Zum Inhalt der Seite

Frühlingsgefühle

Rote Blumen sind die schönsten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zarte Triebe

Doch wie sollte etwas anders laufen, wenn die beiden Protagonisten stets in ihren alten Trott zurückfielen? Wenn sie unfähig waren, die Hinweise des Frühlings zu deuten und ihm für all seine Mühen zu danken? Wenn sie zu feige waren, der Alternative, die er ihnen zum ewig gleichen Hass bot, eine Chance zu geben?
 


 

»I – za – yaaa!«
 

Man möge sich jetzt vorstellen, wie der Frühling voll Verzweiflung die Hände über seinem imaginären Kopf zusammenschlägt und böse Flüche murmelt, die so gar nicht zu seinem sonst fröhlichen Wesen passen (und wie der Winter ihn dafür auslacht). Werfen wir doch einen genaueren Blick auf die Geschehnisse, während der Frühling seinem werten Bruder die Leviten liest...
 

Es war nicht das erste, und ganz bestimmt nicht das letzte Mal, dass Heiwajima Shizuo quer durch Ikebukuro Amok lief. Und ›Amok laufen‹ war eine überaus passende Beschreibung für die Ereignisse, die den beliebten Stadtteil Tokios nun schon seit den frühen Morgenstunden erschütterten.

Die Erde bebte, Straßenschilder wurden scheinbar wahllos aus dem Erdboden gerissen und flogen mit Mülleimern um die Wette. Ab und an war auch der angsterfüllte Schrei eines Bürgers zu hören, der Shizuo zum Opfer gefallen war und einen Freiflug erhalten hatte. Wo die armen Gestalten landeten – ob sie überhaupt auf dem Boden aufkamen oder gleich gegen die nächstbeste Häuserwand geschmettert wurden – wusste niemand so genau, und eigentlich wollte es auch niemand wissen.

Was die meisten viel mehr interessierte, waren die kleinen Tricks, dem stärksten Mann Ikebukuros nicht in die Hände zu fallen. Sehr beliebt war die Flucht in hohe Gebäude oder das Meiden von Getränkeautomaten. Autos hatten sich als weniger nützlich erwiesen, denn auch die hatte Shizuo das ein oder andere Mal als Wurfgeschosse missbraucht. Momentan setzte sich der neue Trend der Abwasserkanäle durch, in die man gelangte, wenn man die Deckel der Straßenabläufe hochstemmte. Kostete zwar viel Schweiß und Mühe, war aber durchaus effektiv.

Arme Unwissende, die Ikebukuro das erste Mal besuchten und das Pech hatten, auf Shizuo zu treffen, fragten oft, warum ein junger Mann so viel Spaß daran zu haben schien, ein ganzes Viertel auseinander zu nehmen. Jedenfalls war das die Frage derjenigen, die bereits beim ersten Anblick des vermeintlichen Barkeepers die Flucht ergriffen hatten und versuchten, die Begegnung schnellstmöglich zu vergessen.

Wer jedoch genauer hinsah, den wutverzerrten Ausdruck auf den harten Zügen bemerkte, das laute Brüllen hörte, sah häufig ein, dass ihm all das nicht ansatzweise so viel Spaß machte, wie viele glaubten. Dass es für Shizuo im Prinzip nichts Schrecklicheres gab als die Jagd auf diese bestimmte Person.
 

Aufmerksame Zuhörer werden bereits wissen, wer der zweite Protagonist war, der dem Frühling ebenso viele Kopfschmerzen bereitete wie Shizuo. Als der Sommer ihn letztes Jahr gefragt hatte, warum er ausgerechnet diese beiden als Seelenpartner auserkoren hatte, wusste der Frühling keine Antwort. Hatte sie wohl über die Zeit vergessen, oder hatte nie einen triftigen Grund gehabt.

Unwirsch schob er den Winter beiseite, der immer noch lachend auf einen flinken Japaner zeigte, der Shizuos Geschossen zufrieden kichernd auswich.
 

Auftritt des zweiten Protagonisten Orihara Izaya, der den zugegeben teilweise plumpen Angriffen Shizuos mit gewohnter Leichtfüßigkeit entging und ihn in der gleichen Bewegung noch verspottete.
 


 

»Ne, Shizu-chan, willst du mich wirklich treffen? So wie du zielst könnte man glatt vom Gegenteil ausgehen.«
 

Izayas Lachen klang viel zu fröhlich für seine gegenwärtige Situation, und viele Bewohner Ikebukuros mochten an seinem Verstand zweifeln, als er nach einem Straßenschild griff, sich an dem kalten Stahl festhielt und durch kräftiges Abstoßen knapp einer fliegenden Bank entrann.

Shizuos Schrei war fast wie der eines Tieres, dem seine Beute durch die Fangzähne geglitten war, bevor es hatte zuschnappen können – und in gewisser Weise entsprach dies sogar der Wahrheit. Doch der hochgewachsene Blonde hatte nicht das geringste Interesse an realitätsnahen Metaphern; sein Fokus lag einzig und allein auf einer Existenz.

Feine Gesichtszüge, umrahmt von tiefschwarzem Haar, füllten sein Blickfeld gesamt aus, ließen keine anderen Sinneswahrnehmungen zu. Rote Augen spiegelten seinen eigenen Hass wider, obwohl so viel mehr in den blutroten Iriden verborgen zu liegen schien, als er je hätte erkennen können.

Für Shizuo zählte nur ihre Farbe; dunkles Rot, wie Blut. Wie das Blut Izayas, das er so gerne vergießen würde; das vielleicht schwarz geworden war von all den Schandtaten, die sein Erzfeind bereits begangen hatte.

Alles andere blendete er ebenso gekonnt aus wie die Tatsache, dass er sich einst in seinen wohl einsamsten Stunden eingestanden hatte, dass Izayas Augen die schönsten waren, die er je gesehen hatte – ein wirklicher Maßstab war dies aber nicht, immerhin kümmerte er sich wenig bis gar nicht um die Augen seiner Mitmenschen.
 

Momente wie diese waren es, die dem Frühling Hoffnung gaben. Wenn Shizuo nichts an Izaya läge, wären ihm dessen Augen bestimmt nicht so positiv aufgefallen, richtig?

Momente wie diese waren es, die der Winter nur zu gerne nutzte, um seinen Bruder zu triezen. Die Naivität des Blümchenstreuers und hochgelobten Liebesboten amüsierte ihn jedes Mal aufs Neue, und er würde ganz gewiss niemals aufhören, ihm seine Unfähigkeit unter die Nase zu reiben. Egal, wie sehr Sommer und Herbst versuchten zu schlichten, es bereitete ihm viel zu viel Freude, seinen Bruder ratlos zu erleben.
 

Im Gegensatz zum Frühling war Izaya alles andere als ratlos, plante er jeden seiner plötzlichen Auftritte doch bis ins kleinste Detail. Niemals würde er so dumm sein, sich Shizuo ohne mindestens drei verschiedene Fluchtmöglichkeiten zu nähern. Zwar nahm er nicht an, dass der andere ihn je töten würde – soweit er wusste, hatte er nie ein Menschenleben willentlich beendet –, aber Vorsicht war definitiv besser als Nachsicht.

Selbst wenn er ihn nicht umbrachte, würde Shizuo ihn sicherlich mit mehreren mittelschweren Frakturen ins Krankenhaus befördern, und nach allem, was Izaya gehört hatte, war Ikebukuros Krankenhaus dank eines gewissen Mannes mehr als überfüllt.

Unbewusst musste er lächeln. Schon vor Jahren hatte er aufgehört zu leugnen, wie sehr er die ewigen Verfolgungsjagden liebte. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass er es auch zugeben würde.

Es war für Izaya allerdings Grund genug, sich für den heutigen Tag etwas ganz Besonderes auszudenken – auch wenn er überrascht, geschockt und in seinem Weltbild erschüttert wäre, falls Shizuo bewusst wäre, dass sich heute der Tag ihrer ersten Begegnung jährte.

Warum Izaya sich das gemerkt hatte, war an dieser Stelle auch nicht unbedingt von Bedeutung.
 

Der Anflug eines arroganten Lächelns lag auf den Lippen des Frühlings, als er seinen Brüdern die zarten, überaus unerwarteten (nicht einmal er selbst hatte damit gerechnet) Knospen seiner jahrelangen Arbeit präsentierte.

Sommer, Herbst und Winter nahmen es wortlos hin; ein kleiner Erfolg bedeutete nicht, dass ihr werter Bruder am Ende Recht behalten würde. Nicht umsonst schürte der Winter jedes Jahr die Kälte zwischen den beiden.
 

Über die letzten paar Monate hatte ihm diese Besonderheit viel Zeitaufwand und den ein oder anderen unglücklichen Kompromiss abverlangt; etwas, das er in diesem Maße in keine andere Angelegenheit zuvor investiert hatte.

Sicherlich würde Shizuo durchdrehen vor Freude, würde wahnsinnig werden vor Glück und in einen irren Todestanz verfallen, der erst enden würde, nachdem er genug Blut geleckt hatte. Und sicherlich übertrieb er es heute mit den Metaphern, aber das war ihm gleich.

Ohne sein Zutun wurde sein Grinsen breiter. Er ließ Shizuo nicht aus den Augen, während er sich mitten auf die Kreuzung einer Hauptstraße mit einer kleineren Seitenstraße stellte und somit den Verkehr lahm legte.
 

(Der Winter ging fast zu Boden vor Lachen, als er Zeuge dieses Schauspiels wurde. Vielleicht starben die Protagonisten seines Bruders durch ihre Leichtsinnigkeit, bevor sie auch nur die Chance hatten, ihre Rollen in seinem überaus kitschigen Liebesdrama zu übernehmen.)
 

Zur allgemeinen Überraschung jedoch entsprach Shizuo dieses eine Mal den Rollenerwartungen, die sowohl Izaya, als auch der Frühling in ihn gesetzt hatten, und rannte ohne einen Gedanken an Ikebukuros Verkehrssystem zu verschwenden ebenfalls auf die Kreuzung. Der Kleinwagen, der plötzlich zu seiner Rechten auftauchte und dessen verängstigter Fahrer nicht mehr bremsen konnte – obgleich er nichts lieber wollte, als einen Zusammenprall mit Shizuo zu vermeiden –, wurde unsanft zur Seite gestoßen, drehte sich mehrmals um die eigene Achse und blockierte die Kreuzung nun zusätzlich.

Ein animalischer Aufschrei folgte dem nächsten, ein schuldloser Unbeteiligter nach dem anderen wurde aus seiner Bahn gestoßen, falls er nicht klug genug war, aus eigenem Antrieb das Weite zu suchen.

Nichts war für Shizuo in diesen Sekunden mehr von Bedeutung, als endlich mit Izaya aufzuschließen, seine großen Hände um dessen schlanken Hals zu legen und mit aller Kraft zuzudrücken. Weder Fußgänger, noch Autos, und ganz bestimmt keine Verkehrsregeln würden ihn daran hindern.

Die umstehenden Menschen mussten ihn für einen Dämon halten, eine grausame Ausgeburt der Hölle, wie er mit langen, hastenden Schritten einem weiteren Dämon hinterher jagte. Sein Grinsen wurde breiter, je näher er der kleinen Seitenstraße kam, auf die Izaya sich langsam zu bewegte. So langsam, als wollte er ihn verspotten. So langsam, dass er problemlos rückwärts gehen konnte, ihm seine lächelnde Visage praktisch aufdrängte und einmal mehr sein Blickfeld ausfüllte.

Im wahrsten Sinne des Wortes sah er Rot; wunderschönes, dunkles Rot zwar, aber es ließ die Wut in ihm wie Wellen Gischt schlagen, die bis in seine Arme und Beine reichte und ihm befahl, weiter zu rennen, nicht stehen zu bleiben, bis er nicht wenigstens auf gleicher Höhe mit jenem zweiten Dämon war.

Während er rannte, schrie Shizuo unentwegt Izayas Namen, als würde ihn das näher an diese Person bringen, als würden seine Ziele damit greifbarer werden. Nur noch drei, zwei Schritte trennten ihn von seiner Beute. Sein Arm schnellte nach vorne – ein Schritt, wenige Zentimeter –, doch mit einer Wendigkeit, die tief in ihm Verachtung hervorrief, drehte Izaya sich um und sprintete los, immer noch lachend, immer noch spottend.
 


 

»Fang mich, wenn du kannst.«

›Wenn du nach all den Jahren immer noch willst, Shizu-chan.‹
 

Er vergeudete nicht einmal einen einzigen Augenblick darauf, geschockt zu sein und setze seine Randale fort. Bog unter lauten Flüchen gerade noch rechtzeitig in die richtige Straße ein – wieso musste dieser Idiot auch immer die engsten Seitengassen wählen? –, scherte sich aber nicht um die bemitleidenswerten Passanten, die nicht mehr rechtzeitig zur Seite springen konnte, und rannte sie entweder um oder warf sie in hohem Bogen durch die Luft.

Nur am Rande nahm er sein eigenes schweres Atmen war, überschlug grob die Zeit, die er noch hatte, bevor sein Körper zusammenklappte von all dem Hetzen und Wüten. Das Ergebnis war zufriedenstellend, und mit der Gewissheit, dass er wohl noch einige Stunden so würde weitermachen können, erhöhte er seine Geschwindigkeit.

Wich spielend den entgegenkommenden Hindernissen aus, klatschte sie kurzerhand links oder rechts gegen die hohen Häuserwände, wenn es nicht anders ging, und stellte mit grimmiger Befriedigung fest, dass er nicht einmal mehr zwei Meter brauchte, um die kleine Ratte am Kragen packen zu können.
 


 

»Jetzt entkommst du mir nicht mehr, Izaya!«

›Endlich ist es soweit.‹
 

Plötzlich schlug Izaya einen Haken.

Shizuo bemerkte es viel zu spät, krachte mit voller Wucht in einen Ladeneingang. Schmerzen spürte er keine, hörte nur ein dumpfes Rauschen in seinen Ohren. Fluchend rappelte er sich wieder auf und hechtete weiter. Einige Meter zu seiner Linken meinte er, einen Zipfel schwarzen Stoffes erkennen zu können.

Einmal mehr verließ er sich vollkommen auf seine Instinkte – nicht, dass er in diesem angespannten Zustand auch nur zu einem ansatzweise klaren Gedanken fähig gewesen wäre – und folgte der Fährte, die seine Beute so bereitwillig gelegt zu haben schien.

Doch als Shizuo in eine Sackgasse lief, an deren Ende ihn eine Horde bewaffneter Yakuzamitglieder schon sehnsüchtig erwartete, traf ihn die Gewissheit, dass Izaya mal wieder einen seiner perfiden Pläne in die Tat umgesetzt hatte – und dass er dieses Mal wohl oder übel die Hauptrolle spielen würde.
 

Fassungslos beobachtete der Frühling, wie Izayas zugegeben genialer Plan sich selbst verwirklichte. Das Kichern seiner Brüder ausblendend betete er, dass Shizuo es bloß nicht schon wieder vermasselte.
 

Laut seufzend schloss Shizuo die Augen. Vielleicht würden diese Idioten verschwinden, und sobald er seine Augen wieder öffnete, würde sich ein freier Weg vor ihm erstrecken, auf dem er Izaya nachjagen konnte. Doch eigentlich rechnete er nicht damit.

Er war wenig, sozusagen gar nicht überrascht, als er die Menge vor sich unverändert vorfand – wenn man einmal von den vielen illegalen Waffen absah, die die meisten mittlerweile gezogen hatten.

Fast gleichzeitig luden sie ihre Knarren, zückten ihre Messer und Schlagstöcke; ließ er seine Fäuste unschön knacken. Es würde zwar länger dauern als geplant, aber Shizuo würde sich seinen Weg freikämpfen, würde keine Rücksicht nehmen auf die zerbrechlichen Körper seiner Gegner, wie sonst auch nicht.

Aus der Masse undefinierter Grautöne (wenn er sich so in Rage gewütet hatte, war für Shizuo nur noch die Quelle seiner Wut von greller Farbe) trat nach einiger Zeit des stummen Starrens ein kleiner Mann hervor, der in seinem viel zu großen Anzug unbeschreiblich lächerlich wirkte. »Du bist nicht zufällig Heiwajima Shizuo, oder?«, fragte der augenscheinliche Anführer, während er sich versucht lässig eine Zigarette anzündete.

Unwillkürlich erinnerte Shizuo sich daran, dass seine letzte Kippe schon eine ganze Weile zurücklag, dass er sie nicht einmal zur Hälfte hatte rauchen können, weil eine gewisse schwarzhaarige Zecke dazwischengefunkt hatte.

Um die überflüssige Frage seines Gegenübers zu beantworten, nickte er knapp. In seinen Fingerspitzen kribbelte es schon; das Warten machte ihn krank.

»Hat Izaya euch angeheuert?« Noch eine überflüssige Frage, aber davon gab es so viele auf der Welt, dass eine mehr oder weniger nicht auffiel. Die Meute vor ihm ließ ein dreckiges Lachen hören, war anscheinend genauso aufgeregt wie er.

Schließlich war er es, der den ersten Schritt tat. Der Dämon von Ikebukuro fletschte die Zähne, begab sich in eine leicht geduckte Haltung und starrte die leichtsinnigen Männer vor sich mit einem manischen Funkeln in den Augen an.

»Verpisst euch, ihr steht mir im Weg.«
 

Er war allein in der dunklen Seitengasse, einsam und allein. Sein schlaffer Körper lag inmitten von verschossenen Patronen, Blut – seinem eigenen, aber vor allem dem seiner Gegner – und zerschmetterten Vorsätzen.
 


 

›Diesmal werde ich Izaya schnappen!‹

›Sobald ich ihn in die Hände kriege, drehe ich ihm den Hals um.‹

›Heute wird alles anders...‹
 

Alles Lügen, wie ihm nun klar wurde. Hätte sein Körper nicht schon seit einiger Zeit aufgegeben, ihm seine Dienste komplett versagt, hätte er losgelacht, laut und schallend, damit ihn ganz Ikebukuro, ganz Tokio, ganz Japan hätte hören können. Damit sie sehen konnten, wie erbärmlich er zu Boden gegangen war, unfähig, einen weiteren Schritt in die Richtung zu gehen, in der er sein Ziel vermutete.

Er war sich nicht einmal mehr sicher, in welcher Richtung es lag. Irgendwo vor ihm, soviel war sicher, doch mehr wollte sich ihm nicht erschließen.

Zu sagen, dass die Mafiamitglieder ihm zahlenmäßig überlegen gewesen waren, wäre eine schreckliche Untertreibung. Normalerweise hätte aber auch das kein Problem für ihn dargestellt, hatte er doch um Längen mehr Treffer gelandet als sie alle zusammen.

Das einzige Problem waren ihre Schusswaffen gewesen. Selbst das stärkste Raubtier ging nach mehreren dutzend Schüssen in die Knie, kam mit einem dumpfen Schlag auf dem harten Boden auf, sobald das Metall sich zu oft durch sein Fleisch gebohrt hatte.

Hätte die Jagd auf Izaya sein Blickfeld nicht so eingeschränkt, wäre er in der Lage gewesen, mehr Treffern auszuweichen. Hätte er seinen Weg fortsetzen können.

Je mehr er darüber nachdachte, desto ironischer erschien ihm der Grund für seine Niederlage: ihm mangelte es momentan an Blut, der roten Flüssigkeit, die er aus unzähligen Wunden aus Izayas Körper fließen sehen wollte, die Farbe, die einen trüben Schleier über seine Sicht lag, sowie sein Feind auftauchte.

Einmal mehr hätte er aufgelacht, wenn er es denn gekonnt hätte.

Unter größten Kraftanstrengungen hob Shizuo den Kopf, war er es doch leid, nur den grauen, vor Dreck starrenden Boden sehen zu können. Langsam stemmte er sich hoch und robbte quälend langsam auf die Wand zu, um sich dagegen zu lehnen.

Blut rauschte unerträglich laut in seinen Ohren (er fragte sich, woher es auf einmal kam), tausende Fäuste schienen auf seinen Kopf einzuhämmern, seine Sinne waren wie in Watte gepackt. Er fühlte sich hilflos, wusste gut, dass er nicht Herr seines Körpers war und verspürte Hass, abgrundtiefen Hass auf den Menschen, der ihn zum gefühlt tausendsten Mal in diese prekäre Lage gebracht hatte.

Mit unkoordinierten Bewegungen durchsuchte er seine Hosen- und Hemdtaschen nach seinem Feuerzeug und einer Zigarette, wurde nach mehreren Minuten, die sich für ihn wie Stunden zogen, endlich fündig. Es machte ihm Angst, wie sehr seine Hand zitterte, mit der er die Zigarette an seine Lippen führte.

Sich wie ein Versager zu fühlen war wahrlich kein schönes Gefühl, und Shizuo hätte auf diese Erfahrung verzichten können. ›Kein Grund zur Sorge‹, sprach er sich selbst Mut zu, ›sobald ich mich ein wenig ausgeruht habe, gehe ich wieder auf Jagd...‹

Lautlos fiel die Zigarette erst auf sein blutgetränktes Hemd, dann auf den Boden. Ebenso lautlos verlor er das letzte Bisschen Kontrolle über seinen Körper, als das Gefühl kribbelnd aus seinen Armen verschwand und sie nutzlos, schlaff an seinen Seiten hängen ließ.

Shizuo hatte das Bewusstsein schon verloren, bevor sein Kopf zu schwer geworden und sein Kinn auf seine Brust gesunken war.
 

In diesem Moment – in dem der Frühling eigentlich weinend zusammenbrechen wollte – war es, dass der andere Protagonist einmal mehr die Bühne betrat. Aufmerksam betrachtete er das veränderte Bühnenbild, das nichts mit den vorherigen gemeinsam hatte und unglaublich traurig und trist wirkte.

Zuerst schien Izaya erstaunt, als er Shizuo erblickte. Im Gegensatz zu sonst waren seine Mundwinkel nicht im Anflug eines Grinsens nach oben gezogen, sondern bildeten eine schmale Linie mit seinen Lippen.

So sollte sein Plan nicht enden. Zweifellos, es war etwas Besonderes geschehen, so, wie er es beabsichtigt hatte. Dennoch missfiel ihm der Anblick, der sich ihm bot. Es mochte an all dem Rot liegen, das sich dem Zuschauer regelrecht aufdrängte, oder an den schweren, angestrengten Atemzügen der anderen Person.

Gemächlich, fast zögerlich, wagte Izaya, einige Schritte auf Shizuo zuzugehen, bis er schließlich ratlos vor ihm stehen blieb, ihn viele Augenblicke musterte und das Gesicht verzog. »Ach Shizu-chan, musstest du so übertreiben?«

Niemand konnte den Vorwurf in seiner Stimme hören. Niemand konnte sehen, wie er tadelnd den Kopf schüttelte und vor seinem bewusstlosen Gegenspieler in die Hocke ging. Mit einer Vorsicht, die er sich gar nicht zugetraut hatte, umschloss er Shizuos Gesicht mit seiner rechten Hand, hob es leicht an und betrachtete es eindringlich. Von Nahem wirkte der Mann vor ihm noch gebrochener. Dass all das Blut unmöglich von ihm allein stammen konnte, war Izaya zwar klar, doch ein wenig widerte es ihn trotz allem an.

Endlos lange überlegte er, was er nun tun sollte, da sein Plan nicht den gewünschten Ausgang gezeigt hatte; merkte dabei nicht, wie einer seiner Finger das Blut auf dem Gesicht des anderen nachzog. Irgendwo in der Ferne hörte er das Sirenengeheule der Krankenwagen und der Feuerwehr, die nun die Unordnung beseitigen würden, die Shizuo hinterlassen hatte.

Dann traf er eine Entscheidung, und augenblicklich kehrte das Grinsen auf seine Züge zurück. »Was soll ich denn jetzt mit dir machen, wo du dermaßen demoliert bist?«

Keine Antwort auf seine rhetorische Frage abwartend erhob er sich und machte sich daran, den leblosen Körper in ein anderes Bühnenbild zu tragen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Agust_D
2014-04-13T09:00:40+00:00 13.04.2014 11:00
Oh Gott! Spannend *-*
Von:  Hikaru-Chan
2012-07-14T09:47:42+00:00 14.07.2012 11:47
Bei FFs die eine Serie betreffen und ich diese sehr mag, bin ich immer sehr gespannt wie der Autor die Charaktere umsetzt. Weil ich es nicht mag, wenn die Handlungen der Charaktere nicht nachvollziehbar erscheint, weil man sie ja gut kennt. Jedenfalls ist das bei dir überhaupt nicht der Fall! ;) Ich finde, aus diesem Kapitel hätte man leicht eine zusätzliche Folge machen können, wo das Ende offen ist und der Zuschauer sich fragen kann wie es weitergegangen ist, aber das hätte der Autor der eigenen Fantasie überlassen, wie so manches in Durarara!! ^^

Ach und ich liebe deinen Schreibstil jetzt schon, wobei das die erste FF ist die ich von dir gelesen hab, aber ich werde ganz gewiss ein Auge auf deine Schreib - Aktivitäten haben ;)

Lg,
Hikaru
Von:  FeliNyan
2011-06-09T18:17:35+00:00 09.06.2011 20:17
nein wie geil!!! *___*
Dein schreibstil ist abartig genial!!
ich liebe es wie du schreibst!
Und die Story!! *schmacht*
einfach nur toll! würde mich echt freuen wenns schnellweiter gehen würde!

ggglg
Kuro_mangetsu


Zurück