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Ein Katzenhai im Bullennest

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Nox Schnurrer: Gesucht!

Der Wecker piepte enervierend, David kam gähnend und ächzend hoch. Schlaf war Mangelware, obwohl er chronisch müde war. Aber im Dämmerzustand kamen die Erinnerungen ungebremst… Theo bei ihrer Hochzeit… Theo im Krankenhaus, hoffen und bangen, die Erkenntnis… und dann das Geräusch der Maschinen, die das Vergehen seiner Existenz mit akribischen Gesumme und Gepiepe dokumentiert hatten… der Griff nach dem Kissen… wo bist du… wo bist du… machst du schon Kaffee… nein…
 

Niemand war hier außer ihm – und Tripper. Der Kater döste in etwas reservierter Distanz am Fußende des Bettes, aber immerhin, er war da.
 

„Guten Morgen, Tripper“, grüßte er das Tier, das ihn nur blinzelnd anstarrte. Aber er war mitgekommen, hatte sich nicht verkrochen, war wohl wirklich ein Draufgänger. „Na, komm her…“, lockte er, und der Kater kam in der Tat auf die Beine und ließ sich etwas widerwillig kraulem. Dennoch tat das Gefühl des kleinen, warmen Körpers unter seinen Händen gut. David schwang die Füße aus dem Bett, gähnte noch einmal, während der Kater voran hopste und keinen Zweifel an seinen Absichten klar werden ließ. Da hatte wohl einer Hunger.
 

David kam in die Gänge, putzte sich die Zähne, dachte wie jeden Morgen voller Grauen daran, wie es gewesen war, Theos Waschutensilien fort zu räumen, während Merle mit Engelszungen auf ihn eingeredet hatte, dann schritt er die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wo Tripper bereits geduldig vor den Fressnäpfen ausharrte. Schlaues Kerlchen, wirklich - es gab auch dumme Katzen.
 

„So“, sagte er, nachdem er serviert hatte, und der Kater gierig fraß, „Ich muss zur Arbeit. Ich hoffe, du kommst solange auch alleine klar? Ohne das Inventar zu zerlegen, vielleicht? Ich komme so bald wie möglich zurück, dann zeige ich dir den Garten, okay? Tut mir leid, dass ich weg muss, aber es geht nicht anders. Die Pflicht ruft. Ich bin Polizist, weißt du?“
 

Tripper drehte sich zu ihm und sah ihn merkwürdig aufmerksam an.
 

„Nicht so einer, der Knöllchen verteilt“, erklärte er ihm, das Gefühl, dass es dämlich sei, seiner Katze seinen Beruf zu erklären runterschluckend. Dazu war Tripper schließlich da, oder? Kein falsches Schamgefühl… „Ich arbeite bei der Kriminalpolizei, bin kein kleines Licht. Ich kriege die dicken Fische, gewissermaßen. Keinen Kleinkram. Meistens sitze ich im Büro… werte Hinweise aus, mache Vernehmungen, schreibe Berichte, organisiere Fahndungen… Aber ich muss auch raus zu den Tatorten… Das ist spannender, als es sich anhört. Mache ich wirklich gern, auch wenn es manchmal hart und ganz schön stressig ist. Da kann man schon zuweilen fast seinen Glauben an die Menschheit verlieren, aber es gibt auch andere, gewiss. Da bist du anders. Tiere… Tiere sind nicht so… Und keine Angst, ich werde dich gewiss auch nicht des Mäusemordes überführen wollen. Na komm her… komm her, du Schnurrer…“
 

……………………………
 

Bedauerlicherweise konnten Katzen nicht lachen, das war mimisch schlichtweg unmöglich, so dass Nox kläglich scheiterte und beinahe einen Krampf erlitt. Es wäre sowieso kein heiteres Gelächter geworden.
 

Schnurrer? Frechheit! Er war Herr Schnurrer, wenn schon! Und dieser Trauerkloß meinte das auch noch nett… und grinste ihn schon wieder so treudoof an. Treudoof schien sowieso ein zentrales Charakteristikum Davids zu sein, wenn er an das Ehedrama hier dachte. Wer zur Hölle machte so einen Blödsinn, Ehe und Vorstadthaus, hatte der denn überhaupt keine Selbstachtung? Er war in die Fänge eines Spießers geraten. Nein, schlimmer noch – eines spießigen Bullen! Eines spießigen, schwulen Bullen! Fehlten nur noch der Schnauzbart und die knackenge Lederhose! Okay, dem wäre er unter anderen Bedingungen nicht völlig abgeneigt gewesen, aber so… na, herzlichen Dank.
 

Aber dennoch tausendfach besser als eine Bilderbuchfamilie mit drei kreischenden Gören. Er war ja auch nicht hier, um auf freiwilliger Basis Davids bester Freund zu werden, sondern weil dieses Szenario leider noch unter den aktuell denkbaren eines der erträglicheren war, was allerdings nicht viel bedeutete. Da hieß es das Beste daraus machen, das erreichbar war. Davids Bett war auf jeden Fall ziemlich bequem gewesen, auch wenn der Gedanke auf dieser Art und Weise mit einem knackigen Kerl in der Kiste gelandet zu sein an Masochismus grenzte. Besser unterdrücken und sich einhämmern, dass der Knilch eben „Herrchen“ war. Vorerst. Und Katzen hatten nun einmal das naturgegebene Anrecht auf den besten Platz im Haus.
 

Er leckte sich die Pfote, ließ sich kurz betatschen, wie es hier zu seiner Jobbeschreibung gehörte, bloß nicht auffallen – und sein Katzenselbst genoss das sehr wohl -, dann trollte er sich gen vom toten Gatten durchgesessener Couch, während David in seinem dunkelblauen Pyjama gen Bad entschwand. Nox hopste auf die Sitzfläche und machte es sich auf der weniger mitgenommenen Ecke des braunen Cordungetüms gemütlich. Mochte zwar nicht gerade ein einziges Kriterium modernen Industriedesigns erfüllen, aber war schon recht gemütlich, musste er zugeben. Er hörte, wie im Badezimmer im ersten Stock die Dusche plätscherte. Dort wartete auch ein Katzenklo aus himmelblauer Hartplastik auf ihn. Da schiss er doch schon fast lieber in die Rabatte, aber bis heute Abend hing er anscheinend hier fest, dann erst würde David ihm den Charme seines Vorstadtgartens angedeihen lassen. Da hatte er ja was, auf das er sich den ganzen lieben, langen Tag würde freuen können… fast wie auf eine rauschende Silvesterparty im VIP-Bereich seines Lieblingsclubs… oder auch nicht.
 

Man sah dem Haus schon an, dass hier keine weibliche Hand gewirkt hatte. Nicht, dass es unordentlich oder sogar dreckig gewesen wäre – Frauen waren schließlich auch keine geborenen Ordnungsfreaks und die fünfziger Jahre waren lange schon vorbei, in denen die Rolle des Hausmütterchens wieder Hochkonjunktur gehabt hatte. Es lag allerlei Krempel herum, Souvenirs, Spielereien, aber kein Möbelhaus-Deko-Quatsch irgendeiner Dumpftusse. An der Wand hing ein Setzkasten voller kleiner Polizeiautos, wie wundergrausam. Die Farben der ganzen Einrichtung waren eher gedeckt, das Mobiliar altertümlich, sah nach geerbt aus. Aber das Hauptaugenmerk hatte hier eher schon der Bewohnbarkeit gegolten als einem durchgehenden innenarchitektonischen Konzept, David schien es eher warm und bequem zu mögen. Oder war das dieser Theo gewesen? Oder sie beide?
 

Sein „Herrchen“ tat ihm da irgendwie leid, musste er schon zugeben, auch wenn das Missgeschick anderer Leute nun bisher wirklich nicht im Zentrum seines Interesses gestanden hatte, aber hier gab es wohl kaum ein Entkommen, bis er seine Menschenform wiedererlangen konnte. Und er war nun auch kein total gefühlskalter Wiederling, auch wenn er das gerne so raushängen ließ. Allein in diesem Haus, in dem David sein Langweilerglück mit seinem Herzblatt bis ans Ende aller Tage hatte verbringen wollen, nur um feststellen zu müssen, dass dieses leider deutlich früher erreicht war, als er sich erträumt hatte, war schon bitter. Und jetzt hatte David ihn hierher geschleift, ohne zu ahnen, was er sich da aufgehalst hatte. Nix Katerchen, Nox Schnurrer, Finanzhai, Wirtschaftsspion, heiße Nummer. Zumindest bis vor ein paar Tagen – jetzt traf wohl eher die Bezeichnung „Sofakissen“ auf ihn zu.
 

David trat wieder ein, sein Haar war noch feucht und glatt zurückgestrichen, er trug einen Anzug mit passender Krawatte, der seine sportliche Figur überaus positiv betonte. Aber auch für ihn galt: nix scharfes Schnittchen, sondern wandelnder Dosenöffner, Katzenkloputzer mit Knuddelbedarf.
 

Und Bulle. Bullen waren niemals gut – jedenfalls die, die sich nicht rasch als Stripper entpuppten. Er selber hatte schon so manches krumme Ding gedreht, schon als Jugendlicher war er das ein oder andere Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ohne dass man ihn je hätte ernsthaft festnageln können. Er war ein Werkater, er war wild, und er wollte spielen, und wenn er erwischte wurde, dann tat es ihm leid – dass man ihn erwischt hatte… Dann schaute man eben eine Weile schuldbewusst, bis sie wieder wegguckten. Es war verdammt anstrengend, sich eingestehen zu müssen, dass er sich in diese aktuelle Katastrophe ganz alleine hinein geritten hatte. Klar… was musste die Welt so sein, so rabiat erfolgsorientiert… er war doch nur ein Opfer des Systems! Von wegen… er war niemandes Opfer, da hatte er es lieber schlichtweg verbockt.
 

David kontrollierte sein Aussehen kurz im kleinen Spiegel neben der Eingangstür, dann schnappte er sich eine schwarze Aktentasche, die dort auf ihn gewartet zu haben schien, und kam noch einmal zurück ins Wohnzimmer zu ihm. Er tat so, als habe er die ganze Zeit dösig herum gelegen und habe ihm nicht hinterher gespäht. Die Hand mit dem Ehering streckte sich zu ihm aus und kraulte ihn am Nacken.
 

„Mach’s gut Tripper“, verabschiedete sich David von ihm. „Du hast es echt gut… du machst jetzt ein Nickerchen, nicht wahr? Ja… du Plüschbombe, du… Für dich ist die Welt in Ordnung…“
 

Dem konnte Nox nur sehr bedingt zustimmen. Aber immerhin gab ihm die Bezeichnung „Plüschbombe“ Visionen ein, was er notfalls mit Davids Gardinen anstellen könnte, wenn er doch noch einen erneut Anfall erleiden sollte oder schlichtweg zu sehr langweilte. Das war das Gute am Katzendasein… so etwas wurde von einem erwartet.
 

……………………………………………………………..
 

„Guten Morgen, David“, grüßte ihn Lydia von ihrem Auto her heran eilend, als er strammen Schrittes das lang gestreckte Gebäude des Kriminalhauptamtes betrat, das seinen Arbeitsplatz barg. Einst war es eine Kaserne gewesen, und das sah man ihm auch durchaus noch an: kleine, regelmäßige Fenster, Rotklinker, sehr funktional und ein wenig altertümlich. Das Areal war abgezäunt und bewacht, es lag am Rande eines größeren Industriegebietes, aber war von zu Hause aus mit dem Wagen in knapp zwanzig Minuten zu erreichen, wenn man keinen Stau erwischte. Heute hatte er Glück gehabt, er war etwas später als gewohnt losgekommen, da er ja den Kater noch hatte füttern und zum Abschied kraulen müssen. Nicht, dass der zu beleidigt war, jetzt schon allein gelassen zu werden… Aber Tripper hatte nicht so ausgesehen, als nähme er der Welt seinen Platz auf dem Sofa sonderlich übel. Wahrscheinlich lag er immer noch da, wenn er nach Hause kommen würde, Katzen waren Weltmeister im Schlafen. Oder er zerlegte ihm die Wohnung, aber daran war jetzt auch nichts zu ändern. Besser ein zerkratztes Inventar als… gar nichts.
 

Lydia zwinkerte ihn über den Rand ihrer schmalen Lesebrille hinweg an. Sie beide teilten sich ein Büro, obwohl ihnen theoretisch auch Einzelarbeitsplätze zugestanden hätten. Da sie aber sowieso meist zusammen arbeiteten, hatten sie gewiss nichts gegen diesen deutlich größer angelegten Raum im Erdgeschoss gehabt, der an Fläche zwei Einzelbüros in den oberen Stockwerken deutlich übertraf. Sie hatten es sich hier leidlich bequem gemacht: Topfblumen, ein paar private Dinge zur Aufmunterung, eine eigene Kaffeemaschine…
 

Lydia war etwa zehn Jahre älter als er, kinderlos und geschieden, ein wahres Arbeitstier, das ihm auch in seinem privaten Weltuntergang beigestanden hatte. So unterschiedlich sie auf den ersten Blick seien mochten, er groß und sportlich, sie klein und eher füllig, so gut kamen sie doch miteinander aus, nicht nur beruflich. Lydia und er waren Freunde und Kollegen, was zumindest seinen Arbeitsalltag gewöhnlich mehr als erträglich machte. Bevor Theo gestorben war, war auch hier alles wunderbar gewesen, aber jetzt war schlichtweg nichts mehr wunderbar, alles war aus dem Lot geraten, existierte nur noch aus Distanz, als würde es einem Fremden passieren, nicht ihm. Er musste weiter machen, irgendwie, leben, das hatte er Theo versprochen – ob ihm bewusst gewesen war, was er da von ihm verlangte? Aber nur so gelang es ihm, einen Fuß vor den anderen zu setzen, während ein Teil von ihm wünschte, selber nur noch Staub sein zu dürfen. Ein gewisser Trost war es, dass er hier zumindest etwas für andere tat, denen es dadurch eventuell besser ergehen mochte. Aber auch das war nur ein sehr schaler Trost.
 

Er hielt Lydia die Tür auf, wie man es ihm anerzogen hatte, auch wenn sie jedes Mal ob dieser altertümlichen Geste mit den Augen rollte. Sie hastete auf ihren kurzen Beinen in den praktischen flachen Schuhen an ihm vorbei ins Innere, flitzte voran in ihr Büro und war bereits an der Kaffemaschine, bevor er zu ihr aufgeschlossen hatte. Für ihre Statur war sie erstaunlich wieselflink.
 

„Gestern Abend gab es noch richtig Rabatz“, informierte sie ihn, während sie das Wasser ein kippte. „Ich hatte ja noch Dienst, sei froh, dass es dein freies Wochenende war. S-Bahn-Schlägerei mit schwerer Körperverletzung und flüchtigen Verdächtigen – wir haben Videoaufnahmen von der S-Bahnbahnsicherheit, aber die zu identifizieren – nun ja. Und eine Vermisstenanzeige der ungewöhnlichen Art.“
 

„Ungewöhnlich?“ fragte David halbwegs neugierig, ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und startete den Computer.
 

„Ja… nicht die Familie oder die Freundin oder der Freund – sondern die Firma hat die Meldung gemacht. Und das am Wochenende, die scheinen nicht gerade arbeitnehmerfreundlich zu sein – ganz so wie bei uns. K & K Enterprises, dieser Rohstoffmogul, sind eines ihrer hiesigen Junior-Manager und Finanzexperten verlustig gegangen. Ist seit Tagen nicht gesehen worden und hat wohl auch keine Familie hier, die seien in Australien und bekämen so etwas kaum mit. Hat bei mehreren wichtigen Meetings gefehlt. Muss nichts heißen, vielleicht hat der auch etwas verbockt und ist längst auf dem Weg ins Outback. Aber wir sollten da mal nachschauen, zwei vom Technikteam kommen um halb Zehn vorbei für alle Fälle, die sind da ja anscheinend total überbesetzt.“
 

„Aha“, murmelte David. Solche Fälle waren reine Routine. Gerade bei Erwachsenen waren die Chancen hoch, dass sie sich mit Absicht abgesetzt hatten, gerade bei so einem Hintergrund. Diese Geldscheffler-Fuzzis waren doch alle nicht ganz sauber. Wahrscheinlich saß der schon mit einem Cocktail mit Schirmchen sonst wo und freute sich über die unterschlagene Kohle. „Hast du schon was?“
 

Lydia schaltete die Kaffeemaschine an und spurtete zu ihrem Tisch, der Seite an Seite zu seinem stand, damit sie darüber hinweg Gespräche mit Zeugen und Verdächtigen führen konnten. Sie schnappte sich einen Stapel aus ihrer Ablage und las vor: „Nox Schnurrer heißt er.“
 

David prustete leicht los. „Was ist das denn für ein Name?“ fragte er entgeistert.
 

Sie verdrehte die Augen. „Keine Ahnung. Vielleicht ist das üblich in Australien, was weiß ich – oder vielleicht haben seine Eltern auch nur ein Rad ab.“
 

„Nox Schnurrer? Nacht Schnurrer? Ach ja: Ich habe jetzt eine Katze. Einen Kater!“ berichtete er bei dieser Steilvorlage.
 

Sie pfiff leise durch die Zähne. „Wunderbar!“ lächelte sie. „Freut mich! Katzen sind großartig. Wie heißt er denn?“
 

„Tripper“, musste er gestehen.
 

Sie beugte sich vornüber und tat ihr Bestes, nicht vor Lachen zusammen zu brechen. „Werden da sentimentale Erinnerungen an deine wilden Zeiten wach?“ gluckste sie. „Tripper?! Erzähl du mir noch mal was von komischen Namen! Das arme Tier, du Brutalo!“
 

„Hey!“ wehrte er sich. „Das war das Tierheim, nicht ich! Wirklich! Aber er ist echt ein Schöner… und schlau!“
 

Sie winkte ab und versuchte sich zu fassen. „Gewiss“, sagte sie. „Aber „Tripper“ – das ist schon übel… kannst du ihn nicht umbenennen?“
 

„Er ist den Namen wahrscheinlich gewöhnt“, wiegelte David ab, stand auf und holte die Milch aus dem Kühlschrank. „Kann er ja nichts zu. Nobody is perfect. Wie war das mit diesem Nox Schnurrer?“ brachte er sie wieder auf Kurs.
 

Sie räusperte sich und schien sich um Ernsthaftigkeit zu bemühen. „Er ist dreiunddreißig, hat braune Augen, braunes Haar, eins dreiundachtzig groß, sportliche Figur. Sie haben Fotos geschickt. So ein richtiges Karriere-Tier. Ziemlicher Schönling, die Bilder sind auch etwas fürs Auge.“
 

„Mmm“, murmelte David uninteressiert. Als ob er Interesse an irgendwelchen Kerlen gehabt hätte, Schönling oder nicht. Es gab niemanden wie Theo, es käme ihm wie ein schrecklicher Verrat vor, so etwas auch nur zu denken. Da mochte Theo ihn auf seinem Sterbebett noch so sehr beschworen haben, er wollte keinen anderen. Es gab nur Theo. Und wenn sein Körper sich melden mochte, dann gab es notfalls ja auch noch die eigene Hand… und die Erinnerung… und dieses grässliche Erwachen nach der Ekstase… Nein. Nein danke. Das hatte es ihm aktuell völlig verhagelt, das war einfach nur… deprimierend. Bedauerlicherweise konnte er es nicht einfach abstellen, dazu war sein Körper wahrscheinlich einfach zu jung, auch wenn sein Geist sich für neunzig empfand. „Zeig mal die Bilder“, sagte er dennoch, schließlich musste er wissen, um wen es sich denn drehte, eine Vorstellung jenseits des Namens und verbal übermittelter Informationen war doch hilfreich, nicht zuletzt für eine mögliche Fahndung.
 

„Hier, das ist alles, was sie auf die Schnelle auftreiben konnten“, erwiderte Lydia, griff nach einer grauen Akte in ihrer Ablage und reichte sie ihm rüber.
 

Es war nur ein mäßig qualitätvoller Abzug einer Aufnahme, die obendrein ohne Spirenzchen auf ihrem Drucker aufs Papier gebannt worden war. Er zog das Blatt an sich heran und studierte es. Ja, Lydia hatte schon Recht, ein wirklich schöner Mann, auch auf diesem gestellten Bewerbungsfoto, das man ihnen hatte zukommen lassen. Ein scharf geschnittenes Gesicht mit leicht schräg stehenden, hellbraun, fast bernsteinfarben glänzenden Augen, etwas spöttisch lächelnden Lippen, gerahmt von gut – und bestimmt auch teuer – geschnittenem braunem Haar, das irgendwie verschiedene Schattierungen zugleich abzudecken schien. Dieser Mann strahlte ein felsenfestes Selbstbewusstsein aus, hatte irgendwie etwas… Raubtierhaftes. Wenn er sich einen aalglatten Fiesling in der Welt des Managements und der Finanzen hätte vorstellen müssen, dann wohl so ziemlich in dieser Richtung. Und auch der klischeehaften, von Hollywood geprägten Imagination wahrscheinlich jedes Menschen der westlichen Welt trug dieser Kerl Rechnung, er war wirklich ein Schönling. Gar nicht wie Theo… kein Stück… hatte nichts Herzliches… aber niemand war wie Theo, konnte es nur ansatzweise sein. Dagegen war Schönheit bedeutungslos, denn wirkliche Schönheit, das wusste er nur zu gut, entstand nur durch Liebe, in einem selbst, in dem Geliebten, da war jeder Pickel plötzlich wunderschön… und alles war so… absolut. Dieser Mann hingegen mochte nach gängigen Maßstäben auf eine etwas exotisch angehauchte Art und Weise attraktiv sein, aber er war eben nur einer von vielen, unendlich vielen, nur ein Fall. Aber Attraktivität konnte auch Aufschlüsse bieten.
 

„Wissen wir etwas über sein Privatleben?“ fragte er sachlich und griff nach seiner freundlich dargereichten Tasse. Heute machte das Lydia, aber Morgen war er wieder dran, da würde sie keinen Finger rühren, aber das war nur gerecht. Er war nun wirklich der Letzte, der erwartete, dass Frauen sich um alle Drecksarbeit nebenher kümmerten. Nicht nur die konnten sich emanzipieren, Männer konnten das auch von all den Klischees und Zwängen. Anders ging Gleichberechtigung auch nicht.
 

„Ja, ein bisschen. Da habe ich natürlich auch nachgehakt. Nach Wissen seiner Firma ist Schnurrer homosexuell. Das hat zwar am Arbeitsplatz anscheinend keine Rolle gespielt – entweder sind die sehr tolerant, oder er ist so gut, dass sie darauf pfeifen – aber er hat wohl auch keinen Hehl daraus gemacht“, berichtete Lydia und kippte sich eine halbe Wagenladung Zucker in ihren Kaffee, während sie es sich auf ihrem ergonomisch dreifach durchgechecktem Bürostuhl ordentlich bequem machte.
 

„Na, da hat er meinen Respekt“, sagte David wahrheitsgemäß und blickte zu ihr auf. „In der freien Wirtschaft ist das nicht leicht, glaube ich. Hier… nun ja, am Anfang war ich da auch vorsichtig. Aber wenn man erst mal drin ist, ordentliche Arbeit leistet, die Leute einen kennen statt nur der Klischees, dann geht es schon. Man ist schließlich nicht nur von Barbaren umzingelt.“
 

„Wenn, dann wäre ich eine Barbarin! Und das bin ich schließlich nicht, zumindest nicht, was dich angeht. Aber du hast schon Recht, jenseits des Beamtentums mit all seinen Richtlinien ist es wahrscheinlich noch viel schwerer. Dieser Schnurrer muss schon ein harter Brocken sein, kein Duckmäuser, wenn er das offen verlautbaren hat lassen und dennoch ordentlich Karriere gemacht hat. Die Zeiten ändern sich. Aber… wir wissen noch viel zu wenig. Sein Verschwinden könnte alle möglichen Gründe haben, die mit seiner sexuellen Orientierung gar nichts zu tun haben. Sicher könnte ihn ein Stricher oder One Night Stand erschlagen haben, aber das passiert auch Heterosexuellen, deutlich häufiger als Homosexuellen, aber da gehört es nicht so sehr zum Klischee. Nicht unmöglich, aber nun gewiss auch nicht gerade ein Hauptverdacht, da sind wir nun wirklich drüber hinweg. Aber einen festen Freund oder Partner oder Ehemann scheint er nicht zu haben und das Single-Leben hat ja auch nicht auch nur Nachteile, da spreche ich aus Erfahrung. Wahrscheinlich ist es am besten, wir schauen uns die Lage vor Ort mal an, wenn er nicht mit eingeschlagenem Schädel im Bett liegt, was ich nun ganz und gar nicht hoffe, hat der Ort vielleicht doch Einblicke zu bieten.“
 

David nickte und legte die Akte mit dem Foto beiseite. „Ja, auf jeden Fall. Dann lass uns mal loslegen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Witch23
2012-10-21T13:14:04+00:00 21.10.2012 15:14
das wird bestimmt noch witzig wenn David zuhause dem guten Nox erzählt wie er nach seinem verbleiben geforscht hat XD

Verspricht interessant zu werden.
Von:  Kris18
2012-02-21T18:23:53+00:00 21.02.2012 19:23
der hat ja mal wirklich keine Freunde
den findet ihr nie XD
Von:  Shunya
2011-11-26T20:21:52+00:00 26.11.2011 21:21
Haha...die Fanfic ist echt genial!!! XD lol
Ich finde es ulkig, dass so ein Geschäftsfuzzi zum Kater wird und dann heißt der auch noch Tripper. Der Ärmste! XD muahahaha...
Sein echter Name gibt aber auch nicht viel her... *hüstel*
Seine Pläne abzuhauen, hat er ja noch nicht in die Tat umgesetzt, was will er eigentlich in seiner Katzenform großartig ausrichten. Als Katze zu seiner Familie ins Outback? Das dauert doch Jahre, bis er dort ankommt. Und wie schafft er es seinen alten Körper zurückzubekommen. Mit der Macht der Liebe?! Vielleicht war es ja auch ein Wink des Schicksals, dass ihn zu David verschlagen hat. ;)
Und jetzt darf er auch noch Schmusekater spielen. Macht er aber echt gut, wo ich mich noch köstlich über den kleinen pummeligen Jungen amüsiert habe, den er so angefaucht hatte. ;)
Und jetzt ermittelt dieser David auch noch an Nox Fall, find ich lustig.
Wieso hat Nox eigentlich David nicht beim Duschen zugesehen? Das wäre doch die Gelegenheit gewesen! O.o
Ich hoffe, du schreibst bald an dieser Fanfic weiter. Ich würde nur zu gerne wissen, wie es weitergeht!!!!!!!!!!!!!! >.<
Von:  _Chii
2011-11-10T15:24:34+00:00 10.11.2011 16:24
Hey
Ich schreibe hier mal das erste Kommentar.
Allgemien finde ich die Idee deiner Fanfic sehr cool (:
Beim Prolog bin ich erst überhaupt nich mitgekommen xD ohne genau zu lesen ist man erstmal ein wenig verwirrt >.< ich neige dazu immer mal einen Satz zu überfliegen. xD (also keine negative kritik sondern meine eigene schuld )
Ab dem 2. und 3. Kapitel klärt sich ja so langsam schon einiges.^^
Der Wechsel der Perspektiven gefällt mir ziemlich, passt irgendwie total zur Story.

Also mach weiter so und ich freu mich aufs nächste Kapitel !



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