Schneeballschlacht
Viertes Türchen:
Schneeballschlacht
Yao konnte den Winter nicht besser oder weniger gut leiden als jede andere Jahreszeit – allerdings war es nicht ratsam, zu dieser Zeit draußen auf dem Meer herum zu kreuzen. So war er vor etwa einer Woche ans Land zurückgekommen und hatte (seiner eigenen Aussage nach) sein Schlafdefizit noch immer nicht aufgeholt. Es tat gut, wieder zu Hause zu sein. Es war so entspannend.
„Aniki, Aniki! Das musst du dir ansehen!“
Stöhnend zog Yao sich die Decke über den Kopf, als er Schritte über den Holzboden poltern hörte. Yong Soo stürmte den Raum und zerrte an seiner Decke. Er klang noch begeisterter als sonst, obwohl Yao diese Steigerung nicht für möglich gehalten hatte.
„Aniki! Schläfst du etwa noch?“
Ein zweites Paar Füße bewegte sich etwas langsamer über den Boden. „Es ist noch recht früh“, sagte Kiku bedächtig. „Die Sonne ist noch kaum aufgegangen in China-wo-die-Sonne-untergeht.“
Beinahe wäre Yao aufgestanden, um diesen unhöflichen Jungen zurechtzuweisen, doch er beherrschte sich und blieb liegen. Die Decke wurde ein Stück beiseite gezogen und Yong Soo kniff ihn in die Wange.
„Wach auf, Aniki! Es hat geschneit, das musst du dir ansehen!“
Dumme Kinder, dachte Yao und stellte sich weiter schlafend. Er konnte mittlerweile nicht mehr zählen, wie oft er in seinem langen Leben schon Schnee gesehen hatte. Das war doch nichts Besonderes. Beinahe hätte er die Augen geöffnet, als Yong Soo kräftig an seinen Haaren zog, aber nur beinahe.
„Wie kannst du denn schlafen, wenn es geschneit hat, Aniki?“, fragte Yong Soo enttäuscht.
„Sicher wird der Schnee ihm auch gefallen, wenn er aufwacht.“
„Ich will, dass er jetzt wach ist!“
„Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg zum Propheten“, sagte Kiku geheimnisvoll.
„Was meinst du damit?“, fragte Yong Soo neugierig. „Was bedeutet das?“
„Wenn du mit mir rauskommst, sage ich es dir.“
„Ist es ein Geheimnis? Verrat es mir!“
Yao hörte, wie die beiden den Raum verließen, und atmete auf. Endlich hatte er seine Ruhe. Wohlig drehte er sich auf die andere Seite und gähnte. Diese ganze Aufregung um ein bisschen Schnee. Schnee war auch nicht mehr das, was er früher gewesen war.
Er hörte Kichern und leise Schritte. Misstrauisch runzelte er die Stirn, doch er versuchte, die Geräusche zu ignorieren. Sollten die Kinder doch ihren Spaß haben, solange er nicht mitmachen musste...
„Eins... zwei... drei!“
Die Decke wurde plötzlich beiseite gerissen und etwas sehr Kaltes landete auf Yaos Bauch und seinen Armen. Erschrocken rang er nach Luft, fuhr auf und bemerkte die Schneeklumpen, die auf sein Laken fielen und seinen seidenen Schlafanzug durchnässten.
„W-was zum Teufel ist das denn, aru?“
Yong Soo lachte lauthals und klatschte in die Hände. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Schnee zum Aniki! Stimmt doch, Kiku!“
Sogar Kiku neben ihm sah aus, als würde er ein Lachen unterdrücken. Moment... Kiku lachte nicht. Wütend schob Yao die Decke beiseite und zupfte an seinen Kleidern. „Was habt ihr euch dabei gedacht? Ihr könnt doch nicht einfach...“
„Kommst du mit raus?“, fragte Yong Soo begeistert, ohne ihn zu beachten. „Wir können einen Schneemann bauen! Bitte, Aniki! Bitte?“
Yao betrachtete die beiden Jungen vor ihm, die ihn erwartungsvoll ansahen. Er versuchte, wütend zu sein, doch er musste lächeln.
„Ein Schneemann, aru?“, fragte er, bückte sich und schob den Schnee in seinem Bett mit den Händen zusammen. „Da weiß ich aber etwas Besseres, was man mit Schnee machen kann.“
„Ach ja?“, fragte Yong Soo. „Was denn?“
Yao grinste und schleuderte den Schneeball in seine Richtung. „Aiyaaah!“
„Wir machen eine Schneeballschlacht!“, rief Kiku mit einer für ihn völlig untypischen Freude.
„Eine Schneeballschlacht!“, wiederholte Yong Soo und ballte die Fäuste. „In Anikis Schlafzimmer! Komm, Kiku, wir holen mehr Schnee!“
(Wie zum Teufel heißt Im Yong Soo mit Vornamen?)
