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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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(Schon) Wieder unterwegs

Auf dem kalten Bahnsteig liegend, kam Fritz fröstelnd wieder zu sich. Seine Schulter war verletzt und sein Hemd unter der Jacke voller Blut, das warm und klebrig aus dem Ärmel über seine Finger lief.

Oh Gott, dachte er, am ganzen Leibe bebend, bitte nicht! Krampfhaft schaute er woanders hin.

Jemand kniete sich neben ihn; es war Falk, zum Glück, nicht irgendein Feind. »Fritz? Redest du mit mir, oder bist du weit weg?«

»Falk!«, krächzte Fritz.

»Ah, gut. Nicht bewegen, du wurdest angeschossen. Da bist du aber nicht der Einzige.« Der langmähnige Mann rümpfte die Nase; Fritz konnte sehen, dass seine blutigen Fangzähne immer noch ausgefahren waren. »Die Eff-Eff-Vampire haben Spiegelreflektoren an den Unterarmen angebracht und sie einfach hochgerissen, wenn wir sie blenden wollten. Mist, dass die sich immer was Neues einfallen lassen. Wieso machen wir das nicht mal?«

In Fritz’ Schulter begann der Schmerz Gestalt anzunehmen. Die Wunde war sicher nicht tief, aber sie tat betäubend weh. Mühsam reckte Fritz das Kinn hoch, um sich auf dem nun wieder fast leeren Bahnsteig umzusehen. Der Zug war weg.

»Wir … haben ihn nicht gekriegt, oder?«

Falk wusste, was er meinte. »Nein.«

»Alea war in dem Zug … Ich hab’s gesehen.«

»Ja, wir auch. Wir haben nicht bedacht, dass es noch mehr Bahnhöfe hier in Hamm gibt. Sie müssen schon in einem anderen eingestiegen sein … und wollten hier nur noch die letzten Helfer einsammeln.«

Dies war eine niederschmetternde Feststellung.

Langsam näherten sich die Schritte der anderen. Mit hängenden Köpfen kamen sie dorthin getrottet, wo Falk neben Fritz kniete. Fritz sah, dass außer Falk noch Flex, Eric und Lasterbalk offensichtlich unverletzt waren. Ingo blutete aus einer Wunde in der Schläfe, kümmerte sich aber nicht darum, sondern starrte grimmig das Gleis hinunter. Bei Micha war schwer zu sagen, wie viel Blut, das an seiner Kleidung klebte, sein eigenes war, doch da er sich die besonders blutige rechte Bauchseite hielt, hatte er sicherlich einen der Schüsse abbekommen. Insgesamt sah die ganze Gruppe ziemlich mitgenommen aus.

»Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schlecht vorbereitet sein würden«, fasste Eric das allgemeine Unbehagen in Worte. »Wir sind die Sache schon wieder völlig falsch angegangen.«

Fritz versuchte sich aufzusetzen; es beschämte ihn, dass alle anderen, auch die Verwundeten, nicht auf dem Boden herumlagen. Nun allerdings überschaute er den Bahnsteig und sah die vielen Körper inmitten von Blutlachen. Viele davon waren Menschen, die einfach nur ihren Giftrausch ausschliefen, andere waren gepfählte oder per Armbrust niedergestreckte Vampire.

Lasterbalk nickte Ingo zu. »Los, verbrennen wir die Bastarde. Damit die auch ja net wieder aufstehen.« Die beiden gingen zu den Leichen hinüber.

Fritz zwang sich in eine sitzende Position und kämpfte gegen den schwummrigen Nebel hinter seiner Stirn. »Ooooh, Gott … Warum mussten die mich anschießen? Ich war der mit Abstand Harmloseste von uns!« Zitternd tastete er nach der Wunde und zuckte zurück, als der Schmerz in ihm aufschrie. »Mist, verflucht … Ich will gar nicht wissen, wie verseucht mit Bakterien und Krankheiten hier alles ist!«

»Soll ich die Wunde ablecken?«, bot Falk an. »Dann ist sie keimfrei.«

Fritz starrte ihn an wie vom Donner gerührt; dann erkannte er, dass das Angebot ernst gemeint war. »Nnnnnnein … danke …«

Eric verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Wenn ich du wäre, Friedrich, würde ich ihn das machen lassen. Ein besseres Desinfektionsmittel als Vampirspeichel gibt es nicht.«

»Nein!«, schnappte Fritz. »Ich will, dass Bock da was draufmacht. Ich will zurück zum Stützpunkt …« Jetzt merkte er, dass er klang wie ein jammerndes Kleinkind.

Niemanden schien das zu überraschen.

»Gut, dann gehen wir jetzt«, ordnete Eric an. »Die Sache hier ist gelaufen. Wir müssen rausfinden, wohin der Zug fährt.«

Erstmals versuchte Micha nicht, Erics natürliche Autorität ins Lächerliche zu ziehen; bleich und müde hielt er sich die verwundete Seite und vermied es, irgendjemandes Blick zu begegnen.

»Sei tapfer, Fritz«, verlangte Falk und griff unter Fritz’ Nacken und Kniekehlen, um ihn vom Bahnsteig aufzuheben.

Fritz ignorierte den scharfen Schmerz, presste die Lippen zusammen und war einigermaßen stolz auf sich.
 

Am anderen Ende des Bahnhofsgebäudes befand sich das Polizeirevier. Eric stattete den Beamten im Bereitschaftsdienst einen Besuch ab und meldete die Notwendigkeit einer Tatortreinigung. Den noch herumliegenden Leuten, versicherte er, ginge es gut und sie würden in Bälde wieder ihrer Wege gehen können.

Der Weg zurück zum Stützpunkt kam Fritz unglaublich lang vor. Während Falk seinen Ford Fiesta fuhr, saß er auf der Rückbank, wie auch Micha, der immer noch eine Hand auf seine Wunde presste und keinen Ton sagte. Offensichtlich war es für ihn nichts Ungewohntes, verletzt zu sein. Er ging souverän damit um und beklagte sich nicht.

Den Weg vom Parkplatz zu dem grauen alten Haus und die Treppen hinauf wurde Fritz wieder von Falk getragen und erst im Bockshof auf einem frischen Laken abgelegt. Etwas Kaltes berührte seine herabhängende Hand; er zuckte zusammen, doch es war nur Amboss, der wedelnd vor dem Tisch stand. Es schien ganz so, als habe der Hund sich von seiner Vergiftung weitgehend erholt. Immerhin, das war ein gutes Zeichen.

»Komm, Fritz«, sagte Dr. Saltz munter, »wir ziehen dich mal aus, damit ich die Wunde behandeln kann.« Schon zogen die Finger mit den schwarzlackierten Nägeln vorsichtig den Ärmel von seiner verletzten Schulter. »Sooo … Ist ja alles halb so schlimm, Schätzchen.«

Während Fritz die Behandlung über sich ergehen ließ und es vermied, seine eigene Wunde in Augenschein zu nehmen, avancierte das kleine Lazarett zur Begegnungsstätte. Falk stand dort einfach nur schweigend herum, während Eric, als würde er das berufsmäßig machen, mit einem Tupfer die kleine Wunde an Ingo Hampfs Schläfe säuberte. Micha saß auf einem der Stühle und starrte noch immer wortlos vor sich hin.

Minuten später kam Yellow Pfeiffer herein. »Dresden«, sagte er ohne jede Einleitung.

Micha sah zu ihm auf und nickte schwach. »Oh je. Dräschdn.« Er versuchte zu grinsen.

»Du hast ja noch gut lachen«, kommentierte Bock mit hochgezogenen Brauen. »Aber gleich nicht mehr. Du bist der nächste auf meinem Tisch, Freundchen.«

Fritz floh aus dem Bockshof, sobald er versorgt war. Das viele Blut gab ihm den Rest. Er musste schlafen. Schlafen …

»Friedrich. Warte.« Ohne stehen zu bleiben, drehte Fritz sich um und war erstaunt, Eric hinter sich zu sehen. »Du hast ganz gut angewandt, was dir beigebracht wurde«, sagte der weißblonde Sänger seltsam emotionslos.

»Oh … danke.«

»Aber das muss noch besser werden.«

»Äh …« Fritz schluckte. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte.

»Ich weiß, du hast schon mehr Lehrer als Finger an der Hand, aber würdest du mich dir auch noch was beibringen lassen? Ich glaube, da ist noch eine Menge zu tun.«

»Oh … okay«, stammelte Fritz.

»Gut.« Eric ließ die Arme fallen. »Dann erhol dich jetzt. Gute Nacht.« Fritz’ Unbehaglichkeit völlig ignorierend, drehte er sich um und ging.

Fritz sah ihm nach und fuhr zusammen, als ihm jemand eine Hand auf die gesunde Schulter legte. Er drehte sich um und sah Asp. Als hätte er Fritz’ Gedanken gelesen, sagte der dunkel gekleidete Mann: »Eric ist nicht arrogant, er hat es wirklich drauf.«

Fritz sagte nichts. Asp tätschelte ihm die Schulter, wie schon öfters, und ging dann ebenfalls.
 

Am Vormittag, als Fritz erwachte, schien so wunderschön die Sonne durch die Vorhänge, dass das grässliche Szenario der vergangenen Nacht seltsam unwirklich erschien. Nur Fritz’ schmerzende Schulter erinnerte ihn daran, dass all das nicht nur ein böser Traum gewesen war.

In dem zweiten Bett an der anderen Zimmerseite lag Simon Schmitt mit einem Arm über den Augen immer noch in tiefem Schlummer. Fritz beschloss, ihn nicht zu wecken, und zog sich leise an. Den Gedanken, eine Dusche zu nehmen, verwarf er; dafür würde er sich erst von Bock ein spezielles Pflaster holen müssen, da kein Wasser an seine Wunde gelangen durfte.

Über die knarrenden Dielen schlich er in das Küchen-Wohnzimmer, wo er Klaus-Peter Schievenhöfel und Buschfeldt vorfand. Der Direktor starrte vor sich hin, sein Gesicht ein Bild des Ingrimms, während sein Assistent leise summend Azathioprin-Tabletten für die Vampire abzählte.

»Guten Morgen, Fritz!«

»Ja, guten Morgen, Wunderbaum.« Buschfeldt sah nicht auf.

Schüchtern trat Fritz näher und ließ sich auf dem zweiten durchgesessenen Sofa nieder. »Morgen … ähm … Wegen gestern. Wir konnten wirklich nicht ahnen, dass –«

»Schon gut, Friedrich«, wehrte Buschfeldt ab, ohne richtig die Zähne auseinander zu bekommen. »Ihnen mache ich keinen Vorwurf.«

Fritz senkte den Blick. »Chef … Wenn Sie die Frage erlauben … Wurden Sie je von einem Vampir gebissen?« Er wusste nicht genau, warum er das fragte; wahrscheinlich wollte er einfach nur das übliche peinliche Schweigen vermeiden.

»Natürlich nicht.« Buschfeldt musterte ihn abschätzig. »Sehe ich aus, als hätte ich es nötig, mich an solch dreckigen Kämpfen zu beteiligen?«

»Vielleicht meinte Fritz unsere Vampire«, sagte Schievenhöfel versöhnlich.

»Unsere Vampire?«, echote der Direktor ungläubig. »Das wäre ja noch schöner! Ich lasse mich doch von meinen eigenen Leuten nicht beißen! Die wissen genau, wer hier der Chef ist. Wenn das je einer versucht, ist Schluss mit lustig!« Er schnaubte voller Verachtung.

Fritz duckte sich, doch der dicke KP blieb unbeeindruckt, wenn auch vollendet liebenswürdig. »Dr. Saltz sagt, für Vampire wäre Beißen was Feines … Dabei werden Endorphine ausgeschüttet.«

»Interessiert mich das?«, knurrte Buschfeldt und drehte den Kopf zur Küchenzeile. »Hey, Lange, wo bleibt der Kaffee?«

»Für jemanden, der hier rumschreit, jibt et nüscht!«, ließ sich Sebastian, den Fritz gar nicht bemerkt hatte, giftig vernehmen. Wie auch die anderen von In Extremo ließ er sich höchst ungern herumkommandieren. Als er aus der Küche kam und Fritz sah, hellte sich seine Miene ein wenig auf. »Naa, Fritz? Biste wieder fit?«

»Geht so«, antwortete Fritz leise. »Was ist mit Micha?« Ihm tat ein wenig Leid, dass er am Vorabend zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war, um sich nach seinem Partner zu erkundigen.

Basti wischte sein schlechtes Gewissen mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite. »Och, dem jeht et bestimmt jut … Hatte ja –« Er sah auf seine Uhr. »– fast zwölf Stunden Zeit zum Heilen. Dürfte nur noch ’nen Kratzer haben. Den krichste nich’ so schnell kaputt, glaub mir.«

Irgendwie fühlte Fritz sich trotzdem nicht besser. »Wenn das mal auch auf Alea zutrifft …«

Es war dumm gewesen, diesen Namen zu erwähnen. Sofort verfinsterte sich Buschfeldts Miene noch mehr, und sogar Schievenhöfel sah scheu beiseite.

Van Lange hatte es eilig, dieser schlechten Stimmung zu entfliehen, und griff nach seiner Jacke, die über einem Stuhl hing. »Na jut, ick jeh dann mal … Schrippen holen.« Flink war er zur Tür hinaus.

»Wunderbaum, wecken Sie die anderen«, befahl Buschfeldt. »Wir sollten uns langsam auf den Weg ins schöne Sachsen machen.« Keine einzige Gesichtsregung begleitete diese Äußerung.
 

Erst gegen Mittag waren die vier Autos, nun mit frisch gefüllten Tanks, auf dem Weg nach Dresden. Die Autobahn war stark befahren, und zwischen Dreieck Drammetal und Autobahndreieck Parthenaue standen sie auf der A38 Richtung Nordhausen über eine Stunde lang im Stau.

Als zwischen den Insassen des Ford Fiesta minutenlang Schweigen geherrscht hatte, sagte Fritz unvermittelt: »Eric hat gesagt, er will mir irgendwas beibringen. Ich hab Angst.«

»Och«, sagte Micha unbeteiligt. Außer ihnen saßen noch Pfeiffer und Marco mit im Wagen. »Mehr als böse gucken kann der auch nicht.«

»Was macht der eigentlich bei Subway To Sally?«

»Singen … Sack spielen … flöten … das Übliche. Er hat aber auch ein eigenes Musikprojekt laufen.«

»Wieso?«

»Was weiß ich … Weil er so ein toller Hecht ist.«

Gelangweilt trommelte Fritz mit den Fingern auf das Lenkrad. Der polnische LKW vor ihm bewegte sich um wenige Millimeter vorwärts; dafür lohnte sich das Anfahren nicht. »Weißt du, Micha«, begann Fritz grübelnd, »was ich mir überlegt habe: Es ist totaler Mist, dass Vampire jeden Tag Blut trinken.« Im Rückspiegel sah er Flex und Pfeiffer einen müden, gleichgültigen Blick tauschen.

»Ach ja?«, erwiderte Micha lahm, sein geringes Interesse an dem Thema bekundend.

»Ja. Weil die Menschen dann gar nicht reichen würden. Schließlich muss jeder Mensch das Blut, das ihr von ihm trinkt, erst wieder nachbilden. Das geht nicht so schnell.«

»Und du denkst, das hätte vor dir keiner durchgerechnet, du Klugscheißer? Jetzt pass mal auf.« Micha machte es sich ein bisschen bequemer und kreuzte die Arme im Nacken. »Es gibt viel, viiiel mehr Menschen als Vampire auf der Welt. Und der Blutverlust ist nicht groß. Du brauchst, um einen halben Liter Blut zu produzieren, allerschlimmstens sechs Wochen. Sechs Wochen – das sind zweiundvierzig Tage, ja? Also muss jeder Vampir zweiundvierzig verschiedene Menschen beißen, dann kann er mit denselben wieder von vorne anfangen. Das ist ganz schön wenig, weil guck mal, auf jeden Vampir kommen ja Tausende von Menschen.«

Von dieser Rechnung war Fritz zugegebenermaßen etwas erschlagen. »Oh, sieh an … Du hast da auch schon drüber nachgedacht.«

»Du meinst, als Vampir interessiert mich das alles nicht.«

»Doch, aber …« Fritz legte die Stirn in Falten. Vor seinem Auto bewegte sich immer noch nichts. »Könnten Vampire nicht theoretisch auch andere Vampire beißen?«

»Nee«, antwortete Micha und korrigierte sich sofort: »Ich meine, ja. Klar, aber das ist ja Quatsch. Da ist ja nix drin. Zu wenig Nährstoffe … und schmeckt fast nach nix. Wie wenn du ’nen halber Liter Bier mit ’nem Liter Wasser verdünnst. Außerdem haben Vampire chronischen Eisenmangel, weil sie Eisen in den Zähnen einlagern, oder so. Damit die hart sind. Wir haben zwar Eisen im Blut, sonst wär’s ja nicht rot, aber das können wir nicht speichern. Viel Eisen ist also noch ein Grund dafür, dass Menschenblut die perfekte Nahrung ist.«

»Na gut«, sagte Fritz einsichtig. »Aber was ist mit Tieren?«

»Nee, nee, nee. Geht gar nicht. Da hat man einfach zu viele Fusseln im Mund. Außerdem sind Tiere anders, ich meine, im Körperbau zu anders. Man verletzt sie beim Biss zu doll, oder der Blutverlust ist zu hoch, oder die vertragen das Gift nicht, oder oder oder. Gib’s auf, Vampire sind an Menschen als Beute angepasst. Da gibt’s nichts dran zu drehen.«

Fritz erkannte, dass er das einsehen musste. Die Argumente waren vernünftig und ließen darauf schließen, dass sich auch Vampire selbst schon mit den Alternativen befasst hatten. »Ich seh’s ein … Aber ich verstehe nicht, wieso Menschen, wenn sie Blut im Magen haben, erbrechen, und Vampiren das nichts ausmacht.«

»Das liegt am Eisen, sagt Bock. Das, wovon euch Menschen schlecht wird, ist das, was wir Vampire unbedingt brauchen. Ach, wir haben dir das doch lang und breit erklärt: In Blut ist einfach alles drin. Es ist ’n isotonisches Getränk.«

»Igitt.«

»Ach komm. Halt die Fresse.« Doch Micha schmunzelte, als er das sagte.

Fritz zögerte. Jetzt wollte er noch auf etwas anderes hinaus. Behutsam versuchte er, ein verwandtes Thema anzuschneiden, das ihm keine Ruhe ließ, seit er zuletzt an Kitty gedacht hatte. Es war kein angenehmes Thema, und es war auch ein bisschen intim, aber er musste das einfach ansprechen. Seine Frau hatte so oft davon geredet, dass er endlich wissen wollte, wie viel Wahrheit in dem Zeug steckte, das sie da Abend für Abend herzitierte. »Meine Frau«, begann er vorsichtig, »behauptet, ein Vampirbiss sei … erotisch.« Im Rückspiegel tauschten Flex und Pfeiffer erneut einen Blick; diesmal grinsten sie breit.

»Sex mit Essen?«, sagte Micha ungerührt und zuckte die Schultern. »Wieso nicht … Muss jeder selber wissen. Ich finde, der Mensch hat nicht viel davon, weil ihm durch das Schlummifix im Blut dann ja alles egal ist. Und mal ehrlich, die meisten Leute, die man im Leben so beißen muss, um satt zu werden, sind eher abtörnend.« Er überlegte kurz und fügte hinzu: »Aber Beißen gibt einen gewissen Kick, das ist schon so … Man fühlt sich besser danach. Glückshormone.«

»Kit– … ich meine, Christine behauptet, dass Vampire vor allem dann beißen, wenn sie Sex haben«, fuhr Fritz ungeschickt fort.

»Das denken viele.« Micha sah aus, als versuchte er, sich diese Vorstellung schmackhaft zu machen. »Aber … kann ich nicht unterstreichen. Ich hab noch nie eine Frau beim Sex gebissen. Mal ehrlich, Fritz, wenn du mit deiner Frau schläfst, fängst du doch auch nicht mittendrin an, dir ein Butterbrot zu schmieren.« Mit einem solchen Vergleich hatte Fritz nicht gerechnet, obwohl ihm inzwischen hätte klar sein müssen, dass Micha ständig solche Vergleiche heranzog, um vampirisches und menschliches Handeln gegenüber zu stellen – auf seine ureigene, etwas unbeholfene, aber irgendwie possierliche Art. »Viele Leute denken auch, wenn Vampire geil sind, kommen die Fangzähne raus. Totaler Quatsch. Die Zähne sind zum Essen da. Zu nix weiter. Na gut, zum Verteidigen vielleicht auch. Aber sicher nicht zum Vögeln. Man nimmt ja auch nicht Messer und Gabel mit ins Bett.«

»So habe ich das noch nicht betrachtet«, gab Fritz zu. »Meine Frau hält Blut allgemein für was sehr Erotisches. Zu meinem Leidwesen.«

»Ich halte Blut für was Normales. Was Leckeres, ja, auch was Schönes, aber nichts Antörnendes.« Micha dachte darüber nach. »Das einzige Erotische daran könnte sein, dass man in den Hals beißen muss. Aber … nee. Wenn man eine Frau beißt, egal wie ihr Hals aussieht, dann denkt man an Essen, nicht an Sex. Verstehst du? Wenn man mit einer Frau schläft, denkt man an Sex, wenn man sie beißt, denkt man an Essen. Nicht an beides gleichzeitig. Das sind zwei ganz verschiedene Bedürfnisse.«

»Also kann ich meine Frau jetzt nach der Einholung einer Expertenmeinung davon überzeugen, dass Blut nicht erotisch ist.«

»Du musst dich einfach fragen: Finde ich einen Teller Suppe erotisch?«

Jetzt musste Fritz lachen. Michas Bemühung um Vergleiche zweier kontrastierender Denkweisen war etwas, an das er sich noch gewöhnen musste. »Es ist so, weißt du«, fuhr er ruhiger fort, »meine Frau wünscht sich von mir, dass wir beide das Blut des jeweils anderen immer mit uns rumtragen … in einem gläsernen Kettenanhänger.«

Hinter ihnen ließ Flex einen hellen Pfiff vernehmen. »Das ist bizarr«, bekundete er.

»Klingt komisch«, pflichtete ihm Micha bei. »Aber wenn sie das gut findet … Mach es doch.«

»Aber ich hasse Blut«, half Fritz seinem Gedächtnis auf die Sprünge.

»Wieso eigentlich?« Micha sah ihn fragend an. »Was an Blut macht dir Angst? Du hast es überall im Körper, es fließt durch dich durch und hält dich am Leben.«

»Ich weiß. Ich verstehe es auch nicht. Wenn ich Blut sehe, falle ich einfach um oder mir wird schlecht. Es hilft nicht, mir zu sagen, dass Blut was ganz Normales ist.«

Micha seufzte sein altbekanntes Seufzen. »Herrje, was mache ich nur mit dir, du Pfeife. Muss ich jetzt auch noch deine Ehe retten, indem ich deine Hämo…phyllo…«

Hämo…phyllo…«

»Hämatophobie«, half Fritz.

»… indem ich das therapiere?«

»Ja?«

»Hmmm, dafür bräuchte ich aber ’ne ganz andere Ausbildung. Geh lieber zu Lasterbalk … Der hat Psychologie studiert.«

»Ach ja?« Fritz legte die Stirn in Falten angesichts dieser merkwürdigen Vorstellung. Vor ihm begann der LKW endlich zu rollen, und er gab Gas.

»Jetzt ist es noch weniger als eine Stunde«, merkte Yellow Pfeiffer erleichtert an. »Ich kann’s nicht erwarten, dass wir uns endlich wieder bewegen dürfen. Allerdings …« Er schnitt eine Grimasse. »Ich weiß nicht, ob ihr’s heute Morgen mitgekriegt habt, aber … unsere Basis in Dresden ist gerade nicht zu gebrauchen. Das letzte BfV-Team hat da irgendwie einen Brandschaden verursacht, der noch nicht behoben ist. Also können wir da nicht rein.«

»Und wo bleiben wir sonst?« Die Nachricht gefiel Fritz überhaupt nicht. Jetzt, da er endlich keine Angst mehr vor seinen Kollegen hatte, war es ein beunruhigender Gedanke, in der Nähe feindlicher Vampire von ihnen getrennt zu sein.

»Ich glaube, Fr. Dr. Kircher hat das organisiert … Die wollen uns in den Keller der Uniklinik stecken, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Die Uniklinik!«, wiederholte Marco begeistert. »Das ist toll! Bock wird sich ein Loch in den Hintern freuen, wenn er eine so tolle Ausstattung nutzen kann.«

»Hoffen wir, dass er’s nicht muss«, äußerte Micha sich stirnrunzelnd. »Wer weiß, was Eff Eff uns in Dresden für Steine in den Weg legen. Wir müssen Sonnenscheinchen retten, sonst sind wir am Arsch. Wenn dem was passiert, und wir verhindern es nicht, dann werden wir unseres Lebens nicht mehr froh … Dafür wird Buschfeldt sorgen.«

»Und der Rest von Saltatio Mortis.« Boris nickte gewichtig.

»Lassen wir’s nicht drauf ankommen.«
 

Endlich ging die Fahrt ruhig weiter. Die vier Autos erreichten Dresden am frühen Nachmittag. Noch immer war das Wetter schön, und im herbstlichen Flair entfaltete die Altstadt, als sie sie durchfuhren, vor ihnen ihren ureigenen Charme.

Nicht so schön dagegen war die Ankunft im Dresdener Universitätsklinikum.

Und auch nicht das, was danach kam.



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