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Red Moon

Bellas Leben nimmt eine völlig ungeahnte Wende: sie wird zum Werwolf
von

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Ein Engel auf der Bettkante

Ein wunderschönes, neues Jahr wünsch ich euch allen mit wenig Stress und viel Freude. Und ich freue mich, euch wieder hier begrüßen zu dürfen, wo es mit Bella im Krankenhaus weiter geht, die doch dem Tod schon beinahe auf dem Schoß sitzt. Wird sie es überleben?
 


 

Ein Engel auf der Bettkante
 

Das erste, was ich vernahm, war ein dumpfes Geräusch. Es ließ meinen Körper vibrieren, ganz sanft, aber beständig. Wie ein leiser Trommelschlag.
 

Bumm… bumm… bumm…
 

Ganz langsam erwachten weitere Sinne meines tauben Körpers. Ich vernahm ein rauschendes Wogen in meinen Ohren und spürte eine Unterlage unter mir, fest, aber doch angenehm. Ich erfasste mehr von meinem Körper, ein Ziehen, Brennen, Schmerz, einige Stellen taten mir besonders weh, aber ich war zu benebelt, als dass ich genau bestimmen könnte, welche. Ich fühlte mich zu schwach, um auch nur die Lider zu heben, aber ich registrierte, dass da noch jemand ganz in meiner Nähe war. Vielleicht war ich im Himmel und ein Engel saß auf meiner Wolke? Ich wollte etwas sagen, brachte aber nur ein leises Wimmern heraus.
 

Bumm… bumm… bumm…
 

Das Pochen, es kam von meinem Herzen. Aber jeder Herzschlag, den ich in meiner Brust spürte, drang bis hinauf in meinen Kopf und schien dort ein gewaltiges Echo zu erzeugen, das meinen Schädel ganz langsam zum Bersten zu bringen schien.
 

Wo war ich? Wie kam ich hierher? Meine steifen Finger strichen vorsichtig über meine Unterlage. Feines Leinen, kühl und glatt, eine Decke über meinem Körper, leicht wie eine Feder. Ich versuchte mich zu rühren, durch die Bewegung meinen Sinnen zu helfen, mehr von meiner Umwelt zu erfassen. Aber das Pulsieren in meinem Kopf nahm immer mehr zu und mit einer kleiner Explosion verließ mich wieder mein Bewusstsein, der angespannte Nacken löste sich und mein Kopf sank zurück auf das Kissen, das ich nicht einmal mehr spürte.
 

...
 

Bumm… bumm… bumm…
 

Wieder das Pochen und Beben, das mich durchdrang. Jetzt erinnerte ich mich gleich, wo es seinen Ursprung hatte. Mein Herz schlug den Takt des Lebens, der mich immer noch erfüllte, und mich zurück holte in die Welt des Bewusstseins. Ich war also doch nicht tot, denn sonst hätte mein Herz nicht mehr geschlagen. Und ein Vampir konnte ich auch nicht sein…
 

Da, wieder die Tücher, die kühle Umhüllung, der eiskalte Schatten. Ich wollte nicht wieder hinab gezogen werden in die dunkle Leere und bemühte mich, dem Anschwellen der Schmerzen in meinem Kopf zu trotzen und mich wach zu halten. Ich musste sehen, wo ich war. Was war überhaupt passiert?

Bilder zogen durch meine Erinnerung... eine Tür, die im Dunkeln aufglitt, schimmernde Kerzen, tropfendes Wachs, glühende Lava, die durch meine Adern rann und mir unbeschreibliche Schmerzen verursachte… danach nur verschwommene Szenen, Lichtblitze in bunten Farben, ein Rütteln und Schaukeln… und tiefe Schwärze.
 

Ich musste unbedingt herausfinden, wo ich war. Ich musste die Augen aufbekommen!

Angespannt konzentrierte ich mich darauf, die bleischweren Lider zu öffnen. Langsam hoben sie sich, ein schmaler Spalt ließ Helligkeit herein... aber es war ein Fehler. Viel zu grelles Licht blendete mich, gleißende Blitze brannten sich in meine Augäpfel, und ich sah nur tanzende, grüne Flecken. Erkennen konnte ich überhaupt nichts. Ich stöhnte, kniff die Augen wieder zu und legte meinen Kopf zurück auf das Kissen. Er erschien mir unendlich schwer, und nun schwankte auch noch alles, drehte sich, und mir wurde wahnsinnig übel. Mein Bauch verkrampfte sich, ich spürte dolchartige Stiche in meiner rechten Seite, dann versank ich wieder in der Dunkelheit. Im Nachhinein meinte ich auf meinen geschlossenen Lidern tatsächlich das Abbild eines Engels zu sehen. Es erschien als Negativ, das dunkle war hell und umgekehrt, und grüne und violette Flecken tanzten darin, sodass ich es kaum erkennen konnte: ein engelsgleiches Gesicht, schön und nicht von dieser Welt, volle Lippen, samtene Augen, und eine wundervolle Kinnlinie. Irgendwie kam mir dieses Wesen vertraut vor, aber bevor ich es erkennen konnte, driftete ich wieder hinab in die ruhige und dunkle Stille meiner Bewusstlosigkeit.
 


 

Wölfe, überall um mich herum waren Wölfe. Sie rannten mit mir durch hohes Gras, ihre dunklen Augen funkelten und unsere schlanken Körper bewegten sich in gleichmäßigen Lauf. Ich war mitten unter dem Rudel, rannte mit ihnen, fühlte sich frei und glücklich, so wahnsinnig glücklich. Da war etwas, weswegen ich mich so wunderbar fühlte, da gab es jemanden... ich blickte um mich und glaubte neben mir einen riesigen Wolf zu erkennen, rostbraunes Fell, zottiges Fell... aber plötzlich war alles verschwunden, nur Schwärze umfing mich, aus der ich aber langsam auftauchte und Geräusche um mich herum wahr nahm. Das leise Murmeln von Stimmen… und meine Unterlage wurde erschüttert... jemand war gegen das Bett gestoßen. Ich versuchte zu erwachen, an die Oberfläche zu gelangen aus den Tiefen dieses Traumes, aber bis meine Sinne sich wieder gesammelt hatten, war schon wieder Ruhe eingekehrt. Wieder versuchte ich meine Augen zu öffnen, um endlich das Geheimnis meines Aufenthaltsortes zu lüften. Gewarnt von den vorher gemachten Erfahrungen tat ich dies nur ganz langsam, ließ nur wenig von dem grausamen Licht hinter meine Wimpern dringen. Erst gewöhnte ich mich an das grelle Brennen, wartete ab, bis ich es ertragen konnte und öffnete dann sachte die flackernden Lider.
 

Himmel, endloser, weiter Himmel mit vielen weißen Wolken eröffnete sich meinem Blick. War ich doch gestorben? Aber da waren Fenster davor, große, beinahe bodentiefe, die mir diesen prachtvollen Ausblick ermöglichten. Ich schaute etwas nach unten und erkannte endlose Wälder und Berge, und dort, weit in der Ferne, den schneebedeckten Kegel des Mount Rainier, einem Vulkanberg südlich von Seattle. Ich schaute mich um, bewegte nur vorsichtig meinen Kopf, um ja nicht wieder eine Ohnmacht zu riskieren. Weinrot gestrichene Wände mit großen Gemälden verziert, ein riesiger Flachbildschirm, der an die Wand montiert war, gut gefüllte Bücherregale sowie ein Tisch mit mehreren Korbstühlen, alles sah edel und elegant aus. Und überall waren Rosen. Rosa farbene Rosen in Vasen, deren Duft den Raum erfüllte, stark, süß und schwer. Und doch lag ich in einem Krankenbett, angeschlossen an jede Menge Apparate. Ein Beutel mit Blut hing über mir an einem Haken, wie auch einer mit einer klaren Flüssigkeit, mit beiden war ich über Schläuche verbunden und sie tropften ihren teils ekligen Inhalt in mich hinein. Ich ließ meinen Blick weiter wandern, an meinem Bett entlang, an dem aber niemand saß. Dafür erkannte ich einen Mann, der in einem Sessel neben meinem Bett ruhte. Er schien eingenickt zu sein, seine fast schwarzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, und der Schnäuzer unter seiner Nase zuckte ein wenig, wenn er ausatmete. Er trug eine Polizeiuniform – es war mein Vater.

„Dad!“

Meine Stimme war vollkommen heiser, und ich konnte mein Krächzen kaum selbst verstehen. Charlie zuckt kurz, dann riss er die Augen auf und starrte mich dabei an wie einen Geist. Plötzlich rappelte er sich auf, sprang aus seinem Ledersessel hoch und stand sofort neben meinem Bett. Seine Hand erfasste die meine, wobei mir auffiel, dass mein rechts Handgelenk dick bandagiert war.

Der Biss!

Die Narbe!

Genau! Dort hatte James, der Vampir, mich gebissen, und die Narbe war angeschwollen und feuerrot geworden. Und Carlisle hatte mich noch gewarnt.
 

Charlie versuchte, mich zu umarmen, war aber in den vielen Schläuchen hängen geblieben. Gerade war er dabei, sich zu befreien, aber ich war viel zu ungeduldig um abzuwarten, bis er soweit war.

„Dad, was ist passiert? Wo bin ich denn hier?“
 

Charlie zupfte sich gerade den letzten Schlauch von einem Hemdknopf und setzte sich dann vorsichtig an meine Bettkante.

„Ach Bella, Gott sei Dank, du bist wach. Ich hatte schon Angst, du sahst gar nicht gut aus…“ Ein paar Tränen schlichen sich in seine Augenwinkel, und er schniefte ein wenig. Ich versuchte zu lächeln und drückte seine Hand fester. Es musste wirklich schlimm für ihn gewesen sein…

„Was war denn los, Dad?“ Ich war viel zu ungeduldig, ich sollte ihm Zeit geben, sich zu fassen. Aber ich konnte nicht anders, ich musste endlich wissen, was geschehen war.

Charlie ließ mich nicht aus den Augen, er sah sehr erleichtert aus und drückte nochmals meine Hand, dann gab er mir Auskunft.
 

„Also, ich… also…“, stammelte er, und dann schloss er die Augen, wie um sich zu konzentrieren, was er zu erzählen hatte.

„Es war so viel los an dem Tag…“ An dem Tag? Dann hatten wir also einen anderen? War ich schon tagelang hier? Aber ich dachte nicht länger nach, sondern hing an den Lippen meines Vaters, um heraus zu bekommen, was nun wirklich passiert war.

„Also Jacob hatte sich gemeldet, dass er Leah zum Flughafen gebracht hatte, und dass sie nun unterwegs sei nach… ach, in so ein großes Navajo-Reservat, weil sie da jetzt einen Job hat. Sie hatten auf den Flug warten müssen, und er hatte gar nicht gewusst, dass Leah kein Sterbenswörtchen zuhause gesagt hatte… ach, was erzähl ich da nur, darum geht es doch gar nicht.“ Er zog die Stirn in Falten, aber ich drückte ihm auffordernd die Hand, damit er weiter erzählte. Darum war also Jacob so lange weg gewesen.

„Also, als wir das hörten - Billy hatte mich deswegen angerufen – da waren wir sehr erleichtert, also Sue und ich, und Sue wollte dir unbedingt noch eine Torte backen, die ich mit nehmen sollte für deinen Geburtstag. Und als ich dann kurz nach Zwölf zuhause ankam, da dachte ich, ich bringe sie dir gleich, diese Torte, und ich bin in dein Zimmer rein gegangen…“

„Mit der Torte in der Hand und den brennenden Kerzen darauf“, ergänzte ich seine Worte. Er nickte nur. „Das weißt du also noch?“ Ich nickte ebenfalls. Das war also doch kein Traum gewesen.

„Ist dir da Wachs von dem Kuchen auf meinen Arm getropft?“, fragte ich ihn gleich, denn das war die Stelle, ab der die ganze Sache äußert wirr geworden war. Er schaute mich ein wenig verwirrt an.

„Ähm, kann sein, ich weiß nicht mehr genau. Ich sah dich nur da liegen, so vollkommen starr und regungslos. Du warst ganz grau im Gesicht, und deine Lippen waren violett. Du hast ausgesehen wie tot, und ich hab die Torte nur schnell weggestellt. Schon möglich, dass dabei Wachs herunter getropft war. Ich hab dich dann aus dem Bett gezerrt, dich die Treppe hinunter getragen, in meinen Streifenwagen verfrachtet und mit Blinklicht und Sirene ganz schnell ins Krankenhaus gebracht. Sie meinten, du hättest dich irgendwie vergiftet, und sie wollten unbedingt wissen, was du gegessen hättest. Aber ich wusste es doch gar nicht…“

Gequält sah er zu Boden und ich streichelte seinen Handrücken, um ihn zu trösten. Rote und blaue Blitze… das passte. Dann war die Sache mit dem Wachs ein Fiebertraum gewesen. Ein Traum von dem Gift, das aus der Bisswunde heraus in meinen Körper gelangte und alle Organe verbrannte…
 

„Du hattest einer Schwester etwas zugeflüstert, und die rannte dann weg. Ich wusste nicht, was sie vorhatte. Dann ging es ganz schön rund. Sie schoben dich weg, pumpten dir anscheinend den Magen aus, aber es hatte nichts geholfen. Du wurdest immer schwächer und keiner wusste, was sie mit dir machen sollten. Der Arzt kam und redete was von multiplem Organversagen, dass deine Leber ihren Geist aufgab und die Nieren auch bald soweit wären, und dass sie den Grund wissen müssten, warum das passiert ist, sonst könnten sie dir nicht helfen.“ Wieder standen Tränen in Charlies Augen bei der Erinnerung an diese schrecklichen Minuten. „Und dann kam Edward.“

„Edward?“

Ich schaute ihn fassungslos an.

„Ja, ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so freuen würde, ihn zu sehen. Er tauchte plötzlich auf, und Dr. Cullen war an seinem Handy, und er sagte, ein Hubschrauber sei schon unterwegs, der dich in diese Spezialklinik hier bringen würde. Ich sprach noch mit ihm, dann wies er die Schwester an, die vorher weggerannt war, dich transportfertig zu machen und sie brachten dich weg, während ich auf den Hubschrauber wartete. Als sie dich dann auf den Landeplatz rollten, hingen an dir lauter Schläuche, überall hingen Transfusionsbeutel mit Blut, du sahst aus wie ein kleiner Käfer in einem blutroten Netz…“
 

Sie hatten mich mit Blut vollgepumpt? Wieso das denn? Um das Gift zu verdünnen? Und was hatte Edward damit zu tun?

„Wo ist Edward denn?“

Charlie blicke sich suchend im Zimmer um, als ob er erwartete, dass er noch anwesend wäre.

„Oh, also gerade war er noch da. Er wird zu seinem Vater gegangen sein…“

„Carlisle ist auch hier?“, fragte ich überrascht.

„Ja, der kam schon bald nach unserer Ankunft hier an. Sie haben dich dann gleich operierte, und dann ging es dir schon wieder besser… sagten sie. Du warst aber noch den ganzen letzten Tag bewusstlos, und diesen auch.“

Dann war ich also schon zwei Tage im Krankenhaus.
 

Die Türe ging leise auf, und eine schlanke Gestalt schlich herein. Ich drehte den Kopf, und tatsächlich war es Edward, der in mein luxuriöses Zimmer getreten war. Er sah müde aus, wenn man das von einem Wesen sagen kann, das nie schläft. Seine bronzefarbenen Haare waren genauso wirr wie die von meinem Pa. Ich hatte beinahe schon vergessen, wie schön er war, so elfengleich, mit seinen weichen, schwebenden Bewegungen. Dass ich hier lag, hatte ich bestimmt ihm und seinem Vater zu verdanken. Und dass ich überhaupt noch lebte…

Charlie sah ihn strahlend an. „Oh, Edward, gut dass du kommst. Ich muss mir mal die Beine vertreten, jetzt, wo es ihr wieder gut geht. Und ich brauche einen Kaffee…“

Und wohl ein Taschentuch, dachte ich liebevoll und schaute meinem Pa hinterher, der sich durch die Türe davon machte. Er war vollkommen erschöpft und ich war froh, dass er sich nun eine Pause gönnte. Vor allem konnte ich jetzt erfahren, was mir wirklich passiert war.
 

„Edward!“

Meine Stimme klang ein wenig unsicher, ich hätte nicht gedacht, ihn so schnell wieder zu sehen. Er lächelte sanft, und sein Gesicht kam mir wieder wie das eines Engels vor. Er war es gewesen, der an meinem Bett gesessen hatte, der kühle Schatten, der über mich gewacht hatte. Ich war ihm sehr dankbar dafür, dass er, obwohl wir uns gerade getrennt hatten, mir immer noch beistand.

„Bella, Liebes.“ Seine Stimme war immer noch so samten und weich, und sie klang immer noch so voller Liebe. Trotzdem sah ich, wie er die Nase rümpfte, als er sich an meiner Bettkante nieder ließ. Und dann wehte mir sein Geruch entgegen, der den Rosenduft überlagerte, eklig süß und nach Aas riechend…

Wir mussten unwillkürlich beide grinsen, als auch ich das Gesicht verzog. Ich blickte in seine Augen und war erstaunt über ihre Farbe. Dieses seltsame Haselnussbraun hatte ich noch nie gesehen, aber die langen, dichten Wimpern verbargen seinen Blick beinahe, sodass es nicht besonders auffiel. Ich konnte mir das Lachen schon nicht mehr verkneifen.

„Edward, du stinkst.“

„Du genauso, meine Liebe, und wie…“ Er hörte auf zu atmen, ich öffnete den Mund, um den Gestank zu meiden. Trotzdem beugte er sich sanft zu mir herab, und ohne sich in den vielen Schläuchen zu verheddern, drückte er mich sanft an sich. Sein harter und eiskalter Körper kam mir so vertraut vor, und trotzdem hatte die Szene etwas Vergangenes an sich, war eher eine Erinnerung als Realität. Dann setzte er sich wieder auf die Bettkante.

„Die ganzen Rosen reichen anscheinend nicht aus, um deinen Wolfsgestank zu überdecken…“, frotzelte er nur. „Wir sollten es mal mit anderen, noch stärker duftenden Blumen versuchen, mit Freesien vielleicht, oder Maiglöckchen…“

Ich war so dankbar, dass er mir so gelassen gegenüber saß. Ich hatte mir Sorgen gemacht, ob er sehr unter unserer Trennung leiden würde. Seine Augen jedoch schauten trotz des Scherzes besorgt.

„Edward, wie kommst du denn hierher? Und was ist denn wirklich passiert?“ Er hielt meine Hand mit seinen eiskalten Fingern und fuhr sanft über den Verband, der sich um mein Handgelenk und den Unterarm wand.

„Du hattest großes Glück. Ich war gerade hier in Seattle, weil mein Vater mich gebeten hatte, deine Operation vorzubereiten, die doch in wenigen Tagen stattfinden sollte. Er konnte selbst nicht kommen, weil er in Cornell noch zu tun hatte, und so hatte er mich geschickt.“

Ich nickte. Gerade noch hatte ich Alice versprochen, die OP machen zu lassen. Dass es dann so knapp werden würde, hätte ich nie gedacht. Hatte ich das zu sehr auf die leichte Schulter genommen? War ich leichtsinnig gewesen? Wohl schon. Aber nicht einmal Carlisle kannte sich aus mit Vampirgift im Kreislauf eines Werwolfes… sonst hätte er wohl auch mehr gedrängt. Zwei Tage – es war nur um zwei Tage gegangen, die anscheinend meinen Tod hätten bedeuten können, wenn Edward nicht hier gewesen wäre.
 

„Und da rief Carlisle plötzlich bei mir an“, erzählte Edward mit ruhiger Stimme weiter.

„Eine Schwester aus dem Krankenhaus in Forks hatte seine Nummer, und sie meldete sich verzweifelt bei ihm, dass sie dich eingeliefert hätten und es dir sehr schlecht ginge. Und dass du extra nach ihm verlangt hättest. Ich bin so schnell ich konnte ins Krankenhaus geeilt, aber als ich ankam, war dein Körper schon fast vollkommen vergiftet. Es ging rasend schnell, die Organe fielen aus, und uns blieb keine Zeit…“

Stumm schaute ich ihn an. Ihm stand der Schock noch ins Gesicht geschrieben.

„Was habt ihr dann gemacht?“

„Carlisle hatte sich sofort auf den Weg gemacht, aber er wäre nicht rechtzeitig hier gewesen. Also haben wir improvisiert…“ Gespannt blickte ich ihn an. Welche Idee war ihnen gekommen?

„Wir mussten das Gift aus deinem Blut bekommen, das sich in deinem Körper immer weiter ausbreitete und dich in kürzester Zeit umgebracht hätte. Aber es gab nichts, was es schnell genug heraus waschen konnte. Und da beschloss ich, dein Blut selbst aus deinem Körper zu holen.“

„Mein Blut? Das ganze Blut?“

Er nickte.

„Ja, und es musste schnell gehen. Und auch dann konnten wir nur auf die Selbstheilungskräfte des Wolfes in dir hoffen, denn ein Mensch würde unweigerlich sterben, da die Organe schon zu sehr geschädigt waren. Die Leber war unrettbar verloren, die Lungen ebenfalls, und die Nieren würden es auch nicht überstehen. Aber die Wolfsgene würden vielleicht alles heilen können, wenn nur das Gift aus deinem Körper verschwinden würde. Dann würden keine Transplantate nötig werden. Wir wollten es versuchen, auch wenn wir dich gleich ganz oben auf die Spendenliste hatten setzen lassen. Und es gab nun mal nur eines, was Blut mit einer solch ungeheuren Geschwindigkeit aus einem Menschen holen kann…“

Wir sahen uns grinsend an.

„Ein Vampir…“, ergänzten wir gemeinsam den Satz.

„Ganz genau. Ich musste nur zusehen, dass ich dich alleine in ein Zimmer bekam. Die Schwester half mir, sie schleuste mich auf Carlisles Bitte ein, und ich machte dich ‚transportfertig‘. Ich habe dich genau an der gleichen Stellte wieder gebissen, und ich musste nur aufpassen, dass ich kein Gift absonderte. Ich habe dich vollkommen leer gesaugt und dann sofort all die Konserven in dich laufen lassen, die die Schwester auftreiben konnte. Zum Glück haben sie immer einen großen Vorrat da für die Unfälle der Holzfäller.“

„Und die Schwester hat zugesehen?“

„Nein!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich tat es, während sie unterwegs war, die Blutkonserven zu holen. So hatte ich genug Zeit. Nur musste dann das Blut sofort ersetzen werden, da du sonst bleibende Schäden behalten hättest. Carlisle hatte ihr erzählt, das sei die einzige Möglichkeit, dich vor der unbekannten Vergiftung zu retten, indem wir dir zusätzlich viele Beutel Blut zuführen würden. Dein Herz setzte wie erwartet aus, da es ja kurze Zeit vollkommen leer gewesen war, und während sie dich hektisch wieder belebten, konnte ich dir heimlich das Blut aus den Beuteln direkt in die Adern pressen. Das hat geholfen. Und es fiel auch keinem Menschen auf, dafür ging es viel zu hektisch zu.“

„Und mein Blut? Das vergiftete?“

„Hat köstlich geschmeckt…“ Er leckte sich dabei die vollen Lippen. Ich musste grinsen.

„Du hast mein ganzes Blut getrunken?“

„Ja, das wollte ich schon immer“, ergänzte er mit einem sinnlichen Stöhnen.

„Und jetzt habe ich rote Augen deswegen und bin meinem Schwur untreu geworden, nie mehr Menschenblut zu trinken.“ Seine Stimme klang gespielt vorwurfsvoll, aber ich glaubte, dass es ein Scherz war. Dann waren es also Kontaktlinsen, die mich mit ihrer Farbe so irritiert hatten. Ich konnte mir Edward gar nicht mit blutroten Augen vorstellen. Aber ich erinnerte mich… in meinem letzten Traum hatte ich ihn noch so gesehen.

Ob es für ihn wirklich schlimm gewesen war, sein Versprechen zu brechen? Aber er hatte deswegen doch nicht getötet, sondern mich gerettet. Machte das nicht einen Unterschied? Ich betrachtete ihn genauer, aber er hatte schon wieder dieses schiefe Lächeln im Gesicht, das ich einmal so an ihm geliebt hatte. Er war mir nicht böse, das war ich mir sicher.
 

Ich setzte mich gerade ein wenig auf, als sich die Türe öffnete und der blonde Schopf von Doktor Cullen im Türrahmen auftauchte.

„Bella, ich habe gehört, du bist aufgewacht.“

Es war schön, seine Stimme wieder zu hören und das freundliche Lächeln auf seinem Gesicht zu erblicken.

„Ich bin so froh, dass ich meinen Sohn trotz seiner Abneigung gegenüber jeglichem Kontakt mit Menschenblut überreden hatte können, mehrere Abschlüsse in Medizin zu machen. So warst du bei ihm in guten Händen.“ Er näherte sich meinem Bett mit raschen Schritten und fasste meine andere Hand, um sie zu drücken. Ich fragte mich, ob er das nun todernst meinte oder eher ironisch. Abneigung gegen Menschenblut… ob er unsere Unterhaltung gerade mit angehört hatte?
 

„Wenn ich meine Patienten immer austrinken dürfte, könnte ich mich mit der Ausübung des Berufes schon eher anfreunden. Sie ist Schuld… denn sie hat mich nun auf den Geschmack gebracht… wenn da nur nicht dieser Hauch von Wolfsgestank wäre…“, scherzte Edward amüsiert.

Carlisles Mundwinkel zuckten zwar heftig, aber trotzdem sprach er relativ ernst weiter.

„Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht, aber zum Glück war Edward rechtzeitig bei dir. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Du bist hier in der Privatklinik eines Freundes von mir, der sich auf plastische Chirurgie spezialisiert hat, und zu dem ich dich eh hatte schicken wollen. Es war alles schon arrangiert. Er hat die Narbe abgetragen und geglättet, und es wird schon bald nichts mehr zu sehen sein. Das Gift ist nun restlos aus deinem Körper entfernt…“ - er warf einen heiteren Seitenblick auf Edward - „und alle deine Organe haben sich in Windeseile wieder erholt. Es grenzt wirklich an ein Wunder. Auch die Wunde verheilt extrem schnell, und wir werden dich wohl heute Abend noch entlassen können, damit es hier nicht so auffällt, wie schnell das alles vonstattengeht. Halte dich dann zuhause noch etwas zurück, dann sollte die Sache erledigt sein.“

Carlisles ruhige Stimme machte mir viel Mut. Heute Abend schon wieder nach Hause? Das war ja prima. Ich hatte doch eh noch so viel vor.
 

Ich hörte draußen auf dem Gang Charlie mit einer Schwester plaudern, seine laute Stimme wirkte wieder befreit und fröhlich. Schon kam er zur Türe hereingeplatzt, er strahlte über das ganze Gesicht.

„Ich habe gerade deiner Mutter Entwarnung gegeben.“

Oh je, Renée. Was würde sie nur denken? Hoffentlich war Charlie überzeugend gewesen.

„Hast du ihr alles erklären können?“, fragte ich vorsichtig.

„Ja, ich habe sie beruhigt. Dir geht es doch wieder ganz gut, oder, Bella?“

Ich nickte nicht nur zustimmend, sondern bemerkte auch, wie es mir wirklich von Minute zu Minute besser ging. Die Schmerzen waren ebenfalls verschwunden, und ich fühlte mich schon bedeutend kräftiger.
 

„Ihre Tochter hat sich bereits sehr gut erholt, die Werte sind alle wieder normal. Sie wird heute Abend noch entlassen werden können, Mr. Swan. Wir gehen dann wieder, damit ihr alles weitere planen könnt, “ meinte Carlisle und wollte schon mit einem Nicken zu seinem Sohn hinüber den Platz an meinem Bett räumen und das Zimmer verlassen.

„Nein, nein, Doktor Cullen. Bitte bleiben Sie doch noch. Ich bin so froh, dass Sie sich so gut um Bella gekümmert haben. In Forks wussten sie gar nicht, was sie hatte, nur Sie haben ihr so schnell helfen können.“

„Ach, es war doch nur eine kleine Blutvergiftung. Bestimmt hatte Bella sich die durch eine kleine Wunde geholt. Das kann vorkommen, wenn etwas verunreinigte in die Blutbahn gelangt. Keine große Sache. Für meinen Freund, den Leiter der Klinik hier, war das ein Routineeingriff. Ich freue mich, dass wir helfen konnten. Sie können sie heute Abend schon wieder mitnehmen.“

Carlisles gelassene und zuvorkommende Art beruhigte meinen Vater total, und ich sah, wie erleichtert er reagierte. Ich war Carlisle für sein beherztes Lügen so dankbar. Mein armer Vater hatte sich eh schon genug aufgeregt.

„Oh, dann gebe ich noch Bescheid, dass wir wieder zurückkommen. Es weiß ja keiner, wo wir sind. Ich bin nicht dazu gekommen, mich zu melden. Ich werde die Rückfahrt organisieren, dann nehm‘ ich auch gleich Bella mit nach Hause.“

Schon machte er sich wieder auf und huschte zur Tür hinaus.

Auch Carlisle verabschiedete sich, er wolle wieder zurück nach Cornell fliegen. Ich bedankte mich nochmals herzlich und bat ihm, Alice, Jasper und Esme viele Grüße auszurichten. Ich würde mich eh bei Alice melden, sobald ich zuhause war. Er versprach es.

„Übrigens, Bella. Die Volturi könnten irgendwann überprüfen, ob du nun eine von uns geworden wirst. Wir haben ihnen nach langem Überlegen nichts von deiner Wolfwerdung erzählt. Die Volturi kennen die Wölfe nicht, und wir wollten unbedingt ihr Geheimnis wahren. Zum einen schützt das die Wölfe, zum anderen kann das irgendwann noch zum Vorteil werden. Wir wissen nicht, was sie tun werden, ob sie vorbei kommen werden, um es zu überprüfen. Aber Alice überwacht jede ihrer Entscheidungen. Und wenn Gefahr drohen sollte, geben wir dir sofort Bescheid. Leider kann Alice dich nicht mehr sehen. Und weil du wohl nicht immer über Telefon erreichbar bist, bitten wir dich, das hier immer bei dir zu tragen.“ Und er reichte mir ein kleines Kästchen.

Ich betrachtete es erschrocken. An die Volturi hatte ich gar nicht mehr gedacht. Sie waren für mich als Wolf gar nicht mehr von Belang gewesen. Aber Carlisle hatte Recht, sie konnten jederzeit auftauchen, um sich zu überzeugen, ob ich nun ein Vampir geworden bin oder nicht. Und wenn ich es nicht war, konnten sie gelinde gesagt sehr verärgert reagieren.

Ich mochte sie nicht. Sie waren hinterhältig, arrogant, selbstgefällig, sadistisch und feige. Und hinter mir her…

„Es ist ein Pager. Er ist sehr klein und stört nicht, und vielleicht kannst du ihn um den Hals tragen, wenn du…“

„Wenn ich Wolf bin?“, fragte ich nach. Er nickte nur.

„Ich werde auch noch mit Sam reden, weil es ja auch die Wölfe betrifft. Wir werden noch genauer beraten, wie wir vorgehen sollen.“

Ich nickte ihm dankbar zu. Ja, wir würden das besprechen müssen. Würde es denn nie Ruhe um mich geben? Zog ich die Gefahr wirklich so magisch an? Und zog ich alle mit hinein?
 

Edward versuchte mich zu beruhigen, als Carlisle gegangen war.

„Wir werden auch weiter auf dich achten, Bella. Versprochen! Ich habe dich einmal deinem Schicksal überlassen, und du wärst dabei fast umgebracht worden. Auch wenn es zwischen uns nicht mehr so ist, wir werden dich auch weiterhin beschützen und zu dir halten.“ Er schaute mich dabei eindringlich an. Ich senkte meinen Blick, mir war es fast peinlich, von ihm ein solches Versprechen gemacht zu bekommen.

„Ich habe ja auch noch die Wölfe“, flüsterte ich.

„Ja, die hast du, und ich bin sicher, sie passen gut auf dich auf. Gib auch du selbst gut auf dich Acht, kleine Bella.“ Ich nickte nur. Es war die alte Fürsorge, die aus ihm sprach, und die er wohl nie aufgeben würde. Das schelmische Lächeln zierte wieder sein bleiches Gesicht, und ich drückte fest seine Hand.

„Gib du auch auf dich Acht, Edward.“

„Keine Angst, Bella.“

Er nahm meine Hand hoch, führte sie an seine Lippen und hauchte mir einen eisigen Kuss auf. Ich lächelte verlegen bei dieser Geste. Er schien so ruhig und gelassen, aber sicher war ich mir nicht. Hatte er wirklich alles so gut überwunden? Ich hatte einmal gedacht, ihn zu kennen, aber ich war mir schon lange nicht mehr sicher darüber, ob es jemals so gewesen war. So viele Dinge waren mir im Nachhinein aufgefallen, Situationen, die ich nicht vollständig erfasst hatte, Gesten, Worte, die noch einen anderen Edward zeigten, als den, den ich immer sehen hatte wollen. Und ich musste zugeben, dass ich ihn vielleicht all die Zeit, die wir zusammen gewesen waren, nie richtig gekannt hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Legoory
2012-01-18T13:54:09+00:00 18.01.2012 14:54
Stimmt, die Volturi gab es ja auch noch, ob die wirklich vorbeikommen? Die würden aber Augen machen, wenn sie Bella als Wolf treffen würden ^^

So, Bella hat es überstanden, da hat sie aber nochmal Glück gehabt, das klang ja echt übel.
Von: abgemeldet
2011-01-02T00:05:44+00:00 02.01.2011 01:05
aaaaaaa du machst das soooo gut!!!

der ablauf passt ırgendwıe...ıhr gehts ganz schlecht und dann noch dıe volturı...

ıch denke ıch weıss schon ungefaehr was passıert:)...zumındest dass dıe volturı mal vorbeıkommt, denke ıch^^

also wıedermal suuuper Kap!!! ıch bın schon eın rıesen fan von dır!!!:DD

ımmer wıeter sooo...ıch hoffe es geht bald weıter!!!!

lg
Von:  eilatan89
2011-01-01T18:47:44+00:00 01.01.2011 19:47
Du hast die Gedanken wo sie noch nicht ganz anwesend war, gut beschreiben. Besonders den teil wo sie mit den anderen Wölfen über die Wiese lief.
Was mir aber am meisten gefallen hat ist das Edward wieder aufgetaucht ist das macht die Geschichte realistischer, weil bei den anderen Geschichten wo es im Bella x Jacob geht entweder Edward ganz verschwindet oder als richtigen Loser rüberkommt.
Der Gedanke von Bella am Schluss finde ich sehr logisch vielleicht lernt sie ja jetzt einen ganz anderen Edward kennen.
Aber Trotzdem hoffe ich auf ein Jacob x Bella ende.
(getreuer Pro Jacob Fan sei xD)


lg eilatan
Von:  saso2
2011-01-01T17:30:46+00:00 01.01.2011 18:30
oh das kapitel ist toll ^^
Carlisle ah einfah toll beschrieben
bella ein käfer XDD
na gut geschichte und kapitel klasse schreib schnell weiter freu mich
Lg saso
PS: hoffe du bist gut rein gerutscht ^^


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