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Ad Hominem

Über Aufstieg und Fall - JoeyxSeto
von

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In bornierter Räson

12 Tage vorher
 

„Fuck.“

Joey hatte sein Telefon eingeschaltet und sah sich mit einunddreißig Anrufen in Abwesenheit konfrontiert. Sowohl von Serenity, als auch von Joe. Er hätte das Telefon am besten ausgeschaltet lassen sollen. Doch früher oder später musste er sich damit auseinander setzen.

Er hatte ihnen nicht gesagt, dass er wieder nach Japan fliegen würde. Er kannte ihre Meinung dazu. Sie hatten ihm vorgestern unmissverständlich klar gemacht, wie sie dachten.

Doch dieses Mal hatte er nicht auf sie hören können. Wenn er im Sinne von Mokuba handeln wollte, dann konnte er keine zwei oder drei Monate warten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Er musste so schnell wie möglich zurück nach Japan.

Macht euch keine Sorgen um mich, tippte er in sein Mobiltelefon ein. Ich weiß, was ich tue. Und schickte die Nachricht an seine Schwester und Joe. Er hoffte, sie würden ihn verstehen.

Seufzend verstaute er das Telefon in der Innentasche seiner Jeansjacke. Dann schulterte er den Rucksack und folgte den Schildern zu Gepäckaufnahme. Dieses Mal hatte er mehr dabei. Er wusste noch nicht, wie lange er hier bleiben würde, deswegen hatte er vorsorglich für mehrere Wochen gepackt. Ein Hotelzimmer war ebenfalls bereits reserviert. (Er wollte Yugi nun wirklich nicht schon wieder zur Last fallen. Es reichte, dass er beim letzten Mal bei ihm wohnen durfte.)

Nachdem er seinen Koffer zurück hatte, verließ er das Terminal. Draußen empfing ihn das japanische Klima mit gnadenloser Härte, doch Joey hatte zu viele Jahre hier gelebt, um sich davon überraschen zu lassen. Er stemmte sich gegen die unmenschliche Luftfeuchtigkeit und hielt nach einem Taxi Ausschau.

Und zuckte zusammen, als mit qietschenden Reifen ein Wagen vor ihm hielt, der eindeutig kein Taxi war. Schluckend wich Joey einen Schritt zurück.

Die schwarze Limousine weckte Erinnerungen. Aber es war unmöglich, dass Kaiba ihn vom Flughafen abholte. Erstens bezweifelte Joey, dass er sich eine Limousine überhaupt noch leisten konnte und zweitens wusste niemand davon, dass Joey wieder hier war.

Die letzte Wagentür auf der linken Seite öffnete sich und Joey sah hinter sich, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich er gemeint war. Doch er begegnete lediglich den überraschten Gesichtern einiger Passanten, die sofort höflich wegsahen, als sich ihre Blicke kreuzten.

Er machte noch einen Schritt zurück, hörte dabei ausgerechnet die Stimme seiner Mutter in seiner Erinnerung:

Merke dir, Joeseph, steige nie bei fremden Personen ins Auto.

Unvermittelt stieß er mit seinem Rücken gegen ein Hindernis. Als er sich umdrehte stand dort ein Chauffeur, von dem Joey nicht wusste, wie er es unbemerkt hinter ihn geschafft hatte. Der Mann griff an Joey vorbei nach dem Koffer, öffnete dann den Kofferraum und verstaute das Gepäckstück.

„Was zum -“, murmelte Joey und beobachtete das Geschehen fassungslos. Dann wurde ihm bewusst, dass er jetzt einsteigen musste, wenn er seinen Koffer je wiederhaben wollte.

Zögerlich trat er an die offene Tür heran, beugte sich vor, doch er konnte nicht genug erkennen. Schließlich gab er sich einen Ruck und steig ein. Die Tür schloss sich hinter ihm, ohne dass er sie zugezogen hatte.

Im ersten Moment sah er gar nichts. Draußen war es schon dunkel, deswegen fiel nur etwas künstliches Licht durch die verdunkelten Fensterscheiben. Es gab auch keine Innenbeleuchtung. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

Joeys Magen verkrampfte sich, als er realisierte, dass er alleine war. Dann erklang eine fremde Stimme:

„Joseph Wallstein, es freut mich, dass Sie meiner Einladung nachgekommen sind.“

Ein Schauer lief seinen Rücken hinab, denn die Stimme war weder menschlich noch real. Sie kam aus den Lautsprechern des Wagens. Eine dunkle Scheibe trennte den hinteren

Teil des Wagens von der Fahrerkabine und Joey war sich sicher, dass es nicht der Chauffeur gewesen war, der gesprochen hatte.

„Wollen Sie vielleicht etwas trinken? Ihr Flug war sicher lang und ermüdend.“

Neben ihm öffnete sich eine Klappe und ein Tablett mit Getränken schob sich in sein Blickfeld.

„Nein danke“, antwortete er. Sein Blick wanderte durch den Innenraum des Wagens, auf der Suche nach einer Kamera. Er fand keine und verschränkte die Arme. Er würde sich seiner Nervosität nicht anmerken lassen. „Ich bin nicht durstig.“

„Ganz wie Sie wünschen.“ Das Tablett verschwand wieder. Einige Sekunden kehrte Stille ein und Joey überlegte fieberhaft, wie er am besten aus dieser Situation entkam. Es machte keinen Sinn, den Wagen an einer roten Ampel zu verlassen, denn die Zentralverriegelung war sicher aktiviert. Außerdem brauchte er seinen Koffer ...

„Ich will offen mit Ihnen sein, Joseph“, setzte die Stimme wieder an. Auch wenn keine Emotionen in ihr lagen, konnte Joey sich seinen Teil lebhaft vorstellen. „Aber ich bin besorgt um Sie. Ich weiß zu schätzen, dass Sie sich so für die Familie Kaiba eingesetzt haben. Das ist beispielhaft. Aber Sie sollten dennoch vorsichtig sein. Es stecken Einflüsse hinter den Entwicklungen, die Sie nicht begreifen können. Die weit über Ihnen stehen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sind ein einflussreicher Mann aus einer mächtigen Familie. Aber nicht hier in Japan.“

„Wollen Sie mir drohen?“ Joey beugte sich vor und ließ die Arme sinken. Er hatte die Fäuste geballt, um das Zittern seiner Hände zu verbergen.

„Natürlich nicht, Joseph. Ich gebe Ihnen nur einen gut gemeinten Rat. Wir tolerieren Ihr bisheriges Handeln. Sie haben im Sinne von Mokuba Kaiba gehandelt und das ehrt Sie. Aber jede weitere Einmischung bringt auch gefahren mit sich. Sie könnten sich in Situationen wieder finden, die alles andere als angenehm sind. Es geht mir hier nur um Ihre Sicherheit, Joseph. Machen Sie es sich nicht schwerer, als es ist.“

„Ich denke, ich kann ganz gut selbst einschätzen, was meine Kompetenzen übersteigt und was nicht.“

Eine Pause. Dann erklang ein verzerrtes Lachen aus den Lautsprechern.

„Mein lieber Joseph, Sie sind wirklich faszinierend. So entschlossen und unbestechlich. Aber seien Sie vorsichtig, dass Ihnen diese Eigenschaften nicht zum Verhängnis werden. Wir wollen doch nicht, dass Sie sich überschätzen.“

Der Wagen fuhr rechts ran und hielt.

„Wir sind da“, informierte ihn die Stimme. „Ich rate Ihnen, über meine Worte nachzudenken, Joseph. Es ist nur zu Ihrem Besten.“

„Ich nehme den Hinweis zur Kenntnis.“

Die Tür ging auf und Joey stieg aus. Sein Koffer stand bereits auf dem Bürgersteig. Als er danach griff schlug die Tür hinter ihm zu und die Limousine fuhr los. Joey sah ihr nach und merkte sich das Nummernschild. Dann griff er nach seinem Mobiltelefon und speicherte die Nummer.

Als er seine Hand sinken ließ, wurde ihm bewusst, dass er am ganzen Körper zitterte. Das Adrenalin, das ihn die letzten Minuten so ruhig gehalten hatte, verließ ihn langsam und er spürte sein rasendes Herz und seinen beschleunigten Atem.

Es war genau das eingetreten, wovor Joe ihn gewarnt hatte. Joey war denjenigen aufgefallen, die hinter all dem steckten, was zu Kaibas Fall geführt hatte. Und nun war Joey mehr als nur eine Fliege für sie, die sich ignorieren ließ. Er hatte sich zu einer Biene entwickelt.

Sie hatten ihn direkt vor dem Hotel abgesetzt, in dem er ein Zimmer reserviert hatte. Sie wussten, wo er wohnte.

Joey nahm seinen Koffer und winkte ein Taxi heran. Er würde ganz bestimmt nicht mehr hier wohnen. Und auch, wenn sie vielleicht schon jemanden auf ihn angesetzt hatten, würde er sich ein anderes Hotel suchen, um das beklemmende Gefühl der Überwachung wenigstens für eine kurze Zeit los zu werden.

Dann würde er Marik anrufen. Wenn er schon so tief mit drin steckte, machte es keinen mehr Sinn, jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
 

oOo
 

Gleich am nächsten Tag mietete Joey sich ein Auto und fuhr damit zur Bibliothek von Domino. Er hatte Yugi am Telefon bereits am Abend zuvor alles berichtet und sich der sorgenvollen Tirade seines besten Freundes widerstandslos ergeben. Doch selbst danach war Yugi nach wie vor auf seiner Seite, wenn auch mit deutlicher Besorgnis.

„Soll ich dich begleiten?“

Joey hätte Yugi alleine für dieses Angebot mit einer Umarmung erdrücken können. Er wusste, das Yugi derzeit im Stress war, weil die Ferien angefangen hatten und der Spielladen in dieser Zeit besonders überfüllt war. Dass Yugi ihm trotzdem anbot, auf einen profitablen Tag zu verzichten, bedeutete ihm viel.

„Danke, aber das schaffe ich Yugi. Ich komme danach vorbei und helfe dir, wenn es sehr voll wird.“
„Das musst du nicht, Joey. Großvater hilft schon genug, außerdem bist du nicht hier, um Aushilfe im Laden zu spielen.“

„Alter, du weißt, wie ich diese Arbeit liebe!“

„Das tue ich. Und du bist hier immer willkommen.“

Nach dem Anruf hatte er das Handy in seiner Tasche verstaut und den geparkten Wagen verlassen. Der Parkplatz der Bibliothek war bereits jetzt schon gut gefüllt. Die Ferien wurden von vielen Schülern zum Lernen genutzt und die Bibliothek war eine der ersten Anlaufstellen für lerneifrige junge Japaner.

Auf dem Weg die Stufen zum Eingang hinauf, begann sein Telefon zu klingeln. Joey warf einen Blick auf das Display und seufzte. Serenity.

Und so sehr es ihn auch schmerzte, musste er den Anruf wegdrücken, denn er wusste, welche Worte ihn erwarten würde. Sie verstand nicht, warum er das tat. Und Joey war nicht so dumm, ihr zu sagen, dass er bereits in das Fadenkreuz von Kaibas Widersachern geraten war.

„Sorry, Schwesterherz.“
 

„Hm.“

„Marik. Mach es bitte nicht mystischer, als es ist. Nenn mir einen Preis, ich zahle. Aber zieh es nicht künstlich in die Länge.“

Künstlich in die Länge“, äffte der Ägypter und taxierte Joey abschätzig. „Es hat absolut nichts damit zu tun. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass das ganze sich hier zu einer verdammten Verschwörung entwickelt, die meine Kompetenz übersteigt.“

„Hört, hört“, murmelte Bakura zwischen zwei Bissen. Marik ignorierte ihn.

„Ich möchte doch nur den Besitzer des Nummernschildes in Erfahrung bringen“, sagte Joey und tippte mit Nachdruck auf die Notiz, die er Marik gemacht hatte.

„Und ich möchte, dass Bakura den essentiellen Ansatz von Ordnung versteht, aber bekommen wir immer, was wir wollen? Natürlich nicht. Und warum? Weil wir der Welt am Arsch vorbeigehen.“

Joey brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass seine eigenen Augenbrauen aus Mariks Sicht unter seinem Pony verschwunden waren. Er hatte nicht erwartet, dass Marik sich so sehr verändert hatte. Äußerlich wirkte der Ägypter wie vor etwa fünf Jahren, als sie sich zuletzt gegenüber gestanden hatten, doch seine ganze Art war anders. Joey hatte gesehen, wie er sich Besuchern gegenüber verhielt: Höflich und hilfsbereit. Doch kaum war er mit Joey alleine gewesen, hatte sich seine gesamte Wortwahl verändert. Höfliche Floskeln wichen einem ruppigen Ton und das kundenfreundliche Lächeln wurde durch einen genervten Zug um seine Mundwinkel ersetzt. Joey hatte den Verdacht, dass Bakura auf Marik abfärbte.

„Okay, lassen wir das ganze ,Die Welt interessiert sich einen Dreck um uns‘ mal außen vor. Es muss doch etwas geben, was ich dir im Austausch für die Information anbieten kann.“

„Tatsächlich gibt es etwas.“ Joey horchte auf. Doch Mariks nächste Worte erstickten seine Hoffnung im Keim. „Aber wenn du nicht zufällig Gott persönlich bist, dann wird es wohl leider nicht funktionieren, bedauere. Denn ich nehme nicht an, dass du den da“, Marik nickte in Richtung Bakura, „für mich loswerden kannst?“

„Marik.“ Joey startete einen letzten Versuch. „Es ist mir hier ziemlich ernst. Es passiert mir nicht jeden Tag, dass man mich mit gut gemeinten Ratschlägen bedroht. Und hier geht es nicht um irgendeine Kleinigkeit, es geht hier verdammt nochmal um ganze Existenzen! Irgendjemand hat Kaiba ruiniert und ihm Mokuba weggenommen. Irgendjemand will sein Vermächtnis nicht nur brennen sehen, sondern Kaiba gleich mit anzünden. Und so leid es mir auch tut, du bist der einzige, den ich kenne, der mir dabei helfen kann, herauszufinden, wer dahinter steckt!“

Er merkte erst, dass er die Stimme gehoben hatte, als er nichts mehr zu sagen hatte und der Raum mit einem Mal unnatürlich still war. Bakura, die Hand in der offenen Chipstüte, hatte im Kauen innegehalten. Dann schluckte er und füllte seinen Mund mit einer weiteren Portion Chips.

„Das war schon irgendwie imposant“, sagte er mit vollem Mund und kratzte sich mit der freien Hand am Kopf. „Bist du der gleiche Joey Wheeler, der Kaiba früher noch gehasst hat?“

„Das hier ist nicht mehr unsere Schulzeit und hier geht es nicht um einen Groll, den ich gegen ihn habe. Hier kommen Menschen zu schaden.“

„Sagte der edle Ritter, bevor er auf seinem weißen Ross in die aussichtslose Schlacht ritt, von einem verirrten Pfeil tödlich getroffen wurde und irgendwo im Dreck verrottete, ohne je gefunden zu werden.“

Marik hatte eindeutig zu viel Zeit zwischen den Büchern verbracht.

„Ich will ehrlich zu dir sein, Joey. Dein Verhalten mag ja ehrenvoll und großzügig sein, aber findest du nicht, dass du Kaiba schon einen ziemlich großen Gefallen getan hast, indem du dich um seinen Bruder kümmerst? Ich meine, was hast du vor? Willst du seine Firma und sein Geld retten, seinen Namen rein waschen und ihn mit Blumen vor allen Kameras erwarten, wenn er sich aus der Asche erhebt?“

Joey schwieg. Marik schien dies Antwort genug zu sein.

„Das hatte ich mir gedacht. Dir muss klar sein, dass der Zustand, wie er vor all dem war, nicht wieder hergestellt werden kann. Das ist Vergangenheit. Kaibas Ruf ist ruiniert. Selbst wenn -“

„Das ist nicht wahr.“

„Bitte?“


„Es stimmt nicht. Wenn den Menschen klar gemacht wird, dass alles nur Teil einer Intrige war, dann werden Sie ihre Meinung über Kaiba ändern. Sie werden verstehen, dass nichts von dem, was sie dachten, der Wahrheit entsprach.“

„Joey, du bist zu alt, um noch so naiv zu sein.“


„Das hat nichts mit Naivität zu tun! Wenn erst einmal klar wird, dass jemand Kaiba systematisch -“

„Du scheinst etwas Essentielles nicht zu begreifen.“ 
Dieses Mal hatte Bakura gesprochen und seine plötzliche Einmischung sicherte ihm sämtliche Aufmerksamkeit. Die Chipstüte war leer. Bakura knüllte sie zusammen und warf sie achtlos hinter sich, ignorierte das Zucken von Mariks rechter Hand.

„Wer immer hinter dieser Intrige steckt, ist mächtig genug, Kaibas Existenz zu vernichten. Er hat dich gestern am Flughafen erwartet und wusste, in welchem Hotel du ein Zimmer reserviert hast. Er weiß vielleicht sogar, dass du in diesem Moment hier bist. Wie willst du bei diesem Gegner irgendjemanden davon überzeugen, dass Kaiba das Opfer einer Verschwörung geworden ist? Du übersiehst die einfache, klare Tatsache, dass das Ganze drei Nummern zu groß für dich ist.“

„So ungern ich es auch nur ausspreche, aber der Primat hat recht.“ Ein wölfisches Grinsen erschien bei Mariks Worten auf Bakuras Zügen. „Versuch es nicht, Joey. Flieg zurück nach Amerika und freu dich darüber, dass du wenigstens Mokuba helfen konntest.“

Joey hätte damit rechnen müssen, dass sie nicht begriffen, warum er das tat. Dass sie dachten, er hätte Kaiba schon genug geholfen. Er schüttelte den Kopf.

„Ich erzähle euch etwas. Ich bin gestern losgeflogen, mitten in der Nacht in Amerika, ohne meiner Schwester und meinem Vater etwas von meinem Entschluss zu berichten, weil sie genau das gleiche gesagt hätten, wie ihr. Bevor ich abgeflogen bin, habe ich mich von Mokuba verabschiedet. Wisst ihr, was er getan hat?“

Er griff unter den Kragen seines Shirts und zog an dem Lederband, das vorher kaum zu sehen gewesen war. Hervor kam ein Anhänger, der Marik und Bakura vertraut sein musste, denn es gab nur zwei Personen, die ihn trugen.

Er hatte die Form einer Duel Monsters Karte.

Joey öffnete den Anhänger und begegnete dem offenen, unbeschwerten Blick eines jungen Seto Kaibas.

„Es ist das einzige, was er mitnehmen konnte, als ihn das Jugendamt abholte, weil er nur das behalten durfte, was er zu dem Zeitpunkt am Körper trug. Es ist die einzige Erinnerung an seinen Bruder. Das einzige, was ihn noch mit ihm verbindet. Und was tut er? Er gibt es mir. Er gibt mir seinen wertvollsten Besitzt und ich schwöre euch, es hat ihm verdammt nochmal weh getan, das zu tun. Aber das war ihm egal, weil er mir damit zeigen wollte, wie viel Hoffnung er mir übertragen hat. Mokuba mag siebzehn Jahre alt sein, aber abgesehen von Kaiba hat er niemals eine Familie gehabt. Und ich soll zulassen, dass er diese Familie verliert? Ich soll unberührt dabei zusehen, wie irgendjemand sich das Recht heraus nimmt, diese Familie zu zerstören und alles, was sie ausmacht, mit Füßen zu treten?!“

Er riss seinen Blick von dem Anhänger los und fixierte Marik. „Ich habe einen guten Eindruck bekommen, wie ernst diese Situation ist. Ich bin vor ein paar Tagen in einem dunklen Flur unseres Hauses beinahe über Mokuba gestolpert, der sich an eine Wand presste und nicht wusste, wo er war, nachdem er aus einem Albtraum aufgeschreckt und wirr durch durch die Flure geirrt war. Ich musste ihn daran erinnerte, dass er sich in Amerika und nicht in Japan befand. Ich musste ihm gestehen, dass ich nicht wusste, ob es seinem Bruder gut ging, denn er hätte es verdammt nochmal gemerkt, wenn ich ihn angelogen hätte! Und er hat mich angelächelt und sich dafür bedankt, dass ich mich um ihn kümmere. Dass ich ihn zehntausend Kilometer mehr von seinem Bruder entfernt habe, als das Jugendamt. Dass ich einen verdammten Ozean zwischen sie gepackt habe. Mokuba weiß nicht, ob er Kaiba jemals wieder sehen wird, alles was er hat, ist die Hoffnung, dass er es eines Tages kann. Und wenn es ihm so dreckig geht, was ist dann mit Kaiba? Ihr habt ihn vielleicht im Königreich der Duellanten nicht erlebt, aber er war bereit, alles zu tun, um seinen kleinen Bruder zu retten. Wie fühlt er sich jetzt wohl? Und glaubt ihr, Mokuba kann sich nicht vorstellen, wie es ihm geht? Meint ihr nicht, dass es ihm dadurch noch schlechter geht als ohnehin schon?

Glaubt mir, ich weiß, dass das alles hier kein Spiel ist. Aber ich bin bereit, das zu akzeptieren, wenn dadurch Mokuba nicht noch brutaler aus seiner Kindheit gerissen wird, als es schon der Fall ist. Nennt mich sentimental, nennt mich von mir aus auch idiotisch, aber ich bin alles andere als naiv. Ich tue das gleiche, was ich für meine Familie tun würde! Und warum? Weil es niemand sonst tut!“

Er suchte nach Spott in Mariks Blick, nach einem Zeichen dafür, dass der Ägypter ihn nicht ernst nahm, doch die erwartete Reaktion blieb aus. Stattdessen hob Marik eine Hand und presste sich Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel. „Ich schwöre dir, Joey Wheeler ... Wallstein, du bist eine elende Plage. Verschwindest als kindischer Unruhestifter für Jahre in die Staaten und kommst dann als verdammter Mann zurück.“

„Der beweist, dass er Eier hat.“

Marik warf Bakura einen äußerst giftigen Blick zu. „Was habe ich dir bezüglich deiner Vulgärsprache gesagt?!“

„Dass ich sie mir in den Arsch schieben kann, um dich zu zitieren?“

„Und warum tust du das nicht?!“

„Weil du den Anblick nicht ertragen würdest.“


„Könntet ihr das später klären?“, fuhr Joey dazwischen und sie verstummten.

Marik schien sich wieder daran zu erinnern, was er sagen wollte. „Okay, Joey. Wir sind dabei.“

„Dann hilfst du mir mit dem Nummernschild?“


„Joey.“ Marik hatte die Arme verschränkt. „Ich sagte: Wir sind dabei. Das bedeutet, wir helfen dir. Nicht nur mit dem Nummernschild, sondern mit dieser ganzen verrückten, selbstmörderischen Sache.“

Joey öffnete den Mund, doch nur ein undeutlicher Laut verließ seine Kehle. Bakura unterdrückte ein Lachen. „Warum“?, fragte Joey schließlich, als er seine Fassung wieder einigermaßen zurück erlangt hatte. Er hatte gehofft, Marik würde ihm bei dem Nummernschild helfen. Aber das? Er hatte nie vorgehabt, den Ägypter für seinen Plan zu gewinnen.

„Humanitäre Gründe. Beschränkte Weitsicht. Mangelnder Selbsterhaltungstrieb. Verdammter Wahnsinn. Such es dir aus. Schieb es von mir aus auf deine überzeugende Rede, um dein Ego zu pushen, ist mir egal.“

„Ich würde sagen, es ist Adrenalinsucht“, schlug Bakura vor und streckte sich. Einige Gelenke knackten. „Marik braucht den Kick.“

„Ach und du nicht?“

„Das habe ich nicht behauptet. Aber Marik würde es bei mir liebend gerne auf beschränkte Weitsicht schrieben.“

„Worauf du dich verlassen kannst. Und jetzt räum diesen Saustall hier auf! Das ist eine Bibliothek - Eigentum der Stadt. Du bist hier nicht zuhause, du verdammter -“

Während Joey der Auseinandersetzung fassungslos folgte, stellte er zum wiederholten Mal fest, dass Bakura eindeutig zu stark auf Marik abgefärbt hatte. Doch wenn genau das dazu geführt hatte, dass Marik ihm nun half, dann würde Joey es dankbar hinnehmen.

Und Bakura dafür eine Packung Pralinen kaufen.
 

Marik beobachtete, wie Joey die Stufen zum Parkplatz hinunter lief und schließlich in seinen Leihwagen einstieg. Es war ein ziemlich kleines, unscheinbares Fahrzeug. Trotz seines Vermögens schien Joey Wallstein nicht dem Luxuswahn verfallen zu sein. Was vermutlich der einzige Vorteil war, den sie in der ganzen Situation vorzuweisen hatten.

„Worauf haben wir uns da bloß eingelassen?“

„Tu nicht so, als würde es dich nicht reizen“, bemerkte Bakura und durchwühlte die Taschen seiner Jacke nach Süßigkeiten. Er fand nur ein altes Bonbon und Marik beobachtete angewidert, wie es unbeeindruckt in den Mund steckte. „Das ist eine Verschwörung auf hohem Niveau. Bisher haben wir nur kleine Spitzelaufträge bekommen. Endlich können wir uns mal an einem ordentlichen Gegner messen.“

„Tu dir keinen Zwang an. Wenn du richtige Gegner willst, dann geh meinetwegen zur Mafia. Dann bin ich dich wenigstens los.“

„Die Mafia ist viel zu offensichtlich, Marik. Außerdem wüssten die überhaupt nicht, was sie an mir hätten.“

„An einem vierundzwanzigjährigen, der gerade einmal seinen Schulabschluss vorweisen kann und keine Ausbildung hat?“

„An einem ehemaligen Grabräuber, der mehr Lebenserfahrung im kleinen Finger hat, als ein ganzer Mafiaclan zusammengerechnet.“
„Für die bist du nichts weiter, als ein Psycho.“
„Dann sollen sie mich gerne unterschätzen. Das gibt mir nur einen Vorteil mehr. Siehst du denn nicht, was für eine Chance das für uns ist? Wir können allen beweisen, dass wir ein verdammt gutes Team mit einzigartigen Fähigkeiten sind.“

„Meinst du wie Bonny und Clyde?“, feixte Marik.

„Ich dachte eher an ein Meisterhirn und seinen unersetzbare, ausführende Hand.“

Marik schwieg. Nach einigen Sekunden sagte er: „Du hast wieder heimlich die Spionagebücher gelesen, oder?“

„Was soll ich sonst mit meiner ganzen Freizeit tun? Über Ägypten kann ich kaum noch etwas erfahren, was ich nicht selbst erlebt habe.“


„Wie wäre es zur Abwechslung mit arbeiten? Du bist hier immerhin für die Sicherheit angestellt. Oder tu von mir aus, was Grabräuber eben tun. Aber versuch nicht, dir Möchtegernliteratur anzueignen.“

„Das werde ich ohnehin erst einmal nicht mehr tun können, da wir jetzt einen Auftrag haben.“

„Wenn es um das Nummernschild geht, das ist meine Aufgabe.“

„Und was soll ich dann tun?“

Marik machte eine abwinkende Handbewegung. „Sprich mit deinen Kontakten und finde heraus, wer sich in den letzten Monaten auffallend oft nach Kaiba erkundigt hat. Diejenigen, die hinter all dem stecken, werden ihre eigenen Vorbereitungen getroffen haben. Das können sie nur schwer geschafft haben, ohne zumindest ein wenig aufzufallen.“

„Geht klar.“

Und damit war Bakura durch das offene Fenster verschwunden. Marik verdrehte die Augen. „Ernsthaft, was ist so schwer daran, eine Tür zu benutzen?“

Er bekam keine Antwort. Das hob seine Stimmung in einem beträchtlichen Maße an.
 

oOo
 

Als Joey den Spielladen erreichte, war dort bereits die Hölle los. Schüler jeder Schulform drängten sich um die neuesten Duel Monsters Karten und Joey beobachtete amüsiert, wie sie ehrfürchtig Yugis Urkunden bestaunten, die sämtliche Siege seiner Laufbahn widerspiegelten und neben der Kasse an der Wand hingen.

Joey hatte Yugi, nachdem er den Laden von seinem Großvater vor einigen Jahren übernommen hatte, dazu drängen müssen, seine Urkunden rahmen zu lassen. Yugi war viel zu bescheiden, um mit seinen Erfolgen hausieren zu gehen.

„Joey!“ Sein bester Freund stand hinter der Ladentheke und gab gerade einem schüchtern lächelnden Mädchen ihr Wechselgeld. Er winkte ihm zu und zwängte sich an einigen heftig diskutierenden Jungen vorbei.

„Ich schwöre dir, selbst wenn du noch so starke Drachenkarten hast, gegen ein Fallendeck hast du keine Chance!“

„Aber ich kenne einige Drachenkarten, die Fallenkarten nutzlos machen!“

„Das mag sein, aber ich habe von meinem Bruder gehört, der es von seinem Kumpel gehört hat, dass es eine Fallenkarte gibt, die sämtliche Drachenkarten -“

Joey schüttelte den Kopf und ließ die Diskussion hinter sich. Er hatte selbst zwar noch seine alten Karten, hatte sich aber zuletzt vor einem Jahr mit einem Kommilitonen duelliert, der einfach keine Ruhe gegeben hatte, bis Joey mit ihm den Boden gewischt hatte. Seitdem war er nicht mehr herausgefordert worden und hatte kein Duell mehr bestritten. Irgendwo vermisste er es schon, aber die Zeit als Duellant lag hinter ihm. Allerdings kribbelte es ihn immer noch in den Fingern, wenn er daran dachte, dass Yugi bis heute ungeschlagen war. Irgendwann vielleicht würde er ihn noch einmal herausfordern ...

Aber dafür war er jetzt nicht hier.

„Schön, dich zu sehen.“ Yugi gab ihm zu verstehen, dass er hinter die Theke kommen konnte. Joey legte seine Jacke über den Tresen, darauf bedacht, nichts aus der Auslage zu verschieben.

„Wie ist es gelaufen?“

Er öffnete den Mund und stellte fest, dass es zu viel zu bereden gab und dass die Informationen zu empfindlich waren, um in einem überfüllten Laden ausgetauscht werden zu können.

„Später“, formte er mit seinen Lippen, als eine Schülergruppe an die Kasse herantrat. Einer der Jungen verwickelte Yugi in ein ernstes Gespräch über den Nutzen von Ritualmonstern und Joey lauschte Yugis Ratschlag mit einem seltsamen Gefühl von Melancholie.

Ein Vibrieren in seiner Tasche riss ihn aus alten Erinnerungen. Ein Blick auf das Display seines Handys ließ ihn die Stirn runzeln. Die Nummer war unterdrückt. Aber dies war sein japanisches Telefon, denn sein amerikanisches hatte hier keinen Empfang und es gab nur eine Hand voll Personen, die diese Nummer kannten.

Es war höchstwahrscheinlich Serenity oder Joe und er wusste, dass er ihnen eine Erklärung schuldig war. Joey konnte sich dunkel ausmalen, was für Sorgen seine Schwester sich bereits gemacht hatte und lange zurückgehaltene Schuldgefühle regten sich in ihm.

Er gab Yugi zu verstehen, dass er kurz telefonierte und zog sich in den Lagerraum hinter der Kasse zurück. Dann nahm er den Anruf entgegen und wappnete sich innerlich bereits gegen sämtliche Standpauken.

„Ja?“

Er bekam keine Antwort. Stattdessen empfingen ihn die Stille und das gedämpfte Licht des Lagerraums. Nach mehreren Sekunden ohne eine Reaktion am anderen Ende, fühlte Joey sich genötigt, nachzuhaken:

„Hallo? Serenity, bist du das?“

Wieder keine Antwort. Er nahm das Telefon von seinem Ohr und betrachtete das Display, doch die Sekunden wurden gezählt, die Verbindung stand und die Nummer war nach wie vor unterdrückt.

Er versuchte es noch einmal: „Entschuldigung, aber wer immer dran ist, sollte jetzt sprechen, sonst lege ich auf.“

Und er war drauf und dran, die Verbindung zu kappen, da hörte er, wie jemand Luft holte.

„Wheeler.“

Beinahe hätte er das Handy fallen lassen. Er umklammerte es mit beiden Händen, damit es seinen, mit einem Mal feuchten, Fingern nicht entglitt und presste es sich so stark gegen das Ohr, als befürchtete er, jeden Moment diese Verbindung zu verlieren, von der er niemals gerechnet hatte, sie so früh zu bekommen.

Kaiba?“
 

[tbc]



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  masa
2012-09-18T00:22:04+00:00 18.09.2012 02:22
wahnsinn geile ff , die beste die ich seid langem gelesen habe. wann gehts weiter?
Von:  Lunata79
2012-04-25T09:26:54+00:00 25.04.2012 11:26
Deine FF ist wirklich genial.

Warum schreibst du nicht weiter?
Bin wirklich neugierig wies weitergeht.

Bitte nimm dir wieder mal die Zeit, diese FF fortzusetzen.
Sie soll nicht unfertig bleiben.
Dazu ist sie viel zu spannend.

Lg
Lunata79
Von:  Friends
2011-07-20T11:09:12+00:00 20.07.2011 13:09
Hi Süße,

bin endlich mal wieder zu gekommen, eine deiner FF's zu lesen. War überrascht zu sehen, du hast eine Neue. Und wieder so eine umwerfend Geniale.
Hoffe du kommst bald wieder zum Weiterschreiben.
Wünsch dir alles liebe. Knuddel
Deine Friends
Von:  Eisenprinzessin
2011-05-15T11:36:36+00:00 15.05.2011 13:36
OMG Kaiba taucht auf !! Was für ein Cliffhanger!
Ich hoffe du schreibst bald weiter ich bin total gespannt was Kaiba zu sagen hat :)..
Von:  Eisenprinzessin
2011-05-15T11:36:35+00:00 15.05.2011 13:36
OMG Kaiba taucht auf !! Was für ein Cliffhanger!
Ich hoffe du schreibst bald weiter ich bin total gespannt was Kaiba zu sagen hat :)..
Von:  DarkTiger
2011-05-14T18:08:44+00:00 14.05.2011 20:08
waaaaah!!!
toll
bin so happy das gerade jetzt ein neues kapittel rausgekommen ist
hatte heute einen arbeitstag von 13 stunden am stück drausen mit sauwetter und musste den ganzen tag stehen und schwere telefonbücher und gelbe seiten verteilen
das tut so gut so ein shcönes neues kapitel zu lesen um die schmerzen zu vergessen
du machts es aber auch richtig spannend!
kaiba ruft an
*kreisch* >.<
es war ein mal wieder wundervoll geschriebenes meisterwerk^^
ich hoffe du schreibst bald weiter
bin schon sehr gespannt wie es weiter geht

lg

Yelizaveta
Von:  ushios
2011-05-14T03:10:52+00:00 14.05.2011 05:10
hört sich so an als würde die geschichte jetzt richtig los gehen bin gespannt was noch geschiet also schreib schn ell weiter vor allem möchte ich natürlich wissen was bei dem telefonat rauskommt


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