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Das Gesicht im Wind

Wichtelgeschichte für Glimmer
von

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3. Januar 1979, 15 Uhr, Skibotn

Das erste Mal seit Tagen – und es waren Tage, elf, um genau zu sein, gewesen, das wusste er jetzt – fühlte Remus sich gut. Zugegeben, er war eine halbe Mumie, mit all den Verbänden und Pflastern, die Agnetha und Lily an seinem Körper angebracht hatten, und er bekam den pelzigen Geschmack, den zu viele Heiltränke auf einmal hinterlassen hatten, nicht von der Zunge, doch er fühlte sich gut. Vielleicht war das die Wirkung eines der Tränke. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er auf ein paar eilig beschworenen Kissen mehr lag, als saß, Sirius zu seiner Rechten, Peter zu seiner Linken und den kleinen Torleif dösend auf seinem Schoß. In der Innentasche seines Umhangs ruhte ein Umschlag voller Photos, die Peter nicht abgeschickt hatte und die er möglicherweise verbrennen würde oder zumindest Sirius damit erpressen. Er war – dank der Kochkünste von James und Peter, die er zuvor selbigen zumindest öffentlich abgesprochen hätte – satt und in seinen Ohren klang noch Sørens ruhige Stimme, mit der er aus dem Weihnachtsevangelium gelesen hatte. Davon hatte er wegen der Sprachbarriere nur wenig verstanden, aber darum ging es ihm in diesem Moment auch nicht, schließlich kannte er das Evangelium. Worum es ging, waren das erholsame Zusammensein, Agnethas gerechter Zorn über eine demolierte Küche, das Essen, das Leuchten in Kjerstis und Torleifs Augen bei der Bescherung, die für die beiden bereits die zweite in dieser Weihnachtszeit war, seine Freunde, das Lachen und der Fakt, dass sie immer noch lebten.

Nun summte die Luft vor Weihnachtsliedern von einem magischen Plattenspieler und dem Gelächter und den Geschichten der anderen. Remus jedoch begnügte sich damit, einfach ruhig zuzuhören und an den richtigen Stellen zu schmunzeln.

Träge bemerkte er Peters skeptischen Blick auf sich. „Und dir geht es wirklich gut?“, fragte sein Freund leise genug, um beinahe von Fenwicks neuestem Witz über Alastor Moody übertönt zu werden.

Remus zog sorgfältig die Brauen hoch und nickte. „Für den Moment könnte es mir nicht besser gehen, Wormtail.“

Die Sorgenfalten in Peters Stirn schwanden nicht. „Ihr habt elf Tage verpasst und–“

Ein Gewicht lehnte sich an schwer gegen Remus‘ Schulter, als Sirius sich von Fenwicks Blödeleien ab und ihrem Freund zuwandte. „Und was?“, fragte er. Seine Stimme war laut genug, damit auch Lily und James und damit auch die übrigen Anwesenden auf ihr Gespräch aufmerksam wurden. Das war der Zeitpunkt für Agnetha, um Kjersti ins Bett zu scheuchen und Torleif von seinem Schoß zu sammeln und ebenfalls ins Dachgeschoss zu bringen.

Kjersti ging zwar zügig, wie ihre Mutter es erwartete, aber weder freiwillig noch leise. Nach einer kurzen Verabschiedung lief sie wie ein kleiner Wirbelwind aus dem Zimmer, aber selbst als Agnetha längst die Flurtür hinter sich geschlossen hatte, hörte man sie noch über ihnen poltern. Remus schmunzelte darüber nur und wandte sich stattdessen wieder Peter zu. Dem jedenfalls gab das die Möglichkeit, seine Antwort sehr genau zu überlegen, bevor er sie aussprach.

Peter seufzte schließlich. Die Version, für die er sich entschied, war die knapp-unverblümte. „Und ihr seht aus, als hätte man euch verhext, zusammengeschlagen und versucht, euch zu ertränken. Mehrfach.“

Spätestens jetzt spürte Remus Lilys Blick nur allzu deutlich auf sich. Sirius‘ unwillkürlichem, kaum merklichen Zucken nach zu urteilen, tat er es auch. Lily war, neben Agnetha, diejenige, die bis dato die meisten Details dessen kannte, was in Khiones Schloss vorgefallen war. Es war schlicht nicht zu vermeiden gewesen, angesichts der Tatsache, dass die beiden Frauen die Versorgung ihrer Verletzungen übernommen hatte. Sie hatte den Schnitt auf Remus‘ Oberarm gesehen, die Narben um sein Handgelenk, die die Kette hinterlassen hatte, die Bissspuren und Severus Snapes Schrift auf Sirius‘ Rücken. Nur der Name Snape, der war selbst in diesem Zusammenhang noch nicht gefallen. Peter und James hingegen wussten nicht viel mehr, als von der Sache mit den Eisstatuen – und um des Friedens willen hoffte Remus, dass das zumindest für diesen Abend noch so blieb. Ihm war klar, dass Sirius und er die beiden später einweihen würden, weil sie die Herumtreiber waren, doch er spürte auch, dass es dafür noch nicht an der Zeit war.

Bedacht nickte Remus dennoch. Alles zu leugnen, wäre – angesichts der Verbände um seine Schulter, seinem Arm und seinem Bein, sowie diverser größerer und kleinerer Pflaster und Sørens nicht passendem Leihumhang – töricht gewesen. „Wurden wir, wurden wir und ja, zwei Mal. Das passiert, wenn man sich mit Todessern anlegt.“
 

Peters Gesicht verdüsterte sich mehr, sodass Remus sich genötigt dazu sah, beschwichtigend die Hand zu heben. „Wirklich, Peter. Mir geht es gut. Die Sache wird mich noch verfolgen. Ihr werdet mich festhalten müssen, sollte Snape seine schmierige Hakennase noch einmal in meine Reichweite bewegen. Gesetzt den Fall, dass er noch lebt.“

„Snivellus war dabei?“, mischte sich nun auch James ein. Ruckartig saß er sehr aufrecht neben seiner Lily. Remus zuckte schuldbewusst zusammen. Das hatte er nicht sagen wollen.

„Ja, war er“, antwortete er achselzuckend. „Er, Wilkes, Rosier und Malfoy. Wir hatten ein paar unangenehme Duelle und ich habe nicht alle davon gewonnen. Das ist alles.“

Das war nicht alles. Ihm war das klar, Sirius war das klar und Lily ebenfalls. Wie viel Fenwick und Søren letztendlich mitbekommen hatten, konnte Remus nicht sagen, aber auch die beiden schwiegen. Peter und James wussten nichts, doch natürlich spürten sie es trotzdem, genauso wie die Bitte, mit dem Nachfragen zu warten.

In stummen Einverständnis schwenkte Peters Blick weiter zu Sirius, doch der war mit seiner Antwort schneller, als Peter mit seiner Frage. „Ich erinnere mich an den Großteil dieser Zeit nicht. Ich war damit beschäftigt, ohnmächtig zu sein, weißt du? Ansonsten hat Moony das bereits zusammengefasst. Krieg ich die Plätzchen? Oh und wenn wir schon dabei sind – was ist mit euch? Ich kann mich nicht daran erinnern, euch eine SOS-Eule geschickt zu haben.“

Plätzchen kamen auf seine Bitte hin gleich aus mehreren Richtungen. Eines traf Remus am Kopf. Finster warf er James einen Blick zu, der nicht einmal so tat, als würde es ihm leidtun. Fenwick zielte wenigstens genauer. Zufrieden mit der Ausbeute, zupfte Sirius sich eines der Plätzchen aus seiner Kleidung – die ebenfalls aus einer Leihgabe von Søren bestand – und stopfte es zufrieden in seinen Mund. „Alscho?“

Wortlos strich Remus sich ein paar Krümel aus dem Gesicht, nur oberflächlich weniger neugierig als Sirius. Sein Blick klebte genauso an Peter und James, wie der seines Freundes. Peter zuckte mit den Achseln und wirkte erschreckend wenig schuldbewusst.

„Ihr habt gesagt, ich solle die Klappe über eure Mission halten“, fing er an. Einen Moment später quiekte er, als ein Plätzchen seine Stirn traf.

Lilys Methode, James zu zeigen, dass sie vom Plätzchenwerfen nichts hielt, war daraufhin recht eindeutig. Noch während James beleidigt die Hand schüttelte, auf die sie ihm einen Hieb versetzt hatte, begann er zu sprechen. „Er stand am nächsten Tag vor meiner Tür. Am nächsten! Ihr zieht aus, um in Mord und Totschlag irgendwo in der norwegischen Pampa–“ Sørens leises Räuspern ignorierte er geflissentlich „–euer Leben zu lassen. Obwohl ihr sehr wohl wisst, dass eure Chancen scheiße stehen. Hah, von wegen kleine Mission am Rande. Und ihr nehmt mich nicht mit. Weiht mich nicht mal ein? Und wann kommt Peter angekrochen, um–“

„–Ich krieche nicht, Prongs–“

„Klappe, Wormtail. Jedenfalls – Wann kommt Peter und beichtet mir das? Einen Tag später! Ich sollte euch in den See von Hogwarts werfen. Vielleicht mag der Krake Padfoot- und Moony-Ringe. Mit Ketchup. Ich bin voll für Padfoot- und Moony-Ringe. Frittiert.“

Sirius war mit seiner Antwort schneller als Remus.

„Ich nicht“, warf er ein, den Mund noch voller Gebäck. „Außerdem war es Moonys Idee.“

Remus schnaubte, nicht einmal unterdrückt. „Verräter“, knurrte er leise, wenn auch nur mit halbem Ernst. „Das gleiche gilt für dich, Peter. Was Sirius‘ Frage übrigens nach wie vor nicht beantwortet. Du bist zu James gegangen. Das habe ich erwartet. Und dann?“

Wieder war es James, der antwortete. „Bin ich Dumbledore aufs Dach – Au, Lily! Du weißt, dass deine Ellenbogen spitz sind? Okay, okay – Gut, sind wir Dumbledore aufs Dach gestiegen. Der hat den alten Geheimniskrämer gespielt, also haben wir uns selbst auf die Suche gemacht.“

„Und seinem Wildhüter die Thestrale geklaut“, warf Peter ein, auch wenn er sich anstrengen musste, James Stimme zu übertönen. „Das war übrigens meine Idee.“

James winkte, ein weiteres Plätzchen zwischen den Fingern, lässig ab. Für einen Moment sah er so aus, als wolle er auch dieses Gebäckstück werfen, doch unter Lilys strengem Blick steckte er es sich stattdessen in den Mund. Die unangenehme Eigenschaft, mit vollem Mund zu sprechen, hatte er nach sieben Schuljahren längst mit Sirius gemein.

„Ja, ja“, nuschelte er. Remus sah selbst von seiner Position aus noch Krümel fliegen. Immerhin erreichten sie ihn nicht. „Hascht du fein gemascht.“ Er schluckte endlich. „Aber ich war es, der den Wildhüter abgelenkt hat, und es war meine Idee, mit den Viechern nach Norwegen zu fliegen und in Tromso mit der Suche zu beginnen. Und dabei kann ich die Klepper nicht einmal sehen!“

„Was nicht die schwierigste Schlussfolgerung ist, wenn man bedenkt, dass wir nicht viel mehr Anknüpfungspunkte für unsere Suche hatten, als die Stadt, James“, mischte sich nun auch Lily ein. Der griff schon wieder in eindeutiger Absicht nach einem Plätzchen, ließ es aber fallen, als sein Blick sich mit dem seiner Freundin kreuzte. Schmollend stützte er den Kopf auf seine nun wieder freie Hand.

Da James nun eisern schwieg, sah sich Peter scheinbar in der Pflicht, weiter zu sprechen. „Natürlich haben wir euch dort nicht gefunden. Dafür sind wir über Agnetha gefallen. Oder sie über uns. Ich denke, sie hat schon auf uns gewartet. Als wir wussten, dass wir das gleiche Grüppchen suchten, ließ sie sich nicht mehr abschütteln. Das war am Tag nach Weihnachten. Das was dann kam“, Peter zuckte unbeholfen mit den Achseln, „war ein Irrflug durch Eis und Schnee. Wir dachten schon, wir finden euch nie. Aber besonders spannend war das – im Gegensatz zu dem, was ihr erlebt habt – sicher nicht.“

Skeptisch zog Remus die Brauen hoch. „Ich war elf Tage lang eine Eisstatue.“

„Und ich ein hirnloser Inferus unter Khiones Busen“, warf Sirius neben ihm ein. Die Plätzchen, die Fenwick und James nach ihm geworfen hatten, waren bis auf diverse Krümel restlos verschwunden. „Wenn das nicht langweilig ist, weiß ich auch nicht weiter.“

„Wir haben uns nur die Eier abgefroren“, mischte James sich nun doch wieder ein. Mit einem Seitenblick auf Lily fügte er hinzu: „Beziehungsweise die Eierstöcke. Autsch!“

Lily blieb ungerührt. Sie lächelte nur so dünn wie hinterhältig. „Geschieht dir recht. Aber nein, wir hatten keine spannenden Erlebnisse. Bis auf den Elch, natürlich.“

„Elch? Was für ein Elch?“, fragte Sirius. Auch ohne sein Gesicht sehen zu können, wusste Remus, dass seine Augen funkelten, mit dem üblichen Schalk darin, der viel besser zu ihm passte, als so vieles, was Remus in letzter Zeit in ihnen gesehen hatte.

In seinem Augenwinkel sah er, wie Søren und Fenwick knappe Worte tauschten. Letzterer schien nicht begeistert, als Søren ihn einen Moment später mit der Erklärung „Uns geht das Holz aus. Du kriegst die Axt höher als ich.“ aus dem Raum schleifte, um die Freunde allein zu lassen. Die Tür schloss sich leise hinter ihm, während Peter in Sirius‘ Frage den perfekten Aufhänger gefunden hatte. Breit grinsend gestikulierte er einen Elch.

„Den Elch“, sagte er bedeutungsschwer. „Den, den James geknutscht hat. Seine Haare waren so rot, wisst ihr, und sein Gehirn ist so ‚LilyLilyLi‘-“

Weiter kam er nicht. Sørens Stube war nicht groß, auch nicht mit zur Seite geschobenem Esstisch und stattdessen auf dem Boden verteilten Kissen. James brauchte nicht mehr als einen Sprung, um den Kreis zwischen ihnen zu durchqueren. Federn wirbelten durch die Luft, als er mit einem Bauchklatscher landete. Für einen Moment hatte Remus eine Ratte auf dem Schoß, einen Moment später einen fluchenden James Potter und im nächsten waren sie nur noch ein großes, lachendes Knäuel.



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