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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Falsche Zähne

Wie ein schwarzes Tuch fiel die Dunkelheit über das bergische Städtchen in Nordrhein-Westfalen. Ein anhaltender Nieselregen setzte ein, was die Bewohner Wuppertals nicht anders erwartet hatten.

Im MIU-Unterschlupf waren nach einem ziemlich gehetzten Abendessen alle nötigen Vorkehrungsmaßnahmen getroffen worden.

»Ich schlage vor, dass ihr zusammenbleibt«, ordnete Schievenhöfel behutsam an. Anders als Buschfeldt versuchte er nicht, die Männer zu dominieren. »Teams sind zu gefährlich, wir wissen nicht, wie viele es sind.«

»In Ordnung«, nickte Falk. »Hat jeder eine Lampe und eine Natron-Kanone?«

Fritz vergewisserte sich, dass er beides griffbereit hatte. In den letzten beiden Stunden hatte er intensiv trainiert, die UV-Lampe flink aus der Jackentasche zu befördern und sie gleichzeitig so in die Hand gleiten zu lassen, dass sein Daumen auf dem Schalter zu liegen kam. Obwohl alles in ihm dagegen protestierte, sich in die Nähe gefährlicher Vampire – Bestien, wie seine Kollegen sie zu nennen pflegten – zu begeben, wusste er doch, dass er im Kreise der MIU-Leute sicherer war als überall sonst. Seltsam; noch vor kurzem hatte er das völlig anders gesehen. Ein Teil von ihm sah es immer noch so … doch mit diesem diskutierte er jetzt nicht.

»Nehmt die Linsen raus«, verlangte Ingo Hampf und deutete überflüssigerweise auf seine Augen. »Damit ihr seht, wo wir hingehen. Fritz und ich können nur blind hinterher stolpern, wenn wir auf Licht verzichten sollen.« Es war das erste Mal, dass er Fritz beim Namen nannte.

»Ah, inzwischen vergisst man das schon ziemlich oft«, murmelte Lasterbalk.

Alle Vampire griffen sich in die Augen und zogen die farbigen Kontaktlinsen ab, um sie in kleine Schälchen mit Kochsalzlösung zu legen. Einmal mehr wurde Fritz bange, als er die vampirischen Iriden in ihren wahren Farben leuchten sah: Asp hatte strahlend weiße Augen, Falk und Lasterbalk gelbliche und Micha hellblaue, genau wie Simon, der heftig blinzelte, um die neue Sehschärfe zu adjustieren.

Er ist nicht mal zwei Monate alt, erinnerte sich Fritz. Auch für ihn wird das eine Feuerprobe.

Er schielte zu Micha, der mit seinen leuchtenden Augen so gespenstisch wirkte, dass er ihn kaum wiedererkannte. Natürlich fing Micha diesen Blick auf; er kräuselte die Lippen und warf seine Fangzähne aus, welche bedrohlich die gelbe Zimmerbeleuchtung zurückwarfen.

»Oh, Scheiße«, jammerte Fritz.

»Heul doch.« Micha ließ die Hauer wieder verschwinden und wandte sich als erster der Tür zu.

Asp, der den erneuten kurzen Konflikt nur mit einem Stirnrunzeln quittierte, folgte ihm dichtauf.
 

Als sie in den Regen traten, hielt gerade ein Taxi auf der ansonsten leeren Straße direkt vor dem okkupierten Gebäude. Prompt blieben alle Vampire stehen und wandten sich ab, halb die Augen schließend.

»Wer ist das denn bitte?«, raunte Falk.

Lasterbalk sah vorsichtig hin. »Ach du Schande … Es ist Chefchen!«

Die im Regen stehende Gruppe staunte nicht schlecht, als der Direktor der MIU schniefend und unter einen Regenschirm geduckt auf sie zugehumpelt kam.

»Das war die schlimmste Reise meines Lebens!«, fauchte er ohne ein Wort der Begrüßung. »Der Ersatzzug war so voll, dass ich über eine Handtasche gestolpert bin und mir den Knöchel verstaucht habe. Ich kann euch sagen, irgendjemand wird dafür verklagt.« Umständlich den Schirm mit einem Arm haltend, fischte er in seiner Jacke nach einem Taschentuch. »Wohin geht ihr?«, verlangte er dann endlich zu erfahren.

»Pfeiffer und Elsi sind drinnen, die erklären dir das«, antwortete Falk ruhig. »Wir haben ein Schwarzes-Blut-Problem.«

Alle verkrampften sich. Wenn das jetzt eine Information zu viel gewesen war, würde Buschfeldt sie alle festhalten, bis er die ganze Geschichte kannte. Zum Glück schien diesem viel zu sehr daran gelegen, einen warmen, trockenen Ort aufzusuchen, denn er ließ sie mit den Worten »Baut keinen Mist« stehen und hielt auf das Haus zu.

»Glück gehabt.« Lasterbalk ließ den angehaltenen Atem erleichtert ausströmen. »Dann mal los. Werter Asp, zeig uns den Weg in das fangzahnverseuchte Areal.«

Asp nickte und übernahm die Führung.

Sie umgingen die großen Straßen, jede Ansammlung von Menschen meidend. Hier und da begaben sie sich in so dunkle Ecken, dass Simon Ingo und Falk Fritz an die Hand nahm, da sie als Menschen absolut nichts sehen konnten. Fritz fragte sich immer noch, warum er unbedingt mit musste und nicht, wie Bock, KP, Yellow Pfeiffer und El Silbador, zurückbleiben durfte.

»Weil du an die Arbeit rangeführt werden musst«, war Falks Antwort, als er danach fragte. »Die anderen haben jeder schon Vampiren in die Augen gesehen und, bis auf Bock, auch schon welche eigenhändig erledigt.«

Natürlich, dachte Fritz kummervoll. Der Regen hatte ihn schon fast bis auf die Haut durchnässt.
 

Als sie einer gewundenen Straße bergauf folgten, von der verschiedene Einfahrten zu Studentenwohnheimen abzweigten, spürte Fritz Anspannung in den Bewegungen der Vampire.

»Es riecht schlimm nach Blut hier, der Hammer«, murmelte Simon Schmitt.

»Ja, aber ich finde es schwer zu beurteilen, wo genau das herkommt.« Asp blieb stehen und kostete die Luft regelrecht aus; Fritz konnte im Halbschatten sehen, wie seine Nasenflügel sich blähten. »So viele Spuren. Der Hund wäre hier wahrscheinlich winselnd im Kreis gelaufen.«

»Die Wohnheime sind’s jedenfalls nicht«, stellte Falk fest. »Folgen wir mal der Straße.«

Wieder entfernten sie sich weiter vom lebendigen Zentrum der Stadt. Die Straßenlaternen vereinzelten sich, bis das Tal zu Ende war. Fritz bemerkte, dass alle ihren Schritt beschleunigt hatten. Falk neben ihm bebte wie eine überspannte Bogensehne, um dann plötzlich, scharf Luft holend, seitlich aus der Gruppe auszubrechen.

»Da!«, knurrte auch Lasterbalk und folgte ihm.

Die übrigen Vampire nahmen ebenfalls die Witterung auf, und Micha packte Fritz am Arm, um ihn mit ins Dunkel zu ziehen. »Massenweise Blut!«, zischte er.

Dann, zwischen einer Hecke und einem Straßenrand-Dickicht, kamen die sieben abrupt zum Stehen.

»Meine Fresse!«, stieß Simon bewundernd hervor.

Falk neben ihm wisperte: »Himmel, was für’n Gemetzel.«

Kälte packte Fritz. Er konnte nichts sehen. »Wwwww-was habt ihr denn da?«

»Wir stehen«, erklärte Micha in sachlichem Ton, »vor zwei Leichnamen. Die ziemlich voller Blut sind.« Dann, als hätte er vorhersehen können, dass Fritz’ Knie gleich nachgeben würden, griff er nach ihm und hielt ihn fest. »Bleib senkrecht, Fritz, und schalte mal das Kopfkino aus.«

»Danke für den guten Rat!«

Asp und Lasterbalk waren schon in die Knie gegangen.

»Probierst du?«

»Hmmm.« Fritz hörte Lasterbalk leise schmatzen. »Schmeckt gut, kein Stress.«

»Aber die Sache ist klar, oder? Der Hals total aufgerissen, alles voller Blut … Hier war kein Vampir am Werk. Jedenfalls kein hungriger.« Für Fritz ergänzte Asp: »Vampiren ist es ein Gräuel, Blut einfach zu verschütten. Sie würden nie so brutale Wunden reißen.«

Lasterbalk stimmte ihm sofort mit deutlichem Nicken zu. »Außerdem hat hier niemand getrunken. Viel zu viel Blut, die Frauen sind beide verblutet. Und der Biss stammt auch net von Fangzähnen. Die hätten net so tief ins Fleisch gegriffen. Außerdem ist nirgends Speichel, obwohl Vampire beim Beißern sabbern wie Pawlows Hunde.«

Mit all diesen Details war Fritz überfordert; er fühlte bereits Übelkeit seine Kehle hinauf kriechen, als hätte jemand einen Scheinwerfer auf die beiden für ihn unsichtbaren Menschenkörper gerichtet. »Aber warum dann der Hals?«, würgte er.

»Ganz einfach«, sagte Ingo leise und tonlos, »damit die Leichen morgen jemand findet … gut versteckt sind sie ja nicht … und dann glaubt, es wären Vampire gewesen.«

»Ja, irgendjemand will uns hier in ein ziemlich schlechtes Licht rücken«, bestätigte Lasterbalk finster. »Aber wieso bloß? Warum sollten Fiacail Fhola sich selber diskreditieren?«

»Vielleicht waren die es nicht. Könnten einfach Vampirhasser gewesen sein. Vielleicht eine Bande, die weiß, dass Eff Eff in der City sind.«

»Oder dass wir in der City sind.« Micha gab ein hässliches Geräusch von sich. »Weißt du, Fritz, auch wir guten Vampire, die wir uns für Menschen den Arsch aufreißen, sind beim eingeweihten Teil der Gesellschaft beschissen unbeliebt. Wir müssen uns dauernd gegen solche Wichsereien gegen uns verteidigen.«

Leise seufzend richteten sich alle wieder auf.

»Wir müssen das melden«, sagte Asp. »Hoffentlich erkennen die Wissenden den Unterschied. Die Wunden sind untypisch, zu groß, zu zerfetzt, bluten viel zu stark … und sowieso ist die Arterie für Fangzähne schlecht zugänglich.«

Ingo Hampf schnaubte verächtlich. »Pah, ich glaub nicht, dass die das unterscheiden. Die werden das sehen, Terror machen und versuchen, neue Hetzkampagnen gegen Vampire durchzudrücken. Menschen sind scheiße, das wisst ihr so gut wie ich. Und ich kann das sagen, weil ich selber einer bin. So!«

Lasterbalk tätschelte seinen Arm. »Hast ja Recht, alter Freund. Trotzdem sollten wir uns jetzt net aufregen, sondern unsere neuen Kumpels bei der Polizei benachrichtigen. Alex, Falk, geht mal gucken, ob ihr noch mehr frische Leichen findet, ja?«
 

Fritz blieb unschlüssig und immer noch mit seinem flauen Magen kämpfend bei Lasterbalk stehen, während die Übrigen ausschwärmten, um das Gebiet zu scannen. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er konnte schwarze Flecken im Gras zu seinen Füßen erkennen, deren Anblick ihn frösteln machte.

»Ist alles okay, Fritz?«, erkundigte Lasterbalk sich schließlich besorgt. »Wir konnten net wissen, dass wir hier Tote finden würden. Eigentlich wollten wir nur das Versteck suchen und wieder abziehen, bis Verstärkung da ist.«

Das heißt also, dass ich mal wieder nur riesiges Pech habe? »Ooooh, mir geht’s gut«, behauptete Fritz mit wackeliger Stimme.

»Ich frag nur, weil du net danach aussiehst.«

»Naja … So lange hier kein böser Vampir auftaucht und mich anspringt … geht das schon.«

Plötzlich trat raschelnd eine Gestalt aus dem Dickicht. »Und wer sagt, dass das nicht passiert?«, säuselte sie. Es war eine Frau, und sie war halbnackt. Das Mondlicht spiegelte sich auf ihren Brüsten.

Fritz stellten sich die Nackenhaare auf. Sofort packte ihn Lasterbalk und warf ihn mit einer recht brachialen Bewegung hinter sich.

»Wer bist du und was willst du?«, fuhr er die Fremde an.

»Oh, schöner Mann, teilst du etwa nicht?«, fragte sie spitz. Langsam machte sie einen Schritt vorwärts, dann noch einen.

Lasterbalks Hand schloss sich um Fritz’ Arm wie ein Schraubstock, indes er ihn hinter seinem Rücken festhielt. »Was wollt ihr in Wuppertal?«

»Was wollt ihr in Wuppertal?«, gab die Vampirin die Frage zurück. Fritz bemerkte einen eigentümlichen Akzent in ihrer Art zu sprechen. »Wir haben einfach nur Hunger … aber ihr spielt wieder mal die Schoßhunde der Regierung.«

»Kannst du mir das erklären?« Lasterbalk machte eine Kopfbewegung zu den beiden Leichen rechts neben ihm.

»Nein, mein Hübscher. Ich bin nur hier, weil ich Blut gerochen habe, unwiderstehlich viel Blut.« Ihre Zunge schnellte vor, als sie sich die Lippen leckte. »Aber ihr wisst, wie es mit Toten ist … Sie werden so schnell kalt.« Bestimmend nickte sie in Fritz’ Richtung. »Teil deinen Menschen mit mir. Ich werde nicht zu viel nehmen, wenn dir das wichtig ist. Ich weiß ja, dass ihr Menschenfreunde da sehr penibel seid. Wir trinken nur ein bisschen … und während er seinen Rausch ausschläft, bekommst du den besten Sex deines Lebens.«

»Oha, wie offensiv!«, sagte Lasterbalk. Er wirkte verdattert; sein Griff lockerte sich sogar ein wenig, was Fritz beunruhigte. »Ich hab erwartet, dass du das ein bisschen blumig umschreiben würdest, wie Frauen das eben so machen.«

Die Fremde lachte auf, ein volles, nicht gestelltes Lachen. »Ihr Menschenfreunde bleibt immer so jungfräulich, egal wie oft man euch durchnimmt! Es ist immer wieder schön.«

»Ah, so? Wahrscheinlich. Allerdings hab ich heute schon was anderes vor, und der Mensch hinter mir ist net so scharf auf einen Biss … auch net auf deinen.«

»Ich glaube nicht, dass ich ihn darüber entscheiden lasse«, entgegnete sie.

»Na, das glaube ich aber schon. Denn wenn du ihm zu nahe kommst, wird das leider nix mit uns.« Man merkte Lasterbalk an, dass ihm das Gespräch trotz aller Vorsicht einen gewissen Nervenkitzel bescherte. Neugierig testete er aus, wie weit sie gehen würde.

Sie näherte sich um weitere zwei Schritte und tat gekränkt. »Das ist hart. Ich rieche den Saft und komme hierher … und finde nur Tote, deren Blut kalt wird …«

»Schmeckt noch, ich hab’s probiert.«

»… und deren Fleisch schon im Morgengrauen seinen Zerfall beginnen wird. Warum gönnst du mir nicht einen kleinen, warmen Schluck?«

»Nein!«, kiekste Fritz.

»Tja, du hast ihn gehört.«

»Ich frage keinen Menschen um Erlaubnis!«, tobte sie los. Ihre nackten Flanken bebten. »Geh beiseite, oder ich nehme mir, was ich will!«

»Versuch es«, grollte Lasterbalk und warf aus. Fritz hörte das Klicken.

Auch die Frau stieß ihre Zähne vor und ging drohend in die Hocke. Fritz’ Finger schlossen sich um die UV-Lampe in seiner Tasche. Er war bereit.

Sie schnellte hoch wie eine Sprungfeder. Fritz war zu langsam, sein verkrampfter Daumen konnte die Lampe nicht anschalten. Lasterbalk warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihn und zog mit der Linken die Natron-Kanone. Der Schuss ging meilenweit daneben.

Doch etwas anderes traf. Ein Sirren durchschnitt die Luft, laut wie ein Peitschenhieb, und dann ragte ein metallgeflügelter Bolzen aus der Brust der Vampirin, die kreischend zurückfiel. Ihr Blut spritzte auf und beschrieb in der Luft einen roten Bogen, der ihrem Sturz nicht folgen zu können schien. Starr blieb ihr Körper im Gras liegen.

»Ha’ick dich jekricht!«, gellte eine ferne Stimme triumphierend über die Straße. »Hahaha!!«

»Vergiss es, Basti, das war nicht deiner«, belehrte ihn jemand anders, ebenfalls von weit weg. »Ich hab die Tante erledigt.«

»Sicher? Ach, Mann. Ick wollte auch ma den ersten Kill haben.«

»Da hilft nur Üben, fürchte ich, und ein haaaaaaartes Training für Körperbeherrschung!«

Fritz lag im Gras, halb unter Lasterbalk, der ihn wie ein Felsblock am Boden hielt und in Hab-Acht-Stellung den Hals reckte, um sehen zu können, wer da kam. Allerdings entspannte er sich gleich darauf und kam ohne Mühe wieder auf die Füße. Fritz nahm seine angebotene Hand.

»He, Balken!«, rief der erste der beiden Männer, deren Schritte sich raschelnd näherten. »Noch eena inner Nähe?«

»Nee, Herr Lange, kommense ruhig her!«, imitierte Lasterbalk den Berliner Dialekt und ging den Ankömmlingen entgegen. »Marco, warst du das eben?«

»Meine leichteste Übung!«, antwortete der andere munter.

Fritz staunte, als er die beiden Silhouetten sah: Die Männer trugen jeder eine Armbrust, mächtige, schimmernde Waffen, die er sonst nur aus Filmen kannte. Ansonsten sahen sie unauffällig aus, waren, soweit er erkennen konnte, in leichte Windjacken gekleidet.

Lasterbalk wirkte ungemein erleichtert. »Fritz, darf ich bekanntmachen? Van Lange – naja, für uns Basti – und Flex, der Biegsame, unser bester Armbrustschütze, eigentlich Marco. Spielen beide bei In Extremo, also in Michas Strolchbande.« Dann wies er mit beiden Händen auf Fritz. »Das ist unser Neuer, Friedrich Wunderbaum. Wir … härten ihn gerade ab.«

»Dit sieht man«, kicherte Lange. »Blass wie’n Laken und um Haaresbreite ’nem Biss entjangen, wa?«

»Ääh, ja«, räumte Fritz schüchtern ein. »Wir hatten Glück, dass ihr da wart.«

»Glücklicher Zufall, ja«, stimmte ihm Flex zu. Seine Bewegungen wirkten geschmeidig und katzenhaft. »Als wir das HQ endlich gefunden hatten, wurden wir euch sofort hinterhergeschickt. Keine Minute zu spät, wie’s aussieht.«

»Aber wirklich … Ich glaub, ich hab nachgelassen.« Lasterbalk rieb sich das Kreuz. »Wie auch immer, suchen wir die anderen zusammen. Bestimmt hat der Blutduft noch mehr Vampire angezogen.«

Die drei nahmen Fritz in ihre Mitte und überquerten die Straße in langen Schritten. Als Kampflärm sie erreichte, spannten Flex und Lange alias Marco und Basti routiniert ihre Armbrüste und nahmen Gestalten ins Visier, die Fritz kaum erkennen konnte. Fast sehnsüchtig wünschte er sich, eine Ausbildung mit dieser tödlichen Waffe genossen zu haben.

Aus der Distanz erledigte Flex zwei junge männliche Vampire, die Simon in die Mangel genommen hatten, und Lange erwischte eine weitere Frau, die Hampf mit gebleckten Fangzähnen anfiel, zumindest an der Schulter; für Ingo reichte dieser Schockmoment, um mit der rechten Hand seinen speziell dafür gefertigten Holzpflock aus dem Gürtel zu ziehen, und einen Stoß später war das Problem erledigt. Fritz bewunderte die ungeahnte Schnelligkeit des muskulösen Mannes.

Asp und Micha waren – vermutlich aufgrund ihrer deutlichen Überlegenheit – nicht behelligt worden, und auch Falk wurde in keinen Kampf verwickelt. Die Gruppe kam im dünnen Licht wieder dort zusammen, wo die beiden ersten Leichen lagen.

»Noch vier andere Tote«, sagte Simon hastig atmend, »aber immerhin keine anderen Vampire mehr.« Er rieb sich das schweißverklebte blonde Haar aus dem Gesicht.

»Da kommt man hierher … und schon nix als Ärger«, kommentierte Basti Lange.

Ihn und Flex hießen alle warm willkommen, auch Ingo. Micha wurde von Lange knapp, von Marco recht stürmisch begrüßt, und er freute sich auch sichtlich, seine Freunde zu sehen. Fritz war ein wenig erstaunt, wie herzlich egal es diesen beiden Menschen zu sein schien, dass ihr Sänger ein Vampir war.

»Ihr habt euch ganz schön viel Zeit gelassen«, sagte Micha beinahe vorwurfsvoll.

Flex rechtfertigte sich prompt: »Wir hatten keine Ahnung, dass es so dringend ist. Boris hat uns erst mal ganz kurz und knapp erzählt, was überhaupt los ist, sonst wüssten wir immer noch nichts.«

»Ich staune ja, dass es nach so vielen Jahren immer noch so blöde Kommunikationsfehler zwischen uns gibt.«

Während des folgenden Austauschs übernahm es Falk, der Polizei von Wuppertal eine die Umstände erläuternde Mitteilung zu machen. Gezwungenermaßen würde die MIU nicht abziehen können, solange die sechs Leichname nicht gegen weitere Vampirangriffe gesichert waren, also harrten sie an Ort und Stelle aus, bis endlich Sirenengeheul in der Ferne das Eintreffen der Ordnungshüter ankündigte.

Fritz fühlte sich ausgesprochen müde, aber irgendwie war er auch stolz auf sich: Er hatte seinen ersten Vampireinsatz gemeistert, wenn auch nicht unbedingt mit Bravur, doch das war egal; er hatte einen Leichenfund und sogar einen Vampirangriff überstanden, ohne dass ihm schlecht geworden und ohne dass er ohnmächtig geworden wäre – was er eigentlich erwartet hatte. Flankiert von den beiden neu eingetroffenen Armbrustschützen fühlte er sich nun, da sie im Dunkeln den Rückweg antraten, so sicher, dass ihm richtig leicht ums Herz war.
 

Buschfeldt nahm die Nachricht weit weniger gelassen auf als erwartet. Leise unflätig fluchend, was Fritz noch nie bei ihm gehört hatte, wanderte er den Flur auf und ab, und niemand wagte es, ihn anzusprechen. Amboss folgte dem Direktor freundlich wedelnd, trat jedoch nach einer barschen Abweisung den Rückzug an und hielt sich wieder an Falk.

»Ich kann mir denken, was er machen wird«, teilte Lasterbalk den anderen flüsternd mit. »Ich warte eigentlich nur drauf, dass er das vom Kriminalamt bestätigt kriegt.«

Fritz wusste nicht, was er damit meinte, aber ehe er nachfragen konnte, nahm Buschfeldt ihn auch schon mürrisch beiseite und zeigte, die anderen forschend ansehend, mit dem Finger auf ihn. »Was kann Wunderbaum bisher? Ich hoffe, ihr habt ihn ordentlich unterrichtet.«

»Ähm … Er hatte ’ne Einführung mit UV-Lampe und Natron-Kanone«, antwortete Falk wahrheitsgemäß.

»Das ist aber ein bisschen dünn, findet ihr nicht? Wieso habt ihr ihm nicht Pfählen beigebracht?«

»Seine Schuld.« Ingo machte eine Kopfbewegung zu Micha. »Hat um seine Haut gefürchtet.«

Buschfeldts Miene wurde noch finsterer. »Einhorn, du wirst ihn an dir selber üben lassen, ist das klar? Kann eurer Vertrauensbasis nicht schaden, da ihr Partner seid.« Das Wort triefte vor Ironie. »Außerdem will ich, dass wir das Vertuschungsprogramm reaktivieren. Wie viele falsche Vampire haben wir?«

Lasterbalk zählte: »Elsi, Ingo und Basti … Macht drei.«

»Schön, dass du rechnen kannst.« Mit verkniffener Miene wies der Chef auf Fritz. »Wir nehmen ihn mit rein.«

»?«, kam es fassungslos von Micha. »Du willst aus Fritz ’nen Fakefang machen? Kannst du vergessen, das packt der nicht. Der hasst Vampire ja noch mehr als du, und dann soll er so tun, als wäre er selber einer?«

»Nach deiner Meinung hat niemand gefragt«, verwies ihn Buschfeldt.

»Ich sage meine Meinung, wie’s mir passt.«

»Na, solchen Elan würde ich lieber bei der Arbeit sehen.« Der Direktor gab Fritz einen leichten Schubs in Michas Richtung. »Los, worauf wartet ihr? Pfählen üben, Vampirverhalten anlernen. Einen Trainer haben wir ja hier.« Diese Bemerkung galt Yellow Pfeiffer. »Also, holt die Matten. Ich will, dass Wunderbaum in zwei Tagen ein glaubwürdiger Fakefang ist.« Damit rieb er sich die Hände an der Hose ab, als habe er schmutzige Dinge herumgetragen, und wandte sich der Küchenzeile zu. »Es ist erst kurz vor zehn, da könnt ihr noch was schaffen. Ich werde sogar persönlich Kaffee kochen«, setzte er zynisch hinzu und griff schon nach dem Wasserhahn. »Oh, und noch was. Keiner mault, ist das klar? Ich will Alea.«

Ja!!, dachte Fritz und ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Endlich! Der Killer!!

Wie erwartet stöhnten alle anderen theatralisch auf.

»Boss, seine Anwesenheit im Stützpunkt wird alles sehr schwierig machen, das wissen Sie«, wandte Schievenhöfel sacht ein.

»Unsinn, Übertreib nicht, Klaus-Peter. Diese Vampire hier schaffen es schon seit Jahrzehnten, eine ganze Konsumgesellschaft zum Narren zu halten, obwohl sie ständig in der Presse und sogar im Privatfernsehen präsent sind. Da wird ja wohl ein einzelner, nicht gerade für sein Misstrauen bekannter Mensch keine neue Herausforderung bedeuten. Bisher ist immer alles gut gegangen, wenn er da war.«

»Aber oft nur um Haaresbreite«, murmelte Falk. »Und Alea ist in letzter Zeit etwas … unangemessen neugierig. In Afrika war das ganz schlimm …«

»Papperlapapp. Ich will, dass er noch heute informiert wird, und ich werde persönlich prüfen, ob das auch passiert. Silbador?«

»Ja, ja«, gab sich Elsi geschlagen und nahm schon hinter Pfeiffers Laptop Platz, um die Nachricht aufzusetzen. »Begeisterterweise wird er wohl spätestens übermorgen hier sein.«

Fritz konnte sich der allgemeinen Beunruhigung über das baldige Eintreffen des Vexecutors nicht anschließen. Er war ausgesprochen erfreut. Jemanden in der Nähe zu wissen, der Vampire nur durch manifeste Willenskraft töten konnte, erfüllte ihn mit tiefer Erleichterung. Das Training zu einem – wie hieß das? – falschen Vampir würde ihn hinreichend ablenken, um die Wartezeit zu überbrücken. Und außerdem, erinnerte er sich, würde er jetzt pfählen lernen – die sicherste Methode, einen Vampir für immer loszuwerden.

Alles wird gut, dachte Fritz sehnsüchtig und fühlte neuen Optimismus in sich keimen. Bald muss ich keine Angst mehr haben! Hurra!



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