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One Day

von

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Das Ende

„Warum hast du das getan?“
 

Als sie die uns umgebende Nacht mit ihrer Frage dazu bringt, klirrend in tausend kleine Stücke zu zerbrechen, schaudere ich. Mir wird kalt und obwohl da nichts auf den Rasen oder die Straße fällt, glaube ich die vielen Scherben sehen zu können. Und ich habe auch das Gefühl, als würden sie mich schneiden. Jede einzelne fordert den ihr gebührenden Tribut für das, was ich getan habe. Ohne groß darüber nachzudenken streiche ich mir deswegen über meine nackten Arme und versuche den Phantomschmerz los zu werden. Er behagt mir nicht, aber dieses Unwohlsein ist auch schon alles, was ich momentan empfinde. Ob nun für mich, für sie oder für die Menschen, die meiner Obsession zum Opfer gefallen sind – mehr als das, mehr als der wage Eindruck irgendwelchen Leides, das ich eigentlich gar nicht wirklich spüre, habe ich nicht übrig. Wieder tue ich etwas, was zeigt, das ich noch lebe. Ich seufze vernehmlich. Die ganze Zeit über in der ich jetzt geschwiegen habe, lagen ihre Augen auf mir und sie tun es immer noch. Von ihr geht keine Ungeduld aus. Keine Vorwürfe, keine Abneigung, kein Hass, keine Abscheu und eigentlich auch kein Unverständnis. Aber selbst, wenn man diese Regungen vergeblich bei ihr sucht, so sorgen ihre steife Haltung und ihre sachlich klingende Stimme dafür, dass man auch Zuneigung, Mitleid, Verständnis oder Halt nicht bei ihr findet. Wieder seufze ich und gedenke, die Antwort noch ein wenig nach hinten zu verschieben. Wir beide stehen auf dem englischen Rasen irgendeines Einfamilienhaushaltes. Sie sieht mich an und ich schaue auf die tiefschwarze, absolut saubere und schlaglochfreie Straße, die irgendwas von einem ziemlich ruhigen Fluss hat. Einem sehr tiefen und unergründlichen Fluss, der sich gerade jetzt vor mir auftut wie eine unüberwindbare Schlucht. Die wenigen Straßenlaternen, die die Gegend beleuchten und unseren Standpunkt geschickt auslassen – vielleicht ist es von uns auch so gewollt gewesen – bringen die eigentlich schneeweißen Streifen fast zum Strahlen. Das tun sie im Normalfall immer und sehr oft, zu oft!, habe ich das beobachtet. Heute Nacht jedoch sind sie nicht so weiß, wie sie sein sollten. Heute Nacht… Ich schüttle den Kopf, lege ihn in den Nacken und schaue nach oben. Über unseren Köpfen beugt ein großer Kastanienbaum seine Krone in die Richtung einer etwas kleineren Roteiche, die sich nicht abduckt, sondern sich zur Kastanie hochstreckt um zu erfahren, was die vielen Blätter so aufgeregt flüstern. Ich kann nicht anders, als zu lächeln und sie eine Weile zu beobachten obwohl sie nichts weiter tun, als in ein und derselben Haltung zu verharren. Sie, die neben mir steht, lässt meine Verzögerungstaktik kommentarlos über sich ergehen. Nur manchmal verlagert sie ihr Gewicht vom einen Fuß auf den anderen und wieder zurück. Ich kann es aus den Augenwinkeln sehen, egal wie sehr ich versuche zu vergessen, dass sie noch immer da steht und wartet. Aber da das nicht das einzige ist, was ich momentan sehe, belasse ich es vorerst dabei. Mein Interesse gilt jetzt den kleinen Fetzen des klaren Sternenhimmels, den die Bäume mir gelassen haben. Zerrissen und damit ohne jeden Zusammenhang bleibt die Schönheit des Firmaments mir fürs Erste verborgen und doch versuche ich die winzig kleinen, fahl funkelnden Punkte zu zählen, die ich sehen kann. Ein, zwei, drei, vierfünfsechs… es sind so viele, obwohl ich nur kleine, blauschwarze Inseln ausmachen kann. Einmal mehr bin ich von der Macht dessen, was sich über uns abspielt, überwältigt und verängstigt. Denn der Himmel – ob bei Nacht oder am Tag – zeigt mir auf, wie nichtig ich bin. Wie unbedeutend. Zumindest im Angesicht dessen. Hier unten, mit den Füßen auf zu kurzen Grashalmen und mit den Händen in den Taschen meiner verwaschenen Jeans, da habe ich eine Bedeutung. Eine, die mich nun endlich dazu zwingt, den Kopf wieder nach vorn kippen zu lassen uns sie zum ersten Mal in den vergangenen drei Stunden, in denen wir hier nun schon stehen, anzusehen. Obwohl ich nicht viel von ihrem Gesicht oder ihrem Körper erkennen kann, weiß ich doch, dass sie hübsch ist. Das streng zurück gekämmte Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Da sie ihn ziemlich hoch angesetzt hat, kann ich das weiße Gummiband erkennen, das ihr strohblondes Haar zusammen hält. Da sich niemals auch nur eine Strähne gegen ihre Diktatur auflehnt, gibt es nichts, was von ihrer geraden Nase oder ihren dünnen Lippen ablenkt. Ihre Wangenknochen treten so straff hervor, dass man leicht den Eindruck gewinnt, sie müsse stets so ernst und ausdruckslos schauen, weil ihre Haut sonst zerreiße. Was aber natürlich Unsinn ist. Schon allein, weil sie die Haut noch mehr strapaziert, wann immer sie die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen presst um nicht entkommen zu lassen, was manchmal fast zum Greifen nahe unter dem matten Blau in ihren großen Augen köchelt. Sie hat lange Wimpern, die jedoch zu hell sind, als das man sie jetzt sehen könnte. Und ihre Augenbrauen stutzt sie stets mit solcher Hingabe und Perfektion, dass sie stets absolut akkurate Halbbögen beschreiben. Alles in allem ist sie wohl das, was man eine erbarmungslose Schönheit nennt. Das ich mich nun daran aufhalte zeigt mir mehr als deutlich, wie wenig ich gewillt bin, zu antworten.
 

„Julia.“
 

Ich spreche ihren Namen wie "Jdulia" aus und dehne das U ein kleines Bisschen. Obwohl mein Hals sich kratzig, fas trocken anfühlt, schaffe ich es wohlwollend zu klingen. Und obwohl ich begonnen habe, mich mit ihren Worten zu beschäftigen, zeigt sie wie immer keinerlei nennenswerte Reaktion und ich lasse ihr diese Gleichgültigkeit. Bis eben habe ich ihr nur mein Gesicht zugewandt um zu vermeiden, mich ganz und gar auf sie einstellen zu müssen. Wann immer wir ein wenig Zeit miteinander teilen, wartet sie auf ein Zeichen von Schwäche und jedes Mal gewähre ich ihr diesen Triumph. Weil ich menschlich bin. Viel menschlicher als sie es jemals sein wird. Aber gerade eben, da möchte ich mich nicht durch zu große Anspannung verraten. Ich möchte vor ihr nicht in die Knie gehen. Deswegen mache ich etwas, das ich schon sehr lange nicht mehr getan habe. Weil ich weiß, was es in ihr auslöst. Noch während ich ihr meinen gesamtem Körper zudrehe, meine Brust anbiete wie eine Zielscheibe beim Bogenschießen in der Schule, weiß ich, was ich gleich anrichten werde. Und doch zögere ich nicht eine Sekunde.
 

„Du bist es nicht wert, dass ich dir darauf eine verwertbare Antwort gebe.“
 

So viel Herablassung, wie ich nun aufbringen kann, schütte ich ihr in den Rachen und beobachte dann, wie sie röchelt. Es ist faszinierend, wie die kalte Maske mit dem überraschten Aufreißen der Augen kleine Risse bekommt. Wie eben diese kleinen Risse sich vertiefen und zu Löchern und Kratzern werden, als sie den Mund öffnet und nach Luft schnappt. Und wie ihr Schutzschild letztendlich zerplatzt und sie japsend nach ihrer schmerzenden Brust greifen will, es aber unterlässt und die Zähne zusammen beißt. In wütender Demut senkt sie den Blick und ich kann nicht sagen, ob sie es bereut, eine Frage gestellt zu haben. Oder ob sie es bereut, sie mir gestellt zu haben. Bereut sie denn überhaupt? Nun bin ich es, der sie ansieht und mit scheinbar unerschöpflicher Geduld darauf wartet, dass sie Farbe bekennt. Julia Sophia Messner, erinnere ich mich an ihren vollen Namen. So schön wie er klingt, so bitter schmeckt er auch und ich komme nicht dazu, mir weitere Dinge über diese Frau ins Gedächtnis zu rufen, da blickt sie auch schon wieder auf. Kurz wollte ich erstaunt darüber sein, wie schnell sie sich gefasst hat. Aber als unsere Augen sich treffen sehe ich noch immer das kleine Mädchen, dass sie doch ist.
 

„Ich werde dich anzeigen und gegen dich aussagen.“
 

Irgendwie nahm ich an, dass sie wütend oder hasserfüllt klingen würde, wenn sie diese Worte hervorbringen. Aber sie zeigte mir nicht mehr, als dieselbe Gleichgültigkeit, die ihr Wesen wie ein roter Faden durchzieht. Anstatt erneut mehr zu sagen, als ich von Anfang an wollte, nicke ich nur und akzeptiere stumm ihre Entscheidung. Sie ist kein schlechter Mensch, das weiß ich jetzt. Was auch immer ihr passiert ist, nun – ich bin mir sicher, ihm in der Hölle zu begegnen. Dann werde ich ihm sagen, dass er Julia nicht zerstört sondern gestärkt hat und ich werde ihm auch sagen, dass nicht er ihr ein Ende und auch nicht sie sich ein Ende gesetzt hat. Sondern das ich allein es war. Als ich meine Hand in die Innentasche meiner Übergangsjacke schiebe, weiß sie schon, was passieren wird. Ihren Überlebensinstinkt hatte ich aufgrund ihrer Art jedoch als präsenter eingeschätzt und als die Kugel den schallgedämpften Lauf meiner Waffe verlässt und in ihren Schädel donnert, bereue ich für einen Moment, dass alles so schnell gegangen ist. Das sie nun da liegt, die Augen noch immer geöffnet aber sonst…vollkommen ausdruckslos. Natürlich lasse ich sie so. Denn schließlich habe ich keinen Grund, die Lider über das nun leere Blau zu schieben. Ohnehin denke ich, dass die Baumkronen und der zerrissene Nachthimmel ein schönes, letztes Bild sind. Das möchte ich ihr nicht verwehren, weswegen ich einfach gehe, als ein innerer Drang mich dazu aufgefordert hat, endlich einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dabei sehe ich, was ich und auch Julia die ganze Zeit ignoriert haben: Die verkohlten Überreste eines Hauses, das zwischen zwei identischen Wohngebäuden gestanden hat. Der fahle Schein letzter Flammen, die müde über einstige Querbalken lecken, bringen die weißen Straßenstreifen dazu, kupferfarben zu glühen und als ich mich von all dem abwende, ist mein letzter Gedanke der, das ich sie für Goldfische in meinem Fluss halte.
 


 

F o r t s e t z u n g - f o l g t...



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