab Lucius finster zurück. Seine Schritte hallten durch den Saal. Für einen Moment verstummte er, vermutlich, um sich um Snape zu kümmern, den Remus kurz darauf stöhnen hörte. Dann erklangen Malfoys Schritte erneut. In Remus‘ Augenwinkel blieb er stehen und verschränkte die Arme vor der Brust, während er ihn musterte. Was auch immer Fenwick und Wilkes mit ihm angestellt hatten, es musste weh getan haben. Remus sah das Blut, das sein Kinn hinunter lief, auch wenn er es kaum roch.

„Was ist mit dem Artefakt?“, fragte Malfoy schließlich. „Ich dachte–“

„Du kannst viel denken, Lucius“, gab Khione zurück, ohne sich von Remus‘ Gesicht abzuwenden. Sie lächelte dünn, so, als hätte sie etwas verstanden, was Malfoy verborgen blieb. Beinahe wirkte sie auf Remus, als würde sie nicht zu Malfoy sprechen, sondern zu ihm. „Aber ich denke, dass das Artefakt so sicherer ist. Niemand wird es ihm abnehmen können und er selbst kann es nicht tun. Er wird mich schützen, ohne es zu wollen.“

Malfoys Stimme klang nicht sehr begeistert, als er antwortete. „Ich verstehe.“

„Natürlich verstehst du. Ich kann das Artefakt des Notos‘ nicht nutzen, so wie ich das Artefakt meines Vaters nutzen kann. Es nützt nur meinen Feinden – und jenen, die darüber nachdenken, es zu werden.“

„Ich denke nicht, dass jemand–“ Malfoy machte einen Schritt zurück und trat aus seinem Blickfeld. Er verstummte jäh.

Khione aber lächelte Remus an und strich ihm erneut über die Wange.

„Es ist mir egal, was du denkst, Lucius“, flüsterte sie. Mit einem Seufzen wandte sie sich ab. Ihr weißer Mantel peitschte ihr um die Beine, als sie davon schritt. „Severus, bring diesen Black in meinen Saal. Er hat ein hübsches Gesicht.“

Zwischen den Zeiten

Er saß in James‘ Wohnzimmer in Godrics Hollow und lachte. Sirius lachte ebenfalls und Remus störte sich nicht daran, als sein Freund sich gegen seine Schulter lehnte um über ihn hinweg nach der Schale auf dem Beistelltisch, den Lily wohlweißlich neben das Sofa gestellt hatte, zu greifen. Sich einen Apfel angelnd zog er den Arm zurück, ohne seinen Kopf von seiner Schulter zu nehmen. Als Sirius in den Apfel biss, spritzte dessen Saft bis zu ihm, doch er wischte ihn schlicht beiseite.

„Und wisst ihr, was er dann gesagt hat?“, fragte Peter und räkelte sich wohlig im Sessel ihnen gegenüber. „Gar nichts hat er gesagt! Ist weiß geworden wie eine Aurae und umgekippt.“

James und Sirius brüllten.

„Dein Bruder ist ein Idiot, Sirius“, japste der eine.

Sirius nickte gegen Remus‘ Schulter. „Das ist das einzige, wozu er gut ist.“

Lily lachte nicht. Auf James‘ Schoß sitzend und den Kopf gegen seine Schulter gelehnt lächelte sie zwar auch, dennoch klang sie ernst, als sie die Stimme erhob. „Du solltest so etwas nicht über deine Familie sagen.“

„Lils“, murmelte James und zog sie dichter an sich. Er flüsterte etwas, doch es war zu leise für Remus, um es zu hören. Sirius indes hob den Kopf.

„Er ist nicht meine Familie. Das seid ihr.“

Das Kompliment ließ Remus lächeln. Es waren wahre Worte. Seitdem Sirius den Blacks den Rücken zugekehrt hatte, waren sie seine Familie. James‘ Eltern, James selbst, Peter und seit neuestem Lily. Für Remus galt das gleiche. Er liebte seine Eltern, doch die anderen waren seine Geschwister. Ohne sie fühlte er sich verloren.

James lachte erneut und Lily senkte lächelnd den Kopf.

Nur Peter lächelte nicht. Remus war der einzige, der es zu bemerken schien. Skeptisch suchte er den Blick des anderen, doch der fixierte einen Punkt etwas zu weit rechts von seinem Kopf.

„Das sind wir“, antwortete er. „Deshalb solltet ihr hier sein.“

Remus hob irritiert die Augenbrauen. Aber er war doch hier. Peters Worte ergaben keinen Sinn, da war er sich sicher. Dennoch ballte sich eine grollende Übelkeit in seinem Magen zusammen, begleitet von einem unbestimmten Gefühl, das er nicht zuzuordnen vermochte – etwas war falsch. Furchtbar falsch.

„Wie meinst du das?“, fragte er.

Doch Peter zuckte nur mit den Achseln. „Sag du es mir.“
 


 

„Ach komm schon. Es ist nur ein Photo“, maulte Sirius und ließ den Apparat sinken.

Als Antwort seufzte Remus finster. „Dann nimm die Hand dort weg.“

‚Die Hand‘ war die freie Hand, die nicht damit beschäftigt war, einen Photoapparat zu halten. Bei dem ‚dort‘ handelte es sich hingegen um einen Punkt knapp oberhalb von Remus‘ Hosenbund, an dem Sirius seine Hand unter seinen Pullover und das Unterhemd geschoben hatte.

„Ich will aber nicht.“

„Sirius.“

Sirius seufzte und ließ seinen Kopf gegen Remus‘ Schulter sinken. „Du bist so prüde, Moony. Dabei frierst du schon. Und irgendwer muss dich doch wärmen.“
 

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, murmelte er, während er James dabei beobachtete, wie er um eine die Ecke eines der unzähligen Hogwartskorridore spähte. Sie waren im Erdgeschoss, dicht bei den Küchen und noch dichter bei einem Geheimgang, von dem sie wussten, dass diverse Slytherins ihn nutzten.

Sirius schob sich neugierig an ihm vorbei. „Es ist nur Snivellus. Was soll der schon tun?“

Remus fiel eine ganze Reihe von Dingen ein, die Severus Snape möglicherweise tun wollte. Vermutlich nicht jetzt – aber früher oder später. Es hieß, er hätte schon in seinem ersten Jahr mehr Flüche beherrscht als diverse Schüler der oberen Klassen. Das war jetzt Jahre her und seine Hauskameraden waren sicher eifrige Lehrer gewesen. Und das, was er nicht von anderen Slytherins gelernt hatte, hatten ihm möglicherweise sie selbst, die Herumtreiber, eingetrichtert. Unterbewusst. Remus wäre ein Narr, würde er nicht damit rechnen, dass Snape den Spieß irgendwann umdrehen würde.

All das wollte er sagen, doch Sirius‘ vor Spannung bebende Schultern hielten ihn davon ab. Seufzend ließ er den Kopf hängen und blickte zum Vierten in der Runde. Peter stand einige Meter von ihnen entfernt und beobachtete den Gang zwischen Hufflepuffgemeinschaftsraum und Küche mit sorgfältigem Interesse. Als der Junge seinen Blick bemerkte, drehte er ihm den Kopf zu. Remus sah, wie er irritiert die Augenbrauen zusammenzog und die Stirn runzelte. Doch dann zuckte er bedeutsam mit den Achseln und grinste aufmunternd. Um sein Grinsen zu unterstreichen, hob er die Faust und streckte den Daumen ab. Daumen hoch. Das wird schon, Moony.

Remus lächelte zurück.

„Da kommt er“, flüsterte James neben ihm und dann war ohnehin alles zu spät …
 

Die flackernden Kerzen, das Funkeln der Sterne und der fast volle Mond über ihm, die Lehrer vorn am Lehrertisch und die Gesichter von hunderten von Schülern, die sich alle auf ihn zu richten schienen, machten Remus nervös. All das Tuscheln lief seinen Rücken hinauf, wie eine Horde von Ameisen. Remus konnte nicht hören, was sie sagten, doch es spornte seine Phantasie dazu an, sich diese Dinge auszudenken. Die Aufmerksamkeit der Schüler und Lehrer allerdings war nichts im Vergleich zu diesem Hut, der noch vor kurzem gesungen hatte und jetzt Hausnamen rief, als sei es das Leichteste der Welt.

Eine Hand legte sich auf seinen Arm. Als er zu dem Jungen neben sich sah, lächelte dieser. Er war ein paar Zentimeter kleiner als Remus selbst, doch viel kleiner konnte er nicht sein, denn Remus selbst war noch nie sehr groß gewesen. Ohnehin fühlte er sich in diesem Moment, als sei er der kleinste Schüler des Jahrgangs. Das blonde Haar des Jungen schimmerte im Licht genauso wie sein Grinsen.

Remus lächelte zurück, doch er konnte die Nervosität nicht abschütteln. Wenn der Junge, Peter, wie er sich während der Zugfahrt vorgestellt hatte, nur wüsste. Wenn sie alle nur wüssten. Und was, wenn der Hut es wusste?

„Remus Lupin!“, rief die Professorin vor dem Lehrertisch seinen Namen. Er zuckte zusammen.

„Du schaffst das“, hörte er Peter noch sagen, als er aus der Reihe der wartenden Erstklässler stolperte. Das Getuschel um ihn herum wurde leiser, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Der Weg zum Lehrertisch war viel zu lang und er brauchte all seine Konzentration, um nicht aus Versehen zu fallen oder etwas anderes furchtbar peinliches zu tun.

Vor dem Lehrertisch blieb Remus stehen und sah unsicher zu Professor Baldwin, der Lehrerin, die die Zeremonie durchführte. Die Professorin erschien im Kerzenlicht so alt, dass Remus sich keine andere Frau vorstellen konnte, die so alt war, wie sie. Sie hatte ein strenges Gesicht und ihre Falten waren keine Lachfalten. Ihr schwarzer Umhang und ihr schwarzer Hut wirkten, als ginge sie auf eine Beerdigung und nicht auf eine Schulanfangsfeier. Dennoch schenkte sie ihm ein aufmunterndes Lächeln und nickte knapp zu dem Hut.

Skeptisch folgte er diesem Nicken mit dem Blick und musterte den Hut. Noch skeptischer nahm Remus ihn vom Stuhl. Umsichtig setzte er sich eben diesen und zog den Hut auf seinen Kopf. Augenblicklich rutschte er ihm über die Augen.

„Angst, hum?“, piepste eine Stimme in seinem Kopf und ließ ihn zusammenzucken.

„Ja“, gab er leise zurück. Gryffindor würde es also nicht werden.

„Du hast einen klugen Kopf, mein Junge, und den Willen, zu lernen“, fuhr die Stimme fort, ohne auf seine Antwort zu reagieren. „Aber ich glaube, ich weiß, wohin ich dich stecke.“

„Wirklich?“

„Du solltest die Antwort auf diese Frage kennen, Remus Lupin. Du hast Angst – Angst vor den Schülern und vor den Lehrern. Angst vor diesem Ort. Ja sogar vor mir! Und ein Teil deiner Angst ist berechtigt, auch wenn ich noch nie einem Schüler ein Leid zugefügt habe. Bis auf diesen Henry vor vier Jahrhunderten vielleicht – aber es geht hier um dich. Du hast Angst – und trotzdem bist du nicht davongelaufen, sondern sitzt hier und hast mich auf dem Kopf.“

„Also-“

„Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, Junge. Mut ist der Sieg über Angst.“

„Mister Hut-“

„GRYFFINDOR!“

Die Stimme des Hutes dröhnte nicht in seinen Ohren, doch er wusste, dass er dieses Wort in den Raum gerufen hatte. Er erstarrte als er verstand, was das bedeutete. Auf der anderen Seite des Hutes wurde das Klatschen der Schüler zu einem Tuscheln.

„Geh schon, Junge“, murmelte der Hut schließlich. „Bei dem, was vor dir liegt, wirst du dieses Haus brauchen.“

Remus fragte nicht, was der Hut damit meinte. Die Aussage machte ihm nur noch mehr Angst. Eilig sprang er auf und setzte den Hut zurück auf den Stuhl. Ein paar Schüler am Gryffindortisch begannen skeptisch zu klatschen, doch dann fielen die anderen in den Applaus mit ein. Remus lief zu ihnen. Erst, als er begriff, dass er gar nicht wusste, wohin er sich setzen sollte, stockte er.

Doch da begann einer der Jungen, die er im Zug gesehen hatte, zu winken und klopfte neben sich auf die Bank. Remus gab sich einen Ruck und trat näher – wie falsch konnte das schon sein?

„Hallo Remus!“, grüßte der schwarzhaarige Junge mit einer Singsang-Stimme und zog ihn halb in einen Schwitzkasten, bevor er sich überhaupt setzen konnte. „Setz dich, setz dich. Und jetzt sag mir mal, was du da oben noch mit dem Hut getrieben hast. Das da ist übrigens Lily Sprich-mich-nicht-an Evans. Oh, und ich bin Sirius, Sirius Black. Aber es ist der Vorname, den du dir merken solltest.“
 

Als seine Mutter ging, wusste er, dass sie weinen würde, sobald die Krankenzimmertür hinter ihr zuschlug. Remus wusste auch, dass sie geweint haben musste, bevor sie gekommen war. Sein Vater weinte nicht, zumindest glaubte er das, obwohl auch seinem Vater sicher zum Weinen zumute war.

Sie sagten ihm nicht, warum sie das taten – aber Remus war ja nicht dumm. Er wusste, dass das nicht einfach nur damit zu tun hatte, dass dieser Hund ihn gebissen hatte und er jetzt im Krankenhaus lag, mit einem dicken Verband um den Arm. Er hörte die Krankenschwestern tuscheln, wenn sie dachten, dass er schlief. Und auch die Heiler waren viel zu vorsichtig, wenn sie mit ihm sprachen. So, als wüssten sie etwas, das er nicht wissen durfte, aber wissen musste. Außerdem war er der Einzige, der in diesem Krankensaal lag, dabei hatte der acht Betten und das Krankenhaus bestimmt genug Kranke.

Nein, Remus war nicht dumm.

Als die Tür hinter seiner Mutter zuging, setzte er sich vorsichtig auf und starrte auf seinen Arm mit dem dicken Verband. Unter dem Stoff pochte die Wunde und er fragte sich, was das bedeutete. Noch viel mehr aber fragte er sich, ob er deswegen auch weinen sollte.
 

Wasser klatschte gegen seine Knöchel und durchnässte seine Hosen, doch wenn das Wasser kalt war, spürte er es nicht. Für einen langen Moment starrte er auf das Eis, das nur um ihn herum geschmolzen war. Vor ihm aber erstreckte es sich intakt bis zur Hügelkette am anderen Ende des Sees. Über ihm warf eine Aurora Borealis ihr rotes Licht auf den nächtlichen See.

„Wolf“, grollte eine körperlose Stimme durch die Nacht. „Du weißt, was geschieht.“

Das Wasser zitterte bei jedem Wort. Abwesend blickte Remus hinab. Ja, wurde ihm klar, er wusste, was geschah.

„Ich sterbe“, antwortete er leise. Seine Antwort hätte ihm Angst machen sollen, doch das tat sie nicht. Er horchte in sich hinein, doch er spürte nichts. Die Wahrheit würde er ohnehin nicht abwenden können. Es erschien ihm so sinnlos, über diesen Fakt etwas zu fühlen.

Stille dröhnte über den See und ließ ihn zittern. Plötzlich war ihm kalt. Viel zu kalt.

„Noch bist du nicht tot, Wolf. Wenn du dich retten willst, musst du aufwachen.“

„Aber wie?“, fragte er und schlang die Arme um die Brust. Er konnte sich nicht daran erinnern, was geschehen war – doch ihm war klar, dass es etwas Furchtbares gewesen sein musste. Furchtbar genug, um ihn zu verunsichern, ihn daran zweifeln zu lassen, ob er sich selbst retten wollte.

„Du hast alles, was du brauchst. Folge dem Artefakt.“

Das Artefakt. Natürlich. Plötzlich erinnerte er sich, an Eis und Schnee, an den Sturm, an die Expedition, an Sørens erstarrte Gestalt. Seine Hand glitt hinauf zu seinem Hals. Unter seinen Fingern spürte er das Amulett. Es pulsierte warm – das einzige Warme in dieser Welt.

„Wach auf, Wolf. Ich erwarte dich.“

Irgendwann

Hitze brannte sich durch die Haut um seinen Hals. Remus sah nichts als Weiß. Gleißendes, brodelndes Weiß. Sein Körper gehorchte ihm nicht. Er spürte ihn nicht einmal, dabei wusste er, dass seine Schulter weh tun sollte – und diverse andere Stellen seines Körpers auch. Doch das einzige, was er spürte, war diese glühende Hitze. Sie brannte wie ein Ring um seinen Hals und kroch von dort über seine Haut. Sie war unerträglich, doch er konnte nichts tun, sich nicht rühren, nicht schreien. Panik kroch in ihm hoch, überschwemmte seine Gedanken mit Angst und Erinnerungen. Der Sturm. Malfoy. Der Cruciatus. Snape. Blut. Sirius nackter Rücken, die roten Schnitte in der blassen Haut. Hilflosigkeit folgte. Absolute, unnachgiebige Hilflosigkeit. Sein Gesicht kochte vor Hitze. Seine Arme, seine Hände, seine Beine – sein gesamter Körper brannte. Jede Faser seines Körpers schien wie in Flammen. Es war nicht schlimmer, als der Cruciatus – weil es bei dieser Art von ‚schlimm‘ keine Abstufungen mehr gab.
 

Dann war es abrupt vorbei. Kraftlos sackte er in die Knie, kippte zur Seite und blieb liegen, wo er aufschlug. Er bekam nicht genug Luft. Japsend sah er den dunklen Punkten zu, die vor seinen Augen tanzten. Er fühlte sich warm an, immer noch heiß. Nur das Amulett um seinen Hals war kalt. Mit einem abstrusen Gedanken fragte er sich, warum der Boden unter ihm nicht schmolz, er fühlte sich so heiß! Das Lachen, dass sich über seine Lippen quälte, war nicht mehr, als ein heiseres Krächzen. Tränen brannten in seinen Augen.

Nur langsam dämmerte ihm die Erkenntnis, dass er nicht liegen bleiben konnte. Vielleicht war er allein, aber das würde sich früher oder später ändern, wenn er liegen blieb. Er wusste nur nicht, wie er sich bewegen sollte. Vorsichtig versuchte er, die Finger zu strecken, ohne wirklich mit einer Bewegung zu rechnen.

Als es dennoch klappte, lachte er erneut und zog die Finger zusammen, nur um sie wieder auszustrecken.
 

Aufstehen war dagegen unglaublich schwierig. Seine Muskeln glühten und doch fühlten sie sich an, als hätte er sie seit langem nicht mehr benutzt. Vielleicht hatte Remus das auch nicht. Er konnte sich daran erinnern, dass Khione ihn in eine ihrer Eisskulpturen verwandelt hatte – aber wie lange er eine gewesen war, konnte er nicht einschätzen. Vielleicht waren es nur Minuten. Vielleicht waren es Jahre.

Er glaubte nicht daran, dass man ihm den Zauberstab gelassen hatte, nachdem Khione ihn verzaubert hatte, doch er irrte sich. Seine Hand fand ihn von selbst, als er sich auf die Knie stemmte. Vorsichtig griff er nach dem Holz und schloss die Finger darum. Den Stab an sich zu nehmen, war wie ein heiliger Akt. Es fühlte sich richtig an und schenkte ihm Sicherheit. Sich in den Stand zu wuchten, fiel mit dem Zauberstab in der Hand leichter.

Einen Moment später begann seine Wahrnehmung damit, seine Umgebung zu erfassen – und ihm blieb die Erleichterung im Halse stecken. Sein Blick fiel auf Fenwick, den Zauberstab hoch erhoben und ins Leere starrend – bereit für ein Duell, das längst entschieden war. Fenwicks Anblick erinnerte ihn an Søren, der noch immer dort kauerte, wo Remus ihn zuletzt gesehen hatte. Malfoys Gestalt, hochgewachsen, die Arme vor der Brust verschränkt und die Glatze glänzend im Licht des Eissaales, bereicherte das Bild auf eine unangenehme Art und Weise. Mit pochendem Herzen erwartete er, auch Sirius zu sehen, doch Remus fand nicht mehr als einen rosafarbenen Fleck, dort, wo er nach Snapes Folter aufgeschlagen sein musste. Übelkeit stieg seinen Hals empor.

Bring diesen Black in meinen Saal. Er hat ein hübsches Gesicht.

Khiones Worte. Sirius war fort, realisierte er und er realisierte noch etwas: Er musste ihn finden. Den Zauberstab fest umklammert machte Remus einen ersten, schwerfälligen Schritt. Beim zweiten erkannte er zwei Dinge. Erstens wusste er nicht, wo Sirius – oder auch nur Khiones Saal – sich befand. Und zweitens hatte er einen Auftrag.

Angesichts dieser Grundlage sah Remus nur einen möglichen Weg. Er konnte nicht mit Bestimmung sagen, warum er diesem einen Traum glaubte, warum er sich überhaupt noch daran erinnerte, dennoch war ihm klar, dass er von Bedeutung war. Er konnte nur hoffen, dass es keine Falle war, denn ihm blieb keine andere Wahl. Die Stimme hatte gesagt, er solle dem Artefakt folgen – und er wusste, wie das gemeint war. Er erinnerte sich an Fenwick, eine Millarde Meilen und Jahre entfernt, wie er in Sørens Küche das Gegenstück zu seinem eigenen Artefakt hervorgeholt hatte. Ein Kompass. Fenwicks Amulett war ein Kompass gewesen. Und auch wenn Remus‘ Artefakt damals nicht auf ähnliche Weise funktioniert hatte, ahnte er, dass es das jetzt tun würde.

Vorsichtig griff Remus mit der linken Hand nach dem Amulett. Die Bewegung war schwerfällig und tat weh, doch das hielt ihn nicht ab. Unter seinen Fingern fühlte sich das Metall, als er nach der Kette griff und sie über seinen Kopf zog. Kaum hielt er die Kette wie ein Pendel in der Hand, umwehte Remus ein sanfter Wind. Er kribbelte auf seiner Hand und für einen Augenblick glaubte er Finger zu sehen, die sich über die seinen legten. Dann begann die Kette auszuschlagen.

Er warf einen letzten Blick auf Fenwick und Søren und versprach den beiden stumm, wiederzukommen. Irgendwie. Dann schlang er die Kette einmal um sein Handgelenk und über den Zeigefinger, um sie nicht einfach verlieren zu können, und hob die Hand an. Er konnte wirklich nur hoffen, dass es sich nicht um eine Falle handelte.
 

Das Schloss war ein Labyrinth.

Sein Orientierungssinn war nicht der schlechteste. Remus war immer der Herumtreiber gewesen, der sich am sichersten zurechtfand. Die Karte des Rumtreibers war zu großen Teilen auf seinem Mist gewachsen. Sirius und James mochten die Zauber und einige der abstruseren Vorschläge beigesteuert haben und Peter die Ideen, doch Remus hatte sie gezeichnet.

In diesem Schloss jedoch war er verloren. Bereits nach wenigen Verzweigungen verlor er den Überblick darüber, woher er gekommen war. Wohin er auch ging – Säle, Flure, Treppen, alles war weiß. Es schien keine direkten Lichtquellen zu geben, Schatten verwischten zu undeutlichen Schlieren auf dem Boden. Fenster fand er keine. Dafür traf Remus immer wieder auf Statuen. Viele davon waren eisig blau, einige farbig, die meisten lagen irgendwo dazwischen. Wann immer er auf eine traf, vermied Remus es, sich selbst anzusehen. Er wusste, dass er auch so ausgesehen hatte – und die Angst, erneut so auszusehen, wurde er nicht los.

Es gab nur eine Sache, bei der sich sein Orientierungssinn sicher war: Das Artefakt führte ihn immer tiefer ins Innere. Er stieg breite, weiße Treppen hinab und rutschte enge Gänge entlang, doch die Richtung war klar. Remus fühlte es. Auch wenn er keiner Menschenseele – und auch sonst niemandem – begegnete, spürte er, dass er einer Begegnung entgegensteuerte. Einer Begegnung, die ihm nicht gefallen würde, aber der er ins Auge sehen musste.

Genauso wie dem Zauberstab, der sich ihm plötzlich entgegenstreckte, als er um die nächste Ecke bog. Der bullige Evan Rosier war so verblüfft, wie er selbst – und das war sein Glück.

Sein Schutzzauber war bereit, als Rosiers Zauber dagegen prallte. Rote Funken sprühten, als der Zauber reflektiert wurde und in die Decke des Ganges krachte. Remus wartete nicht auf den nächsten Zauber. Eilig ließ er sich zurückfallen und zog sich hinter die Wand des einkreuzenden Ganges zurück. Ein Fluch schmetterte ein gutes Stück aus dem Eis über ihm.

„Du solltest tot sein!“, fauchte Rosier seinem Zauber hinterher.

Remus antwortete nicht, sondern begegnete Rosiers Worten mit einem eigenen Fluch. Rosier blockte den Zauber.

Stupor!

Expelliarmus!

Sein Zauber traf nicht mehr, als die Wand hinter dem Todesser. Rosier hatte mehr Glück. Remus spürte, wie sein Zauberstab ihm entglitt. Er konnte nicht mehr tun, als ihm hinterher zu sehen, wie er außer Reichweite segelte. Er fluchte leise und trat einen Schritt zurück. Rosier hexte nicht noch einmal nach ihm, doch er hatte nicht vor, sich ihm deswegen als Zielscheibe zu präsentieren, indem er sich zu ihm umdrehte. Stattdessen drückte er sich tiefer in den Schutz der Wand und umklammerte das Amulett in seiner Linken.

Schritte hallten aus dem Nachbargang.

„Komm da raus, Lupin. Dein Ausflug ist vorbei“, übertönte Rosiers Stimme seine Schritte, doch Remus hörte das Zittern darin. „Gib mir dieses Amulett.“

Das hatte er nicht vor. „Ich dachte, du wärst getürmt, Evan?“

„Ihr habt mir die Tour vermasselt! Danke dafür!“

Remus schnaubte. Dafür, dass Khiones Sturmgeister ihn erwischt hatten, konnte er reichlich wenig. Den Schuh würde er sich nicht anziehen. „Und deshalb spielst du jetzt den artigen Wachhund.“

„Mit Hunden kennst du dich ja aus, Lupus.“

„Wenigstens etwas“, gab er zurück, auch wenn die Nachricht ankam. Lucius hatte ihn nicht nur seines Nachnamens wegen mit diesem Spitznamen belegt. Sollte er Rosier überstehen – Snape sollte ihm besser nicht begegnen. „Damit kann ich mich mit mehr brüsten, als du. Feigling.“

Der Nerv traf.

„Du hast doch keine Ahnung! Sie ist furchtbar!“

Rosier blieb gerade außerhalb seines Blickfeldes stehen. Remus sah nicht mehr, als die Spitze seines Zauberstabs, aber das genügte, um zu wissen, dass Rosier zitterte. Er schloss die Augen und kalkulierte seine Chancen. Er kannte Rosier noch aus der Schulzeit. Seine Freunde hatten genug Konfrontationen mit ihm und seiner Clique provoziert, um zu wissen, dass Rosier ein Zauberer fürs Grobe war. Seine Zauber hatten Durchschlagskraft, aber die Feinarbeit überließ er anderen. Die Duellanten in seinem Freundeskreis waren Snape und Avery, nicht er selbst. Es war möglicherweise Remus‘ einzige Chance. Er spannte die Muskeln an und sprang.

Rosier wartete auf ihn. „Sectumsempra!

Der Zauber verfehlte seinen Torso um höchstens einen Zoll. Stattdessen traf er seinen linken Oberarm. Er roch die Blutung augenblicklich und fühlte den Schmerz einen Moment später. Dann krachte er in Rosier. Ihre Blicke trafen sich. Rosiers überlegene Körperkraft gewann. Remus spürte Rosiers Arm gegen seine Brust hämmern, dann segelte er schreiend durch die Luft. Eine Eiswand stoppte seinen Flug. Mit dem Rücken knallte er gegen die Mauer. Vermutlich konnte er froh sein, dass es nur das war. Keuchend kippte er nach vorne – und fand seine Berechnung bestätigt. Seine Finger schlossen sich um seinen Zauberstab, noch während er sich flach auf den Boden fallen ließ. Ein Lichtblitz, der nur wenige Zoll über ihn hinweg sauste, schlug ein Loch in die Wand hinter ihm. Er ließ Rosier nicht die Zeit, besser Ziel zu nehmen. Er rollte sich zur Seite und in eine kniende Position. Dann hexte er selbst.

Sein Stupor verfehlte sein Ziel.

Rosier schrie dennoch. Irritiert blickte er auf – dann spürte er es auch. Er warf sich auf den Boden, Amulett und Zauberstab fest umklammert. Eine Böe fegte über ihn hinweg.

„Nein!“, drang Rosiers Stimme durch den Sturm. „Verschwindet!“

Die Anemoi Thuellai verschwanden nicht.

Remus wusste, was die Windmonstren spürten, was sie wollten. Und er wusste auch, dass er sich davon nicht mehr einschüchtern lassen würde. Vorsichtig blickte er auf und starrte in den Wind. Der Schnee fehlte, doch er sah die Strömungen deutlich. Leuchtende Spuren wirbelten über ihm durch die Luft, rissen an ihm, an Rosier, so, als wäre Lohe wieder da – und würde sich in atemberaubendem Tempo um sich selbst drehen. Ohne den Schnee sah er auch die Augen des Sturms – und die Geister darin. Er wartete nicht darauf, dass der, der ihm am nächsten war, ihn erreichte. Er umklammerte seinen Zauberstab. Die Beschwörung des Patronus war zu komplex, um sie auf dem Boden liegend auszuführen, doch er kannte mehr als nur diesen Zauber.

Impedimenta!“, rief er.

Es wirkte. Der Anemoi Thuellai erstarrte nicht, doch sein Wind ließ nach. Genug für Remus, um sich aufzurichten.

Expecto Patronum!

Der Patronus war nicht mehr, als ein silbriger Schemen, aber er traf. Der Anemoi Thuellai heulte vor Schmerz, als die Energien aufeinander trafen. Der Wind frischte auf, doch Remus vollführte bereits die nächsten Bewegungen.

Incendio!

Seine Vermutung bestätigte sich – Anemoi Thuellai konnten brennen. Die Luft um sie herum nur leider auch. Er ließ sich auf den Boden fallen, als er die Hitze spürte, die über ihn hinweg preschte. Beim nächsten Atemzug drang ihm der Geruch nach versenktem Haar und versenkter Haut in die Nase. Er spürte, wie seine Handrücken brannten, doch er fing kein Feuer.

Wohin der Anemoi Thuellai auch verschwand, Remus beschloss, sich darüber nicht zu beschweren. Blieb noch einer. Und der hatte Rosier.

„Lass mich! Lass mich – Lupin – Hilf mir!“

Vorsichtig stemmte er sich hoch. Der Wind des Anemoi Thuellai riss an seiner Kleidung, doch er war außerhalb seines direkten Einflussbereiches. Wenn er sich umdrehte und rannte, dann … Er konnte nicht verschwinden. Sein Blick fiel auf Rosier, der gegen beinahe unsichtbare Luftmassen ankämpfte, und er wusste, dass er nicht flüchten würde. Dazu war er zu viel Gryffindor. Er konnte den Schwanz nicht einziehen und davonlaufen, wie ein feiger Slytherin. Wider besseren Wissens hob er den Zauberstab und nahm Ziel.

Expecto Patronum!

Dieses Mal war der Zauber flüssiger, die Gestalt im Nebel klarer. Als er traf, heulte der Wind durch den Gang. Der Nebel seines Patronus‘, der Patronus selbst, wirbelte durch die Luft–
 

Der Wind schwieg. Es war zu einfach. Dessen war Remus sich bewusst, doch er hatte genug Zeit verloren. Er warf Rosier, der winselnd auf dem Gang kauerte, einen letzten Blick zu. Den Zauberstab des Todessers konnte er nicht sehen. Statt sich weiter mit ihm zu befassen, warf er dem Schnitt in seinem Arm einen skeptischen Blick zu. Er fühlte sich nicht schwächer als ohnehin schon, doch sein Ärmel war mittlerweile voller Blut. Sein Arm fühlte sich taub an, als er ihn hob, um das Artefakt an seiner Kette auszurichten. Beinahe war er überrascht, dass er es bei dem Duell nicht verloren hatte. Dann roch er sein Blut, das auch dort hervor quoll, wo sich die Kette in seine Haut geschnitten hatte. Das Pendel jedoch störte sich daran nicht. Es begann zu schwingen, kaum dass es gerade hing.

Rosiers Schatten tauchte in seinem Augenwinkel auf, bevor er die Richtung erkennen konnte. Hundertachtzig Pfund Todesser krachten in ihn. Der Aufprall auf dem Boden presste ihm die Luft aus den Lungen. Er ließ los, was er hielt, als eine Faust ihm beinahe den Kiefer brach.

„Du bist ein Idiot“, knurrte Rosier über ihm. Statt ihm noch eine zu zimmern, streckte er sich über ihn hinweg. Remus sah nicht, wonach der Todesser griff, doch seine eigenen Finger fanden seinen Zauberstab. Rosiers Knie rammte sich in seine Magenkuhle, dann schwand das Gewicht des Todessers von ihm. Er wollte liegen bleiben, doch er wusste, dass das nicht ging. Mit einem Ruck rollte er sich auf den Bauch und drückte sich hoch. Jetzt spürte er den Blutverlust, aber vielleicht waren das auch nur die Nachwirkungen des Angriffs.

Rosier indes tat nicht, was Remus erwartet hätte. Statt ihn weiter zu duellieren, gab der Todesser Fersengeld. In seiner Hand erkannte Remus das Amulett und fluchte – wortwörtlich.

Reducto!“ Der Zauber schleuderte Rosier ein gutes Stück weit, ohne ihn zu sprengen. Das Amulett glitt ihm aus der Hand, während er fiel, und schlitterte davon. Remus rannte hinterher. Als er Rosier erreichte, trat der nach seinen Beinen. Er erwischte Remus schlecht gezielt am Knöchel, doch es reichte. Der Länge nach schlug Remus hin. Seine Hand berührte das Artefakt gerade stark genug, um es weiterschlittern zu lassen. Verbissen stemmte er sich hoch, doch Rosier hatte sich erholt und stieß ihn zurück, um erneut an ihm vorbeizuziehen.

Bevor Rosier das Amulett erneut an sich bringen konnte, begann die Wand, gegen die es gerutscht war, zu leuchten. Das Licht wurde so hell, dass Remus die Augen schließen musste. Heißer Wind peitschte über sie hinweg.
 

Als das rote Flimmern vor seinen Lidern schwand, traute Remus sich, die Augen wieder zu öffnen. Die Wand war verschwunden. Das heißt – verschwunden traf es nicht ganz. In ihr klaffte ein Loch, dessen Ränder nach wie vor tropften. Der Rest der Wand schwappte klar, nass und kalt um ihn herum. Der Raum dahinter war finster, doch er sah die Gestalt, die darin wehte. Wie ein Anemoi Thuellai wirbelte sie um sich selbst. Ein Gesicht erschien und verschwand, während sie von ihrer Freiheit Besitz ergriff. Warme Luft strömte ihm entgegen – eine Luft, die ihn an eine Situation erinnerte, die so lange zurück zu liegen schien, dass er sie beinahe vergessen hatte. Sie war angenehm, wie beim ersten Mal, doch er wusste nicht, wie lange es so bleiben würde. Als er die Schatulle zugeschlagen hatte, war die Atmosphäre schon einmal umgeschlagen. Remus ahnte, dass sie es wieder tun konnte.

Neben ihm war der Todesser vor Angst wie erstarrt.

„Rosier“, krächzte er. „Es ist Zeit zu verschwinden, findest du nicht, du Feigling?“

„Fick dich“, knurrte Rosier, stand aber zu eilig auf, als dass Remus hätte annehmen können, er wolle tatsächlich weiter bleiben. Dann rannte er.

Remus hingegen wusste nicht, ob er noch aufstehen konnte. Seine Schulter erinnerte sich daran, dass sie vor einer gewissen Weile ausgekugelt worden war und seitdem noch nicht hatte ausheilen können. Seine Handrücken erinnerten sich an seinen dummen Feuerzauber und sein Knöchel an Rosiers Tritt.

Rosier indessen sammelte seinen Zauberstab auf und verschwand hinter der nächsten Ecke.
 

Finger legten sich auf Remus‘ Kopf und strichen ihm durchs nasse Haar, wie eine laue Brise. Die Bewegung war sanft, doch die Kraft in ihr drückte sein Gesicht dennoch auf den kalten Eisboden und damit ins Wasser um ihn. Er hustete, noch bevor sich der Druck löste und schluckte dabei nur noch mehr Wasser.

Keuchend blickte Remus auf und sah, wie die wehende Hand nach dem Amulett griff und es anhob. Die Form stabilisierte sich in der Bewegung. Als Remus der Hand hinterher sah, erkannte er einen Arm, dann einen bloßen Oberkörper, der langsam Farben annahm. Dunkle Haut, noch dunkleres Haar und Augen wie ein Gewitter. Unsicher registrierte er, dass der Blick des Wesens auf ihm ruhte.

„Gute Arbeit, Wolf.“ Die Stimme dröhnte nicht, wie in seinem Traum, doch er spürte trotzdem, wie das Wasser um ihn herum erzitterte. „Komm, steh auf.“

Remus wusste immer noch nicht, ob er das konnte, oder nicht. Der Hustenanfall hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Trotzdem drückte er sich hoch. Er hatte die Ahnung, dass es den Mann nicht kümmerte, wenn er liegen blieb – und dass das keine gute Entwicklung sein würde.

Zu seiner Überraschung trug sein Knöchel sein Gewicht, als er das Bein vorsichtig belastete und aufstand, pochte aber warnend.

Skeptisch blickte er zu seinem Gegenüber. Zwar war Remus längst kein kleiner Erstklässler mehr, aber der Mann überragte ihn trotzdem deutlich. Gut. ‚Mann‘ war vielleicht zu viel gesagt – er wirkte jünger, als Remus es selbst war, so, als würde er noch wachsen. Er war schlaksig wie Remus selbst. Ihm fehlte die Masse, die er mit dem Alter noch gewinnen würde, wirkte eher linkisch als männlich. Remus aber ließ sich nicht täuschen – sein Gesicht war so zeitlos wie das von Lohe. Sein dunkles Haar fiel ihm schwer über die Stirn und die Augenbrauen, die er spöttisch hochzog. Die Luft um ihn herum war warm und schwül, wie ein bevorstehendes Sommergewitter.

„Bestehe ich den Qualitätstest, Wolf?“, fragte er und entblößte ein feistes Grinsen.

Remus beantwortete seine Frage nicht. Stattdessen sagte er: „Mein Name ist Remus.“

Er lachte. „Dann wollen wir hoffen, dass es keinen Romulus gibt.“

„Ich denke nicht“, antwortete Remus vorsichtig. Natürlich kannte er heute die Legende der beiden Brüder, die angeblich Rom gegründet hatten. Er mochte sie nicht sonderlich, was vielleicht mit dem Tod des Legenden-Remus zu tun hatte. Statt sich mit der Anspielung zu beschäftigen, musterte er den Mann erneut. Er war kein Anemoi Thuellai, das spürte Remus, aber er war deutlich stärker als Lohe. Sein Gegenüber schien seinen Blick indes erneut richtig zu deuten.

„Notos“, sagte er, ohne das Remus seine Frage hätte stellen müssen. „Ich nehme an, du hast meine Nichte bereits kennengelernt.“

Nichte?

Oh, ja. Das hatte er in der Tat. Er musste nicht zu tief in seinem Mythologiewissen kramen, um dem Verwandtschaftsverhältnis einen Namen zuzuordnen. Neben dem alten Mythologiekurs half auch der Hinweis auf die Nichte, denn er musste nicht fragen, welche Nichte gemeint war. Nein, Remus verstand, wer sein Gegenüber war.

Vor ihm stand der Südwind – und dessen Grinsen gefiel Remus nicht.

Notos jedoch schien das nicht zu interessieren. Der grinste nur und fragte ihm Plauderton: „Wie geht es deinem Knöchel? Und der Schulter, Remus?“

Remus wollte bereits erwidern, dass beides besser sein könnte, doch die Frage, ihr Tonfall, machte ihn stutzig. Vorsichtig bewegte er die Schulter. Das konstante Ziehen, das er zuletzt bei jeder noch so leichten Bewegung gespürt hatte, war verschwunden. Genauso das warnende Pochen in seinem Knöchel. Er konnte ihn ganz normal belasten. Sein Blick glitt weiter zu seinem Oberarm, doch der blutete nicht mehr. Statt eines frischen Schnittes sah Remus einen gesunden, abheilenden Schorf. Verblüfft sah er auf.

Notos‘ Grinsen war vielleicht noch ein wenig breiter geworden. Remus entschied, dass er nicht nachfragen würde. Ohnehin wirkte der Südwind einen Augenblick später abgelenkt. Er sah, wie sein Gegenüber die Stirn runzelte und den Kopf zur Seite neigte, um den Gang hinunter sehen zu können, in dem Rosier verschwunden war. Remus folgte seinem Blick. Augenblicklich spürte er eine kühle Brise auf der Haut, die durch Notos‘ Aura wirbelte.

Die Brise scheinbar ebenfalls wahrnehmend hob Notos stumm den Arm und hielt Remus auffordernd sein Artefakt hin. Skeptisch griff er danach und nahm es wieder an sich. Die Kette glühte unter seinen Fingern und summte vor Energie, als hätte sie sich in der Energie des Gottes aufgeladen. Das Metall war heiß, dennoch verbrannte es seine Haut nicht.

Als Remus den Arm wieder sinken ließ, wehte ihm die nächste Brise ins Gesicht. Dieses Mal musste er sich nicht darauf konzentrieren, sie zu spüren. Alarmiert hob er den Kopf, doch Notos legte seine Hand auf seine Schulter.

„Geh besser in Deckung.“

Notos‘ Arm flackerte, sein ganzer Körper verwischte, als die Anemoi Thuellai aus dem Quergang einbogen. Remus konnte sie nicht zählen. Wortlos folgte er der Aufforderung des Windgottes. Einen Moment später brach hinter ihm die Hölle los. Notos wurde zum Wind. Böen schlugen über Remus hinweg, warm und feucht. Das Eis um ihn herum schmolz, doch es erreichte den Boden nicht. Es blieb in der Luft und wurde zu Dunst, tiefliegenden Wolken, die Regen versprachen.

Die beiden Fronten prallten hinter ihm aufeinander. Donner grollte durch den Flur, Blitze leuchteten über die Wände. Als er über die Schulter blickte, konnte Remus keine Gestalten erkennen. Notos hatte seine menschliche Gestalt vollkommen verloren. Er war ein Wettersystem – und ein wütendes obendrein. Grollend pflügte er durch seine Gegner und spie Blitz, Donner und Hagel.

Die Anemoi Thuellai hatten keine Chance. Er trieb sie dorthin zurück, von wo sie kamen. Der Sturm, den der Kampf entfachte, entfernte sich mit den sich zurückziehenden Geistern und verschwand im einkreuzenden Gang.

Remus spürte, wie er zu zittern begann, als Notos‘ warmer Wind ihn nicht mehr erreichte. Sein Sturm hatte das Wasser vom Boden gesogen, doch Remus war nach wie vor nass bis auf die Haut. Vorsichtig stand er auf und sprach einen Trockenzauber auf seine Kleidung. Danach wurde es ein bisschen besser, doch er fror weiter. Das einzige an ihm, was nicht kalt war, war seine Hand, die noch immer das Artefakt hielt. Vor Energie summend pendelte es in seinem eigenen Wind und zeigte Remus die Richtung zu seinem Herren.

Es war vielleicht keine gute Idee Notos zu folgen, doch der war wahrscheinlich seine einzige Möglichkeit, einen Ausweg aus Khiones Schloss zu finden. Vielleicht, und damit musste Remus rechnen, führte er sie aber auch auf direktem Wege zur Schneegöttin selbst. Der Gedanke sollte ihn abschrecken, doch er tat es nicht. Wo Khione war, war möglicherweise auch Sirius und Sirius war wichtiger als seine Angst. Kurzentschlossen zog er sich die Kette über den Kopf und begann zu rennen.

Notos zu folgen war auch ohne die Hilfe des Pendels kein Problem. Sein Sturm hinterließ eine Schneise der Verwüstung aus tauenden Mauern und schwimmenden, glitschigen Böden. Immer wieder wiesen Hagelkörner mit der Größe von Hippogreifeiern und dampfende Löcher den Weg. In der Ferne hörte Remus es grollen. Alles um ihn herum schien zu tauen – Wände, Decken, Böden, Statuen.

Alles, bis auf Severus Snapes finstere Gestalt.

Daraufhin

Das Klatschen seiner Schuhe in dem kalten Wasser hörte sich plötzlich unglaublich laut an. Snape dachte das, gemessen an der Geschwindigkeit, mit der er herumwirbelte und den Zauberstab zog, scheinbar auch. Sie erreichten einen Gleichstand. Schutzzauber knisterten zwischen ihnen, als sich jeder für die Verteidigung entschied.

Seinen Zauberstab umklammert spannte Remus die Muskeln an, bereit, in Sicherheit zu springen, falls Snape sich das mit dem Verteidigungszauber noch einmal überlegen sollte. Er wusste, wozu Snape fähig war und er hatte nicht vor, sich noch einmal vorführen zu lassen. Außerdem hatte er noch eine Rechnung mit diesem Todesser offen.

Spöttisch zog Snape eine Augenbraue hoch.

„Ich sehe, du bist nach wie vor am Leben, Lupin.“

Remus rührte sich keinen Millimeter. „Bei deinen schlechten Augen bin ich mir nicht sicher, ob du dir das nicht nur einbildest.“

„Pass auf, was du sagst.“

„Sonst was?“, knurrte Remus zurück. Fieberhaft suchte er nach einem Loch in Snapes Deckung. Wie zu erwarten fand er keines – Snape war nicht Rosier und das lag nicht nur daran, dass Snape auf seine Provokation nur müde mit den Schultern zuckte und schnaubte.

„Wo ist Rosier?“

Dieses Mal war es an Remus, zu schnauben. „Der? Hat Angst vor Blitz und Donner.“

Nun zog Snape auch die zweite Augenbraue in die Höhe. Selbst auf die Entfernung konnte Remus sehen, wie es hinter Snapes abweisender Miene arbeitete. Schließlich schüttelte der Todesser den Kopf. Kampflos ließ er den Zauberstab sinken. Remus hätte angreifen sollen – und es war nicht so, als hätte er keine Lust, Snape die Hakennase an andere Körperstellen zu hexen – doch sein Instinkt warnte ihn davor, einen Mann anzugreifen, der in einer solchen Situation die Waffen senkte. Snape war generell kein Idiot, sondern ein Mistkerl.

Remus demonstrativ ignorierend griff Snape mit der linken Hand in seinen Gürtel. Einen Augenblick später warf er etwas in Remus‘ grobe Richtung. Den Abwehrzauber schon auf den Lippen, erkannte Remus, worum es sich handelte. Verdutzt fing er zwei Zauberstäbe. Sie kamen ihm nicht nur vage bekannt vor. Einer der beiden Stäbe war so hell, dass er beinahe weiß war, bis auf die dunklen Linien, die von den Baumringen herrührten. Remus kannte nur einen Zauberer, der so einen Stab verwendete. Wenn der helle aber Fenwick gehörte, und davon ging er aus, dann musste der andere Sørens sein. Ein Stab fehlte.

„Wo ist der von Sirius?“

Snape zuckte nur mit den Achseln, ein gehässiges Grinsen auf dem Gesicht. „Das wirst du selbst herausfinden müssen. Es hängt nur davon ab, ob du so lebensmüde bist, wie jeder Gryffindor, oder ob du rennst.“

Kaum hatte er ihm seinen Vorschlag unterbreitet, drehte Snape ihm den Rücken zu und ging gelassen davon. Er wirkte so selbstsicher, Remus hätte würgen können. Vornehmlich erwürgen und am besten Snape. Innerlich fluchend ließ er den Zauberstab langsam sinken. Er wusste es besser, als Severus Snape in den Rücken zu hexen. Mit einem Umhang, der nicht sonderlich furchteinflößend um seine Beine klatschte, weil sich der Stoff längst mit Wasser vollgesogen hatte, schritt der Todesser in einen Nebengang und verschwand mit platschenden Schritten. Remus aber wartete, bis auch diese verklungen waren, und zählte dann bis hundert.

Als Snape auch danach noch nicht dazu übergegangen war, ihn in die Luft zu jagen, steckte er die zwei Zauberstäbe in seine Umhangtasche und setzte sich selbst ebenfalls wieder in Bewegung. Er wusste nicht, warum Snape ihm geholfen hatte. Nur, dass es nichts damit zu tun hatte, dass er ein herzensguter Mensch war, dessen war Remus sich bewusst. Snapes Vorschlag, inklusive der unfreundlichen Anmerkung über sein ehemaliges Haus, ließ ihn viel mehr vermuten, dass Snape sehr wohl einkalkulierte, dass Remus seine Freunde retten würde. Oder es zumindest versuchte. Wenn Snape ihm half, dann vermutlich aus Eigennutz.

Rosier war bereits getürmt, Malfoy eine Eisprinzessin und Wilkes auch – Der Sickel fiel. Rosier war getürmt und Snape … würde es auch tun. Vermutlich war Remus für ihn nicht mehr, als ein billiges Ablenkungsmanöver. Der Drang, Snape zu folgen und ihm doch noch in den Rücken zu hexen, wurde stärker – aber für solche Spielchen hatte er keine Zeit, zumal Snape vermutlich längst außer Reichweite war.
 

Remus erreichte die Kreuzung, in der Snape verschwunden war, und spähte die Gänge hinunter. Er konnte niemanden sehen. Ein schnell gesprochener Homenum revelio informierte ihn darüber, dass Snape nicht mehr in der Nähe war, zumindest, wenn er sich nicht unter einem Tarnzauber verbarg. Remus kam nicht darum herum, das Risiko einzugehen. Er trat, den Zauberstab bereit, auf den Gang. Kein Zauber flog ihm um die Ohren. Vorsichtig wandte er sich in den entgegengesetzten Flur und nahm die Verfolgung des Südwindes wieder auf.
 

Als er die nächste Treppe hinauf stieg, erkannte er den Gang, in dem er herauskam, plötzlich wieder. Es waren die Statuen, die seinen Orientierungssinn weckten. Sie schmolzen, langsam, doch er war sich sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. Sein Puls beschleunigte sich, als er verstand, in welche Richtung der Windgott weiter gezogen war. Vorsichtig warf er einen Blick zurück, dann begann er zu rennen.

Immer wieder rutschte Remus mehr über den Boden, als das er lief, doch er nahm das Tempo nicht zurück, als er an schmelzenden Wänden und Statuen vorbei sprintete. Als er sein Ziel sah, verlor er das Gleichgewicht. Schreiend schlug er auf den nassen Boden, doch das hielt Remus nicht auf. Er schlitterte auf allen Vieren weiter, bis er seine Begleiter erreichte.

Vermutlich hätte Remus vorsichtiger sein können, als er die Hand auf Sørens Schulter legte. Der Mann kauerte nicht mehr in der Position, in der Khione ihn gefangen hatte. Das Eis hatte ihn freigegeben. Schlaff lag er auf dem tauenden Boden, das Gesicht schmerzverzerrt.

Ehe er sich versah, hörte Remus sich selbst stammeln.

„Sören! Kannst du mich hören? Oh bei Merlin. Ich darf nicht zu spät sein. Sören-“

Søren antwortete mit einem dumpfen Stöhnen, doch das war Remus Antwort genug. Er lebte. Merlin sei Dank, er lebte.

Diesmal tatsächlich vorsichtiger, strich er ihm vorsichtig über den bloßen Unterarm. Seine Haut glühte förmlich, doch Remus war nicht gewillt, darin noch mehr Unheil zu sehen. Unfähig, mehr zu tun, stammelte weiter.

„Alles wird gut. Der Zauber ist gebrochen – das geht vorbei. Alles wird gut. Alles wird gut.“

Wenn ich Sirius finde, fügte ein leiser Gedanke in ihm hinzu, doch er ignorierte ihn. Unter seinen Fingern erbebte Sørens Körper. Mit einem heiseren Krächzten zuckte der Mann zusammen. Remus‘ Berührung ignorierend, zog er seine Arme an und vor sein Gesicht. Diese Reaktion schließlich ließ Remus stocken. Erst dann sah er die dünnen Schnitte, die sich über den Arm des Mannes zogen. Er konnte keine Buchstaben erkennen, doch augenblicklich stieg Wut in ihm auf. Wut und Hilflosigkeit. Er biss die Zähne aufeinander. Der Kloß in seinem Hals ließ sich nicht schlucken.

„Sören. Ich bin es. Sie sind nicht hier. Und wenn doch, dann werde ich sie-“ beißen. Hastig schluckte er das letzte Wort. Diesen Satz konnte er Sirius um die Ohren werfen, oder James oder Peter, aber garantiert niemandem sonst. „Ich bin es.“

„Remus?“ Sørens Stimme war nicht mehr, als ein Krächzen, doch Remus verstand ihn.

„Ja. Wie schlimm ist es?“

Søren schwieg, lange genug, um ihn denken zu lassen, dass er das Bewusstsein verloren hatte. Dann antwortete er doch. Seine Worte waren brüchig. „Ich weiß es nicht.“

Remus spürte sich erleichtert aufatmen. „Okay. Das ist okay. Komm, kannst du aufstehen? Ich helfe dir.“

In dem Moment erklang eine weitere Stimme – und sie gehörte zu einem ausgesprochen unglücklichen Benjy Fenwick.

„Und wer hilft mir?“, blubberte der Auror.

Remus seufzte. „Ich. Gleich. Alles in Ordnung mit dir?“

„Nein“, gab Fenwick finster zurück. „Wenn ich wegen diesen Idioten das Neujahrsspiel der Magpies verpasst habe, bring ich sie alle um.“

Bevor er es sich versah, verdrehte Remus bereits entnervt die Augen. Hatte dieser Mann wirklich nichts anderes als Quidditch im Kopf? Er erinnerte ihn an James. Gut, der hatte nicht nur Quidditch im Kopf, sondern auch Lily Evans, aber–

Kein Aber. Leise seufzte er und zwang sich dazu, Fenwicks Laune hinzunehmen. Sein Begleiter war vor kurzem noch eine Eisstatue gewesen. Er hatte alles Recht der Welt, wütend zu sein und dieser Wut Luft zu machen. Sollte es Remus doch egal sein, dass er es ausgerechnet mit Quidditch tat.

„Tu das“, antwortete Remus schließlich lapidar und wandte sich stattdessen erneut an Søren. „Komm. Ich halte dich.“

Gemeinsam schafften sie es, ihn zumindest in eine sitzende Position zu ziehen. Jetzt, wo Remus ihn genauer mustern konnte, merkte er erst, wie schlecht Søren aussah. Die Haut um sein Auge, das Remus zuvor nicht hatte sehen können, war beinahe schwarz und so sehr angeschwollen, dass Søren es vermutlich kaum öffnen konnte. Die Schnitte zogen sich auch über sein Gesicht und die Ringe unter seinem gesunden Auge sprachen Bände. Als Søren die Augen schloss, glaubte Remus erneut, der Mann vor ihm würde ihm jeden Moment umkippen, doch er hielt sich scheinbar mit purer Willenskraft aufrecht.

Ihn so zu sehen, tat Remus in der Seele weh. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es um Sirius – falscher Gedanke. Kleine Schritte, Moony, erinnerte er sich, Søren geht vor. Viel konnte er ohne Heiltränke vermutlich nicht ausrichten, aber zumindest gegen das Hämatom konnte er etwas tun.

„Sören? Ich werde jetzt einen Heilzauber sprechen. Erschrick bitte nicht.“

Sein Gegenüber nickte schwach, ohne ihn anzusehen. Zögernd hob er den Zauberstab und vollführte die nötigen Bewegungen.

Episkey!

Der Zauber tat seine Wirkung. Die dunkle Haut schwoll ab. Langsam wurde sie erst violett, dann grün und schließlich gelb, als hätte sie schon seit Tagen heilen können. Auch die Schnitte verschwanden unter seiner Zauberstabspitze.

„Besser?“

Als Antwort öffnete Søren beide Augen und erwiderte seinen Blick, standhafter, als Remus erwartet hätte. Er nickte knapp und belog damit vermutlich sie beide. Umständlich stand Søren von selbst auf, ohne Remus‘ dargebotene Hand anzunehmen. Remus folgte seinem Beispiel und blickte schließlich erneut zu Fenwick. Der hatte sich mittlerweile so weit aufgerappelt, dass er auf die Unterarme gestützt zu ihnen aufschauen konnte. Er sah fertig aus, aber nicht verletzt.

„Ist ‚gleich‘ jetzt?“, fragte er, als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war.

Remus seufzte. „Ja. Komm hoch.“

Eines musste er Fenwick zugutehalten – als Remus ihm die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen, machte er sich nicht schwerer, als er war. Er kannte Herumtreiber, die handhabten das anders. Aber möglicherweise hatte Fenwick auch nur ihre Situation begriffen und verzichtete deshalb darauf, sich kindisch zu benehmen. Das jedenfalls ließ der wache Blick schließen, mit dem er sich umsah.

„Zwei Fragen. Erstens: Das letzte, an das ich mich erinnere, sind drei idiotische Todesser, die Psychospielchen mit dir und Mr. Magpies-kann-man-in-der-Pfeife-rauchen Black gespielt haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich danach ein Eiszapfen war. Wem verdanke ich den erneuten Wechsel meines Aggregatzustandes?“

Remus hob beide Brauen. Das klang jetzt schon wie ein erstens, zweitens, drittens.

„Du erinnerst dich an Khione?“

„Meine Hauslehrerin hätte ihr für das Kleid nicht nur Hauspunkte abgezogen. Hast du den Schlitz im Rock gesehen?“

Das hieß wohl ja. Statt auf den Kommentar einzugehen, nickte Remus nur. „Genau die. Sie ist die Tochter des Boreas, dem Nordwind. Der wiederum hat drei Brüder. Einer davon ist Notos, der Südwind.“

Fenwick pfiff anerkennend. „Sie hat sich mit ihrem eigenen Onkel angelegt? Ich wette, der ist sauer. Egal. Solang er dafür sorgt, dass ich kein Zapfen mehr bin, geht mir das an meinem Hintern vorbei. Zweitens: Wo ist Black?“

Der Themenumschwung kam so plötzlich, er ließ Remus scharf die Luft einziehen. Diese Reaktion ließ wiederum Fenwick aufsehen und auch Sørens Blick spürte Remus auf sich ruhen. Für einen Moment schloss er die Augen. Was für Beweise hatte er schon? Khiones Befehl. Aber der konnte Tage, Wochen her sein. Sirius konnte überall sein – und Remus hatte keine Ahnung, wie er ihn finden sollte. Einen Strohhalm, an den er sich klammern konnte, hatte er noch, doch wenn dieser brach–

Erst Rosier, dann Notos, später Snape und jetzt Søren und Fenwick – all das hatte ihn erfolgreich abgelenkt. Doch jetzt gab es nichts mehr, das ihn ablenken konnte. Erneut wallte Hilflosigkeit in ihm auf und trieb ihm Tränen in die Augen. Hastig begann er zu blinzeln. Als er antwortete, vermied er es, den anderen in die Augen zu sehen.

„Khione hat Snape befohlen, ihn in ihren Thronsaal zu bringen. Aber ob er da noch ist...“

Er zuckte unter der Hand zusammen, die sich auf seine Schulter legte. Als er bemerkte, dass sie Søren gehörte, ließ er den Kopf noch ein wenig mehr hängen. Er war derjenige von ihnen, dem es, dank Notos‘ Spielchen, vermutlich am besten ging. Er sollte nicht derjenige sein, der Trost brauchte. Und dennoch tat Sørens Hand gut.

„Wir werden ihn finden.“

Sørens Satz enthielt kein ‚vielleicht‘. Nicht einmal zwischen den Zeilen. Søren, mit seinen hängenden Schultern und der Haltung, mit der er sein eines Bein unmerklich entlastete, sah nach wie vor so aus, als hätte er nicht nur physisch Prügel bezogen und als würde das noch eine ganze Weile an ihm knabbern. Vielleicht beeindruckte Remus sein Tonfall gerade deswegen, genau wie sein entschlossener Blick. Vorsichtig nickte.

Neben ihm tat Fenwick das gleiche. „Richtig. Wir finden diesen Trottel und dann werde ich ihm zeigen, dass man die Magpies nicht in der Pfeife rauchen kann. Hrmpf. Idiot. Okay. Das ist der Plan: Ihr sucht diesen Thronsaal und lasst euch nicht in Eisstatuen verwandeln.“

„Ihr?“, echote Remus skeptisch, doch Fenwick nickte nur entschlossen.

„Ihr“, wiederholte er und zog seinen Zauberstab. Für einen Augenblick irritierte die Geste Remus. Seinen Zauberstab hatte nach wie vor Remus, irgendwo in den Tiefen seiner – Natürlich. Augenblicklich fielen ihm ein paar Dinge wieder ein. Fenwicks Ersatzzauberstab war nur eines davon.

„Unsere beiden Freunde Glatze und Willikins hier“, erkläre Fenwick dabei mit seinem besten Plaudertonfall, „werden demnächst auftauen. Und dann hat die Elster ein Hühnchen zu rupfen. Heißt, ich halte sie euch von Hals. Und wenn ich Snape sehe – Glück für mich.“

Skeptisch blickte Remus zurück zu den gefrorenen Todessern. Malfoy hatte nach wie vor die Arme vor der Brust verschränkt und Wilkes den Zauberstab erhoben, doch ihre Statuen schienen nicht mehr wie für die Ewigkeit gemacht. Vermutlich hatte Fenwick recht – sie würden bald auftauen und erneut eine Bedrohung für sie sein. Ihm gefiel die Idee nicht, sich in diesem Schloss zu trennen, doch er verstand die Logik dahinter, die ihn den Plan unwillig akzeptieren ließ.

Doch bevor er ging, hatte er noch zwei Dinge zu erledigen. Zuerst griff er in seine Umhangtasche und zog die zwei Zauberstäbe, die darin ruhten, hervor, um sie seinen Begleitern hinzuhalten.

„Hier. Snape hat sie mir überlassen, als er sich dazu entschieden hat, das Weite zu suchen. Oh und Fenwick“ – Und damit war er bei Punkt zwei – „Warum hat Wilkes beschlossen, uns zur Seite zu stehen?“

Bevor Fenwick antwortete, griff er nach seinem Hauptzauberstab. Als sich die Finger des Auroren um das Holz schlossen, schüttelte er knapp den Kopf.

„Es gibt Fragen, Lupin, die bleiben besser unbeantwortet. Das ist eine davon. Ihr solltet euch beeilen.“

Als er aufsah, mied Fenwick seinen Blick – und das jagte Remus einen Schauer über den Rücken. Seine Nicht-Antwort war Antwort genug. Statt darauf einzugehen, nickte Remus nur. Fenwick hatte recht mit dem, was er sagte, sie hatten keine Zeit für Diskussionen über verbotene Flüche.

Anschließend

Søren und Remus beeilten sich.

Keiner von ihnen kannte den Weg in den Thronsaal – doch Remus hatte das dumpfe Gefühl, dass sie ihn nicht verfehlen konnten. Schmelzwasser wies ihnen den Weg. Über Sørens Begleitung konnte er sich auch deswegen nur freuen. Der Mann kannte Zauber, von denen er selbst noch nie gehört hatte. Und einer davon wurde auch mit über Glatteis rutschenden Schuhen fertig.

Außerdem beruhigte ihn das rhythmische Platschen seiner Schritte neben ihm, genau wie Sørens ruhige Erscheinung. Remus konnte nur vermuten, dass diverse Dinge in ihm brodelten, doch er ließ keines davon an die Oberfläche. Damit war Søren vermutlich das komplette Gegenstück zu ihm selbst. Remus spürte sich selbst zittern und das lag nicht an der Kälte.

„Was ist passiert?“, fragte Søren schließlich mit seinem seltsamen Akzent, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern.

Remus tat es ihm gleich, während er versuchte, die Ereignisse, an die er sich erinnerte, in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Der Gedanke daran, dass Søren sein schnelles Englisch möglicherweise nicht verstand, kam ihm gar nicht. „Als die Sturmgeister dich verschleppt haben, hatten wir – Fenwick, Sirius und ich – alle Hände voll mit Malfoy und Wilkes zu tun. Ich glaube – Ich glaube, Malfoy hätte mich beinahe umgebracht. Doch wir haben es geschafft, sie zu besiegen. Als wir dir zur Hilfe eilen wollten, war es bereits zu spät. Als wir das realisierten, hat sich uns diese Aurae, dieses Mädchen, Lohe angeschlossen und-“

„Das meine ich nicht, Remus.“

Søren sagte nicht, was er stattdessen meinte. Sein Tonfall war eindeutig – eindeutig genug zumindest, um Remus jetzt doch stoppen zu lassen. Sein Begleiter jedoch stoppte nicht, verringerte nur ein wenig das Schritttempo, damit Remus aufschließen konnte, wenn er sich gefangen hatte. Das tat dieser nur zögerlich, denn jetzt verstand Remus, was Søren tatsächlich hatte fragen wollen. Und wenn er ehrlich war, wollte er auf diese Frage nicht antworten.

Søren zog eine Augenbraue hoch, als er ihm einen knappen Blick über die Schulter zu warf. Remus sah ihn den Kopf schüttelte.

„Schon gut“, fuhr er fort, ohne eine Antwort von Remus zu erwarten. „Ich habe gemeint, was ich gesagt habe.“

Remus biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. „Ich weiß.“

„Nein. Tust du nicht“, antwortete Søren streng. „Darum sage ich es noch einmal. Wir werden ihn finden.“

Aufsteigende Tränen schnürten ihm die Kehle zu. Ihm blieb nichts weiter, als stumm zu nicken und zu schlucken.
 

Ein kalter Windhauch strich über Remus‘ Wangen. Eine warme Böe folgte ihm.

Dieses Mal stoppte Søren mit ihm. „Die alten Griechen kannten drei Jahreszeiten. Richtig?“, fragte er langsam.

Remus nickte. „Boreas, Zephyros und Notos. Winter, Frühling und-“

„Sommer“, beendete Søren seine Erklärung. Er verzog das Gesicht zu einer Miene, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ich denke der Sommer ist nicht gut für dieses Schloss.“

In den Wänden um sie her klafften Löcher, größer denn je. Das Wasser im Gang reichte Remus längst weit über die Knöchel. Eine weitere Böe pfiff den Gang hinab und ließ sie frösteln.

„Oder für seine Herrin“, antwortete Remus leise.

Sie hoben die Zauberstäbe und schritten vorsichtig weiter. Eine eisige Böe schleuderte sie beinahe in den Gang zurück, als sie die Biegung zum nächsten Raum betraten. Der Wind war so stark, er drückte sie förmlich in die Knie.

Einen Arm schützend vor sein Gesicht hebend, blickte Remus auf. Ab einer Entfernung von zwei Yards sah er nichts mehr, außer Weiß. Ob es sich bei den weißen Schwaden, die bis in ihren Gang drangen, um Schnee, Nebel oder gar Wolken handelte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Vermutlich lautete die Antwort ‚sowohl als auch‘.

Remus brauchte nicht fragen, wen sie gefunden hatten.

Die Temperatur schlug um. Unter ihnen gefror das Wasser langsam zu Eis. Von den Löchern, die auch hier in den Wände tauten, hingen bereits enorme Eiszapfen, die nun rasant wuchsen. Die Chancen, den Raum, der vor ihnen lag, zu durchqueren und dabei – eventuell auch nur aus Versehen – von einem rasenden Gott erschlagen zu werden, waren so hoch, Remus wollte sie nicht einmal überdenken. Das Schlimmste aber war die Ahnung, die sich immer tiefer in seine Gedanken fraß.

„Ist er dort drin?“, fragte Søren neben ihm. Als er sprach, kondensierte die Luft vor seinen Lippen.

Remus zuckte hilflos mit den Achseln. „Vielleicht“, begann er, schüttelte dann aber den Kopf. „Vielleicht bilde ich es mir einfach ein, weil ich glaube, diese Stimme gehört zu haben.“

Sein Gefühl sagte ihm etwas anderes. Es waren Khiones Worte, die in seinen Ohren nachhallten – Severus, bring diesen Black in meinen Saal. Er hat ein hübsches Gesicht. – und von denen er nicht mehr sagen konnte, ob er sie tatsächlich gehört hatte, aber auch ein Geruch, von dem er sich nicht sicher war, ob er existierte. Ein Geruch, der nichts mit zwei zornigen Windgöttern zu tun hatte, die versuchten, einander oder zumindest dieses Schloss in die Luft zu jagen. Ein menschlicher Geruch. Wenn aber Sirius tatsächlich dort drin war, dann hatten sie ein Problem.

„Oder du hast recht“, antwortete Søren langsam. Auch er spähte hinaus in den Schnee. Und jetzt war es Schnee, da war sich Remus genauso sicher, wie bei der Tatsache, dass das Wasser, das seine Stiefel durchnässte, immer kälter wurde. Es musste einen anderen Weg geben. Irgendeinen.

Neben ihm hob Søren seinen Zauberstab und sprach eine Formel, die er selbst nicht zuordnen konnte. Erst richtete sein Begleiter den Zauberstab gegen sich selbst, dann wiederholte er das Prozedere über Remus. Augenblicklich spürte er, wie ihm warm wurde. Dort, wo seine Beine ins Wasser eintauchten, begann Dampf aufzusteigen.

„Das ist ein … Zauber für Notfälle“, erklärte Søren. Remus wurde das Gefühl nicht los, dass er ihm nur die Hälfte der Wahrheit sagte. „Wenn du dich beim Skifahren verirrst. Vielleicht hilft er.“

Remus blinzelte. Plötzlich verstand er, warum Søren den Zauber gerade jetzt aus seinem Hut fischte. Er begann zu stammeln. „Du willst nicht– Du musst nicht–“

„Wir suchen in diesem Raum. Wenn wir ihn finden, treffen wir uns bei Benjy und gehen. Wenn wir ihn nicht finden, treffen wir uns bei Benjy und suchen weiter.“

„Bist du-“

Søren war sich sicher. Er hörte sich Remus‘ Frage nicht einmal bis zum Ende an, da nickte er bereits. Dann drehte er sich in den Sturm und stapfte davon.

Für einen Augenblick schloss Remus die Augen. Es war nicht auszudenken, was geschehen mochte, wenn er sich irrte. Nicht nur, dass er sein Leben aufs Spiel setzte – das er noch brauchen würde, wenn er Sirius finden wollte – Sørens Leben setzte er ebenfalls aufs Spiel, auch wenn dieser das sicher anders sah.

Tief durchatmend schlug er die Augen wieder auf. Mit einem Ruck befreite er erst den einen Fuß aus dem zufrierenden Wasser, dann den anderen. Ohne Sørens Zauber hätte er seine Füße vermutlich schon nicht mehr gespürt, doch so konnte er durch das Wasser stapfen, dessen Eisschicht unter seinem Gewicht immer wieder brach. Geduckt hielt er sich am Rand des Raumes. Zumindest glaubte er, dass er das tat, denn er verlor die Wand bald aus den Augen. Er war schon durch einige Nebel geirrt, doch nichts ließ sich mit dem Chaos vergleichen, welches Notos und Khione nun hinterließen, nicht einmal Khiones Schneesturm. Immer wieder leuchtete der Wind durch den Schnee. Manchmal sah Remus Gesichter, manchmal andere Körperteile. Nichts davon erschien sonderlich freundlich.

Seine Füße traten durch Wasser, Matsch, Schnee und wieder durch Wasser. Ohne Sørens Zauber wäre sein Umhang – und auch er selbst – vermutlich binnen Minuten steifgefroren. Und über all dem jaulte und dröhnte der Sturm. Hätte Remus gesprochen – er hätte sein eigenes Wort nicht verstanden. Böen rissen an seinen Kleidern oder drückten ihn nieder. Immer wieder verlor er den Halt und konnte sich nur mühsam davor bewahren, zu fallen.

Und Notos war dabei, zu verlieren. Er spürte es. Die Frequenz, mit der das Artefakt um seinen Hals pulsierte, hatte sich verändert. Sie wurde unruhig, holpriger, nervös. Immer wieder setzte ein Schlag aus, dann überschlug er sich.

Die nächste Böe traf ihn von der Seite, zu heftig, um ihr standzuhalten. Sein Schrei verlor sich im Wind, als er ins Wasser schlug. Für einen Moment konnte er nicht atmen. Panik umspülte ihn wie die Schmelze und der Regen, den Notos hinterließ.

Finger legten sich um Remus‘ Schulter. Er spürte, wie jemand an ihm zog. Es konnte nicht Søren sein, denn die Hand stellte ihn so urplötzlich wieder auf die Füße, dass Remus beinahe erneut fiel. Hustend sah er auf. Sein Blick fiel auf den schimmernden Rücken eines Mannes. Flügel zogen sich über die Haut und er konnte nicht sagen, ob sie tätowiert waren oder echt. Notos ließ ihn los und fasste auch mit der rechten Hand wieder nach der Urne, die er hielt. Sie war das einzige an ihm, durch das Remus nicht hindurch sehen konnte. Wind strömte aus ihrem Innern.

„Du solltest nicht hier sein, Remus“, drang die Stimme des Gottes zu ihm. Ob dieser wirklich zu ihm sprach oder ob er … direktere Kommunikationsmethoden verwendete, wusste er nicht. Was er wusste, war, dass er Notos klar verstand, obwohl der Sturm um sie her seine Worte hätte schlucken müssen.

„Dann sag mir, wo ich sein muss“, antwortete Remus und obwohl er beinahe brüllte, hatte er nicht das Gefühl, gegen den Lärm und das Tosen anzukommen.

Donner grollte um sie her, Donner, der möglicherweise Notos‘ Lachen war. „Abgesehen von ‚in Sicherheit‘ meinst du?“ Der Gott zuckte mit den Achseln, was angesichts seines wehenden Körpers eine recht seltsame Geste war. „Bitte.“

‚Bitte‘ war nicht die Antwort, die Remus erwartet hätte. Das, was dem folgte, allerdings auch nicht. Notos hob die Urne. Wind strömte aus und sandte Hagelkörner in die weiße Front vor ihnen. Mit seinem Wind begann der Gott zu rotieren und Remus rotierte auch. Augenblicklich wusste er nicht mehr, wo oben und unten war, geschweige denn, rechts oder links. Er fühlte, wie er aufstieg, aber vielleicht fiel er auch. Der Aufschlag, den der Schnee, in den er fiel, kaum bremste, war hart und trieb ihm die Tränen in die Augen. In seinem Kopf drehte sich alles und in seinem Magen auch. Remus spürte sich würgen. Magensäure stieg ihm die Speiseröhre hinauf, die er geräuschvoll erbrach. Der Geschmack, den sie hinterließ, war beinahe noch schlimmer, als das Brennen in seinem Hals.

Das Drehen in seinem Schädel beruhigte sich nur langsam, doch Remus wusste, dass er sich keine Ruhe gönnen konnte – Notos schien nicht der Typ Gott zu sein, der so etwas wie Pausen einkalkulierte. Zum Aufsehen musste Remus sich förmlich zwingen. Schnee und Nebel wirbelten um ihn her, doch die Masse war durchlässiger. Durchlässig genug, um die Wand zu seiner Rechten auszumachen und auch durchlässig genug, um die zwei, drei Gestalten zu sehen, die eigentlich nur eine waren. Remus blinzelte heftig, bis er sie klar erkennen konnte und nicht mehr doppelt sah.

Der Mann stand reglos da und wandte ihm den Rücken zu, als habe er ihn nicht einmal bemerkt. Remus kannte diesen Rücken, dennoch brauchte er einen Augenblick, um zu verstehen, was das bedeutete.
 

Sirius. Es war Sirius.

„Sirius“, sagte er und hörte sich selbst nicht. Lauter, rufend, schreiend, versuchte er es noch einmal. „Sirius!“

Er schien ihn nicht zu hören.

„Padfoot!“

Er bekam keine Reaktion. Der Nebel um sie herum verdichtete sich wieder, während seine Gedanken begannen, sich zu überschlagen. ,Er kann dich einfach nicht hören‘ war der netteste davon. Kopfschüttelnd versuchte er, die weniger netten zu vertreiben. Es funktionierte nicht, aber das trieb ihn nur dazu an sich schneller aufzurichten, als es der pulvrige Schnee um ihn herum ihm erlaubte. Er rutschte und fiel, spuckte einen Moment lang Schnee, dann stand er taumelnd wieder auf und rannte, so schnell es der Untergrund zuließ.

„Sirius!“ Dieses Mal japste er mehr, als dass er rief. Der bloße Oberarm, um den sich seine Finger schlossen, war eiskalt, doch Sirius war nicht erstarrt. Seine Muskeln gaben der Bewegung nach, als Remus sanft an seinem Oberarm zog.

„Sirius, ist alles in Ordnung? Sirius?“

Sein Freund antwortete nicht. Stumm starte er in den Schnee, dort, wo Remus Notos und Khione vermutete. Beunruhigung trübte die Erleichterung. Er registrierte, dass Sirius keinen Umhang trug. Die Schnitte, die Buchstaben, auf seinem Rücken waren nicht verheilt. Sie standen immer noch in einem zornigen Rot gegen seine unglaublich blasse Haut.

Als Remus um ihn herum trat, musste er feststellen, dass sein Gesicht nicht viel besser aussah. Seine Lippen waren blau und an einer Stelle aufgeplatzt. Die Augenringe schienen beinahe schwarz gegen seine Haut. Erst auf den zweiten Blick erkannte Remus den Zauberstab, der in den Gürtel seines Freundes geklemmt war.

Obwohl er nun direkt vor ihm stand, starrte Sirius ins Leere. Er schien ihn nicht einmal zu bemerken, als er seinen Zauberstab in seine Tasche schob, um mit der rechten Hand nach Sirius anderen Arm zu greifen. Auch der fühlte sich unter Remus‘ Fingern eisig an.

„Sirius!“, versuchte er es erneut und so deutlich, wie er konnte. „Kannst du mich hören? Komm schon, sag irgendwas und wenn es ein dummer Witz auf meine Kosten ist!“

Für einen Moment glaubte Remus, Sirius würde den Blick senken. Doch er musste sich geirrt haben, denn Sirius sah nur weiter in den Schnee.

„Komm schon. Wir müssen hier verschwinden! Padfoot!“

Die Angst, die in ihm aufstieg, brachte ihn dazu, seinen Freund zu schütteln – doch den interessierte auch das nicht. Langsam wurde er panisch.

„Sirius Black! Wach auf!“

Keine Reaktion. Seine Finger, die immer noch um Sirius Oberarme griffen, wurden langsam kalt, der Schneenebel um sie herum dichter und die Böen stärker. Langsam verstand er, dass er damit nicht weiter kam. Nicht allein, nicht ohne Hilfe. Aber Remus konnte ihn nicht allein zurücklassen. Er hoffte nur, dass Sirius sich wenigstens bewegen lassen würde.

„Okay. Dann eben anders. Komm schon!“

Statt ihn weiter zu schütteln, verlegte Remus sich darauf an Sirius Arm zu ziehen. Zunächst nur mit einer Hand – doch das brachte ihm nur eine Reaktion ein, mit der er nichts anfangen konnte. Er sah genau, wie sich sein Freund gegen die Bewegung stemmte. Bewegen konnte er sich also tatsächlich. Das bewies er auch, als Remus seinen Arm mit beiden Händen umfasste und daran zog. Statt seinem Zug zu folgen, hob Sirius plötzlich von selbst den Arm und entwand sich seinem Griff. Kaum musste Remus seine Finger von seinem Handgelenk lösen, glitt sein Arm wieder an seine Seite.

„Sirius! Das ist nicht witzig. Komm schon, du musst hier raus! Hier geht bald alles in die Luft! Komm schon!“

Remus griff erneut nach seinem Arm, doch Sirius entzog sich ihm erneut, ohne ihn auch nur anzusehen. Angst mischte sich mit Frustration.

„Und wenn ich dich hier raus trage, du elender Dickschädel!“

Mit entschlossenen Schritten trat er um Sirius herum. Tief einatmend, stemmte er sich gegen ihn. Der erste Schritt, den Sirius tat, war harte Arbeit, der zweite fiel viel zu leicht. Die Faust traf Remus Wange wie aus dem Nichts. Schreiend machte Remus einen Schritt rückwärts, doch aus Schnee wurde Matsch. Er fand keinen Halt. Panisch versuchte er, sich mit dem anderen Bein abzufangen, doch er rutschte nur noch weiter. Dann fanden seine Füße keinen festen Boden mehr.

Ein weiterer Schrei drang aus seinen Lungen, als er realisierte, dass er fiel. Er streckte den Arm empor, doch das Loch in der Mauer, durch das er gefallen war, war längst zu weit weg. Er wusste nicht, wo er war, noch wie weit über dem Boden er sich befand. Nur eines wurde ihm schlagartig klar – sein Fall war zu tief. Zu hart. Über sich sah er Sirius aus dem Loch schauen, streckte ihm die Hand entgegen, doch der rührte sich nicht.

Tränen stiegen in ihm auf. Der letzte Gedanke, den er fasste, war: Ich habe versagt.
 

Eine Hand schloss sich um seine Brust. Er spürte den Arm, der sich um ihn legte, dann einen weiteren, der seinen Oberkörper umschlang. Ein Körper drückte sich gegen seinen Rücken, warm und sanft. Er folgte der leichten Bewegung blind und drehte sich um die eigene Achse. Kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Irritiert öffnete er die Augen. Die Landung auf dem Satteldach war hart. Sein Aufschlag und ein gellender Schrei dröhnten in seinen Ohren, als er die Schräge hinabrutschte. Die Dachkante bekam er nicht zu fassen. Dann fiel er erneut. Die Hände um seine Brust ließen ihn nicht gehen.

Den zweiten Aufschlag spürte er nicht.
 

Als er die Augen aufschlug, stand er am Ufer des Sees. Um seine baren Füße spülte Wasser und zog sich seine Hosenbeine und seinen Umhang hinauf. Unter dem roten Licht der Aurora Borealis konnte er die Hügelkette sehen, die sich um den gefroren See erstreckte.

Wolf“, ertönte eine Stimme. Er zuckte so sehr zusammen, wie das Wasser unter ihm.

Muss ich dich wirklich daran erinnern, dich zu beeilen?

Er kannte die Stimme. Doch das konnte nicht sein. Er hatte doch...

„Notos?“, fragte er irritiert.

Doch die Stimme lachte nur und mit ihr zitterte Wasser und Eis.
 

Die Augen öffnend, blickte Remus in das klare Wasser des Sees. Er konnte unter der rot glänzenden Wasseroberfläche sogar die einzelnen Steinchen erkennen, die den Boden ausmachten. Er blinzelte, als er realisierte, dass sein Gesicht das Wasser nicht berührte, seine Arme und Beine hingegen sehr wohl. Dann spürte er eine Hand unter seiner Brust, die seinen Oberkörper über Wasser hielt. Eine zweite strich über seinen Kopf. Erinnerungen strömten auf ihn ein – die Befreiung des Notos‘, Snape, Fenwick und Søren. Dann Sirius und all seine Versuche und der Fall. Der Fall. Remus war sich ziemlich sicher gefallen zu sein. Sein Kopf begann zu schmerzen. Leise stöhnte er.

„Komm, steh auf“, flüsterte eine Stimme hinter ihm.

Er fügte sich der Aufforderung willenlos. Die Hände stützten ihn sanft und tatsächlich stand er einen Moment später, ohne zu taumeln. Skeptisch sah er an sich hinab. Seine Handflächen bluteten beide, das konnte er riechen, genauso wie seine Knie. Vermutlich war auch der Schorf an seinem Arm aufgeplatzt. Eines seiner Hosenbeine war aufgerissen. Seinem einen Fuß fehlte der Schuh. Als er den Kopf hob, blickte er auf den See hinaus. Um ihn war das Wasser geschmolzen, doch ein paar Yards weiter war die Eisdecke noch intakt. Hinter dem See erstreckte sich die Hügelkette, über die sie vor Ewigkeiten gestiegen waren. Sie verschwand zu beiden Seiten in einer tobenden Sturmfront. Remus brauchte nicht in den Himmel zu schauen, um zu wissen, dass eine rote Aurora Borealis über ihm leuchtete.

Er kniff die Augen zusammen, doch das Bild änderte sich nicht, als er sie wieder öffnete. Nur die dröhnende Stimme blieb aus. Stattdessen hörte er die Stimme einer Frau.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn, dicht bei seinem Ohr.

Für die Antwort musste Remus nicht überlegen. Knapp schüttelte er den Kopf. Nichts war in Ordnung.

In seinem Nacken spürte er sie lächeln, obwohl das nicht möglich sein konnte. Sie legte eine schmale Hand auf seine Schulter strich sanft darüber. Ohne ihn loszulassen trat sie um ihn herum. Er war nicht halb so überrascht, sie zu sehen, wie er es vielleicht hätte sein sollen.

„Lohe“, stellte er fest und klang dennoch verwundert.

Lohe nickte. Mit der freien Hand umfasste sie sein Kinn und hob es ein wenig an, vielleicht um sich eine Verletzung anzusehen, die er noch gar nicht bemerkt hatte.

„Seit wann?“, fragte er, ohne auf die Geste einzugehen.

Sie lächelte ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Dennoch erschien es ihm aufrichtig. „Die ganze Zeit, Remus Lupin.“

„Du warst diejenige, die mich geweckt hat.“

Sie hob skeptisch den Blick, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich habe dich lediglich ein wenig unterstützt.“ Noch immer lächelnd strich sie über sein Haar.

Er seufzte. „Du musst mir helfen. Es geht um Sirius. Ich-“

Ihre Hand glitt sein Gesicht hinunter. Ihr Finger flackerte gegen Remus Haut, als sie ihn auf seine Lippen legte, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Das schaffst du allein.“

„Aber ich weiß nicht wie-“

Ein finsteres Knurren ließ Remus aufschrecken. Als er sich fragend an Lohe wenden wollte, war sie längst verschwunden. Es knurrte erneut. Dieses Mal hörte er es deutlich hinter sich. Seine Hand zuckte zu seinem Zauberstab. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um einen schwarzen Schatten auf sich zuspringen zu sehen. Messerscharfe Zähne verbissen sich in seinem Bein und rissen daran. Schmerzerfüllt schrie er auf. Im gleichen Moment verlor er das Gleichgewicht und stürzte hart. Seine bis dato unverletzten Ellenbogen begannen zu brennen. Blind trat er nach hinten und traf.

Die Zähne ließen ihn frei, doch er blieb nicht liegen. Er rollte sich zur Seite. Seine Hand flog in der selben Bewegung in seine Tasche und zog den Zauberstab hervor. Der schwarze Schatten glitt grollend an ihm vorbei, dort, wo er eben noch gelegen hatte. Den Schmerz ignorierend, stemmte er sich hoch.

Das Knurren ertönte erneut, doch er war bereit. Als er den Schatten im Augenwinkel zum Sprung ansetzen sah, ließ er sich im letzten Moment zur Seite fallen. Der Schatten setzte über ihn hinweg, doch er riss den Zauberstab hoch. Sein Zauber traf.

Noch im Sprung begann der schwarze Hund, sich gegen seinen Willen zurückzuverwandeln. Orientierungslos fiel er ins Wasser. Remus sprang auf, den Zauberstab auf die Gestalt gerichtet, die sich ebenfalls aufrichtete.

„Du hast mich gebissen!“, fauchte er, fassungslos. Sein Bein brannte, dort wo Sirius‘ Zähne ihre Wunden gerissen hatte. Vermutlich blutete er ziemlich.

Doch das interessierte Sirius nicht. Beinahe emotionslos zog er ebenfalls seinen Zauberstab – aber auch nur beinahe. Remus sah das Funkeln in seinen Augen. Es zeugte nicht davon, dass Sirius bereit war, mit sich verhandeln zu lassen.

Es war kein ungewöhnliches Duell, das Sirius eröffnete. Remus kannte die Taktiken, die Sirius anwenden würde – und Sirius kannte die seinen. Sie hatten zu oft trainiert, zu oft in halbem Ernst gestritten, um sie nicht zu kennen.

Stupor!

Remus verzichtete darauf, den Zauber zu blocken. Auch bitten würde er nicht. Er ließ sich schlicht auf die Knie fallen. Der Zauber segelte über ihn hinweg. „Expelliarmus!

Confringo!

Sirius blockte nicht. Sein Fluch durchschlug den Entwaffnungszauber auf halber Höhe. Selbst unter dem eilig beschworenen Schild spürte Remus die Explosion tief in seinen Knochen. Wasser spritzte in alle Richtungen. Bevor er das taube Gefühl, das folgte, abschütteln konnte, raste der nächste Zauber auf ihn zu.

Der Stoßzauber traf Remus gegen den Brustkorb, hart genug, um ihn durch die Luft zu schleudern. Der Aufschlag presste ihm den Atem in einem Schrei aus den Lungen. Fast gleichzeitig spürte er ein Ziehen an seinen Beinen. Dann hing Remus in der Luft. Kopfüber, seinen Zauberstab nur durch einen glücklichen Zufall noch in der Hand.

Protego!

Ein blauer Lichtstrahl prallte funkensprühend von seinem Schild ab. Unter dem Dröhnen der Explosion, die statt ihm eine der Schlosswände erschütterte, ging Remus zum Angriff über. Man verunsicherte keinen Remus Lupin, indem man ihn kopfüber in die Luft hängte, auch nicht, wenn man ihn davor gebissen hatte.

Ventus! Flippendo! Rictumsempra!

Sein Zauberstab glitt in einer fließenden Bewegung durch die Hexereien und zwang Sirius in die Defensive.

Der letzte Zauber traf. Sirius schien für einen Moment irritiert darüber, nicht explodiert zu sein. Einen Augenblick lang zuckte Sirius verräterisch. Dann begann er zu lachen. Und zu kichern. Remus sah seinen Zauberstab beben.

„Incendi- In- Incen-“, hörte Remus ihn zwischen den Lachern japsen. Er wartete nicht darauf, dass seine Verwünschung nachließ. Es war nicht leicht, den Liberacorpus auf sich selbst zu wirken und dann auch noch zu landen, ohne sich den Hals zu brechen, doch Remus war geübt. Als Herumtreiber hing man öfter kopfüber in der Luft, als einem lieb war.

Das Eis war hart und glatt und sein schmerzender Körper half nicht, doch er rollte sich beim Fall ab. Noch halb in der Bewegung hörte er, wie Sirius zwischen zwei Kichersalven die Formel zu Ende brachte.

„Incendio-hihihi-“

Der Gegenzauber, der die Flammen nicht ersticken aber abkühlen würde, ging ihm gerade rechtzeitig über die Lippen, als seine Haare und Augenbrauen bereits zu rauchen begannen. Unter Sirius hysterischem Kichern loderten Flammen um ihn auf, leckten an seinem Umhang und blieben gerade warm genug, um seine nasse Kleidung zu trocknen. Durch das Knistern des Feuers hörte er Sirius glucksen, husten und Luft holen. Ein eindeutiges Zeichen für das Nachlassen des Zaubers. Remus zögerte nicht, die letzten Sekunden zu nutzen.

Expelliarmus!“, bellte er. Einen zweiten Entwaffnungszauber jagte er tiefer, nicht gegen den Kopf, sondern gegen den Torso. Den ersten konnte Sirius blocken. Beim zweiten flog sein Zauberstab in hohem Bogen davon. Remus gab sich gar nicht erst der Illusion hin, das Duell sei damit beendet. Er kannte Sirius. Wenn er seinen Zauberstab verlor, fing das Duell gerade erst richtig an.

Keiner von ihnen versuchte, an den Zauberstab zu kommen, der unschuldig im See schwamm. Remus nicht, weil er ihn Sirius nicht Freihaus liefern wollte, und Sirius nicht, weil das eine willkommene Einladung zum Verhexen war. Nein – Sirius entschied sich für die direkte Alternative. Das ahnte Remus bereits, bevor sich Sirius‘ Gestalt in dem langsam erlöschenden Feuer zu verformen begann. Er schrumpfte unmerklich und sackte nach vorn. Den Rest der Verwandlung verbargen die Flammen, doch Remus hörte das Knurren, das noch halb ein Kichern war. Er sah nicht, wie der riesige, schwarze Hund die Muskeln anspannte und auf ihn zu stürzte, aber er kannte Sirius. Die Sekundenbruchteile ließen sich leicht schätzen.

Remus zielte, noch bevor er ihn sah.

Sein Zauber traf Sirius im Sprung. Die Pfoten wurden augenblicklich zu Händen, die Arme und der Torso breiter. Als Remus Sirius‘ menschliches Gesicht sah, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sirius massiger Körper krachte mit einer Wucht in seinen, die sie beide zu Boden riss. Für einen Moment wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Sein Zauberstab glitt aus seiner Hand. Remus hörte noch sein Klappern, als Sirius dafür sorgte, dass er ihn so leicht nicht wiederfand. Angestrengt öffnete er die Augen, noch unsicher, was nun geschehen sollte.

Bevor er einatmen konnte, landete Sirius den ersten Treffer. Remus‘ Lippe platzte unter seiner Faust auf. Einen Wimpernschlag später wälzten sie sich über schmelzendes Eis und durch sterbende Flammen. Gegen Sirius‘ körperliche Gewalt war für Remus noch nie ein Kraut gewachsen gewesen. Schläge prasselten auf ihn nieder. Seine eigenen gingen viel zu oft ins Leere. Die, die trafen, glitten ab oder waren viel zu schwach, um Sirius ernsthaft aufzuhalten.

Warme Flüssigkeit schmierte nach diversen Treffern über sein Gesicht. Ob sie aus seiner Nase kam oder aus einer anderen Wunde, konnte er nicht sagen. Blut lief ihm in den Mund. Seine Hand fand ihren Weg, eigentlich ein verfehlter Schlag, vorbei an Sirius‘ Kopf, doch er bemerkte die Chance, die sich ihm bot. Es war vielleicht seine einzige. Nicht gewillt, sie vorbeiziehen zulassen, griff er danach. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Arm schlang sich über Sirius Nacken. Der bemerkte, was er vorhatte, doch da zog Remus ihn bereits zu sich. Sein freier Arm schlüpfte auf der anderen Seite ebenfalls durch Sirius‘ Deckung. Auf dem Rücken fand er nur dank seiner Fingernägel halt, doch Sirius‘ schmerzerfüllter Schrei war ihm egal, als er mit beiden Händen an ihm zog.

Über ihm verlor Sirius den Halt auf dem Eis, auf dem er sich abstützte und landete endgültig in seiner unfreundlichen Umarmung, das Gesicht an Remus‘ Kopf vorbei, gegen seine Schulter gepresst. Verzweifelt strampelte er gegen Remus‘ Griff – doch Remus war nicht bekannt dafür, loszulassen, wenn er nicht wollte. Sein Griff glich längst dem eines Schraubstocks.

Indes spuckte Remus Blut. Er spürte, wie Sirius an seinem Kopf nach Haaren tastete, die lang genug waren, um daran zu ziehen, aber keinen richtigen Halt fand.

„Hör auf!“ befahl er, doch Sirius kämpfte weiter gegen seinen Griff. Remus‘ Muskeln begannen vor Anstrengung zu brennen, doch das trieb ihn nur dazu an, nicht loszulassen.

„Du hast mich gebissen“, knurrte er gegen die Schulter seines Freundes. „Das reicht doch wohl. Hör auf!“

Sirius‘ Finger fanden Haare, die lang genug waren. Heiser schrie Remus auf, tat Sirius aber nicht den Gefallen, ihn loszulassen. Seine Fingernägel gruben sich nur noch tiefer in die Haut unter ihnen „Ah- Sirius! Hör auf! Was bei Merlin soll da-AH!“

„Lass mich einfach los, dann lass ich dich los!“

Das war nicht die Antwort, die Remus sich erhofft hatte, aber es war immerhin überhaupt eine, abgesehen von den Flüchen und Zaubern, die Sirius ihm um die Ohren gejagt hatte. Gleichzeitig zu der Erleichterung, die ihn durchströmte, als er Sirius Stimme hörte, erschrak er bei der Erkenntnis, wie krank sein Freund klang.

Halb hustend spuckte er erneut Blut. „Das werde ich nicht tun“, erwiderte er schlicht. „Komm zu dir. Diese Göttin spukt dir im Kopf herum!“

Sirius bestritt es nicht einmal. „Als wenn dich das kümmern würde. Lass mich los!“

„Vergiss es. Und ja, es kümmert mich.“

„Pff. Natürlich. Es kümmert dich einen Dreck.“

Am liebsten hätte er vor Frustration geschrien. Oder jemanden gebissen. Nicht Sirius – der konnte hoffentlich das wenigste dafür. Aber diese verdammte Göttin. Und Snape. Vor allem Snape.

„Dann kümmert es mich eben einen Dreck!“, fauchte er gegen Sirius Schulter. „Solang das bedeutet, dass ich mich für dich in eine Eisskulptur verwandeln, in einen Raum voller irrer Windgeister treiben, mich aus zwanzig Yard Höhe werfen und von dir beißen lasse, um dich zu retten. Wenn das Dreck für dich ist – bitte. Definiere es, wie du willst-“

„Deshalb die Spielchen mit Fünkchen“, knurrte Sirius zurück. Er zog immer noch an seinen Haaren, aber er trat nicht mehr nach seinen Füßen.

Remus schrie nicht frustriert auf. Stattdessen fluchte er – und es tat gut. „Verdammte Drachenscheiße, Sirius! Ich spiele nicht mit Lohe! Sie spielt höchstens mit mir! Hörst du? Sie ist ein magisches Wesen und ich habe nicht vor, mich weiter auf sie einzulassen, als ich sie werfen kann!“

Sirius schnaubte gegen seine Schulter. „Das habe ich gesehen.“

Vielleicht, aber auch nur vielleicht, sollte er ihn doch beißen. Es war kein Vollmond. Aber nein – er sah davon ab. Einfach, weil es ihm in dieser Situation nicht als förderlich erschien. „Du Idiot siehst nur, was Khione dich sehen lassen will. Wenn ich die Spielchen mit Lohe lassen soll–“

„–Also gibst du es zu!–“

„–dann lass die Spielchen mit Khione“, fuhr Remus unbeirrt fort, so laut, dass ihn vielleicht sogar noch Fenwick und Søren hörten. Wenn sie noch lebten. „Sie bringt dich um.“

„Tut sie nicht.“

„Und darum fühlst du dich an, wie ein Eis am Stiel und stehst ohne Umhang im Schnee. Hast du mal in einen Spiegel geschaut? Du siehst aus wie eine Eisleiche.“

„Ach, halt‘s Maul.“

Sirius, der zwischenzeitlich zur Ruhe gekommen war, unternahm einen neuen Versuch, sich zu befreien. Vermutlich hatte er das Gespräch nur gesucht, um Kraft zu sammeln, und Halt auf dem Eis zu finden. Remus hätte erneut fluchen können. Sirius aber drückte sich ungerührt nach oben. Sein Halt um Sirius‘ Nacken ließ nach. Nicht mehr viel und er würde ihm entgleiten...
 

Eine ohrenbetäubende Explosion erschütterte das Schloss. Über Sirius‘ Schulter hinweg sah Remus die Eiswände in einem der oben Stockwerke einfach auseinander brechen. Wasser folgte. Unmengen von Wasser.

„Achtung!“, rief er und es wirkte schrill in seinen Ohren. Ohne an den Streit, ohne an die Flüche, die möglicherweise auf seinem Freund lagen, zu denken, fasste er nach und zerrte Sirius erneut an sich. Gerade noch rechtzeitig holte er Luft. Unweit von ihnen ging der Sturzbach nieder. Wassermassen fluteten über sie hinweg und spülten sie fort. Oben und unten wurden zur Glaubensfrage.

Das einzige, was er zu fassen bekam, war Sirius‘ Körper, der so eisig kalt gegen das sie umströmende Wasser wirkte. Doch Sirius mochte sich anfühlen, wie eine erfrorene Leiche – er lebte und kämpfte. Nicht mit ihm, dieses Mal, sondern mit den Wassermassen. Sein Kampf indes war aussichtslos.

Remus ließ ihn nicht los. Bei allem, was geschehen war, was geschah, was vielleicht geschehen würde – er konnte ihn nicht loslassen. Die Luft ging ihm viel zu schnell aus. Seine Lungen brannten, drängten ihn, einzuatmen. Irgendwann wurde der Reiz so stark, dass er ihm nachgab, doch sein Mund fühlte sich nur mit Wasser. Er wurde panisch.

Unvermittelt

Sie trafen auf festen Grund. Seine Arme schrammten wie Sirius‘ Rücken über Eis oder Stein oder beides. Wasser strömte über sie, dann um sie, schließlich war es fort. Er fror sofort, doch er dachte nicht darüber nach. Er dachte an gar nichts. Sein Körper übernahm die Kontrolle über ihn. Reflexartig atmete er ein. Dann begann der Husten. Er hustete, bis sein Rachen zu rau wurde und er nur noch röcheln konnte. Unter ihm hob und senkte sich Sirius Oberkörper mit jeder neuen Hustenkaskade, bis auch er nur noch krächzte. Schließlich lagen sie nur noch da, Sirius alle Gliedmaßen von sich gestreckt, Remus die Arme nach wie vor um dessen Körper geklammert.

„Sirius?“, flüsterte er schließlich heiser. Doch der antwortete nicht. Furcht wallte erneut in ihm auf, obwohl er die Atmung des anderen so deutlich spürte. Er hob den Kopf, um ihm in die Augen sehen zu können, doch Sirius‘ Kopf blieb von ihm abgewandt. Remus wollte stöhnen, er wollte schreien – nicht schon wieder.

„Er hat es wirklich getan, oder?“, krächzte Sirius leise, als Remus bereits überlegte, ob er ihn schütteln konnte oder ob er damit alles nur noch schlimmer machte. „Geschrieben, meine ich.“

Die Frage traf Remus unvorbereitet. Vor allem war sie so wirr, dass er bereits nachhaken wollte, als er verstand, wer ‚er‘ in diesem Falle war. Er suchte noch einmal Sirius‘ Blick, doch dieser wich ihm nach wie vor aus. Seufzend ließ er seinen Kopf hängen.

„Ich fürchte schon. Geht es wieder?“

„Nein.“ Sirius Adamsapfel bewegte sich, als er heftig schluckte. Für einen Moment glaubte Remus, Tränen in seinem Augenwinkel zu sehen, doch sein Freund biss sie mit aller Kraft zurück. „Er hat recht. Ich bin ein Versager.“

Remus schloss die Augen. Dieses Thema hätte er schon befürchten sollen, doch es überraschte ihn. Hass auf Snape kochte in ihm hoch, doch der brachte ihn vorerst nicht weiter. Sirius brauchte seine Hilfe, nicht seinen Zorn auf diesen verdammten Todesser, und er brauchte sie jetzt.

„Sirius- Sag sowas nicht“, stammelte er, doch mit jedem Wort fiel das Reden, das Argumentieren, leichter. „Er hat das nicht getan, weil es wahr ist, sondern um dich zu verletzen. Und mich. Und das weißt du.“

Unter ihm schnaubte Sirius leise. „Ich habe dich gebissen. Gebissen! Und verprügelt. Ich bin ein Versager, Moony.“

„Weil dir ein irres magisches Wesen durch den Kopf gespukt ist, vor dem ich dich hätte schützen müssen, als ich die Gelegenheit dazu hatte-“

„Jetzt fang du nicht auch noch so an!“

Für einen Augenblick biss Remus die Zähne zusammen und schluckte die Verwünschungen, die er Snape an den Hals wünschen wollte, hinunter. Ihm und Lucius und dieser Schneegöre. Und Dumbledore. Vor allem aber sich selbst.

„Richtig, entschuldige. Aber – selbst wenn du ein Versager bist, und das glaube ich nicht, interessiert mich das nicht. Du bist Sirius und du wirst Sirius bleiben. Mein Sirius. Und das ist alles, was zählt.“

Endlich sah Sirius auf. Remus sah den Terror, den er durchgemacht haben musste, doch in seinen Augen spiegelte sich noch etwas anderes – Schalk.

„Seit wann bin ich dein Sirius?“

„Wenn du mich schon zu deinem Territorium erklärst, kann ich das auch. Aber nur, damit wir uns verstehen: Mir gehen deine Reviermarkiererei und deine Eifersucht auf die Nerven.“

„Aber ich bin dein Sirius?“

Egal, was er sagte – die Antwort würde vermutlich ein Fehler sein. Er seufzte und gab sie trotzdem.

„Natürlich bist du das.“

„Gut.“

Sirius lächelte dünn und vermutlich mit Hintergedanken, die ihm nicht gefallen würden, aber Remus fiel dennoch ein Stein vom Herzen. Ein Sirius, der ihn mit Hintergedanken anlächelte, war besser als ein Sirius, den er schütteln musste, um überhaupt eine Reaktion zu bekommen. Auch wenn er sich dafür beißen und verprügeln lassen musste.

Vorsichtig drehte Sirius sich ihm wieder zu. „Ich hoffe, ich habe nicht zu stark zugebissen.“

„Nun … Ich könnte einen Episkey gebrauchen. Oder zwei. Oder...“

Nur widerwillig eine Hand unter Sirius hervorhebend winkte er ab. Seinen Zauberstab hatte er schon vor der Flut verloren und Sirius ebenso. Die Chancen, die Stäbe wiederzufinden, waren gering. Womit er beim nächsten Problem war – er brauchte seinen Zauberstab. Und der konnte überall sein.
 

‚Überall‘, das war in dem Fall Lohes Hand, die sie ihnen just in diesem Moment entgegenhielt.

„Dann sollte sie einer von euch sprechen.“

Unter sich hörte er Sirius schnauben. Trotzdem war es Sirius, der Lohe die Zauberstäbe abnahm, wenn vielleicht auch ein wenig ruppig. Sie beschwerte sich nicht.
 

Remus beschwerte sich auch nicht, obwohl Sirius‘ Heilzauber nicht die besten waren. Ein Heiler – oder Lily – würde sich sicher die Augen dabei zuhalten, wenn er – oder sie – ihn heilen sah, aber Remus und Lohe waren die einzigen Zuschauer. Und zumindest Remus war zugegebenermaßen ein wenig abgelenkt, unter anderem von der Tatsache, dass Sirius mit einem spitz zulaufenden Gegenstand an seinem Auge herumhantierte.

Als Sirius endlich erklärte, er sei fertig, waren die meisten Verletzungen nicht vollkommen verheilt, aber zumindest im Abheilen begriffen. Zumindest, wenn man davon ausging, dass sie deswegen juckten. Er fühlte sich schwummrig, als er aufstand, doch er konnte stehen. Neben ihm erhob sich Sirius ebenfalls. Er war immer noch viel zu blass, aber zumindest etwas Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt – auch wenn ein Teil sich vielleicht auf das Blut zurückführen ließ, das Remus über ihm verteilt hatte.

Kurzentschlossen heilte Remus nicht nur Sirius‘ Rücken – zumindest die Abschürfungen, die er heilen konnte, denn die Schnitte weigerten sich standhaft gegen jedwede Behandlung, was er Sirius allerdings verschwieg – er trocknete auch ihre Sachen. Dennoch fror er nach wie vor.

Sirius indes verschränkte die Arme vor der Brust. Remus konnte sehen, wie jedes Haar auf seinem Arm vor Kälte abstand. In sich spürte er immer noch Sørens Wärmezauber, doch darauf konnte Sirius nicht zurückgreifen. Die Augen schließend entschied er sich dazu, die Verschlüsse seines Umhangs zu öffnen und Sirius das, was davon übrig war, zu reichen.

„Moony“, hörte er Sirius‘ skeptische Stimme neben sich. „Du wirst frieren.“

„Und du? Ich sehe die Gänsehaut, Padfoot“, gab er trocken zurück. „Zieh ihn an.“

Sirius antwortete ihm mit trotzigem Schweigen, doch Remus schwieg eisern zurück. Sirius-Momente vergingen. Schließlich spürte er, wie das Gewicht des Umhangs aus seiner Hand verschwand. Stoff raschelte, als Sirius ihn sich kommentarlos überwarf. Er beschwerte sich nicht einmal darüber, dass er ihm zu klein war, aber selbst dann hätte Remus es vermutlich nicht registriert.

Seine Aufmerksamkeit beanspruchte etwas anderes. Das Artefakt glühte gegen seine Brust, so heiß, dass es unangenehm wurde. Vielleicht tat es das schon länger, doch er spürte es erst jetzt. Eilig nahm er es ab. Selbst die Kette war warm. Als es jedoch in der Luft hing, begann es beinahe augenblicklich in einem Wind zu pendeln, den er nicht spüren konnte.

„Was zum-“, hörte er Sirius neben sich.

„Er ruft euch“, antwortete Lohe neben ihm.

Remus blickte nur um Augenwinkel zu ihr. „Notos? Sollte der nicht beschäftigt sein?“

Tatsächliche hörte er nach wie vor das Dröhnen des Windes über ihnen. Immer wieder rieselte Schnee über sie hinweg. Er konnte nicht glauben, dass der Kampf beendet war. Doch Lohe schüttelte ohnehin den Kopf.

„Nicht Notos. Derjenige, der mich geschickt hat.“

Derjenige, der sie geschickt hatte? Bis jetzt war er davon ausgegangen, dass Notos sie geschickt hatte oder sie, vielleicht aus Treue zu diesem, auf eigene Faust handelte. Aber jemand anderes, der seine Finger im Spiel hatte? Nicht auch noch das.

Remus schloss die Augen. Wundervoll. Im Idealfall bedeutete das ein weiteres magisches Wesen, das er nicht kennen lernen wollte. Als hätte er davon in den letzten Tagen nicht schon genug gehabt.

„Und du erwartest, dass wir seinem Ruf folgen.“

„Er erwartet, dass ihr seinem Ruf folgt.“

Seufzend öffnete Remus die Augen wieder und starrte hoch zum Schloss. Nur kurz warf er Sirius einen Blick zu, um sich zu vergewissern, ob er ihm wirklich anbieten sollte, hier zu bleiben. Die Frage blieb ihm im Halse stecken, als Sirius seinen Blick erwiderte.

„Da lang?“, fragte sein Freund und deutete auf den Flügel des Schlosses, der ihnen am nächsten war. „Gut.“

„Sirius–“, begann er, als sich sein Freund einfach in Bewegung setzte.

„Klappe, Moony. Nicht reden. Pendeln.“
 

Die Gänge, in die das Pendel sie führte, kannte Remus nicht, doch das musste bei dieser Anlage nichts heißen. Hier waren die Wände noch stabil und der Boden weitestgehend trocken. Wie groß Notos‘ Macht vielleicht auch war, bis in diesen abgelegenen Teil von Khiones Schloss reichte sie nicht. Immer wieder spürten sie Erschütterungen, die den Boden vibrieren ließen, doch sie begegneten niemanden. Nicht einmal den Statuen, die sonst überall zu finden waren. Allein das jagte Remus genauso Schauer über den Rücken, wie die Frage, wie viel Menschen für Khiones Statuen gestorben waren – und wie viele davon vielleicht noch lebten.

Immer weiter stiegen sie Treppen und Gänge hinauf, doch verglichen mit all dem, was ihm widerfahren war, war ihr Weg unspektakulär. Schweigend erklommen sie Treppe für Treppe, nur selten von einem Kommentar seitens Sirius unterbrochen.

„Irgendetwas stimmt hier nicht, Moony“, lautete seine neueste Beschwerde. Vielleicht lag es einfach nur an der sinkenden Temperatur. Vielleicht auch daran, dass die Erschütterungen zunahmen oder daran, dass er die Orientierung verloren hatte – aber Remus spürte es auch. Es kribbelte auf seiner Haut und er war sich sicher, es auch zu riechen, zumindest, wenn man Kälte riechen konnte. Er erinnerte sich nicht an den Geruch von Khione. Beim ersten Aufeinandertreffen, war er dazu zu erstarrt gewesen, beim zweiten ‚Treffen‘ rang sie längst mit Notos. Dennoch glaubte er, sie zu riechen – oder etwas, das noch mächtiger war, als die Nichte des Südwinds.

„Ich rieche es“, gab er zurück, auch wenn das vielleicht nicht die Antwort war, die Sirius hören wollte.

Ein leises Schnauben kündigte an, dass Sirius etwas erwidern würde. Da stoppte das Artefakt die Pendelbewegung. Die Kette glühte mittlerweile in seiner Hand, so, als ziehe es entweder Energie – oder als wolle es am liebsten möglichst weit weg sein.

Sirius bemerkte es auch.

„Moony?“, fragte er leise. „Das sollte es nicht tun, oder?“

„Ich weiß es-“

Mit einem Schlag wurde es zu heiß. Er wusste, dass er sich die Fingerkuppen, die die Kette hielten, verbrannt hatte, bevor er es fallen ließ.

„Argh!“

„Remus!“

Wie in Zeitlupe schlug das Artefakt auf dem Boden auf und sprang wieder hoch. Licht ging von ihm aus, so stark, dass er es selbst dann noch sah, als er die Augenlider aufeinander presste. Mit dem Licht kam die Wärme. Augenblicklich stand er im Wasser, aber er traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Eine leichte Brise blies ihm ins Gesicht, doch bald darauf toste um sie ein schneidender Wind.

Das Licht erstarb und ließ sie in Dunkelheit zurück. Vorsichtig öffnete er blinzelnd die Augen. Auf seiner Netzhaut sah Remus das Licht immer noch.

„Du bist langsam, Wolf“, ertönte eine Stimme, die den Boden vibrieren ließ.

Überrascht wirbelte er herum. Zwischen den Lichtstrahlen, die nur langsam von seiner Netzhaut verschwanden, erkannte er nicht mehr als einen alten Mann. Von den Schultern bis zu den Füßen trug er einen Umhang aus Fell, der im Wind wehte wie ein Segel, genauso wie die großen, purpurnen Flügel auf seinem Rücken. Sein Kiefer wurde durch einen langen Bart verdeckt und doch erkannte Remus die Ähnlichkeit sofort. Dieser Mann mochte Notos sein, wenn dieser einmal alt war. Das jedoch würde nicht eintreten – was nur eine Option offen ließ.

„Boreas“, stellte er langsam fest.

Vorsichtig versetzte er Sirius einen kurzen Schlag, damit dieser die Frage ‚Borewas?‘ - oder was auch immer genau er fragen wollte – nicht stellte. Sirius neben ihm, den Mund schon halb offen, stockte tatsächlich. Er knurrte unglücklich, hielt aber tatsächlich den Mund.

Boreas nickte. „Der bin ich, Wolf. Ich hoffe, du verstehst, dass ich keine Zeit habe, dir für deine Langsamkeit das Fell über die Ohren zu ziehen – ich habe Familienangelegenheiten zu erledigen.“

Der Nordwind machte einen Schritt nach vorn und wurde zum Wind. Böen peitschten um sie, dann war er verschwunden.

„Der hatte es eilig“, stellte Sirius skeptisch fest.

Remus nickte knapp und beugte sich zu dem Artefakt hinab. Das Wasser um das Amulett dampfte, doch als er es berührte, lag es deutlich kühler gegen seine Haut. Vorsichtig streifte er sich die Kette wieder über den Kopf. Er blickte den Gang entlang – der kein Gang mehr war. Die Wände fehlten einfach. Stattdessen öffnete sich um sie ein Saal. Wundervoll. Er atmete tief ein.

„Ein Grund mehr, von hier zu verschwinden.“
 

Bevor er einen Schritt zurück in die Richtung machen konnte, aus der sie gekommen waren, bemerkte er eine Bewegung in seinem Augenwinkel und erstarrte.

„Das denke ich nicht“, verkündete Lucius Malfoy, als er die Treppe, die ihnen am nächsten war, hinunter schritt, den Zauberstab auf sie gerichtet. Seine Glatze glänzte nach wie vor, doch er wirkte ramponiert, so, als hätte jemand ihn ordentlich zugerichtet. Dieser jemand war möglicherweise Fenwick, von dem sich Remus im selben Moment wünschte, er hätte seine Arbeit besser erledigt. Eine zweite Person folgte dem Todesser, möglicherweise Wilkes.

„Keine Bewegung, Black“, dröhnte Malfoys Stimme durch den Raum. „Das gilt auch für dich, Lupus.“

Das Herz blieb ihm beinahe stehen. Nicht auch das noch. Um Merlins Willen, nicht auch das noch. Ohne sich zu rühren blickte er hinüber zu Sirius. Noch einmal würde Sirius es kaum ertragen, gefoltert zu werden – und Remus auch nicht. Sirius Blick sagte ihm genau das und noch viel mehr. Unter anderem, dass Sirius noch eine Rechnung offen hatte und Remus es sich allein schon aus diesem Grund abschminken konnte, sich Gryffindor-heroisch vor seinen Freund zu stellen und die Flüche für ihn zu beziehen. Außerhalb von Malfoys Blickfeld hob Sirius eine Augenbraue. Remus spürte mehr, als das er sah, wie Sirius Blick zu seiner Tasche glitt, wo sein Zauberstab neben seiner Hand unschuldig aus dem Stoff ragte. Remus‘ eigene Hand ruhte, eher zufällig, bei seinem eigenen, den er sich aus Ermangelung von Umhangtaschen in den Gürtel geschoben hatte. Sirius‘ Augenbraue zog sich höher. Langsam erwiderte Remus den Blick.

„Gut so. Hebt jetzt ganz langsam eure Hände.“

Weder Sirius noch Remus hatten verarbeiten können, was in den letzten Tagen, vielleicht Wochen, passiert war. Dafür, dass sie sich vor kurzem die Köpfe eingehext hatten, war es überraschend, wie reibungslos die nonverbale Herumtreiber-Kommunikation zwischen ihnen noch funktionierte, auch wenn sie in etwa so verlief: Diese Idee ist lebensmüde, Padfoot. – Ich bin lebensmüde. Komm schon, Moony! – Du bist wahnsinnig. – Nein, du bist feige. – Padfoot! – Auf drei? – Du bist unmöglich … Na gut. Auf drei. – Drei!

Noch während des Blickduells hatte Remus ganz langsam damit begonnen, seine Hände zu heben, genau so, wie Lucius Malfoy es wollte – und genau so, dass er auf der idealen Höhe innehalten konnten.

„Hände hoch, habe ich gesagt!“

Remus hob nun tatsächlich die Hand, nicht ohne seinen Zauberstab dabei zu fassen. In der gleichen Bewegung wirbelte er herum.

Expelliarmus!, befahl er nonverbal.

Avada Ke-

Sirius‘ Fluch war schneller. Binnen eines Wimpernschlags war Malfoys Glatze verschwunden, genauso, wie der Rest von seinem Kopf. Stattdessen schwankte ein viel zu großer Kürbis auf seinen Schultern. An seinen Fluch dachte Malfoy danach vermutlich nicht mehr, doch das würde ohnehin nicht fruchten. Sein Zauberstab segelte er in hohem Bogen davon. Er sah Wilkes in Deckung springen.

In seinem Augenwinkel sah Remus Licht. Ein roter Fluch raste in wenigen Zoll Abstand an ihm vorbei. Ein silberner donnerte hinterher. Beide trafen ihr Ziel. Für einen Augenblick schwebte Malfoy in der Luft, dann krachte er davon.

Sirius neben ihm wirbelte herum – ein Zeichen für Remus, genau dort stehen zu bleiben, wo er war, und den Zauberstab auf den am Boden kauernden Wilkes zu richten.

„Wer ist da?“, hörte er Sirius neben sich fragen.

Statt einer Antwort auf diese Frage, hörte Remus nur eine Beleidigung. „Lupin? Du bist ein lebensmüder Idiot. Tu mir einen Gefallen: Dreh dich nie wieder um, wenn ich an dir vorbeihexen will. Sonst treff ich irgendwann Dinge, die du noch brauchst.“

Er blinzelte und schielte nun doch über seine Schulter zurück. Er sah nur nichts. Das heißt – vielleicht war dort ein Schemen oder zwei. „Fenwick?“

„Live und in … äh … nicht Farbe. Wartet.“

Eine Bewegung in seinem Augenwinkel später sah Remus, wie sich Fenwicks kurze, blonde Gestalt aus dem Hintergrund hervorhob. Er sah so aus, als hätte ihn jemanden ordentlich verprügelt. Neben ihm flackerte das Eis. Vor sich hörte er Wilkes quieken, als sein Zauberstab in hohem Bogen davon flog.

„Gnade! Ich gebe auf!“, keuchte er einen Moment später und hob die Hände. „Ich geb auf, aber tut mir nichts. Bitte, tut mir nichts!“

Neben ihm drehte sich Sirius erneut um. Für einen kurzen Augenblick registrierte Remus nicht mehr, als seinen Zauberstab, den er zielsicher auf den wimmernden Todesser richtete. „Gib mir einen Grund dazu, Willykins. Und es ist besser ein sehr, sehr guter.“

Wie um seine Worte zu unterstreichen, heulte über ihnen der Wind.

„Wir müssen gehen“, antwortete eine Stimme, die mit ihrem norwegischen Akzent deutlich zuzuordnen war, auch wenn Remus Søren kaum sah. „Das ganze Schloss taut.“

„Ich weiß“, antwortete Sirius, ohne den Zauberstab zu senken.

„Es wird nicht mehr lange halten“, gab Søren unnachgiebig zurück. „Einige Hallen sind schon eingestürzt.“

Sirius fluchte. „Das ist ein guter Grund. Gehen-“

Krack.

Remus zuckte zusammen. Vorsichtig blickte er nach unten. Durch den Riss neben seinen Füßen konnte er in das Geschoss darunter blicken.

Krack.

Eis rieselte ihm in den Nacken und ließ ihn schaudern, als sich ein weiterer Riss über ihm auftat.

„Äh- Jungs?“, flüsterte Fenwick leise.

Während Remus nach oben schielte, und in das Geschoss über ihnen starrte, raschelte es, als Wilkes beschloss, dass die Zeit günstig war, um sein Heil in der Flucht zu suchen. Remus hätte ihn verhexen können, doch er hatte ziemlich sicher andere Probleme. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück.

Krack. Krack. Krack.

Er sah zu Sirius, der seinen Blick furchtsam erwiderte. Wie von selbst fanden sich ihre Hände. Dann fielen sie. Eis stürzte an ihnen vorbei. Sie passierten kollabierende Wände aus Eis und Schnee. Schreiend umklammerte er Sirius Hand und seinen Zauberstab. Er sah nur noch weiß und blau und immer wieder Sirius Körper, wie in einem Strudel, der sie mit sich zog. Kein Zauber fiel ihm ein, der sie retten mochte. Wasser erstickte seinen Schrei. Sirius Fingernägel gruben sich in seine Haut, während die Wassermassen an ihnen zerrten. Er spürte trotzdem, wie sie langsam den Halt verloren. Ein letztes Mal tauchte Sirius vor seinem Auge auf, dann glitten seine Finger von seiner Hand. Im Bruchteil einer Sekunde war er fort. Er wollte schreien, doch er konnte nicht. Er bekam keine Luft mehr, die Macht der Flut erstickte jede Bewegung.

Es gab keinen Aufschlag. Die Abwärtsbewegung hörte einfach auf. Das Wasser spülte Remus mit sich, in die Höhe, in die Tiefe, irgendwohin. Er versuchte, zu schwimmen, als er die Arme bewegen konnte, doch seine unkoordinierten Bewegungen brachten ihn nirgendwohin. Unter sich sah er ein Licht, vielleicht war es auch oben. Luftblasen umströmten ihn, ein Gesicht tauchte vor ihm auf und er wusste, er musste phantasieren. Hände griffen nach ihm, ignorierten seinen nur noch halbherzigen Widerstand zogen ihn in die Tiefe...

Urplötzlich durchbrach er die Wasseroberfläche. Zuerst realisierte er es gar nicht, dann spuckte er Wasser. Schließlich atmete er. Flache, hustende Atemzüge, aber er atmete. Die Hände ließen ihn los, ohne, dass er ihr Verschwinden wirklich bemerkte. Etwas trieb ihn durchs Wasser, zog ihn halb, schob ihn halb, doch er war mit Atmen beschäftigt. Atmen und husten.

Doch schließlich verschwand auch die letzte Hand, die ihn hielt, und ließ ihn liegen, auf etwas, das alles sein konnte. Seine Fingerkuppen fanden Steine. Wasser schwappte ihm bis zu den Hüften. Seine Augen brannten vor lauter Wasser, als er versuchte, sie zu öffnen. Verschwommen tauchte ein Gesicht vor ihm auf, ein Gesicht, das er kannte. Doch er konnte nicht mehr tun, als die Augenbrauen zusammenzuziehen und die Stirn zu runzeln.

Finger berührten seinen Kopf, wuschelten durch sein nasses Haar. Augenblicklich fühlte er sich besser. Das Atmen wurde leichter. Ihm war weniger kalt.

„Denkst du, du überlebst es, Remus?“, fragte Notos ihn grinsend.

Remus Gedanken jedoch waren längst mit anderen, dringenderen Fragen beschäftigt.

„Sirius-“, keuchte er verzweifelt.

Über ihm sah er Notos noch breiter grinsen. Der Windgott musste sich nicht einmal anstrengen, um Remus‘ Kopf in die von ihm gewünschte Richtung zu drehen. Nur wenige Yard entfernt kniete eine weitere Gestalt am Ufer und hustete. Sie trug Remus‘ Umhang.

Für einen Moment schloss er die Augen und atmete noch einmal tief durch, dann konnte ihn auch Notos‘ Hand nicht auf dem Boden behalten. Über glitschige Steine und Eis hinweg kroch, rutschte und schlitterte er.

„Sirius!“, japste er, als er sein Ziel erreichte.

Der Angesprochene hustete, doch es klang halb wie ein Lachen. „Wenn mich heute noch irgendwer ertränken will, ich schwöre, er soll sich hinten anstellen.“

Remus schnaubte leise und ließ den Kopf erleichtert hängen. Sanft berührte er dabei mit seiner Stirn Sirius‘ Schulter. „Ich hoffe, nicht. Alle guten Dinge sind ja bekanntlich drei.“

„So schnell kriegt man uns nicht tot.“

„Wir waren oft genug nah dran, in der letzten Zeit.“

„Ach iwo.“

Eine nasse, kalte Hand begann, seinen Kopf zu tätscheln, doch er beschwerte sich nicht. Erleichterung schwappte über ihn und ließ keinen Platz für die Frage, was er tun würde, wenn das noch nicht alles war.

Irgendwann erhob sich Sirius neben Remus und er folgte taumelnd. Von Khiones Schloss war nicht mehr zu sehen, als ein paar tauende Schollen, die durch die zerbrochene Eisschicht des Sees schwappten. Zum ersten Mal seit langem war der Himmel klar und blau. Keine Polarlichter zogen sich vor die Sterne. Kein Sturm peitschte über ihn hinweg. Nur der Horizont im Süden strahlte heller, dort, wo die Sonne nicht aufgehen würde, und tauchte den See in Dämmerlicht. Sie befanden sich auf einer Insel mitten im See, doch das störte Remus nicht. Sirius stand neben ihm und er sah Notos, wie er zwei weitere Gestalten dazu antrieb, sich zu erheben. Fenwick und Søren. Auf der anderen Seite des Inselchens hockte Lohe am Ufer, ein paar Zoll über dem Wasser schwebend und scheinbar in ein Gespräch mit jemandem versunken, den er nicht sehen konnte. Als sie Remus‘ Blick bemerkte, winkte sie ihm lächelnd zu.

Ohne, dass einer von ihnen etwas sagen brauchte, schritten Sirius und er zu ihren Begleitern.

„Du bist also der Gott des Südwindes, huh?“, hörte er Fenwick fragen, als sie nähertraten.

Notos lachte. „Brauchst du dafür einen Beweis?“

„Du könntest die Arrows beim nächsten Spiel von ihren Besen pusten. Das wäre cool.“

„Wäre das nicht Betrug?“, mischte sich Remus ein.

Fenwick aber winkte ab. „Quatsch. Was sie nicht beweisen können, ist auch kein Betrug. Oder hast du schon einmal einen Spieler über einen Windgott schimpfen gehört, der das auch noch ernst gemeint hat? Pfft. Götter, ich glaube es ja selbst nicht richtig. Und griechische obendrein.“

Zugegeben – Remus prustete leise. Er konnte nicht anders, als diesem Quidditchnarren zustimmen, auch wenn es für ihn Betrug bleiben würde. Nur die Kraft, um Fenwick davon zu überzeugen, hatte er für die nächste Zeit wohl nicht mehr.

„Wir haben viele Formen, Benjy Fenwick“, antwortete Notos, schien aber nicht beleidigt. „Aber ich mag die hier. Die Flügel sind cool.“

Remus sah keine Flügel. Nachhaken würde er indes nicht, erinnerte er sich doch an die Tattoos, die er gesehen hatte. Wenn es denn Tattoos waren. Immerhin hatte Remus auch Boreas gesehen, Boreas mit Flügeln und die waren ganz sicher keine Tattoos gewesen.

Sirius indes schielte einfach an dem Gott vorbei auf dessen Rücken – eine Geste, die er mit Fenwick gemeinsam hatte. Den Vierten in der Runde, Søren, interessierte die Flügel-Frage scheinbar nicht. Die Arme vor der Brust verschränkt, belastete er nur ein Bein. Er sah genauso zerschunden aus, wie sie alle, dennoch strahlte er die Ruhe aus, die ihm so sehr eigen war.

„Es ist vorbei?“, fragte er bedächtig.

Notos winkte, über Fenwick und Sirius grinsend, ab. „Für mich ist es das nie. Khione wird es wieder versuchen, irgendwann. Und wenn nicht, dann einer meiner Brüder. Ich muss zugeben – ohne sie wäre es langweilig“, antwortete er freimütig. „Für euch – möglich. Vorerst sicher. Boreas und meine liebreizende Nichte sind fort. Unschwer zu übersehen. Ihre menschlichen Handlanger – Apollo, das alte Orakel, mag wissen, wo sie sich befinden, ich tue es nicht. Mit etwas Glück treiben sie am Grunde des Sees.“

Unmerklich atmete Remus auf. Er wollte es selbst nicht zugeben, aber die Antwort erleichterte ihn über alle Maßen. Solange Notos sich nicht noch dazu herabließ, ihnen ans Leben zu wollen … Ruhe. Heilzauber, ein paar Tränke, ein heißes Bad und dann sein Bett. Irgendein Bett, wenn nötig. Möglichst mit Sirius an seiner Seite, nur um zu wissen, dass er noch da war. Wenn sie aufwachten, dann konnten sie vielleicht anfangen, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Zu verarbeiten, was geschehen war. Eine Lösung für die Schnitte auf Sirius Rücken suchen. Snape die Nase brechen, falls dieser sich noch einmal blicken ließ. Aber vorerst … vorerst war er einfach nur hundemüde.

Nur eine Frage, die musste er noch stellen.

„Khione und Boreas, schön und gut. Aber was ist mit den anderen? Göttern, meine ich. Der griechische Pantheon ist voll davon.“

Notos schwieg lange, schüttelte dann aber, ernsthafter, als er ihn bis dato erlebt hatte, den Kopf. „Macht euch darüber nicht zu viele Gedanken. Ihr Menschen seid mächtiger, als ihr denkt. Euer Wille kann, wenn auch nicht sprichwörtlich, Berge versetzen. Euer Glaube ist das, was zählt – und ihr glaubt schon lange nicht mehr an uns.“

„Also brauchen wir keine Angst davor haben, dass Poseidon seinen Dreizack nach uns wirft, oder Zeus sich in einen Stier verwandelt, um unsere kleinen Schwestern zu entführen?“, ertönte Fenwicks Stimme, reichlich skeptisch.

Neben ihm verzog Sirius das Gesicht. „Ich hab nur einen kleinen Bruder. Und den kann er gerne haben. Ich fürchte nur, den will er nicht mal geschenkt.“

Notos zuckte mit den Achseln. Sein Körper wehte dabei nur ein wenig. „Versprechen kann ich es euch nicht, aber die alten Spießer haben sich seit Jahrhunderten nicht mehr blicken lassen. Solange ihr eure Schwestern nicht gerade bei einer Horde Kühe lasst...“

Remus sah das verschwörerische Grinsen auf Sirius‘ Gesicht nicht, aber er wusste, dass es da war, als sich sein Freund zu ihm neigte, sodass er ihm ins Ohr flüstern konnte. „Heißt das, ich soll Regulus mal an eine Kuh binden?“

Skeptisch lächelnd zog Remus die Augenbrauen hoch. Eigentlich sollte er Sirius bei solch dummen Ideen nicht unterstützen. Uneigentlich war ihm das schon immer egal gewesen.

„Du kannst es zumindest mal versuchen“, gab er leise zurück.

„Hilfst du mir?“

Lohe rettete ihn davor, auf diese Frage eine ernstgemeinte Antwort geben zu müssen, die nur falsch sein konnte. Sie hatte ihr Gespräch mit dem See scheinbar beendet. Mit wehendem Kleid und wehendem Körper trat sie auf sie zu und blieb ausgerechnet vor Sirius stehen. Der war … nicht begeistert. Doch Remus konnte förmlich sehen, wie seine Laune stieg, als sie ihm seinen Zauberstab hinhielt. Erst, als Sirius den seinen entgegengenommen hatte, überreichte Lohe die drei übrigen ihren Besitzern. Dankbar schlossen sich Remus Finger um den seinen.

„Ich hatte noch einen Gefallen bei meinen … Cousinen offen. Ich hoffe, sie haben alle gefunden?“, erklärte sie lächelnd. Nachdem sie alle vier nickten, fuhr sie fort. „Danke für eure Hilfe.“

Remus nickte erneut. In seinem Augenwinkel sah er, wie Fenwick mit seinem Stab spielte, während Søren seinen einfach nur zurück in seine Halterung am Gürtel steckte und Lohe nicht aus den Augen ließ. Nun – er hatte sie auch noch nicht kennenlernen dürfen.

„Danke“, entgegnete Søren ihr, mit einem Tonfall, der trotz des Akzentes verriet, dass das nicht alles war, was er dachte. „Darf ich fragen, wer dich geschickt hat? Notos?“

Lachend schüttelte Lohe den Kopf. „Boreas.“

„Bore-“ Remus stockte, noch bevor er den Namen vollständig aussprechen konnte. Skeptisch blickte er zu Notos, der in den Himmel starrte und so tat, als höre er nicht zu. Beide hatten dieselbe Aura, die selbe schwülwarme Luft, die sie umgab. Sie mussten irgendwie zusammengehören … „Warum Boreas?“

„Es war Notos, den Khione zuerst unter ihre Gewalt brachte.“

Diese Information machte es für Notos schwieriger, den unbeteiligten Ignoranten zu spielen, doch er hielt sich tapfer. Remus sah, wie er sich einen Kommentar verbiss und weiter vorschob, dass ihn der Satz nicht tangierte, obwohl er ziemlich sicher an seinem göttlichen Ego kratzte. „Meine Schwestern und ich strömten aus, um ihn zu suchen. Ich traf auf Boreas, der mir den Auftrag gab, das Machtsymbol seines Bruders zu finden. Da ich mir davon Hilfe versprach – und man seinem Vater keinen Wunsch abschlägt…“

„Vater?“, hörte Remus Sirius neben sich stöhnen und wusste, dass sein Freund gerade Lohe mit dem bärtigen Alten aus Khiones Schloss verglich. Fenwick tat das im Übrigen auch, Remus sah es ihm an. Er selbst hielt sich nur mit Mühe davon ab.

Lohe nickte. „Überrascht es dich so sehr, dass eine Windnymphe die Tochter eines Windgottes ist?“

„Ich dachte nur–“, stotterte Sirius verunsichert und vielleicht von seiner eigenen Phantasie ein wenig angewidert. Remus kannte Sirius‘ Phantasie – und sie war definitiv zu lebhaft.

Notos indes lachte. Seinen Blick vom Himmel ab- und ihnen zuwendend trat er wieder näher in ihren Kreis. „Denk besser nicht zu viel, Junge. Ich glaube, es ist Zeit für euch, zu gehen“, sagte er und nickte in den Himmel, wo Remus aber nicht mehr sehen konnte, als die hellsten Sterne. Skeptisch blickte er zu dem Gott zurück, der fordernd seine Hand ausstreckte. „Ich glaube, du hast noch etwas, das mir gehört.“

Er hatte noch–

„Oh.“

Das Artefakt, natürlich. Dass es Notos gehörte, irritierte ihn nicht. Dennoch zögerte er. In der letzten Zeit hatten so viele Leute verlangt, dass er es ihnen aushändigte, dass er sich tatsächlich fragte, ob das eine gute Idee war. Notos zog wartend eine Augenbraue hoch. Letztendlich gab Remus sich einen Ruck und streifte die Kette über seinen Kopf, um sie dem Gott auszuhändigen. Der nahm sie sorgfältig entgegen und hing sie sich selbst um. Ohne das Amulett fühlte Remus sich plötzlich seltsam nackt, aber immerhin flog ihm Notos nicht plötzlich um die Ohren.

„Danke“, sagte er schlicht. „Wir sehen uns wieder. Spätestens im Sommer. Lohe?“

„Gleich“, antwortete die Nymphe und warf einen neuen Blick zu Sirius. Der trat einen vorsichtigen Schritt zurück. Nicht, dass sie das davon abhielt, ihm zu folgen. Ohne auf sein Unwohlsein zu reagieren, schwebte sie über ihm und drückte ihm ungefragt einen Kuss auf die Stirn. „Danke. Auch wenn du wirklich nicht jedes Kästchen aufmachen solltest, das dir in die Finger fällt. Das nächste Mal lockt es vielleicht nicht nur mich an.“

„Was zum–“

Auch diesen Einwand ignorierte sie. Stattdessen bedankte sie sich auch bei den anderen drei Männern auf ihre recht eigenwillige Art.

„Verzeih mir die ganzen Unannehmlichkeiten, Remus“, flüsterte sie, als sie ihn erreichte. „Ich habe dich nicht ausgewählt. Du warst dennoch die richtige Wahl. Genauso wie deine Freunde. Viel Glück.“

Ihr Kuss war nicht, wie der letzte. Nur zart aufgehaucht, hinterließ er ein warmes Kribbeln auf Remus‘ Stirn. Die Last, die immer noch auf seinen Schultern ruhte, fühlte sich ein wenig leichter an. Er hatte das Gefühl, dass das ihre Art eines Abschiedsgeschenkes war. Lächelnd wandte sie sich ab und wehte zu Notos. Die Art, wie sie den Arm des Gottes berührte, ließ keinen Zweifel offen, mit wem sie eigentlich spielte. Selbst Sirius schien das, dem plötzlichen Husten nach zu urteilen, das ihn ergriff, zu erkennen.
 


 

„Ich habe sie! Ich glaube, ich habe sie!“, rief jemand über ihnen. Ruckartig riss Remus den Kopf hoch und starrte in den Nachthimmel. Stimmen wurden laut. Neben ihm taten seine Begleiter das gleiche. Er konnte den dunklen Fleck, der über ihnen kreiste, deutlich sehen. Wie von selbst umklammerte er seinen Zauberstab und hob ihn ein wenig, bereit, unerfreuliche Sachen damit zu tun.

„Davon würde ich absehen“, ertönte Notos‘ Stimme neben ihm. Ein lauer Wind blies gegen seinen Stab und brachte ihn allein dadurch dazu, ihn wieder zu senken. Die Brise strich kurz über sein Gesicht. Remus musste nicht nachsehen, um zu verstehen, dass Notos und Lohe verschwunden waren. Weitere Flecken erschienen am Himmel und sanken tiefer. Bald konnte er die Gestalt von vier schwarzen, geflügelten Pferden ausmachen. Kurz darauf erkannte er die ledernen Schwingen und das skelettartige Äußere. Jedes der eigenwilligen Pferde trug einen menschlichen Reiter und Remus erkannte sie alle.

„Remus?“, flüsterte Sirius neben ihm. „Schweben die in der Luft?“

Ohne zu ihm zu blicken, schüttelte er den Kopf. „Thestrale.“

„Thestrale? Sicher, dass wir sie nicht runterhexen-“

Der Reiter, der sie zuerst gesichtet hatte, landete mit einem leisen Klatschen, als die Hufe seines Reittieres ins flache Ufer der Insel traten. Unter den schlagenden Schwingen des Thestrales schwappten Wellen gegen das Ufer.

„Ganz sicher“, antwortete Remus leise.

Während die anderen landeten, sattelte der erste Reiter bereits ab und trat unter dem Flügel seines Tieres auf sie zu. Er sah aus, als sei er krank vor Sorge, doch Peter grinste wie blöde. „Ich hab‘s dir doch gesagt, Prongs – wir finden sie. Aber bei Merlins Unterhose, Jungs, ihr seht furchtbar aus.“

Ein Freudenschrei erklang, als eine Frau an ihnen vorbei stürzte. Unter einem norwegischen Wortschwall, den Remus vielleicht gar nicht verstehen wollte, fiel Agnetha Landvik ihrem Ehemann um den Hals. Und auch Remus fand sich einen Augenblick später in einer Umarmung wieder. Einer sehr Herumtreiber-und-Lily-lastigen Umarmung, die ihm vielleicht die Rippen oder andere Knochen brechen würde, doch als James sich zwischen sie drängte, um ihm durch die Haare zu wuscheln, konnte er nicht anders, als erleichtert zu lachen.

3. Januar 1979, 15 Uhr, Skibotn

Das erste Mal seit Tagen – und es waren Tage, elf, um genau zu sein, gewesen, das wusste er jetzt – fühlte Remus sich gut. Zugegeben, er war eine halbe Mumie, mit all den Verbänden und Pflastern, die Agnetha und Lily an seinem Körper angebracht hatten, und er bekam den pelzigen Geschmack, den zu viele Heiltränke auf einmal hinterlassen hatten, nicht von der Zunge, doch er fühlte sich gut. Vielleicht war das die Wirkung eines der Tränke. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er auf ein paar eilig beschworenen Kissen mehr lag, als saß, Sirius zu seiner Rechten, Peter zu seiner Linken und den kleinen Torleif dösend auf seinem Schoß. In der Innentasche seines Umhangs ruhte ein Umschlag voller Photos, die Peter nicht abgeschickt hatte und die er möglicherweise verbrennen würde oder zumindest Sirius damit erpressen. Er war – dank der Kochkünste von James und Peter, die er zuvor selbigen zumindest öffentlich abgesprochen hätte – satt und in seinen Ohren klang noch Sørens ruhige Stimme, mit der er aus dem Weihnachtsevangelium gelesen hatte. Davon hatte er wegen der Sprachbarriere nur wenig verstanden, aber darum ging es ihm in diesem Moment auch nicht, schließlich kannte er das Evangelium. Worum es ging, waren das erholsame Zusammensein, Agnethas gerechter Zorn über eine demolierte Küche, das Essen, das Leuchten in Kjerstis und Torleifs Augen bei der Bescherung, die für die beiden bereits die zweite in dieser Weihnachtszeit war, seine Freunde, das Lachen und der Fakt, dass sie immer noch lebten.

Nun summte die Luft vor Weihnachtsliedern von einem magischen Plattenspieler und dem Gelächter und den Geschichten der anderen. Remus jedoch begnügte sich damit, einfach ruhig zuzuhören und an den richtigen Stellen zu schmunzeln.

Träge bemerkte er Peters skeptischen Blick auf sich. „Und dir geht es wirklich gut?“, fragte sein Freund leise genug, um beinahe von Fenwicks neuestem Witz über Alastor Moody übertönt zu werden.

Remus zog sorgfältig die Brauen hoch und nickte. „Für den Moment könnte es mir nicht besser gehen, Wormtail.“

Die Sorgenfalten in Peters Stirn schwanden nicht. „Ihr habt elf Tage verpasst und–“

Ein Gewicht lehnte sich an schwer gegen Remus‘ Schulter, als Sirius sich von Fenwicks Blödeleien ab und ihrem Freund zuwandte. „Und was?“, fragte er. Seine Stimme war laut genug, damit auch Lily und James und damit auch die übrigen Anwesenden auf ihr Gespräch aufmerksam wurden. Das war der Zeitpunkt für Agnetha, um Kjersti ins Bett zu scheuchen und Torleif von seinem Schoß zu sammeln und ebenfalls ins Dachgeschoss zu bringen.

Kjersti ging zwar zügig, wie ihre Mutter es erwartete, aber weder freiwillig noch leise. Nach einer kurzen Verabschiedung lief sie wie ein kleiner Wirbelwind aus dem Zimmer, aber selbst als Agnetha längst die Flurtür hinter sich geschlossen hatte, hörte man sie noch über ihnen poltern. Remus schmunzelte darüber nur und wandte sich stattdessen wieder Peter zu. Dem jedenfalls gab das die Möglichkeit, seine Antwort sehr genau zu überlegen, bevor er sie aussprach.

Peter seufzte schließlich. Die Version, für die er sich entschied, war die knapp-unverblümte. „Und ihr seht aus, als hätte man euch verhext, zusammengeschlagen und versucht, euch zu ertränken. Mehrfach.“

Spätestens jetzt spürte Remus Lilys Blick nur allzu deutlich auf sich. Sirius‘ unwillkürlichem, kaum merklichen Zucken nach zu urteilen, tat er es auch. Lily war, neben Agnetha, diejenige, die bis dato die meisten Details dessen kannte, was in Khiones Schloss vorgefallen war. Es war schlicht nicht zu vermeiden gewesen, angesichts der Tatsache, dass die beiden Frauen die Versorgung ihrer Verletzungen übernommen hatte. Sie hatte den Schnitt auf Remus‘ Oberarm gesehen, die Narben um sein Handgelenk, die die Kette hinterlassen hatte, die Bissspuren und Severus Snapes Schrift auf Sirius‘ Rücken. Nur der Name Snape, der war selbst in diesem Zusammenhang noch nicht gefallen. Peter und James hingegen wussten nicht viel mehr, als von der Sache mit den Eisstatuen – und um des Friedens willen hoffte Remus, dass das zumindest für diesen Abend noch so blieb. Ihm war klar, dass Sirius und er die beiden später einweihen würden, weil sie die Herumtreiber waren, doch er spürte auch, dass es dafür noch nicht an der Zeit war.

Bedacht nickte Remus dennoch. Alles zu leugnen, wäre – angesichts der Verbände um seine Schulter, seinem Arm und seinem Bein, sowie diverser größerer und kleinerer Pflaster und Sørens nicht passendem Leihumhang – töricht gewesen. „Wurden wir, wurden wir und ja, zwei Mal. Das passiert, wenn man sich mit Todessern anlegt.“
 

Peters Gesicht verdüsterte sich mehr, sodass Remus sich genötigt dazu sah, beschwichtigend die Hand zu heben. „Wirklich, Peter. Mir geht es gut. Die Sache wird mich noch verfolgen. Ihr werdet mich festhalten müssen, sollte Snape seine schmierige Hakennase noch einmal in meine Reichweite bewegen. Gesetzt den Fall, dass er noch lebt.“

„Snivellus war dabei?“, mischte sich nun auch James ein. Ruckartig saß er sehr aufrecht neben seiner Lily. Remus zuckte schuldbewusst zusammen. Das hatte er nicht sagen wollen.

„Ja, war er“, antwortete er achselzuckend. „Er, Wilkes, Rosier und Malfoy. Wir hatten ein paar unangenehme Duelle und ich habe nicht alle davon gewonnen. Das ist alles.“

Das war nicht alles. Ihm war das klar, Sirius war das klar und Lily ebenfalls. Wie viel Fenwick und Søren letztendlich mitbekommen hatten, konnte Remus nicht sagen, aber auch die beiden schwiegen. Peter und James wussten nichts, doch natürlich spürten sie es trotzdem, genauso wie die Bitte, mit dem Nachfragen zu warten.

In stummen Einverständnis schwenkte Peters Blick weiter zu Sirius, doch der war mit seiner Antwort schneller, als Peter mit seiner Frage. „Ich erinnere mich an den Großteil dieser Zeit nicht. Ich war damit beschäftigt, ohnmächtig zu sein, weißt du? Ansonsten hat Moony das bereits zusammengefasst. Krieg ich die Plätzchen? Oh und wenn wir schon dabei sind – was ist mit euch? Ich kann mich nicht daran erinnern, euch eine SOS-Eule geschickt zu haben.“

Plätzchen kamen auf seine Bitte hin gleich aus mehreren Richtungen. Eines traf Remus am Kopf. Finster warf er James einen Blick zu, der nicht einmal so tat, als würde es ihm leidtun. Fenwick zielte wenigstens genauer. Zufrieden mit der Ausbeute, zupfte Sirius sich eines der Plätzchen aus seiner Kleidung – die ebenfalls aus einer Leihgabe von Søren bestand – und stopfte es zufrieden in seinen Mund. „Alscho?“

Wortlos strich Remus sich ein paar Krümel aus dem Gesicht, nur oberflächlich weniger neugierig als Sirius. Sein Blick klebte genauso an Peter und James, wie der seines Freundes. Peter zuckte mit den Achseln und wirkte erschreckend wenig schuldbewusst.

„Ihr habt gesagt, ich solle die Klappe über eure Mission halten“, fing er an. Einen Moment später quiekte er, als ein Plätzchen seine Stirn traf.

Lilys Methode, James zu zeigen, dass sie vom Plätzchenwerfen nichts hielt, war daraufhin recht eindeutig. Noch während James beleidigt die Hand schüttelte, auf die sie ihm einen Hieb versetzt hatte, begann er zu sprechen. „Er stand am nächsten Tag vor meiner Tür. Am nächsten! Ihr zieht aus, um in Mord und Totschlag irgendwo in der norwegischen Pampa–“ Sørens leises Räuspern ignorierte er geflissentlich „–euer Leben zu lassen. Obwohl ihr sehr wohl wisst, dass eure Chancen scheiße stehen. Hah, von wegen kleine Mission am Rande. Und ihr nehmt mich nicht mit. Weiht mich nicht mal ein? Und wann kommt Peter angekrochen, um–“

„–Ich krieche nicht, Prongs–“

„Klappe, Wormtail. Jedenfalls – Wann kommt Peter und beichtet mir das? Einen Tag später! Ich sollte euch in den See von Hogwarts werfen. Vielleicht mag der Krake Padfoot- und Moony-Ringe. Mit Ketchup. Ich bin voll für Padfoot- und Moony-Ringe. Frittiert.“

Sirius war mit seiner Antwort schneller als Remus.

„Ich nicht“, warf er ein, den Mund noch voller Gebäck. „Außerdem war es Moonys Idee.“

Remus schnaubte, nicht einmal unterdrückt. „Verräter“, knurrte er leise, wenn auch nur mit halbem Ernst. „Das gleiche gilt für dich, Peter. Was Sirius‘ Frage übrigens nach wie vor nicht beantwortet. Du bist zu James gegangen. Das habe ich erwartet. Und dann?“

Wieder war es James, der antwortete. „Bin ich Dumbledore aufs Dach – Au, Lily! Du weißt, dass deine Ellenbogen spitz sind? Okay, okay – Gut, sind wir Dumbledore aufs Dach gestiegen. Der hat den alten Geheimniskrämer gespielt, also haben wir uns selbst auf die Suche gemacht.“

„Und seinem Wildhüter die Thestrale geklaut“, warf Peter ein, auch wenn er sich anstrengen musste, James Stimme zu übertönen. „Das war übrigens meine Idee.“

James winkte, ein weiteres Plätzchen zwischen den Fingern, lässig ab. Für einen Moment sah er so aus, als wolle er auch dieses Gebäckstück werfen, doch unter Lilys strengem Blick steckte er es sich stattdessen in den Mund. Die unangenehme Eigenschaft, mit vollem Mund zu sprechen, hatte er nach sieben Schuljahren längst mit Sirius gemein.

„Ja, ja“, nuschelte er. Remus sah selbst von seiner Position aus noch Krümel fliegen. Immerhin erreichten sie ihn nicht. „Hascht du fein gemascht.“ Er schluckte endlich. „Aber ich war es, der den Wildhüter abgelenkt hat, und es war meine Idee, mit den Viechern nach Norwegen zu fliegen und in Tromso mit der Suche zu beginnen. Und dabei kann ich die Klepper nicht einmal sehen!“

„Was nicht die schwierigste Schlussfolgerung ist, wenn man bedenkt, dass wir nicht viel mehr Anknüpfungspunkte für unsere Suche hatten, als die Stadt, James“, mischte sich nun auch Lily ein. Der griff schon wieder in eindeutiger Absicht nach einem Plätzchen, ließ es aber fallen, als sein Blick sich mit dem seiner Freundin kreuzte. Schmollend stützte er den Kopf auf seine nun wieder freie Hand.

Da James nun eisern schwieg, sah sich Peter scheinbar in der Pflicht, weiter zu sprechen. „Natürlich haben wir euch dort nicht gefunden. Dafür sind wir über Agnetha gefallen. Oder sie über uns. Ich denke, sie hat schon auf uns gewartet. Als wir wussten, dass wir das gleiche Grüppchen suchten, ließ sie sich nicht mehr abschütteln. Das war am Tag nach Weihnachten. Das was dann kam“, Peter zuckte unbeholfen mit den Achseln, „war ein Irrflug durch Eis und Schnee. Wir dachten schon, wir finden euch nie. Aber besonders spannend war das – im Gegensatz zu dem, was ihr erlebt habt – sicher nicht.“

Skeptisch zog Remus die Brauen hoch. „Ich war elf Tage lang eine Eisstatue.“

„Und ich ein hirnloser Inferus unter Khiones Busen“, warf Sirius neben ihm ein. Die Plätzchen, die Fenwick und James nach ihm geworfen hatten, waren bis auf diverse Krümel restlos verschwunden. „Wenn das nicht langweilig ist, weiß ich auch nicht weiter.“

„Wir haben uns nur die Eier abgefroren“, mischte James sich nun doch wieder ein. Mit einem Seitenblick auf Lily fügte er hinzu: „Beziehungsweise die Eierstöcke. Autsch!“

Lily blieb ungerührt. Sie lächelte nur so dünn wie hinterhältig. „Geschieht dir recht. Aber nein, wir hatten keine spannenden Erlebnisse. Bis auf den Elch, natürlich.“

„Elch? Was für ein Elch?“, fragte Sirius. Auch ohne sein Gesicht sehen zu können, wusste Remus, dass seine Augen funkelten, mit dem üblichen Schalk darin, der viel besser zu ihm passte, als so vieles, was Remus in letzter Zeit in ihnen gesehen hatte.

In seinem Augenwinkel sah er, wie Søren und Fenwick knappe Worte tauschten. Letzterer schien nicht begeistert, als Søren ihn einen Moment später mit der Erklärung „Uns geht das Holz aus. Du kriegst die Axt höher als ich.“ aus dem Raum schleifte, um die Freunde allein zu lassen. Die Tür schloss sich leise hinter ihm, während Peter in Sirius‘ Frage den perfekten Aufhänger gefunden hatte. Breit grinsend gestikulierte er einen Elch.

„Den Elch“, sagte er bedeutungsschwer. „Den, den James geknutscht hat. Seine Haare waren so rot, wisst ihr, und sein Gehirn ist so ‚LilyLilyLi‘-“

Weiter kam er nicht. Sørens Stube war nicht groß, auch nicht mit zur Seite geschobenem Esstisch und stattdessen auf dem Boden verteilten Kissen. James brauchte nicht mehr als einen Sprung, um den Kreis zwischen ihnen zu durchqueren. Federn wirbelten durch die Luft, als er mit einem Bauchklatscher landete. Für einen Moment hatte Remus eine Ratte auf dem Schoß, einen Moment später einen fluchenden James Potter und im nächsten waren sie nur noch ein großes, lachendes Knäuel.

12. Oktober 1979, 8 Uhr 30, Glasgow

Der Tritt gegen seine Wade weckte ihn. Sein Kopf ruckte hoch, bevor er die Augen auf bekam und seine Hand schnellte zu seinem Zauberstab. Mit einer unangenehmen Routine schlossen sich Remus‘ Finger um das vertraute Holz. Eine Routine, die ihm spätestens dann peinlich war, als er realisierte, wo er war und wer ihn getreten hatte.

Sein Blick fiel auf einen Mopp schwarzen Haares und glitt dann die Strähnen hinunter über den Nacken zu den Schultern und weiter bis zu dem Arm, der quer über seiner Brust lag. Erleichtert realisierte er, dass all das zu Sirius gehörte und dass dieser zumindest einen Schlafanzug trug – auch wenn Remus dieses Exemplar von Pyjama hasste, wie die Drachenpocken. Während er es vermied, den Stoff allzu genau zu mustern – denn die in ihn gewebten schwarz-weißen Quidditchspieler bewegten sich in einem nie endenden Spiel – überprüfte er, ob er seinen linken Arm, den Sirius unter sich begraben hatte, noch bewegen konnte. Ja, er konnte, stellte er schließlich fest, genauso wie er feststellte, dass seine Finger dabei waren, einzuschlafen. Eine Remus-Minute lang schielte er noch einmal zu dem Pyjama, unter dem sich Sirius‘ Oberkörper in gleichmäßigen Atemzügen auf und ab bewegte. Träge fragte er sich, wen Fenwick hatte ärgern wollen, als er Sirius den Schlafanzug zu Ostern geschenkt hatte. Die Antwort sollte vermutlich Sirius heißen, denn dieser war kein Fan der abgebildeten Montrose Magpies, doch Remus wurde das Gefühl nicht los, das eigentliche Opfer des Scherzes zu sein.

Ein lauter Schnarcher erinnerte ihn daran, dass andere Probleme dringender waren.

Vorsichtig tastete er mit seiner linken Hand, das lästige Kribbeln ignorierend, über den Pyjama seines Freundes, bis er einen Eingang unter den Stoff fand. Seine Finger strichen vorsichtig über die warme Haut von Sirius‘ Taille. Er hielt etwas länger inne, als unbedingt nötig gewesen wäre, nur um zu spüren, wie sein schlafender Freund die Berührung wahrnahm und sich ohne aufzuwachen zu seiner Hand hin drehte. Unschuldig glitten seine Finger noch ein wenig höher.

Schließlich setzte er eine engelsgleiche Miene – er würde sie brauchen – auf und tat das, was ein netter Moony nicht tun sollte. Er kniff zu.

Sirius war zu verschlafen um zu schreien, stöhnte stattdessen nur, zuckte aber augenblicklich zusammen. Stark genug, um beinahe aus dem Bett zu fallen, das eigentlich viel zu klein für zwei Herumtreiber war. Dummerweise hatte Sirius genauso viel Erfahrung im Nicht-aus-dem-Bett-fallen wie Remus im Sirius-aus-dem-Bett-ekeln.

Sehr unglücklich verlagerte Sirius sein Gewicht, sodass er endgültig die Blutzufuhr in Remus‘ linkem Arm abdrückte, und hob beleidigt den Kopf. Er bekam die Augen kaum auf, doch das Funkeln in dem Teil der Iris, den Remus sehen konnte, ließ diesen nichts Gutes ahnen.

„Das hat weh getan, Moony“, verkündete Sirius theatralisch.

Remus jedoch ließ sich davon nicht beeindrucken. „Was machst du in meinem Bett?“

Genauso theatralisch, wie seine Stimme klang, ließ Sirius sich nun wieder fallen und gähnte. „Schlafen.“

„Warum tust du das in meinem Bett?“

„Weil du gesagt hast, ich darf.“

Er hatte – oh, nicht schon wieder diese Nummer.

„Das war im Januar“, antwortete Remus finster. „Außerdem habe ich dir bereits oft genug gesagt, dass das eine Ausnahme war.“

Nicht, dass Sirius sich auch nur einmal daran gehalten hätte. Eine faule Ausrede, um in Remus‘ Bett zu kriechen und nicht mehr von dort zu verschwinden, fand er eigentlich immer. Dieses Mal, da war sich Remus spätestens dann sicher, als Sirius die Unterlippe vorschob, war da keine Ausnahme.

„Ach komm schon“, flötete Sirius in diesem Moment bereits träge.

„Nein.“

„Hast du vergessen, welcher Tag heute ist?“

Nein, hatte Remus nicht. Es fiel ihm zugegebenermaßen schwer, Dinge zu vergessen, an die er seit fast zwei Wochen täglich erinnert worden war.

„Hätte ich gerne“, antwortete er, „aber du lässt mich ja nicht.“

Sirius tat nicht einmal so, als würde Remus‘ Tonfall ihn abschrecken. Dafür grinste er viel zu selbstgerecht.

„Ich will ja auch, dass du es nicht vergisst.“

„Padfoot.“ Remus Stimme war kaum mehr als ein Knurren. „Ich meine es ernst. Raus aus meinem Bett.“

„Nein.“

„Okay.“ Er seufzte schwer, Sirius einen finsteren Blick zuwerfend. „Erkläre ich es anders: Verschwinde oder ich streiche diesen Tag mitsamt seiner Bedeutung aus meinem Gedächtnis. Komplett. Ersatzlos. Und zwar jetzt.“

„Wirst du nicht.“

Remus-Minuten wurden zu Sirius-Augenblicken, während Remus seinen Freund dabei beobachtete, wie dieser realisierte, dass er mit einem Schweigen antwortete. Einem wohlplatzierten Schweigen, in das sich Sirius die Antwort selbst hineininterpretieren durfte. Sirius‘ Augenbrauen zogen zusammen, als er genau das tat. Auf seiner Stirn konnte Remus förmlich lesen, wie Sirius ihm etwas wie ‚Willst du das wirklich ausprobieren? Zehn Minuten in Moonys unbequemen Bett für einen Tag voller Huldigungen, Lobpreisungen und Geschenke? Willst du das?‘ unterstellte.

Natürlich – Sirius wollte beides, das stand für Remus außer Frage. Sirius biss die Zähne aufeinander und schob das Kinn vor. Remus wusste, was das bedeutete: Er überlegte, wie er ihn dazu bringen konnte, das zu tun, was er wollte. Seine Miene verfinsterte sich zunehmend, während er zu verstehen schien, dass Remus kein Schlupfloch dulden würde. Natürlich bedeutete das noch lange nicht, dass Sirius aufgab.

Remus kannte die Phasen der Entscheidungsfindung und er wusste, dass Sirius noch nicht in Phase drei übergegangen war, sich noch nicht dazu entschlossen hatte, sich festzubeißen und mit Blicken zu Betteln.

„Vorschlag“, warf Remus schließlich auf die Sekunde genau abgepasst ein. „Du gehst duschen und ziehst diesen furchtbaren Schlafanzug aus. Ich kümmer mich um das Frühstück.“

„Nicht um die Geschenke?“

„Ich überleg‘s mir.“

Sirius schob das Kinn noch ein wenig weiter vor und funkelte ihn an, doch Remus hatte nicht vor seine Meinung zu ändern. Natürlich, er mochte sich leichter von vielen Entscheidungen abbringen lassen, vornehmlich auf Basis durchdachter Argumente, aber das hieß nicht, dass er nicht genauso stur sein konnte, wie jeder andere Herumtreiber auch.

Das sah schließlich auch Sirius ein. Widerwillig, sehr, sehr widerwillig stand er auf, murmelte ein unglückliches „Na gut“ und trottete mit hängenden Schultern aus dem Zimmer.
 

Und Remus? Der wusste es besser, als jetzt noch einmal die Augen zu schließen und ein wenig zu dösen. Sirius‘ Duschzeiten schwankten zwischen fünf Minuten und einer Stunde. Dementsprechend konnte es ihm natürlich passieren, dass ihm die Rühreier kalt wurden, bevor Sirius sich dazu herabließ, sein holdes Antlitz in der Küche zu präsentieren, aber damit konnte Remus leben. Alles war besser als ein Sirius, der darauf lauerte, dass er sich die Blöße gab und doch noch etwas länger liegen blieb, nur um dann klitschnass auf Remus‘ Bett herumzuspringen wie ein Vierjähriger.

Gähnend wälzte er sich ebenfalls aus dem Bett.
 


 

Zwanzig Minuten später brutzelten Eier, Würstchen und Speck in einer Pfanne auf dem Gasherd, den Sirius im Frühjahr angeschleppt hatte. Durch die dreckigen Fensterscheiben, die Remus nicht putzen würde, drangen frühe Strahlen der Oktobersonne. Remus lehnte sich Gegen die Anrichte, in einer Hand eine dampfende Tasse Tee, in der anderen seinen Zauberstab, mit der er den Rührlöffel in der Pfanne dazu animierte, den Speck zu wenden.

Im Badezimmer polterte es verdächtig, doch er tat so, als würde er es nicht hören. Genauso ignorierte er den Brief, den ein unscheinbarer Uhu vor ein paar Tagen gebracht hatte und der seitdem schwer in seiner Tasche ruhte. Viel lieber ließ er sich noch für einen Augenblick die Sonne auf den Pelz scheinen.

Für seinen Geschmack viel zu früh öffnete sich die Küchentür. Noch einen Moment länger regte Remus sich nicht, dann nahm er einen gemächlichen Schluck aus seiner Tasse und sah auf. Sein Blick fiel auf Sirius, der mittlerweile eingetreten war und sich gerade mit einem Handtuch durchs Haar rubbelte. Den Schlafanzug trug er tatsächlich nicht mehr.

Augenblicklich spuckte Remus den Tee wieder aus und begann zu husten.

„Alles in Ordnung, Moony?“, hörte er Sirius Stimme und hörte das Feixen in dessen Stimme sogar über sein eigenes Husten hinweg.

„Du weißt“, keuchte Remus und hustete noch einmal, „dass ich, als ich sagte, du sollst diesen Schlafanzug ausziehen, impliziert habe, dass du dir etwas anderes anziehst?“

„Oh“, machte Sirius und legte scheinbar wert darauf, bei seinen nächsten Worten absolut unschuldig zu klingen. „Hast du? Tut mir leid.“

Statt zu antworten, räusperte er sich und überlegte stark, ob er seine Teetasse nach seinem Freund werfen sollte. Er entschied sich letztendlich dagegen – man warf keine Tassen nach dem Geburtstagskind, auch wenn dieses Sirius Black hieß und sich so dreist wie immer benahm.

Erst, als der hässliche, grüne Küchenstuhl, den Remus am Quietschen erkannte, ächzte, blickte er erneut auf. Wenigstens sah er jetzt nur noch Sirius‘ nackten Oberkörper. Alles unterhalb der Taille verdeckte der ramponierte Küchentisch, bis auf die ebenso nackten Unterschenkel. Während Sirius‘ obere Hälfte gähnte, hob die untere den einen Fuß um sich am anderen Bein zu kratzen. Kurz beobachtete Remus, wie die Zehen durch die dünnen, schwarzen Härchen an Sirius‘ Wade fuhren, dann wurde es ihm zu dumm, Sirius‘ Ego weiter Beachtung zu schenken.

Grimmig stieß Remus sich von der Anrichte ab und stellte seine Tasse auf den Tisch. Während sein Zauberstab die Pfanne dazu animierte, durch die Küche zu schweben und sich selbst auf ein bereitgelegtes Brettchen zu stellen, warf er ein paar Scheiben in den Toaster, der mittlerweile vermutlich ebenso illegal war, wie die Feuerstelle neben der Anrichte. Strom brauchte er jedenfalls keinen mehr.

Während er nun nach Marmelade zu wühlen begann, beobachtete Remus Sirius im Augenwinkel, wie der sich einen der bereitstehenden Teller nahm und sich zur Pfanne vorstreckte, um sich den Gryffindorlöwenanteil an Speck zu sichern. Spätestens, als sein Freund den Teller abstellte und nach dem Orangensaft griff, war Remus klar, dass Sirius darauf hoffte, dass Remus ihn im Augenwinkel beobachtete. Mit der einen Bewegung gab er Remus freien Blick auf seine Brust und seine Bauchmuskeln, auf die Sirius sich mehr einbildete, als gut für ihn war. Mit der nächsten konnte Remus den Rücken seines Freundes sehen und die dunklen Linien, die sich dort über die Haut zogen.

Remus wusste nach wie vor nicht, ob er das Tattoo mochte, das Sirius sich im Sommer hatte über Snapes Schriftzug stechen lassen, oder nicht. Von weitem sah der keltische Baum, den die Linien formten, so beeindruckend aus, wie Sirius intendierte, und die sich bewegenden Formen gingen voll mit der Mode. Von nahem konnte man erkennen, dass es eigentlich keine Linien waren, sondern Reihen von kleinen, schwarzen Runen, die sich über den Rücken seines Freundes wanden. Remus wusste, dass diese Runen Schutzworte bilden sollten, eine Art Talisman, doch alles, was er mit seinen Kenntnissen – und diese hatte er in seinen N.E.W.T.-Prüfungen mit einem O unter Beweis gestellt – lesen konnte, waren Beleidigungen, derbe Ausdrücke und eindeutige Angebote. Aber vielleicht stachelten die Schriftzeichen auch einfach nur seine Phantasie an, von der er sonst glaubte, sie existiere nur dann, wenn bestimmte Worte sie anregten.

Als Remus merkte, dass er starrte, verdrehte er die Augen und wandte den Blick ab.

„Hey, das hab ich gesehen!“, warf Sirius ein, kaum dass dieser seine Geste bemerkt hatte.

„Der Ast auf deinem Schulterblatt ist mir schlicht zu obszön“, antwortete Remus trocken.

„Warum?“, fragte Sirius und Remus wusste, dass er grinste. Einen Moment später hörte er Saft in ein Glas plätschern. „Was schreibt er?“

Remus indes antwortete nicht sofort, denn er hatte endlich die Marmelade gefunden. Diese stand natürlich ganz hinten im Schrank, weshalb er sie nur mit einigen Verrenkungen hervor fischen konnte. Als er sich aufrichtete, saß Sirius bereits wieder.

„Padfoot ist ein dummer, egoistischer und – nein, das übersetze ich jetzt nicht.“

Sirius lachte nur bellend und reichte Remus eines der Gläser. „So mag ich ihn.“

Skeptisch beäugte Remus das Glas, nicht sicher, ob es wirklich so sauber war, wie es sein sollte, nahm es aber trotzdem entgegen. Ein Blick in die Pfanne verriet ihm, dass er auf Speck würde verzichten müssen. Der dünne Streifen, den Sirius ihm übrig gelassen hatte, glich mehr einer Beleidigung, als einer netten Geste.

Neben ihm begann Sirius damit, sein Frühstück hinunter zu schlingen. „Also?“, schmatzte er zwischen zwei Bissen. „Hast du dir das mit den Geschenken überlegt, oder muss ich dich nochmal daran erinnern?“

Bevor er antwortete, nippte Remus an seinem Saft. „Ja, habe ich.“

„Und was sagen deine Überlegungen?“

„Zieh dir was an.“
 

Sirius zog sich etwas an. Es kostete Remus einiges an Mühe, ihm klar zu machen, dass er nicht zuschauen wollte, aber schließlich verzog sich sein Freund in sein Zimmer und kam erst wieder, als er genug Kleidungsstücke, die ‚nichts mit Zauberern zu tun haben‘ - so wie Remus‘ ihm aufgetragen hatte – am Körper hatte. Gut, den Auftrag hatte er nur dürftig erfüllt. Remus war sich sicher, dass die Hose aus schwarzem Drachenleder war, und das T-Shirt zeigte das Logo der Hobgoblins. Aber immerhin wirkten die Lederjacke und die Motorradstiefel – woher auch immer Sirius die hatte – muggelig. Nicht so muggelig vielleicht, wie Remus es in seiner abgenutzten Jeans und seinem Hemd tat, aber definitiv muggelig genug. Zumindest, wenn Remus ihn dazu bekam, die Jacke zu schließen.

„Können wir endlich gehen?“, fragte Sirius ungeduldig, obwohl dieser es sichtlich genoss, dass Remus ihn musterte.

„Das Logo auf deiner Brust bewegt sich, Padfoot.“

Sirius schob die Unterlippe vor, fast wie um zu fragen ‚Na und?‘

„Ich sagte Muggelkleidung, Padfoot.“

„Darauf achtet eh keiner“, antwortete Sirius und winkte ab. „Können wir gehen? Jetzt?“

Remus seufzte. Vermutlich hatte Sirius recht – auf einen Aufdruck auf einem T-Shirt, das ohnehin halb unter einer Jacke verborgen war, würde kein Muggel achten. Dennoch gefiel es ihm nicht, so offensichtlich gegen geltendes Zaubereigesetz zu verstoßen. Das wurde langsam zu einer Gewohnheit, von der er gehofft hatte, sie würde nie auf ihn abfärben.

Seufzend nickte er. „Na gut.“

„Juchu!“

Einen Moment später riss Sirius die Wohnungstür auf und Remus musste sich beeilen um Schritt zu halten. Seine Jacke überwerfend trat er aus ihrer Wohnung und sah gerade noch Sirius‘ Silhouette auf dem Treppengeländer johlend um die Ecke rutschte.

„Morgen Madam Tripe. Wiedersehen Madam Tripe“, hallte Sirius‘ Stimme durch das Treppenhaus, als Remus die Tür hinter sich abschloss und die Treppe hinunter eilte.

Zwei Absätze später erreichte auch er Madam Tripe, eine alte, wenngleich rüstige Hexe, die, die Arme in die Hüfte gestützt, Sirius hinterher funkelte, sich aber umdrehte, kaum dass sie Remus hörte. Ihr Umhang leuchtete pink, so wie der Rest ihrer Kleidung – was vielleicht Sirius‘ Schuld war.

„Mister Lupin! Wann sagen Sie Ihrem Mitbewohner endlich, dass das Geländer kein Fortbewegungsmittel ist? Mister Lupin! Im Treppenhaus wird nicht gerannt!“

„Gute Tag, Madam Tripe“, grüßte auch er. kurzangebunden fügte er „Tut mir Leid, Madam Tripe, ich werde es ihm sagen“ hinzu, blieb aber nicht stehen, um sich weitere Vorwürfe anzuhören.

Sirius erwartete ihn vor der Haustür. Nun hatte er die Jacke doch geschlossen und Remus ahnte, warum. Die Oktobersonne tauchte sie zwar in helles Licht und die Bäume, die die Straße kreuzten, leuchteten in roten und gelben Farben, aber die Luft war für diese Jahreszeit bereits unangenehm kühl. Und Sirius spätestens seit dem letzten Winter, zugegebenermaßen nicht grundlos, eine Frostbeule. Remus erging es ähnlich. Eilig schloss er den Reißverschluss seiner Jacke und kramte nach den Handschuhen, die er wohlweislich eingesteckt hatte, während er zu seinem Freund trat.
 

„Sie war pink“, verkündete Sirius derweil triumphierend, so, als sei das ein weiteres Geburtstagsgeschenk.

Remus nickte zustimmend. „War sie.“

„Und sie hat es nicht mal bemerkt!“

„Noch nicht. Vermutlich hat sie sich bei sämtlichen Mietern und dem Haushexer beschwert, bevor es um zehn ist.“

Neben ihm hob Sirius skeptisch die Augenbrauen. „Moony, es ist zehn vor.“

Doch Remus grinste nur dünn. „Ich weiß. Komm jetzt, oder hast du dir das mit den Geschenken anders überlegt?“

„Vergiss es! Wohin müssen wir?“

Leise seufzend zuckte Remus mit den Achseln und wandte sich von seinem Freund ab, um wortlos voraus zu gehen.
 

Die nächsten Minuten schwieg Remus eisern, obwohl Sirius ihn mit Fragen löcherte und es sich nicht nehmen ließ, ihm mit dem Zeigefinger zwischen die Rippen zu pieken.

Und, was bekomme ich nun, Moony?

Komm schon, sag es mir!

Krieg ich wenigstens einen Tipp?

Kannst du mir wenigstens verraten, was Prongs mir schenkt?

Oder Peter?

Oder Lily?

Oder Walli Black? Nein, vergiss Walli.

Moony, rede mit mir!

Moony, du bist gemein.

„Padfoot?“, knurrte Remus schließlich, als sie auf einen einsamen Parkplatz einbogen. Kein Mensch beobachtete sie und die Fahrzeuge, die er an einer Hand abzählen konnte, waren verwaist. „Halt den Mund, oder wir drehen um.“

„Moony, wo sind wir hier?“, fragte Sirius keinen Augenblick später und tat so, als hätte er die Drohung nicht gehört.

Remus seufzte ergeben. Jetzt noch umzudrehen kam vermutlich nicht mehr in Frage, denn Sirius würde vermutlich schnell verstehen, dass sie am Ziel ihrer Reise waren. Sorgsam steckte er die Hände in die Jackentaschen. Mit der einen berührte er den Brief, den er eisern ignorierte, obwohl er sich einbildete, dass das Pergament immer schwerer wurde, mit der anderen tastete er nach einem Schlüssel.

„Auf einem Parkplatz, Padfoot“, antwortete er trocken.

„Was wollen wir auf einem Parkplatz, Moony?“

„Rate.“

Und Sirius riet. Remus, der sich wirklich bemühen musste, nicht jetzt schon zu grinsen, sah es in seiner Haltung und in seiner Mimik, als Sirius ihn für einen Moment irritiert anstarrte. Über Sirius‘ neugierig funkelnden Augen zogen sich seine Augenbrauen skeptisch hoch. Auf seiner Stirn bildeten sich dünne Falten, während der schlecht rasierte Bart in der Oktobersonne glänzte. Als er realisierte, dass Remus schweigen würde, drehte Sirius sich von ihm fort und starrte über den Parkplatz. Remus sah, wie er jedes der Fahrzeuge kritisch musterte. Sein Blick glitt über den alten, rostenden Mercedes, weiter zu dem blauen Käfer, der diese Bezeichnung mit seinen verschiedenfarbigen Türen und der roten Motorhaube vielleicht nicht mehr verdiente und zu dem modernen Wagen, dessen Marke zumindest Remus nicht zuordnen konnte und der seltsam fehl am Platz wirkte. Schließlich blieb Sirius‘ Blick auf dem einzigen Fahrzeug ruhen, das kein Automobil war.

Sondern ein Motorrad. Eine alte Triumph Bonneville, um genau zu sein, keine dieser modernen Hondas – aber ein Motorrad. Über dem Lenker baumelten zwei Helme. Remus folgte Sirius‘ Blick mit dem seinen und fühlte sich arm – das hieß ärmer als sonst.

Es brauchte noch einen Sirius-Augenblick, dann dämmerte Verstehen auf Sirius Mimik.

„Oh, süßer Merlin“, hauchte Sirius leise. „Moony, ist das …?“

„Was denkst du?“, fragte Remus spöttisch zurück. Gegen seinen Willen kroch nun doch das Grinsen in seine Mundwinkel.

„Oh Moony! Danke!“

Keinen Augenblick später warf sich Sirius in einer knochenbrechenden Umarmung auf ihn, doch Remus ließ ihn lachend gewähren. „Alles Gute zum Geburtstag, Padfoot.“

Sirius drückte ihn noch etwas fester an sich, bevor er ihn gerade genug losließ, um zu dem Motorrad schielen zu können.

„Wie viele PS hat sie, Moony?“, fragte Sirius und bewies damit, dass er sich in den letzten Monaten tatsächlich umfassender mit dem Thema befasst hatte, als nur einen Katalysator auseinander zu hexen.

„Sechsundvierzig“, antwortete Remus pflichtbewusst.

„Wie schnell fährt sie?“

„Hundertfünfzehn Meilen die Stunde.“

„Kann sie fliegen?“

Diese Frage hätte jeden anderen verunsichert – Remus nicht. Er kannte mittlerweile nicht nur Sirius gut genug, sondern auch Søren Landvik, um sich von solchen Fragen nicht mehr verunsichern zu lassen. Nicht zuletzt, weil Søren ihm beim Kauf tatkräftig unter die Arme gegriffen hatte – was der Regelkonformität der Triumph nicht gut getan hatte.

„Sirius, fliegende Motorräder verstoßen gegen das Gesetz.“

Sirius jedoch schob nur das Kinn vor. „Kann sie fliegen?“

Remus seufzte leise. „Ja, kann sie.“

„Oh, Moony! Danke!“

Für einen flüchtigen Moment spürte er Sirius‘ Lippen auf den seinen, dann vergrub Sirius seinen Kopf in Remus‘ Schulter und drückte ihn erneut an sich. Remus beschwerte sich nicht, sondern lachte nur leise.

„Drei Dinge, Padfoot“, sagte Remus schließlich, als Sirius wieder von ihm abließ. Sirius‘ Blick wurde erst fragend, dann skeptisch und Remus wusste noch im selben Moment, dass sein Freund vermutlich schmollen würde, doch das hielt ihn nicht davon ab, seine Aufzählung zu beginnen. „Erstens: Du brauchst einen Führerschein, bevor ich dich fahren lasse.“

„Ich brauche einen …?“, fragte Sirius, bevor er verstand, was das Wort ‚Führerschein‘ bedeutete. „Och nö.“

„Oh doch“, erwiderte Remus mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Natürlich verriet er Sirius nicht, dass er James und Lily längst damit beauftragt hatte, eben jenen Führerschein in die Wege zu leiten. Genauso in die Sache eingeweiht war übrigens Peter – der hoffentlich die übrige Ausrüstung zu besorgen gewusst hatte. Doch auch das würde Sirius erst erfahren, wenn sie sich am Nachmittag in Godrics Hollow trafen.

„Also fahren wir nicht?“, fragte Sirius leise und gab sich keine Mühe, die Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhalten. Das wiederum ließ Remus doch wieder grinsen.

„Doch, tun wir“, antwortete er und klang vielleicht ein wenig schadenfroh. Wie zum Beweis zog er den Schlüssel und hielt ihn Sirius vor die Nase – wohlweislich mit einem besonders festen Griff. „Und damit sind wir bei Punkt zwei: Ich habe die Lizenz. Das heißt, ich fahre. Keine Widerrede.“

„Du?“

Remus sah förmlich, wie Sirius auf dem Gedanken herum kaute, sich ihn auf einem Motorrad vorzustellen. Fahrend. Scheinbar passte das nicht zu seiner Vorstellung, die er von seinem Moony hatte, doch Remus wusste es besser. Immerhin war er derjenige, der sich in den letzten Monaten nicht nur durch die Fahrprüfung gequält hatte, sondern noch dazu unter dem Stress gestanden hatte, das Ganze geheim zu halten.

„Ich, ja. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?“

Bereits Sirius‘ Blick verriet, dass die miesen Ideen, die ihm kamen, die Zweifel bei weitem überwogen. „Vielleicht. Beweis es mir.“

„Werde ich“, gab Remus nonchalant zurück. „Aber davor“, an diesem Punkt stockte er und schaute sich um. Für einen Augenblick kamen ihm Zweifel – berechtigte Zweifel. Er entschied, dass die Zweifel ihm seinen haarigen Buckel hinunter rutschen konnten. „Drittens: Zauberstab raus.“

Einen Moment lang starrte Sirius ihn an, als hätte er ihn aufgefordert, vom Astronomieturm zu springen.

„Moony?“, fragte er zögerlich. „Du weißt, dass wir in der Muggelwelt sind?“

Remus schnaubte nur. „Natürlich weiß ich das. Bist du ein Herumtreiber oder nicht?“

Seine Worte trafen Sirius‘ Stolz. Keinen Augenblick später hatte sein Freund seinen Zauberstab gezogen und hielt ihm den Stab, für seinen Geschmack viel zu dicht, unter die Nase.

Kurz schloss Remus die Augen und rang die Zweifel ein weiteres Mal nieder. Er wusste, dass diese Entscheidung auf ihn zurückfallen würde. Früher oder später würde sie ihm in einer dunklen Gasse auflauern und sich auf ihn stürzen, wie ein tollwütiger Hippogreif. Das tat es immer, wenn man sich für diese Art von Entscheidungen entschied. Trotzdem zog er den Brief aus seiner Tasche und hielt ihn seinerseits hoch, sodass sie beide einen guten Blick auf das Pergament werfen konnten. Natürlich hatte er den Brief längst geöffnet. Ein dicht beschriebener Bogen Pergament ragte aus dem Schlitz heraus und auf dem Umschlag stand sein Name, zusammen mit ihrer Adresse. Die Schrift war die gleiche. Sie gehörte Albus Dumbledore.

Sirius verstand augenblicklich. Sofort verfinsterte sich seine Miene. Zu gut erinnerte sich Remus an die Geschehnisse im Dezember, als dass er es Sirius hätte verübeln können.

„Moony“, knurrte sein Freund finster, alle Freude verflogen. „Sag mir, dass das nicht ist, was ich denke, dass es ist.“

Natürlich war es das. Remus wusste, dass das, was er nun sagen würde, noch ein Nachspiel haben würde. Er sagte es trotzdem und lächelte dabei grimmig.

„Padfoot? Gib mir mal Feuer.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: Arcturus
2013-01-10T21:57:46+00:00 10.01.2013 22:57
Test
Von: abgemeldet
2012-08-20T13:31:17+00:00 20.08.2012 15:31
Hey^^
Die Geschcihte gefällt mir bis jetzt ganz gut. Ich mag die Art, wie die beiden miteinander umgehen und wie sie die Dinge sehen.
Du machst auch sehr schön deutlich, dass sie die Dinge grundsätzlich unterschiedlich sehen ich meine, eine Remus-Minute und ein Sirius-Augenblick?! das ist echt genial, total süße Idee.
Auch Sirius Einstellung zur Liebe: angelutschte, rosarote Zuckerstange XD köstlich und dann das mit dem in den Haaren-klebenbleiben.
Dein Sirius gefällt mir außerordentlich.
Dein Remus ebenfalls, weil er Sirius so gut einschätzen kann und wie er James irgendwie schon und irgendwie wieder auch nicht gesagt hat, dass er zu einer gefährlichen Mission muss, genial.
Das lese ich auf jeden Fall weiter.
LG Chiyo
Von:  Glimmer
2012-03-10T11:26:38+00:00 10.03.2012 12:26
Erstmal muss ich mich entschuldigen, dass es so lange gedauert hat. Ich habe momentan Prüfungen, und eigentlich gar keine Zeit. Aber ich wollte dich auch nicht noch länger warten lassen. Bis zum nächsten Kommi dauert es dann wieder ein wenig, aber ich hab die wundervolle Geschichte nat. nicht vergessen!


>„Weißt du, wie spät es ist?“, antwortete Fenwick in dem Moment, in dem Remus bereits hoffte, er hätte die Frage nicht gehört. „Ich sag es dir, Black. Es ist um sechs. Also halt die Schnauze, ich will schlafen.“

Den Satz musste ich zweimal lesen, was allerdings daran lag das ich den Ausdruck „um sechs“ gar nicht kannte. Ich dachte erst es ist ein Schreibfehler, was ich allerdings für unwahrscheinlich hielt, dauerte allerdings bis zum Ende der Geschichte das ich mich an diese Ausdrucksweise gewöhnt hatte. Jetzt beim dritten Mal lesen, ist es mir schon gar nicht mehr aufgefallen, hätte ich mir das vorher nicht notiert :)

>Fenwick entschied sich ausnahmsweise für die richtige Alternative – er antwortete.

Wenn Sirius mir nicht schon lange vor Fenwick sympathisch gewesen wäre, hätte er nun definitiv ein paar Punkte eingebüßt.

>Fenwick natürlich war das egal, denn der war möglicherweise so sensibel wie ein Hippogreif.

Ich finde es super, dass du zu Vergleichen Dinge aus der magischen Welt heranziehst. Das wirkt alles so schön authentisch!

>Er tat das, was nur dumme Helden und Gryffindors taten – er stürzte nach vorn. Erst in der Bewegung realisierte er, dass er den Wind, in dem die Schneeflocken trieben, völlig unterschätzt hatte. Mit jedem Schritt ahnte er mehr, dass er sich in eine Windhose begab, die den gesamten Hof erfasst hatte, aber er sah Kjersti, war sich jetzt sicher, dass sie es war, und sah nicht ein, sich abschrecken zu lassen.

Das war glaub ich das erste Mal als ich daran dachte das es in dieser Geschichte nicht nur um die Zauberwelt ging. Ich weiß nicht genau wieso aber als dann das ‚Gesicht im Wind’ wieder auftauchte war das so ein ‚Hättest du auch schon früher draufkommen können’ Augenrollen :)

>„Fenwick?“, hörte er Sirius Stimme, die klang, als spräche er mit Schnee im Mund. „Du bist ein elender Angeber.“

Das ist mein Lieblingssatz in diesem Kapitel.

Ich mochte dieses Kapitel sehr, obwohl es mehr Fragen aufwarf anstatt sie zu beantworten. Aber ich weiß ja auch schon was passiert :)

Von:  Glimmer
2012-02-08T17:33:17+00:00 08.02.2012 18:33
Søren ist ein Held.
Als ich zum ersten Mal seinen Namen las, fand ich das unglaublich komisch. Wie erwähnt, mein Bruder heißt auch so, kann zwar (leider) nicht zaubern, aber sonst ähneln die Beiden sich sehr.
Die Beschreibung der Straße fand ich sehr gelungen, und war etwas verdutzt über das plötzliche Auftauchen der Todesser.
Aber irgendwie wusste ich auch, dass es ohne Action nicht geht :) Das Malfoy und Snape dabei eine tragende Rolle spielen werden fand ich sehr passend. Auch wenn ich die Rumtreiber zu meinen Lieblingscharakteren zähle, aber wie sie Snape behandelt haben fand ich immer nicht so toll. Auch das James am Ende das Mädchen bekommen hat, nunja; Lily und James gehören zusammen, aber Snape hat sie immer geliebt, hach. Irgendwie ist es gut, das James an dieser Mission nicht teilnimmt. Das hätte er dann wahrscheinlich nicht überlebt.

>„Ist ein großes Moody-Kind. Der kommt allein klar oder sprengt die Todesser mit sich in die Luft. Nichts, wobei ich ihm helfen kann oder will. Gehen wir.“

Moody, ist einfach cool. Und seine Coolness überträgt sich automatisch auf Fenwick. Sirius ist vermutlich einfach eifersüchtig ;)

Dieses Kapitel gab die Richtung für den restlichen Verlauf der Geschichte vor, und da ich mittendrinn im Lesen war, fand ich das auch gar nicht mehr schlimm. Ich konnte gar nicht schnell genug lesen.
Von:  Glimmer
2012-02-08T17:18:40+00:00 08.02.2012 18:18
So dieses Kapitel fand ich besonders wegen Sirius und Fenwick richtig schön (obwohl ich ja weiß was noch kommt :) ) Zwischen all dem Chaos und der Ungewissheit ihrer Mission, sind die Beiden es, die alles irgendwie wieder lebendig erscheinen lassen.

>Unter ihm lagen die Mülltonnen, die Fahrräder der Bewohner und das Spielzeug von Kindern, die längst erwachsen waren, im Schatten.

Ich finde deinen Schreibstil einfach schön. Zwischen all der Action, Aufregung und Zauberer Duellen geht es manchmal unter, aber diesen Satz fand ich zum nachdenken schön. Und auch Remus Gedanke über seine 'gedruckten Schätze' bringen mich zum schmunzeln. Gerade wegen dieser Unterschiede zu seinen Freunden ist mir Remus am sympathischsten!

>Sirius, der dick eingepackt neben ihm stand, war schneller damit, einen dummen Kommentar vom Stapel zu lassen. „Guten Morgen Fenwick. Wie hoch habt ihr verloren?“

He he he. Ich glaub da musste ich das erste Mal grinsen und dachte 'Das wird ein Spaß, armer Remus!" Fenwick ist mir irgendwie gleich ans Herz gewachsen!

Nun könnte ich auch noch den Rest der Geschichte zitieren, aber ich glaube ich lese lieber das nächste Kapitel :)
Von:  Glimmer
2012-02-03T19:14:37+00:00 03.02.2012 20:14
Das war eindeutig der lustigste Teil. Ich weiß zwar nicht genau warum, aber Remus läuft hier zu Hochform auf!

>„Wenn Karen dir genug Zeit zwischen Tannenbaum beschmücken und Karen entschmücken lässt, wäre das ein hervorragender Schachzug von dir. Natürlich würde ich verstehen, wenn sie das nicht tut.“

Peter hat eine Freundin. Ich hab das gelesen und dachte sowas wie "WTF"? Dann musste ich lachen und eigentlich war es klar, dass Sirius sich darüber lustig machen würde.

>Jemanden von den Toten wiederzuerwecken war nicht möglich, das wusste er, aber Lily traute er es zu. Lily traute er alles zu. Die Herumtreiber waren nicht ohne, doch keiner von ihnen war tollkühn genug, den Zorn der Lily E. nicht zu fürchten.

Lily kann alles. Bisher ist sie in allen Geschichten, die ich über sie gelesen habe, wie Wonderwoman. Und niemand legt sich mit Lily an. Irgendwie hat J.K.R allein mit Lilys Beschreibung den Grundstein gelegt. Mir gefällt aber besonders, dass sie in dieser Geschichte auch ein Zeit für Zweisamkeit hatten. Obwohl ich schon gerne Lilys Gesicht gesehen hätte, als Peter aufgetaucht ist. Bevor dieser die Situation erklärt hat, war sie bestimmt nicht besonders begeistert ihn zu sehen :D

>Ihr Blickwechsel dauerte nicht lange, doch er verhieß unendlich viele, angenehme Möglichkeiten. Die meisten von denen, die in Sirius‘ Augen glänzten, waren nicht jugendfrei.

Sirius Black, der Schwerenöter! Nichts anderes hätte ich erwartet. Ich finde es immer wieder passend, das Sirius nichts anbrennen- und keine Situation auslässt um Remus in Verlegenheit zu bringen. Und Remus wehrt sich standhaft. Vorbildlich muss man ihm lassen, aber trotzdem ist es witzig wie er sich jedesmal innerlich wappnet um Sirius zu widerstehen.

>Ich koche – falls ich noch etwas totes im Kühlbehälter finde.“

Nach der wundervollen Beschreibung der Teekanne am Anfang war nichts anderes zu vermuten. Auch irgendwie typisch Sirius. Vllt sollte ihm mal jemand flüstern, dass es auch Putzfrauen gibt. Bestimmt auch solche die Magie benutzen können.

>Helle Haare flatterten um die feinen Gesichtszüge des Mädchens, das nicht so undurchsichtig war, wie sie es hätte sein sollen, und umspielten ihre schmalen Schultern.

Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich eigentlich es handelt sich um irgendeine von Sirius Ex-Freundinnen. Eine von der Sorte die jetzt unglücklich in der Zwischenwelt steckengeblieben war, und Sirius sein Glück madig machen will.

Naja erwies sich ja als anders ;)

Ich mag deinen Stil zu schreiben sehr, und die kühle Nüchternheit die Remus manchmal an den Tag legt passt genau. Und auch die Interaktion mit Peter mochte ich, das dieser zwar von dem Black aufgezogen, aber nicht untergebuttert wird! Schließlich sind sie ja nicht umsonst Freunde :)
Jetzt warte ich mal auf Teil drei!
Von:  Glimmer
2012-02-02T08:21:14+00:00 02.02.2012 09:21
Diese Geschichte ist der Wahnsinn.

Hatte ich schon gesagt wie obersupermegatollbombastisch diese Geschichte ist? Ich könnte die jetzt tausendmal 'Dankeschön' ins Ohr Brüllen!

Ich liebe ja, wie bereits erwähnt, Landschaftsbeschreibungen, und Norwegen noch dazu. Am allermeisten gefallen mir die Remus Minuten und die Sirius Augenblicke, und nachdem auch Peter Weilen dazu gekommen waren, hab ich (bisher ohne Erfolg) nach einer James Zeitangabe gesucht-aber vllt denkt der sowieso nur in Lily Sekunden :D

Ich musste schon am Anfang der Geschichte grinsen, als ich diesen wundervollen 'Dialog' gelesen habe:


>„Was hast du gesagt, Sonnenschein? Ich kann dich nicht hören.“
>„Machdachlichausch“, antwortete Sirius, nicht ihm sondern der Sofalehne.

Zu witzig und es passt genau zu meiner Vorstellung von Sirius, der nun mal ein Herumtreiber ist! Deinen Remus mag ich ebenfalls sehr, und seine Gedanken sind nicht nur wundervoll Remus-mäßig sondern so, ich weiß auch nicht, passend. Er ist Ruhig und gleichzeitig hab ich immer das Gefühl, das seine Gedanken zuweielen spöttisch klingen. Die Idee mit der 'Putzhexe' fand ich auch sehr witzig, da Sirius, wenn er denn wollen würde, es auch einfach nur sauber zaubern könnte. Ich kann schon gut nachvollziehen, warum sich Remus da verweigert!

>„Moony? Falls du es noch nicht wusstest: Ich kann schreiben. Wirklich. Oder denkst du, ich habe meine N.E.W.T. von James abgemalt?“
Remus griff zu einer der gemeineren Antwortmöglichkeiten, die er im Ärmel hatte – er reagierte mit einem wohlplatzierten Schweigen, bei dem sich Sirius die Bedeutung von selbst aussuchen durfte. Alles war möglich von ‚Nein, natürlich nicht‘ über ‚Ja, was wohl auch sonst?‘ zu ‚Nein, natürlich nicht. Ihr habt beide von mir abgemalt‘.

Ha das ist zu cool! Allein die Vorstellung von Sirius' Gesicht, und wenn Lily das erst mitkriegen würde. Ich mag diese Art von Humor sehr, und da Remus ja eigentlich meist nicht so die Witze schmeißt, finde ich das noch schöner.

Und bei ersten Mal lesen dachte ich 'Selbstmordkommando?' Wie Remus? Ich glaub da hab ich das erste Mal gedacht, 'Das mit Weihnachten wird wohl nichts!'

Jetzt warte ich gespannt auf die anderen Kapitel und freu mich die ganze Geschichte nochmal zu lesen :)


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