Basilisk
„Was wird hier wirklich gespielt?“ Gin blickte Rye mit einer Mischung aus Skepsis und Wut an. „Wieso entführen diese Typen Vermouth, nein, wieso wollen sie diese „Agentin“ entführen?“ Er spuckte ihm diese Worte förmlich vor die Füße, keine Spur mehr von der sonstigen Kälte in seiner Stimme, sie war rot und triefte vor Wut. „Und wieso verdammt wollen sie DIR in einem Zug auflauern und mit DIR ein Spielchen spielen?“ Rye verzog keine Miene. Am liebsten hätte Gin ihn erwürgt, aber das musste nichts heißen, im Moment hätte er vermutlich jeden erwürgen wollen, der ihm unter die Augen trat.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
„Natürlich nicht.“, fauchte Gin und packte ihn an der Schulter. Rye wich instinktiv zurück, fand aber schnell zu seiner gefassten Haltung zurück. Wie erwartet. „Der Mann im Zug. Er meinte, ich bin der Falsche. Sie haben Angel gesucht und…“, er fixierte ihn, während die Kälte wie eine eisiger Lufthauch durch ein nachsichtig offen gelassenes Fenster, zurück in seine Stimme glitt. „Dich. Sie haben auch dich gesucht. Abgesehen von der Haarfarbe sehen wir uns recht ähnlich. Selbe Länge, selbe Augenfarbe, ähnlicher Kleidungsstil. Diese Leute kennen dich.“ Auf einmal war er Rye ganz nahe, vielleicht, weil er ihn endlich irgendwie wachrütteln wollte. Er wollte eine Reaktion, eine Erklärung. Verdammt, sogar ein beschissener Wimpernschlag hätte ihm gereicht! Seine Lippen waren nun direkt neben Ryes Ohr, als er flüsterte.
„Wer sind sie, Rye? Und wer bist du? Was für ein krankes Spiel spielst du?“ Abgelenkt von Gins heißem Atem, spürte Rye erst jetzt den Lauf der Waffe an seinem Bauch, jederzeit bereit ihm eine Loch in seine Eingeweide zu schießen. Er konnte ein Schlucken nicht unterdrücken. „Rede, oder ich garantiere für nichts.“ Gins Mund war nun so nah an seinem Ohr, dass er glaubte, seine Zunge spüren zu können, Rye erschauerte unmerklich. Gin hätte fast gegrinst, zwang sich jedoch, ernst zu bleiben. Er durfte Rye auf keinen Fall auf den Gedanken kommen lassen, er könnte irgendwie die Kontrolle erlangen. Nein, er durfte seine Schlangenzunge nicht einsetzen, um ihm wieder irgendwas zu erzählen, sich herauszureden und ihn zu überzeugen, dass er sein Partner war, sein Freund… Nein! Er durfte nicht zulassen, dass Rye diesen Tanz je wieder mit ihm tanzte. „Rede!“
„Basilisk.“ Gin senkte die Waffe ein wenig, um den schmerzhaften Druck zu verringern und sah ihn überrascht an.
„Was meinst du damit?“ Seines Wissens nach bezeichnete ein Basilisk, ein Mischwesen, dessen Blicke tödlich waren. Der Gedanke jagte ihm einen ungewollten Schauer über den Rücken. Sie arbeiten lautlos, wie Schlangen, hauchte Angels Stimme in seinen Gedanken. Schlangen mit tödlichen Augen.
Ryes grüne Augen blitzten wissend, als hätte er seine Gedanken erraten. Als wüsste er nur zu gut Bescheid, über die todbringenden Schlangen, die ihren Weg gekreuzt hatten.
„Es ist eine Geheimorganisation, die ihren Hauptsitz in Thailand hat. Sie operieren aber auch in den USA und Europa. Ähnlich wie wir also.“ Er lächelte spöttisch. „Dummerweise scheinen wir ihnen nun im Weg zu sein, dass dürfte der Grund sein, warum sie uns jagen.“ Beinahe hätte er laut aufgelacht. Nein, sie jagten nicht die Organisation, sie jagten zwei Leute. Angel und Rye. Welche Verbindung bestand zwischen ihnen?
„Woher weißt du so viel über sie?“ Er musterte ihn voller Verachtung. „Vielleicht, weil du sie bereits ausgeschnüffelt hast wie uns? Und jetzt sind sie sauer?“ Mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen entsicherte er seine Waffe. „Du bist ein Idiot, Rye. Niemand macht denselben Fehler zweimal.“
„Hältst du mich tatsächlich für so dumm, mir gleich zwei mächtige Feinde zu machen?“ Gin zögerte. „Was glaubst du, warum du mich in der Organisation noch nie gesehen hast, obwohl ich scheinbar einen hohen Rang einnehme? Ich war dort und habe für Anokata spioniert. Ja, ich war ein N.O.C., aber für euch.“ Er spuckte auf den Boden und schob sich an Gin vorbei, wobei er seinen Waffenarm nach unten drückte. Gin ließ es zu. Er wusste selbst nicht, warum. Da waren nur diese grünen Katzenaugen, diese mutigen und zugleich tiefverletzten Augen, die ihn fixierten, wie die eines Raubtieres, das wusste, dass es unweigerlich verhungern würde und dennoch von seinem Instinkt zur Jagd getrieben wurde. „Du bist zerfressen von deinem Misstrauen Gin. Das Problem ist nicht, dass du mir nicht vertrauen kannst, du willst es einfach nicht.“ Einen kurzen Moment lang sahen sie sich beide einfach nur an. Zwischen ihnen war ein sonderbar elektrisches Gefühl, kleine, unsichtbare Blitze, die zwischen ihren Körpern zuckten und sie beide eine Gänsehaut bekommen ließen. Was war das für ein Gefühl? Gin hielt den Atem an. Wer bist du Rye, dachte er, wer bist du? Fast glaubte er, er würde antworten, so eng schien die Verbindung zwischen ihnen auf einmal zu sein, doch Rye wandte sich einfach um und ging, um einen Mann ohne Gewissen, mit beinahe so etwas wie Schuldgefühlen zurückzulassen.
