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5:37 Uhr

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Titel:

5:37
 

Inhalt:

Deutschland hat das Finale gewonnen und vier Wochen in Afrika scheinen wirklich ohne jegliche größere Verbrechen zu Ende zu gehen. Während alle Spieler feiern, Thomas und Lukas sich immer näher kommen und Bastian mit Sarah telefoniert, passiert kurz vor dem Ende doch etwas Schreckliches.

Etwas, was die Welt von Lukas und Thomas für immer verändern wird.
 

Klapptext:

Vier Minuten und 11 Sekunden vor 5:37. So lange hatte es gedauert, bis Lukas durch die Tür getreten, den Fahrstuhl nach oben genommen und den langen Weg bis zu Bastis Zimmer hinter sich gebracht hatte. So lange wurde noch meine Welt in ihren Fugen gehalten. So lange war ich noch der glückliche, total in Lukas verknallte und jugendliche Thomas Müller, der vielleicht ein wenig zu rational dachte. Ich wünsche mir nun, dass ich dieses Leben hätte ein wenig länger besitzen dürfen. Und es ist das erste Mal, dass ich den Konjunktiv benutze. Ich werde dieses Leben nie wieder haben. Nicht so. Denn, wie es die Zeit vorsieht, kommt auch irgendwann der Zeitpunkt, an dem es heißt: 5:37. In diesem Moment haben wir – das Team – nicht nur Bastian verloren, sondern auch Lukas. Ich habe Lukas verloren. Um 5:37.
 

Pairing:

Thomas Müller / Lukas Podolski / (Bastian Schweinsteiger)
 

Disclaimer:

Ich verdiene hiermit kein Geld und möchte auch keinerlei Gerüchte anstacheln. Diese Geschichte

basiert auf meiner Fantasie, die realen Personen gehören sich allein.
 

Anmerkung:

Ja, schon wieder etwas Trauriges von mir. Ich kann einfach nicht anders. x’D

Danke an Nata für das Beta-Lesen. :)
 

Schon mal bei Fanfiktion.de hochgeladen.^^

_____________________________
 

Ich bin ein Mensch, der nicht an alles glaubt, was man ihm sagt.

Wenn man mir sagt, dass die Kühe lila sind, kann ich es nicht glauben, weil ich es besser weiß.

Wenn Lukas ankommt und mir sagt, dass ich der Superstar bei dieser WM werden kann, glaube ich nicht daran, obwohl ich weiß, dass ich Lukas...beinah alles abkaufen könnte.

Glauben bedeutet verletzt werden. Bedeutet eine gewisse Verletzlichkeit, der ich mich nicht aussetzten will und kann.

Manche würden es rational denkend nennen. Andere vielleicht würden sagen, dass ich verklemmt bin und nicht an die Wunder der Welt glaube. Aber ich glaube an sie... nein, ich weiß um sie.

Um einige. Nicht alle kenne ich. Diejenige, die ich nicht kenne, die kenne ich nun mal nicht.

Ich glaube nun mal nicht.

Wie soll man daran glauben, wenn einem gesagt wird, dass man möglicherweise im Finale stehen wird.

Wie kann jemand eine Behauptung, die unumstößlich scheint, aussprechen und sich nicht auf Fakten und die Realität berufen, sondern nur auf seinen Glauben, auf Intuition?

Glauben bedeutet verletzte werden. Ich weiß es. Ich kenne dieses Gefühl.

Deswegen:

Ich glaube nicht. Solange nicht, bis es Beweise gibt.

Bastian starrte mich an, schrie heiser: „Wir sind im Finale, Thomas!“ Ich glaubte ihm. Weil es einen Beweis gab. Weil ich selber wusste, dass wir im Finale waren!

Die Worte möglicherweise, was wäre, wenn...sie kommen nicht aus meinem Mund. Ich kann nichts mit ihnen anfangen, was nicht daran liegt, dass ich schon in der Schule Probleme mit dem Konjunktiv hatte.

Ich sehe nur keine Notwendigkeit in ihnen. Also sich immer schön an die Realität halten. Nicht den Weg einschlagen, der mich auf Abwege bringen könnte.

Vorm Tor kann ich auch nicht nachdenken, ob der Ball möglicherweise im Tor ist. Kann ich nicht glauben. Ich muss ihn im Tor sehen. Ich muss wissen.
 

Ich hatte auch nicht an eine Vision geglaubt, als sie mir prophezeit wurde. Ich meine, es ging gegen meine Vernunft. Wie sollten... warum sollten irgendwelche durchgeknallte Afrikaner die Gabe haben, in die Zukunft schauen zu können?

Mit welchem für mich bekannten, offensichtlichen Grund konnte er es behaupten?

Es gab keinen. Für mich nicht.

Wir – Bastian, Lukas, Marko und ich – saßen in einem dieser dunklen, stickigen Holzhütten, in schweren und in den Lungen brennenden Nebel gehüllt.

„Er sagt, das Ende wird das Ende sein. Nicht für dich, sondern für jemanden, der dir durch jemand anderen nahe stehen wird. Es wird nicht das Ende für dich sein. Für die Person, die dir nahe steht und für die Person, die ihm nahe steht. Es wird das Ende sein. Am Ende wartet das Ende, für uns alle. Aber sein Ende wird früh kommen. Nicht einmal die Dunkelheit wird vorüber sein, wenn sich das Donnern des Verletzen hörbar machen wird, Angesicht zu Angesicht werden sich der Verletzte und der dem Ende geweihte gegenüber stehen und du, Thomas, wirst nur das Donnern vernehmen und wissen, dass das Ende gekommen ist. Der Jubel wird versiegen, wird sich in Regen wandeln.“
 

Ich hatte gelacht. Den Heiler müde belächelt. Nur nett und höflich mit dem Kopf geschüttet, als der aufbrausende Hexenmeister oder was auch immer, wie wild geworden, um sich geschlagen und geschrien hatte.

Sozusagen die Wut der Ahnen offensichtlich gemacht hatte.
 

Ich glaubte nicht an solchen Humbug, sah in dieser Aussage keinen Sinn. Wie konnte jemand von mir verlangen, dass ich in diesem... Irrsinn es hätte hellsehen können?

Niemand.
 

Ich weiß noch die Uhrzeit. Kenne sie genau.

5:37. Der Morgen war noch nicht angebrochen, in der Dunkelheit hatte man unseren Jubel gehört.

Wir hatten gewonnen. Das Finale.

Aus dem möglichen Weltmeistertitel, aus dem geglaubten Titel war ein tatsächlicher, für mich existenter Titel geworden. Und dann hatte ich den Donner gehört...

5:37. Vier Minuten und 11 Sekunden vorher war Lukas lachend aufgestanden und hatte jedem gesagt, der noch einigermaßen ansprechbar war, dass er Bastian aus seinem Zimmer holen würde. Der hatte mit Sarah sprechen wollen. Irgendetwas klären wollen.

Ich habe keine Ahnung, was er wirklich wollte.

Sechs oder sieben Minuten vorher hatten wir Späße gemacht.

„Ich darf dich jetzt Luki nennen.“, hatte ich gekichert und Lukas einen genauen, viel aussagenden Blick gewidmet.

Zwischen mir und Lukas: Es war schwer zu beschreiben und ich wollte nichts annehmen, nichts hoffen, nichts glauben.
 

Wir hatten uns geküsst. Hatten... nicht miteinander geschlafen, nicht wirklich... aber andererseits doch irgendwie schon.

Hinter den hohen Gewächsen, in den Gebüschen war etwas entstanden, etwas entwachsen, was ich nicht benennen konnte.

Und obwohl es ungesagt war, obwohl wir nicht darüber gesprochen hatten, wussten wir doch beide, wussten viele in unserem Team, dass dort etwas war.

Es war unerwartet gekommen. Lukas hatte mich... mit dem ersten Kuss überrumpelt.

„Luki, Thomas? Das hört sich...“

„...schwul an?“ Wir beide hatten uns nur angegrinst, Per ein fettes Lächeln auf die Lippen gezaubert.

Per war einer der Spieler, der keine Probleme... mit uns hatte. Es gab viele wie ihn. Holger, Arne und natürlich Basti.
 

Basti und Lukas hingen wie Pech und Schwefel aneinander.

Nach außen hin, für die Öffentlichkeit war diese besondere Beziehung der beiden unsichtbar, weil es wirkte, als wäre Basti wirklich dem „Schweinski“ entwachsen.

Aber er war es nicht, genau so wenig wie Lukas.

Manchmal, in einigen Sekunden, Minuten... wünschte ich mir, diese selbe Beziehung zu Lukas haben zu können.

Ich war Lukas wichtig, das wusste ich. Das hatte er mir gesagt.

Aber Bastian war für Lukas unersetzlich, war für Lukas neben Louis und seiner Großmutter das wichtigste.

Ich verstand es, natürlich. Sie kannten sich schon so lange, hatten schon so viel zusammen durchgemacht... und ich konnte nicht einfach auftauchen und glauben, dass es sich jetzt ändern würde.
 

„Du hast gesagt, ich darf dich so nennen, wenn ich das Siegtor mache.“

„Und das hast du gemacht...“, hatte er mir zugestimmt und mich an meiner Schulter zu sich gezogen, hatte mir lachend einen Kuss auf die Schläfe gedrückt.

Meine Haut hatte gebrannt, dort, wo seine Lippen mich berührt hatten.

Per hatte angefangen zu lachen, hatte uns zugeprost.

Die Stimmung war ausgelassen gewesen.

Und dann hatte die Zukunft ihre Wendung genommen.
 

ll Nicht einmal die Dunkelheit wird vorüber sein, wenn sich das Donnern des Verletzen hörbar machen wird, Angesicht zu Angesicht werden sich der Verletzte und der dem Ende geweihte gegenüber stehen und du, Thomas, wirst nur das Donnern vernehmen und wissen, dass das Ende gekommen ist. Der Jubel wird versiegen, wird sich in Regen wandeln. ll
 

Vier Minuten und 11 Sekunden vor 5:37.

Ich hatte gelacht, hatte Lukas mit glühenden Wangen hinterher geschaut und mit zittrigen Fingern das Bier umfasst. Lukas hatte mir kurz über die Schulter gestrichen, sicher, dass es alle gesehen hatte.

Er liebte es zu zeigen... wie glücklich er war. Ich hoffe zumindest, dass er es war.

Insgeheim wusste ich es, obwohl ich nie wirklich irgendwelche Beweise erhalten hatte, außer diesem Lächeln.

Und daran wollte ich eigentlich nicht glauben.
 

Vier Minuten und 11 Sekunden vor 5:37.

So lange hatte es gedauert, bis Lukas durch die Tür getreten, den Fahrstuhl nach oben genommen und den langen Weg bis zu Bastis Zimmer hinter sich gebracht hatte.

So lange wurde noch meine Welt in ihren Fugen gehalten.

So lange war ich noch der glückliche, total in Lukas verknallte und jugendliche Thomas Müller, der vielleicht ein wenig zu rational dachte.

Ich wünsche mir nun, dass ich dieses Leben hätte ein wenig länger besitzen dürfen. Und es ist das erste Mal, dass ich den Konjunktiv benutze.

Ich werde dieses Leben nie wieder haben. Nicht so.

Denn, wie es die Zeit vorsieht, kommt auch irgendwann der Zeitpunkt, an dem es heißt: 5:37. In dieser Uhrzeit scheiden sich die Geister der Ahnen von den Geistern der Realität.

In diesem Zeitpunkt scheidet sich mein altes Leben von meinem neuen.

In diesem Moment haben wir – das Team – nicht nur Bastian verloren, sondern auch Lukas.

Ich habe Lukas verloren.

Um 5:37.

Diese Uhrzeit wird als die Uhrzeit eingehen, in der der Tod Besitz von Bastian ergriffen hat.

Und diese Uhrzeit wird als diejenige eingehen, in der ich Lukas, mein Leben und jegliche Zukunft verloren habe.
 

Ich erinnere mich nicht mehr, was Per genau zu mir gesagt hatte, als ich Lukas schreien hörte. Wie ein Donnergrollen schlug seine Stimme bei denjenigen ein, die noch unten saßen. Also bei beinah allen.

Dieser Schrei zerriss das Lärmen, das Lachen, das Kichern, das Grölen und Singen.

Ich behaupte mit einer unzerstörbaren Gewissheit, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie solche Stille vernommen habe.

Sie ist nicht mit der Stille im Stadion zu vergleichen, die vorgeherrscht hatte, als wir einen Elfmeter gegen die Engländer im Finale bekommen hatten und ich mit zittrigen Händen am Elfmeterpunkt gestanden hatte.

Sie ist nicht mit der Stille zu vergleichen, die vorgeherrscht hatte, als ich erfahren habe, dass ich einen Vertrag bei Bayern erhalten habe.

Sie ist mit nichts zu vergleichen. Vergleiche bringen hier nichts, sie sind nicht existent.
 

Per hatte mir genau gegenüber gesessen. Ich kann mich nicht genau an seinen Gesichtsausdruck erinnern. Ich weiß nur noch, dass sein Lächeln augenblicklich, schon mit dem ersten Ton des Schreies, erfroren war. Und dieser Ausdruck in den Augen...
 

Und nun stehe ich hier.

Heftig atmend, denn wir alle sind gerannt, als ginge es um unser Leben.

Für mich geht es um mein Leben. Um Lukas‘ Leben.

Drei Minuten nach 5:37.

Ich halte Lukas Handgelenk fest umschlungen, keine Ahnung, ob ich ziehe, oder einfach nur halte.

Und je stockt meine Atmung, verharrt in meiner Brust, die sich anfühlt, als würde sie sogleich platzen.

Noch immer starre ich Bastian an. Beziehungsweise das, was von ihm übrig ist.

In den Kopf geschossen, mehr muss man nicht sagen.

Diese Brutalität, diese Trauer, dieser Hass, all das, was mir entgegenschlägt, kann mich dennoch nicht dazu verleiten, mich abzuwenden.

Und ich starre Bastian in die matten Augen. Ebenso wie Lukas.
 

// Angesicht zu Angesicht werden sich der Verletzte und der dem Ende geweihte gegenüber stehen und du, Thomas, wirst nur das Donnern vernehmen und wissen, dass das Ende gekommen ist. Der Jubel wird versiegen, wird sich in Regen wandeln.//
 

Mein Kopf fühlt sich immer schwerer und schwerer an, dröhnt. Meine Augen brennen, erst nach und nach wird mir bewusst, dass ich weine. Stille Tränen. Keine, die Aufmerksamkeit haschen.

Der Regen, der aus dem versiegten Jubel hervor wächst.

Lukas schreit noch immer, wiegt sich vor uns zurück. Er reißt an seinem Arm, doch so groß der Schmerz auch ist, ich lasse ihn nicht los.

Werde ich nicht lassen, wird mir kurzzeitig bewusst.
 

Ich weiß nicht, ich verstehe nicht, was er da schreit. Es ist polnisch, aber wohl so klagend und schmerzlich, dass Miro das Gesicht verzieht. Auch er weint.
 

„Thomas, bring... ihn hier raus.“ Arne ist der erste, der seine Stimme wiederfindet. Ich weiß nicht, wo. Würde meine ebenfalls gerne wieder erlangen.

„Irgendwer muss doch einen Krankenwagen rufen...“

„Er ist tot.“

„Woher willst du das wissen?“

„Da ist kein Puls mehr. Und schau... dir seinen Kopf an.“ Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Person niederhocken. Vielleicht Müller-Wohlfahrt. Bin mir nicht sicher, ob jetzt irgendwer von den Jungs einen Puls messen kann.

„Mitten durch.“

„Aber wie?!“

„Das... Glas ist doch sicher.“

„Er hat dich Balkontür geöffnet. Warum auch immer...“

„Wollte er nicht mit Sarah telefonieren?“

„Vielleicht brauchte er ... die frische Luft?“

„Möglich...“

„Aber wenn er dort erschossen wurde, wie kommt er...“

„Vielleicht wurde durch die Tür geschossen, Dummkopf.“

„Jetzt hört doch endlich auf zu reden und raus aus dem Zimmer! Raus, habe ich gesagt!“ Joachim Löw. Eindeutig.
 

Aber sonst... ich überblicke das Chaos der Stimmen nicht. Vielleicht sind es zwei oder drei. Vielleicht auch fünf und sechs.

Ich weiß nicht, wer was mit welcher Emotion gesagt hat. Für mich hört es sich so oder so nur wie ein Flüstern an.

Meine Augen sind noch immer auf Lukas und Bastian gerichtet. Mir ist nicht klar, was da vor sich geht. Ich weiß nicht, was da passier ist.
 

Ich falle auf die Knie. Es tut weh... aber nicht so sehr wie diese Leere in mir drin.

Meine Knie können nicht mehr. Haben keine Kraft. Wollen nicht mehr. Können nicht mehr.

„Thomas, jetzt wirklich! Steh auf, bitte!“

Nun greift irgendwer nach meiner Hand, zieht mich, Lukas samt mir, mit hoch.

Ich schlucke. Er lässt sich wieder fallen, fährt Bastian über das Gesicht. Das Blut an seinen Händen, es stört ihn nicht.

Vielleicht nimmt er es nicht einmal wahr.

Meine Hand hält ihn immer noch fest.

Ich werde ihn nicht loslassen.

„Nein, nein, nein...“ Lukas jammert, leise, wehklagend. In mir gefriert alles zu Eis, den anderen Spielern scheint es nicht anders zu ergehen. Ich sehe es in ihren Gesichtern.

Kantig geschnittene Fratzen mit kalten, leeren Augen starren auf Bastian und Lukas.

Ich glaube innerlich zu zerspringen. Ich spüre seinen Schmerz. Seinen Schmerz, der sich so von dem unsrigen unterscheidet.

Ich kann es nicht erklären, nicht beschreiben. Aber ich weiß, dass Lukas in diesem Moment anders, weitaus kräftiger und mehr spürt, als wir anderen es tun.

Und ich kann ihm nicht helfen.

Ich weiß: Es sieht komisch aus, wie wir alle um Bastian herum stehen und einfach nur... starren.

Aber wir – ich zumindest – registrieren es noch nicht. Ich weiß nicht, wie diese Kälte, diese Leere in mir beschreiben soll.

Es ist, als würde etwas fehlen.

Bastian fehlt.

Aber es will nicht in meinen Kopf, dass Bastian nun...Nein. Das ist ein Witz. Ein dummer Traum vielleicht.

Jemand soll mich kneifen. Ich träume, liege sicherlich zuhause in meinem Bett.

Alles geträumt. Nichts ist wahr.
 

Aber es ist kein Witz, kein Traum. Nicht, wenn ich Lukas fixiere.
 

Noch immer fährt Lukas Bastian durch die verklebten Haare.

Die meisten Spieler sind inzwischen aus dem Zimmer getreten. Nicht mehr bereit, dieses Gräuel mit zu erleben.

Aber Lukas fährt Basti noch immer über das Gesicht.
 

Und je sehe ich dieses eine Ereignis wieder vor mir. Sehe jede Situation vor mir, die auf eine eindrückliche Art und Weise gezeigt hatte, welche Beziehung noch immer zwischen Bastian und Lukas geherrscht hatte.

Das Serbien-Spiel. Der verschossene Elfmeter. Sehe, wie Bastian sich die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte, aber dann sofort seine volle Aufmerksamkeit auf den niedergeschlagenen Lukas gerichtet hatte.

Er hatte ihm, wie Lukas es jetzt tut, durch das Haar gefahren, seine beiden Hände an Lukas‘ Wangen gelegt und irgendetwas geflüstert. Etwas, was Lukas hatte lächeln lassen.

Er hatte ihm das Lächeln zurückgebracht. Das Lächeln, welches ich so sehr liebte, dass es mir schlecht ging, wenn ich es nicht sah.

Und jetzt hatte Bastian es wieder mitgenommen. Mitgenommen in die Dunkelheit... wo auch immer hin.
 

„Thomas, geht spazieren. Nein, warte. Bring ihn nach unten in den Gemeinschaftsraum. Niemand verlässt das Hotel, geht nicht sichtbar an den Fenstern lang. Mesut, kannst du mit ihnen mitgehen?“
 

„Aber...“, ich breche ab. Keine Zweifel, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Joachim legt mir seine zittrige Hand auf die Schulter, schüttelt mit dem Kopf. Er ist blass, bebt am gesamten Körper. Man sieht ihm an, dass er überfordert ist, geschockt noch dazu.

Wir sind alle geschockt. Anders kann ich diese... Ordnung, diese Ruhe nicht erklären.

„Thomas, Lukas muss hier weg. Und du bist der einzige... du bist der einzige, auf den er hören wird. Du darfst jetzt nicht auch noch die Nerven verlieren. “
 

Und ich werde gezogen. Mesut, glaube ich, hält meine Hand, zieht mich mit sich. Lukas kann nicht anders, folgt uns. Seine Hand ist eiskalt, zittrig. Inzwischen ist er vollkommen still, nicht einmal weinen kann er wohl.

Sein Gesicht strahlt eine feindliche, trügerische Kälte aus.

Emotionslosigkeit. Das soll es wohl sein. Aber ich weiß, dass er tief in sich drin schreit und weint, dass sich sein Inneres windet und um sich schlägt.

Ich blicke ihn die ganze Zeit an. Und er erwidert meinen Blick, immer nur kurz, aber er tut es.

Wieder zerbricht etwas in mir, erneut.

Dieser Ausdruck in den Augen. Ich sterbe, langsam.

Er schaut mich an, als wäre ich nicht von dieser Welt. Als würde er mich nicht kennen.

Oder, als wisse er nicht, wer er ist.
 

„Lukas?“ Er schließt die Augen, seufzt, kapselt sich von mir, von seiner Umwelt ab.

„Hier, Thomas. Setzte euch erst mal hier hin, ich sage allen, sie sollen euch... in Ruhe lassen.“

„Danke.“ Mesut versucht zu lächeln, doch es gelingt ihm nicht. Wäre makaber gewesen, wenn es ihm doch gelungen wäre.
 

Und ich merke, wie ich immer öfters den Konjunktiv benutze. Mein Leben hat sich verändert, ist nicht mehr so, wie es einst war.

Ich will es zurück. Ich will, dass Bastian lebt. Ich will, dass Lukas lebt. Bastian ist tot. Er ist weg. Er ist...

Ich schnappe nach Luft. Mein Körper beginnt zu beben und Lukas starrt mich nur aus diesen dunklen Augen an, die nichts aussagen. Mir wird klar, plötzlich, mit so einer starken Wucht, dass ich wanke.

Bastian ist tot.

Hole Luft, langsam, versuche Sauerstoff auf zu nehmen. Versuche mich zu beruhigen, einen klaren Gedanken zu fassen.

Aber Bastian bleibt tot.

Eine kalte, innere Leere erfüllt mich nun vollkommen.

Zögernd lasse ich mich auf der dunklen Sitzgelegenheit nieder. Der Stoff kratzt an meiner Haut, obwohl ich ihn zuvor immer als bequem benannt hatte.

Und schleichend kommt die Erkenntnis, der Schmerz. Schüttele ihn dennoch ab, versuche es.
 

//Thomas, Lukas muss hier weg. Und du bist der einzige... du bist der einzige, auf den er hören wird. Du darfst jetzt nicht auch noch die Nerven verlieren.//

Ich muss stark bleiben, darf keine Verletzlichkeit zeigen, darf nicht zeigen, was ich denke, was ich fühle. Ich muss da sein. Für Lukas.

Dieser steht reglos vor mir, die Hände auf halber Höhe festhängend. Sein Gesicht glänzt, deutlich zeichnen sich die hellen Striemen auf seinen Wangen ab.

Tränen, die geflossen sind.

Tränen, die noch immer fließen.
 

Dann setzt er stockend einen Fuß vor den anderen und lässt sich neben mir nieder.

Es ist vollkommen still. Wir sitzen nur nebeneinander, Schulter an Schulter, Hand in Hand, und starren in die Ferne. Ich weiß nicht, wie lange wir hier sitzen, irgendwann taucht die Sonne am Horizont auf.

Kein anderer Gedanke dringt an mich heran, außer, dass Bastian tot ist. Ich höre Sirenen, höre Stimmen, leise und laute, flüsternde und donnernde, deutsche und englische, afrikanische sind auch darunter.

Soweit ich es beurteilen kann.

Aber niemand kommt zu uns, niemand betritt das Zimmer.

Manchmal seufzt Lukas, fängt an zu zittern und wir sitzen nur nebeneinander und schweigen.

In diesem Augenblick fühle ich mich so fern, so einsam, so abgesondert. Da scheint nichts mehr zwischen mir und Lukas zu sein. Meine Augen tränen, meine Sicht verschwimmt, aber ich starre immer nur gerade aus, starre die Wand mit dem riesigen Mannschaftsfoto an.

Bastian neben Lukas und ich daneben. Wir strahlen um die Wette. Wir lächeln.

Und ich muss nun weinen. Kurz löse ich mich von Lukas‘ Hand, eile zu dem Poster und reiße es mit einem Ruck von der Wand.

Das Schluchzen, welches aus meiner Kehle dringt, erschüttert mich, die Wut, die ich spüre, lässt meine Hände handeln.

Als ich wieder zu mir komme, liegen überall Fetzen von Papier auf dem Boden.

Ich schnaube, trete langsam wieder an die Couch heran und begebe mich in meine alte Position.

Schulter an Schulter. Hand in Hand.

Und dann, als das Rot der Sonne den Raum berührt, bricht es aus auch Lukas heraus.
 

„Thomas...“ Seine Stimme zittert, so wie seine Hände an meinem Arm. Eilig hebe ich ihn an und drücke Lukas an mich heran. Sein gesamter Körper bebt, aus seiner Kehle kommen die herzzerreißendsten Töne, die ich je vernommen habe und vernehmen werde.

Lukas weint, weint um seinen besten Freund.
 

„Schhh...“ Wieder und wieder lösen sich Tränen, verfangen sich in Lukas‘ Haar, als ich meine Lippen an seine Stirn presse und ihn noch näher an mich drücke.

Wir zittern in demselben Takt. Sein Schmerz ist der meine, mein Schmerz der seine.

„Es ist in Ordnung, Lukas. Lass es einfach raus...“

Lukas weint, winselt leise. Ich weiß nicht, was ihm durch den Kopf geht. Mir geht nichts durch den Kopf. Vollkommen klägliche Leere, mehr nicht.

Und der Gedanke an all die Leute, die Basti liebten.

An seine Eltern. An seinen Bruder. An Sarah. An seine Freunde.
 

„Er ist weg. Er ist...“ Lukas schluckt, starrt mich an. Doch ich habe das Gefühl, als würde er an mir vorbeischauen.

Die gesamte Zeit über zerbricht etwas in mir drin. Ich kann Lukas so nicht sehen. Ich überlebe das nicht.

Wie kann man diesen Anblick überleben?

Wie kann man überleben, wenn man weiß, dass die Person, die man liebt, stirbt? Keinen körperlichen Tod. Einen weitaus schmerzvolleren, langwierigeren und qualvollen Tod.

Den inneren Tod.
 

Und wieder Schweigen, Stille für eine längere Zeit. Wir beide atmen hart ein und aus. Und Lukas‘ Griffe werden immer fester. Er zeigt mir, dass er mich braucht. Und das lässt mich hier noch weiter ausharren.
 

„Es ist meine Schuld...“

„Was redest du da?“, hauche ich schockiert. An sowas darf Lukas nicht einmal denken. Er darf nicht daran denken... irgendwann wird er noch wirklich daran glauben.

Er schluchzt, löst sich von mir und zieht seine Knie an sich heran.

„Wir haben... geredet. Ich meinte, er solle doch bitte hinunterkommen, doch er war... zu ... verwirrt. Sarah hat ihn angerufen, weil sie... heute... herausgefunden hat, dass...“ Lukas unterbricht, kann nicht weitererzählen. Der Schmerz, die Tränen, die Wut... alles rüttelt an seinem Körper.

Aber er braucht auch nicht weiterzuerzählen. Ich weiß, was er sagen will.

Und das treibt mir erneut die Tränen in die Augen.

„Sie ist schwanger?“, krächze ich heiser.

Lukas nickt nur, leicht, aber doch sichtbar, wimmert erneut.

Ich weiß nicht, was ihm durch den Kopf geht. Ich kann es erahnen. Er denkt ebenfalls an die Leute, die Basti liebten oder die er liebte.

An seine Eltern. An seinen Bruder. An Sarah. An das ungeborene Kind...

Bei Gott...
 

Ich fahre über mein kaltes Gesicht, versuche die Starre irgendwie zu lösen. Aber ich kann nicht. Ein Kind. Warum jetzt?

Warum... genau.. jetzt? Weshalb? Was hatte Bastian verbrochen, dass das Schicksal so ungerecht mit ihm handeln musste?
 

„Und dann wollte er mit runter kommen. Er meinte nur, dass er noch schnell das Fenster schließen wolle. Ich meinte... ich würde das tun, er solle schon mal runtergehen. Also bin ich zu dem Fenster... und dann ganz plötzlich schrie Bastian, dass ich mich ducken soll. Dieser Schrei, Thomas: Er ließ... alles in mir gefrieren. Ich konnte nicht handeln, ich sah nur“, seine Stimme überschlägt sich, bricht und wechselt ihre Höhe, „diesen Ausdruck in Bastis Gesicht und ich wusste, dass irgendwas schlimmes passieren würde. Und er ist auch mich zugerannt, glaube ich, hat mich zur Seite geschubst und dann...“
 

Und dann war er kaltblütig erschossen worden. Ich schließe die Augen. Mein Puls steigt ins unermessliche. Bastian hatte Lukas gerettet und dafür mit seinem Leben bezahlt.

Ich weiß nicht, was Bastian gesehen hatte. Sicherlich den Schützen, vielleicht ein Glitzern, ein Blitzen, als Licht zufällig auf die Waffe gefallen war.

Und in dem Moment hatte er gehandelt, hatte sich entschieden gegen sein Kind, seine Freundin, seine Eltern, seine Freunde.

Für einen Freund. Für Lukas.

Heiß fließt es durch meine erkälteten Poren. Das Gefühl, welches ich für Bastian empfinde, übersteigt Hochachtung und Respekt.

Und mir fließt es kalt durch die Adern, als ich mich ernsthaft frage, ob ich dasselbe getan hätte.
 

„Aber es ist nicht deine Schuld, Lukas.“

„Doch, wenn ich mich geduckt hätte, wenn... ich zur Seite gegangen wäre...“

„Dann hätte es Bastian vielleicht auch getroffen. Oder dich. Vielleicht hätte der Schütze nach unten gezielt und dann wärst du tot...“
 

Der Gedanke allein daran, dass Lukas tot sein könnte, schockiert mich weitaus stärker.

„Dann wäre aber Bastian nicht tot.“

„Sag mal, hörst du dich selber reden?!“ Je ist dort Wut. Wut davor, dass Lukas nicht einsieht, welches Glück er gehabt hatte, welches Opfer Bastian für ihn dargebracht hatte.

Dass Lukas nur seinen Schmerz erkennt, nicht den Schmerz, den er mir mit solchen Worten zum Beispiel bereitet.

Ich verstehe, dass er um Bastian trauert. Das war berechtigt. Aber in eine Melancholie, in eine Starre zu verfallen, die ihm mit feindlicher Stimme zuflüstert, dass er daran schuld ist, das kann ich nicht verstehen und werde ich auch nicht zulassen.
 

Verwirrt blickt er mich an. Sein Gesicht ist so blass, dass man es schon beinah als Weiß hätte bezeichnen können. Aber die Wangen brennen in einem dunklen Rot, verwundet durch all die Tränen, die er geweint hat. So viel würde er nie mehr weinen, ich ebenso.
 

„Wie kannst du... daran denken, dass es besser gewesen wäre, wenn du gestorben wärst?“

„Dann hätte Basti sein Kind kennenlernen können, Thomas! Dann hätte er gelebt, so wie es ja auch eigentlich sein sollte...“

„Und was ist mit deinem Sohn, mit Louis? Was ist mit den Personen, die dich lieben? Was wäre dann mit mir?“

Lukas schluckt, schließt die Augen. Und ich heule wieder, heule wie so ein dummes Schoßhündchen.

Aber ich kann wirklich nicht nachvollziehen, wie Lukas denken kann, dass es ohne ihn besser gewesen wäre.

Das verdammte Schicksal hatte nun einmal so entschieden und es bringt nichts, daran zu zweifeln.

Wie gesagt: Ich hasse die Worte was wäre gewesen, wenn...
 

„Hör auf so zu reden...“

„Nein! Nein, ich sehe es nicht ein. Weißt du eigentlich, was Bastian für dich getan hat? Verstehst du das eigentlich?!“ Ich drehe mich zu ihm, Angesicht zu Angesicht, packe seine Schultern und rüttele stark daran.

Lukas wird immer blasser und blasser.

„Natürlich weiß ich es...“ Es ist ein Flüster nicht mehr und er blickt mich aus dunklen Augen an, die mir irgendetwas sagen wollen.

„So kommt es mir aber nicht vor...“

„Du hast keine Ahnung, Thomas! Du warst nicht dabei!“ Er explodiert, entreißt sich meinen Händen.

„Du warst nicht dabei und hast nicht gehört was Basti mir gesagt hat, kurz bevor er gestorben ist. Ich weiß, was die ganzen Leute gesagt haben, von wegen, dass er sofort tot war, weil ihm ja mitten ins Gehirn geschossen wurde. Aber aus einem mir unerklärlichen Grund hatte er doch noch Kraft... mir zu sagen, dass ich auf mein Herz hören soll und dass ich es endlich zulassen soll...“ Er stockt, unterbricht sein Schreien.

Und wieder blickt er mich mit diesem Blick an, der irgendetwas sagen soll.
 

„Die ganze Zeit denkt dieses Arschloch nur an mich! Die ganze Zeit. Die gesamte Zeit über hilft er mir, steht mir bei, redet mit mir über meine Probleme... er tat alles für mich! Und am Ende hat er nichts Besseres zu tun, als wieder an mich zu denken, anstatt einmal im Leben an sich selbst. Am Ende hatte er wieder nichts Besseres zu tun, als mir zu sagen, dass ich auf mein Herz hören soll und es endlich vollkommen zu lassen soll!

Verstehst du, Thomas? Er lebte nicht lang genug, damit ich ihm sagen konnte, wie sehr ich ihn geliebt habe. Er lebte nicht lang genug um zu sehen, dass auch ich alles für ihn tun würde.“
 

Es ist ein Drang, den ich nicht unterdrücken kann. Ich beuge mich nach vorne und streiche ihm über das kalte Gesicht, wische die Tränen weg. Und als er seufzt, beuge ich mich noch weiter nach vorne und küsse ihn. Ein kurzer Kuss, der doch so viel aussagt. Zumindest hoffe ich es.
 

„Er lebte nicht lang genug, um zu sehen, wie ich auf mein Herz höre und dir sage, dass ich dich liebe. Dass ich dich verdammt noch mal liebe...“, flüstert Lukas leise. Sein Gesicht ist meinem so nah, dass ich jegliches Merkmal, jede Narbe, jede Wimper zählen kann.

„Was hast du gesagt?“ Ich vermag nicht zu entscheiden, ob ich mich verhört habe oder nicht.

„Ich liebe dich, Thomas. Und ich sage es nicht, weil Basti es wollte. Ich sag es, weil ich es so meine. Und ich brauche dich jetzt. Du kannst mich jetzt nicht verlassen, wirklich. Du kannst mich jetzt nicht alleine lassen, denn das überlebe ich nicht.“
 

Da ist wieder dieser Blick. Und endlich kann ich ihn lesen. Sehe dort endlich Liebe, die wohl schon die gesamte Zeit über dort genistet hatte.
 

Danke, Bastian. Du hast wieder einmal ein, zwei Leben gerettet.

Immer wieder hast du es getan.

Du hast Lukas nach dem Serbien-Spiel sein Lächeln zurückgegeben.

Du hast Lukas vor dem Tod bewahrt.

Du hast mich gerettet, indem du das alles für Lukas getan hast.

Bei Gott: Das Schicksal war ungerecht.
 

Und ich blicke auf die Uhr, die hinter Lukas hängt.

8:24. Das erste Mal, dass Lukas: „Ich liebe dich“ gesagt hat.
 

„Ich lasse dich nicht allein. Wie kannst du sowas von mir denken?“

Dort ist ein Anflug eines Lächeln auf Lukas‘ Lippen zu erkennen, doch sogleich ist das wieder die Trauer.



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