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Sehnsucht

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Sehnsucht

Ich sitze in einer dunklen Ecke, die Knie herangezogen, die Stirn auf die Knie gesenkt. Mein Gesicht ist kalt, feucht. Das Licht brennt in meinen Augen. Dabei kommt das einzige Licht von dem kleinen Display des DVD-Spielers. Ein letzter Schluchzer lässt meinen Körper erzittern. Aber das Geschrei ist noch immer nicht verstummt…

Warum? Warum muss alles, was so schön angefangen hat, immer so schlecht enden? Warum muss alles um mich herum jedes Mal, wenn ich es gerade wieder aufgebaut habe, in Scherben zerspringen? Warum muss meinem Herzen immer wieder ein kräftiger Hieb versetzt werden, sobald es sich von dem ersten erholt hat? Warum immer dann, wenn man nicht mehr damit rechnet?

Wieder beginne ich zu weinen. Es hat doch alles keinen Sinn. Sanfte Worte zerfallen zu Staub, noch ehe sie etwas ausrichten können. Beschwichtigende Berührungen verblassen, noch ehe sie die Gefühle übertragen können. Man weiß es. Und doch hofft man so krampfhaft darauf, dass es doch nicht so ist…

Dumm. Wir Menschen sind dumm. Ich bin dumm.

Naiv. Eine schöne Umschreibung dafür.

Gutgläubig. Alle Gutgläubigen sind dumm.

Und damit wären wir wieder beim Anfang. Dumm.

Ein schwaches Lächeln umspielt meine Lippen. Dass nur ein einziges Wort einen zum Schmunzeln bringen kann. Dabei ist es nicht das Wort. Es ist die Aussage dahinter. Es ist die Selbsterkennung. Tja, ich muss echt dämlich sein, nicht erkannt zu haben, wie töricht ich die ganzen Jahre über war, mir Hoffnungen auf eine glückliche Ehe meiner Eltern zu machen. Dabei hatte die Ehe so schön angefangen… Dabei waren die ersten Jahre so wundervoll gewesen…

All die Jahre habe ich mich gefreut, zu den wenigen Kindern gehört zu haben, deren Eltern sich noch nicht haben scheiden lassen. Die letzten Jahre habe ich darauf gehofft, dass es weiterhin so bleibt. Doch seit einem halben Jahr wird diese Hoffnung immer wieder aufs Neue zerstört. Und inzwischen… habe ich Angst dabei, erkennen zu müssen, dass die Scheidung nicht mehr so weit entfernt ist, wie sie bisher schien…

Ich presse die Hände auf meine Ohren und schaukle nervös vor und zurück. Das Geschrei wird immer lauter, die Streitereien nehmen kein Ende, die Beleidigungen bohren sich tief in mein vor Angst pochendes Herz. „Nein, nein…“, murmel ich leise. „Mach, das es aufhört… Mach das es aufhört…!“ Aber nichts passiert. Und nun breche ich wieder in Tränen aus, von Trauer gepackt, von der stillen Hoffnung erfüllt, damit zumindest ein wenig das Geschrei um mich herum zu übertönen…
 

Langsam komme ich wieder zu mir. Müde blinzelnd öffne ich meine Augen, bemerke, dass meine haut klebt, dass meine Knie nass sind. Ich bin beim Weinen eingeschlafen… Na toll…

Erschöpft rappel ich mich in meinem dunklen Zimmer auf, versuche die klebrig trockenen Tränen aus meinem Gesicht zu wischen. Und erst jetzt wird mir bewusst, dass es still geworden ist. Mein Blick fällt auf die Uhr. Zwei Uhr dreiundfünfzig. Sie schlafen alle. Nur ich nicht. Ich kann niemanden anrufen, jetzt, wo das Donnerwetter endlich nachgelassen hat. Ich kann niemanden anrufen… Ich bin allein.

Warum muss mir dieser Schmerz ausgerechnet jetzt wieder bewusst werden? Warum?!

Erneut rinnt eine Träne über meine Wange.

Ich bin allein.

Ich schließe meine Augen. Und ich sehe dich. Ich kann dich spüren unter meinen Fingern. Ich kann dich riechen. Du riechst so gut… Deine Nähe tut so gut. Ich rufe dich bei deinem Namen und du lächelst mich an. Es ist dieses sanfte, und doch so intensive Lächeln, das ich so an dir liebe. Dieses warme Lächeln, das mein Herz jedes Mal zart liebkost…

Doch als ich meine Augen wieder öffne bist du fort. Du warst nie da. Und du wirst es nie sein.

Warum muss mir dieser Schmerz ausgerechnet jetzt wieder bewusst werden?
 

Plötzlich ertönt ein lautes Vibrieren durch mein Zimmer, das mich heftigst zusammenzucken lässt. Erschrocken starre ich auf das leuchtende Display meines Handys, das sich wie von selbst fortbewegt. Ein Anruf. Soll ich rangehen?

Entschlossen schlucke ich meine Tränen herunter und melde mich mit bemüht ruhigem Tonfall.

„Äh… Hi, hier ist Sam. Hab ich dich geweckt?“ Oh Gott! Warum muss er es ausgerechnet jetzt sein?!

„Nein, keine Sorge. Ich war schon wach.“

„Ist… alles okay bei dir?“

Ich zucke mit den Schultern und lächle schief. Ein kaltes Lächeln. „Wie man’s nimmt. Was gibt’s denn?“

„Nun… Eigentlich wollte ich etwas wegen der Klausurersatzleistung wissen, aber das ist gerade egal. Was ist passiert?“

„Was soll schon passiert sein?“, frage ich mit einem leisen, verächtlichen Schnauben. Als am andern Ende des Telefons nur Stille herrscht, schließe ich die Augen, ringe innerlich mit mir selbst. „Verdammt…“, stoße ich schließlich leise zwischen den Zähnen hervor und fahr mir mit der Hand durchs Haar. Und noch ehe ich mich zurückhalten kann, erzähle ich ihm von den Streitereien, von dem Geschrei, von den Beleidigungen, die mir die letzten Monate so das Herz zerfetzt haben…

„Und das schlimmste an der Sache ist, dass du ausgerechnet jetzt anrufst…“

„Wie meinst du das?“, fragt er, wobei ein verletzter Tonfall in seiner Stimme mitschwingt. Verdammt, den Satz hätte ich mir echt sparen können, nachdem er mir so aufmerksam zugehört hat!

„Ich… ach, verdammt, so meine ich das nicht“, versuche ich zu erklären und laufe dabei nervös im Dunkeln auf und ab. „Es ist einfach… mir ist das alles zurzeit so viel, die Schule stresst, meine Eltern stressen mich, ohne dass es bei ihren Streitereien direkt um mich geht und du… Ach, gottverdammter Mist! Ich bin einfach total durcheinander.“

Er schweigt. Ahnt er es?

„Es… fällt mir gerade alles nicht leicht, und du wirst wahrscheinlich nie wieder ein Wort mit dir reden, nachdem ich dich um drei Uhr morgens mit meinen Problemen bombardier und ich dir folgendes gleich gesagt habe, aber… aber ich halt‘s nicht mehr aus.“ Ich hole tief Luft. „Ich glaube, ich hab mich in dich verliebt.“

„… Wow.“

„Ich trage das jetzt schon seit einer Weile mit mir rum. Und vielleicht liegt die starke Empfindung im Moment eher daran, dass ich gerade auf alles übersensibel reagiere aber… Gott“, wieder hole ich tief Luft, bleibe vor meinem verhangenen Fenster stehen, die Augen geschlossen, die Stimme gesenkt, „Ich habe diesen Gedanken so oft. Der letzte Gedanke, bevor ich einschlafe, ist der, dass ich mir so gern wünschen würde, dich zumindest einmal neben mir liegen zu haben. Ich denke so oft daran, wie dein Lächeln mich verzaubert, wie sehr es mein Herz wärmt, selbst, wenn es nicht mir gilt. Und so sehr Freude mir diese Gedanken auch bereiten, Schmerzen bereiten sie mir mindestens genauso. Denn du bist so unerreichbar…“, wieder schnaube ich verächtlich, verächtlich über mich selbst, „Dieser Wunsch ist utopisch. Und jetzt wahrscheinlich sogar noch-“

Kiesel klirren an mein Fenster. Erschrocken zucke ich zusammen, wobei mir ein leiser, kaum hörbarer, Schrei entweicht. Ich reiße die Gardine auf, aber was ich dann sehe, lässt mir den Atem stocken.

„Du bist ganz schön schreckhaft“, lacht er leise in mein Ohr und grinst zu mir hinauf.



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