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Der Zirkusjunge

Von Seiltänzern und schwarzen Haaren ...
von

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Von verunglückten Katzen und kleinen Schwestern

„Daniel, das ist nicht dein Ernst!“

Skeptisch begutachtet Cleo meine Zeichnung.

Sie zeigt einen Baum auf dessen Ast ein Vogel sitzt, der ursprünglich eine Katze hatte werden sollen – so viel gleich zu Anfang zu meinen Zeichenkünsten.

„Du weißt, dass wir inspirierende Bilder malen sollten, ja?“

„Was denn?“, frage ich zurück und drehe das Blatt Papier auf den Kopf. „Ich finde, sorum ist es sehr inspirierend …“

„Ja, für jemanden, der im Wörterbuch nachschlagen muss um herauszufinden, was Inspiration überhaupt bedeutet!“

Um das mal eben festzuhalten: Cleo muss sich ums Zeichnen nie Gedanken machen. Ihre Hand fängt immer wie von selbst an und befördert irgendwelche Wunderwerke zu Papier, bei denen selbst Van Gogh vor Neid erblasst wäre.

Und auch mit Inspiration hat sie äußerst wenige Probleme. Während ich bei solchen Dingen ungefähr so kreativ bin wie ein Stück Toastbrot, scheint Cleo ihre Ideen geradezu mit Löffeln zu essen. Ob zeichnen, schreiben, schneidern, tanzen … Sie kann alles.

Kopfschüttelnd greift meine beste Freundin mich am Ellenbogen und zieht mich in Richtung Kunstraum, vorbei an einigen Mitschülern, die uns seltsam mustern.

Klar. Man sieht es nicht jeden Tag, dass ein 16-jähriger Emo von seiner besten Freundin durch die Gegend geschleift wird – und hey, geschleift meine ich ernst. Immerhin besuche ich mein Hassfach noch immer nicht freiwillig.
 

„Guten Morgen.“

Frau Bregt, eine Referendarin, stellt ihre Tasche auf dem Pult ab und wendet sich dann an unsere Klasse.

Ihr hellbraunes Haar trägt sie zu einem Zopf nach hinten geflochten, die dunklen Augen mustern jeden von uns einzeln und ihre schlanke Figur lehnt leicht am Holz.

So ziemlich jeder Mann bezeichnet sie als gut aussehend. – Sogar ich, und ich bin schwul.

Hab ich bisher auch noch nicht erwähnt, oder?

„Wie ihr wisst, werdet ihr heute eure Bilder zum Thema Inspiration abgeben. Ihr habt jetzt noch eine halbe Stunde Zeit, den Bildern den letzten Schliff zu verpassen, dann bringt ihr sie bitte nach vorn.“

Na super. Ich freue mich schon außerordentlich auf meine Note. Wirklich, kann’s kaum erwarten.

„Die ist schon süß, oder?“, flüstert Jamil mir ins Ohr. Jamil ist seit Kindergartenzeiten mein bester Freund und kann meine „etwas andere Orientierung“ zum Glück vollkommen akzeptieren – obwohl er sie nicht teilt.

„Vielleicht. Am besten fragst du das nicht mich … Ich hab da so ein bischen andere Ansichten.“

„Stimmt.“

Nur zwei Sekunden später höre ich, wie er dieselbe Frage Jacob stellt, der hinter ihm sitzt.

Neben mir beginnt Cleo zu kichern.

„War ja klar. Jamil hat nichts Besseres zu tun als Lehrerinnen auszuspannen!“

„Hatte er doch noch nie“, gebe ich leise zurück, unterdrücke selbst ein Grinsen und lege meine missglückte Katzenzeichnung neben das Bild von Cleo.

Es zeigt einen Waldweg, bedeckt von trockenen Blättern und umgeben von knorrigen alten Bäumen. Ein Pärchen spaziert daher, die Hände fast schüchtern ineinander verschlungen.

Inspiration pur.

In diesem Moment spüre ich, wie sich jemand von hinten über meinen Rücken beugt.

„Also, daran kann man aber noch so einiges verbessern, findest du nicht?“, fragt eine freundliche Stimme dicht neben meinem Kopf. Frau Bregt.

„Nein“, erwidere ich ebenso freundlich, versucht, das komische Gefühl herunterzuschlucken, das man nun mal bekommt, wenn eine Lehrerin freundlicher wird, als sie sollte, „ich wüsste nicht wie. Meiner Meinung nach ist das sehr inspirierend.“

„Und in wie fern?“

Gerade öffne ich den Mund, um ihr zu antworten, als Cleo für mich antwortet: „Sie müssen es umdrehen, Frau Bregt. Daniel meint, dann wäre es ein wahres Kunstwerk.“

Die Ironie in ihrer Stimme ist nicht zu überhören – sie hat noch nie viel von meiner verqueren Denkweise gehalten.

Unsere Lehrerin jedoch dreht das Blatt zu meiner Überraschung tatsächlich auf den Kopf, betrachtet den Katzenvogel eine Weile und meint schließlich: „Daniel, ich würde sagen, da hast du der Kunst einen ganz neuen Weg geboten. Wirklich erstaunlich, wie du deinen Gedanken Luft machst und was für Ideen du freisetzt …“

Verwirrt sehen Cleo und ich uns an, beißen uns fast synchron auf die Unterlippe, um einen Lachanfall zu verhindern.

„… Meiner Meinung ist dieses Bild eine Drei wert – sehr interessant, was für Unterschiede es bei deinen Leistungen gibt. Demnächst werde ich alle Bilder erst umdrehen, bevor ich sie zensiere.“

Noch immer ein wenig überrascht sehe ich der Referendarin nach, wie sie ihren Weg durch’s Klassenzimmer fortsetzt und blicke dann wieder zu Cleo.

„Der Kunst einen neuen Weg eröffnet?“, frage ich irritiert.

„Tja“, prustet sie, hält sich die Hand vor den Mund, „wenn sie meint …“

In diesem Moment schaltet sich auch noch Jamil ein.

„Das ist ja mies“, stellt er fest, während er sein Gesicht mir zuwendet. „Die Jungs dieser Klasse können allesamt nicht genug von ihr bekommen und sie? Sie steht ausgerechnet auf den Einzigen, bei dem sie null Chance hat – weil er schwul ist.“

„Hä?“

So langsam verliere ich den Überblick.

„Warum sollte sie auf mich stehen?“

„Jetzt mal ehrlich“, setzt Jamil an und deutet bedeutungsschwer auf mein „Wunderwerk der neuen Wege“, das noch immer vor mir auf dem Tisch liegt, „warum sollte sie dieses Gekritzel da sonst einer Drei würdig halten?“

„Danke für dein Vertrauen in meine künstlerischen Fähigkeiten!“, gebe ich gespielt eingeschnappt zurück und verstaue meine bisher beste Kunstnote in meiner Tasche.
 

„Sagt mal“, fragt Jamil, während wir zu dritt in Richtung Mensa laufen, „was macht ihr eigentlich morgen?“

„Ich hab Zeit, wieso?“ Cleo zieht ein Kaugummi aus der Tasche und spielt mit den Lichtreflexen, die die Sonne auf das silbrige Papier wirft. Meine beste Freundin ist wahrscheinlich einer der quirligsten Menschen die ich kenne – abgesehen von meiner kleinen Schwester natürlich – aber mit solchen Kleinigkeiten wie Lichtpunkten auf Kaugummipapier kann sie sich Ewigkeiten beschäftigen.

„Weil ich vorhatte, mit euch beiden wegzufahren, zu meiner Cousine. Die hat mich eingeladen und ehrlich gesagt halt ich es nicht mit dieser Quasseltasse alleine aus.“

Jamil grinst uns schief an und sieht in diesem Moment so hilflos aus, dass ich mir regelrecht vorstellen kann, wie er sich hilflos ausgeliefert einem Mädchen gegenüber sieht, das förmlich Wasserfälle brabbelt. Der Arme kann es nicht leiden, wenn es nie ruhige Momente gibt – was unter anderem auch der Grund dafür ist, dass er sich zwischenzeitlich gerne mal mit Cleo in die Haare kriegt.

„Ich kann leider nicht“, seufze ich, während ich mich gegen die dunkelgrüne Mensatür werfe, die so aussieht, als könne sie eine Erneuerung äußerst gut gebrauchen.

„Meine Schwester hat mich dazu genötigt, am Wochenende, Samstag um genau zu sein, mit ihr in den Zirkus zu fahren.“

„Zirkus? Ich dachte, Jessi ist dreizehn.“

„Ist sie ja auch.“

Meine Tasche landet mit einem Klatschen auf dem Boden, schlittert ein Weilchen und bleibt dann, direkt neben meinem Stammstuhl, liegen.

Treffer.

Es erfordert, ob man’s glaubt oder nicht, einiges an Übung, genau aus der richtigen Entfernung mit genau der richtigen Kraft zu werfen, damit die Tasche so landet, wie sie soll.

Ja, das klingt jetzt komisch, aber ich hebe es doch tatsächlich wochenlang geübt.

„Und dann will sie noch in den Zirkus?“

„Hab ich je behauptet, dass meine Schwester sich wie dreizehn verhält?“

Cleo grinst. „Nein, hast du nie.

„Siehst du?“

„Hey, jetzt mal langsam.“ Typisch Jamil. Immer muss er jeden in Schutz nehmen. … Ja, okay, ich gebe zu, ganz so schlimm ist meine Schwester auch nicht. Sie ist süß, sie ist lieb, aber leider manchmal sehr kindisch – nicht, das ich das nicht auch kann; kindisch sein, meine ich.

„So schrecklich ist Jessi jetzt auch nicht. Meinem Erachten nach ist sie ein Mädchen, das einfach an seiner Kindheit hängt und gerne daran zurückdenkt.“
 

… Was ich schon wieder feststelle, während ich die Wohnungstür aufschließe und mich augenblicklich in Jessis Armen wieder finde.

„Da bist du ja endlich!!“

„Ähm, ja … Da bin ich.“

Meine kleine Schwester löst sich von mir, strahlt, und zieht mich am Handgelenk in die Küche.

„Weißt du, ich hab nämlich schon gekocht. Es gibt Nudelauflauf.“

Oh, das habe ich bisher auch vergessen: Jessi, genauer gesagt Jessica, ist eine begnadete Köchin, trotz ihres jungen Alters.

„Wie schön“, lasse ich mich auf einen Küchentisch fallen und piekse mit der Gabel in den Auflauf, der bereits vor meiner Nase steht. Gerade war meine Laune noch im Tiefpunkt gewesen, doch der Geruch von Nudeln, der sich jetzt langsam einen Weg in mein Geruchsorgan bahnt, bessert sie augenblicklich.

„Weißt du“, erzählt Jessi fröhlich, während sie auf ihren Nudeln herumkaut, „ich freu mich schon auf morgen. Das wird bestimmt lustig!“

Ich nicke geistesabwesend, bin nicht besonders überzeugt.

Um ehrlich zu sein, habe ich die Vorstellung, dass sich der morgige Tag hinziehen wird wie ein Gummiband, das man bis zum Anschlag spannt.

„Sag mal, guckst du mit mir Vorstadtkrokodile?“

„Was?“

„Du hast mich sehr wohl verstanden“, schmollt meine kleine Schwester und deutet mit der Gabel auf meine Brust.

„Guckst du mit mir Vorstadtkrokodile?“

„Nein!“

„Warum nicht?“

„Weil ich sechzehn bin und noch dazu nicht viel von diesem rosaroten Kinderfilm halte.“

„Was heißt hier rosarot? Der Film ist genauso ernst, wie der Mist, den du immer guckst!“

„Ich gucke keinen Mist!“

„Doch, tust du wohl!“

„Nein tue ich nicht!“
 

… Tue ich anscheinend doch. Leider besitzt meine liebe kleine Unschuldsschwester die Fähigkeit, mich zu allem zu überreden – ansonsten würde ich wohl nicht mit ihr in den Zirkus tapern.

Und so sitze ich jetzt mit Jessi auf dem Sofa im Wohnzimmer und sehe den Vorstadtkrokodilen dabei zu, wie sie versuchen, den Bruder eines gewissen Franks in den Knast zu bringen.

Na super! Mein Wochenende verspricht lang zu werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Blacksad
2013-10-17T22:43:58+00:00 18.10.2013 00:43
*giggelt albern rum* ich mag deinen Schreibstil der ist irgendwie...fluffig? Ja fluffig trifft es glaube ich ganz gut. Ich amüsiere mich auf jeden Fall prächtig XD Ich hatte übrigens mal nen Kunstlehrer der tatsächlich auch ohne auf einen abzufahren abartig schlechte Bilder super benotet hat solange man nur genug scheiße über die nicht vorhanden Aussage des "kunstwerks" zusammengesülzt hat. XD

LG
Blackii
Antwort von:  -ladylike-
26.10.2013 00:30
fluffig? :D
das nenne ich mal eine interessante Bezeichnung meines schreibstils *lach* - kann ich aber nachvollziehen, wenn ich so drüber nachdenke.

... ernsthaft? oh mann, so nen kunstlehrer hätte ich auch gern gehabt :D meine waren bisher alle akzeptabel, aber nie so freundlich (ich meine, ich bin auch nicht schlecht in Kunst, ich muss mir eigentlich nichts zusammenkratzen, aber trotzdem wär's schön gewesen.). mein coolster kunstlehrer war noch der typ mir zu viel Selbstbewusstsein und schlechten witzen, der uns immer beleidigt hat. Ich zitiere: "Jetzt kommen wir zu den Selbstportraits - den Flaschen!" Hahaha ... sehr lustig ... nicht. Aber ich bin mit ihm klargekommen :)

Grüßelchen,
lady
Von:  funeral
2012-01-09T21:11:37+00:00 09.01.2012 22:11
Der arme xD thihihihihi los jessi folter ihn noch en bissl ;D
Von:  eden-los
2011-03-02T17:59:49+00:00 02.03.2011 18:59
schöner anfang. ich mag deinen humor und bei der Kunst-Szene musste ich mich stark beim lachen zusammenreißen.war einfach herrlich xD
freu mich auf das nächste Kapitel.

lg eden ^^


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