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17:59, it's Guinness Time

von

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»Gott bewahre!«

Eigentlich habe ich erwartet, dass Julius nach der Hochzeit Abstand nehmen würde. Nicht mal Ophelia, die ihm an nächsten Morgen wutentbrannt gekratzt hat, weil er auf ihrem Platz geschlafen hat, hat da einen Unterschied gemacht. Er stand heute und die ganze letzte Woche jeden Abend auf meiner Matte.

»Weißt du was, vergessen wir die Sache einfach, okay?« Ich seufze. Julius hat sich entschuldigt und wieder und wieder und wieder. Er hat sich dafür entschuldigt, betrunken auf meiner Couch zu schlafen, dafür, entschuldigt, dass er verschwiegen hat bi zu sein und generell für alles mögliche, für das man sich entschuldigen kann. Ich glaube ihm sogar, dass es ihm Leid tut. Und ehrlich gesagt, finde ich es anstrengender, wie er reumütig um mich herumschrawenzelt, als wirklich weiter auf ihn sauer sein.

»Ja?«, fragt er. Seine Augen strahlen dabei.

»Ja. Reden wir einfach nicht mehr drüber.« Ich nicke und hoffe damit ist alles erledigt. Er atmet erleichtert aus, dann lacht er.

»Langsam sind mir auch die Ideen ausgegangen, was ich noch hätte tun können.«

»Du hättest mir einen Flug nach Hawaii zahlen können.« Ich grinse.

»Merke ich mir fürs nächste Mal. Aber ich lad dich auf ein Guiness ein, wenn du magst.«

»Naja, ist ja fast wie Hawaii.«

Ich packe noch meinen Geldbeutel und Schlüssel. Eigentlich habe ich es etwas vermisst, abends mit ihn noch etwas zu unternehmen. Mit meinen Arbeitskollegen verstehe ich mich gut, dieses Wochenende war ich mit Martin Angeln. Aber man redet dabei trotzdem oft über die Arbeit und es ist einfach angenehm, mal mit jemand was zu machen, der rein gar nichts damit zu tun hat. Außerdem haben wir einen ähnlichen Filmgeschmack, deswegen machen wir auch ab und an DVD-Abende – bei mir, weil mein Fernseher größer ist.

»Stefanie und Fleming sind heute wohl auch in der Bar.«

Wahrscheinlich wollte er sich mit ihnen treffen, weil er damit gerechnet hat, dass ich ihm wieder absage. Ich lasse es aber unkommentiert. Stefanie und Fleming sind ganz okay und von seinen ganzen Bekannten, sind sie mir einer der Liebsten. Immerhin sind sie als Paar nicht sehr aufdringlich.

Als wir die Bar betreten, winken die Beiden uns von einem Tisch am Fenster schon entgegen. Die Bar ist ziemlich voll, wie das Freitagabend häufig der Fall ist, so bin ich ganz froh, dass sie uns was freigehalten haben. Zielstrebig buchsieren wir uns an anderen Tischen vorbei zu ihnen.

»Na, wieder versöhnt?«, fragt mich Stefanie mit einem Grinsen und ich linse zu Julius, der sich gerade setzt. Keine Ahnung, was und wie viel er ihnen von unserem Streit erzählt hat. Vielleicht hat er das auch gar nicht und sie vermuten es nur, weil ich über eine Woche nichts mit Julius unternommen habe.

»Ich hatte letzte Woche viel zu tun«, antworte ich ausweichend. Ich hoffe, Stefanie versteht, dass ich nicht darüber reden will.

»Ah, okay...« Sie wirkt nicht ganz zufrieden mit dem Gesagten, aber mir hat ihre Frage als Begrüßung auch nicht gefallen.

»Wie war die Hochzeit?«, fragte Stefanie weiter, aber diesmal nicht nur an mich gerichtet. Hat Julius ihnen nichts davon erzählt?

»Hab ich euch doch schon gesagt, sehr sehr romantisch und so.« Julius klingt ein bisschen motzig.

»Er war das reinste Nervenwrack!« Das hat er ihnen bestimmt nicht erzählt.

»Das ist gar nicht wahr. Ich hab das super souverän gemacht« Er verschränkt die Arme.

»Total. Vor allem, als du über die Stufe zum Altar gestolpert bist.« Ich zwinkere ihm zu und er wird rot.

»Ich bin nicht gestolpert!«, protestiert er.

»Ja, ja, natürlich nicht.« Ich winke ab und höre Stefanie kichern.

»Ehrlich nicht!« Jetzt klingt er trotzig. Fleming klopft ihm lachend auf die Schulter.

»Okay, ist er tatsächlich nicht. Er hat sich sehr gut gemacht als Trauzeuge«, lenke ich ein. Nicht das er wirklich zu schmollen anfängt.

»Sag ich doch.« Selbstgefällig schaut er die anderen an, das geht allerdings unter, da die Bedienung sich zu unserem Tisch durchgekämpft hat, um unsere Bestellung aufzunehmen. Ich nehme das mir versprochene Bier.

»Und Juli, ich hoffe, es bleibt bei der Einladung?«, frage ich ihn und betone den Spitznamen extra. Ich fand es schon auf der Hochzeit sehr lustig, als seine Schwester ihn so genannt hat. Egal, wie man es dreht und wendet, es klingt wie ein Mädchennamen und ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Spitznamen wirklich mag.

»Benni hat ihn auch immer so genannt«, meinte Stefanie plötzlich lachend und ich habe keine Ahnung, wer Benni ist. Klingt aber nach einem Ex. Also wissen Stefanie und Fleming davon?

»Seine Familie nennt ihn so«, erkläre ich, bevor sie auf falsche Gedanken kommen.

»Ich weiß nicht, was du gegen Juli hast.« Julius ist auf jeden Fall aufgefallen, dass ich den Spitznamen eher belustigend finde.

»Er klingt wie ein Mädchenname«, kläre ich ihn auf.

»Ach was.« Er widerspricht nur, um widersprochen zu haben.

»Tut er.« Wird mir von Stefanie zu gestimmt.

»Absolut.« Fleming nickt bestätigend.

»Ich mag ihn«, verteidigt er sich.

»Sollen wir dich ab jetzt auch Juli nennen?«, frage ich ihn.

»Gott bewahre!« Er hebt abwehrend die Hand. Wusste ich es doch. Ich grinse triumphierend.

»Ich müsste dann sowieso ständig an Benni denken. Ich mochte Benni nicht«, fügte Stefanie hinzu. Hm, wieder der Kerl.

»Benni war sein Ex vor Marlene.« Wird mir von Fleming erklärt. Irgendwie habe ich das Gefühl, als würden sie das Gesprächsthema forcieren. Also wissen sie den Grund für den Streit. Ob sie wohl auch wissen, das ich schwul bin?

»Die wir auch nicht mochten.«

»Ja, ja, ich bin immer nur mit Idioten zusammen«, grummelte Julius, dem es wohl nicht gefiel, dass seine Beziehungen zum Thema geworden sind.

»Wir mögen Isaac.« Stefanie lächelt mich an. Fleming nickt.

»Äh … Danke.« Ich weiß nicht, ob ich mich in diesem Zusammenhang über die Zuneigungsbekundung freuen soll. Sie wissen, dass ich schwul bin. Und sie finden, dass Julius und ich ein gutes Paar sind. Ich weiß nicht, ob das Pärchen mit Absicht machen. Aber immer wenn sie sehen, dass sich Singles verstehen, planen die doch im Grunde schon deren Hochzeit, oder?

»Und deswegen sind wir nicht zusammen!«, scherzt Julius. Ich fühle mich bei dem Thema trotzdem unbehaglich. Vielleicht ist das tatsächlich der Grund gewesen, warum Julius seine Sexualität vor mir geheim gehalten hat. So kam es nie zur Sprache und es gab keine Andeutungen. Ich mag keine Andeutungen. Und ich habe keine Lust auf eine Beziehung. Nicht schon wieder.

»Fleming, wie läuft es mit deinen HIV-Krebs?«, wechsle ich das Thema, bevor es damit weiter geht. Fleming macht gerade seinen Doktor in Biologie, oder so, und er hat mir letztens Mal erzählt, dass sie ganz krasses Zeug in ihren Petri-Schalen züchten, wie eben HIV-Krebs.

»Oh, der ist uns eingegangen. Irgend jemand ist wohl an einen Regler gekommen. Wir müssen erst wieder neuen ansetzen. War voll das Drama.« Dankbar nimmt Fleming das Thema auf. Ehrlich, ich rede lieber über Krebszellen, die mit HIV infiziert wurden, als weiter über irgendwelche Beziehungen. Auch wenn ich sagen muss, dass ich mittlerweile etwas Angst habe, Fleming die Hand zu schütteln. Wer weiß, welche Krankheiten alle an ihm haften. Auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen wohl sehr streng genommen werden. Aber ganz ehrlich, wer will HIV-Krebs haben? Ich versteh auch nicht, warum man zwei tödliche Krankheiten kombinieren muss und ich bin mir nicht ganz sicher, ob die nicht einfach irgendwelche biologischen Waffen züchten. Allerdings traue ich Fleming nicht zu, dass er wirklich an der Entwicklung von so etwas mitwirken würde. Anderseits hat Einstein auch die Atombombe erfunden.
 

»Weißt du, du darfst Stefanie nicht so ernst nehmen.« Julius und ich sitzen in der Straßenbahn auf den Weg nachhause. Unsere Arme berühren sich dabei, weil die Sitze so eng sind. Eine Berührung bei der man sich nichts denkt, bei der ich mir nichts denke.

»Du kennst ja Pärchen«, fügt er hinzu, als ich nichts erwidere. Stefanie nicht so ernst nehmen … Eigentlich habe ich gar nicht mehr daran gedacht, was sie erzählt hat, wenn mich Julius nicht daran erinnert hätte.

»Hattest du schon viele Beziehung mit Männern?«, frage ich ihn. Normalerweise interessiere ich mich nicht für so etwas, aber vielleicht ist es ganz gut, wenn Julius und ich mal darüber reden. Die Straßenbahn ist auch relativ leer, in Hörweite sitzt jedenfalls niemand, also eine gute Gelegenheit zu fragen.

»Hm …« Er schaut nachdenklich in die Luft. »Ich glaube, es waren drei ernsthafte.« Er nickt. »Ja, es waren drei. Emil, Philipp und Benni.« Sehr überschaubar. Dafür hat er überlegen müssen?

»Du meintest, du hättest mit mehr Männern Sex, als mit Frauen«, erinnere ich mich. Vielleicht hat er das im Suff auch nur daher geredet.

»Das habe ich gesagt?« Er kratzt sich an seinen Bartstoppeln, wirkt dabei etwas verlegen.

»Als du betrunken warst.«

»Hm … ich hatte mal ein recht wildes Jahr, nach ner häßlichen Trennung mit einem Mädchen«, gibt er schließlich zu. Wildes Jahr? Hm, gut, dafür war ich nie der Typ gewesen.

»Wie bei Marlene?«, hake ich nach.

»Ich will nicht darüber reden.« Er schaut demonstrativ aus dem Fenster an mir vorbei. Gut.

»Ich habe nicht vor, mich wieder in beschissene Halbbeziehungen zu flüchten, okay?«, fährt er doch fort.

»Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen.«

»Nein, ich wollte nur, dass du das weißt.« Jetzt sieht er mich doch an, lächelt kurz. Ich kann seinem Blick nicht lange standhalten, wenn er mich so offen ansieht. Irgendwie hat sich doch was geändert.

»Und du? Wie viel Beziehungen hattest du?« Hm, okay, damit hätte ich rechnen können, wenn ich ihn schon frage.

»Mehr als mir lieb sind.«

»Gleich soviele?« Julius lacht.

»Ging es dir nie so, dass du nach jeder Beziehung weniger Lust hattest, nochmal eine einzugehen?«, frage ich ihn zurück. Nach Thomas bin ich mittlerweile an dem Punkt, an dem ich nicht weiß, ob ich mir überhaupt noch einmal diese ganze Tortur einer Beziehung über mich ergehen lassen will. Vertrauen aufbauen, das enttäuscht wird. Jemand nahe kommen, der von einem Moment auf dem anderen, wieder zu einem Fremden wird. All die Liebesgeständnisse, die doch nur Gesäusel sind.

»Ich weiß nicht. Ich bin mir eigentlich sicher, dass ich irgendwann jemand finde, mit dem es einfach funktioniert.« Wieder dieses Lächeln. Er glaubt, was er sagt.

Ich wünschte, ich würde mich von Trennungen nicht so demoralisieren lassen. Aber ich bin nicht Julius. Ich nehme vielleicht alles ein bisschen zu ernst, aber so ist es nun mal.

Eine Stimme vom Band teilt uns mit, dass wir unsere Haltestelle erreicht haben. Wir steigen beide schweigend aus. Alles was ich über die Ex-Beziehungen von Julius gehört habe ist, dass es mit schrecklichen Personen war. Marlene war ständig eifersüchtig, bevormundend und anscheinend unheimlich überspannt. Und Benni schien sich auch nicht in die Herzen von Julius Freunden geschlichen zu haben. Ob ich da auch so optimistisch bleiben würde?

Unsere Schritte erzeugen einen dumpfen Hall in dem breiten Treppenhaus. Ich lausche seinen Schritten noch nach, als er die letzten Stufen zu seiner Wohnung alleine geht. Ein seltsames Gefühl zieht an meinem Herz.



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