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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Per- und kontrovers

Fritz wurde von Lärm geweckt, als es vor dem Fenster noch stockdunkel war. Das Stimmengewirr, das er hörte, klang nicht gerade nach einem Überfall – jedenfalls nicht durch Einbrecher. Irgendjemand anders war gekommen. Buschfeldt? Nein, sicher nicht, dafür jauchzten Falk und Lasterbalk viel zu laut. Außerdem war etwas zu hören, das nach Tapsen klang. Missmutig warf Fritz sich ein paar Klamotten über. Auch er musste erfahren, was da vor sich ging, sonst verpasste er nur wieder alles.

Als er seine Zimmertür öffnete, sprang ihm schwanzwedelnd ein kniehoher Hund entgegen und beschnupperte ihn rabiat. Fritz wich zurück und blinzelte das Tier aus müden Augen an. Es handelte sich unverwechselbar um eine Art Jagdhund: Ohren und Lefzen hingen schlaff, sein Fell war kurz, glatt und schwarzloh.

»Amboss, lass Fritz in Ruhe!«, hörte er Falk rufen, woraufhin der Hund sofort gehorchte. »Fritz, komm her, das Team hat Zuwachs!«

Fritz folgte Amboss – was für ein dummer Name! – in den Seminarraum, wo er außer den beiden Saltatio-Mortis-Musikanten zwei weitere Männer antraf, die gerade ihre nassen Jacken auszogen. Der erste – den Fritz auch auf dem MPS-Poster gesehen zu haben glaubte – wirkte jünger und auch eine Spur zierlicher als seine beiden Kollegen, was noch stärker ins Gewicht fiel, da der zweite Neuankömmling ziemlich kräftig und untersetzt war.

Lasterbalk machte eine übertriebene Geste. »Wir stellen vor: Das sind Elsi und KP. Mit vollen Namen El Silbador und Klaus-Peter Schievenhöfel.«

»Wir kennen uns ja schon indirekt, ne?«, sagte Elsi mit höflichem Lächeln und hängte seine Jacke über eine der Stuhllehnen.

Schievenhöfel war schneller damit fertig, ging zu Fritz und drückte seine Hand. »’n Tag, Wunderbaum! Ich bin Buschfeldts Assistent. Aber keine Angst, ich bin nicht wie er!« Er grinste breit. Seine Brille war so dick, dass die Augen dahinter ein wenig übergroß wirkten, aber er gab sich offen und freundschaftlich, was Fritz gut gefiel.

»Ihr habt Amboss nicht vorgestellt!«, beklagte sich Falk und bückte sich zu dem Hund, der wie verliebt um ihn herumwedelte. »Jaah, mein Großer! Hast du mich vermisst? Hast du? Hast du?« Der Hund ließ sich mit einem Wums auf den Rücken fallen. Seine Rute klopfte vor Freude laut auf den Linoleumboden.

»Vergiss es, der liebt nur die Katzenhaare an deinen Klamotten«, spöttelte El Silbador.

»Du bist ja nur neidisch. Fritz, Amboss ist ein wichtiger Teil des Teams«, erklärte Falk, während er das vergnügte Tier durchknetete. »Er ist ein Bluthund. Seine Spezialität sind Blutspuren, egal wie alt sie sind!«

»Wir hatten schon Angst, dass ihr Buschfeldt gleich mitbringen würdet«, wandte Lasterbalk sich an Elsi.

»Den? Oh Gott, na bloß nicht!«, sagte der nur.

Schievenhöfel hob seinen Jack-Wolfskin-Rucksack auf. »Aber wir haben was anderes mitgebracht! Ratet!«

»Nussplätzchen«, sagte Falk sofort.

»Ach Mann, kann man vor euch denn nichts geheim halten?«

»Vampir.«

»Ja, ja.«

»Fritz, KPs Frau ist eine der besten Bäckerinnen der Welt … und sie scheint Wert darauf zu legen, dass wir das immer wieder zur Kenntnis nehmen.« Lasterbalk hatte die Keksdose zuerst in der Hand und roch daran. »Ah, fantastisch! Die sind weg, bevor die anderen wach werden«, prophezeite er.

»Na, wehe!«, drohte Falk. Auch Amboss hob den Kopf.

»Wenn’s weiter nichts ist, gehe ich wieder schlafen«, murmelte Fritz und wandte sich zum Gehen.

Lasterbalk hielt ihn auf. »Nix da, wir haben heute viel zu tun! Geh lieber die anderen wecken. Wir machen auch Frühstück.«
 

Selbiges Frühstück nahmen sie alle gemeinsam im Seminarraum ein, nachdem sie die Tische aus der U-Form zu einer Art Tafelrunde, wie sie auch in Alfeld vorhanden war, zusammengeschoben hatten. Erstmals musste Fritz die Erfahrung machen, den Vampiren zuzusehen, wie sie aus Gläsern Hyperborea tranken. Zunächst fiel es ihm schwer, den Blick von der satt dunkelroten Flüssigkeit abzuwenden, aber nachdem er eine Weile beobachtet hatte, dass sie es tranken wie jedes andere Getränk – auf normale Weise, ohne Auswerfen der Zähne oder ähnliches –, verging sein Ekel langsam, und er konnte ein bisschen Brot mit Käse essen. Die Vampire aßen so gut wie nichts Richtiges, und wenn doch, dann nur sehr wenig. Besonders Simon hielt sich zurück. Er und El Silbador, der Schievenhöfels Kekse auch sehr zu mögen schien, führten angeregte Gespräche.

Außerdem wurde Azathioprin-50-mg in der Runde verteilt. Die Tabletten waren länglich und hatten eine Sollbruchstelle; jeder Vampir spülte eine davon mit einem Glas Leitungswasser hinunter.

»Man weiß ja nie, ob sie Sonne nicht doch mal wieder scheint«, sagte Asp stirnrunzelnd und kommentierte damit das anhaltende Prasseln an den Fensterscheiben.
 

Mürrisch nahm Fritz zur Kenntnis, dass es, als sie aufbruchsbereit waren, noch nicht einmal sieben Uhr war. Die Dunkelheit hatte sich nicht gelichtet. Er war nahezu alleine am Tisch sitzen geblieben, nachdenklich seinen schwarzen Tee nippend.

Wenn es doch nur schon heller wäre, dachte er sehnsüchtig. Einem Vampir möchte ich im Dunkeln erst recht nicht nahe sein …

Ingo Hampf, der hereinkam, um seine Tasse auszuspülen und wieder in den Schrank zu räumen, warf ihm einen düsteren Blick zu. »Schiebst du schon wieder Trübsal? Du kannst noch so sehr auf die Tränendrüse drücken, die Teamaufstellung bleibt, wie sie ist.«

»Mmmmmh«, machte Fritz.

»Hast du echt Angst vor Michael? Der kann ja nicht mal singen.«

In diesem Moment kam Asp dazu, und sein besorgter Blick ging zwischen beiden hin und her. »Lass ihn, Ingo.« Auch sein Ton klang mittlerweile angespannt. »Wenn du nichts Sinnvolles zu sagen hat, mach den Mund einfach gar nicht auf. Bitte.« Dann versuchte er wieder einmal, Fritz aufzuheitern: »Micha ist nicht der Besonnenste, aber er kriegt alles hin. Lauf einfach mit.«

»Trotzdem«, setzte Hampf hartnäckig hinzu, »solltest du zusehen, dass du ihm nicht im Weg bist. Wenn er es nämlich leid ist, auf dich aufzupassen, wird er dich im Stich lassen.«

»Unsinn«, widersprach Asp, »so was macht er nicht.«

Fritz fühlte sich unwohl. »Hätte ich nur gewusst, dass er ein Vampir ist …«

»Das braucht dich nicht zu beunruhigen. Du weißt, Kollegen anzufallen ist verboten.«

»Aber es scheint, dass der Kerl oft nicht das macht, was Buschfeldt will! Ganz ehrlich: Würde er mich beißen?«

»Nein. Hundertprozentig nicht.«

»Aber er hat mir damit gedroht!«

»Wahrscheinlich, um dir eins draufzugeben, weil du dich so aufführst.« Asp schmunzelte belustigt. »Aber Fritz, wenn du das wirklich befürchtest, dann freunde dich mit ihm an. Ein Vampir, der dich persönlich gut kennt, kann dich nicht beißen, wenn du es nicht erlaubst. Das nennt man Beißhemmung.«

Ingo erinnerte scheinheilig: »Die, werter Asp, greift aber nur, wenn er Fritz mag

»Ja, na gut«, räumte Asp ein, »das stimmt schon. Du musst ihm sympathisch sein.«

»Und wie soll ich das hinkriegen?«, fragte Fritz argwöhnisch.

»Oh, der Micha ist leicht zu beeindrucken«, behauptete Hampf. »Halt dich nur an eins: Sei keine Pfeife.« Glucksend ging er hinaus. »Sollte ja nicht allzu schwer sein!«

Asp rollte die Augen.

»Aber ich bin eine Pfei– …! Also, ich …«

»Hör auf, dich verrückt zu machen!«, befahl Asp streng und stand ebenfalls auf; selbst er schien jetzt von Fritz’ Gejammer genug zu haben. »Micha tut dir nichts, er ist wirklich nett, wenn man ihn kennt. Wäre er ein blutrünstiger Vampir, hätte man ihn längst gepfählt. Und jetzt Kopf hoch.«

Fritz trank seinen Tee aus und fügte sich in sein Schicksal.
 

El Silbador war offensichtlich kein Vampir. Er kam auch nicht mit, sondern blieb mit Yellow Pfeiffer im Versteck. »Wird hilfreich sein«, sagte er nur. Der Rest begab sie sich hinaus in die ungemütliche, nasskalte Finsternis.

»Also!«, übernahm Lasterbalk lautstark das Kommando, um den Regen auf dem Straßenpflaster zu übertönen. »Falk und ich untersuchen den Künstlerladen … hurra, Künstlerläden! Alex, du kommst alleine klar, guck dir das Wohnheim an, wo die erste Leiche war. Ingo, Schmittchen … Ihr wolltet ja unbedingt die Uni übernehmen. Jammert net, wenn ihr von Fans umgerannt werdet, Studenten sollen auch früh um acht schon recht munter sein. War ich damals net … Egal. Fritz, du läufst einfach Micha nach, ihr kriegt den tollsten Job: die Kneipe.«

»Kneipe?«, echote Fritz verwirrt. »Hat die denn schon offen?«

»Die hat noch offen … bis um acht! Ja, wir sind auch ganz platt. Nehmt die Schwebebahn Richtung Vohwinkel und steigt Hammerstein aus.«

»Oh, okay.«

»And now, dear friends, be off

Die Gruppe zerstreute sich in vier verschiedene Richtungen.
 

Die Schwebebahn jagte Fritz einen leichten Schrecken ein. Sie lief nicht auf Gleisen, sondern war an Trägern in ein Leitsystem eingehängt. Wann immer sie in den Bahnhöfen zum Halten kam, schwankte sie unter dem sich verschiebenden Gewicht aus- und einsteigender Leute.

Fritz sah aus dem Fenster auf das dunkel schimmernde Wasser der Wupper tief unter ihnen hinab und hoffte, es möge zumindest dämmern, ehe sie ihre Station erreichten.

Sein Wunsch erfüllte sich: Als sie Hammerstein erreichten, war der Himmel schon im Begriff, sich blaugrau zu färben.

Ein rothaariges Mädchen mit seinem Rucksack auf dem Schoß und einem In Extremo-Aufnäher auf der Jacke starrte Micha an, als traute sie ihren Augen nicht, und er lächelte sie breit an, bevor er Fritz vor sich zur Tür hinausschob.

»So, jetzt sind wir da. Gehen wir den Laden mal suchen. Wir müssen uns beeilen, wenn die um acht schließen.«

Fritz hatte sich ohnehin vorgenommen, sich in allem zurückzuhalten, und tat es auch. In sicherem Abstand ging er einfach nur hinterher.

»Wer ist denn hier eigentlich gestorben?«, rief er laut, um die Distanz zu überbrücken.

Micha, der sich gegen den kalten Wind hinter seinen Lammfellkragen geduckt hatte, missfiel es sichtlich, sich zu Fritz umdrehen zu müssen. »Irgend so ein Death-Metal-Fan. Kannst du mal ’n Stück näher kommen? Du darfst mir auch auffällig folgen.«

»Ich denk nicht dran«, antwortete Fritz. »Und was sollen wir die Kneipenleute fragen?«

»Du bist ’n Idiot. Ob ihnen an dem Typen was aufgefallen ist.«

»Nein, ich bin nur vorsichtig. Ist der auch einfach tot umgekippt?«

»Nee, du bist feige. Ja.«

»Du hast gesagt, du willst mich beißen. Wann war das?«

»Hab ich nicht gesagt. Vor drei Tagen, als da ein Metal-Stammtisch war.«

»Aber du hast es dir vorgenommen. Achso.«

Da Fritz den Abstand hielt, blieb Micha stehen. Fritz hielt ebenfalls an.

»Wenn du mit dem Scheiß nicht gleich aufhörst, beiß ich dich wirklich.«

»Versuch’s doch.«

Mit genervtem Stöhnen ging Micha weiter. Fritz beschleunigte seinen Schritt nur ein kleines bisschen, weil er leiser sprechen wollte. Sie durchquerten eine Straße mit Reihenhäusern.

»Bekommst du denn nie, äh, Appetit, wenn du … eine pochende Halsvene siehst …?«

»Venen pochen nicht, du Klugscheißer. Nur Arterien pochen, aber die sind meistens tiefer drinnen«, gab Micha lustlos zurück. »Vampire trinken aus Venen. Arterien stehen so unter Druck, da verschluckt man sich nur und das Opfer verreckt.«

»A-Aber es muss der Hals sein?«

»Ja. Ist einfach die beste Stelle. Ganz weiche Haut, die Zähne gehen rein wie in Butter … und sind genau so lang, dass sie die innere Halsvene anritzen. Passt wie ein Schlüssel ins Schloss. An anderen Körperstellen ist Beißen scheiße, man trifft nicht auf Blut oder reißt die Adern auf. Wenn man’s richtig machen will, beißt man in den Hals, genau mittig, kann gut trinken und macht nix kaputt. Ist bei Vampiren Instinkt.«

Fritz wünschte, er hätte nicht gefragt. »Micha … So, wie du darüber redest … Also, das ist echt eklig.«

»Findest du? Dann stell mir nicht solche Fragen. Ich rede gerne übers Essen.«

Mit Micha hatte er es sich auf jeden Fall verscherzt, keine Frage. Fritz verabschiedete sich schon mal von der Hoffnung, bei ihm eine Beißhemmung zu bewirken. Blieb nur das konsequente Abstandwahren. Das sah zwar komisch aus, war aber das sicherste.

Micha ging etwa fünf Minuten wortlos voraus, dann wandte er sich wieder um und sah aus, als könnte er es nicht fassen. Und das sagte er auch: »Ich kann’s nicht fassen, ey! Hast du echt Schiss vor mir? Ich mach doch nur Spaß, Mann! Kannst du dir vorstellen, wie abartig es ist, fremden Leuten am Hals rumzukauen? Denkst du etwa, da steh ich drauf? Das ist, als würdest du … dein Schnitzelschwein noch lebend in Stücke reißen!«

»Was soll denn das für ein Vergleich sein?«

»Du magst es doch auch lieber, wenn du es schon tot, zerteilt und sauber auf den Teller kriegst. Ich esse kein Fleisch, weißt du, aber ich muss nun mal Blut trinken. Und das mag ich auch lieber aus ’nem Glas, an dem man sich keine Krankheiten holt.« Er schnaubte. Dann, etwas leiser, fügte er hinzu: »Natürlich … gibt es immer wieder Momente, in denen man Blut gern mal pur und körperwarm genießen möchte. Vor allem, wenn man großen Hunger hat. Dann ist der Gedanke ans rohe Zubeißen echt … verlockend.«

»Ha!«, rief Fritz.

»Aber mal ohne Scheiß, an einem Vampirbiss ist noch nie jemand gestorben!«

Fritz hielt den Abstand mit aller Konsequenz. »Das Gespräch können wir hier im Prinzip beenden, da wir nicht auf einen grünen Zweig kommen werden!«

»Ja, scheint mir auch so!«

Sie grummelten beide. Auf der anderen Straßenseite hielt eine alte Dame mit ihrem Dackel an, um die streitenden Männer verächtlich anzusehen.

Irgendwann murrte Micha: »Da hinten ist es. Überlass mir alles und mach einfach nix, klar?«

Fritz schwieg beleidigt.

Sie betraten den Schuppen namens Bretterbude, der tatsächlich noch geöffnet hatte. Hinter der Theke, die mit Efeuranken aus Kunststoff verkleidet war, lehnte eine ziemlich müde aussehende Frau mittleren Alters und glotzte vor sich hin; die Kneipe war fast leer bis auf zwei ausdauernde Trinker, die sich eine Flasche Tequila teilten.

Fritz bedachte den Lautsprecher in der Zimmerecke mit einem hässlichen Blick. »Was ist das für ein fürchterlicher Lärm?«

»Slayer.« Micha trat an die Theke und lehnte sich mit beiden Unterarmen darauf, sodass die Bardame aus ihrem Halbschlaf erwachte und mit einem benommenen »Mmmmmh?« Kontakt zu ihm aufnahm. Verwundert war sie nicht; Micha sah ganz und gar nicht aus wie jemand, der hier nicht hingehörte. Fritz allerdings fühlte sich reichlich deplatziert.

»Wunderschönen guten Morgen, wir möchten ein paar Fragen stellen«, sagte Micha höflich und hielt der Frau – charismatisch lächelnd – seinen Ausweis hin.

Sie starrte ihn kurz an, murmelte dann ein weiteres »Mmmmmh« und wandte sich ab, um im Hinterzimmer zu verschwinden.

Kurz darauf erschien an ihrer Stelle ein Mann in der Tür, der einen etwas abgewetzten Anzug ohne Krawatte trug und nur mit einer Kopfbewegung dazu aufforderte, ihm zu folgen. Also traten Fritz und Micha hinter die Theke und in ein kleines … Büro war das falsche Wort, fand Fritz, doch das chaotische Zimmer diente wohl der Buchhaltung.

Mit einer knappen Geste bot der Inhaber den beiden je einen Stuhl an. »Nehmen Sie doch Platz.« Er griff unter den Schreibtisch und förderte eine Flasche Doppelkorn zutage. »Kann ich Ihnen ein Glas anbieten?«

»Natürlich nicht!«, rief Fritz sofort. »Wir sind im – !«

»Na klar, immer!«, fiel Micha ihm treffsicher ins Wort, ließ sich ein Glas einschenken, das ihm kommentarlos gegeben wurde, und trank es sofort aus.

Ihr Gastgeber stellte die offene Flasche auf den Tisch, ohne sie wieder zuzuschrauben, und leerte sein Glas genauso schnell, so als wollte er nicht langsamer sein als sein Gast; Fritz fiel auf, dass Micha das scharf beobachtete. »Also, was kann ich für Sie tun, meine Herren?«

»Hier ist vor drei Tagen jemand gestorben. Können Sie uns irgendwas darüber sagen?«

»Nicht mehr, als ich der Polizei schon gesagt habe. Nichts Besonderes, der Kerl fiel um und war tot. Vielleicht hatte er einen on the rocks zu viel … Bei Leuten, die das Trinken nicht gewohnt sind, kann das vorkommen.« Es fiel auf, dass der Mann beim Sprechen zur Seite blickte; es sollte so wirken, als konzentriere er sich auf seine Erinnerungen, doch dafür antwortete er zu flüssig. »Noch einen?«, fragte er dann, wie um die Stille zu überbrücken, und befüllte sein Glas neu.

Micha reichte ihm auch seins. »Welche Art von Kunden kommen denn hier so rein?«, fragte er ganz zwanglos und kippte sich auch den zweiten Nordhäuser in die Kehle.

»Warum fragen Sie das?« Ihr Gastgeber holte auf und stellte sein Glas etwas zu laut wieder auf den Tisch.

Fritz stellte sich dieselbe Frage; ihm gefiel die Situation überhaupt nicht, aber er hielt tapfer den Mund.

»Weil Sie da was am Hals haben, das nicht so aussieht, als hätte Ihre Frau das gemacht.« Munter hielt Micha wieder das Glas hin.

Fritz erstarrte. Jetzt sah er es auch: Am Hals des Mannes waren zwei sehr kleine, gut heilende Wunden zu erkennen, die er selbst völlig übersehen hatte. Ihm wurde ganz kalt.

Derweil vernichteten Micha und der Wirt die nächsten zwei Zentiliter.

»Es ist … zu früh am Morgen für solche Gespräche«, wich ihr Gegenüber aus. »Die Nacht war lang, wissen Sie …« Allmählich tat der Alkohol seine Wirkung.

Allerdings nicht bei Micha. »Lassen Sie freiwillig an sich nuckeln oder fragt man Sie gar nicht um Erlaubnis?«, bohrte er nach.

Der Wirt, offensichtlich nicht willens, sich unter den Tisch trinken zu lassen, füllte hartnäckig die Gläser neu und verschüttete annähernd dieselbe Menge auf die Schreibfläche. »Das ist … meine Sache … wissn Ssie.«

»Okay, wie viele Vampire fragen Sie denn nicht nach Ihrer Meinung?« Micha trank das vierte Glas und leckte sich genüsslich die Lippen. »Na?«

»Das ssssind … viele, ich … iich frag doch nich’ jedn, woa herkommdddd.« Mühsam versuchte der Mann, sein Glas wieder vollzugießen. Es klappte nur zum Teil, doch das reichte ihm, und mit garstiger Miene leerte er es. »Chweiß nur … dass die kein Deutsssss sch-brechen. Sondern eine Sch-brache, die klinnnnnt wie … wie … wienkotzender … Dachs.«

Michas Augen verengten sich. »Is Gaeilge í an teanga seo«, sagte er auf einer Sprache, die Fritz noch nie gehört hatte. »Nach í

Der Barbesitzer nickte heftig. »Jaaah! Jaaah! Gnauso rehn die!« Er versuchte, auch Micha das Glas wieder zu füllen, doch der zog es mit einer so raschen Bewegung weg, dass der Schnaps sich ins Leere ergoss.

»Danke, wir sind hier fertig. Komm, Fritz.« Micha stand auf und berührte Fritz’ Schulter; er war überhaupt nicht betrunken, kein Stück, obwohl er nach dem Konsum dieser Menge Schnaps ziemlich danach roch. »Lass uns abhauen. Die wirklich interessanten Kunden kommen eh erst nach Sonnenuntergang vorbei.«

Als sie wieder draußen waren, konnte Fritz nicht anders, als bewundernd anzumerken: »Das war besser als Popcorn-Kino!«

»Tja. Sein Plan mit dem Alkohol war, denke ich mal, uns auszuhorchen und rauszukriegen, für wen wir arbeiten. Hat nicht geklappt. Wenn du erst mal so viele Leute befragt hast wie ich, Fritz, dann erkennst du irgendwann auf den ersten Blick, wer Eier hat und wer nicht.« Micha schob die Hände wieder in die Taschen. »Aber was wir gehört haben, ist mies. Wir müssen das den anderen sagen. Also nichts wie auf zum HQ.«
 

»Das hat’s voll gebracht.«

»Ich weiß, hätten wir uns schenken können.« Falk schüttelte sich den Regen aus der Jacke. »Aber den Punkt mussten wir nun mal abhaken.«

Sie schlenderten dem erwachenden Morgenlicht entgegen, froh darüber, dass der Regen geendet hatte. Am Horizont ließ ein leuchtendes Rot darauf schließen, dass das schlechte Wetter vorüber war.

Der Besuch im Künstlergeschäft hatte nichts ergeben; die italienischstämmige Besitzerin konnte nur schildern, wie das Mädchen an der Seite einer Freundin durch die Regale geschlendert und schließlich krampfend zusammengesackt war. Fünf Minuten später, so hatte es der Notarzt attestiert, war auch schon der Tod eingetreten. Mit bleichem Gesicht hatte die Zeugin auch nicht ausgespart, wie die Freundin des Opfers panisch durch den Laden gerannt war, die umstehenden Gaffer angeschrien und eine Handvoll teurer Weichminen-Buntstifte in die untätige Menge geworfen hatte.

Falk, der solcherart Geschichten natürlich aus langjähriger Berufserfahrung kannte, hatte nach Kräften versucht, Anteil zu nehmen, während Lasterbalk routiniert die Befragung führte – bis sie beide leider von dem schier endlosen Sortiment kuschelig aussehender Quastenpinsel abgelenkt worden waren, was die seriöse Wirkung wohl zerstört hatte.

Im Anschluss an diesen Besuch hatte eine Befragung der Freundin angestanden, die sich unmittelbar nach dem Ereignis einer polizeilichen Vernehmung verwehrt hatte. Zunächst war sie auch nicht in der Stimmung gewesen, diesbezüglich jemanden zu empfangen – sie war allein im Haus ihrer Dreier-Wohngemeinschaft, da sie von den Vorlesungen beurlaubt war –, doch wie es der Zufall wollte, hatte sie Falk und Lasterbalk erkannt, und Verwirrung machte Leute oft kooperativ. Sie hatte für sie einen Tee aufgesetzt und zögernd, jedoch nach Kräften Fragen beantwortet. Nichts von dem, was sie sagte, war neu. Vor dem Zusammenbruch habe sich das Opfer völlig unauffällig verhalten. Der MP3-Player befinde sich noch im Polizeipräsidium.

Zuletzt hatte sie sich behutsam erkundigt, ob sie über die Tatsache, dass zwei Mitglieder von Saltatio Mortis sie polizeilich befragt hatten, Stillschweigen bewahren musste.

»Das kannst du ruhig erzählen«, hatte Lasterbalk gesagt. »Das glaubt dir sowieso niemand. In Interviews werden wir das dementieren.«

Ein paar wärmere Worte waren Falk dann auch noch eingefallen, bevor sie das bemitleidenswerte Mädchen wieder verließen.

»Und jetzt?«, fragte Falk, die Hände in den Taschen.

»Jetzt fahren wir zur Polizeistation und holen uns diesen blöden Player. Ich will wissen, was da drauf ist, auch wenn’s uns wahrscheinlich kein Stück weiterhilft.«

Falk nickte zustimmend; dann grinste er plötzlich. »Stell dir vor, da ist nur unsere Musik drauf …«

»In dem Fall sollten wir schnellstens unser musikalisches Konzept überdenken.«
 

In der Kriminalhauptstelle wurde ihnen tatsächlich das Gerät ausgehändigt. Es war ein sehr altes Modell von Sony in Metallic-Blau mit nur 256 Megabyte Speicherplatz. Später, wenn wieder alle im HQ eingetroffen wären, könnten Elsi und Pfeiffer den Inhalt am Laptop untersuchen.

Als sie wieder im Stadtteil Elberfeld ankamen, war es schon fast elf Uhr. Die Sonne schien munter und trocknete die Pfützen. Da Wuppertal in einem Talkessel lag, strömte das Wasser in ganzen Bächen durch die Straßen, was die beiden Männer nicht ohne Staunen zur Kenntnis nahmen.

An der letzten Ecke, die sie von ihrem Unterschlupf trennte, gesellte sich beinahe lautlos eine dunkle Gestalt zu ihnen und passte sich ihrem Schritt an.

»Ah, Alex«, begrüßte ihn Lasterbalk. »Lass mich raten, du hast auch nix entdeckt.«

Als Asp nicht gleich antwortete, drehten sich beide nach ihm um und ließen ihn in ihre Mitte.

»Ich wünschte, es wäre so«, sagte Asp leise, jedoch mit einer Spannung in der Stimme, welche die anderen Männer alarmierte. »Der ganze Bezirk riecht nach Blut. Da müssen unartige Vampire sein, und zwar eine Menge. Überall sind Spuren.«

»Ah je«, seufzte Falk. »Hast du Bisse gesehen?«

»Sagen wir, auch innerhalb des Wohnheims waren verdächtig viele mit dicken Schals unterwegs. Bestimmt schämen sich alle für diese komischen Wunden, die sie vor dem letzten Vollrausch noch nicht hatten.« Er sagte es so ruhig, als hätte man ihn nach der nächsten Bushaltestelle gefragt. »Ich tippe auf Discos, gut versteckte Clubs oder –«

»Kneipen«, sagte Lasterbalk.

»Ich möchte nicht gleich darauf schließen, dass Micha und Fritz was gefunden haben, nur weil da jemand gestorben ist.«

»Ah, aber viele Kneipenbesitzer kennen sich untereinander. Warten wir’s ab.«

Sie zogen sich unauffällig in das leerstehende Haus zurück, nur um festzustellen, dass die anderen beiden Teams schon lange wieder da waren.

Amboss kam ihnen wedelnd entgegen, aber Falk begrüßte ihn eher beiläufig. »Habt ihr’s schon gehört?«, rief er in den Flur hinein. »In der Stadt sind impertinente Schwarzblütige.«

»Wissen wir längst!«, antwortete Simon und kam ihnen ein Stück entgegen. »Schön, dass ihr auch mal kommt!« Er winkte ihnen ungeduldig, ihm zu folgen.

Im Seminarraum hatten sich alle anderen schon auf die vielen Stühle verteilt. Das Flipchart erhielt endlich eine Funktion: Micha, neben dem mit bleichem Gesicht auch Fritz stand, hatte soeben die vagen Umrisse der Stadt Wuppertal mit einer Fettkreide skizziert.

»Also, Fritz und ich waren hier«, erläuterte er und zeichnete Hammerstein im Westen der Stadt ein. »Und obwohl unsere Leiche damit überhaupt nichts zu tun hat, scheint es der Treffpunkt für die Wuppertaler Vampire zu sein. Was komisch ist, weil im Vampirregister überhaupt kein Vampir mit dem Wohnort Wuppertal drin ist. Entweder heißt das, dass die alle nicht registriert sind … oder dass es keine deutschen Vampire sind.«

Das anschließende Schweigen war beinahe feierlich. Falk traute sich kaum, sich hinter dem Ohr zu kratzen. »Also«, sagte er vorsichtig, »wäre es möglich, dass wir es wieder mal mit einer ausländischen Vampirbande zu tun haben … mit einer neuen.«

»Oder mit einer, die wir schon kennen!«, knurrte Micha. »Ich bin nämlich fast sicher, dass das unsere alten Freunde von Fiacail Fhola sind.«

»Was?«, spie Ingo Hampf zähnebleckend. »Fiacail Fhola? Mit denen waren wir fertig! Die haben wir so platt gemacht, dass die in zweihundert Jahren ihre Hauer nicht mehr dreidimensional kriegen!«

Micha quittierte diesen Einwand mit einem energischen Kopfschütteln. »Es gibt außer denen keine Vampire, die Gälisch sprechen!«, beharrte er.

»Wie, du hast die reden gehört?«

»Nee, aber eins von ihren Trinkpäckchen hat sie gehört.«

»Und du glaubst, jeder Idiot kann Irisch von Russisch unterscheiden, ja?«

»Hört auf!«, fuhr Asp sie beide an. »Wir haben Wichtigeres zu tun!« Da Micha und Ingo schwiegen, fuhr er ruhiger fort: »Wir finden schon noch raus, wo die Vampire herkommen. Sobald wir ein lebendes Opfer finden, finden wir auch das Versteck. Aber erst mal …« Sein Blick richtete sich auf Fritz, dessen Nackenhaare jäh Männchen machten. »… müssen wir unserem Neuling noch beibringen, wie man mit bösen Vampiren umgeht.«


Nachwort zu diesem Kapitel:
Is Gaeilge í an teanga seo, nach í? = Diese Sprache ist Gälisch, hm? Komplett anzeigen

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