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Rübenfürst und Möhrenkönig

von

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Wie Jason von Buch Ikea überlebte

III. Wie Jason von Buch Ikea überlebte
 

Schande… Schande… Schande… Das war ja noch schlimmer, als er es befürchtet hatte. Das Haus: eine Bruchbude. Das Land darum: der Dschungel Borneos war im Vergleich dazu eine Bundesgartenshow. Der neue Nachbar: trug kein Gucci, sondern eine Latzhose, vermutlich von Walmart.
 

Grauenhaft! Okay, aus dem Nachbarn könnte man mit ein bisschen Geschmack was machen, sah wahrscheinlich ganz gut aus – wenn man auf Möhrenbauern stand! Da hatte er bisher Models in Feierlaune auf der Suche nach einem big spender deutlich vorgezogen, aber aktuell war ihm sowieso der Sinn nach Party ganz und gar vergangen.
 

Tannenberger mochte ein wenig älter sein als er, vielleicht so Mitte dreißig, hatte aschblondes Haar, das zu einem kurzen Ökobauern-Pferdeschwanz in bester Naturburschen-Art zusammen gefasst war, und graugrüne Augen. Auf dem Prada-Laufsteg zur von Jason erworbenen Kollektion hätte er sich in dem Aufzug eventuell gar nicht schlecht geschlagen -als Provokation, aber das hier war bitterernst gemeint. Und das hier war nicht New York, sondern Hessen, und auch nicht Frankfurt oder Kassel oder Göttingen – sondern der Arsch der Walachei. Hier sagten sich Fuchs und Hase sprichwörtlich gute Nacht. Hier gab es absolut gar nichts – nicht mal Strom und fließend Wasser, zumindest nicht in „seinem“ „Haus“…
 

Ach du heiliges Deutschland! Jason atmete tief durch und tat sein Bestes, den Drang zu hyperventilieren runterzuschlucken. Er würde hier nicht ausflippen wie das Klischeebild einer hysterischen Tunte! War er ja auch nicht… aber wahrscheinlich lauerte in jedem Menschen, gleichgültig welcher Orientierung, etwas, das gerne mal hysterisch kreischen wollte… Aber das half bedauerlicherweise gerade überhaupt nicht weiter.
 

Tannenberger hatte sich nach seiner kurzen Begrüßung wieder verabschiedet, wahrscheinlich musste er seinen Möhrchen gut zureden oder so, und ihm gesagt, dass er sich melden solle, falls er doch irgendwo Hilfe brauche. Er konnte sich schon vorstellen, was der sich gedacht hatte, als er ihn gesehen hatte… der hielt ihn für die totale Lusche, was das Leben hier anging, und damit hatte er höchstwahrscheinlich auch Recht. Noch. Auch wenn das alles hier bestenfalls zum Heulen war, und er hier überhaupt nicht hingehörte oder passte, würde er nicht den Schwanz einziehen – konnte er sich auch nicht erlauben. Da musste er jetzt wohl echt durch. Kurz wünschte er seine Eltern zur Hölle, nahm es dann aber hastig wieder zurück. Nein, er wünschte seinen Eltern nun ganz gewiss nichts Schlechtes, aber mussten sie ihm das hier echt antun? Müssen wohl nicht, aber sie taten es trotzdem. Mist.
 

Und diesen Saustall hier sollte er jetzt wieder auf Zack bringen? Hier funktionierte dann ja nicht mal die Klospülung! Er tapste durch die Finsternis des Hauses und tastete sich zu den Fenstern durch. Es war ein ziemlicher Akt, sie auf zu bekommen, teils waren sie völlig verzogen oder die Haken der Läden fest gerostet. Er holte sich einen blutenden Finger, hoffentlich bekam er jetzt keine Blutvergiftung… Das, was das hinein dringende Sommerlicht zeigt, war auch keine wahre Verbesserung. Das Haus war nach wie vor möbliert – ziemlich genau so, wie seine Großeltern es vor Jahrzehnten zurückgelassen hatten. Hier herrschte tiefste Nachkriegszeit – auf unterstem Niveau. Kein Wunder, dass seine Vorfahren hier nie wieder hin zurückgekehrt waren, das wäre er freiwillig unter Garantie auch nicht. Er hustete, von überall her stieg Staub auf. Er war sich sicher, Mäuse hämisch in den dunklen Ecken quieken zu hören. Hoffentlich waren die Decken nicht marode, und er krachte noch mit der ganzen wackeligen Bude in sein vorzeitiges Ende.
 

Die logische Konsequenz wäre, sich schleunigst ein Hotelzimmer zu suchen und den Laden hier erst einmal professionell auf Vordermann bringen zu lassen. Das Problem war nur: Er hatte hier gefälligst zu wohnen von Anfang an, so die Spielregeln. Nicht nur wäre alles zum Teufel, wenn man ihn beim Bescheißen erwischen würde, einen gewissen Reststolz besaß er doch auch noch. Nein, er würde es genauso machen, wie sie es haben wollten, da würden die sich schon noch wundern… Hoffentlich genauso wie er gerade, wie er dieser Katastrophe Herr werden sollte. Er hatte ein Budget für Einrichtungen und Reparaturen bekommen: fünftausend Euro, keinen Cent mehr. Damit kam er hier nicht weit. Den Rest würde er erwirtschaften müssen, doch von einem Plus war er Lichtjahre weit entfernt.
 

Das Fazit seiner ersten Begehung war dem ersten Eindruck entsprechend: Von den Möbeln taugte fast gar nichts mehr, das musste verschrottet und ersetzt werden, möglich bevor er mit irgendetwas versehentlich zusammenkrachte. Irgendwie konnte er gar kein Badezimmer ausmachen, seltsam. Er musste so oder so die Wasserwerke kontaktieren und einen Elektriker rufen, bevor man wagen konnte, hier irgendetwas wieder anzuschalten, was anscheinend sowieso nicht da war. Auch die Küche hatten es ziemlich hinter sich, da stand nur ein gusseiserner Ofen rum, oh Schreck. Zwar war es Sommer, aber an die Heizung musste er auch denken, denn eine solche war irgendwie auch unauffindbar. Und das hieß wahrscheinlich nicht, dass es hier eine Fußbodenheizung gab… Ansonsten gäbe es nur einen Kamin in dem Kabuff, das wohl das Wohnzimmer sein sollte. Die Scheiben waren einfachverglast, zum Teil gesprungen, die mussten auch erneuert werden. Und die Bausubstanz…? Isolierungen…?
 

Und das war nur das Haus… aber vorerst sein dringendstes Problem. Er musste hier heute Nacht schlafen, und außer ein paar Klamotten und persönlichen Gegenständen hatte er rein gar nichts mitnehmen dürfen.
 

Von einem leichten Kopfschmerz geplagt machte er sich innerlich eine Liste, dann sah er zu, sich in Bewegung zu setzen. Immerhin würde keiner seiner Bekannten ihm dort über den Weg laufen, wo er und seine paar Tacken jetzt das Überlebensnotwendigste beschaffen würden.
 

Drei Stunden später musste er zur Kenntnis nehmen, dass er sein Nobelshirt mit Hotdogsoße versaut hatte. Prompt fiel ihm das nächste Problem ein: keine Waschmaschine, kein Geld übrig für die Wäscherei. Ein weiterer Punkt auf der endlosen Liste der Tücken seines Schicksals. Aber immerhin konnte er jetzt bis an sein Lebensende einem schaudernden Publikum davon berichten, wie „Jason von Buch Ikea überlebte“. Nun gut… die Sachen waren ja nicht hässlich, jedenfalls so manches darunter… aber es war eben nicht gerade das, was sich so gehörte… Fast war er seinen Eltern wieder dankbar, dass sie ihm den Audi verpasst hatten, denn da hatte der ganze Krempel mit ein wenig Gewürge problemlos Platz gefunden. Wenn er heute nur noch ein einziges kreischendes Kind hören müsste, würde er eventuell doch noch einen Kollaps erleiden. Warum nannten gerade Eltern, die über die übelsten Brüllorgane verfügten, ihre Kinder eigentlich so gerne „Dschackelieeene?“. Gab’s den Namen überhaupt? Hatte diffuse Ähnlichkeiten mit dem eleganten französischen Jacqueline, aber das konnte doch eigentlich gar nicht sein? Egal, Hauptsache Dschackeliene wuchs mit von Buch-Babyprodukten heran… Auf jeden Fall hatte Ikea da sein Weltbild erweitert, auch wenn er darauf gut hätte verzichten können.
 

Er hatte ein Bett, eine Matratze, einen Kleiderschrank und eine Taschenlampe sowie ein paar schwedische Kekse, damit überlebte er bis Morgen früh, hoffte er. Nachttöpfe hatte es nicht gegeben, da würde er improvisieren müssen… ach, Elend.
 

Er parkte den Wagen vor dem Haus. Die Tür stand offen, so kamen Muff und Ratten besser hinaus, und eventuell war ja jemand so freundlich gewesen, die Möbel zu klauen. Leider war kein Einbrecher heutzutage so dämlich, wie’s aussah.
 

Seufzend stieg er aus und wuchtete seine Kartons aus dem Auto. Der Vorteil an Ikea war: man konnte die Möbel platzsparend transportieren, der Nachteil: man musste sie selber montieren. Kam ihm vor wie im Märchen, aber nicht umsonst spielten viele Märchen in dieser gottverlassenen Gegend Hessens. Drinnen zu montieren wäre eine dämliche Idee, dazu war es da zu düster. Also hier schrauben und dann rein geschleppt, das hatten schließlich schon ganz andere hin bekommen…
 

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Interessiert lugte Ragnar durch die Baumreihe. Von Buch stelzte auf seinen polierten Froschfotzenlederschuhen über seinen Hof und verzweifelte von Minute zu Minute mehr an etwas, das wie ein Ikea-Bett der günstigeren Sorte aussah. Irgendetwas in ihm wollte bei diesem Anblick laut losprusten. Nein, dieses verhinderte Männermodel da drüben hatte echt von Tuten und Blasen keine Ahnung. Okay… davon eventuell schon, aber nicht von der Montage eines Möbelstückes mit einem Inbusschlüssel. Und der wollte da echt wohnen? Das Haus war von oben bis unten sanierungsbedürftig, bestenfalls. Die einfachste Lösung wäre wahrscheinlich, es zu plätten und neu zu bauen, aber das wäre schon schade um das hübsche alte Gemäuer. Allerdings wirkte von Buch nicht danach, dass er hier seine Träume vom Landleben verwirklichen wollte.
 

Was zur Hölle wollte der hier? Okay, nach „wollen“ sah das eher nicht aus…
 

Oh Gott, was machte dieser Dämel denn jetzt… anders herum, du Idiot! Das war ja echt nicht zum Aushalten… Das sah er selbst aus fünfzig Metern Abstand ohne Blick auf die idiotensichere Ikea-Bauanleitung.
 

Es war kurz nach sechs, auf der Möhrenfarm war Feierabend, da konnte er ja seinen Pflichten als neuer Nachbar nachkommen…
 

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Okay… das Problem an Ikea war offensichtlich nicht nur, die Einkaufstour dorthin mit heilem Nervenkostüm zu überstehen, sondern diese gottverdammte Mega-Scheiße verfickt noch mal zusammen zu bekommen! Wie kriegte Dschackelieeenes Mutter das hin?! Aber die hatte wahrscheinlich Übung – statt eines Innenarchitekten…
 

Wo ist das verdammte, verkackte Loch?! Da muss doch ein Loch sein! Warum waren die Schrauben schon alle!? Meinte die Bedienungsanleitung doch die anderen?!
 

„Äh…ähm“, ließ ihn eine Stimme hochschrecken.
 

Möhren-Ragnar. Der wollte sich die Katastrophe wahrscheinlich aus der Nähe anschauen. Immerhin trug er nicht mehr diese Augenkrebs erregende Latzhose, sondern Jeans und T-Shirt. War wohl Feierabend, die Möhren schliefen schon.
 

„Guten Abend, Herr Nachbar!“ lächelte er ihn so verbindlich an, wie das mit zerkratzen, vom Inbusschlüssel malträtierten Fingern gerade noch so ging.
 

„Guten Abend… Öhm… probieren Sie das doch mal anders herum“, meinte Tannenberger und nickte in Richtung seines Werkes.
 

„Was?“ stutzte Jason und folgte seinem Blick.
 

„Das ist falsch rum…“, erklärte ihm Tannenberger seelenruhig. „So wird das nichts.“
 

„Das gehört so!“ protestierte Jason. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Jetzt klugscheißerte ihn dieser Landjunker auch noch voll!
 

„Nee… echt nicht“, bestand Tannenberger. Jason kniff die Lippen zusammen und starrte auf das, was sein demütigendes Bett werden sollte. Das passte alles hinten und vorne nicht… aber anders herum… Arg, der hatte Recht.
 

„Scheiße!“ verlor er leicht die Kontenance.
 

„Hören Sie… geht mich ja wirklich nichts an, was Sie hier treiben, aber… Sie scheinen etwas… äh… ungeübt? zu sein…“, machte Tannenberger weiter und grub dabei ungeniert seine Hände in die Hosentaschen seiner Billigjeans.
 

Jason knirschte mit den Zähnen. „Vielen Dank! Aber… ich kriege das schon hin! Habe mich nur ein wenig… vertan.“
 

„Kein Ding“, nickte ihm der andere freundlich zu, dass ihm etwas die Galle hochstieg. Er war nicht zu blöd hierfür! Er konnte das! Seit wann war er so empfindlich…? Seit er in dieser Jauchegrube hier festsaß wahrscheinlich… und er war gerade erst angekommen… Seine Nerven lagen wohl leicht blank.
 

„Schon gut“, nuschelte er. „Mache das nur zum ersten Mal…“
 

Tannenberger kommentierte das netterweise nicht weiter, sondern nickte nur verhalten. „Ach ja“, sagte er, sich bereits wieder zum Gehen drehend, „solange ihr Wasseranschluss noch nicht funktioniert – hat das Haus eigentlich einen? - in meiner Scheune ist eine Dusche, die die Arbeiter auch nutzen, mit Warmwasser. Tun Sie sich keinen Zwang an. Und machen Sie nachts besser doch Türen und Fenster im Untergeschoss zu – wegen der Wölfe… Guten Abend noch!“
 

Entgeistert starrte Jason ihm nach. Der verarschte ihn doch? Hier gab’s doch keine Wölfe mehr? Oder hatten irgendwelche Umweltapostel die hier wieder ausgewildert? Die kamen doch nicht ins Haus!
 

Oder…?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Khaosprinzessin
2011-09-01T20:44:45+00:00 01.09.2011 22:44
haha, jason, du bist mein held! kriegt keine ikea möbel zusammengebaut! absolut göttlich! damit gehört er zu den gefühlten 99,9 % der männerwelt, die das nich können^^ ich kenne selbst nur drei: mein bester freund, mein papa und mein bruder^^
das kapitel war wieder super! pure selbstironie! bin gespannt, wann jason denn endlich sein bettchen aufgebaut und ins haus geschafft hat...
bis zum nächsten kapitel

see ya in hell, beast


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