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Die Legende vom Avatar

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Mit einem lauten Platschen landete Kenai im Bach. Eiskaltes Wasser raubte ihm für einen Moment die Sinne. Atemlos rollte er sich auf die Seite und stemmte sich hoch, doch seine zitternden Hände gaben nach und er sackte zurück. Keuchend versuchte er es noch einmal. Seine Hände gruben sich tief ins schlammige Ufer, als er sich keuchend auf die Beine Zwang. Er schwankte, doch irgendwie schaffte er es sich hinzustellen. Sein Blick verschwamm. Energisch schüttelte er den Kopf, doch das brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er landete wieder im Wasser. Dieses Mal wartete er einige Sekunden, bevor er es noch einmal versuchte. Irgendwie schaffte er es auf den Beinen zu bleiben. Mühsam und am ganzen Leib zitternd kroch er aus dem Bach. Seine Arme und Beine brannten fürchterlich. Sie schmerzten, als hätte jemand versucht sie ihm auszureißen. Er sehnte sich danach sich auf die Erde sinken zu lassen und in einen tiefen Schlaf zu gleiten, doch sein Blick suchte verzweifelt nach Anyu. Da lag sie. Nicht weit von ihm. Genau da, wo der Bach sich gabelte. Ihr Körper bebte. Ein oder zwei Pfeile schienen aus ihrem Körper zu ragen, doch er war sich nicht sicher. Das Licht war zu schwach. Mühsam schritt er auf sie zu. Ein Fuß nach dem anderen. Sein Körper fühlte sich schwer an. Bei jedem zweiten Schritt strauchelte er und doch schleppte er sich mit hängenden Schultern weiter, bis-

-ihn ein plötzlicher Sturm von den Füßen riss. Hilflos wirbelte er durch die Luft und krachte hart auf die Seite. Alles drehte sich wild um ihn herum, so dass er seine Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, stand der Junge über ihn. Dieser hielt noch immer den Speer in der Hand, den er auf Kenais Kehle drückte. Das Gesicht war vollkommen ausdruckslos.

„Du bist ein Erdbändiger“, sagte er tonlos. Kenai sagte nichts. „Sie haben gesagt du wärst ein Wasserkrieger.“ Kenai sagte noch immer nichts. Der Speer drückte ihn in den Hals, so dass er es kaum wagte zu atmen. „Wieso dachten sie, dass du ein Wasserkrieger bist?“

Kenai schluckte. Er öffnete den Mund, doch er schloss ihn wieder. Sein Blick glitt am Jungen vorbei auf Anyu, die sich kaum rührte. „Anyu …“, keuchte er flach. „Ich muss zu Anyu …“

Der Junge sah zur geschwächten Wolfsbärin hinüber, ohne jedoch Kenai aus den Augenwinkeln zu lassen. „Du bist ein Erdbändiger“, sagte er noch einmal. „Ich muss dich töten.“ Kenai sah ihn nicht an. Seine ganze Aufmerksamkeit galt allein Anyu.

„Anyu …“ Er konnte den wachsenden Druck auf seiner Kehle spüren. „Bitte … Sie braucht mich …“

Der Junge verfestigte seinen Griff. Wieder sah er zur Wolfsbärin, dann sah er wieder Kenai an, der ihm in die Augen blickte. Die beiden sagten kein Wort. Sie sahen sich einfach nur an. „Du hast mein Leben gerettet“, sagte er schließlich. Er ließ den Speer sinken und trat von ihm zurück. „Obwohl du ein Erdbändiger bist. Ich lasse dich gehen … Dieses eine Mal.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand zwischen den Bäumen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er irgendwie traurig aus.

Kenai hatte keine Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Mühsam stemmte er sich wieder auf die Beine und schlurfte zu Anyu hinüber, die leise fiepend auf dem Boden lag. Mit halb geöffneten Augen sah sie zu ihm auf. Kenai rang sich zu einem traurigen Lächeln durch, als er ihr vorsichtig übers Fell strich. Einige Stellen waren in Blut getränkt, andere verbrannt. Einige Wunden waren schon älter und verkrustet, doch zum Teil waren sie wieder aufgebrochen. „Ach, Anyu“, hauchte er mitleidsvoll. Seine Hand blieb an einem Pfeil stehen, der in ihrer Flanke steckte. Ein weiterer ragte an ihrem Bauch heraus. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sie. „Ich muss sie rausziehen“, murmelte er. Er griff nach dem ersten Pfeil nah am Schaft. „Das wird jetzt weh tun.“ Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als er den Pfeil auch schon mit einem kräftigen Ruck heraus zog. Ein schmerzvolles Heulen entrann Anyus Kehle und sie verkrampfte sich. Kenai zog den zweiten Pfeil heraus. Blut quoll aus der Wunde hervor und tropfte auf den Boden. „Du hattest Glück, mein Mädchen“, sagte er und kraulte sie beruhigend hinter den Ohren. „Die Pfeile waren nicht besonders tief. Aber dennoch müssen die Wunden dir weh tun, nicht wahr?“ Sie fiepte kaum hörbar. „Ich bin weder Kaija noch Mana, aber ich werde sehen, was ich tun kann. Ich muss deine Wunden waschen. Versuch dich zu entspannen.“ Anyus Kopf kippte leicht zur Seite und ihr verkrampfter Körper entspannte sich kaum merklich.

Kenai atmete ein paar Mal tief durch und kämpfte seine Erschöpfung nieder. Es dauerte lange, bis er das Wasser spüren konnte. Es war, als würde irgendetwas sein Gespür für das Element dämpfen. Zäh wie Gummi zog es sich dahin, als er es träge aus dem Flussbrett zu heben versuchte. Doch es landete plätschernd auf dem Boden. Wieder versuchte Kenai es. Das Wasser hob sich hoch in die Luft, wo es schimmerte und funkelte. Langsam kehrte sein Gefühl dafür zurück. Mit einem eleganten Schwung rauschte es durch die Luft und legte sich sanft auf Anyus Wunden. Ein schwaches, warnendes Knurren entrann ihrer Kehle. Verwundert runzelte Kenai die Stirn. Plötzlich hörte er ein leises Geräusch. Sofort wirbelte er herum. Wie eine Peitsche schnellte das Wasser durch die Luft. Doch plötzlich klatschte es wirkungslos auf den Boden.

Am Bach stand kein Feuerkrieger, wie Kenai erwartet hatte. Der Junge war zu ihm zurückgekehrt. Mit großen Augen starrte er ihn an, als wäre der Leibhaftige persönlich. Seine Arme klammerten sich um den Speer, als würde er ihn irgendwie schützen können vor dem, was ihn ganz offensichtlich ängstige. Und dieses etwas war ganz offensichtlich Kenai. „Was bist du?!“, fragte er entsetzt.

Kenai erstarrte. Ungläubig starrte er den Jungen an. Er hatte ihn gesehen. Er hatte ihn beim Bändigen gesehen! Panik regte sich in ihm. Sein Herz begann heftig zu rasen, als würde es am liebsten davonrennen wollen.

Vorsichtig trat der Junge einen Schritt näher, denn Speer immer noch zum Angriff bereit. „Wie- wie hast du das gemacht?!“

Kenai antwortete nicht. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Warum war der Junge nur zurückgekehrt? Warum hätte er nicht einfach fort bleiben können? Er hatte keine Ahnung was er nun machen sollte. Warum hatte der Junge ihn nur sehen müssen?!

Neben ihm regte sich plötzlich etwas. Mit einem drohenden Knurren versuchte sich Anyu auf die Beine zu stemmen und löste damit Kenais Starre. Sofort sprang er auf und versuchte sie daran zu hindern. „Nein, nicht!“, flehte er, stellte sich ihr in den Weg und griff nach ihrer Schnauze. „Du darfst noch nicht aufstehen! Du musst dich ausruhen!“ Sie starrte ihn an. Er konnte sein eigenes Spiegelbild in ihren hellen Augen sehen, die sich langsam von ihm abwanden und hinüber zum Jungen glitten, der die Szene unruhig mit ansah. „Vergiss ihn“, flüsterte ihr Kenai beruhigend zu und begann sie zu kraulen. „Du hast genug getan. Leg dich hin. Bitte, Anyu. Genug.“ Sein Flehen wirkte. Ein Zittern ging durch ihren mächtigen Körper und sie ließ sich wieder zu Boden fallen. Sie seufzte, schloss die Augen und begann fast augenblicklich zu schlafen. Erleichtert grub Kenai sein Gesicht in ihr zerzaustes Fell. Sie war wieder bei ihm. Die Feuerkrieger hatten sie nicht erwischt. Sie hatten ihr stark zugesetzt, ja, aber die Wunden würden heilen. Sie hatte ihn gerettet. „Danke Anyu“, flüsterte er mit erstickter Stimme.

„Du bist merkwürdig“, sagte der Junge plötzlich. Kenai wandte sich um. Der Junge stand noch immer an Ort und Stelle, doch er hatte seinen Speer ein wenig sinken lassen. „Du hast vorhin die Erde gebändigt. Ich habe es gesehen. Und grade hast du das Wasser gebändigt. Wie hast du das gemacht?“ Kenai biss fest die Zähne zusammen. Er hatte keine Ahnung was er antworten sollte. „Was bist du?“, hakte der Junge nach. Scheinbar traute er sich nicht näher zu kommen, doch seine Furcht schien sich etwas gelegt zu haben. Kenai musterte ihn. Wie Dan gesagt hatte, schien er etwas jünger zu sein als er selbst, doch mit dem Speer in der Hand wirkte er um einiges reifer, aber auch gefährlicher. Kenai zweifelte keine Sekunde daran, dass er ihn noch einmal angreifen würde. Er musste auf der Hut sein.

„Nimm den Speer runter“, sagte er zu ihm. Mit einem mal fühlte er sich unglaublich müde. „Ich habe keine Lust zu kämpfen. Du etwa?“

Der Junge runzelte die Stirn. Einen Augenblick lang schien er nachzudenken, dann wirbelte er den Speer herum und rammte ihn in den Boden. „Nein.“ Dennoch machte er immer noch keine Anstalten sich ihm zu nähern. „Wer bist du?“

„Ich bin Kenai“, stellte sich Kenai vor. Ihm fiel etwas ein, eine Dunkle Erinnerung an die Erwähnung eines Paktes, und so fügte er noch etwas hinzu. „Ich komme vom Wasserstamm.“

Der Junge neigte leicht den Kopf zur Seite. „Ich bin Kalden von den Luftbändigern. Aber wenn du vom Wasserstamm bist, wieso hast du eben Erde gebändigt?“

Kenai seufzte resigniert. „Keine Ahnung“, sagte er. Es war nicht so, dass er diesem Kalden traute, doch der Schaden war bereits angerichtet und leugnen brachte nichts mehr. „Ich kann es einfach.“ Er konnte die Verwirrung und die Verwunderung in Kaldens Gesicht erkennen. Er wollte diesen Blick nicht sehen. Er hatte das Gefühl ihn nicht ertragen zu können und so befahl er der Erde eine sichere Kuppel um sich und Anyu zu schließen, so schnell, dass dem Luftbändiger keine Zeit zum Reagieren blieb. Dunkelheit umhüllte Kenai und mit einem mal fühlte er sich unglaublich müde. Er legte sich neben Anyu und schlief fast augenblicklich ein.
 

Kenai wusste nicht, wie lang er geschlafen hatte, doch als er die Kuppel wieder verschwinden ließ und ihn die warmen Sonnenstrahlen begrüßten, hatte er das Gefühl, dass es eine Ewigkeit gewesen sein musste. Seine Glieder waren steif. Seine Gelenke knackten bei der kleinsten Bewegung und es gab nichts, was ihm nicht weh tat. Dennoch fühlte er sich nicht wirklich schlecht. Seine Gedanken waren klarer wie zuvor. Er fühlte sich etwas besser. Er befand sich nicht mehr in Gefangenschaft. Es erwarteten ihn kein Verhör und keine Schläge mehr. Er war frei und dieser Gedanke schaffte es tatsächlich, ihm ein leichtes Lächeln auf die Lippen legen zu lassen. Es war doch immer wieder erstaunlich, was ein tiefer Schlaf alles erreichen konnte.

„Guten Morgen“, erklang plötzlich eine Stimme. Kenai zuckte heftig zusammen. Kalden hatte er völlig vergessen. Der junge Luftbändiger saß auf einen Baum und blickte auf ihn hinab. „Keine Feuerkrieger weit und breit“, berichtete er. Mit einem Satz landete er sanft neben Kenai auf dem Boden. „Sie scheinen uns nicht verfolgt zu haben. Zumindest noch nicht.“

„Gut“, hörte sich Kenai sagen, der sich innerlich bereits darauf vorbereitete, wieder ausgefragt zu werden. Sofort hatte sich seine Laune wieder verschlechtert.

„Dennoch sollten wir so schnell wie es geht von hier verschwinden“, fuhr Kalden fort, der Kenais Unbehagen nicht zu bemerken schien. „Je weiter weg wir sind, desto besser. Ich habe übrigens ein paar Beeren gesammelt. Es war nicht leicht welche zu finden. Willst du welche?“ Er reichte ihm eine Hand voll Beeren. Mit gerunzelter Stirn starrte Kenai sie an. Misstrauen regte sich in ihm. Warum war der Junge so freundlich? Weil die Wasserkrieger und die Luftkrieger Verbündete waren? Kenai wusste es nicht, doch ehe er sich versah hatte er schon nach den Beeren gegriffen und sie sich in den Mund gesteckt. Ein Schauder durchfuhr ihn. Sein Gesicht verzehrte sich und er fletschte die Zähne, als ein widerlicher Geschmack seine Kehle herunter rann.

„Bäh. Sauer.“

Kalden lächelte verkniffen. „Entschuldige. Aber was anderes habe ich nicht gefunden. Hier gibt es nicht viel Auswahl, es sei denn man mag Tannenzapfen.“

Kenai hatte das Gefühl, dass er im Moment alles hätte essen können, doch als sein Blick auf einen der schwarzen, verschrumpelten Tannenzapfen auf dem Boden fiel, verwarf er den Gedanken sofort. Eine unangenehme Stille entstand zwischen ihnen. Die beiden sahen sich schweigend an. Kenai wusste was Kalden beschäftigte. Es stand ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass man es unmöglich übersehen konnte. Aber er dachte nicht daran ihm irgendeine Antwort zu geben. Nicht, dass er eine gehabt hätte. Es ärgerte ihn ungemein, dass Kalden es herausgefunden hatte. Doch nun konnte er es nicht mehr ändern und das beängstigte ihn. Was würde jetzt mit ihm passieren? Allein beim Gedanken daran krümmte sich ihm der Magen.

„Ich habe da mal eine Frage“, begann Kalden langsam. Etwas nervös rieb er sich den Nacken und irgendwie schien er plötzlich reges Interesse an einem abgeknickten Zweig zu haben, der über ihren Köpfen an einem Ast baumelte. Kenais Kehle wurde schlagartig trocken. Jetzt waren sie wieder an diesem Punkt angelangt.

„Wie hast du es geschafft einen Wolfsbären zu zähmen.“

Kenai blinzelte. „Wie bitte?“

„Wie hast du es geschafft einen Wolfsbären zu zähmen?“

Irgendwie passte das, was Kalden sagte, nicht zu dem, was Kenai erwartet hatte. Verdattert sah er den jungen Luftbändiger an. „Wolfs … bären?“, fragte er langsam. Dann machte es klick. „Du meinst Anyu?“, fragte er, heil froh darüber, dass das Gespräch nicht in eine gefürchtete Richtung ging. „Ich habe sie als Welpen gefunden und aufgezogen.“ Er ging auf Anyu zu, die noch fest am Schlafen war. Als er jedoch begann ihr hinter dem Ohr zu kraulen, hob sie kurz den Kopf und gähnte herzhaft, bevor sie sich wieder platt auf den Boden legte. „Ich habe sie nicht wirklich gezähmt. Wir sind einfach nur Freunde.“

Kalden pfiff anerkennend durch die Zähne. „Das war wirklich so einfach?“

„Wir beide hatten nie Probleme miteinander.“ Zumindest keine nennenswerten, gestand er im stillen und dachte dabei an all die kleineren Zwischenfälle, die es gegeben hatte, wie etwa die mangelnde Stubenreinheit oder die Angewohnheit alles zu zerkauen, was ihr zwischen die Zähne kam, am liebsten Kenais Kleidung. Unwillkürlich musste er grinsen, doch das verging ihm schlagartig, als er Anyus verwundeten Leib betrachtete. Vorsichtig betrachtete er eine ihrer zahlreichen Brandverletzungen.

„Wird sie wieder?“, fragte Kalden besorgt. Kenai fiel auf, dass er sich im respektvollen Abstand zu Anyu hingekniet hatte und ihn aufmerksam beobachtete.

„Sie braucht Ruhe“, antwortete er.

„Die hat sie aber nicht. Die Feuerleute können jeden Moment hier auftauchen. Die dürften richtig sauer auf uns sein.“

Kenai erschauderte bei dieser Vorstellung. Sauer dürfte noch eine leichte Untertreibung sein. Er wollte erst gar nicht wissen was Shizon und Zoran mit ihm anstellen würden, wenn er ihnen jemals wieder unter die Augen kam. „Du hast recht.“ Seufzend kniete er sich neben Anyu und vergrub seinen Kopf in ihren Hals. „Hast du gehört, mein Mädchen? Ich weiß, dass du müde und erschöpft bist, aber du musst aufstehen. Wir haben uns genug ausgeruht. Wir müssen weiter. Ich weiß, dass du das kannst. Du hast doch schon viel schlimmeres durchgemacht als das hier. Davon lässt du dich doch nicht unterkriegen, oder? Wir suchen uns irgendwo ein nettes Fleckchen, wo wir uns ausruhen können. Bis dahin musst du dich zusammenreißen, verstanden? Wenn wir da sind, suche ich dir auch ein wenig Honig. Wie klingt das?“ Beim Wort Honig hatten sich Anyus Ohren schlagartig aufgerichtet. Mühsam stemmte sie sich in die Höhe, strauchelte und knickte mit den Hinterbeinen ein. Kenai zerbrach es fast das Herz, doch die Wolfsbärin gab sich einen Ruck und irgendwie schaffte sie es auf den Beinen zu bleiben. „Du honigsüchtiges Etwas“, neckte er sie liebevoll.

Sofort sprang Kalden leichtfüßig auf die Füße. „Sehr gut. Ich werde langsam unruhig. Es ist nie gut zu lange an einem Ort zu bleiben. Man weiß nie wer in den Büschen lauert.“

Verwundert sah Kenai ihn an. „Willst du etwa mit uns kommen?“

„Natürlich“, antwortete Kalden überrascht. „Was soll ich denn sonst machen? Ich habe keine Ahnung wo ich hin soll und zu dritt reist es sich viel angenehmer.“

„Was ist mit deinen Leuten?“

Kaldens Miene verfinsterte sich schlagartig. „Ich habe keine Ahnung wo sie sind und ich will es auch gar nicht wissen.“ In Kenai rührte sich etwas.

„Du bist wohl nicht gut auf sie zu sprechen, was?“

Traurig schüttelte der Junge den Kopf. „Nein … Aber du wohl auch nicht, oder?“ Er sah ihn offen an und Kenai spürte, wie er sich innerlich ein wenig entkrampfte. Er konnte förmlich Kaldens Bitterkeit spüren, die ihn so sehr an seine erinnerte, wann immer er an seine eigenen Brüder dachte. Ehemaligen Brüder, verbesserte er sich wieder.

„Nein“, gestand er. „Nicht so wirklich.“

„Also kann ich mitkommen?“, fragte Kalden hoffnungsvoll. Kenai zuckte nur mit den Schultern. Er musste daran denken, dass der Junge ihn verschont hatte, als er die Möglichkeit gehabt hatte ihn zu töten und er war genau wie er von den Feuerkriegern gefangen genommen und gefoltert worden. Vielleicht konnte er ihm dabei helfen sich nicht ganz wie ein Fremdkörper in dieser Welt zu benehmen. „Wenn Anyu nichts dagegen hat“, urteilte er schließlich.

Kalden verzog augenblicklich eine Grimasse. „Anyu?“ Er sah die Wolfsbärin an und schluckte, dann gab er sich einen Ruck und näherte sich ihr vorsichtig. „Hallo Anyu“, sagte er. Sie sah ihn an und er zuckte kaum merklich zusammen, fasste sich jedoch wieder. „Ich bin Kalden“, stellte er sich ihr vor. „Danke, dass du mich gerettet hast. Ähm … hast du was dagegen, wenn ich euch begleite?“ Dass sie ihn dieses Mal nicht anknurrte, schien ihm Mut zu machen. Mit einem beherzten Schritt stand er direkt vor ihr. Ihre Augen bohrten sich in seine und sie Sog scharf die Luft ein, als würde sie die kleine Spur von Heimtücke wittern können, doch dann wandte sie ihren Blick von ihm ab und schleppte sich zum Bach, wo sie mühsam ein paar Schlucke trank. „Das ist gut, oder?“

„Zumindest wird sie dich nicht gleich fressen“, scherzte Kenai. Auch er kniete sich neben den Bach und trank noch ein paar Schlucke, dann warf er Kalden einen knappen Blick zu, der den Himmel betrachtete. „Weißt du was das hier für eine Gegend ist?“

„Nein, nicht wirklich. So weit im Norden war ich noch nicht.“

„Wir sind im Norden?“

„Natürlich. Wusstest du das nicht?“

„Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung wo hier überhaupt irgendetwas ist.“ Alles war so groß. Bei sich zu Hause hatte er alles gekannt, jeden einzelnen Stein, doch hier war ihm nicht nur alles fremd, es war auch viel zu groß für ihn, um sich davon ein Bild zu machen. „Irgendeinen Vorschlag, wohin wir gehen könnten?“

„Auf jeden Fall nicht da lang.“ Kalden nickte in die Richtung, aus der sie geflohen waren. „Und wenn wir in die Richtung gehen“, sagte er und deutete nach Osten, „stoßen wir auf zu viele Erdbändiger.“

Nachdenklich runzelte Kenai die Stirn. Dann blieb nur der Norden und der Westen, was auch immer das für ihn bedeutete. Er hatte nicht die geringste Ahnung. Wohin wollte er eigentlich? Ein Gefühl des verloren seins regte sich in ihm. Bisher war er immer drauf los gestürmt, hatte darauf vertraut, schon irgendwo hin zu kommen, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Doch jetzt, wo er es zum aller ersten Mal tat, wusste er nicht was er machen sollte. Nicht einmal das ihm wohlbekannte ziehen war ihm behilflich, denn er spürte es grade nicht. Er versuchte in sich hinein zu horchen, doch es schien zu schlafen. „Hast du irgendeine Ahnung was uns nördlich oder westlich erwartet?“ Abgesehen von den Feuerkriegern, war er auch nicht sonderlich erpicht darauf seinen ehemaligen Brüdern über den Weg zu laufen.

“Nördlich könnten ein paar Luftbändiger sein“, meinte Kalden gedehnt, der mit seinen Augen den Horizont abzusuchen schien. „Aber ich bin mir nicht sicher. Wie deine sind sie nie lange an einem Ort.“ Plötzlich holte er tief Luft, pustete auf den Boden und wurde hoch in die Luft katapultiert. Erschrocken wirbelte Kenai herum und starrte nach oben. Sein Herz begann zu raßen. Er fliegt!, schoss es ihm ungläubig durch den Kopf. Er fliegt! Hoch oben, über den Bäumen, schwebte Kalden, schwebte tatsächlich, und sah sich um, als würde die Zeit still stehen. Bei allen Geistern. Sein Onkel hatte zumindest in dieser Hinsicht nicht gelogen. Menschen konnten fliegen! Doch genau da sank Kalden wieder, fiel in die Tiefe, drehte sich einmal um sich selbst und landete mit einer kleinen Staubwolke wieder auf den Füßen. Er wirkte besorgt.

„Irgendetwas ist in unserer Nähe.“

Kenai hörte ihn nicht. Fasziniert starrte er ihn an, das Herz rasend vor Begeisterung. „Du bist geflogen.“

„Ich … was?“ Einen Moment lang war Kalden verwirrt.

„Geflogen! Wie hast du das gemacht?“

„Geflogen? Ich? Nein. Ich bin nur hoch in die Luft gesprungen.“

„Gesprungen?“ Kenai glaubte ihm kein Wort. „Das waren locker fünfzehn Meter!“

„Tatsächlich? Ich dachte es wären weniger. Aber egal!“ Er packte Kenai am Arm und zog ihn hastig wieder auf die Beine. „Da kommt etwas. Vielleicht sind es die Feuerkrieger. Wir müssen weg.“

Bei der Erwähnung der Feuerkrieger fasste sich Kenai wieder. Er nickte, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, noch einmal in den Himmel zu blicken. Genau in dem Augenblick huschte eine kleine Kreatur über ihn hinweg. „Was war das?“

„Was war was?“

„Da war grade etwas.“ Aufmerksam folgte er der Richtung, in der das Wesen hinter den Bäumen verschwunden war. „Kommt. Beeilen wir uns.“ Ohne weiter darüber nachzudenken, schlug er die selbe Richtung ein, den Weg nach Westen.
 

„Sie waren hier.“ Zorans Stimme war wie ein tiefes Donnergrollen, dass aus den Tiefen der Hölle zu erklingen schien. Mit einem Gesicht, dass so hasserfüllt war, dass sich niemand in seine Nähe traute, kniete er auf dem Boden und betastete eine Stelle, wo offensichtlich etwas Großes gelegen hatte. Bluttropfen bedeckten den Boden und nicht weit davon lagen einige wenige abgeknickte Pfeilspitzen herum. „Das ist noch nicht lange her. Sag Shizon Bescheid“, blaffte er einen seiner Begleiter an, der heftig zusammen zuckte. „Sie sind nach Westen gezogen.“ Mit glühenden Augen richtete er sich wieder auf und ließ eine Finger knacken. Er würde sie finden. Egal wo sie sich auch verstecken würden. Er würde sie finden und dann würde er ihnen alle Glieder einzeln ausreißen, Stück für Stück und er würde dabei jede Sekunde genießen. Oh ja, das würde er. So war sein Name Zoran war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  schneegeist
2014-06-05T11:40:49+00:00 05.06.2014 13:40
Hi
Bin grade auf deine ff gestoßen.ich finde sie echt klasse ich hoffe für kenai das kalden in nicht hinter geht und das man ihm vertrauen kann vielleicht bringt er kenai ja das luftbändigen bei
Von:  Kupoviech
2014-03-05T11:08:06+00:00 05.03.2014 12:08
Nach der nervenaufreibenden spannenden "Schlacht" geht es also fast genauso spannend weiter.
Das Kapitel ist wieder sehr fesselnd geschrieben, wenn auch nicht ganz so flüssig und nahtlos ineinander übergehend wie das davor. (Man merkt das du dich schwergetan hast)
Nichts desto weniger finde ich die Situation in der sich die Charaktere befinden hervorragend dargestellt und beschrieben.
Zwar nicht detailreich, aber zu viele Details würden hier auch nur stören.
Obwohl hier und da etwas ruckartig, mag ich wie du Kalden darstellst.
Genau wie Kenai weiß man als Leser nicht ob man ihn nun vertrauen kann oder nicht. Besonders als er Kenai die Beeren anbot, hab ich innerlich geschrien "Iss die nicht, die sind giftig!"
Überrascht war ich, dass diese zwar bitter shcmeckten aber ansonsten keinen Schaden angerichtet haben.

Und immer wieder ruft der Cliffhanger. Also wirklich da will man gleich das nächste Kapitel lesen und es ist noch nciht da. ;______;
Vorallem bei der Schlussszene mit Zoran, dessen Wut du wunderbar zum Ausdruck gebracht hast.



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