Meine Schwester
Heute ist ein grauer Tag, es regnet leicht und ich beobachte die Bäume, deren Kronen und Äste sich sanft im Wind wiegen.
Vor sieben Tagen war die Beerdigung meines Mannes und ich kann mich glücklich schätzen, dass sein bester Freund sich so gut um mich kümmert. Ohne ihn würde ich in der Einsamkeit unter gehen.
Er fehlt uns, doch ich bin froh, fast 50 Jahre mit diesem wunderbaren Mann verheiratet gewesen zu sein.
Wir haben keine Kinder, das war bisher auch gut gewesen, denn in Lüge wollten wir nicht mit ihnen leben.
So waren wir eine kleine Familie gewesen und bis heute geblieben.
Mein Mann, sein bester Freund und ich. Meine Schwester kam immer zu Besuch aber ich zähle sie aus einem bestimmten Grund nicht auf.
Wir kannten die Wahrheit über uns und unser Leben. Jene Wahrheit, die keinen etwas anging. Doch meine Schwester hatte schon früh gemerkt, das wir etwas zu verbergen hatten. Sie war hartnäckig geblieben und so habe ich ihr, als ich Ende 20 war, versprochen, es eines Tages zu sagen.
Bis heute, fragte sie nie wieder danach. Doch nun lehnte sie an der Terrassentüre mit ihren 79 Jahren und sah mit starren und bittenden Blick zu mir. Sie war mit den Jahren gebrechlich geworden, ihr Gang war schwach, zittrig und sie machte einen Buckel.
Dennoch wich ihre Lebenslust nicht, das konnte ich an ihren kraftvollen Augen sehen. Ihr Körper hat sich verändert aber ihr Geist, ihr Wesen strotzt nur so voll Lebenslust und Energie, wie die eines Kindes.
Nun setzte sie sich mir gegenüber auf den grünen Terrassenstuhl und kniff die Augen zusammen, als sie die Zigarette in meiner Hand sah. „In deinem Alter sollte man nicht rauchen“ sagte sie lächelnd. „Vor 58 Jahren hast du mir das gleiche gesagt“ konterte ich gelassen.
Meine Schwester hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich dachte sie, das es eh nichts bringt mich zu belehren.
Ich folgte ihrem Blick gen Himmel und da sagte sie es schon:
„Heute ist es eine Woche her und nun, möchte ich das erfahren, was ihr mir verschwiegen habt. Diese Lüge, mit der ihr da lebt, die habt ihr gelebt.“ sagte sie einfühlsam. „Als deine Schwester fand ich das nicht gut, aber ich weiß wie wichtig dir die beiden Jungs sind, aber nicht warum und auch jetzt, obwohl dein Mann tot ist, ist es als würdest du immernoch für ihn leben. Es hat sich in dem Haus nichts verändert, der Geist scheint hier weiterzuleben. Du hast mir nie verraten, wie ihr euch kennen gelernt habt oder wie ihr zusammen gekommen seit. Mensch, dass ist doch das wichtigste für eine Frau, diese Erinnerung immer zu durchleben und sie seiner besten Freundin zu sagen, davon zu schwärmen, aber du, du bist anders und hast immer darüber geschwiegen. Nun sind wir alt und jetzt, möchte ich deine Geschichte hören.“
Gewiss wollte ich nicht. Nicht wegen der Scham, sondern wegen der Tatsache, das sie meinen Mann und seinen besten Freund dafür, dessen bin ich mir sicher, hassen würde. Und ich wollte, dass sie die Beiden immer in guter Erinnerung behielt.
Doch ich war es ihr schuldig, immerhin war sie die Jahre über uns treu geblieben und so fing ich an, meine Beichte abzulegen.