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Der Geschmack des Todes

von

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Wie Milch?

Der Geschmack des Todes
 

Ich saß auf dem Dach und blickte in die Ferne, wo ich die Skyline der nächsten Stadt sehen konnte.
 

Etwas näher als die Stadt, genauer gesagt am Ende (oder am Anfang, je nachdem wie man es sah) der Straße in der das Haus stand, welches ich mit meinen Eltern bewohnte sah ich eine Silhouette, die sich mit schnellen Schritten näherte.

Obwohl die Person noch nicht mehr als ein dunkler Schatten war, wusste ich genau, wer das war. Ich sah ihn auf mich zustürmen, wusste ohne es zu sehen, dass seine dunkelgrünen Augen vor Wut und Trauer gleichzeitig Funken sprühten und drohten in Tränen zu ertrinken.
 

Kurz fragte ich mich, wie dieser Widerspruch aller Naturgesetze überhaupt existieren konnte. Gab es da nicht vielleicht irgendeine höhere Macht, die ihn wegen diesem Regelverstoß einfach so am Genick packen und von der Erde pflücken würde?
 

Schnell erklomm er die quietschende Feuertreppe und weckte mich somit aus meinen Verworrenen Gedankengängen. Dann stand er vor mir, die Fäuste so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er öffnete die sanften Lippen, um die jetzt statt einem Lächeln ein bitterer Zug lag. Doch anstatt dem erwarteten Brüllen und Schreien kam ein hasserfülltes zischen heraus.
 

„Was hast du dir dabei gedacht?“

Diese indirekte Anklage verletzte mich, im Gegensatz zu den Beleidigungen und Vorwürfen der letzten Tage, die mich völlig kalt gelassen hatten.

Doch ich sah ihn nur ruhig an.
 

„Sie war doch schon so instabil Und das wusstest du!“

Ich nickte langsam und immer noch Stumm. Ich hatte noch nie viel geredet.
 

„Denkst du eigentlich jemals an die Folgen, bevor du handelst?!“ Seine Stimme überschlug sich und ein trockenes Schluchzen entwich ihm und mischte sich unter seine Worte.

Ich schüttelte den Kopf.
 

„Nein.“

Meine Stimme klang rau als hätte ich lange geschwiegen. Das hatte ich. Der einzige Mensch mit dem ich öfter Redete, hatte mich gemieden. Ganze zwei Wochen lang.

„Ich denke nicht daran, was danach kommt. Ich denke auch nicht an die Vergangenheit. Das ist der einzige Grund, dass ich bisher nicht völlig verrückt geworden bin…“

Meine Worte machten ihn für kurze Zeit sprachlos.
 

„Sie war in dich verliebt!“

„Ich weiß“, nickte ich.
 

Das gab ihm den Rest. Er sank auf die Knie und lies seinen Tränen freien Lauf.

Sein Weinen war leise.

Keine Schluchzer, kein Schniefen. Nur rollende Tränen. Das machte es fast noch schlimmer.

Ich zog ihn in meine Arme und wiegte ihn sanft hin und her.
 

Das musste schon ein merkwürdiges Bild sein. Zwei Kerle, der eine am Boden zerstört in einer Umarmung auf einem Dach sitzend…
 

Ihr Tot berührte mich nicht. Ich hatte sie nicht gut gekannt, war mir nicht mal sicher, überhaupt mit ihr geredet zu haben.

Ihn traf es sehr viel schlimmer. Er hatte sie von klein auf gekannt. Das war unter Geschwistern so üblich, hatte ich mir sagen lassen.
 

„Hast du nach der Beerdigung noch geweint?“, fragte ich leise und doch viel zu laut in der angenehmen Stille. Sein Kopfschütteln spürte ich mehr als das ich es sah.

Ich hatte ihn nur ein einziges Mal weinen gesehen. Auf der Beerdigung.
 

Ich dachte zurück und verlor mich in Erinnerungen an die Beerdigung.

Das einzige an das ich mich erinnern konnte, war sein tränenüberströmtes Gesicht und seine Schwester.

Die Aufgeschlitzten Pulsadern waren von den Ärmeln ihres Schwarzen Kleides verdeckt und ihre Haut war so weiß gewesen wie die Milch, die er jeden Morgen trank.
 

Den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, ob der Tot nach Milch schmeckte.
 

Dann nahm ich mir mein eigenes Motto zu Herzen und lies die Vergangenheit Vergangenheit sein. Ich musste mich um den tieftraurigen Jungen in meinen Armen kümmern.
 

Als er sich beruhigt hatte küsste ich ihn. Sanft und das erste Mal nach zwei Wochen.

Doch der Kuss hatte einen bitteren Beigeschmack.

Als wir uns das letzte Mal geküsst hatten, hatte seine Schwester, die schon sehr lange depressiv und unglücklich in mich verliebt war, uns erwischt.

Kurz danach hatte sie sich umgebracht.
 

Wir saßen noch lange auf dem Dach in einem klitzekleinen Vorort einer nicht sehr viel größeren Stadt an einem viel zu heißen Julitag.

Die Hemden hatten wir auf den heißen Dachziegeln ausgebreitet und benutzten sie als Decken als wir uns schnell und desorientiert liebten.

Es war für uns beide das erste Mal.
 

Zwei Wochen später wurde er in seinem Zimmer aufgefunden. Neben sich eine leere Packung Tabletten.

Er hatte sich umgebracht.
 

Bei seinem Tod hatte ich geweint.
 

Ich bedauere noch heute, dass ich ihn nicht fragen konnte, ob er weiß wie der Tot schmeckt…



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