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Comatose

Und je mehr ich mich verstecke, merke ich, dass ich dich langsam verliere
von

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Chapter 8 - Just a question of time

Scheiße.
 

Das ist was Erste, das mir an diesem Morgen einfällt. Und es wird wahrscheinlich noch den Rest des Tages in meinem Kopf herum schwirren, so wie gestern und vorgestern und vorvorgestern... Denn momentan läuft einfach alles – und ich meine auch wirklich alles - scheiße.

Gerade wurde ich auch noch, für meine Verhältnisse verdammt spät, um 11 Uhr von meinem Handy geweckt. Eine SMS.
 

Hey, Tristan.

Hätte Lust auf Saft.

Gilt das Angebot zwei mal?

Key.
 

Scheiße. Das Key sich nach zwei Wochen doch noch einmal bei mir meldet, ist mir irgendwie peinlich. Schließlich bin ich beim letzten Mal einfach so gegangen. Ich hatte sogar ernsthaft überlegt, ob ich nicht doch in eine anderen Club gehe, nur um ihm nicht zu begegnen. Was irgendwie bescheuert gewesen wäre, schließlich ist der Samstag immer für das Sky9 reserviert gewesen und ich habe eigentlich nicht vor das zu ändern.
 

Natürlich gehe ich auch in andere Clubs, aber allein der Gedanke dort nicht hinzugehen, um Key nicht zu treffen, ist einfach lächerlich.

Solche Gedanken sind mir noch nie gekommen. Das Sky9 aufgeben, um jemanden zu meiden... undenkbar. Und trotzdem hatte mich dieser Gedanke beschlichen.
 

Langsam richte ich mich auf. Mein Kopf tut verdammt weh und ich habe das Bedürfnis, mich sofort wieder hinzulegen. Der Geschmack, den ich im Mund habe, ist auch widerlich. Alkohol. Wer hat diesen Mist überhaupt erfunden?
 

Ich trinke nicht. Zumindest nie mehr als ein oder zwei Drinks, wenn überhaupt. Wieso zur Hölle habe ich dann gestern weiß Gott wie viele Flaschen Bier getrunken? Und dann habe ich nicht mal wen abgeschleppt. Letzte Woche auch nicht. Eigentlich habe ich seit dieser Nummer mit dem Beachboy, jeden Typen abblitzen lassen.
 

Scheiße. Noch dazu ruft mich mein Vater alle zwei Tage an und erzählt mir irgendetwas von seiner ach so tollen Hochzeit mit „Susanne-Schatz“, die noch bevorsteht. Machen das normalerweise nicht nur Frauen oder solche Klischee-Schwulen?

Langsam zweifle ich an der Sexualität meines Vaters.
 

Aber das Seltsamste ist, dass seine Hochzeit allem Anschein nach, völlig unspektakulär wird. Zumindest hat er weder vor in einer Kirche zu heiraten – da weder er noch seine Verlobte auch nur ansatzweise gläubig sind -, noch plant er irgendwas Besonderes. Nichts außer eine Rede über die Liebe im hohen Alter und jede Menge Wein und Champagner.
 

Und genau das kann ich nicht mehr hören. „Die Rede“ hier, „ Die Rede“ da, „Klingt das zu kitschig?“, „Meinst du nicht, es sollte mehr Witz drin sein?“, „Was glaubst du klingt besser?“, Bla bla bla...

Ich. Werde. Wahnsinnig!
 

Scheiße. Auch mit Cody läuft alles gerade so... merkwürdig. Wir können zwar ganz normal miteinander reden, aber immer wenn ich irgendwie auf das Thema Key komme, windet er sich aus dem Gespräch. Wieso? Ich habe ihn schon öfter gefragt, ob irgendetwas los ist, aber er weicht mir aus. Und leider bin ich nicht einmal annähernd so gut wie Cody was Menschenkenntnisse oder Erpressungen angeht. Um es alá Cody zu sagen: „Eine ganz schön beschissene Situation, was?“
 

Stöhnend lasse ich mich zur Seite fallen und vergrabe mich wieder unter meiner Decke. Cody hat nicht angerufen. Normalerweise ruft er mich ständig an. Vor unserem Gespräch über diesen Fehltritt mit dem Beachboy haben wir sogar übertrieben oft miteinander telefoniert und nebeneinander auf seiner Couch gehockt.
 

Dieser Blick... Langsam schließe ich die Augen. Ich kann mich noch haargenau daran erinnern, wie er mich angesehen hat. Es war so merkwürdig. Egal wie lange ich darüber nachdenke und nach einem Grund suche – Ich finde nichts. Nothing. Nada. Niente. Niets. N- Davon wird es auch nicht besser.
 

Seufzend öffne ich wieder die Augen und starre auf mein Geschäftshandy. Irgendwie muss ich die Gelegenheit verpasst haben, Key meine normale Handynummer zu geben. Stimmt, er hat immer noch nur meine Visitenkarte.

Was soll ich antworten? Ja? Nein? Und wenn... wieso nein?
 

Mürrisch setze ich mich im Bett wieder auf und lese die SMS noch einmal. Und noch einmal.

Dass er sich das mit dem Saft gemerkt hat... Ein kleines Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Es ist ein seltsames Gefühl seinen Namen auf dem Display zu lesen. Es fühlt sich so... unwirklich an.
 

Seufzend lehne ich mich zurück und starre weiter auf das Display, das sich langsam verdunkelt. Wir haben miteinander geschlafen und auch mehr als drei Wörter miteinander gewechselt. Trotzdem ist es ein merkwürdiges Gefühl gerade von ihm eine SMS zu bekommen. Irgendwie freue ich mich, aber dann doch nicht. Mir ist das vom letzten Mal wirklich peinlich.
 

Ich habe mich einfach provozieren lassen. Das ist sonst überhaupt nicht meine Art. Im Gegenteil. Tristan Stevenson ist bekannt für seine „Ruhe“. Natürlich bin ich oft genervt und gereizt, aber, dass ich dem Typen nicht einfach einen abweisenden Spruch aufgedrückt, sondern auch körperlich zum Einsatz gekommen bin, ist nicht gut. Absolut nicht.
 

Wenn ich schon wegen einer Kleinigkeit wie dieser so reagiere... Verdammt, was ist mit meiner Selbstbeherrschung passiert? Meiner schönen Maske?

Sogar Frau Schnell merkt, dass etwas mit mir nicht stimmt. Wenn sogar so ein Spatzenhirn wie sie mitbekommt, dass in der gut geölten Maschine Stevenson ein paar Zahnräder stocken, muss ich echt etwas dagegen tun.
 

Nur was? Was kann ich schon tun?

Dass mein Vater heiratet kann ich nicht aufhalten. Ich will das auch gar nicht. Ist ja sein Problem, nicht meines.

Bei Cody kann ich nur fragen und fragen und fragen - und wenn es sein muss sogar betteln – bis er mir verrät was bei ihm los ist. Nur steht da mein dummer Stolz im Weg.
 

Und was ist mit Key? Gute Frage. Mit ihm darüber reden? Soll ich ihn etwa fragen: „Hey, sag mal, hat dich das irgendwie gestört, als ich mich vor dem Dreier gedrückt habe, mir einen anderen Kerl gesucht und dich allein mit diesem Spanier-was-auch-immer-Typen stehen gelassen habe?“

Wohl kaum.
 

Oder soll ich ihn einfach ignorieren? Was wenn ich ihn wiedertreffe? Soll ich dann behaupten, dass mein Handy kaputt gegangen ist und seine Nummer nicht aufgeschrieben habe?

Nein, nein und nochmal nein.
 

Jetzt reicht es, ich ruf ihn an.

Gerade habe ich die Nummer gewählt, höre den ersten Piepton und... lege auf.

Was zur Hölle ist los mit mir?! Jetzt traue ich mich noch nicht einmal ihn anzurufen? Hallo? Tristan? Noch da?
 

Mein Herz wummert in meiner Brust und irgendetwas in mir weigert sich strikt ihn anzurufen. Da ist etwas wie ein Netz, das den Befehl auf den „Anruf“-Knopf zu drücken, auffängt und wieder ins Gehirn zurück schleudert.
 

Feigling, Feigling!“, trällert Paul spottend und streckt mir die Zunge raus.

Klappe!
 

Ich atme tief durch, drücke den Knopf noch einmal und zwinge mich zu warten...

Bitte, heb nicht ab! Bitte, bitte, bitte...
 

„Hallo?“, nimmt er natürlich trotzdem ab und ich nehme ein paar Männer wahr, die sich im Hintergrund unterhalten. Oh, habe ich ihn etwa bei irgendwas gestört?

„Hey, Tristan hier“, melde ich mich und stehe endlich auf. „Wegen deiner Frage; das Angebot gilt natürlich so oft du willst.“
 

„Echt? Klasse!“, meint er und klingt dabei sogar etwas überrascht. „Oh, warte kurz.“

Ich höre etwas gedämpft wie er sich mit irgendeinem Typen unterhält. Mist, er scheint gerade echt beschäftigt zu sein. Aber... Sonntags?

„Sorry, ich bin gerade bei der Arbeit. Können wir uns, sagen wir mal, um...“, schlägt er vor und hält für einen Moment inne. „16 Uhr treffen? In dem Café?“
 

„Ja, geht in Ordnung. Und tut mir Leid wegen der Störung“, entschuldige ich mich. Telefonate bei der Arbeit sind immer eine ganz blöde Idee. Das kenne ich ja zu Genüge. Cody, dieser Klotz.

Was arbeitet Key eigentlich? Irgendwie interessiert mich das jetzt. Aber das kann warten.
 

„Macht nichts, ich hab mich gefreut“, wehrt er ab und ich fühle mich etwas erleichtert. Er hat sich also gefreut... Völlig automatisch fange ich an blöd zu grinsen. „Also, bis später dann.“

„Ja, bis später!“, verabschiede ich mich und lege auf.

Und auf einmal, habe ich vergessen was Scheiße eigentlich bedeutet.

Im Ernst was ist das überhaupt?
 

Mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht, mache ich mich auf den Weg in mein Badezimmer. Als ich mich ausziehe, werfe ich einen Blick in den Spiegel. Vorsichtig streiche ich mit meinen Fingerspitzen über die hellen, dünnen Narben an meinem Oberkörper. Man kann sie zu meinem Glück kaum erkennen. Nur ich weiß ganz genau wo sie sind. Wie sie zustande gekommen sind. Welcher Gegenstand es gewesen ist und, sowieso, wer ihn geworfen hat.
 

Wann war das letzte Mal, an dem ich mich wirklich angesehen habe? Ich beuge mich etwas vor, betrachte mein Gesicht ganz genau. Die dunklen, braunen Augen meines Vaters, starren zurück. Der Übergang von dem Braun zur Pupille ist so fließend, dass sie auf Fotos, bei denen ich nicht unbedingt genau vor der Kamera stehe, meistens schwarz erscheinen. Wenn ich alt bin, werde ich richtige Schlupflider haben. Schon jetzt fällt etwas Haut über mein rechtes Auge. Zum Glück nicht viel, man merkt es kaum.
 

Meine Augenbrauen sind dicht und gebogen, machen den Ausdruck in meinem Gesicht gefährlich. Kleine Wutfalten bilden sich zwischen ihnen. Oh, man. Ich sehe verdammt ernst aus. Zaghaft fahre ich die geschwungene Linie meiner rechten Braue nach, streiche über die Wutfalten, um sie vergebens zu glätten. Selbst Schuld, würde ich mal sagen. Dass ich so aussehe habe ich mir wohl selbst zuzuschreiben.
 

Sanft berühre ich mit meinen Fingerkuppen meine Lippen. Sie sahen schon immer ziemlich weiblich aus. Etwas voller, als ein Mann sie haben sollte, leicht geschwungen...

Meine Lippen sind ein ziemlicher Kontrast zu meinem männlichen Kiefer.
 

Das was ich noch nie in meinem Gesicht mochte, war meine Nase. Ich hatte schon immer einen leichten Hocker auf ihr. Früher sah es noch nicht so aus wie jetzt. Trotzdem finden mich die meisten Leute attraktiv, egal ob Mann oder Frau. Felix meint, ich hätte eine sehr intensive Ausstrahlung. Was soll das für eine Ausstrahlung sein? Wenn ich mich so ansehe, würde eher vor mir selbst wegrennen. Kein Wunder, dass Frau Schnell manchmal so ängstlich wirkt.

Wenn das hier meine neutrale Miene ist, wie schaue ich erst, wenn ich wütend bin?
 

Zaghaft versuche ich meinen Gesichtsausdruck zu lockern. Etwas anders sehe ich schon aus. Weniger... angespannt. Doch irgendwie erinnert mich das ziemlich an mein früheres Aussehen. Für einen Moment schließe ich die Augen. Ich kann es direkt vor mir sehen. Dieser schüchterne, ängstliche Blick, die weichen Gesichtszüge eines Jugendlichen, der rosige Mädchenmund und die halblangen, braunen Haare, die sich an den Spitzen etwas lockten...
 

Damals war ich so schwach und mager. Ein ziemlich langer Stecken mit langweiligen, gebügelten Klamotten von den teuersten und besten Marken. Aber immer nur die schlichten, eintönigen Sachen. Nie die mit den bunten Farben und dem Aufdruck. Wie ich die anderen Jungen beneidet habe, die immer diese völlig chaotisch gemischten Sachen getragen haben...
 

Wenn ich mich geweigert hätte, die Kleidung absichtlich zerknittert hätte, irgendwas getan hätte... Hätte meine Mutter es irgendwann aufgegeben, mich wie eine Puppe anzuziehen und darüber zu bestimmen was ich tragen darf und was nicht? Ich weiß es nicht. Dafür habe ich nie den Mut besessen. Immer bin ich nach ihrer Pfeife getanzt, um ihr zu gefallen. Schnaubend erinnere mich an meine dummen Gedanken und Wunschvorstellungen. An den Traum, dass sie mich einmal ansehen würde. Nur ein einziges Mal mich und nicht meinen Vater in mir sehen würde.
 

Schwachsinn. Egal was ich gemacht hätte, sie hätte mich nie so angesehen oder wäre gar stolz auf mich gewesen. Selbst dann nicht, wenn ich die ganze Welt auf den Kopf gestellt hätte. Nie.
 

Seufzend fahre ich durch meine dunklen Haare. In letzter Zeit denke ich viel zu oft an früher. Dafür, dass ich es mehrere Jahre erfolgreich zu verdrängen gewusst habe. Nur passieren momentan zu viele Dinge, die mir nicht gefallen. Cody hatte Recht, mit dem was er mir mal gesagt hatte. Ich würde es nicht zeigen, aber ich wäre viel zu sensibel und würde zu viel nachdenken.

Denken tue ich wirklich zu viel. Und zwar genau jetzt. Schluss damit!
 

Bestimmt stoße ich mich vom Waschbecken ab, werfe einen letzten Blick in den ziemlich großen Spiegel und steige unter die Dusche. Kein Wunder, dass ich mich nie so intensiv ansehe. Da komme ich nur auf dumme Gedanken. Zu viele Erinnerungen haben sich in jeden meiner Gesichtszüge eingebrannt. Mein Vater hat Recht. Irgendwo bin ich wohl wirklich verbittert.
 

Das warme Wasser prallt auf meine Haut und ich lehne meine Stirn gegen die feuchte, kühle Duschwand. Wie schön das wäre, wenn es wirklich wie in Büchern oder Filmen wirken könnte. Wo man sich wirklich nur unter die Dusche zu stellen braucht, damit alle dummen Gedanken sich einfach von einem lösen...
 

Blöd nur, dass es in Wirklichkeit eben nicht funktioniert. Tja, das nenne ich Pech.

Seufzend erledige ich, was man unter einer Dusche ja eigentlich machen sollte, schnappe mir danach ein Handtuch und trockne mich schnell ab.

Ich streiche über meinen Kiefer und spüre die Stoppeln darunter. Normalerweise würde ich mich jetzt rasieren, aber gerade bin ich zu faul dafür.
 

Moment.... Tristan Stevenson? Zu faul zum rasieren? Seit wann das denn bitte?

Doch leider Gottes ist es so. Gestern hatte ich auch keine Lust darauf, aber da hatte ich es ja auch noch nicht so nötig. Kurz werfe ich noch einen Blick in den Spiegel. Naja... sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus. Es hat durchaus etwas.
 

Schulterzuckend lasse ich meinen Drei-Tage-Bart also am Leben und ziehe mir eine schwarze Pants und ein T-Shirt an. Es ist jetzt 11:39 Uhr. Was kann ich bis 16 Uhr so Schönes machen?

Gar nichts. Außer vielleicht auf der Couch gammeln und fernsehen.

Ein Sonntag ohne Cody... Das fühlt sich echt schräg und vor allem völlig sinnlos an.

Was soll ich schon mit diesem Sonntag anfangen?
 

Letzten Endes entscheide ich mich doch fürs Gammeln. Wenn Cody sich nicht meldet, will er mich nicht sehen und ich werde den Teufel tun und bei ihm an gekrochen kommen, weil mir langweilig ist. Also zippe ich ziemlich begeistert durch all diese wunderbaren und belehrenden Fernsehsender... die mein Hirn schon nach sechs Minuten verblöden lassen.
 

Was zur Hölle... Wer kauft schon solche hässlichen Porzellanpuppen? Ist ja ätzend. Wie die einen anstarren! Das ist so gruselig! Die sind wirklich hässlich. Vor allem dieser kleine Junge mit dem Koffer und den großen blauen Augen... Einfach nur schrecklich, einfach nur...

„Ihre Bestellung wurde angenommen!“
 

Ich glaub es nicht. Habe ich gerade allen Ernstes eine Porzellanpuppe gekauft?!
 

12:27 Uhr. „Es gab drei Dinge deren ich mir absolut sicher war. Erstens: Edward war ein Vampir. Zweitens: Ein Teil von ihm, und ich wusste nicht wie mächtig dieser Teil war, dürstete nach meinem Blut. Und Drittens: Ich war bedingungslos und unwiderruflich in ihn verliebt.

Laut gähnend, schlage ich das Buch wieder zu und schiebe es zur Seite. Seit wann besitze ich so einen Mist?
 

12:54 Uhr. „Aber warum jetzt? Warum hier?“, fragt sie, sieht zu ihm hoch und blickt ihm tief in die Augen. „Warum nicht jetzt?“, antwortet er. „Warum nicht hier? In Paris, der Stadt der Liebe?

Augenblicklich verziehe ich das Gesicht und starre auf den Bildschirm. Wegschalten. Aber schnell.
 

13:34 Uhr. „Screamin' NO, we're never gonna quit! Ain't nothing wrong with it! Just acting like we're animals!“*

Knarr, Knarchtz, Knall... Autsch... Auf dem Bett hüpfen und singen ist keine so gute Idee...
 

14:08 Uhr. „Nein... Nein... Ach, komm schon! Schieß endlich, SCHIESS!“, brülle ich den Fernseher an, balle meine Hände zu Fäusten. „ Verdammt! Was für eine Lusche! Drei Meter daneben!“

… Schaue ich gerade allen Ernstes Fußball?
 

14:17 Uhr. „3, 4, 5...“, murmele ich und kann spüren, wie sich meine Stirn konzentriert in Falten legt. „Ich habe echt 8 Paar Schuhe?“
 

14:29 Uhr. „I hate feeling like this...“ Ohja, das tue ich tatsächlich. Langeweile ist wirklich eine schreckliche Sache.

Comatose... I never wake up without an Overdose...!
 

14:47 Uhr. Die Skillet-CD ist bei ihrem letzten Lied angekommen, mein Magen knurrt, ich gammle ziemlich sinnfrei auf meinem Bett herum und Ideen um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich auch keine mehr.
 

Was mache ich jetzt? Wäre heute ein ganz normaler Sonntag, hätte ich schon vor einer Stunde bei Cody auf der Matte gestanden und würde ein selbst gekochtes, einfach nur köstliches Mittagessen genießen dürfen. Doch da Cody heute keinen Tristan-Bedarf hat, muss ich mir anders helfen.

Ich gehe zum Kleiderschrank und ziehe mir eine schwarze Jeans an. Dazu ein weinrotes, samtenes Hemd und eine etwas längere Silberkette, an dem ein Ring hängt.
 

Mein Haar ist etwas länger geworden und hängt mir in die Stirn. Zu dem Drei-Tage-Bart sieht das aber gar nicht mal so übel aus. Nur ist das alles andere als Tristan-like.

So eine Out-of-bed-Frisur hatte ich eigentlich noch nie. Zumindest hatte ich nie vor, damit das Haus zu verlassen. Erst recht nicht mit meinem neuen, aufpolierten Tristan.
 

Mein Magen, der sich gerade akustisch bemerkbar macht, erinnert mich wieder daran, was ich eigentlich vorhatte. Also streife ich mir meine eleganten, schwarzen Schuhe und den langen Mantel über. Der Winter neigt sich zum Glück dem Ende zu und es sollte bald wieder warm werden...
 

Es ist dennoch ziemlich kalt und ich erschaudere kurz, als ich ins Freie trete. Fröstelnd schließe ich die Tür hinter mir und gehe zu meinem Wagen. Es liegt zwar ziemlich wenig Schnee herum, aber mein Atem ist noch immer sichtbar.

Ich steige in meinen Wagen und fahre zu einem chinesischen Imbiss. Das Auto parke ich etwas weiter weg.
 

Im Imbiss ist es schön warm und ich streife mir etwas fröstelnd den Mantel von den Schultern. Kurz überfliege ich die Speisekarte, die über der Theke hängt. Als ich jedoch spüre, dass mich Jemand ansieht, drehe ich meinen Kopf etwas zur Seite. Eine junge Frau, die etwas weiter weg steht, mustert mich ziemlich offensichtlich. Sie scheint meinen Blick bemerkt zu haben und dreht ihren Kopf errötet zur Seite, als ich fragend eine Augenbraue hebe. Weiber, versteh die einer.
 

„Tris?“, ertönt es plötzlich hinter mir. Oh, nein. Mein Vater. Wieso müssen wir auch immer in die gleichen Lokale gehen? Grummelnd drehe ich mich um und tatsächlich steht Herr David Stevenson da und grinst mich blöd an. „Mein Gott, wie siehst du denn heute aus?“

Er lässt seinen Blick kritisch über meinen Körper schweifen und ich rolle mit den Augen.
 

Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, bestelle ich gebratene Ente auf Reis und Pekingsuppe, während mein Vater seine Musterung fortsetzt. „Was denn? Kein Spruch?“, neckt er mich und ich zucke mit einem Auge. Stimmt... ich habe geschwiegen? Das fällt mir erst jetzt auf. Normalerweise hätte ich ihm sofort einen dummen Kommentar entgegen geschleudert. Heute ist wohl der Tag, der Ausnahmen.
 

„Selbst solche Meister der Wortgewandtheit wie ich brauchen mal einen Tag Urlaub“, meine ich deswegen nur und suche mir einen Platz irgendwo in einer Ecke. Leider Gottes, lässt sich mein Vater nicht so einfach abspeisen und setzt sich gleich zu mir. „Was machst du eigentlich wieder in München? Ich dachte, du wärst in Leipzig und bereitest die Hochzeit vor.“
 

Ein breites Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit und er streicht mit einer eleganten Bewegung seine Haare zurück. „Nun“, fängt er an und ich hebe eine Braue. „Ich habe dort nur Jemanden beauftragt mit Susanne die Hochzeit zu planen. Du hast doch nicht allen Ernstes geglaubt, dass ich das mache? Bei dieser Frau, habe ich sowieso kein Mitspracherecht.“
 

„Woher soll ich das auch wissen? Ist ja nicht so, als ob ich jemals heiraten würde“, verteidige ich mein Unwissen und er schmunzelt zufrieden vor sich hin. Ja, ja. War klar, dass er sich daran erfreut, wenn der stolze Tristan mal in ein Fettnäpfchen tritt. Aber mal im Ernst? Wie viel sollte ich als schwuler und überzeugter Single denn über Hochzeiten und deren Vorbereitungen wissen?
 

Als ich daraufhin nur schweige und jegliche Versuche meines Vaters mit mir zu kommunizieren ignoriere, seufzt er auf. „Tris, du bist heute wirklich eine wahnsinnige Konversationsgranate“, witzelt er und ich werfe ihm einen genervten Blick zu. Zu meinem Glück kommt genau in diesem Moment das Essen und ich habe eine gute Ausrede für meine nicht vorhandene Lust an Smalltalk.
 

Zumindest nicht mit meinem Vater. Viel lieber würde ich jetzt im Café sitzen und mich mit Key... Augenblick. Ich freue mich tatsächlich auf das Treffen mit Key? Jetzt im Ernst?

Ja. Ja, das tue ich. Allem Anschein nach, bin ich so genervt, weil es gerade mal – Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr – 15:34 Uhr ist?! Scheiße!
 

„Tristan? Du hörst mir ja gar nicht zu!“, motzt mein Vater und ich zucke ertappt zusammen. Oh, äh, hat er was gesagt?

Seine dunklen Augen sind zu Schlitzen verengt und er sieht mich ziemlich gruselig an... „Ich hab gefragt, ob du irgendwie verabredet bist“, erinnert er mich und spricht dabei so langsam, als wäre ich geistig behindert.
 

Ebenso langsam antworte ich: „Ähm, ja... Woher weißt du das?“

„Weil du schon seit drei Minuten auf deine Uhr starrst“, erklärt er und hebt eine Braue. Gott, ist das gruselig, wenn er das macht... Dabei sieht er ja genauso aus wie ich. Kein Wunder, dass meine Mutter ständig an ihn denken musste, wenn sie mich sah. Er könnte mein gealterter Zwillingsbruder sein.
 

„Oh“, gebe ich wirklich wahnsinnig intelligent von mir und er sieht mich auffordernd an. Ich weiß schon was er wissen will. Diesen Blick kenne ich ja inzwischen. „Um 16 Uhr treffe ich mich mit einem Typen.“

Überrascht hebt er jetzt beide Brauen und legt den Kopf etwas schief. „Im Ernst? Ein Date?“, fragt er dann auch noch und ich verschlucke mich augenblicklich an meiner gebratenen Ente.
 

Hustend klopfe ich mir auf die Brust und spüre einige ziemlich unangenehme Blicke auf mir. Wahrscheinlich sehe ich gerade aus wie King Kong.

Mit einem triumphierenden Grinsen auf den Lippen mustert er mich zufrieden und lehnt sich vor. „Das wird auch langsam mal Zeit, Tris!“, meint er und klopft mir leicht auf die Schulter. „Ich habe dir ja gesagt, dass du dich nicht ewig vor der Liebe drücken kannst!“
 

Der Blick, den ich ihm zuwerfe, lässt ihn sofort seine Hand zurück ziehen.

Etwas unruhig leckt er sich kurz über seine Unterlippe und sieht nach einer Weile sogar auf seinen Teller. „Dad“, sage ich schließlich und gebe meiner Stimme einen gefährlichen Unterton. „Ich habe kein Date und werde auch nie eines haben. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du das endlich akzeptieren würdest. Der Typ, den ich treffe, ist nur ein guter Freund. Basta.“
 

„Sicher doch“, murmelt er und isst mit gesenktem Blick weiter. Jetzt ist er derjenige, der herum druckst. Das ist wohl eine Art Konkurrenz-Kampf bei uns. Wer ist der furcheinflösendste Stevenson? Wessen Stimme klingt unheimlicher? Wie lange muss man sein Gegenüber böse anschauen, bis er wegsieht?
 

Eilig verschlinge ich mein Essen, verabschiede mich und sprinte zu meinem Auto. Ich habe gerade mal 4 Minuten Zeit, bis es 16 Uhr ist!

Keine Chance, dass ich es ohne Verspätung schaffe. Wie ich das hasse!
 

Wenn ich sogar unfähig dazu bin, pünktlich zu kommen... Ich halte für einen Moment inne. Meine Hand krallt sich beinahe schmerzhaft in die offene Autotür.

Immer noch. Sie ist seit Jahren tot und trotzdem tanze ich nach ihrer Pfeife.

Ihr Tod war kein Freifahrtschein in die grüne Prärie der Freiheit. Sie ist immer noch hier.

Auf ihre ganz eigene Art und Weise.
 

Keuchend rannte ich die Treppen hoch. Meine Hand streifte das Treppengeländer, immer darauf vorbereitet mich festzuhalten, wenn ich stolperte. Hitze war schon lange in meinem Gesicht aufgestiegen von der Anstrengung, vom Rennen. Meine Beine schmerzten und ich hatte das Gefühl jeden Moment umzufallen. Ich kam zu spät. Und das war verboten.
 

Der Anzug war zerknittert und roch bestimmt schon schrecklich. Wieso hatte ich auch so lange getrödelt? Locker hätte ich es schaffen können, aber das war das erste Mal seit Langem, dass die Jungs mich mitspielen lassen haben! Ich habe sogar die meisten Körbe geworfen!

Zum duschen war auch keine Zeit mehr gewesen.
 

Ausgerechnet heute musste der Tag sein, an dem meine Mutter mich zu dieser Cocktailparty ihrer Firma mitnehmen wollte! Sie hatte mir so viel Vertrauen entgegengebracht und ich kam zu spät! Schwer atmend kam ich endlich an, spürte meine Beine etwas zittern. Ein Blick auf die teure Uhr, die mir meine Mutter zu dem Anzug gelegt hatte, verriet mir, dass ich schon siebzehn Minuten zu spät war. Das war verdammt viel Zeit.
 

Als mein Atem sich etwas beruhigt hatte, öffnete ich die Tür und betrat langsam den großen Saal. Das Problem: Die Tür knarrte unheimlich laut. Und sofort waren die meisten Blicke auf mich gerichtet. Musste auch genau in diesem Moment jemand eine kleine Rede halten? Der Redner, sah mich verblüfft an, das Glas hoch erhoben. Hatte ich wirklich gedacht, dass mein Atem ruhiger geworden wäre? Auf einmal kam er mir so laut und störend vor.

Ich störte. Ich war laut. Und jeder sah mich an.
 

„Nanu?“, meinte plötzlich eine ältere Dame und ging auf mich zu. Ihr Kleid, das eher nach einer übergroßen Gardine aussah, raschelte und sie drückte einem Mann ihr Glas in die Hand. „Bist du nicht der kleine Stevenson?“
 

Ich brachte aus lauter Scham kein Wort heraus. Stocksteif stand ich da, in dem zerknitterten Anzug und den feuchten Haaren vom Schweiß. Zu spät. Ich war zu spät und ich hatte auch noch eine Rede unterbrochen. „Tut mir Leid“, presste ich leise heraus. Mehr ging nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ganz sicher, ob überhaupt Jemand es gehört hatte, war ich mir auch nicht.
 

Klack-Klack... Ihre Stöckelschuhe machten auf dem Weg zu mir dieses schreckliche, störende Geräusch, bei dem sich meine Nackenhaare aufstellten.
 

Endlich, endlich kam sie nach einer gefühlten Ewigkeit bei mir an und ein gutmütiges Lächeln zierte ihr knittriges Gesicht. „Na, was sage ich da!“, lachte sie plötzlich. „Klein bist du nun wirklich nicht! Wie alt bist du denn?“

Anscheinend erwartete sie eine Antwort. Mühsam schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter, spürte alle Blicke auf mir, hörte ein paar Leute tuscheln.
 

„Zwölf“, brachte ich gerade noch so hervor. Und sofort sah sie mich verblüfft an.

„Zwölf?“, wiederholte sie, anscheinend sehr überrascht. „Du bist aber groß für 12!“

Das war ich tatsächlich. In Wahrheit sah ich aus wie fünfzehn und war auch der Größte der Klasse. Ein hagerer Stecken eben. Deswegen haben mich die Jungs mitspielen lassen. Je größer die Mitspieler waren desto besser. Wenn sie dann auch noch die Körbe trafen, perfekt.
 

Mein Blick huschte unruhig durch den Saal, kehrte immer wieder zu dem Gesicht der alten Dame zurück. Ihre grau-grünen Augen sahen mich weiterhin an. Aber ich konnte nichts mehr sagen. Wirklich nicht. Sie streckte ihre Hand nach mir aus und mein Blick klebte sofort an ihren langen, roten Fingernägel, die mich an blutige Katzenkrallen erinnerten. Lächelnd kniff sie in meine Wange und sagte: „Du bist wirklich ein hübsches Bürschchen!“
 

Dann ließ sie meine Wange wieder los, legte ihre Hand in meinen Nacken und schob mich sanft in den Raum. Da stand sie. Meine Mutter. Ihr schwarzes Haar war streng zusammengebunden und am Hinterkopf zu einer Kugel gedreht. Das Wort dafür hatte ich vergessen.

Das Glas in ihrer Hand zitterte vor Wut, während ihr Gesicht völlig ruhig und teilnahmslos blieb.
 

Meine Knie wollten jeden Moment nachgeben, doch diese brennend warme Hand in meinem Nacken, ließ mich weitergehen. Mit viel Mühe schaffte ich es meinem Gesicht einen neutralen Ausdruck zu geben, meine Haltung gerade zu halten. Wenn ich auch noch Schwäche zeigen würde, wäre ich endgültig verloren. Sie würde mir das nicht so leicht verzeihen.
 

„Tristan!“, rief sie und ihre knallroten, herzförmigen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Da bist du ja, mein Kleiner!“

Ihre schmale, weibliche Hand löste die der alten Dame ab, schob sich in meinen Nacken. Falls ich die Hand der Frau als unangenehm empfunden habe, so spürte ich jetzt wie der Drang in mir aufstieg ganz weit wegzurennen.
 

Wenn diese Party vorbei war, würde ich diese Hand viel schmerzhafter auf meiner Haut spüren. Das verrieten mir ihre langen Fingernägel, die sich unauffällig in meine Haut bohrten. Mein Haar war lang genug, um es wie ein sanftes Kraulen aussehen zu lassen. Ab morgen würden sie aber wieder ganz kurz sein. Nur weil meine Mutter für eine Weile auf Geschäftsreise gewesen war und nach ihrer Rückkehr keine Zeit hatte, durfte ich sie so lang tragen.
 

Jede Minute, die verstrich, ließ mich intensiver spüren wie die Panik in mir wuchs. Und als wir schließlich im Auto saßen, fragte sie mich mit ihrer kalten, schneidenden Stimme: „Wo bist du gewesen?“

Meine Hände waren zu Fäusten geballt und mein Kiefer war angespannt. „Ich habe mit ein paar Jungen aus der Klasse über mir Basketball gespielt...“
 

Sie riss das Lenkrad herum, parkte in der Garage. Ihre Hände krallten sich so fest ins Lenkrad, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Du hast was?“, hauchte sie und ich schluckte hart. Ruckartig drehte sie sich zu mir um und ich spürte einen Blitz, der durch meinen Körper zog. Das klatschende Geräusch, hallte in der Garage für einen Moment wieder und augenblicklich folgte ein weiteres Klatschen. „Wegen so etwas kommst du zu spät?!“
 

Ohne zu zeigen, wie sehr meine Wange schmerzte, nickte ich. Schwäche durfte ich nicht zeigen. Hielt ich es einfach aus, war es schneller vorbei. Sie schnallte sich ab, stieg aus und knallte die Tür zu. Schweigend und innerlich zitternd, folgte ich ihr ins Haus.

Kalte Gänsehaut legte sich über mich, während mein Körper sich bei jedem Klack-Klack ihrer Stöckelschuhe auf dem Laminatboden mehr anspannte.
 

Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich zu mir um. „Genauso wie dein Vater!“, keifte sie, so wie ich es erwartet habe. „Nicht mal zu der Hochzeit kam dieses Drecksschwein pünktlich! Und warum? Weil er das Endspiel seiner Lieblingsmannschaft noch zu Ende sehen musste, das Johann für ihn auf Video aufgenommen hat!“
 

Schweigend sah ich sie einfach an. Sie fletschte die Zähne, ihre Fäuste zitterten. Innerlich wollte ich sterben, äußerlich war ich ganz ruhig.

Denn es war noch lange nicht vorbei und ich wusste nur zu genau was kommen würde.
 

Zu spät kommen... So etwas verzieh sie seit Jahren nicht mehr.
 

Vor allem, wenn ich es tat.
 


 

* „Animals“ von Nickelback



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