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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Bluthandel

Es war noch nicht einmal zwei Uhr am Nachmittag, als sechs merkwürdig anachronistisch anmutende Gestalten das Carl-Gustav-Carus-Klinikum beehrten. Sie meldeten sich an der Hauptkasse als Besucher an – das heißt, ihr Butler Bastille tat das – und erwarteten daraufhin, sofort zum MIU-Versteck eskortiert zu werden. Was natürlich nicht passierte. Stattdessen wurden sie angewiesen, im Wartebereich Platz zu nehmen. Max Coppella und Comte Caspar reagierten mit überzeugender Verwirrtheit: Sie wären noch niemals zum Warten angehalten worden. Hätten derartige Frechheiten denn heutzutage gar keine Folgen für die Delinquenten mehr? Es gäbe da ein paar angenehm zugige Verliese.

Währenddessen fügten sich die anderen drei in ihr Schicksal und setzten sich freundlicherweise. Bastille richtete wie selbstverständlich einen mitgebrachten Tee auf einem Tablett an, mit der Begründung, es sei zwar nicht an der Zeit, würde aber das Warten auf ein gewisses anderes Getränk überbrücken. Die Menschen, die um sie herum saßen, waren schlagartig verstummt. Fasziniert beobachteten sie die fünf vornehm und archaisch gekleideten Herren, die sich von ihrem blonden Butler mit einer Puderquaste die Zylinder entstauben ließen. Nicht nur Kinder glotzten sich die Augen aus, aber Coppelius störten sich daran nicht im Geringsten.

Schließlich kam Lasterbalk sie abholen. »Willkommen, ihr geschniegelten Nervensägen. Gute Anreise gehabt?« Er lächelte sie an, um das Gesagte Lügen zu strafen. Freundlichkeit bewährte sich stets, wenn man von anderen etwas wollte.

»Es regnete leider«, beantwortete Graf Lindorf die Frage. Es war irritierend, dass er im Präteritum sprach.

»Na dann, in unserem Versteck regnet’s net. Kommt mit, aber seid net entsetzt: So viel Luxus seid ihr bestimmt net gewohnt.« Ein spöttisches Lächeln begleitete diese Bemerkung.

»Wo ist euer cholerischer Chef?«, erkundigte sich Max Coppella scheinheilig, als sie auf die DINZ-Baustelle zuhielten. »Hat er euch bei der Entscheidung gar keine Steine in den Weg gelegt?«

»Chefchen nimmt sich ’ne Auszeit«, gab Lasterbalk knapp zurück, »und ich …« … hab das Kommando an mich gerissen, endete er in Gedanken, befeuchtete sich die Lippen und sagte stattdessen: »… vertrete ihn nach Kräften.«

Tatsächlich hatte Buschfeldt heftig protestiert, doch er befand sich nicht mehr in der Position, Befehle zu erteilen. Er war weggeputscht worden, wie es allen Diktatoren irgendwann passierte. Falk hatte ihm gedroht, sie würden sein Blut stattdessen tauschen, wenn er nicht endlich den Mund hielt, und letzteres hatte der Direktor daraufhin getan. Lasterbalk fragte sich, was das alles für ein Nachspiel haben würde.

Coppelius arrangierten sich völlig kommentarlos mit der alles andere als komfortablen Wohnsituation im zeitweiligen MIU-Hauptquartier. Wie zu erwarten betrachteten Comte Caspar und Max Coppella die rohen Betonwände und die staubigen Flure höchst angewidert. Auf ihrem Weg in den Keller versuchten sie mehrfach, ihren Butler Bastille zum Staubwischen zu ermuntern, doch Lasterbalk lenkte sie erfolgreich von ihrer unattraktiven Umgebung ab, indem er nachdrücklich daran erinnerte, was es in Kürze zu trinken geben würde – und schon galt die Aufmerksamkeit aller sechs wieder ganz ihm.

Das Willkommen fiel eher verhalten aus. Zwar waren alle Insassen neugierig versammelt, um Coppelius zu sehen, aber mit ihnen reden wollte kaum jemand; zu groß war das Risiko, einer ausschweifenden, salbungsvollen Rede nicht folgen zu können oder dem tief verankerten Irrsinn alter Vampirseelen allzu nahe zu kommen. Vor allem die Menschen beließen es bei vorsichtigem Nicken und Lächeln. Zum Glück schien den Besuchern sehr daran gelegen zu sein, schnell zum Geschäftlichen überzugehen, denn sofort nach dieser knappen Begrüßung zwängten sich Coppelius im provisorischen Bockshof zusammen, um dort dem ›Ausschank‹, wie sie es nannten, beizuwohnen.

Bock legte neben seinem Behandlungstisch alles bereit, was er brauchen würde, dann brachen er und Lasterbalk auf, um Alea von der Station zu holen.
 

In dem kleinen Krankenzimmer beugte Lasterbalk sich tief über Alea und inhalierte vorsichtig die warme Atemluft, die in gleichmäßigen Abständen aus dessen Lungen zurückkehrte.

Stirnrunzelnd befand er: »Riecht irgendwie krank … Zumindest weniger appetitlich als sonst.«

»Das wird am Hungerstoffwechsel liegen«, beruhigte ihn der Arzt. »Der Metabolismus verändert sich bei längerem Nahrungsentzug, schaltet auf Sparflamme. Hat er einen Vampir exekutiert, bevor Ingo ihn niedergeschlagen hat?«

»Hmmm … ja.« Lasterbalk rieb sich das Kinn, während er abwechselnd Alea und den Linien zeichnenden Monitor beäugte. »Stimmt ja. Ganz vergessen. Er hat ja immer tierischen Hunger danach.«

Innerhalb der Band hatte sich der Umstand, dass Aleas tödliche Fähigkeit enorme Energie verbrauchte, längst zu einer Art Running Gag entwickelt. Jeder war dazu angehalten, in irgendeiner Tasche ein Stück hochkalorische Nahrung mitzuführen, einen Müsliriegel oder Schokolade, nur für den Fall, dass Alea jemals eine ganze Armee von Vampiren ins Jenseits würde befördern müssen. Auf der vergangenen Sommertour hatten die Roadies ihn schließlich in ›Red Bull‹ umgetauft, seit er hartnäckig versucht hatte, mit dem koffeinhaltigen Getränk die erlittenen Verluste auszugleichen. Genutzt hatte das nichts: Sein Körper schmolz Kalorien wie Softeis, wenn er Vampirherzen zum Stillstand zwang, und forderte sie hartnäckig wieder ein; Aufputschmittel waren völlig machtlos. Falls Alea diesen Hungerattacken, die denen eines ausgehungerten Vampirs nicht unähnlich waren, nicht innerhalb einer guten Stunde nachgab, konnte es tatsächlich passieren, dass er vor Erschöpfung umfiel. Und das stand einem gut ernährten, muskulösen Mann wie ihm nicht gerade gut zu Gesicht.

Inzwischen hatte Bock begonnen, die Messelektroden für das EEG vorsichtig zu entfernen und die beklebten Stellen vom Leitgel zu säubern. »Hilfst du mir, oder guckst du nur?«, fragte er den Vampir mit einem Seitenblick.

Lasterbalk schnupperte noch einmal misstrauisch. »Ich meine, dass das ein ziemlich ungewohnter Geruch ist. Hunger riecht bei Menschen eigentlich eher … süß-säuerlich, ein bisschen wie Apfel. Und das hier ist so … hmmm.«

Bock verdrehte die Augen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass du gerade verzweifelt nach einem Grund suchst, Coppelius nicht sein Blut trinken zu lassen.«

»Stimmt net«, behauptete Lasterbalk und fügte sofort hinzu: »Ist mir total egal, ob die die Scheißerei kriegen, wenn sie aus ihm trinken. Ich hab nur gesagt, er riecht komisch. Das könnte ja auch an dem Desinfektionsmittel liegen, mit dem sie ihn saubermachen, oder … ach, ist mir doch egal.«

Mit sich selbst nicht ganz einig, was ihm ein so ungutes Gefühl bescherte, hob Lasterbalk den schlafenden Sänger behutsam auf seine Arme und schickte sich an, dem Arzt zu folgen.

Da kam plötzlich die burschikose Nachtschwester herein. »Was machen Sie denn da?«, erkundigte sie sich mit zusammengezogenen Augenbrauen, als sie sah, dass die beiden Alea davon zu tragen gedachten.

»Wir leihen ihn kurz aus«, erwiderte Bock. »Warum sind Sie überhaupt noch hier?«

»Überstunden«, antwortete sie und rieb sich die Augen, um entsprechend müde zu wirken. »Ich gehe aber jetzt nach Hause und bin dann ab acht Uhr wieder für ihn da. Bis dahin will ich ihn wieder in seinem Bett sehen! Sie wissen, dass wir dann Sonden und Katheter legen müssen!«

»Weiß ich«, versicherte Bock. »Es wird nicht lange dauern.«

Damit war der Fall erledigt, und die Schwester ging mit einem widerwilligen Kopfnicken.

Verwundert wandte Lasterbalk sich an den Arzt: »Die lassen dich hier aber auch alles bestimmen, oder?«

»Haben die eine Wahl?«, gab Bock zurück, während er dem großen Mann half, Alea durch die Tür zu heben. »Wenn irgendwo MIU draufsteht, ziehen alle die Finger weg, man könnte sich ja dran verbrennen. Keine Sorge, die machen uns keine Probleme.«

Tatsächlich: Man ließ die beiden mit Alea gehen, und obwohl man ihnen misstrauisch hinterher sah, beanstandete niemand, dass Lasterbalk den bewusstlosen Mann nicht auf einer Liege, sondern einfach auf den Armen trug.
 

Als sie im Bockshof ankamen, saßen dort alle außer Buschfeldt, El Silbador und Pfeiffer versammelt. Coppelius genossen in aller Ruhe einen giftgrünen Absinth und wirkten bestens gelaunt. Richtig zu strahlen begannen sie aber erst, als alle für Lasterbalk den Weg freimachten und er Aleas schlaffen Körper auf Dr. Saltz’ Tisch ablegte.

»Der Vexecutor! Wunderbar!«, ließ Sissy Voss in höchster Verzückung verlauten. Unverhohlen gierig beugte er sich über Alea, betrachtete ihn fast zärtlich und zog dann ganz befangen mit der Fingerspitze den Verlauf der Halsvenen nach.

Lasterbalk bleckte die Zähne. »Hier wird net gebissen, kapiert?«

»Ich weiß, ich weiß«, versicherte ihm der ältere Vampir und seufzte traurig. »Aber wir werden diesen Moment trotzdem auskosten, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben ein paar feine Gläser mitgebracht. Bastille?«

Prompt stellte der Butler mit einer einzigen fließenden Bewegung acht Schnapsgläser auf dem Teetablett ab; sie hatten alle den gleichen Abstand zueinander und waren blitzsauber.

»Aus so was trinken wir normalerweise Korn«, sagte Falk argwöhnisch. »Wieso sind das acht?«

»Weil wir davon ausgegangen sind, dass die Besitzer sich auch gerne selbst mal ein Schlückchen genehmigen würden«, antwortete Comte Caspar, und sein Ton verriet, dass er ganz genau bescheid wusste. Spitz ergänzte er: »Es gibt sicher viele Gründe dafür, dass ihr es bisher nicht gewagt habt.«

Falk, dessen Missmut daraufhin jäh verrauchte, musste schlucken. Er glaubte, dass alle es hören konnten. »Viele … Gründe«, antwortete er heiser. »Ich meine, wir konnten ja nicht einfach … Es ergibt sich einfach nicht, und … mal ganz abgesehen von der Beißhemmung …«

»Ja, alter Freund, wir verstehen schon. Also – genießen wir diesen edlen Tropfen doch alle gemeinsam! Jetzt leugnet nicht, dass ihr schon lange davon träumt!«

Falk fand, dass er eigentlich widersprechen müsste, doch dann würde er lügen. Selbstverständlich reizte es ihn und auch Lasterbalk sehr, ein so sagenumwobenes, vielgepriesenes und von Geheimnissen umgebenes Blut zu trinken wie das ihres Sängers – des Menschen, der Vampire durch den Willen töten konnte. Da sie selbst das nicht einfach tun durften, wäre es ein grässliches Gefühl gewesen, zu wissen, dass stattdessen fremde Vampire den Geschmack kannten und nie vergessen würden. Coppelius waren immerhin Freunde – oder zumindest so etwas Ähnliches –, und Falk wusste, dass er und Lasterbalk sich dazu durchgerungen hätten, sie probieren zu lassen. Wenn sie ihnen nun jedoch anboten, gemeinsam zu trinken …

Mit flauem Magen schaute Falk zu Lasterbalk und fand dort keine Hilfe. Der Hüne erwiderte seinen Blick ratlos. Ein unbehaglicher Gedanke stand im Raum: Alea würde ihnen das, was sie hier mit ihm machten, niemals, niemals verzeihen, sollte er je davon erfahren. Seine Hilflosigkeit auszunutzen und sein Blut nicht nur einzutauschen, sondern es auch noch selbst zu trinken, grenzte an … Verrat.

Und doch … Es war so unglaublich verlockend …

Es war Bock, der nach Minuten des Schweigens einschritt. »Ich weiß schon«, seufzte er. »Ihr könnt nicht ablehnen. Ich verstehe das. Ist kein Problem … Achtmal zwei Zentiliter sind hundertsechzig Milliliter. Das wird Alea überhaupt nicht kratzen.«

Beinahe gleichzeitig erhoben sich Simon, Sugar Ray und Asp. »Das müssen wir uns nicht unbedingt ansehen«, erklärte letzterer.

»Stimmt, da wird man nur neidisch«, brummte Simon. »Aber naja, ich gönn’s euch. Prost.«

Die drei Vampire ließen die Übrigen allein; dann ging auch Schievenhöfel mit den Worten »Ich rede mal ein bisschen mit dem Chef.«

Nun waren sie zu neunt, wenn man Alea nicht mitzählte. Bock sah den Vampiren in die erwartungsvollen Gesichter und griff schließlich mit der einen Hand nach Aleas linkem Arm, mit der anderen nach dem Stauschlauch. »Wartet gefälligst, bis ich fertig bin, ja? Falk, du reichst mir ein Glas nach dem anderen.«

»Wird er auch net aufwachen?«, fragte Lasterbalk zweifelnd.

»Äußerst unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass wir schon alle möglichen Schmerzreize ausprobiert haben, auf die er nicht reagiert hat.«

»Und diese Schwester wird es auch net merken?«

»Dass wir ihn punktiert haben? Doch. Aber offiziell habe ich dann einfach eine Blutprobe genommen.« Bock desinfizierte Aleas Ellenbeuge mit einem scharf alkoholisch riechenden Wattetupfer, dann schob er die Kanüle in die hervortretende Armvene vor, löste den Venenstauer und nahm Falk das erste Schnapsglas ab. »Irgendwie seid ihr ganz schön dekadent«, stellte er fest. »Wieso holt ihr euch nicht noch Trauben und Käsewürfel wie bei einer Weinprobe?«

Die Vampire waren viel zu erregt, um zu antworten. Coppelius durchbohrten Aleas Körper mit Blicken, die denen der Mädchen vor der Bühne in wenig nachstanden. Als das erste Blut austrat, zuckten aller Augen dorthin. Tropfen für Tropfen quoll hervor, erst langsam, dann schneller. Genüsslich inhalierten die alten Vampire den Geruch; Max Coppella leckte sich verhalten die Lippen und sah plötzlich viel weniger übellaunig aus als gewöhnlich. Jedoch hatten sich nicht alle von ihnen so gut unter Kontrolle: Als das erste Schnapsglas voll war und Bock es beiseite stellte, um nach dem nächsten zu greifen, schnappten plötzlich Nobusamas Fänge hervor, und er presste peinlich berührt eine Hand auf den Mund.

»Contenance!«, zischte Comte Caspar. »Du bist doch kein geifernder Frischling mehr!«

Der Getadelte nickte sichtlich beschämt, murmelte eine wohlformulierte Entschuldigung und zwang seine Zähne wieder zurück an ihren Platz. Beherrschung sei doch eine große Tugend! Falk und Lasterbalk tauschten wieder einen Blick; ihnen war der Geruch des Blutes nicht fremd, doch auch sie kämpften merklich mit ihrem Verlangen.

Weiterhin schweigend und voller Spannung sahen sie zu, wie Bock ein Gläschen nach dem anderen mit dem frischen, duftenden Blut füllte. Für sie dauerte es sicher eine gefühlte Ewigkeit, bis der tröpfelnde rote Quell auch das letzte der acht Gefäße akkurat bis an die Markierung gefüllt hatte.

»Mach schneller! Es gerinnt ja schon!«, drängte Lasterbalk.

»Ja, ja!« Bock zog die Nadel zurück, um die kleine Wunde abzudrücken. »Dann guten Appetit.«

Unverhohlen gierig griff jeder der acht Vampire nach einem der Schnapsgläser. Keiner von ihnen konnte sich jetzt mehr zurückhalten.

»Ich kann’s nicht fassen, dass dieser Tag mal gekommen ist«, ließ Falk ganz beklommen verlauten und starrte das Getränk an.

»Das kann ich nur unterstreichen«, schloss sich Lasterbalk an.

»Oh, wir wussten, dass er kommen würde!«, kicherte Graf Lindorf. »Und jetzt lasst uns anstoßen! Auf die Freundschaft – und darauf, dass unser Lockstück euch helfen wird, die irische Vampir-Mafia zu zerschlagen!«

»Jap, darauf trinke ich ganz bestimmt!«, nickte Lasterbalk und leckte sich die Lippen, nunmehr ohne jede schamhafte Zurückhaltung. »Zum Wohl! Oder wie es bei Eff Eff wohl heißen würde: Sláinte

Und dann tranken sie. Kippten sich Aleas Blut in einem Zug hinter die Binde wie einen Kurzen. Bock schüttelte den Kopf; von Genießen verstanden Vampire wirklich nichts. Allerdings musste man einräumen: Für gewöhnlich geronnen vor ihren Augen unbehandelte, frische Drinks außerordentlich schnell zu braunen Klumpen.

Als die Gläser leer waren, seufzten die acht Trinker und erschauerten wohlig, wobei sie alle beiseite sahen. Immer wieder leckten sie sich die Lippen und versuchten, dem Geschmack so lange wie möglich nachzuspüren.

Bock sah fragend vom einen zum anderen. »Ja … und? Wie ist es?«

»Unglaublich«, murmelte Falk.

»Ein Zungenorgasmus«, ergänzte Lasterbalk.

»Deliziös!«, ließ Comte Caspar sichtbar zufrieden verlauten.

Der Mediziner furchte die Stirn. »Eigentlich seltsam, wenn man bedenkt, dass Alea tagelang nichts gegessen hat. War es süß?«

Falk nickte. »Jaah, süß wie Honig … Genau wie es immer gemunkelt wurde!«

»Merkwürdig. Äußerst merkwürdig.«

»Das ist net merkwürdig, Bock!«, widersprach Lasterbalk lächelnd. »Alea ist ein Vexecutor! Er ist so was wie ein … Blutgott!«

»In der Tat, in der Tat, da kann ich dem Herren nur lebhaft beipflichten«, äußerte sich nun auch Sissy Voss etwas zurückhaltender zu der jüngst gemachten Geschmackserfahrung. »Ein wirklich ungewöhnliches, aber auf jeden Fall unvergleichlich gutes Aroma.«

»Das Lockstück«, fügte Max Coppella daraufhin hinzu, »gehört natürlich euch. Bastille? Bitte händige den Herren unseren Teil der Abmachung aus.«

Der blasse Diener, der selber noch ganz trunken wirkte, fischte ein Stück vergilbtes Papier aus seinem Hosenbund – was auch immer es dort zu suchen hatte – und gab es Lasterbalk; es erinnerte an eine Schatzkarte, doch als der große Mann es vorsichtig entrollte, stellte er fest, dass einigermaßen sauber geschriebene Noten es zierten.

»Soso«, kommentierte Lasterbalk. »Das ist … hmmm. Ah, ja … aber … was bedeutet … Taragot

»Das ist das Instrument, für das es ausgelegt ist«, erklärte Bastille.

»Und was ist das?«

»Oh, bitte …«, seufzte Max Coppella und rollte theatralisch die Augen. »Wir verstehen uns auf Kammermusik, ihr euch auf volkstümliche Allerwelts-Klampferei. Ihr solltet das wissen.«

Lasterbalk schaute zu Falk, und Falk schaute zurück; dann zuckten beide kaum merklich die Schultern. Lasterbalk rollte das Papier vorsichtig zusammen und legte es dann einfach auf Aleas Bauch, die einzige Ablagefläche in Reichweite. »Gut, ich werde mir das nachher genauer ansehen. Vielen Dank.«

»Wir haben zu danken!«, erwiderte Sissy Voss bemüht liebenswürdig. »Auf weiterhin gute Zusammenarbeit – und viel Erfolg bei eurem Einsatz.«

Gemeinsam geleiteten die Saltatio-Mortis-Vampire ihre Gäste durch das Klinikgebäude zum Haupteingang. Regelrecht exaltiert sangen sie dabei in lautem Chor: »Bluuut, Bluuut … alle saufen Bluuut …«, sodass ihnen erneut wartende Patienten und Angehörige wie vom Donner gerührt hinterher sahen.
 

Am Haupteingang des Krankenhauses angekommen, setzten sich Coppelius – mit Ausnahme von Nobusama und dem blondgelockten Butler – ihre Zylinder auf, drehten sich zu Lasterbalk und Falk um und deuteten zum Abschied eine leichte Verbeugung an, eine Hand an der Hutkrempe, wie es sich für feine Herrschaften gehörte. Die MIU-Vampire hingegen brachten nur ein knappes, eher angestrengt aussehendes Nicken zustande, ehe sie sich umdrehten und den Rückweg zum Keller antraten.

Bereits in der Nähe der Baustelle bemerkte Lasterbalk ein seltsames Gefühl in der Brust. Sein Herz pochte ungewöhnlich schnell, und er hatte die sonderbare Empfindung, alle Dinge in seinem Blickfeld würden einen bunten Schweif ziehen, wenn er die Augen bewegte.

»Sag mal … Fühlst du dich gerade auch so komisch …?«, fragte er seinen Kollegen beunruhigt, ehe sie die Treppe wieder erreicht hatten.

Falk, der eine Hand auf sein Herz gelegt hatte, nickte. »Als hätte ich irgendwas ganz Übles genommen … Mir ist ganz schwindelig …« Als er nach dem Treppengeländer greifen wollte, griff er zunächst ins Leere, fing sich aber dann noch rechtzeitig. »Aleas Blut muss ganz schön Power haben … Hoffentlich ist es für Vampire nicht giftig, ich meine …«

»Bluuut, Bluuut … ja, das schmeckt uns guuut …«, sang Lasterbalk schief und hangelte sich mühsam das Geländer hinunter. »Üargs, meine Fähigkeit zum Spontanreimen nimmt schon ab … Jetzt wird mir langsam wirklich übel …« Er merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und blieb mitten auf der Treppe stehen, um nicht beim Laufen in die Knie zu sacken.

Falk neben ihm sank hastig atmend auf die Stufen. »Hier stimmt was gewaltig nicht, sag ich dir …«

Lasterbalks Mund war trocken. Noch hielt er sich aufrecht, aber immer größere Angst kroch ihm die Kehle hoch und ließ ihn frösteln. Eben noch war es lustig gewesen, aber jetzt war es … gespenstisch.

»Ich will net sterben«, hörte er sich sagen.

»Dann geht’s dir wie mir.« Falk ließ den Blick schweifen. Die Farben rundherum waren jetzt viel zu grell – vor allem gemessen an der Tatsache, dass das MIU-Versteck aus eintönig grauem Beton bestand. »Wir sollten Alea von Bocks Tisch werfen und uns selber drauflegen …«

»Wem sagst du das …«

»Los, schnell zu Bock. Vielleicht weiß er, was es ist.« Schwach streckte er dem Größeren die Hand hin. »Hilf mir mal …«

Lasterbalk packte ihn und zog ihn auf die Füße. Beide lehnten sich schwer gegen das Geländer.

»Los, nur ein paar Meter noch«, ermunterte Lasterbalk seinen langjährigen Freund. »Heute sind wir noch net dran!«
 

Dr. Saltz war erstaunt, die beiden so unruhig und konfus zu sehen. »Setzt euch hin«, forderte er sie auf und bot ihnen Stühle an. Dann untersuchte er sie nacheinander: Beschaute sich die Augen und Schleimhäute und nahm schlussendlich noch ein paar gründliche Messungen vor.

»Schneller Puls und hoher Blutdruck«, fasste er die Ergebnisse stirnrunzelnd zusammen. »Das ist mir suspekt. Hier, tut das weh?« Er kniff Falk in den Arm.

»Nicht so richtig, nein …«

»Hm.« Bock verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist auffällig. Ihr habt die gleichen Symptome wie Alea – also, ich habe sie nicht für Symptome gehalten, aber … hohe Kreislaufaktivität, Tachykardie und Analgesie … Es hat mich schon gewundert, dass Alea bei einer so flachen Bewusstlosigkeit nicht mit Abwehrbewegungen auf Schmerzreize reagiert … und diese regelmäßige Kurvenveränderung im EEG …«

»Bock, was willst du uns damit sagen?«, ächzte Falk. »Dass das alles gar nicht natürlich ist?«

»Ich weiß nicht«, entgegnete der Arzt zögernd, »aber meine Vermutung, es wäre auf Vampirgift zurückzuführen, ist damit eindeutig widerlegt …« Er schaute auf Alea, dann wieder auf die Vampire, und erklärte schließlich: »Ich werde Alea jetzt zurück auf die Station bringen und das melden. Und dann … werde ich lauern.«

»Lauern?«, stöhnte Lasterbalk. »Worauf denn lauern?«

»Ich vermute, dass Alea … vielleicht eine Medikation bekommt, die in seinem Krankenblatt nicht vermerkt ist, warum auch immer. Kann sein, dass ich mich irre, aber wenn nicht … Tja. Ich warte mal ab, was passiert.«

»Ich schätze, wenn wir auch lauern, erregt das Aufsehen, hmm?«, murmelte Falk.

»Ich würde euch bitten, nach mir zu suchen, wenn ich auffällig lange wegbleibe«, antwortete Bock. »Sagen wir … so gegen vier Uhr komme ich zurück.«

»Okay …«

»Euch gebe ich jedem eine Diazepam-Tablette, damit es euch besser geht, in Ordnung? Versucht ruhig zu bleiben und euch möglichst wenig Reizen auszusetzen, dann sollten die Halluzinationen bald abklingen.«

Falk und Lasterbalk widersprachen nicht; es war offensichtlich, dass der Arzt einen klaren Verdacht hatte, wo die Ursache der Misere zu suchen war. Immerhin ging es ihnen selbst nun besser und sie hatten Gewissheit, nicht an irgendeinem Gift zu sterben. Coppelius hingegen gönnten sie den kleinen, harmlosen Horrortrip von Herzen – schließlich hatten die sich Aleas Blut mehr oder weniger ergaunert. Wenn es ihnen nicht bekam, umso besser. Allerdings waren die sechs von ihrem Absinthkonsum sicher schon einiges gewohnt.
 

»Meine Güte«, kommentierte El Silbador, als er die beiden Vampire seiner Band sediert im Bockshof vorfand. »Ich wollte eigentlich fragen, wie’s geschmeckt hat, aber ihr seht aus, als würdet ihr gleich loskotzen.«

»Ooooh, Elsi«, murmelte Falk, »Alea war köstlich … Wenn der wüsste!«

El Silbador wirkte enttäuscht. »Köstlicher als ich, nehme ich an.«

»Och, Elsi … Du warst schon deshalb köstlich, weil du den ganzen Tag nur Weintrauben gegessen hattest … aber unser kleiner König hat einfach geschmeckt wie … ich weiß nicht, wie was, das ich noch nie geschmeckt habe …«

»Schon klar.« Mit einem Schnauben wandte Elsi sich wieder zum Gehen.

»Du bist doch jetzt net eifersüchtig oder so was?«, hakte Lasterbalk nach und klaubte dafür allen noch verbliebenen Verstand zusammen. »Wir können gerne darüber reden, wenn das Valium nicht mehr wirkt …«

»Nönö«, erwiderte Elsi murrig und beendete damit das Thema. »Boris und ich müssen uns jetzt wieder um das Außenteam kümmern, die wurden von Paul Frais ziemlich tief in das Versteck geschleppt. Ich hoffe, alles geht gut. Noch weiß er nicht, dass sie nicht wirklich unter seiner Blutfessel stehen. Vielleicht kriegt Ingo ’ne Chance, ihn zu pfählen.«

Falk und Lasterbalk reagierten dank des Valiums eher gelangweilt auf diese Information und starrten weiter vor sich hin. El Silbador ging zurück zu Yellow Pfeiffer und setzte sich wieder neben ihn an den Laptop. »Und?«

»Ich hab noch nichts weiter gehört«, antwortete Boris unbehaglich. »Frais hat ihnen befohlen zu schweigen, und das müssen sie jetzt tun, um nicht aufzufallen.« Sich die Finger massierend, fragte er: »Haben wir jetzt das Lockstück?«

»Ja, Coppelius haben es dagelassen.«

»Ich hab sie reden gehört. Komische Typen.«

»Der Witz ist, dass die ganz normal reden können und sich total unauffällig verhalten können … aber sie wollen eben nicht. Ich glaube, die wären selber saugeile Locksänger … aber bei deren geringer Fähigkeit, sich anzupassen, wären alle bösen Vampire immun gegen das Lied, bevor sie es selber sind.«

»Tja. Kann uns egal sein, solange sie nur keine siechen Rentner mehr meucheln. Jedenfalls brauchen wir jetzt unsere eigenen Locksänger. Ich versuche gleich noch mal, Polly zu erreichen.«

»Dann übernehme ich jetzt die Überwachung des Außenteams«, bot Elsi an. »Sag mir dann, was Polly geantwortet hat.«

»Mache ich«, versprach Boris, fand sein iPhone und ging hinaus, um oberirdisch nach Empfang zu suchen.
 

Bock schob die Krankenliege neben das Bett und legte erst Aleas Beine, dann seinen Oberkörper wieder auf die Matratze. Er verzichtete darauf, die Messelektroden wieder anzubringen; sie lieferten ja doch keine brauchbaren Ergebnisse. Nachdem er den Sänger zugedeckt und ein weiteres Mal seine Werte notiert hatte, suchte der Arzt nach einem geeigneten Lauerort, wo man ihn, wenn man nicht gerade nach ihm suchte, nicht entdecken würde. Nach kurzem Überlegen duckte er sich einfach zwischen Nachtschränkchen und Fensterwand. Nicht das kreativste Versteck, doch wenn er die Beine anzog und sich ruhig verhielt, wäre er weder von der Tür noch vom Bett aus zu sehen. Hoffentlich reichte das. Gott, bin ich heute unkreativ. Aber was kann ich dafür, dass Krankenzimmer so ungünstig eingerichtet sind?

Die Wahl bereute er bereits nach einer halben Stunde. Es war unglaublich unangenehm, derart zusammengekauert auf dem harten Fliesenboden mit den Schulterblättern an einer ebenso harten Wand auszuharren. Als Mediziner hätte er das eigentlich wissen müssen. In seinem rechten Fuß hatte er bereits kein Gefühl mehr; es würde schmerzhaft sein, wenn die Nerven wieder mit Blut versorgt wurden. Ach, verdammt, Blut. All das nur wegen blödem Scheiß-Blut!

Eine weitere Viertelstunde verging. Immerhin konnte Bock auf seine Uhr sehen, ohne sich völlig zu verrenken – glücklicherweise, denn das leise tickende Chronometer an der Wand war von seinem unbequemen Versteck aus nicht zu sehen. Minutenlang lauschte er trotzdem diesem Ticken, das in seinem Kopf immer lauter und langsamer zu werden schien. Kein anderes Geräusch mischte in diese eintönige Kulisse, wenn man vom nicht weniger eintönigen Geräusch des entspannt und gleichmäßig atmenden Sängers im Raum einmal absah. Je länger er zuhörte, desto dichter wurde die Stille darunter, wie eine Decke aus Watte, die sich über dem Krankenzimmer auszubreiten schien.

Nach einem erneuten Blick zur Uhr zitterte Bocks angestrengter Arm gefährlich, als er ihn wieder sinken ließ. Lange würde er diese unkomfortable Körperhaltung nicht mehr beibehalten können.

Fünf Minuten später ging endlich die Tür auf. Bock erstarrte und spähte unter dem Bett hindurch; er sah die typischen Krankenschwester-Schuhe, weiß und löchrig und gepolstert, damit die Schritte nicht unangenehm laut waren und schlafende Patienten schon vom Gang aus störten. Eine Stimme sagte: »Da bist du ja wieder, mein Hübscher!«

Bock staunte nicht schlecht, als er den Tonfall erkannte: Es war die Nachtschwester, die ihnen Alea unmittelbar nach seiner Rettung abgenommen hatte und seither für ihn zuständig gewesen war. Was machte sie jetzt hier? Sie hatte behauptet, erst um acht Uhr abends wieder Schicht zu machen! Stumm und starr verfolgte Dr. Saltz, wie die Schwester Aleas notierte Werte zur Kenntnis nahm und sie dann, der fortgeschrittenen Stunde entsprechend, selbst noch einmal überprüfte und aufschrieb. Dies tat sie sehr gewissenhaft und summte dabei leise vor sich hin. Als sie fertig war, ging sie jedoch nicht etwa hinaus, sondern zog – Bock konnte es nicht richtig sehen – offenbar einen Gegenstand aus der Kitteltasche, in den sie leise flüsterte: »Ned? Wir hatten Glück. Er ist schon wieder hier und es ist alles unverändert. Wir können den Start vorziehen. Ich gebe ihm jetzt die letzte Dosis, dann bereite ich den Abtransport vor. Klara Ende.«

Soso, dachte Bock und spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Er sah, wie die Schwester eine Kanüle auf eine lange Spritze aufsteckte. Ach, guck an … Jetzt kommen die großkalibrigen Geschosse! Vor Anspannung bebend verfolgte er, wie sie die Ampulle bis zum Anschlag mit einer farblosen Flüssigkeit aufzog. Kein Zweifel: Sie würde Alea die ganze Dosis injizieren, auf der Stelle. Schon griff sie nach seinem Oberarm und drückte eine Hautfalte zusammen, um die Nadel anzusetzen.

Bock sprang auf. Seine abgeklemmten Glieder reagierten nicht sofort, er stolperte und fiel der Länge nach hin. Die Schwester fuhr mit einem Aufschrei zurück, wobei sie die Spritze fallen ließ; dann erkannte sie, wen sie vor sich hatte, und ging zum Gegenangriff über. »Niemand wird ihn uns noch einmal wegnehmen!«, fauchte sie, und ehe Bock seine lahmen Füße unter den Bauch ziehen konnte, hatte sie sich auf ihn gestürzt.

Jetzt konnte Bock nirgendwohin entkommen. Ihr Gewicht schlug auf ihn nieder, ihre zu Krallen verkrampften Finger packten ihn an Kopf und Schultern wie Raubvogelklauen. Dicht über ihn gebeugt sperrte sie den Mund auf und entblößte Vampirzähne. Er roch ihren Atem, spürte die Spannung der stahlharten Muskeln. Einige ihrer wirren Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Sie grinste – ein hämisches, verzerrtes Grinsen – und biss zu.

Schmerz fuhr in seinen Hals ein wie zwei glühende Nadeln, dann strömte aus den Fangzähnen Trägheit in seinen Leib, und er erschlaffte im Griff der Vampirin. Es wäre, das wusste Bock im Nachhinein, wohl klüger gewesen, sie die Droge applizieren zu lassen und Alea einfach erneut zu entführen, sobald sie gegangen war. Vielleicht aber wäre sie gar nicht gegangen. Sie hatte bereits Komplizen benachrichtigt. Warum, zum Teufel, hatte die MIU nie in Erwägung gezogen, dass Fiacail Fhola die Universitätsklinik infiltriert hatten?

Jetzt trinkt das Miststück mein Blut! Gierig schlürfend sog sie es in sich hinein, und der Arzt konnte kaum seine Gedanken beieinander halten. In diesem Moment hasste er Vampirgift, jene psychoaktive Substanz, die er so intensiv studiert hatte …

Dann stürzten zwei Gestalten ins Zimmer. Bock sah sie nur schemenhaft, aber sie packten die blutsaugende Bestie und zerrten sie von ihm herunter.

Die Schwester setzte sich rasend zur Wehr. Kein Vampir wurde gern beim Trinken gestört und von seinem Opfer fortgerissen. Fauchend wie eine Furie schlug und trat sie um sich, und Bock versuchte trotz der Benebelung, nicht Opfer der Attacken zu werden.

»Simon?«, schnaufte derjenige der beiden Retter, der die zornige Bestie von hinten umschlungen hielt. »Kümmer dich um die Bisswunde, still die Blutung. Ich regle das mit der Dame!«

Ins Bewusstsein des Arztes drang immerhin die Information, dass es die Subway-To-Sally-Vampire waren, die ihn gerade gerettet hatten. »Nicht … pfählen …«, murmelte er, ehe alles wieder durcheinander schwamm. Ganz am Rande seiner Aufmerksamkeit sah er, wie Silvio Runge alias Sugar Ray die Spritze aufhob und sie der sich heftig wehrenden Krankenschwester – dieses Bild wäre sicher amüsant gewesen, hätte Bock es genießen können – in die Schulter rammte. Zwei oder drei Minuten lang hielt er sie fest, während sie – noch immer nicht aufgebend – verzweifelt mit ihm rang; dann, endlich, wurden ihre Bewegungen zunehmend langsamer und unkoordinierter. Silvio wartete, bis sie gänzlich das Bewusstsein verloren hatte, dann erst ließ er von ihr ab.

Simon wandte sich derweil dem deliriösen Mediziner zu. »Keine Angst, Bock, die beißt nicht mehr.«

»Alea …«, murmelte der Arzt und kämpfte mühsam darum, seine Gedanken beieinander zu behalten.

»Ja, wir haben’s schon geschnallt«, besänftigte ihn Simon, spuckte sich auf die Hand und klatschte diese dann einigermaßen liebevoll auf Bocks Hals. »Siehst du, dein Biss blutet auch nicht mehr.«

»Alles ergibt ’n Sinnnnn …«, fuhr Bock nuschelnd fort, als Sugar Ray ihn aufhob. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sie die narkotisierte Schwester an Aleas Stelle ins Bett gelegt hatten. Den Sänger trug Simon, der trotz seines nicht allzu kräftigen Erscheinungsbilds kein Problem mit dessen Gewicht hatte. »… die Hirnssssströme … der be-schleunichte Herzschlag …« Oh Gott, hätte doch nur das Gift ihn nicht in einen sabbernden, brabbelnden Idioten verwandelt! »… uuuund vor allem … die – die Narkose … ohne Ausfffflllll … der Refleggse …«

Simon ignorierte das unzusammenhängende Geplapper, doch Sugar Ray war sofort hellhörig geworden. »Reiß dich zusammen und sprich deutlich!«, verlangte er, während er Bock fester an sich drückte. »Was hat die ihm die ganze Zeit gegeben?«

Fast schon hatten sie die Kellertreppe zum Versteck erreicht. Bock bemühte sich, seine Zunge unter Kontrolle zu bringen, konnte aber nicht vermeiden, dass er weiterhin nuschelte, als sein Mund das Wort formte: »Ketamin …«

»Was?«, bohrte Silvio.

Simon rollte die Augen.

»Das einzige Anästhetikum, das kreislaufsteigernd wirkt …« Oha, es wurde endlich besser! »… wie Vampirgift … Es fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, ist als illegale Droge gut zu beschaffen … archzzzzz … Ich hätte mehr Tests machen müssen … Ich hätte viel früher misstrauisch sein sollen …« Er zog den Kopf ein, als Sugar Ray ihn durch die Tür in seinen Bockshof trug. »Ich bin nur drauf gekommen, weil es Falk und Lasterbalk so seltsam ging, nachdem sie sein Blut getrunken hatten …«

»Dass die beiden so drauf waren, lag also gar nicht daran, dass Alea ein Vexecutor ist?«, fragte Simon staunend. Er legte Alea auf den Behandlungstisch, während Silvio Bock vorsichtig auf einem Stuhl an der Wand absetzte.

»Hahaha … Nein … Ich glaube, Alea hat stinknormales Blut … aber als die Vampire es getrunken haben, war es voll mit hypnotischen Drogen …«

»Oh, das wird die beiden aber gar nicht freuen. Was für ein Beschiss!«

»Jaah, aber Coppelius waren begeistert … Ahahaha, das ist so blöd, dass es schon wieder lustig ist!« Bock kicherte mindestens zehn Minuten still vor sich hin, während die beiden anderen Männer kurz verschwanden. Dann, endlich, ließ die Wirkung des vampirischen Sedativums wieder nach. »Oh, gute Güte … Wie soll ich Falk und Lasterbalk das nur verklickern …?«

Sugar Ray furchte die Stirn und setzte sich neben Alea auf die Bettkante. Nachdem er den Sänger kurz betrachtet hatte, sah er wieder zu den beiden anderen auf. »Würde sagen«, seufzte er, »wir klären das gleich mal auf ’ner Stegreifkonferenz. Sieht ja doch so aus, als müssten wir uns über einiges hier klar werden.«



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