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Ein Katzenhai im Bullennest

von

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Beförderung zum Superschurken

X. Beförderung zum Superschurken
 

“Hallo, Bruderherz, wie geht es dir?“, fragte Merle durch das Telefon.
 

Weitere Tage waren vergangen, ohne dass sie im Falle Schnurrer entscheidend weitergekommen wären. Es war, als habe er sich einfach in Luft aufgelöst. Genauso wie sein Kaffee – und infolgedessen irgendeine Hirnregion von ihm.
 

David saß in Freizeitkluft in der Küche und starrte die blubbernde Kaffemaschine an. Vielleicht war das so wie mit den Socken, die man in die Waschmaschine steckte und die danach nie wieder gesehen wurden? Aber erst neuerdings?
 

„Ganz in Ordnung“, erwiderte er und meinte es ausnahmsweise auch ansatzweise so. „Tripper tut mir wohl echt gut. Ist schon besser so, auch wenn es davon auch nicht weggeht, natürlich. Will ich ja auch nicht!“
 

„Sicher, David. Niemand kann dir das nehmen. Soll ja auch nicht so sein. Aber ein bisschen wieder leben zu lernen, das wäre schön“, hoffte sie vorsichtig.
 

David seufzte. Er wusste ja, dass das von ihm erwartet wurde. Theo selbst hatte ihm das auch mit auf den Weg gegeben. Er solle weiterleben, wieder glücklich werden. Er hätte das, wenn es andersherum gewesen wäre, Theo ja auch gewünscht, aber es umzusetzen war verflucht schwer, besonders, wenn man die Vergangenheit nicht Vergangenheit lassen wollte. Er wollte in ihr leben, doch das ging nicht. Er hing irgendwie dazwischen, das wusste er auch. „Ja“, erwiderte er langsam. „Ich tue, was ich kann.“
 

„Ich weiß“, erwiderte sie. „Kommst du uns bald mal wieder besuchen? Die Kinder und Martin würden sich auch freuen! Am nächsten oder übernächsten Wochenende vielleicht? Wir können essen gehen und ein bisschen spazieren?“
 

„Klar, wenn nichts Dienstliches dazwischen kommt, gerne. Ich will euch aber nicht auf den Zeiger gehen!“, zierte er sich.
 

„Also wirklich! Natürlich tust du das nicht!“, empörte sich Merle. „Wir sind deine Familie! Es ist doch klar, dass wir uns um dich kümmern, wenn es dir schlechtgeht!“
 

Bei Merles Mann Martin war er sich nicht so sicher, ob ihm der Umstand, dass Merle ihn in seiner Trauer von oben bis unten begluckt hatte, nicht doch teilweise auf den Nerv gegangen war. Er hatte zwar nichts gesagt, aber David hatte da so ein Gefühl. Martin war kein übler Kerl, aber wenn sich die Ehefrau rund um die Uhr um ihren verwitweten Bruder kümmert, blieb für ihn und die Kinder wenig übrig. Da hatte David schon ein schlechtes Gewissen und wollte den Bogen auch nicht überspannen. Aber ein einfaches Familientreffen war schon in Ordnung, in letzter Zeit war er ja wieder halbwegs auf die Beine gekommen, auch wenn sie sich beim Marschieren taub anfühlen mochten. Mit seinen Eltern war nicht viel zu wollen, seine Mutter war bereits verstorben, als er und Merle gerade flügge geworden waren, auch hier hatte der Krebs zugeschlagen. Ihr Vater residierte in einem Pflegeheim und erkannte sie nur an wirklich guten Tagen. Er war erst mit fünfzig Vater geworden, da war ihnen nicht so viel Zeit geblieben. Seine Familie war vor allem Merle.
 

„Ich lade euch ein!“, beschloss David.
 

„Musst du nicht!“, wehrte sich Merle.
 

„Will ich aber!“, schaltete er auf stur.
 

„Dickkopp!“, neckte sie ihn freundlich.
 

„Immer“, grinste er in den Hörer.
 

Aus dem Wohnzimmer, in dem noch immer der Fernseher mit dem Abendprogramm lief, kam plötzlich ein Riesenradau. David sprang auf und eilte, den Hörer am Ohr, hinüber.
 

Tripper war anscheinend einem Anfall von Katzenwahnsinn erlegen – und das ganz ohne Laserpointerbeschuss. Er flitzte unkoordiniert im Zickzack durch den Raum und gab irre Fauchlaute von sich. Katzen machten das manchmal aus unerfindlichen Gründen, aber befremdlich sah es schon aus.
 

„Was ist los?“, fragte Merle.
 

„Der Kater hat seine verrückten fünf Minuten. Oh Mann, das sieht aus!“, kicherte David.
 

„Ja, das können sie!“, lachte Merle mit.
 

Davids Blick fiel auf den Bildschirm und erstarrte. „Was?“, stammelte er.
 

„David?“, fragte Merle besorgt.
 

„Moment! Psst! Da kommt etwas in den Nachrichten!“ Er manövrierte um den tobenden Kater herum und ließ sich auf die Couch plumpsen. Fassungslos blickte er das Bild an. „Ach du Schande!“, stammelte er. „Merle, ich muss schlussmachen! Ich melde mich!“
 

„Bis dann!“, verabschiedete sie sich rasch. Sie wusste, dass er, wenn etwas Dienstliches war, sich zumeist sehr sputen musste.
 

Er ließ den Hörer sinken. Noch hatte er es nicht eilig, doch das würde sich vermutlich rasch ändern. Auf dem Bildschirm war Nox Schnurrer zu sehen, ein Foto von ihm, auf dem er dem Klischee eines schmierigen, skrupellosen Geldhais ziemlich exakt entsprach: zurückgegeltes Haar, siegesgeiles Grinsen, sauteurer Anzug.
 

Gebannt lauschte er über das durchgedrehte Jaulen und Knurren der Katze hinweg, was nicht ganz einfach war. Den Beginn der Meldung hatte er verpasst, aber die Informationen setzten sich dennoch rasch zusammen.
 

K & K-Enterprises hatten eine Pressekonferenz anberaumt, in der sie den drohenden Bankrott des Unternehmens verkündet hatten. Die Hauptschuld läge bei einem Juniormanager namens Nox Schnurrer, der sich im großen Stil verkalkuliert habe, obendrein Gelder veruntreut und bereits untergetaucht sei. Jetzt war er es, der hier knurrte. Heiße Wut schoss in ihm empor. Er hatte es ja geahnt, dass die ihnen auf der Nase herum getanzt waren! Hatten stichhaltige Informationen unterschlagen und umgingen mit Schnurrers Bloßstellung die Prinzipien des Rechtsstaates! Sie waren hier nicht in Amerika! Hier war jeder so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen war! Sicher könnte Schnurrer für all das verantwortlich sein, aber das hatte ein Gericht zu entscheiden! Sein Bild einfach so zu senden – die konnten was erleben! Die mochten ihn und Lydia für zwei unbedeutende Beamtenärsche halten, aber sie repräsentierten hier den Staat, nicht irgendein Unternehmen. Und mit dem Staat war nicht zu spaßen!
 

Mit zusammengekniffenen Lippen starrte er auf Schnurrers Bild. Selbstherrliche Arroganz schien auf dieser Aufnahme in seinen Augen zu stehen. Hatte er das wirklich getan? Ein milliardenschweres Unternehmen in den Dreck gefahren und obendrein noch im großen Stil beklaut? Möglich. Aber möglich war alles. Leicht zu überzeugen war David nicht. Er war schließlich Polizist.
 

„Na wartet!“, grollte er.
 

………………….
 

Nox war sich sicher, aus purer Hysterie zu krepieren.
 

Er hatte gedacht, dass es schlecht um ihn stünde? Mitnichten! Jetzt war es aus mit ihm! Aus und vorbei! Er war tot, erledigt, zu Wurmscheiße verdampft! Die steckten ihm doch allen Ernstes eiskalt die Schuld für den ganzen Irrsinn in die Schuhe, den sie verbockt hatten! Die, nicht er! Ohne seine Aktionen wäre der Untergang schon längst da gewesen! Er war es gewesen, der Bartholdi diskret mit den Insider-Informationen versorgt hatte, die sie über Wasser gehalten hatten, und der hatte nie gefragt, woher er sie hatte. Natürlich nicht. Dass er sie wohl kaum auf dem rechten Wege bekommen hatte, dürfte dem Alten mehr als klar gewesen sein. Bartholdi mochte zwar gern den Gentleman der alten Schule spielen, aber er war ein Hai in einem Teich voller Goldfische. Und er war einer davon gewesen, selbst wenn er sich dabei auch wie ein Hai gefühlt haben mochte. Das war ein Trugschluss gewesen. Im Punkte Skrupellosigkeit und Gerissenheit war er eine Jammerfigur im Vergleich zu seinem Ex-Boss. Jede Wette, dass er ihm das zu verdanken hatte, was ihm jetzt angetan wurde! Er hatte überhaupt nichts veruntreut! Das hätte nicht gelohnt, denn er wollte ja im Spiel bleiben! Es ging um das Spiel, die Jagd, die Beute, verdammt! Aber für einen Laden wie den seinen war es ein Leichtes, so etwas ausgesprochen überzeugend zu fälschen. Da wusch eine Hand die andere, und sie hatten wahre Virtuosen in diesem Metier auf ihren Lohnlisten! Nie im Leben hätte sich die Firma so lange halten können, wenn da nicht jemand äußerst professionell an den Bilanzen gedreht hätte! Das hatte ihm nie Kopfschmerzen beschert, aber dafür jetzt umso mehr, da er durch den Wolf gedreht wurde!
 

Er war nicht bloß seinen Job los, sondern alles, alles! Wenn man ihn fände, würde er bis an sein Lebensende die schwedischen Gardinen von innen betrachten dürfen! Sein Blut fühlte sich an, wie zu Eiskristallen erstarrt. Sein Verschwinden hatte ihnen die Möglichkeit gegeben, ihn zum Sündenbock zu machen – und die hatten sie genutzt. War ja klar gewesen, dass ihnen sein Schicksal scheißegal war! Sein Fernbleiben hatte ihnen eine Steilvorlage geliefert! Er hatte die nötigen Informationen nicht geliefert – nun gut, dann half er eben, indem man ihn zum Hörnchen machte!
 

Ihm war plötzlich speiübel, aber er würde der Sache nicht auch noch die Krone aufsetzen, indem er hilflos halbverdautes Katzenfutter auf den Möbelmarkt-Teppich kotzte, obwohl ihm exakt danach war.
 

Hektisch sah er sich um. Davids Wohnzimmer. War es das, was vor ihm lag, bis an sein Lebensende? Oder nach Australien? Wie denn ohne Pass, ohne Geld, ohne alles! Geld könnten seine Eltern ihm vielleicht irgendwie schicken, wenn er sie erreichen könnte, oder vielleicht könnte er in Katzenform als blinder Passagier auf einem Frachtschiff dahin dümpeln? Ohne alles durch die Wüste irren, bis er endlich bei ihnen wäre, und sie das, was von ihm noch übrig sein würde, erniedrigt, zerkratzt, verzweifelt, in Empfang nehmen würden? Sie würden alles für ihn tun, ihn pflegen, ihn trösten, aber …
 

Nein! Das konnte doch wirklich nicht wahr sein! Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, irgendwie war er durch die Gegend gesprungen wie ein Flummi, er erinnerte es kaum. David schrie den Fernseher an. Sollte er ruhig, der hatte ja keine Ahnung!
 

Mit grimmiger Miene fuhr David herum. „Tut mir leid, Tripper!“, sagte er ernst mit malmendem Kiefer. „Ich muss nochmal los! Wird nichts mit unserem gemütlichen Abend. Spiel ein bisschen oder schlaf!“ Diesen bescheuerten Ratschlag von sich gebend hastete er bereits gen Tür.
 

Spielen? Schlafen? Ich glaub, es hackt, David! Ist mir irgendwie gerade gar nicht nach, komisch, wo doch gerade mein Leben endgültig vor die Hunde geht! Denn dieses eine Mal stimmt es wirklich:
 

Ich war’s nicht!!!
 

Sei ein braver Bulle und finde das raus, okay? Bitte? Vielleicht?
 

…………………………….
 

David presste sein Gesicht in beide Handflächen. Diese Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen, und es wurde immer schlimmer. Was als eine vage Vermisstenmeldung begonnen hatte, hatte sich inzwischen zu einem Kapitaldelikt mit immer größer werdender Reichweite gemausert. Es ging um irrsinnig viel Geld. Rohstoffe. Aktienkurse. Ganze Volkswirtschaften. Arbeitsplätze. Steuern. Und, und, und … Die Staatsanwaltschaft rotierte, die Presse lief Amok. Nicht zuletzt gingen sie K & K-Enterprises auch wegen ihres Vorgehens an die Gurgel, immerhin. Immer mehr Beamte wurden zu dem Fall hinzugezogen, Finanz- und Computerexperten der Polizei und verbundener Behörden, die Unterlagen sichteten, auswerteten, nachvollzogen. Das hier ging weit über seine Krangenweite hinaus, stattdessen war ein Team unter der Leitung eines Polizeidirektors eingerichtet worden, zu dem immer mehr Leute stießen. Ein heilloses Chaos. Immerhin waren er und Lydia immer noch dabei, auch wenn die von ihnen zusammengetragenen Informationen bisher ja zu nichts und wieder nichts geführt hatten. Schnurrers Verbleib blieb nach wie vor ungewiss. Unsummen waren es, die er sich unter den Nagel gerissen haben sollte, sonst wohin umgebucht, verteilt, rückgebucht, umbenannt, gesplittet, was auch immer, um darüber verfügen zu können, bisher wusste man noch nichts Genaues. Wenn er das wirklich getan und damit Erfolg haben sollte, würde er als größter – und reichster – Wirtschaftsverbrecher aller Zeiten in die Geschichte eingehen. War das aus dem wilden Jungen vom Dorfe geworden? Vielleicht. Vielleicht lief hier auch etwas ganz Anderes. Man musste immer wachsam bleiben, zuweilen wurden einem die schlimmsten Lügen von jenen aufgetischt, die die ehrlichsten Gesichter zeigten.
 

Irgendwann in den Morgenstunden schlurfte er nach Hause.
 

Tripper wartete im Bett auf ihn. Seine bernsteinfarbenen Augen blitzten ihn im Schein des Mondes klagend an. Erschöpft kroch er neben ihn und tat sich schwer damit, trotz der Müdigkeit Ruhe zu finden, zu viel drehte sich in seinem Kopf. Das Gefühl des warmen Katzenkörpers, der sich an sein Bein kuschelte, lullte ihn schließlich ein.
 

Viel Schlaf war ihm nicht vergönnt, der Wecker klingelte gnadenlos. Die Pause war ihm nur zugestanden worden, da, während die Finanz- und Computerexperten am Werke gewesen waren, kaum etwas für ihn zu tun übrig geblieben war in den tiefen Stunden der Nacht.
 

Er tat einen Extra-Löffel Pulver in die Kaffeemaschine, ließ sie laufen, während er sich fertig machte, dann fütterte er den Kater und füllte sich seine Tasse. Ein Frühstücksbrötchen würde er sich unterwegs besorgen, im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Tripper nagte merkwürdig lustlos an seinem Essen herum, vielleicht färbte seine eigene Stimmung auf das Tier ab? Katzen hatten ja einen siebten Sinn für so etwas.
 

„Ach, Tripper, was für eine Scheiße!“, stöhnte er. „So ein Riesenchaos! Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Irgendwie passt es natürlich perfekt: ein eitler Oberyuppie, der sich verzockt hat und dann den eigenen Arsch samt geklauter Sonderprämie in Sicherheit bringt, wohin auch immer. Ich kenne mich mit diesem ganzen Transaktions-Kram ja nicht so aus, ist ja auch nicht meine Aufgabe. So etwas gab es im Zuge der Finanzkrise ja mehr als ein Mal. Der Berufstand hatte definitiv schon mal ein besseres Image. Doch irgendwie ist es komisch. Schnurrer ist komisch. Diese Geschichten über ihn früher … ein Einzelgänger, Grenzgänger, charismatischer Sonderling, wie passt das zu diesem platten, aalglatten Gierlappen, der er geworden sein soll? Dieser Person, die überhaupt keine Persönlichkeit zu haben scheint? Menschen ändern sich, alles kann sein, aber es kommt mir doch sehr merkwürdig vor. Bewiesen ist hier gar nichts! Da sind auch ganz andere Szenarien denkbar, inklusive dem, dass Schnurrer keinesfalls unter Palmen sein Leben genießt, sondern aus dem Wege geräumt wurde, um einen Sündenbock zu haben. Oder gar, dass beides gar nichts miteinander zu tun hat! Vielleicht bin ich paranoid, aber das ist bei Ermittlungsarbeit zuweilen durchaus nützlich! Traue keinem außer den Deinen, hat mein Vater früher immer gesagt. Recht hat er!“
 

Der Kater strich ihm schnurrend um die Knöchel.
 

……………….
 

„Er war’s“, sagte Lydia knapp. Auch sie sah gestresst und übermüdet aus, da verschonte sie ihr Beruf nun einmal nicht, wenn es heiß herging. Und gerade ging es feurig zu. Die von Schnurrer auf unterschiedlichem Wege herbeigeführten Verluste gingen in Höhen, bei denen David beim Schreiben sehr konzentriert die Nullen zählen musste. Solche Beträge waren ziemlich jenseits der Vorstellbarkeit, damit hätte Dagobert Duck mehrere Geldspeicher füllen können.
 

David atmete tief durch. „Wirklich?“, fragte er nach. Sie saßen einander gegenüber in dem Großraumbüro, in das die zentrale Fahndungskommission verlegt worden war. Sie hatten den Katzentisch bekommen.
 

„Sieht ganz danach aus. Den finalen Schlag hat er offensichtlich erst vor Kurzem ausgeführt, als er bereits untergetaucht war, so wollen es die Daten. Sie wissen noch nicht, von wo aus. Schnurrer muss nicht nur ein Finanz-, sondern auch ein Computergenie sein. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat er eine Art Kescher konstruiert, der weit verästelt von einem virtuellen Punkt aus gezogen werden konnte, um alles zu grabschen und dahin umzuleiten, wo er das haben wollte. An vieles ist kein Rankommen, da von irgendwelchen Schurkenstaaten gedeckt oder schlichtweg unauffindbar im Dschungel der Finanzwelt. Was das Offizielle angeht: anscheinend hat er eine riesige Spekulationsblase gezüchtet, auf höchstes Risiko gespielt, und als sie geplatzt ist, hat er Plan B gestartet“, fasste sie zusammen.
 

„Sind sie sich ganz sicher?“, bohrte er nach.
 

Lydia nickte. „So zumindest der Stand der Dinge, wie die leitende Kommission und die beratenden Experten sie sehen. Gut für K & K-Enterprises, so können sie auf staatliche Rettungspakete spekulieren, da sie ja betrogen wurden – auch wenn sie Schnurrer ja gründlicher auf die Finger hätten blicken können. Immerhin war’s nur das schwarze Schaf, nicht der ganze Laden. Als wir gefragt haben, war er ja noch Mitarbeiter des Monats.“
 

„Was ist mit Geißler? Mit dem hat er doch im selben Ressort gearbeitet?“, fragte David.
 

„Überprüfen sie noch. Aber bisher scheint er sauber zu sein“, erwiderte Lydia. „Schnurrers Hals-über-Kopf verschwinden soll demnach nur eine Verwirrtaktik gewesen sein.“
 

David runzelte die Brauen. „Sagt wer?“, fragte er.
 

„Polizeidirektor Stiller“, antwortete sie nur.
 

Er seufzte. Die Polizei war streng hierarchisch gegliedert, auch wenn im täglichen Umgang der Kollegen untereinander ein lockerer Ton herrschen mochte. Das bindende Fazit in der Sache zog der Ranghöchste, die Ermittlungsergebnisse aller berücksichtigend. Ihre Informationen zu Schnurrer lagen Stiller vor, aber vage Psychogramme ersetzten nun mal keine Fakten.
 

Dennoch … irgendetwas war da. Er war nicht der Typ, der auf sein Bauchgefühl oder seinen Instinkt pochte, das war ein viel zu wackeliger Grund, dennoch stieß ihm diese Sache sauer auf, auch wenn er nicht wusste, warum.
 

Die nächste höchst unlogische Sache lauerte zu Hause auf ihn. Heute war er mit Konzentration zur Sache gegangen. Der Kater hatte bereits gemütlich auf der Couch herumgedöst, als er extra, bereits in Schuhen und Jacke, zurück in die Küche geflitzt war und sich den Füllstand der Kanne eingeprägt hatte. Jetzt war sie zwar nicht komplett leer, aber es fehlte mindestens eine Tasse! Er glaubte nicht an Gespenster. Und was für ein Gespenst trank seinen Kaffee statt rum zu spuken!
 

Theo … ?
 

Nein! Nein, nein, nein, solche irren, ihn folternden Gedanken durfte er gar nicht erst zulassen. Theo trank keinen Kaffee, Theo trank nie wieder Kaffee, nie wieder, nie wieder …
 

Nein, irgendjemand anderes tat sich daran gütlich, der nicht aus dem Reich der Toten oder der Legenden in seine Küche geschneit kam!
 

Die Trauer, die wie ein scharfer Eiszapfen in seinem Herzen steckte, bekämpfte er mit Wut. Wut über dieses ganze wirre, krude Kuddelmuddel, das ihm das Gefühl der Hilflosigkeit und beginnenden Verkalkung aufnötigte. Schnaubend griff er in die Küchenschublade und zückte eine Rolle Tesafilm, dann flitzte er hoch ins Arbeitszimmer, schnappte sich Bleistift und Anspitzer, raste wieder runter. Ein bisschen Graphit abreiben, schön über die Kanne stäuben und dann nichts wie drauf mit dem Tesafilm. Sicher ging das auch professioneller, aber das hier war greifbar und ging auch. Er schnappte sich ein weißes Blatt aus seiner Aktentasche und klebte seine Beute fein säuberlich auf. Scharf die Luft einziehend betrachtete er das Ergebnis. Seine eigenen Fingerabdrücke erkannte er gut, damit hatte er sich schon in der Ausbildung übungsweise intensiv auseinandersetzen dürfen. DNA-Tests hin oder her, das hier brachte zuweilen auch schon viel. Gute, alte, gediegene Polizeiarbeit.
 

Er hatte mitnichten begonnen, seinen Verstand oder zumindest sein Erinnerungsvermögen zu verlieren! Das war tröstlich und zumindest ein Erfolgserlebnis – aber es bedeutete auch, dass jemand wirklich von seinem Kaffee soff! In seinem Haus! In seiner Küche! Frechheit!
 

Jemand mit den merkwürdigsten Abdrücken, die er je gesehen hatte! Ihm fröstelte kurz wieder etwas ungut. Von der Größe und Form der Abdrücke her dürfte es ein Mann sein. Der untere Teil der Kuppen sah normal aus, der obere Teil hingegen war seltsam deformiert. Trug der irgendwelche sehr komischen – und sehr unnützen – Handschuhe? Jedenfalls fehlte oben das typische Muster der Haut, stattdessen waren kleine Punkte zu erkennen. Wie zur Hölle kam denn so etwas zustande? Hatte er doch Dämonenbefall?
 

Blödsinn! Was sollte das auch bitte für ein Dämon sein! Einer, der lieber Kaffee als Seelen zu sich nahm? Sehr erbärmlich! Und totaler Schwachsinn natürlich!
 

Er fuhr herum. Irgendwer war hier gewesen! Und das waren garantiert nicht die einzigen Spuren, die er hinterlassen hatte!
 

Das Schrillen des Telefons riss ihn aus seinem Elan. Ruckartig riss er den Hörer an sich. „Schwarz!“, brüllte er hinein, als habe er seinen unbekannten Hausgast in flagranti an seinen Kaffeebeständen erwischt.
 

„Mayer-Wennhöf hier. Direktor Stiller will sie sprechen. Sofort“, kam eine ihm vage bekannte Stimme aus dem Hörer. Irgendeine Kollegin aus dem Dunstkreis des Big Boss, na toll. Aber was blieb ihm? Das war keine freundliche Einladung, sondern eine Dienstanweisung. Verdammter Mist!
 

„Bin schon auf dem Weg!“, erwiderte er knapp, kappte das Gespräch grußlos und raste los. Im Wohnzimmer bremste er kurz. Tripper lag auf seinem Lieblingskissen und musterte ihn aufmerksam.
 

„Mann, Tripper, was ist hier los!“, musste er loswerden. „Wenn ich nur wüsste, was du weißt! Aber was immer hier los ist, außer dem Kaffee ist hier hoffentlich vorerst niemand in Gefahr!“
 

………….
 

Wie man’s nahm.
 

Mit ihm war es eh aus, wie sollte er da noch in Gefahr sein? Ach ja, er könnte obendrein noch in eine geheime Forschungseinrichtung verschleppt werden, auf dem Titelblatt der Klatschpresse als vermeintlicher Alien vorgeführt werden, seine Familie ans Messer liefern oder schlichtweg für immer und ewig in den Knast wandern. In Katzenform kam er da vielleicht sogar wieder raus, aber was dann bitteschön? Irgendetwas gab es immer. Knast war noch das Beste, das ihm passieren konnte, gefolgt von einem Leben im Versteck, schlimmstenfalls in dieser verdammten Catman-Gestalt.
 

Oh wie schön, er war aufgestiegen: vom lausigen Superhelden oder erbärmlichen Mutanten zum Obermegaschurken. Wer war er jetzt? Mean Mietzi? Terror Tripper? Der Joker war eine lahme Nummer im Vergleich zu ihm. Aber der Joker hätte seine Visage auch von seinem albernen Anblick bekommen können, der war auch hyperätzend.
 

Aber was hatte David da geredet? Kaffee? Oh, oh, das auch noch, Scheiße! Sein einziger kleiner Luxus, und David merkte es natürlich! Die Brühe war doch eh nur noch zum Wegkippen gewesen. Was hatte er so dämlich sein müssen! Aktuell ging ja nachweislich alles schief, das selbstredend auch. Selbst schuld.
 

Was jetzt? Hysterisch werden? Er konnte nicht mehr, das Limit war erreicht. Was sollte David schon folgern? Garantiert nicht die Wahrheit, jedenfalls nicht, was ihn anging.
 

Er tapste in Richtung des Kellers.
 

Abwarten und Tee trinken. Aber bloß nicht im wörtlichen Sinne! Wenn es zu brenzlig wurde, musste er wohl oder übel sein Heil in der Flucht versuchen. Vielleicht schaffte er es, sich nicht schnappen zu lassen oder endgültig seinem Katzenich anheimzufallen, während er in dieser Form Deckung suchen musste.
 

Jaja, Superschurken hatten es echt nicht leicht.
 

Blöderweise verloren sie obendrein auch noch immer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Witch23
2012-10-21T16:55:55+00:00 21.10.2012 18:55
Klar das "Tripper" da aus tickt. Aber jetzt bin ich echt gespannt.

Ich könnte mir vorstellen das Nox David bei seinen Ermittlungen ganz gut helfen könnte wenn der gute David mal herausbekommt das Nox eben sein Tripper ist ... seltsamer Satz aber weiter.

Spannende Geschichte.
Von:  Salix
2012-08-29T19:05:50+00:00 29.08.2012 21:05
Ich freu mich ebenfalls sehr, dass es weitergeht.

Hm, und gleich mit nem Sündenbockkaterchen. Finanzhai, Kater und nun noch Sündenbock, Nox sammelt da ganz schön viele Tierbezeichnungen an. Ein Finanzhaisündenbockkater ist er jetzt wohl. :P

Ich mag das Kapitel wieder sehr gerne.

LG
Von:  Kiya-re
2012-08-26T12:10:13+00:00 26.08.2012 14:10
Ju ^^

Es geht weiter. *freu*
Langsam wird die Sache brenzlig für den lieben Tripper.
Bin gespannt wie lange es noch dauert bis Davuíd die Wahrheit heraus findet.
Ein weiteres sehr spannendes Kapitel.

lg Kiya
Von:  Kris18
2012-08-26T07:29:10+00:00 26.08.2012 09:29
Vill sollte der gute mal ne überwachunskamara anbringen
wenn er dann sieht wie sein lieber Tripper zum Mann wird
kippt er bestimmt aus den latsch XD


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