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Driften

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Die letzten leisen Akkorde wurden vom Zirpen der Zikaden abgelöst, das sich penetrant an den Ohrenstöpseln vorbei in seine Gehörgänge drängte. Sogar das Brummen der vorbeifahrenden Autos auf der anderen Seite des hohen, dichten Lattenzauns übertönten die Biester problemlos.

Gähnend blinzelte er zum weißen Leinenschirmdach. Eiji streckte sich auf der Hollywoodschaukel. Erst dabei merkte er wie sich die Längsstreben trotz der flachen Kissen in seinen Rücken gedrückt hatten. Sein nackter Oberschenkel klebte am lackierten Holz der Rücklehne und als er die Armstütze über seinem Kopf griff um seinen Körper anzuspannen und beide Beine zu heben, merkte er erst richtig wie furchtbar ungünstig er gelegen hatte. Rechts zwiebelte die Haut seines Schenkels als sie in einem Ruck vom Holz gelöst wurde, die Kante der anderen Armstütze hatte sich in die Fußsohle geprägt. Auf der anderen Seite hatte eben diese Kante in seine Kniebeuge gedrückt und scheinbar, seit er aufgehört hatte mit dem Fuß zu wippen, das Blut im Fluss behindert, denn jetzt wo es frei fließen konnte schoss ein heftiger Schmerz durch seinen Unterschenkel.

Eiji schwang die Beine zur Seite und setzte sich auf, rieb sich mit den Handballen die Augen. Er schaute über den Garten, über das Gras das, kaum halbwegs zu einem Rasen zusammengewachsen, bereits wieder allmählich vertrocknete.

Hitzeflirren lag über dem Steingarten seiner Mutter obwohl die Sonne bereits so tief stand, dass sie dem Leinen über der Schaukel und den weißen Laken auf der Wäscheschnur einen pfirsichfarbenen Schimmer verlieh.

Das Flirren machte ihn ganz wuschig und er musste den Blick abwenden, senkte ihn auf seine nackten Füße auf dem schlaffen Gras und hob mit dem großen Zeh die violett-weiße Blüte einer wild blühenden Iris ein wenig an. Ein Blütenblatt fiel ab und auf seine anderen Zehen. Eiji seufzte und hob den Kopf, schaute am Leinenschirm vorbei zu den Bäumen auf. Einige der Blätter waren bereits gelb, hatten braune Ränder und seit Anfang der Woche fielen sie ab.

Scheinbar lag die Priorität der Bäume bei den Blüten, denn die schienen lange kaum betroffen. Inzwischen merkte man aber auch ihnen die andauernde Trockenheit an.

Seit Wochen hatte es nicht geregnet. Das wäre nur halb so tragisch, wäre es nicht zusätzlich ungewöhnlich heiß für die Jahreszeit. Es fühlte sich an wie Spätsommer, mit den Zikaden, den längeren Tagen, der Trägheit, die über allem zu liegen schien und Luft die einem das Atmen schwer machte.

Schüler verbrachten die Pausen im Freien auf den Rasenflächen liegend, die Salarymen schwitzten sich halb tot in ihren Anzügen, Klimaanlagen liefen überall. Die Türen der kleinen Läden unten an der Straße standen den ganzen Tag offen und am letzten Wochenende hätte man meinen können die ganz Stadt läge unter einem Schlafbann. Sogar die ersten Bienen schienen irgendwie lethargischer und schwerfälliger als sonst.

Er stand auf und der überhängende Saum des Leinenschirmes streifte über seine Stirn und Haare. Das Shirt klebte an seinem Rücken und die Shorts an seinem Hintern, was ihn ein paar leichte Verrenkungen machen ließ um den Stoff zu lösen, ehe er die verstummten Kopfhörer aus seinen Ohren pflückte und aufs Polster hinter sich warf, sich bückte um das große, Sticker bedeckte Glas aufzunehmen, das neben einem Fuß der Schaukel stand. Den letzten Schluck Erdbeerlimonade kippte er noch herunter und ging dann durch den Garten, an den Wäscheschnüren vorbei, zur Veranda.

Erst als er bereits die breite Schiebetür ein Stück aufgezogen hatte, hörte er es wieder. Es war ein enormer Kontrast zur Trägheit des Abends. Die hellen Töne flatterten mit solcher Leichtigkeit durch die schwere Wärme, das Eiji, wenn er die Augen schloss, einen Schwarm leuchtend bunter Schmetterlinge wirbeln sah.

Er wand sich um, dem offenen Fenster zu, durch das die beschwingte Melodie wie ein kühler Wind zu ihm herüber wehte. Jeder Tastenschlag schien die Zikaden für den Bruchteil einer Sekunde verstummen zu lassen wenn er Eijis Trommelfelle zum vibrieren brachte und der Junge lächelte. Er wusste wer da spielte, wer es schaffte mit einem Instrument der Wärme das Lähmende zu nehmen, und er war froh ihn wieder zu hören.

Wenn es im Herbst kühler wurde und die Fenster geschlossen blieben, verstummte auch das Klavierspiel. Erst wenn es wieder wärmer wurde, tanzten die Töne durch die Frühlingsluft. So war das Klavier für Eiji zu einem Frühlingsboten geworden, mehr noch als die erwachenden Zikaden.

Dann rissen die Klänge abrupt ab...
 

Seit sechs Jahren lauschte er diesem Klavier. Es war das Erste gewesen, was er von den neuen Nachbarn mitbekommen hatte.

Eines Morgens im Frühling hatte er sich aus dem Bett gequält, das Rollo hoch schnappen lassen und das Fenster geöffnet. Und zusammen mit einer luftigen Wolke Pflaumenblüten wehten die reinen Klänge in sein Leben. Eiji kannte sich mit klassischer Musik nicht aus, aber das musste er auch nicht um zu wissen das nur flinke, geschickte Finger langweilig schwarz-weißen Tasten so etwas entlocken konnten.
 

Das offene Fenster war nicht direkt gegenüber seines eigenen, aber wenn er sich etwas herauslehnte und zur Seite streckte, dann konnte er eine mintgrüne Schubladenkommode sehen, mit Bilderrahmen und einen dreiarmigen Kerzenständer in Silber. Auch die Wand hinter der Kommode war hell, beige.

Zu diesem Zeitpunkt mussten sie schon eine Weile dort gewohnt haben, denn offenbar war alles ausgepackt und eingerichtet, aber Eiji verbrachte so wenig Zeit zuhause, dass es ihn nicht wunderte wenn ihm soetwas entging.

So dauerte es auch noch eine volle Woche bis er eine Frau mit kastanienbraunem Zopf Einkäufe durch das Tor manövrieren sah und damit die erste Begegnung mit einem der Bewohner in Fleisch und Blut hatte. Er sprach sie nicht an, bezweifelte dass sie ihn überhaupt bemerkte wie er, seine Nase knapp unter der Zaunkante, beobachtete wie die hellhäutige Frau mit den runden Augen Tasche und Korb den kurzen Plattenweg durch den Vorgarten trug und auf der Stufe vor der Tür abstellte um aufzuschließen, und schließlich samt der Einkäufe im Haus verschwand.

Dass sie dort nicht allein lebte war selbstverständlich, aber dass sie Kinder hatte erfuhr Eiji erst am folgenden Wochenende.

Es war das Hanamiwochenenden und Eijis Mutter packte, mit der ihr eigenen Sorgfalt und Voraussicht, einen Picknickkorb aus geflochtener Weide und mit rot und weiß kariertem Stoff ausgeschlagen. Ein großes Bento für Eijis Vater, eines für Ane, eines für Eiji und eines für sich, außerdem zwei Flaschen Saft und eine Thermoskanne Kaffee zusammen mit sechs Pappbechern. Auch eine Packung Sakuramochi und eine weitere mit einer Mischung anderer Sakura Sweets wanderten in den Weidenkorb, der dann zwischen Ane und Eiji auf dem Rücksitz ins Auto geladen und zum Parkplatz neben dem Stadtpark gebracht wurde. Vorn dort aus trug Eijis Vater ihn auf das weite Gelände in dessen Zentrum, direkt neben einem schmalen Fluss, sich der eher unbedeutende, aber nichtsdestotrotz hübsche und hingebungsvoll gepflegte, örtliche Shintoschrein befand. An einem sanften Abhang stellte er ihn ins junge Gras und half Eijis Mutter dabei die dicke Baumwolldecke mit Wollflorfüllung auszubreiten. Der Korb wurde ausgepackt und der Inhalt auf der Decke ausgebreitet. Zu diesem Zeitpunkt liefen, wie meistens, bereits Scharen von Kindern verschiedensten Alters lachend herum und hatten es immer schwerer den dichter drängenden Decken und Menschen auszuweichen. Eiji sah sich angestrengt nach dem einen oder anderen Schulfreund um. Er war nicht wählerisch, wollte nur nicht die ganze Zeit bei den Eltern hocken.

Dabei entdeckte er die neue Nachbarin wieder, diesmal nicht allein, wie sie einen dick gefüllten Stoffrucksack unter den offenen Haaren von ihren Schultern rutschen ließ. Durch die Sonne lag ein rötliches Leuchten auf den leichten Wellen, die nach vorn fielen als sie sich beugte um den Rucksack auszupacken. Ihr durch und durch japanischer Ehemann war ziemlich unscheinbar und keinesfalls besonders attraktiv. Eiji hatte immer gedacht westliche Frauen wären anspruchsvoller, aber vielleicht war er ja vermögend.

Ane hielt ihm ein Dango vor die Nase und Eiji nahm es, kaute nachdenklich während er weiter beobachtete wie es sich das Paar gemütlich machte. Der Mann packte bald eine Brille aus und steckte die Nase in ein Buch. Seine Frau zupfte ihr langes Kleid um sich zurecht und rief dann etwas in die Landschaft das Eiji nicht verstand, aber er folgte ihrem Blick und unten am Fluss wand sich ein Junge ihr zu, nickte. Er stand da mitten im Schilf, mit einem Fotoapparat. Die Leute drum herum warfen ihm Blicke zwischen Irritation und Nachsicht zu, aber das schien er nicht zu bemerken. Er stieg aus dem flachen Wasser, barfuss und die Hose bis unter die Knie hoch gerafft, ging um eine Steinbank, die ein älteres Paar für sich annektiert hatte, herum zum Lager der neuen Nachbarn.

Eijis Vater erregte mit einem leichten Klaps auf sein Knie seine Aufmerksamkeit und weil es nun die Bento gab, vergaß Eiji zu Gunsten seines Magens für eine Weile alles außerhalb ihrer eigenen Decke. Erst das Kichern zweier Mädchen ließ ihn wieder aufsehen. Die beiden kamen aus Richtung der neuen Nachbarn und schauten immer noch dorthin zurück, während sie allerlei Abwandlungen von 'süß' und 'cool' quietschten.

Hm, dachte er und musterte nun das Objekt der Schmachtereien. Sicher, er sah seiner Mutter recht ähnlich, vor allem seine Augen, aber die Haare waren glatt und schwarz und zu lang für Eijis Geschmack, beinahe bis unters Kinn. Nein, er fand die Frisuren der Popstars viel cooler, so hell wie möglich gebleicht und wild zerzaust gegelt. Er selbst konnte sich so weder Zuhause noch in der Schule blicken lassen aber wenn er mit Freunden unterwegs war wurde gestylt was das Wachs hielt. Im Wesentlichen war der Junge ebenso durchschnittlich wie sein Vater. Bis auf die Augen, große, runde, hellgrüne Augen.

Oh, dass sie grün waren konnte er da nicht erkennen, das sah er erst als der Junge kam und in holprigem Japanisch von Eijis Mutter einen Becher erbat. Eiji blinzelte verdutzt bei der Erkenntnis, dass seine Mutter die neuen Nachbarn offenbar bereits näher kannte, den Jungen mit Namen ansprach und auch von dessen Mutter in vertraulichem Ton sprach.

"Verzeihen Sie vielmals die Störung", sagte er schleppend, aber mit einer ordentlichen Verbeugung, wie sie Eiji im umgekehrten Fall sicher nicht bemüht hätte. "Leider ist einer unserer Gläser... Becher kaputt. Ob sie wohl einen übrig hätten?"

"Aber sicher", lächelte Eijis Mutter erstaunlich sanft und gab ihm einen der eigenen Pappbecher. "Wie könnten wir einem höflichen, jungen Mann wie Kai-kun etwas abschlagen. Bitte schön."

"Danke sehr." Wieder verbeugte er sich.

"Ich hoffe es geht deiner Mutter besser. Meine besten Wünsche und sie soll viel von dem Kräutertee trinken. Takashinma-sans Rezepte versagen nie."

"Ja, viel besser, danke und ich werde es ausrichten." Und noch eine Verbeugung. Eiji fand es beinahe witzig wie er sich anstrengte. Kai-kun verabschiedete sich und lief zu seinen Eltern zurück. Eijis Vater sah seine Frau nur fragend an und schon begann sie zu erzählen.

Sie hatte Kais Mutter beim Einkaufen getroffen. Ihr Japanisch, erklärte sie, war noch etwas lückenhafter als Kais und so hatte sie der armen Frau geholfen alles was sie brauchte zu finden. Darüber waren sie ins Plaudern geraten. Auf Anes Frage warum sie sich nach dem Wohlbefinden erkundigt hatte, konnte sie nur antworten das der Tee zu den Besorgungen gehört hatte und Takashima-san der Ausländerin den Namen auf einen Zettel geschrieben hatte, damit sie auch bestimmt den Richtigen nahm. Bei der Suche danach hatte sie auch Takashima selbst erwähnt.

Eiji sah der kleinen Familie beim Essen zu. Der Junge machte auch dabei zwischendurch immer wieder Fotos, als wäre er hier nur Tourist. Bald stand er wieder auf und rollte die Hosenbeine runter, zog Sandalen über und sah sich kurz die Umgebung an ehe er losging.

Kurzentschlossen sprang Eiji hoch, warf seinen Eltern ein kurzes "Bin dann weg" zu und ging Kai nach.

"Um 8", rief sein Vater ihm nach und Eiji hob, ohne sich umzudrehen, die Hand zum Zeichen das er verstanden hatte.

Oben auf dem Kiesweg, der sich am Waldrand entlang schlängelte, holte er den Jungen ein.

"Hi."

Er wand sich überrascht um und blieb kurz stehen, zögerte und ging dann weiter noch ehe er erwiderte: "Hallo."

Eiji nahm das als Einladung und ging neben ihm. "Ich bin Eiji. Wo kommt ihr her?" fragte er direkt.

"Mein Name ist Kai. Ich komme aus Deutschland."

Eiji kam der Gedanke, dass es so sicher in Wörterbüchern stand, vermutlich wortwörtlich.

"Das is weit weg." Er sprach extra langsam und überdeutlich.

"Ja", sagte Kai und spielte an den Knöpfen seiner Kamera, "sehr weit."

"Auf welche Schule gehste? Ich hab dich auf meiner noch nich gesehn."

Die wachen, jadegrünen Augen wandten sich ihm zu und er wollte schon ansetzen sich klarer auszudrücken als er doch noch eine Antwort bekam:

"Ich geh bis zu den Sommerferien nur zum Lesen und Schreiben lernen in die Grundschule... wegen der Kanji. Und muss noch eine Prüfung ablegen." Deshalb das Zögern. Es war ihm wohl etwas peinlich. "Dann kann ich im nächsten Schuljahr auf die Highschool. Deine, nehme ich an."

Eiji nickte. Es gab nur die eine in der Nähe.

Sie wanderten einmal komplett um das Gelände, immer den Kiesweg entlang, während sie sich unterhielten. Die meiste Zeit lief es auf Vergleiche hinaus. Kai war noch nicht lange genug hier um alles zu kennen, also erklärte Eiji alles von dem er meinte es wäre in Deutschland sicher völlig anders und Kai erzählte wie anders es jeweils war, oder wie ähnlich. Es gab Einiges was Kai an Japan schön fand und das ließ Eijis Brust mit Stolz schwellen, machte den Anderen gleich sympathischer. Besonders die Schreine und Tempel gefielen ihm, sagte er, und Eiji brachte ihn auf schnellstem Weg zum heimatlichen Exemplar, fand sich selbst beim Anpreisen und Erklären der Symboliken und Bräuche.

Kai schmunzelte viel und im Nachhinein dachte Eiji, dass er sicher die Hälfte einfach nicht verstanden hatte, weil sein Führer zu eifrig und hektisch geplappert hatte. Aber gesagt hatte er nichts, nur geduldig genickt und versucht zu Verstehen.
 

So war Kai. Friedvoll, geduldig und freundlich, immer bemüht sich gut zu benehmen und gesegnet mit einer inneren Ruhe die Eiji bald bewundern lernte. Japanischer als jeder Japaner, hatte Eiji ihm einmal gesagt und Kai hatte gelacht und gemeint dann wären es eben keine typisch japanischen Tugenden. Eiji hatte ihm den Schwamm, voll mit Schaum und Haaren des neuen Tanaka-Familienhundes, ins Gesicht geworfen, dafür eine Ladung Dreckwasser abbekommen. Innere Ruhe schloss offenbar Albernheiten und Revange nicht zwingend aus.
 

An diesem ersten gemeinsamen Hanamiabend war es auch, dass Eiji erfuhr das es Kai war, der im Haus Klavier spielte und bei der Gelegenheit war dieser es, der Eiji verbal davon preschte als er von Stücken, von Mozart und Mahler, hohen C's und halben Noten brabbelte. Eiji lächelte und nickte artig und dachte daran wie schön einfach es doch war der Musik einfach nur zu lauschen.

Als sie sich auf den Weg zurück zu den Familien machten, war es bereits dunkel und Scheinwerfer strahlte die Bäume von unten her an. Das Licht war meist weiß, vereinzelt pink und Laternen am Fluss entlang orangefarben. Auch die Leute die noch da waren, hatten oft kleine Lichter dabei und so konnte es dunkel sein ohne dunkel zu sein und sie fanden gut ihren Pfad zurück.

Auch wenn sie nicht beieinander gesessen oder Zeit zusammen verbracht hatten, als sie zugleich aufbrachen und die Decken falteten, gingen beide Familien gemeinsam zum Parkplatz. Die Väter unterhielten sich kurz und Eijis Vater fuhr auf dem Heimweg immer hinter Kais.
 

Wenn Eiji in diesem Sommer nach haus kam, war Kais Mutter oft zu Besuch oder seine Mutter war bei den Nachbarn.

Es war ein trockener und heißer Sommer und Kai verbrachte auch in den Ferien viel Zeit in der Schule. Um abzuschalten, sich zu entspannen oder seine Laune zu heben, spielte er Klavier und manchmal wenn Eiji in seinem Zimmer war, unterhielten sie sich von Fenster zu Fenster und Eiji half bei Sprachaufgaben für den Unterricht oder motzte über alles was ihn aufregte. Letzteres aber eher nachts, wenn es so leise war das er nicht sehr laut zu sprechen brauchte um gehört zu werden. Dass Kais Sprache sich ständig verbesserte merkte er daran, dass der immer öfter an den richtigen Stellen lachte oder mitfühlend seufzte.

Natürlich schaffte er so die Prüfung, durfte auf die Highschool wechseln und als er seine Prüfungsergebnisse hatte, veranstaltet sein Vater im Garten ein Grillfest, lud Eijis Familie ein. Selten in diesem Sommer hatte Eiji sich so wohl gefühlt. Es gab gegrillten Fisch und der Duft lag noch bis spät in die Nacht über dem Garten, und zum ersten Mal seit Wochen machte Eiji die stehende Luft gar nichts aus. Es gab selbst gemachtes Eis, Kuchen und Kais Mutter hatte Ketten mit Lampions zwischen den Bäumen und am Haus aufgehängt. Kai führte seine neue Uniform vor und wurde vor stiller Verlegenheit ganz rot dabei als alle applaudierten. Eiji klopfte ihm einfühlsam auf die Schulter, ehe er ihn aufforderte sich doch noch einmal um die eigene Achse zu drehen und dann lachend abdüste, als Kai mit dem eben ausgezogenen Jackett nach ihm schlug.

Als es am Abend kühler wurde, atmete Eijis Vater auf und berichtete von der Hitze in einigen Büros und Ane nickte, wie schlimm es da erst in der Schule werden würde. Ihr Vater ermahnte sofort, sie solle sich nur nicht einfallen lassen, das als Ausrede zu benutzen ihre Uniform zu verunstalten, sprich den Rock umzuschlagen oder das Hemd vorn zu knoten statt zu knöpfen. Ane verdrehte die Augen und lehnte sich Unterstützung suchend an ihre Mutter während Kais leise lachte.

"Wenn Kai mehr Trauriges spielen würde, würde es auch regnen", kicherte Kais Mutter und alle lachten und stachelten Kai an rauf zu gehen und doch endlich eine Trauersonate zu spielen, damit es kühler würde.

Der seufzte ergeben und stiefelte nach oben. Eiji blieb bei den Anderen, hörte das Fenster an der Hausseite um die Ecke aufgehen und leises Klappern. Nicht ein einziges Mal hatte er Kai etwas Trauriges spielen hören, denn wenn er spielte wollte er sich besser fühlen und das gelang in Moll den Wenigsten. Als die Töne zu ihnen herunter rieselten, kamen sie Eiji auch nicht wirklich traurig vor, aber ein wenig schwermütig, als hätte der Komponist frühere Entscheidungen bedauert.

Um den Tisch wurde erleichtert geseufzt und leise gelacht, als wäre es schlagartig kühler geworden.

Schon nach diesem einen Lied, von dem Eiji nicht einmal sagen konnte ob er es von Anfang bis Ende gespielt hatte, war Kai zurück und bekam zur Belohnung einen Schluck Sake.

Am Morgen darauf lag Tau auf dem Gras und feuchte Stellen zeichneten sich am Holz des Zaunes und auf der Straße ab.
 

Kais Schulleben wurde eine Gradwanderung zwischen den für ihn extremen Lehrmethoden und Sticheleien von Mitschülern auf der einen Seite und schüchterner bis aufdringlicher Bewunderung und hervorragenden Leistungen in Fächern, deren Unterricht nicht aus sturem Pauken bestand, auf der anderen. Eiji bekam es aus erster Hand mit. Jeder anonyme Liebesbrief in seinem Schuhfach für den er angepöbelt wurde, das Starren und Kichern.

Sie verbrachten nicht viel Schulzeit miteinander, da man Kai eine Stufe unter Eiji eingeschult hatte, aber außerhalb, an den Wochenenden, saßen sie im Garten, oft jeder in seinem, Kai auf der Hollywoodschaukel und Eiji auf der Veranda, mit dem Zaun zwischen und einem Radio neben sich, auf den gleichen Sender gestellt, summten oder sangen mit. Die Gärten waren nicht so groß, als das man sich nicht trotzdem gut verstanden hätte, wenn jemand etwas sagte.

Manchmal las Kai auch laut. Er las viel, fand Eiji, der außerhalb der Schule möglichst keinem Druckerzeugnis zu nahe kam, das nicht zu mindestens 85 % aus Zeichnungen bestand. Aber wenn Kai vorlas schloss er die Augen und hörte zu, sah die Worte hinter seinen Lidern zu Bildern und Bilder zu Geschichten werden.
 

Im zweiten Sommer ließ Kais Mutter junge Kirschbäume in ihrem Garten pflanzen, wo sonst, wie auch bei Eiji, nur Pflaumenbäume wuchsen. Für Eiji Anlass genug Kai und seiner Mutter die Legende der Kirschblüten zu erzählen.

"Unter Kirschbäumen liegen Menschen begraben. Die Bäume graben ihre Wurzeln tief in die Körper, nehmen das Blut mit dem Wasser der Erde auf und tragen es hoch, wo es die weißen Blühten rosig färbt", berichtete er in Schauerstimme, aber Kais Mutter lächelte.

Aber Kai war es, der zuerst sprach: "Das glaub ich sogar, nach allem was ich so über Japans Geschichte gelesen hab. Vielleicht nich das überall Leichen liegen aber das die Erde blutgetränkt ist, das schon."

"Ja, wir sind ein zänkisches Völkchen", lachte Eiji.

"Eine schöne Geschichte", sagte Kais Mutter leise, "wie aus vergangenem Leben neues entsteht..."

Eiji musste zugeben, dass er das noch nie so betrachtete hatte und nickte gedankenvoll.

Kai betrachtete den Humus um die Wurzelballen der beiden verblüten und noch fruchtlosen Bäumchen. "Da ist sicher kein Blut drin... dann können wir die Theorie gleich testen. Ob sie wohl trotzdem rosa blühen nächstes Jahr?"

Eiji kicherte und zerwuschelte Kais perfekten, glatten Schopf. Der wich zurück und versuchte Eijis Hände festzuhalten und so fiel ihnen nicht auf das seine Mutter sich mit der Gartenschere in den Finger ritzte und ein paar samtig weinrote Tropfen auf den Humus fallen ließ. Eiji sah es zuerst und starrte perplex auf die schwarzen Punkte um die dünnen Stämme. Kai bekam seine Gelenke noch zu fassen ehe er seinem Blick folgte. Kais Mutter strahlte die Jungs vergnügt an:

"Sei nich so ernst. An manche Sachen kann man ruhig einfach glauben." Sie legte die Schere in eine von Eijis offenen Händen. "Ich werd uns mal was Kühles zu Trinken holen."

Zwei Augenpaare folgten ihr bis zur Hintertür, wanderten dann zur Schere und sahen schließlich einander an. Kai ließ Eijis Handgelenke los als der die Schere ganz ergriff. Eiji lächelte und schnitt mit einer der Schneiden einen kleinen Finger an. Kai benutzte gleichzeitig die andere und sie gaben den Kirschblüten ein bisschen Farbe.

Es hatte nicht lange gedauert, zwei oder drei Monate, und Kai hatte sich mit der Schule angefreundet, oder vielmehr sie sich mit ihm. Das Starren und Kichern reduzierte sich auf ein normales Maß für einen Jungen seines Alters und dem, dass musste Eiji inzwischen zugeben, durchaus angenehmen Äußeren. Ganz in neidloser Männerfreundschaft gesprochen. Das fiel ihm auch leicht, jetzt wo ihm die Pubertät gnädig gesonnen war und er am White Day das erste Mal so richtig abgesahnt hatte.

In diesem Jahr bekam Kai zum Geburtstag den winzigen, roten Langhaarteckel. Kai war kein besonderer Freund von Dackeln aber der Hund musste ihm nur einmal über die Hand schlabbern und schon war er ihm restlos verfallen. Bero war also eine durchaus gelungene Namenswahl, auch für eine Hündin.

Und obwohl Eiji hartnäckig quengelte wurde ihm kein Hund erlaubt, den er dann hätte Baba rufen können. Nicht einmal als er vorschlug einen Doppelnamen daraus zu machen und ihn zusätzlich nach seinem Vater zu benennen.
 

Anes Fortgang zur Universität wurde für Eiji nicht so leicht wie er gedacht hatte. Sie hatte sich als durchaus erträgliche ältere Schwester einen Platz in seinem Herzen zurechtgeharkt und für einige Wochen war es ein seltsames und beklemmendes Gefühl wenn beim Essen ihr Stuhl leer blieb. Eijis Mutter fand seinen Herzschmerz so rührend, dass sie ihn sich eines schönen Samstagmorgens schnappte und mit ihm in die Stadt fuhr, wo er sich in einer Tierhandlung aus einem unüberschaubaren Gewusel, in einem 1x1 Meter Tank aus Glas und engmaschigem Gitter, zwei Mäuse aussuchen durfte. Er nahm die Buntesten die er entdecken konnte und bekam auch einen Käfig, Spielzeug und Leckerein, Futter und ein Handbuch für die Nager dazu.

Zuhause räumte er einen Platz in seinem Zimmer für den Käfig frei und richtete ihn ein, ehe er ihn mit in den Garten nahm und dort wartete bis Kai kam. Zusammen suchten sie nach Namen, denn nun wollte Eiji unbedingt deutsche Wörter.

Nach einigem Hin und Her entschied er sich für Hänsel und Gretel. Zwar waren es zwei Mädchen aber Schneeweißchen und Rosenrot waren ihm dann doch zu lang. Kai argumentierte, dass Eiji sich in der Rolle der Hexe nicht so gut machen würde, was dazu führte das sie gehässig Lachen übten und Bero zum Ofen erklärten, dem die armen Kinder auf keinen Fall zum Opfer fallen durften.

Über den Verlauf einer Woche war daraus dann Han und Getu geworden, die bevorzugt nachts in ihrem ratternden kleinen Rad rannten. Es wurde also kurzerhand eingeführt, dass sie für Eijis Schlafenszeit ins Badezimmer ausquartiert werden und alle waren zufrieden.
 

Die Hollywoodschaukel wechselte zum Frühlingsanfang des fünften Jahres den Besitzer. Sie hatte einen Knacks bekommen und weil Kais Vater und Mutter sie praktisch nie benutzen, bekam Kai eine Hängematte zwischen die alten Pflaumenbäume montiert.

Eiji fand es schade um die Schaukel und da in ihrem Garten Sitzgelegenheiten Mangelware waren, erlaubte Eijis Vater, dass er sie haben durfte als sie ausrangiert werden sollte, vorausgesetzt Eiji reparierte sie.

Kai und er werkelten lange an diesem kleinen Knacks, bis sie die ganze Seite der Halterung neu bauen und austauschen mussten. Dankt den Göttern für Baumärkte, die einem alles zurecht sägten und vorbohrten. Das Verbinden der Einzelteile ging mit drei angehämmerten Daumen und einem leicht gequetschten Arm noch glimpflich aus und als die Schaukel wieder stand, setzten sich die Jungs... auf die Veranda, um ihre Verletzungen zu versorgen.

Als im späten Herbst die Blätter beinahe alle gefallen waren, fiel Eiji auf das etwas fehlte wenn er den Zaun betrachtete. Richtig, dieses Jahr hatte er die Kronen der jungen Kirschbäume sehen können ohne auf Zehenspitzen oder der Veranda stehen zu müssen.
 

In diesem Winter nahm niemand die Topfpflanzen aus dem Vorgarten mit ins Haus.

Kais Vater ging morgens eine kleine Runde mit Bero um den Block, Kai ging den selben Weg am Abend und manchmal begleitete Eiji ihn. Sie sprachen selten dabei. Eiji sah auf seine Schuhe und wusste nicht was er sagen sollte und Kais Schweigen war lauter als ein Schreien hätte sein können.

Für mehr als einen Monat verbrachte Kai seine freie Zeit im Krankenhaus, an der Seite seiner Mutter. Eijis Mutter gab ihm gelegentlich Blumen oder eine andere kleine Aufmerksamkeit mit und auf einer Gute-Besserungskarte schrieb auch Eiji seinen Teil.

Sonst allerdings saß er die meiste Zeit in seinem Zimmer am Fenster und sah in den Garten oder zu Kais Fenster, das jetzt so oft dunkel blieb, auch als die Tage kürzer wurden. Eiji wartete bis er Bero aus der Tür wackeln sah und lief dann eilig nach unten, zog Schuhe und Jacke über um Kai nach einigen Schritten Spazierengehen einzuholen und still neben ihm herzutrottet.

Als die Prüfungen näher rückten hatte Eiji keine Zeit mehr zu Warten. Er musste früh anfangen zu lernen, nahm zusätzliche Stunden in der Juku und verbrachte die Abende dort oder an seinem Schreibtisch.
 

Die Einladung zur Trauerfeier kam in den letzten Januartagen. Eijis Mutter liefen Tränen über die Wangen als sie sie ihm zeigte und er selbst versuchte krampfhaft trotz zugeschnürter Kehle zu Schlucken. Diesen Abend verbrachte er wieder am Fenster, wartete darauf dass wenigstens das Licht anging und ihm sagte dass Kai zuhause war. Eine kleine Lampe und Eiji wäre nach drüben gegangen, zur Vordertür, hätte geklingelt und Kai in die Arme genommen, ohne das er etwas hätte sagen müssen, und Eiji hätte sich entschuldigt weil er nicht eher verstanden hatte warum Kais Schweigen so ohrenbetäubend war. Er hätte gesagt das es ihm so ungeheuer leid tat, das er nicht eher gekommen war, er ab jetzt für ihn da sein würde und das es niemals, niemals nötig sein darf das jemand um Trost und Beistand bitten muss.

Es blieb dunkel.

Und als Eiji endlich ins Bett ging, rieb er sich beim Umziehen mit dem Pyjamaoberteil übers Gesicht, weil die Haut seiner Wangen sich ausgetrocknet anfühlte.

Die nächsten Tage verbrachte Eiji wie schlafwandelnd. Er zwang sich, sich wieder aufs Lernen zu konzentrieren, aber jedes Mal wenn er an seinem Fenster vorbeiging, von seinem Schreibtisch aufstand um ins Bad, essen oder zur Schule zu gehen oder von dort zurück kam, glitt sein Blick zu Kais Fenster, hielt er auf dem Weg in und aus dem Haus die Augen nach Lebenszeichen offen.

In der Schule sah er Kai praktisch nicht und machte sich Sorgen ob der ihn wohl bewusst mied. Mehrmals versuche er ihn in Pausen in seinem Klassenraum zu erwischen, aber selbst wenn seine Mitschüler sagten dass er durchaus zum Unterricht erschien, war er nie da wenn Eiji dort war.
 

Zur Trauerfeier schien das Nachbarhaus aus seinem Schlaf zu erwachen, wenn auch nur für ein kurzes Blinzeln.

Auf der Straße reihten sich die Autos von Kais Großeltern väterlicherseits und einigen Frauen, die eng und gern mit Kais Mutter zusammen gearbeitet hatten, aneinander. Auch aus der Nachbarschaft kamen nicht nur Eiji und seine Eltern.

Bevor sie eintraten schrieben seine Mutter und Vater in das Kondolenzbuch. Auch Eiji trug sich ein, schrieb aber nicht mehr als seinen Namen aus Angst er könnte etwas falsch machen, Unpassendes schreiben oder einfach zuviel.

Es gab keine wirkliche Totenwache, denn der Körper war direkt vom Krankenhaus zum Bestatter gebracht und die Einäscherung stillschweigend im engsten Familienkreis vollzogen worden.

Von Kais Mutter war nicht mehr übrig als was in die hölzerne, dick mit schwarz glänzendem Lack überzogene und mit silbernem Blumenmuster verzierte Urne passte. Eiji wusste nicht wie lange er das Gefäß anstarrte in dem ein ganzes Leben steckte. Es wirkte so unpersönlich, so distanziert. Schwarz und Blumen. Und wo waren die langen Abende im Garten, die Bücher die sie für unzählige Menschen ins Japanische übersetzt hatte, die gemütlichen Sonntagsfrühstücke zu Countrymusic und umwölkt vom Duft frischen Brotes aus der leise brummenden Backmaschine?

Er schüttelte den Kopf und wand sich ab, suchte nach seinen Eltern und fand sie bei Kais Vater. Die Urne würde zu ihrer Familie nach Deutschland geschickt werden, Übermorgen schon, sagte seine Mutter ihm später. Eiji bedauerte das nicht. Was sie bekommen würden war die Asche einer Leiche.

Ob Kai darüber traurig war das sie nicht in seiner Nähe bleiben würde? Danach hatte er nicht gefragt, als er ihn nach einigem Suchen oben in seinem Zimmer gefunden hatte.

Mit einem leisen Klopfen kündigte er sich an ehe er die Tür öffnete ohne auf eine Antwort zu warten. Das Klavier stach ihm sofort ins Auge, stand an der Wand gegenüber der mintgrünen Kommode, ein Schreibtisch unter dem Fenster und Kai auf seinem Bett.

Leise zog Eiji die Tür hinter sich zu und setzte sich neben Kai, der die Fotos in den silbernen Bilderrahmen auf der Kommode betrachtete und dabei kaum blinzelte. Er sah so ausgelaugt, so erschöpft aus, dass Eiji der Magen schmerzte. Den Mund schon offen um zu sagen was er sich vorgenommen hatte, vielleicht Kais Blick von den Bildern zu lösen, merkte Eiji, dass sich immer noch jedes Wort zuviel anfühlte. Er sah auf seine im Schoß gefalteten Hände herab und presste die Lippen fest aufeinander, ehe er entschlossen die Arme um Kais Körper schlang und ihn an sich drückte.

Kai ließ sich ziehen, sank schwer gegen Eiji und der fühlte wie die Anspannung im Körper des Jungen sich löste. Er legte das Kinn auf Kais Kopf und spürte das dieser das Gesicht an seiner Brust vergrub. Er weinte nicht, nicht einmal lautlos. Kein Schluchzen, keine Träne mehr.

Eiji blieb lange da, sah sich mit ihm die Bilder an. Erst Kais Vater schickte ihn heim.
 

In den Wochen danach war das Haus wieder in seinen Schlaf gefallen.

Eiji wusste das Kai da war, das er auch lernte, und das half ihm ein wenig, bewahrte ihn vorm schlechten Gewissen als er sich wieder einen Büchern widmen musste.

Die Prüfungen kamen und gingen. Eiji schlief während dessen kaum noch, aß zuhause nur wenn seine Mutter ihn daran erinnerte und schnarchte eineinhalb Tage durch als es vorbei war.

Dann kam die Hitze und jeder war dankbar, dass sie wähend der Prüfungen davon verschont geblieben waren. Eiji hörte die Anderen über ihre Traumunis plaudern und welche Chancen sie haben würden hier oder dort aufgenommen zu werden. Das war etwas worüber er sich noch kaum Gedanken gemacht hatte. Seine größte Sorge waren die Prüfungen an sich gewesen und erst nun da die geschafft waren und er meinte ganz gut dabei abgeschnitten zu haben, dachte er an die Uni. Vermutlich würde er trotzdem auf eine kleine gehen, eine in der Nähe vielleicht. Am Telefon sprach er auch mit Ane darüber und die schlug vor er sie solle im Sommer besuchen kommen. Sicher hatte er einen Abschluss mit dem er auf eine in der Nähe ihrer eigenen Uni kam. Eiji sah durch das Küchenfenster auf das Kräuterbeet seiner Mutter, im Schatten eines der knospenden Pflaumenbäume, und sagte er würde darüber nachdenken.

Die Hitze machte alle träge und er schaute nicht mehr so oft zu Kais Fenster hinauf als die Tage wieder länger wurden, aber die Entscheidung für eine Uni schob er immer weiter vor sich her, weil ihm das unausgesprochene Versprechen nicht aus dem Kopf ging, das er Kai am Abend der Trauerfeier geben hatte.
 

Dieses Jahr hatte er nicht damit gerechnet das Klavier noch einmal zu hören und als es so jäh abbrach atmete er tief ein, senkte den Blick und sah dabei, über den Zaun hinweg, die Kronen der jungen Kirschbäume die dünnen Zweige recken. Die kleinen Blätter waren hellgrün oder gelb, die Blüten kaum aufgegangen. Eiji stellte das Glas neben der Tür auf die Bretter, durchquerte den Garten. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen um mit dem Arm über den Zaun an die Blätter zu reichen. Zwischen Ring- und Mittelfinger ließ er den Stiel einer halboffenen Blüte gleiten und bei der Berührung zerfiel sie in seiner Hand. Er nahm sie mit über den Zaun als er sich zurückzog und hörte oben einen kraftvollen, dunklen Ton von den Saiten des Klaviers, durch Zimmer und Fenster kriechen, und beinahe verklingen ehe weitere folgten, schwer, beengend. Keine Schmetterlinge mehr sondern etwas Formloses, Körperloses, das durch jede Pore sickerte, sich um Brust und Kehle legte und sie zusammendrückte.

Eiji sah hoch zum Fenster und ließ die Blüte fallen, wand sich um und schnappte auf dem Weg zurück den iPod von der Schaukel. Mit dem und dem Glas verschwand er im Haus und ließ sich im Wohnzimmer auf den Boden fallen. Er fühlte sich als würde er jeden Moment entweder losheulen oder sich übergeben. Wer hätte jemals ahnen können das eine einfache Melodie so eine Wirkung auf ihn haben konnte, wenn sie aus dem richtigen Instrument... nein, aus den falschen Fingern kam.

Eine Hand angelte nach der Fernsehfernbedienung und er schaltete ihn an, zappte kurz durch die Kanäle und drehte sich dann auf den Rücken, sah sich die Show kopfüber an bis seine Mutter heim kam und ihn zum Bodenwischen abkommandierte.
 

Unregelmäßiges Klopfen weckte ihn am folgenden Morgen und er knurrte als er sich die Mühe machte die Augen zu öffnen, nur um auf dem Wecker zu sehen das es noch nicht einmal 9 war. Eiji drehte sich auf die andere Seite und versuchte wieder einzuschlafen, aber dieses penetrante Klopfen wollte und wollte nicht aufhören und schließlich setzte er sich genervt auf. Nur um auf den ersten wachen Blick zu sehen, dass seine Fenster ganz verschwommen waren. Nicht alles daran, nur die Scheiben. Vom Wasser das in Strömen daran herunter floss.

Eiji sprang aus dem Bett und schnappte seine Yukata vom Bürostuhl, lief nach unten.

"Es regnet", berichtete er seinem Vater auf dem Flur, als der gerade Richtung Bad unterwegs war.

"Die ganze Nacht schon, du Blitzmerker" murmelte der desinteressiert ,aber Eiji war bereits auf der Treppe und keine fünf Sekunden später an der Verandatür, riss sie auf nur um von einem Schwall dicker Tropfen wie von zig kleinen Fäusten an den Beinen getroffen zu werden.

Er ging trotzdem raus, zog die Tür hinter sich zu und hüpfte von der Veranda direkt auf den Rasen. Oder in das was gestern noch Rasen gewesen war, denn heute ähnelte es eher einer einzigen, großen Pfütze.

Seine Pyjamahose war im Eimer und alles andere bereits durchweicht bevor er einen weiteren Schritt getan hatte, aber auf seinem Gesicht prangt ein glückseliges Grinsen.

Irgendwo in der Ferne rollte Donner über den Himmel und er kam nicht umhin sich zu fragen, ob er ein ganzes Gewitter verschlafen hatte, während er zum Zaun hastete. Es war nicht ganz das Wunder, das sich in den Minuten seit seinem Aufwachen in Eijis Kopf geformt hatte wie die Bilder aus Kais Büchern. Einem großen Teil der Blätter und Blüten hatte der Regen das endgültige Ende bereitet, sie von den Zweigen geschlagen und am Boden ertränkt, aber die die noch da waren, die wenigen Hartnäckigen, waren aufgegangen und leuchteten Leben in den trüben Morgen.

Eiji sah hoch zum Fenster und fand es geschlossen und zugezogen. Er legte den Kopf auf den Zaun, betrachtete die rosa Flecke im grün-grauen Garten, bis platschende und quietschende Geräusche ihn ablenkten.

"Regenmacher", flüsterte Eiji und sehr langsam kehrte das Grinsen zurück.

"Träumer", erwiderte Kai sanft lachend.
 

Ende



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