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Why can't I just love?

von

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21. Juli

Also, gestern ist es doch etwas anders gelaufen, als ich erwartet hatte. Ich wollte ja unbedingt meine letzte Chance nutzen.. Nun, ich konnte nicht. Nicht etwa, weil ich am Ende doch zu feige war oder so. Ganz im Gegenteil, meine Motivation war auf ihrem Höhepunkt. Doch Aksel war nicht in der Schule. Wieso schwänzt dieser Kerl den letzten Schultag, wo man eh nur drei Stunden hat? Was geht in seinem faulen Kopf bloß vor?!

Jedenfalls war ich, wie man sich vorstellen kann, sehr geknickt. Ich würde mal wieder die ganzen Sommerferien über allein sein. Gut, ich hatte meinen Vater und David. Aber irgendwie reichte mir das nicht. Ich wollte unbedingt Aksel bei mir wissen. So einen Egoismus kannte ich von mir gar nicht, eigentlich hätte ich doch schon mit dem einen Freund, den ich endlich hatte, zufrieden sein müssen.

Als ich nach dem Schultag nach Hause kam, plumpste ich sofort auf das Sofa und ließ mein durchschnittliches Zeugnis, dass mich auch nicht wirklich aufheiterte, auf den Boden fallen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, irgendetwas anderes zu tun, als herumzusitzen. In Gedanken malte ich mir bereits aus, wie sich jemand anderes Aksel schnappte. Das war doch einfach nur ungerecht, da zeigte man schon mal etwas Engagement und dann war es ganz umsonst. Ich zog meine Beine an und legte meinen Kopf auf meine Knie. Wahrscheinlich sah ich aus, wie das Selbstmitleid in Person.

»Hey, Tobi!«, hörte ich meinen Vater rufen.

Als Antwort murrte ich ein undefinierbares Geräusch zurück. Danach sagte er nichts mehr, doch ich hörte, wie er sich mir näherte und sich schließlich neben mich setzte. Ganz sanft strich er mir über den Rücken. Ich hob meinen Kopf und sah ihn an, wie er mir aufmunternd zulächelte. Schließlich seufzte ich und lehnte mich an seine Schulter, froh, jemanden bei mir zu haben.

»Er war einfach nicht da!«, meckerte ich sofort los.

»Und was willst du jetzt machen?«, fragte mein Vater mich.

Ich überlegte. »Was bleibt mir denn schon anderes übrig, als die sechs Wochen abzuwarten? Ich habe keine Ahnung, wo Aksel wohnt oder ob er in den Urlaub fährt oder so. Wahrscheinlich hat er bis zum nächsten Schultag längst schon eine Freundin!«, jammerte ich aufgebracht.

Vater legte tröstend einen Arm um mich. »Weißt du, ich denk-«

Auf einmal klingelte es an der Haustür. Ich ärgerte mich etwas, in meiner Selbstmitleidphase gestört zu werden, bewegte mich aber trotzdem zum Eingang unseres Hauses. Als ich die Tür öffnete, stand David vor mir. Ich hatte ihn erst auf den zweiten Blick erkannt, da er eine normale Jeans trug. Er sah so ungewohnt normal aus, wenn er Hosen anhatte, dass ich ihn, anstatt ihn zu begrüßen, einfach nur geschockt anstarrte.

David lachte. »Ungewohnter Anblick, was?«

Ich brachte es fertig, meine Kinnlade zu schließen, und nickte. »Wieso hast du eigentlich... also...«

»...normale Sachen an?«, beendete David meinen Satz. »Bei der Party heute Abend wird sicher ziemlicher Tumult herrschen, und da dachte ich mir, ein Rock wäre eher unpraktisch.«

»Oh, du gehst auf eine Party?«, fragte ich überrascht.

David schüttelte den Kopf. »Falsch. Wir gehen auf eine Party.«

Ich blickte ihn entgeistert an. Er musste komplett den Verstand verloren haben. Ich auf einer Party? Schon eine Tasse Kaffee brachte mich halb zum Durchdrehen, wie sollte ich da Alkohol anrühren? Und dann auch noch diese fremden, aufgedrehten Leute überall. Nein, das war definitiv nichts für mich. Na gut, ich war noch nie auf einer Party und kann daher nicht genau sagen, wie es da so läuft, aber so habe ich es mir immer vorgestellt. Und wenn die Leute aus meiner Klasse über Partys redeten, waren die einzigen Beschreibungen, die ich so hörte, ›Boah, du warst so voll, Alter‹ oder ›Man, hab ich gekotzt, ey‹. Das half mir dann auch nicht sonderlich weiter.

»Ausgeschlossen«, machte ich David klar, »niemals in meinem Leben werde ich auf eine Party gehen!«

Wie aus dem Nichts tauchte mein Vater auf einmal hinter mir auf und sagte: »Also, ich halte das eigentlich für eine gute Idee. Vielleicht hilft dir das ja, deine Schüchternheit etwas zu überwinden.«

»Eben«, stimmte David ihm zu.

Es schienen sich alle gegen mich verschworen zu haben, und so gab ich klein bei. David machte den Vorschlag, mich noch etwas vorzubereiten, und ich nahm seine Hilfe dankend an. So blieb er ein paar Stunden bei mir und erzählte mir ein bisschen etwas über das Partyleben und auf was ich vorbereitet sein müsste. Er versprach mir auch noch, mich nicht aus den Augen zu lassen, wofür ich besonders dankbar war.

Mein Vater hatte angeboten, uns zu der Party zu fahren, und so saßen wir am Abend in seinem Auto und fuhren hinaus aus der Stadt. Der Gastgeber wohnte in irgendeinem Dorf, zwischen Wald und ein paar Feldern, was meine Laune nicht gerade hob. Mit der Klassenfahrt hatte ich eigentlich genug Natur für mein ganzes Leben gesehen.

Irgendwann, als die Zahl der Traktoren die der Autos übertraf und es mehr landwirtschaftliche Fläche als Wohnraum gab, waren wir bei der Party angekommen. Ich und David stiegen aus und betrachteten das Grundstück. Sah eigentlich ganz normal und friedlich aus. So ziemlich gar nicht, als würde gerade eine Party laufen. Für mich ein extrem beruhigender Gedanke. Mein Vater verabschiedete sich schließlich und fuhr davon. Ein Junge aus meinem Jahrgang erschien hinter der Hausecke und winkte uns zu sich. Wir sollten wohl in den Hintergarten kommen.

Der Junge drehte sich um und rief zu irgendwem: »Die Alten sind weg, kannst wieder anmachen!«

Auf einmal kam uns eine Welle von etwas, dass man noch gerade so als Musik identifizieren konnte, entgegen, gefolgt von heftigem Gelächter. All meine Hoffnung war dahin, und ich hätte am liebsten wieder den Heimweg angetreten, auch zu Fuß, wenn es hätte sein müssen, doch David zerrte mich in den Hintergarten des Hauses. Es war noch nicht einmal dunkel, doch die Party schien schon in vollem Gang zu sein. In einigen Gartenecken sah ich Menschen auf dem Boden hocken, die wahrscheinlich ihren Mageninhalt entleerten, einige Mädchen torkelten an mir vorbei und auf einem Hof stand eine Reihe aus fünf Jungs, die alle wie um die Wette Bier tranken. Ein paar Meter gegenüber standen vier Jungs, einer rannte einem Ball hinterher. Schien irgendso ein Trinkspiel zu sein.

»Sag mal, David, glaubst du wirklich, das war eine gute Idee?«

...

»David?«

Keine Antwort. Neben mir war er nicht mehr. Ich drehte mich in alle Richtungen um, doch ich konnte ihn nirgendwo entdecken. So viel zu ›auf mich Acht geben‹. Deprimiert setzte ich mich an einen Tisch, so weit weg von den anderen Menschen, wie möglich. Ich sah mich etwas um und konnte überall nur aufgedrehte und auf eine schon nicht mehr natürliche Art fröhliche Jugendliche entdecken. Das war wirklich kein Ort für mich. Wahrscheinlich werde ich den ganzen Abend allein herumsitzen, dachte ich mir, so wie immer. Auf einmal glitt eine Bierflasche über den Tisch und blieb direkt vor meiner Nase stehen. Als ich einen Blick in die Richtung warf, aus der die Flasche gekommen war, sah ich den Skater, der mir bei Nico geholfen hatte. Er hatte ein blaues Auge und ein paar Schrammen im Gesicht, doch es schien ihm soweit noch ganz gut zu gehen.

Er setzte sich neben mich. »Das ist wohl nicht deine Welt, was?«

»Nein, absolut nicht«, stimmte ich ihm zu. »Und, ähm, danke... wegen Nico.«

Er winkte ab, als wäre es keine große Sache gewesen. »Ich bin übrigens Felix.«

»Tobias«, lächelte ich. Wenigstens einer, mit dem man sich normal unterhalten konnte.

Felix nahm einen Schluck von seiner Bierflasche. Nun gut, nach seinem ›kleinen Schluck‹ war etwa ein Drittel der Flasche leer. Fasziniert sah ich immer wieder zwischen der Flasche und Felix hin und her.

»Die Übung macht's«, lachte er.

Ich lachte unbehaglich zurück. Wahrscheinlich würde ich nach einem Drittel der Flasche schon auf Boden liegen. Oder auf dem Tisch tanzen. Wer weiß. So oder so, ich ließ das Getränk lieber in Ruhe.

»Ey, Schwuchtel!«, brüllte auf einmal jemand direkt in mein Ohr.

Ich unterdrückte einen Schrei und drehte mich um. Und schluckte auch einen weiteren Schrei des Entsetzens herunter. Hinter mir stand Aksel höchstpersönlich und grinste mich an. Gerade, als ich mich fragte, ob er vielleicht ein paar Gläser zu viel getrunken hatte, umschlungen seine Arme meinen Oberkörper und er drückte sich an mich. Mein Herzschlag legte sofort ein paar Takte zu und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Du wirst ja ganz warm...«, neckte Aksel mich, allerdings mit einem freudigen Unterton, als hätte er genau das geplant, und drückte seine Wange gegen meine.

Je mehr Mühe ich mir gab, nicht nervös zu sein, desto aufgeregter wurde ich. Aksels Nähe raubte mir jede Luft zum Atmen, und die Leute am Tisch, die uns beiden kritische Blicke zuwarfen, beruhigten mich nicht gerade.

»Lass mich los«, bat ich Aksel. In meiner Stimme schwang eine Spur von Verzweiflung mit.

Doch er dachte gar nicht daran, meiner Bitte nachzugehen. »Magst du mich denn nicht?«, fragte er schmollend.

Natürlich mag ich dich, schoss es mir in den Kopf. Mehr, als du je ahnen könntest. Aber das kann ich dir doch unmöglich sagen. Meine Gedanken flogen wirr hin und her, ich suchte verzweifelt nach einer passenden Antwort, die meine wahren Gefühle nicht verraten würden.

Ich könnte ihm ja sagen, dass er mich nervt. Aber wenn er dann, wenn auch nur gespielt, traurig wäre, würde ich ihn wahrscheinlich heulend um Verzeihung bitten. Argh, warum muss ich nur so ein miserabler Lügner sein?

»Man, Aksel, hör doch auf, den Kleinen zu verarschen. Für ihn ist alles schon schlimm genug«, rief Felix leicht gereizt.

Aksel warf diesem einen Todesblick zu, jedoch ohne mich auch nur ein bisschen loszulassen. Während ich befürchtete, bei mir könnte sich langsam eine Klaustrophobie entwickeln, überlegte ich mir noch, ob Felix Recht haben könnte. Vielleicht war das alles ja nur eine Art Scherz. Genau, bestimmt verarschte Aksel mich schon, als wir uns auf der Klassenfahrt umarmt hatten. Und auch dann, als wir...

Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was geschah, entfernte sich Aksel von mir – nur, um sofort wieder näher zu kommen – und schon lagen seine Lippen lagen auf meinen.

Mein Kopf schaltete sich automatisch aus. Ein seltsames, warmes Gefühl breitete sich in mir aus und jegliches Gefühl für Zeit löste sich in Luft auf. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis der sanfte Druck auf meinen Lippen nachließ und Aksel sich langsam von mir entfernte. Es hätten mehrere Sekunden sein können, vielleicht aber auch noch nicht einmal eine. Jedenfalls dauerte es lange, bis die plötzliche Stille, die um uns herum entstanden war, aufhörte, und ich langsam begriff, was gerade geschehen war.

»Glaubst du immer noch, ich meine es nicht ernst?«, fragte Aksel kalt.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Felix zögerlich den Kopf schüttelte. In meinem Kopf ging ich immer wieder durch, was gerade passiert war. Ich konnte es immer noch nicht begreifen, war noch immer völlig berauscht. Eine Art Kribbeln wanderte durch meinen ganzen Körper, mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Die Geschwindigkeit meines Herzschlages konnte es mit einem Rennwagen aufnehmen, zumindest fühlte es sich so an. Ich hatte noch immer ein seltsames Gefühl auf den Lippen, als wäre der Kuss von mir und Aksel nie unterbrochen worden. In mir bildete sich ein Wunsch, beinah schon ein Verlangen, gegen das ich nichts tun konnte.

Ich wollte mehr.

Diese Gefühle verwirrten mich. Aksel verwirrte mich. Meint er es jetzt doch ernst, oder hatte der Alkohol seine Sinne getrübt? War er sich überhaupt bewusst, was er gerade getan hatte?

»A-Aksel... D-du, du hast...«, stotterte ein Mädchen, dass am Tisch saß. Sie fragte sich anscheinend das gleiche.

»Ja, habe ich«, sagte Aksel gleichgültig, »und ich würde es wieder tun.«

Er warf mir einen scharfen Blick zu.

»Ich habe dir schon einmal gesagt, wieso.«

Danach ging er. Das Mädchen fing an, zu weinen, anscheinend war sie in Aksel verliebt. Einige Freunde von ihr trösteten sie und warfen mir vorwurfsvolle Blicke zu. Wieso bin ich Schuld, wenn Aksel mich küsst? Es kam total unvorbereitet. Naja, ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich noch Zeit zum Reagieren gehabt hätte. Außerdem war das Ganze auch ein großer Schock für mich. Es war immerhin mein erster Kuss. Ja, mit Siebzehn. Ich weiß, ich weiß.

»Das ist echt abartig, man«, hörte ich Felix auf einmal sagen. Auch er sah mich vorwurfsvoll an, gemischt mit etwas Ekel.

Die Anderen am Tisch stimmten ihm zu. »Total widerlich!«

Ich fühlte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Sollte ich ihnen jetzt etwa zustimmen und sagen, dass ich das alles gar nicht wollte? Nein, meine Gefühle sind echt, ich werde sie nicht verleugnen, schoss es mir durch den Kopf. Für das, was ich fühle, kann ich doch nichts. Ich habe mir das alles nicht ausgesucht. Aber deswegen verurteilt zu werden ist, finde ich, das Letzte.

Ohne ein Wort stand ich auf und ging davon. Die Blicke der Anderen spürte ich noch im Rücken, bis ich vollständig in der langsam einkehrenden Dunkelheit verschwand.

 

Ich saß allein auf einer Parkbank, die ich in der hintersten Ecke des Gartens gefunden hatte. Die einzigen Leute, die hierher kamen, waren Paare, die wohl irgendetwas machen wollten, bei dem ich nicht dabei sein sollte. Sobald sie mich sahen, verschwanden sie wieder. Ob das an meinem unmotivierten Ausdruck liegt?, fragte ich mich. Konnte mir eigentlich auch egal sein, ich wollte lieber meine Ruhe. Ein bisschen Zeit, mich zu sammeln. Die Geschehnisse zu verarbeiten und so weiter.

Gut, jetzt habe ich mich genug gesammelt, beschloss ich. Ich nahm mein Handy aus meiner Hosentasche und schaute meine Kontakte durch. Das nahm circa fünf Sekunden in Anspruch, und so überlegte ich, wen ich anschreiben könnte. Mal sehen, der ADAC war jetzt keine große Hilfe. Aksel erst Recht nicht. Vielleicht konnte ich ja mit der Auskunft über die Intoleranz der Menschen philosiphieren. Obwohl, nein, der Toilettenanruf im Kino hatte mir eigentlich schon gereicht. David war der Nächste in meiner Liste. Wo steckte der eigentlich? Ich konnte ihn ja kurz anrufen. Vielleicht hatte er zufälligerweise auch keine Lust mehr auf die Party.

»Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar.«

Könnte mich auch getäuscht haben. Na gut, der Nächste. Besser gesagt: die Nächste. Meine Mutter. Ich hatte es immer noch nicht fertig gebracht, sie aus meiner Kontaktliste zu löschen. Das kam mir irgendwie wie Verrat vor. Als würde in ihr Schlafzimmer ein zweites Badezimmer bauen lassen, oder so. Als Nächstes kam mein Vater, als letzter auf meiner Liste. Ich schrieb ihm eine SMS und versuchte, sie so ungezwungen und nicht-verzweifelt wie möglich klingen zu lassen.

Dieser Ort ist die Hölle! Du hast nicht zufällig Lust, eine Spritztour hierher und nach Hause zu machen?

Naja, ich hab's versucht. Eine Minute später erreichte mich folgende Antwort:

Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass der Tank leer ist?

Wütend schrieb ich zurück: Nein! Ungeduldig wartete ich seine Antwort. Hoffentlich holt er mich von diesem Ort ab, flehte ich in Gedanken.

Dann haben wir einen Platten.

Ich beschloss spontan, ihn zu ignorieren und so tiefe Schuldgefühle in ihm auszulösen. Bestimmt macht er sich jetzt Schon Sorgen um mich, dachte ich mir. Ich seufzte. Gut, was soll ich so lange machen, bis mein Vater es nicht mehr ohne mich aushält?, fragte ich mich und warf einen erneuten Blick auf meine Kontaktliste.

Aksel.

Ich erklärte mich selbst für verrückt, schrieb aber trotzdem eine SMS an ihn. Irgendwie war mir momentan alles egal, dieses komische Schwindelgefühl, dass ich hatte, nervte mich aber schon. Ob dieses rote Zeug, dass ich getrunken hatte, wirklich nur Kirschsaft war? Immerhin hatte es nach Kirsche geschmeckt. Das spricht doch stark dafür, oder nicht? Die Nachricht war fertig getippt und ich stellte meine Überlegungen ein. Ich wusste, es war zwar keine besonders gescheite Idee, und ich würde es auch höchstwahrscheinlich hinterher wieder bereuen, doch ich schickte die SMS ab.

Können wir uns sehen?

Aufgeregt wartete ich auf eine Antwort von ihm. Vielleicht würde ja auch gar keine kommen, doch ich hoffte darauf. Ich wollte eine Gelegenheit bekommen, mit ihm zu reden. Endlich etwas Gewissheit zu haben. Und die Situation erschien mir irgendwie passend. Schließlich hatten wir uns ja irgendwie … geküsst. Oh Gott, dieses Wort. Geküsst. Ich hätte nie gedacht, dass es jemals im Leben auf mich zutreffen würde.

Auf einmal vibrierte mein Handy. Schnell zog ich es aus meiner Hosentasche und schaute auf die Nummer, die mich anrief. Es war Aksel. Ohne groß nachzudenken, drückte ich auf den grünen Hörer.

»J-ja?« Meine Stimme klang schrecklich rau, als wäre ich heiser. Verdammte Nervosität.

»Wieso willst du, dass wir uns sehen?«

Ich schluckte. Jetzt bloß nicht durchdrehen, Tobias. »Ä-ähm, ich wollte... ich weiß nicht... ich...«

»Du hast mich vermisst, richtig?«, unterbrach Aksel mich.

Es war so still, dass ich meinen Herzschlag hören konnte. Mein Kopf suchte überall nach einer Antwort, fand jedoch keine. Mein Herz schien jedoch bereits zu wissen, was es wollte: »Ja. Du fehlst mir.«

Wieder Stille. Ich spürte erst jetzt, wie sehr meine Hand, in der ich das Handy hielt, zitterte. So aufgeregt war ich wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Das war ja schon ein indirektes Geständnis, dass ich da gerade abgelegt hatte. Aksel konnte sich seinen Teil bestimmt schon denken. War sein Schweigen ein Zeichen dafür, dass er nicht so für mich empfand, wie ich für ihn? Mit diesen Gedanken sank mein Mut. Am liebsten hätte ich wieder aufgelegt. Ich wollte nicht hören, wie er mich abweist. Das würde ich nicht aushalten.

Auf einmal spürte ich, wie jemand seinen Kopf auf meine Schulter legte und mich von hinten umarmte. Vor Schreck ließ ich mein Handy fallen.

»Ich hab' dich auch vermisst«, flüsterte Aksel mir zu und steckte sein Handy in seine Hosentasche.

Er löste die Umarmung und ging um die Bank herum. Schließlich setzte er sich neben mich. Ich wich seinem Blick aus und drehte meinen Kopf zur anderen Richtung. Er hat mich vermisst. Dieser einzelne Gedanke flog mir immer wieder durch den Kopf und ließ keinen anderen mehr zu. So ein einfacher Satz, der in mir so viele Gefühle auslöste.

»…Weinst du?«, fragte Aksel mich plötzlich.

Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Unter leisem Schluchzen nickte ich. Meine Schultern bebten und die Tränen liefen ohne Ende meine Wangen hinunter. Es kam ganz plötzlich, ohne, dass ich es erwartet hatte.

»Tut mir Leid«, murmelte ich peinlich berührt und wischte mir über die Augen. »Ich bin nur so... also...«

Aksel legte seine Hand ganz sanft auf meine Wange. Ich drehte mich endlich zu ihm und sah ihn an. Er betrachtete mich mit diesem liebevollen Blick, doch man konnte ihm auch ansehen, dass er aufgeregt war. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, fand aber anscheinend keine Worte und wich meinem Blick aus. Auf sein Gesicht legte sich ein leichter Rotschimmer. So hatte ich Aksel noch nie erlebt, und es machte mich einfach unendlich glücklich, ihn so zu sehen. Zu wissen, dass er mir gegenüber seine Fassade abgelegt hatte.

»Darf... ich dich...?«, fragte er mich zögerlich.

Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. »Frag' mich doch nicht erst«, murmelte ich verlegen und starrte auf den Boden.

Aksel näherte sich mir, bis sich unsere Nasenspitzen fast berührten, und mein Herz schlug hart gegen meine Brust. Er legte seinen Kopf schief und kam noch näher. Ich schloss meine Augen, mir wurde bereits leicht schwindlig, doch es fühlte sich nicht unangenehm an, im Gegenteil. Und dann berührten sich schließlich unsere Lippen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Kurz zuckte ich zurück. Ich lehnte gegen seine Stirn und schaute verlegen auf den Boden.

»Tut mir Leid«, flüsterte ich. »Ich bin nur so … nervös.«

»Das musst du nicht...«, antwortete er leise und streichelte meine Wange.

Ich sah in seine dunklen Augen. Aksel war mir so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Das Gefühl der Anspannung in mir nahm zu, doch gleichzeitig stieg auch meine Sehnsucht, Aksel bei mir zu spüren. Eigentlich hatte ich immer erwartet, dass ich panisch die Flucht ergreifen würde, sobald jemand auch nur versucht, mir zu nahe zu kommen. Aber bei Aksel ist alles ganz anders. Ich wollte ihn am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Was war nur los mit mir, dass eine einzige Person meine ganze Welt auf den Kopf stellen konnte?

Als Aksel seine Lippen wieder sanft auf meine legte, stellte ich meine Überlegungen ein. Ich  schlang meine Arme um seinen Rücken, Aksels Hand wanderte von meiner Wange in meinem Nacken, seinen anderen Arm legte er um meine Hüfte. Zuerst waren wir sehr zögerlich, doch irgendwann lagen wir einander in den Armen und lösten unsere Lippen nur voneinander, wenn wir keine Luft mehr bekamen, jedoch nur um so schnell wie möglich wieder zueinander zu finden. Eine Gänsehaut machte sich auf meinem Körper breit, gefolgt von wohligem Kribbeln, und ich war mir sicher, meine vorherige Frage beantworten zu können: Ich liebe Aksel, das ist alles. Und so langsam glaubte ich, diese Gefühle wurden erwidert.

»Ey, was macht ihr da?!«

Wir lösten uns abrupt voneinander. Erschrocken wandten wir uns zu der Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dort standen Nico, seine Gang und einige Jungs, die ich schon öfter in unserer Schule herumlaufen gesehen hatte. Sie alle sahen mich und Aksel mit hass- und ekelerfüllten Blicken an. Ich schluckte und vergrub meine Finger tiefer in Aksels T-Shirt. Dieser warf mir einen nachdenklichen Blick zu. Ich hatte keine Ahnung, was dieser Blick bedeutete. Aksel beugte sich zu mir hinunter und flüsterte in mein Ohr: »Tut mir Leid.«

Dann stand er auf und ging auf die Gruppe der Jungs zu. Ich starrte ihm fassungslos hinterher. Was hatte er vor? Und wofür entschuldigte er sich?

»Man, Aksel, was machst du da für kranken Scheiß?«, fragte Nico und deutete mit einem Kopfnicken in meine Richtung.

Aksel warf mir einen verachtenden Blick zu. Ich betete, dass er mir beistehen würde. Er musste sich nicht gegen all seine Freunde auflehnen, aber wenigstens ein Versuch, die Situation zu erklären, war mir genug.

»Ich hab' wohl schon ein paar Gläser zu viel gehabt«, meinte Aksel und zuckte mit den Schultern. »Ist aber echt lustig, wie schnell man die Schwuchtel rumkriegt. Ich war ein bisschen nett zu ihm und er wäre am liebsten mit mir ins Bett gehüpft.«

Die Jungs lachten. Ich hörte einige von ihnen, wie sie mir Dinge zuriefen, zum Beispiel »So ein naiver Vollidiot.«

»Erbärmliche, kleine Schwuchtel.«

»Der hat's auch echt nötig.«

»Das kommt davon, wenn man so ein Freak ist.«

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis die Gruppe schließlich ging. Ich hörte Nico noch sagen: »Aber erschreck' uns nicht mehr so, Alter.«

Aksel lachte und antwortete: »Nie im Leben. Komm, gib's zu, du hast mir doch was in den Drink getan!«

Es zerriss mir das Herz. Ich saß einfach nur da und starrte Aksel hinterher, in der Hoffnung, er würde sich doch noch umdrehen und zurückkommen. Tränen liefen still meine Wangen hinunter, ich schenkte ihnen keine Beachtung. Aksel drehte sich ein letztes Mal zu mir um, ich konnte seinen Blick jedoch nicht deuten – die Tränen verschleierten meine Sicht - bevor er und die Anderen in der Dunkelheit verschwanden.

Erst als ich ganz allein war, begann ich, die Situation zu realisieren. Und brach endgültig in Tränen aus. Ich stützte meine Ellenbogen auf meinen Knien ab und hielt die Hände vor mein Gesicht. Wie konnte ich nur so dumm sein, an mein vollkommenes Glück zu glauben? Geschweige denn Aksel mein Vertrauen zu schenken? Ich wusste doch, dass er mich, egal, was vorher zwischen uns gewesen war, am Ende immer fallen lassen würde.

Ich hob meinen Kopf. Meine Sicht war verschwommen, doch ich konnte deutlich mein Handy auf dem Boden erkennen. Schnell wählte ich meine Hausnummer. Ich wollte nur noch weg.

»Bei Gerst, hallo?«, meldete sich mein Vater.

»Michael?«

»Wir haben immer noch einen Platten«, antwortete er und ich konnte mir vorstellen, wie er lächelte.

Ich schniefte. »Kannst du mich bitte abholen?«, fragte ich und versuchte, nicht zu verheult zu klingen.

Doch mein Vater bemerkte es natürlich. »Ich bin sofort da«, sagte er, ohne zu zögern.

Das Gespräch war beendet. Ich wischte mir die Tränen weg, und meine Augen brannten bereits vom vielen Weinen. Wahrscheinlich waren sie stark gerötet, was mich noch lächerlicher machen würde, wenn ich an den ganzen Partygästen vorbeigehen musste. Die Geschichte mit Aksel hatte sicher schon ihre Runde gemacht. Ich sollte über einen Schulwechsel nachdenken, beschloss ich und machte mich auf den Weg zum Hof.

Schon bei den ersten Jungs, an denen ich vorbeiging, herrschte bei meinem Anblick belustigtes Kichern. Als schließlich die große Masse mitten im Garten kam, wurde mir bereits wild zugerufen. Ich hörte einige im Chor ›Schwuchtel, Schwuchtel!‹ singen. Genau wie in der Schule, schoss es mir durch den Kopf. Einige fragten mich, ob ich ein Taschentuch haben wollte. Ich versuchte so gut, wie es ging, das Gelächter und die Demütigungen zu ignorieren und riss mich von jedem los, der versuchte, mich am Arm oder an der Schulter zu packen. Wie ein kleines Schulmädchen ließ ich mich fertig machen und lief einfach davon. Aber mir fehlte einfach jeder Mut, mich zur Wehr zu setzen.

 

Ich ging die Straße entlang. Das Haus des Gastgebers war bereits aus meinem Sichtfeld verschwunden und ich war auch ziemlich froh, davon weg zu sein. David würde schon ohne mich klar kommen, und ich hatte definitiv genug für einen Abend erlebt. Nur bei dem Gedanken an all die Erlebnisse schossen mir wieder Tränen in die Augen. Dabei wurde mir erneut klar, wie verschieden ich und Aksel waren. Für ihn waren Gefühlsregungen, egal welcher Art, eine Besonderheit, während heulen bei mir schon fast an der Tagesordnung stand. Unglaublich, dass ich jemals geglaubt habe, wir hätten eine Chance, zusammen zu sein.

Das Auto meines Vaters kam mir endlich entgegen. Ich blieb am Straßenrand stehen (das Dorf hielt Fußgängerwege anscheinend für Geldverschwendung) und ließ mich, sobald das Fahrzeug stehen geblieben war und ich die Autotür geöffnet hatte, in den Sitz fallen und stieß einen erschöpften Seufzer aus. Mein Vater schwieg und fuhr los, nachdem ich mich angeschnallt hatte. Auch ich sagte nichts, ich wollte ihm lieber später alles erzählen. Ich war zu fertig, um zu reden. Wir hatten gerade das Dorf, in dem die wohl schrecklichste Feier meines ganzen Lebens stattfand, verlassen, als der Schlaf mich übermannte und ich Aksel in meinen Träumen wiedersah. Natürlich war es, der Situation entsprechend, ein Albtraum, der all meine Gedanken und Erlebnisse des Abends widerspiegelte. All die Hoffnung. Die Enttäuschung. Alles noch einmal von vorne. Innerlich wusste ich jedoch, dass mein größter Albtraum die Realität selbst war. Träume gingen vorbei, doch wie sollte ich schon der Wirklichkeit entkommen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ayalaana
2015-05-26T19:11:03+00:00 26.05.2015 21:11
Hello again! Ja, auch mich gibt es noch, nach gut nem Jahr Abstinenz. Doch irgendwann fragte ich mich, was macht der Tobi wohl gerade und bin einfach mal wieder in deine FF hereingeschneit.
Jetzt mal ungeachtet dessen, wie es zu der Situation auf der Bank gekommen ist (was sich mir ehrlich gesagt nicht so ganz erschließt, denn es ging doch sehr fix) kann ich Tobis Reaktion auf Aksels Handeln doch gut nachvollziehen.
Na klar hat sich unser kleine Schweinehund im Vorfeld schon mal pauschal entschuldigt. Doch rechtfertigt das sein Handeln? Wohl kaum. Wer wäre denn nicht verletzt und enttäuscht und sauer gewesen, an Tobis Stelle? Selbst Tobi ist (juhu) nicht so blauäugig verknallt, dass er alles was Aksel tut oder sagt, verstehen muss. Für mich nachvollziehbar.
Ich hatte allerdings damit gerechnet, dass Tobi nicht den direkten Weg aus dem Garten nimmt, sondern sich irgend nen anderen Weg sucht, um die Konfrontation zu vermeiden. Und wenn er über Zäune gekrakselt und sich durch Hecken geschlagen hätte. Ich finde, das hätte besser zu seinem unbeholfenen Wesen gepasst.

David war in diesem Kapitel wohl nur das Mittel zum Zweck. Sonst hättest du ihn wohl nicht so mir nichts dir nichts aus der Handlung verbannt. Was ich allerdings auch nicht so richtig verstehen kann. Passt so gar nicht zu ihm, Tobi ohne ein Wort stehen zu lassen.
Typisch für Tobi, dass er sich am Ende noch Gedanken um ihn macht.

Mal schauen, wie es jetzt weitergeht. Wahrscheinlich wird Tobi Aksel mal wieder alles nachsehen. Zeig mal etwas Charakter Tobi! Denn am Ende ist Aksel der labilere von beiden. Tobi versteckt sich wenigstens nicht vor sich selbst.

Ich guck ma weiter.

LG Ayalaana

Hier ein Link für Dich. Eine tolle Aktion, wie ich finde. hier
Von:  tenshi_90
2014-06-03T06:51:41+00:00 03.06.2014 08:51
Ach herrje.. Armer Tobi... Da hat er aber was ganz schön missverstanden... Ich hoffe, er erholt sich bald wieder von dem Schock...
Von:  Leona10
2014-06-02T21:25:57+00:00 02.06.2014 23:25
Tobias will aber auch viel missverstehen. Aksel hat doch noch gesagt das es ihm leid tut. Mann,jetzt hör ihm doch mal bitte zu... >_<



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