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Erwacht

You're (not) alone
von

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Endender Traum

Die Wirklichkeit bleibt stets hinter dem Erträumten zurück.

Ralph Waldo Emerson
 

Nach einem Traum aufzuwachen konnte sowohl der schönste als auch der schlimmste Moment eines Tages sein.

Wie sehr ersehnte man sich das Ende eines furchtbaren Albtraums, in dessen Fängen man seine Verzweiflung nur leise wimmernd zum Ausdruck bringen konnte; im Gegensatz zu der immerwährenden Fortsetzung eines wundervollen Traums, der einen sanft in seine Arme schloss, mit dem Versprechen, einem niemals wehzutun.

Doch egal, welche Art von Traum, sie haben alle eines gemeinsam: Irgendwann wacht man auf und selbst wenn eine Erinnerung daran bleibt, über kurz oder lang verblasst sie vollständig, ohne dass eine Spur überdauert.

Zwischen dem Schwelgen in einem schönen Traum und dem Erwachen befindet man sich meist in einer Schwebe, einem warmen Gefühl, das einen auf die Realität vorbereitete; von anderen auch als Halbschlaf bezeichnet.

In der selben Ebene befand ich mich zu diesem Zeitpunkt auch. Ich konnte mich bereits nicht mehr an das Geträumte erinnern, doch das wunderbare Gefühl, das mich erfüllte und umgab, sagte mir, dass es ein wirklich wundervoller Traum gewesen sein musste. Dementsprachend traurig fand ich es, dass ich nichts mehr davon wusste.

Langsam ließ das Gefühl nach, bald würde ich aufwachen und der Liebe meines Lebens ins Gesicht sehen – allerdings fühlte es sich nicht so an, als würde ich auf meinem Futon liegen. Mein Rücken schmerzte auf seltsame Art und Weise, die ich noch nie zuvor gespürt hatte.

Doch ich wurde früher als erwartet aus dem Halbschlaf gerissen, indem jemand unsanft an meiner Schulter rüttelte.

„Akatsuki~ Wach auf.“

Es war nicht ihre Stimme, weswegen mein erster Impuls war, die Hand auszustrecken und den Störenfried zurechtzuweisen. Was tat diese Person überhaupt in meiner Wohnung!?

„So kriegst du ihn nie wach, Senpai“, hörte ich da eine andere Stimme – und diese brachte mich schließlich dazu, meine Augen zu öffnen.

An der Szene, die sich mir bot, gab es mehrere Dinge, die mich überraschten:

1. Ich befand mich nicht in meiner Wohnung.

2. Offensichtlich war ich in der Schule eingeschlafen, was mir noch nie zuvor passiert war.

3. Ich befand mich nicht in meiner aktuellen Schule, sondern in der Monobe-Akademie.

4. Vor mir standen Nozomu Setoki und Satsuki Ikaruga, die eigentlich gerade irgendwo in einem Zeitbaum herumirren sollten.

Für all das blieb mir spontan nur eine Erklärung: Ich träumte immer noch.

Ich wusste zwar nicht wie oder warum, aber anders war das alles nicht wirklich zu erklären.

Doch es war Satsuki, die meine Überlegung sofort in Luft auflösen ließ, indem sie mir gegen den Arm boxte – und es tat tatsächlich weh. Träume sollten aber nicht wehtun, so viel wusste ich.

„Was machst du auch nachts, Akatsuki, dass du hier einschlafen musst?“

Ich beschloss, mitzuspielen, solange ich nicht wusste, was geschehen war. Zu Zeiten des Orden Sospitas hätte ich gesagt, dass es ein neuer Trick von Beliar war, um sie und mich zu trennen, aber das war lange her, sehr lange. Doch noch nicht so lange wie die Zeit an der Monobe-Akademie.

„Arbeiten, Senpai“, antwortete ich schmunzelnd.

Normalerweise war der Fall damit erledigt – doch der spöttische Blick, den Satsuki und Nozomu sich zuwarfen, sagte mir, dass es diesmal damit nicht wirklich getan war.

Wobei ich mich fragte, was daran so lustig war. Es war kein Geheimnis, dass ich viel arbeiten musste, um meine Wohnung und meinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Allerdings stellte ich die Frage nicht offen, da mir keine Gelegenheit mehr dazu blieb.

„Wollen wir essen gehen, Akatsuki?“, lenkte Satsuki das Thema um. „Ich verhungere fast.“

Ich nickte und öffnete meine Schultasche, in Erwartung eine Tüte mit Sandwiches zu sehen. Umso überraschender war für mich daher der Anblick der Bento-Box. Ich machte mir nie eine solche Box zurecht, weil mir Geld und Zeit dafür fehlten. Aber sie tat es stets. Ob sie von ihr kam?

Und wenn ja, wo war sie dann gerade?

Nozomu und Satsuki strebten bereits zur Tür, weswegen ich keinen von beiden fragen konnte. Ich nahm die Box heraus und folgte ihnen.

Jeder einzelne Millimeter dieser Schule war mir noch so vertraut wie früher, auch wenn es wie eine Ewigkeit erschien, dass ich zuletzt hier gewesen war. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte mir, dass wir uns tatsächlich in Nozomus Heimatwelt befanden. Ich fragte mich, warum wir hier waren.

Satsuki, Nozomu und ich waren Eternal. Drei davon auf einer Welt mit so wenig Mana wie dieser würde früher oder später zum Tod eben dieser führen. Aber keiner der anderen beiden schien auch nur im Geringsten besorgt darüber zu sein.

Wenn ich allerdings so darüber nachdachte, fiel mir selbst auf, dass ich mich völlig anders fühlte als noch vor dem Schlafengehen. Als Eternal labte ich mich an dem Mana, das einer Welt innewohnte. Je nach dem Gehalt der magischen Energie fühlte sich mein Körper anders an. Bei einer hohen Manadichte war ich buchstäblich dazu imstande Bäume auszureißen, bei einer niedrigen Dichte dagegen entsprach ich einem normalen Menschen. Aber ich konnte dennoch immerzu spüren, wie Mana träge durch meinen Körper floss – dieses Gefühl fehlte nun gänzlich, alles war wieder so wie vor meiner Zeit als Eternal. Äußerst gewöhnungsbedürftig.

Fragte sich nur, wie das möglich war, sofern das hier wirklich kein Traum war.

Wir betraten den Speisesaal, der bereits gut gefüllt war. An einem Dutzend Tische saßen alle möglichen Schüler, die sich während des Essens lachend miteinander unterhielten, teilweise auch über mehrere Tische hinweg; andere probierten gegenseitig von ihren Bento-Boxen, um herauszufinden, was sich am nächsten Tag zum Mittagessen machen würden.

Es war völlig normaler Schulalltag.

Satsuki und Nozomu hielten auf den einzigen Tisch zu, an dem noch freie Plätze waren. Nozomi saß dort, ein wenig verloren und wartete offensichtlich auf die Nachzügler. Sie lächelte, als wir uns zu ihr setzten. „Da seid ihr ja~ Ich habe schon Hunger.“

„Wir wollten ja früher kommen, Nozomin“, entschuldigte Satsuki sich, „aber Akatsuki-kun hat so lange geschlafen.“

Ich überlegte, mich noch einmal damit zu wehren, dass ich arbeiten musste, aber beließ es bei einem genervten Augenrollen. Noch einmal wollte ich den spöttischen Blick der beiden nicht sehen müssen und die Wahrscheinlichkeit, dass Nozomi ihn auch aufsetzte, war mir zu groß – sie war die letzte, die mich je so ansehen sollte.

Wortlos begann ich mit den anderen zu essen. Satsuki und Nozomi begannen sofort miteinander zu plappern, während Nozomu wie üblich schwieg. Ja, es war so, wie ich es in Erinnerung hatte.

Eine Weile lauschte ich, ob die Mädchen über irgendwas reden würden, was mir helfen könnte, die Sache zu verstehen, aber sie redeten nur über unwichtige Dinge, wie die neuesten Schuhe, die sie in einem Schaufenster gesehen hatten. Also beschäftigte ich mich ausgiebig mit meinem Essen.

Anhand der Gewürze, die ich rausschmecken konnte, wusste ich, dass es nicht von ihr zubereitet worden war. Allerdings auch nicht von mir – also woher kam das Essen?

Plötzlich verstummte das Gespräch der Mädchen, erwartungsvoll sahen die drei mich an. Offensichtlich war ich etwas gefragt worden und ich hatte die Frage nicht mitbekommen.

Doch diesmal kamen keine spöttischen Blicke, sondern entnervte, zumindest von den Mädchen.

Nozomu dagegen seufzte nur leise. „Du weißt doch, dass Zetsu zur Zeit nicht ansprechbar ist, Senpai.“

„Ja, ich weiß“, sagte Satsuki. „Aber ich mag es nicht, wenn ich ignoriert werde~“

Sie räusperte sich, bevor sie sich wieder an mich wandte. „Also, Akatsuki, mit wem gehst du zum Schulfest?“

Die Frage, welches Schulfest sie meinte, verwarf ich sofort wieder, das gäbe nur noch mehr entnervte Gesichter. Also beschloss ich, das Thema geschickt auf das zu lenken, was mich wirklich beschäftigte. „Ich werde wohl mit Leana gehen.“

Ich erhoffte mir anhand der Reaktionen einen Hinweis darauf, was mit ihr war. Doch das, was kam, enttäuschte mich um einiges mehr als ich es mir erlauben wollte. Ich hatte schlimmstenfalls mit traurigen oder ratlosen Gesichtern gerechnet, doch keineswegs mit noch einmal genervten, diesmal sogar bei Nozomu.

„Was denn?“, fragte ich.

Satsuki tippte mir schmerzhaft gegen die Stirn. „Wach endlich auf, Akatsuki. Virtuelle Mädchen sind nicht so ganz das Richtige für dich.“

Virtuell? Leana war immer alles andere als virtuell gewesen. Die Nachwirkungen ihres Essens waren für mich noch immer deutlich spürbar, auch wenn sie inzwischen viel besser kochte und auch das überschäumende Gefühl von Glück, das war mit Sicherheit nicht virtuell gewesen.

„Bestimmt hat er wieder von ihr geträumt“, sagte Nozomu. „Seit dieses Spiel draußen ist, tut er das doch dauernd.“

„Welches Spiel?“, fragte ich verwirrt.

„Der viele Schlaf verwirrt dich, Akatsuki-kun.“

Ich hasste Nozomis tadelnden Tonfall. Es war zwar immer lustig, wenn sie so mit Nozomu sprach, aber für mich selbst wünschte ich mir doch etwas anderes. Ehe ich sie darauf hinweisen konnte, fuhr sie allerdings bereits fort: „Seinarukana natürlich. Du spielst es seit einem Monat.“

„Und bist verrückt nach dieser Leana Irgendwas“, fügte Satsuki hinzu. „Das macht uns allen so langsam Sorgen.“

Seinarukana, der Name eines Gottes, auch als Orichalcum-Name bekannt. Aber es war doch kein Spiel, es war die Wirklichkeit, ich besaß so einen. Doch als ich so darüber nachdachte, konnte ich auch diesen nicht mehr spüren. Ein Orichalcum-Name war zwar nicht so hervorstechend wie das prickelnde Mana, wenn man ein Eternal war, aber man konnte immer einen leisen Impuls, ausgehend von dem Namen, spüren. Ein Impuls, der stärker wurde, wenn man kämpfte und wieder nachließ, sobald man das Shinken verschwinden ließ – aber das Gefühl selbst ging nie.

Im Moment war aber nichts davon zu spüren. Mir taten sich immer mehr Fragen auf.

Nozomu knabberte an einem Onigiri, er zuckte mit den Schultern. „Ich mache mir keine Sorgen, Zetsu weiß doch, dass es nur ein Spiel ist und wenn er davon träumt, was solls? Als ich Demento gespielt habe, träumte ich auch wochenlang davon, dass irgendjemand mein Azoth haben will.“

Satsuki, wütend über die fehlende Unterstützung, sah ihn finster an. „Ich werd dir auch gleich dein Azoth klauen, wenn du mir noch einmal in den Rücken fällst.“

Er murmelte eine halbherzige Entschuldigung und konzentrierte sich wieder auf sein Essen. Satsuki dagegen wandte sich lächelnd wieder mir zu. „Also, Akatsuki-kun, du solltest unbedingt mal wieder aus deinem Zimmer rauskommen.“

Ich überlegte, sie darauf hinzuweisen, dass ich sehr oft draußen war, um zu arbeiten, aber erneut erinnerte ich mich an die spöttischen Blicke zuvor, also schwieg ich. Wenn sich schon so vieles in dieser Realität geändert hatte, war ich vielleicht reich und musste gar nicht arbeiten.

Das würde zumindest die Blicke erklären. Ich schmunzelte bei diesem abwegigen Gedanken, so schön er auch war. Immerhin würde ich nie mehr nachts arbeiten müssen, nie mehr nach Fisch riechen und auch nie mehr mit irgendwelchen Kundinnen flirten müssen. Zwar war der letzte Punkt nicht so gravierend – wer flirtete nicht gern mit hübschen Mädchen, wenn man nicht gerade Nozomu Setoki hieß? – aber er war dennoch nicht zu verachten.

Aber was dachte ich da? Das alles konnte gar nicht wirklich sein. Am letzten Abend war ich als Eternal mit Leana in unserer Wohnung ins Bett gegangen und ich erwachte in der Monobe-Akademie, ohne Orichalcum-Namen und mit einer virtuellen Leana. Das war alles so unlogisch, dass es ein Traum sein musste. Ich müsste nur abwarten, bis ich wieder aufwache.

Gut, Satsukis Schlag vorhin hatte geschmerzt, doch in meiner Zeit als Träger 'Gyoutens' hatte ich auch jede Menge Schmerzen erlitten, also... verstand ich es auch nicht.

„Und wohin soll ich gehen?“, fragte ich schmunzelnd, bereit, auf das Spiel einzugehen.

Sie wirkte deutlich erleichtert darüber, dass ich das tat, denn ihr Lächeln veränderte sich um eine kaum erkennbare Nuance. Jedem anderen wäre sie entgangen, aber in meiner Zeit als Shinken-Träger empfand ich sie als ernsthafte Bedrohung, weswegen ich sie so gut wie möglich studiert hatte – auch wenn ich dabei ein ums andere Mal am Liebsten verzweifelt wäre. Ihr kindisches Wesen und ihr Fangirlytum, sobald es um Nozomu ging, hatte mir so einige Albträume beschert.

„Wir könnten zusammen ausgehen“, bot sie an. „Du, Nozomin, Nozomu-kun und ich.“

„Wie ein Doppel-Date?“, fragte ich schmunzelnd.

So richtig gefallen wollte mir das nicht. Es war zwar amüsant, hin und wieder zuzusehen, wie sie sich um Nozomu stritten, aber einen ganzen Abend wollte ich das nicht erleben. Eigentlich nicht einmal mehrere Stunden, so wäre ich nur das fünfte Rad am Wagen. Aber die beiden Mädchen sahen mich so erwartungsvoll an, dass ich nicht einfach ablehnen konnte. Seufzend gab ich nach. „In Ordnung, von mir aus.“

Die beiden freuten sich sichtlich über diese Antwort, während Nozomu wie so oft keine wirkliche Gefühlsregung zeigte. Aber ich glaubte, zu spüren, dass es ihn ebenfalls freute. Die ganze Sache wurde immer surrealer – seit wann freute Nozomu Setoki sich, auszugehen? Normalerweise bestanden seine Hobbys darin, Löcher in die Luft zu starren und sich zu langweilen.

Satsuki kicherte. „Dann werden wir die Zaubershow besuchen, für die ich zufälligerweise schon Karten habe~“

Offensichtlich hatte sie also mit einem „Ja“ gerechnet und hätte sich dies auch unter allen Umständen erkämpft. Zum Glück habe ich rechtzeitig nachgegeben.

Das Mittagessen ging so weiter, wie es angefangen hatte, bevor ich den restlichen Schulalltag erlebte. Im Vergleich zu dem, was ich an dieser anderen Schule – deren Name mir seltsamerweise immer entfiel – so als Lehrer hatte, war das hier eine angenehme Abwechslung. Allerdings ging mein Blick immer wieder zu dem Platz hinüber, auf dem in dieser anderen Schule Leana sitzen würde. Hier saß allerdings jemand für mich völlig Fremdes, was mir nicht unbedingt ein gutes Gefühl gab.
 

Doch schließlich endete auch in der Monobe-Akademie der Schultag und so zogen wir vier schließlich gen Heimat, auch wenn ich mir noch nicht sicher war, ob ich eine leere Wohnung wirklich weiterhin so bezeichnen wollte.

Nozomi, die wie üblich an Nozomus Arm hing, plauderte fröhlich von dem, was an diesem Tag alles geschehen war und was sie dabei gedacht hatte, während Satsuki ebenfalls ihre Kommentare dazu abgab. Es war alles genau wie früher.

Alles war so banal, Leana hätte mit Sicherheit nur mit den Augen gerollt, aber ich konnte gar nicht anders, als zu lächeln, während ich den Mädchen lauschte.

Erst in diesem Moment spürte ich, wie sehr ich all das vermisst hatte. Ja, es war banal, kein Vergleich zu den aufregenden Kämpfen gegen Lakaien und deren Herrscher, keiner zu einem fanatischen Orden, der versuchte, Leana als Körper für seine Göttin zu gebrauchen.

Aber vielleicht war es gerade diese Alltäglichkeit, die mir im Herzen so gut tat.

An der üblichen Kreuzung wollte ich mich Satsuki anschließen und verabschiedete mich von Nozomu und Nozomi – nur um von diesen die Frage, wohin ich denn wolle zu bekommen.

„Ähm... nach Hause“, antwortete ich und deutete Satsuki hinterher, deren beschwingten Schritten man anmerkte, wie amüsiert sie von der Situation war.

„Dann musst du aber hier lang“, erwiderte Nozomu und deutete in die selbe Richtung, in die sie beide auch gehen mussten.

„Seit wann?“, fragte ich.

„Schon immer“, antwortete Nozomu mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dein Haus ist gar nicht so weit weg von meinem.“

Haus? Ich besaß ein Haus? Vielleicht war ich ja wirklich reich! Der Gedanke hätte mich wieder amüsiert, wenn ich nicht so verwirrt gewesen wäre. Aber auf das Haus war ich gespannt, also lief ich sofort weiter mit den beiden mit.

An den Blicken, die mir die beiden zuwarfen, während wir schweigend weitergingen, merkte ich, dass sie mir gerne Fragen zu meinem geistigen Zustand gestellt hätten. Aber ich war froh, dass sie es nicht taten, ich hätte ihnen ohnehin nicht antworten können.

Vor einem Haus, das mir schon von Weitem sympathisch war, blieben wir wieder stehen. Nozomu deutete zur Tür hinüber. „Hier ist es. Wir treffen uns morgen wieder hier?“

Ich hoffte zwar, dass ich morgen wieder bei Leana aufwachen würde, nickte aber. „Klar.“

Er lächelte darüber und nach einem letzten Abschiedsgruß gingen die beiden davon.

Unsicher ging ich auf das Haus zu. Wäre es Satsuki gewesen, die mich hergeführt hätte, dann hätte ich mit Sicherheit an einen Scherz gedacht, aber bei Nozomu kam mir das nicht in den Sinn. Er fand so etwas nicht wirklich lustig.

Ich beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen und kramte in meinen Taschen, bis ich einen Schlüssel fand, der sogar ins Schloss passte. Aufgeregt öffnete ich die Tür – und wurde von einer stürmischen Umarmung begrüßt.

Im ersten Moment dachte ich an einen Hund, aber die schafften es nicht, jemanden zu umarmen, außerdem hatten die nicht so viel schwarzes Haar...

„L-Luft“, keuchte ich.

Das Lachen, das daraufhin erklang, ließ alles in mir zusammenziehen. Nicht, weil ich unglücklich war, es zu hören, sondern weil ich es nicht glauben konnte. „T-Tante Hinome?“

Sie ließ mich los und sah mich lächelnd an. Es war tatsächlich meine Tante, sie wirkte nur ein wenig kleiner als früher – wohl, weil ich größer geworden war – und um ihre Augen hatten sich Lachfältchen gebildet, genau so hatte ich sie mir immer vorgestellt, wenn sie hätte älter werden können.

„Willkommen zu Hause, Lieblingsneffe“, flötete sie.

Ich war so perplex, dass ich sie nicht einmal darauf hinweisen konnte, dass ich ihr einziger Neffe war. Möglicherweise war ich nicht einmal mehr Einzelkind, sofern meine Eltern denn lebten, was mir im nächsten Moment auch bestätigt wurde: „Deine Mutter ist gleich mit dem Essen fertig. Du hast bestimmt Hunger, nicht wahr?“

Eigentlich war der mir vor lauter Überraschung vergangen, aber ich nickte dennoch. Wie ich mich kannte, würde der bald wiederkommen, besonders wenn meine Mutter kochte. In der Wüstenwelt hatte sie schon trotz der begrenzten Ressourcen wunderbar gekocht, wie würde das dann erst in einer Welt, wo Essen in Hülle und Fülle vorhanden war, schmecken?

Das würde ich mir auf jeden Fall nicht entgehen lassen.

Ich zog meine Schuhe aus. Hinome legte einen Arm um meine Schulter und führte mich in die Küche. „Schau mal, wer uns mal wieder mit seiner Anwesenheit beehrt, Yoruna~“

Als ich das silberne Haar sah, bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Es war so lange her, dass ich es zuletzt gesehen hatte und damals war es auch nur eine Illusion von Sospita gewesen, um mich in meinem Unterbewusstsein festzuhalten. Damals hatte Leana mich gerettet...

Die Frau wandte sich uns zu und warf mir diesen altbekannten gütigen Blick zu, ich musste schwer schlucken, um die Tränen zurückzukämpfen.

„Willkommen zu Hause, mein Schatz.“

Ich erwiderte nichts, sah sie weiter nur an. Ich wollte die Hand ausstrecken, um sie zu berühren und sicherzugehen, dass sie auch echt war, aber ich kämpfte den Drang zurück. Mit Sicherheit war sie genau so echt wie alles andere hier – und langsam sollte ich vielleicht doch was sagen, bevor auch die beiden sich um meinen geistigen Zustand sorgten. Also setzte ich kurzentschlossen mein einstudiertes Lächeln auf, hoffte, dass niemand dessen Falschheit bemerken würde und sagte: „Hallo, Mama~“

„Muss Hinome dich jetzt immer an der Tür abfangen, damit du nicht gleich in dein Zimmer verschwindest?“

„N-nein, natürlich nicht...“

Ich musste wirklich eine unsoziale Person gewesen sein für eine Weile. Und das nur wegen diesem Spiel von dem Nozomi gesprochen hatte? Oder gab es noch einen Grund? Ich konnte dieses Ich bislang nicht leiden – was mich weiter in der Hoffnung bestärkte, dass ich am nächsten Morgen bei Leana aufwachen würde.

„Deckst du schon mal den Tisch?“, bat meine Mutter Hinome.

Meine Tante nickte sofort und wirbelte aus der Küche hinaus. Sie war schon immer ein äußerst quirliger Charakter gewesen, schon damals in der sterbenden Welt, doch hier, wo es keinen ständigen Kampf um das Überleben gab, schien sie erst recht aufzublühen. Nicht einmal ihr Alter schien sie zu stoppen.

„Die letzte Zeit warst du sehr oft in deinem Zimmer“, sagte meine Mutter plötzlich.

Ich sah wieder zu ihr hinüber. Ihren glitzernden Augen konnte ich ansehen, dass sie sich wirklich freute, mich zu sehen. Genau wie ich mich freute.

Ich entschuldigte mich leise dafür, auch wenn ich mir selbst natürlich keiner Schuld bewusst war.

„Schon gut“, sagte sie lächelnd. „Ich bin froh, dass ich dich zumindest heute mal wieder zu Gesicht bekomme. Wie war die Schule?“

„Alles bestens“, antwortete ich.

Ich verzichtete darauf, ihr zu erzählen, dass ich erst in der Schule aufgewacht war und mich an überhaupt nichts erinnerte, was in dieser Welt zuvor passiert war. Zumindest sie wollte ich mit so etwas nicht belasten, es reichte, wenn ich Nozomu und den anderen damit auf die Nerven ging.

„Heute keine Probleme?“, hakte sie nach.

Das klang danach, als hätte ich sonst welche. Allerdings waren mir heute keine begegnet, also schüttelte ich den Kopf.

„Das freut mich. Sagst du dann auch Hidaka und Gekkyu Hallo?“

Die beiden waren also auch hier? Ich nickte heftig und folgte Hinome, die im Esszimmer lautstark hantierte. Tatsächlich war sie da nicht allein. Zwei Männer mit langen Haaren, bei dem einen weiß, dem anderen schwarz, standen daneben und beobachteten sie amüsiert schmunzelnd bei der Arbeit. Ein abwegiger Gedanke sagte mir, dass sie darauf warteten, dass bei Hinome etwas zu Bruch ging. Gut, wenn ich so darüber nachdachte, war es vielleicht nicht sooo abwegig.

Die beiden Männer wandten sich mir zu. Von meinem Vater hatte ich, soweit ich das sah, nur die Gesichtszüge und die Haarfarbe geerbt... nun gut, wollen wir fair sein, ich glaube, das Haar meiner Mutter entsprach mehr dem meinen, aber da seines weiß war, hatte ich überhaupt das silberne bekommen können.

Zum Glück hatte meine Mutter nicht Gekkyu, den Bruder meines Vaters, geheiratet. Schwarzes Haar stand mir nicht, wie ich bereits bei der Begegnung mit Cain gemerkt hatte – rote Augen standen mir noch weniger.

„Schön, dass du da bist“, sagte mein Vater. „Wir dachten schon, wir müssten wieder ohne dich essen.“

„Nein, keine Sorge“, beruhigte ich ihn.

Das heutige Essen hätte ich mir ohnehin nicht entgehen lassen, ich brannte darauf, etwas von meiner Mutter in dieser Welt Gekochtes zu probieren.

Gekkyu rückte schmunzelnd seine Brille zurecht. „Vielleicht ist auch nur seine Festplatte zerstört.“

Ich hätte nie gedacht, jemanden aus meiner Familie einmal irgend etwas im Kontext mit einem Computer sagen zu hören – so etwas hatte es bei uns immerhin nicht gegeben. Aber offenbar waren sie ja auch hier aufgewachsen, also mussten sie das wohl alles kennen.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es der Wahrheit entsprach, also verneinte ich seine Vermutung, worauf er zu lachen begann. „Das war nur ein Scherz, Zetsu. Aber die letzte Zeit bist du tatsächlich ziemlich selten zum Essen vorbeigekommen. Wenn Yoruna es dir nicht gebracht hätte, wärst du uns sicher verhungert.“

Er lachte noch einmal und war offensichtlich überrascht, dass ich mitlachte. „Na sieh mal an, er hat Humor bekommen, Hidaka.“

Ich konnte den anderen Zetsu echt nicht ausstehen, so viel wusste ich schon.

Mein Vater klopfte mir anerkennend auf die Schulter – und erneut musste ich schwer schlucken. Wie sehr hatte ich mir das in den letzten Jahren ersehnt und nie bekommen können. Vielleicht war das auch so eine abgefahren Zweite-Chance-Sache, wie es sie oft in Mystery-Thrillern gab. Bislang war es auch nicht schlecht und ich hätte es mir mit Sicherheit gefallen lassen können – wenn denn auch Leana da gewesen wäre. Ohne sie allerdings...

Ich verdrängte den Gedanken, als meine Mutter mit dem Essen hereinkam und wir uns schließlich daran machten, es zu verspeisen. Wie ich mir gedacht hatte, war es hervorragend. Meine Mutter verstand wirklich, wie man Gewürze einsetzen sollte und... so 'nen Kram. Jedenfalls verstand sie mehr vom Kochen als ich oder Leana.

Während des Essens scherzten alle miteinander, während ich hauptsächlich still dasaß und vor mich hin aß, unterbrochen von Lachen, wenn wieder etwas Lustiges gesagt wurde.

Durch das aufmerksame Zuhören bekam ich einiges mit. Offenbar lebten wir früher in einem anderen Viertel und waren erst zu meinem letzten Schulwechsel hergezogen... Was es mit diesem Wechsel auf sich hatte, war mir auch nicht klar, aber ich wollte auch nicht unbedingt nachhaken, das hätte nur für noch mehr Fragen gesorgt.

Hinome und Gekkyu lebten ebenfalls bei uns, sie hatten den Umzug wohl genutzt, um mit uns zusammenzuziehen. Das passte zu meiner Erinnerung, auch in meiner alten Heimatwelt hatten sie bei uns gewohnt, Papa und sein Bruder waren eben untrennbar.

Meine Freundschaft mit Nozomu gefiel meiner Familie sehr, da alle hofften, dass er einen guten Einfluss auf mich ausüben würde – mein verändertes Verhalten war für sie ein astreiner Schluss darauf. Wobei sie in gewisser Weise wohl Recht hatten. Nozomu hatte mich stark geprägt, das konnte ich nicht verleugnen.

Selbst als wir schon lang mit dem Essen fertig waren, saßen wir immer noch lachend zusammen. Ich genoss die Zeit ausgiebig, auch als mir irgendwann alles wehtat. Es war wunderbar, nach all diesen Jahren wieder einmal mit ihnen zusammen zu sein, besonders nachdem ich geglaubt hatte, dass es nie wieder dazu kommen würde. Immerhin waren sie eigentlich alle tot...

Es ging bereits auf Mitternacht zu, als meine Eltern mich schließlich darauf hinwiesen, dass es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Erst wollte ich widersprechen, doch meine immer träger werdenden Gedanken sagten mir, dass sie Recht hatten – außerdem würde ich am nächsten Tag wieder Schule haben und dieses Mal wollte ich nicht einschlafen.

Ich fand mein Zimmer ohne zu fragen recht schnell – ich besaß einen guten Spürsinn, wie mir schien – und war erst einmal überrascht, als ich es betrat. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals von Luxus überwältigt sein könnte, besonders nicht nach meiner bewegten Vergangenheit, doch das hier überstieg wirklich meinen Verstand.

Ein riesiger Flachbildfernseher war an einer Wand zu sehen, daran waren aktuellste Konsolen angeschlossen, die ich bislang nur in Schaufenstern hatte sehen können. Mein Blick ging weiter zu einem aufgeräumten Schreibtisch mit einem Flachbildmonitor darauf, das Kabel daran führte zu einem unter dem Tisch stehenden, schnittig aussehenden Computer, der mit Sicherheit sehr teuer gewesen war. Notizzettel waren am Monitor befestigt, auf einigen standen Namen, die mir nichts sagten, auf anderen wiederum äußerst bekannte: Leana, Katima, Ruputna, Sorluska, Thalia, Jatzieta, Salles, Naya, Euphoria, Subaru und Narukana.

Unter jedem Namen (auch den mir unbekannten) waren mehrere Zahlen notiert, mit denen ich nichts anfangen konnte. Bei dem Namen Leana entfuhr mir ein Seufzen. Ich hatte sie zwar den ganzen Abend nicht vergessen, aber nun kam die Sehnsucht noch einmal verstärkt zurück. So sehr ich meine Familie auch liebte, ich hoffte immer noch, am nächsten Morgen wieder bei Leana aufzuwachen.

Ich zwang mich, den Blick abzuwenden und ihn weiterwandern zu lassen. Ein Regal an der Wand war prall gefüllt mit allerlei Spielen, teilweise welche von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. In einem anderen, kleineren Regal standen Bücher, deren Titel mir ebenfalls nichts sagten. Ich war ohnehin nie ein großer Leser gewesen.

An den Wänden hingen Poster, die verschiedene Motive im Anime-Stil zeigten. Ich kannte allerdings keines davon. War aber nicht weiter wichtig, immerhin sahen sie alle hübsch aus.

Den Blick in den Schrank vermied ich sorgsam, am Ende würde ich sonst nur vor Aufregung hyperventilieren und mein Pyjama lag ohnehin schon auf dem gemachten Bett.

Moment mal... Bett?

Ich war inzwischen so sehr an den Futon gewöhnt, dass ich nicht wusste, ob ich mich freuen oder ärgern sollte. Ja, Matratzen waren weich, fast schon zu weich. In Arawns Anwesen hatte ich zuletzt in einem geschlafen, aber das war auch schon wieder ewig her.

Wie auch immer, ich würde das schon überleben.

Ich zog mich um und legte mich ins Bett – das überraschenderweise doch nicht so weich war, sondern genau richtig. Ich fühlte mich sofort wohl und geborgen.

All die Dinge in diesem Zimmer, brachten mich dazu, wieder zu glauben, dass dies nur ein Traum war. Ein wunderschöner und äußerst realistischer, aber eben nur ein Traum, der irgendwann auch wieder enden und mich in die Wirklichkeit entlassen würde.

Meine Hand griff nach dem Lichtschalter auf der anderen Seite des Betts, doch ehe ich ihn betätigen konnte, fiel mein Blick auf die Decke. Ich verharrte sofort in der Bewegung.

Ein gemaltes Bild von Leana sah auf mich herab. Sie hielt ihr Schwert fest in den Händen, den Blick entschlossen auf jeden gerichtet, der mutig genug war zurückzublicken. Es war eindeutig die Pose, die auch ihrer Divine Force vorausging.

Erneut überkam mich eine Woge von Sehnsucht. Im Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als wieder bei ihr aufzuwachen, egal wie schön es hier war. Wie sollte ich etwas genießen, wenn sie nicht bei mir war? Wir hatten so viel miteinander durchgemacht, ich könnte sie nicht einfach vergessen.

Ich schob diese deprimierenden Gedanken beiseite, darüber könnte ich immer noch nachdenken, falls ich am nächsten Morgen wieder hier aufwachen würde.

Seufzend wandte ich mich von dem Anblick des Posters ab, löschte das Licht und kuschelte mich tiefer in mein Bett. Entgegen meiner Erwartungen fiel ich rasch in einen tiefen Schlaf, in dem mich ein Traum begleitete, der mir meine erste Begegnung mit Leana wieder vor Augen führte.
 

So alt schien sie bei näherer Betrachtung noch gar nicht zu sein. Höchstens achtzehn – ich würde ja erst später erfahren, dass sie doch älter war als ich. Sie hatte braunes Haar, was ihr bis zu den Ellenbögen reichte und grüne Augen. Sie trug braune, eng anliegende Kleidung, die vorne ziemlich kurz war, hinten dafür wie eine Art Umhang bis zu ihren Füßen ging. Unter ihrer Kleidung konnte man eine weiße Strumpfhose sehen. Da die Kleidung ärmellos war, trug sie lange, weiße Handschuhe. Ihre Füße steckten in braunen Stiefeln, die ihr bis zu den Knien gingen. Sie führte ein einfaches Schwert bei sich.

„Man. So ein Monster habe ich ja noch nie gesehen“, sagte die Frau zu sich.

Ihre Stimme war das komplette Gegenteil zu den Frauen- und Mädchenstimmen, die ich bislang gehört hatte. Sie klang weich und ein wenig dunkel, nicht so hell wie Ikarugas und nicht so schrill wie Ruputnas. Sie wirkte dadurch wesentlich angenehmer, was mich in noch größere Anspannung versetzte.

Wer immer sie war, für mich war es ein zu großer Zufall, dass sie gerade zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen war. Und dann noch der Geruch von Rosen...

Schließlich sah sie mich direkt an – und damit endete der Traum abrupt.
 

Sonnenstrahlen kitzelten auf meinem Gesicht – und so wusste ich, noch bevor ich die Augen aufschlug, dass ich nicht bei Leana war. Das Fenster unserer Wohnung zeigte nicht nach Osten, sondern nach Norden und außerdem waren weder Futon noch Boden so bequem wie es dieses Bett war. Enttäuschung breitete sich in mir aus und mischte sich mit Freude, so dass ein bittersüßes Gemisch in meinem Inneren entstand. Als mir klar wurde, dass sich ein Teil von mir tatsächlich darüber freute, immer noch hier zu sein, kamen noch Schuldgefühle hinzu.

Wie konnte ich so etwas überhaupt denken?

Ein Klopfen an der Tür ertönte, kurz darauf kam jemand ins Zimmer herein. Es war nicht die quirlige Ausstrahlung von Hinome, nicht die leicht spöttische Aura, die Gekkyu stets zu folgen schien und auch nicht die kühle Art meines Vaters, von daher war es nicht schwer, zu erraten, dass es meine Mutter war – gut, vielleicht hätte ich mich statt des Ausschlussverfahrens auch gleich auf ihr Charisma konzentrieren können.

Anscheinend war meine Fähigkeit, Leute ohne hinzusehen zu erkennen, nicht nur von meinem Shinken abhängig.

„Es wird Zeit zum Aufstehen, Schatz“, sagte sie sanft.

Ich richtete mich auf und lächelte sie an. „Danke, Mama~“

Freudig erwiderte sie mein Lächeln – anscheinend hatte sie mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet. Dabei konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand sie nicht mögen oder gar schlecht behandeln könnte. Wenn sie genauso war, wie ich sie in Erinnerung hatte, war sie einer der wunderbarsten Menschen, die es geben konnte. Sie hatte es verdient, dass man sie gut behandelte.

Sie verließ das Zimmer wieder, ich stand auf und zog mich an.

Ich war also nicht wieder bei Leana aufgewacht. Was immer von beiden Leben der Traum war, der, in dem ich mich gerade nicht befand, hatte ungefähr 18 Jahre gedauert – würde dieser auch so lange anhalten? Würde ich 18 Jahre ohne sie aushalten?

Da mich diese trübseligen Gedanken nicht weiterhalfen, verwarf ich sie aufs Erste und verließ das Zimmer.

Im Esszimmer wurde bereits fleißig hantiert, an diesem Morgen war wohl Gekkyu mit Tischdecken betraut. Wie üblich ließ er sich dabei nicht aus der Ruhe bringen, gemächlich arbeitete er vor sich hin, auch als Hinome ihn antrieb, als sie einen Brotkorb auf den Tisch stellte.

Kurz darauf frühstückten wir, es herrschte genau dieselbe Atmosphäre wie am Abend zuvor, nur dass sie diesmal abrupt unterbrochen wurde. Irgendwann sah mein Vater auf die Uhr. „Es wird langsam Zeit. Du musst los, Zetsu.“

Wenigstens einer, der darauf achtete. Mir wäre das komplett entgangen. Ich verabschiedete mich hastig von allen, schnappte mir meine Schultasche und verließ das Haus, wo ich direkt in Nozomu und Nozomi hineinrannte. Die beiden begrüßten mich völlig unterschiedlich, er recht lethargisch, sie dagegen äußerst fröhlich, wie ich es gewohnt war.

„Geht es dir heute besser, Akatsuki-kun?“, fragte Nozomi besorgt, während wir losliefen.

Ich nickte. „Ja, tut es. Danke der Nachfrage.“

Sie lächelte erleichtert. „Das ist gut.“

Nozomu dagegen war um einiges direkter: „Du hast gar keine Augenringe, sag bloß, du hast mal wieder geschlafen.“

Ich nickte noch einmal. „Ja, ich war müde.“

Beide warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Wenn es Satsuki nicht gäbe und ich nicht Nozomis einnehmendes Wesen kennen würde, wäre ich in diesem Moment der Überzeugung gewesen, dass die beiden zusammengehörten.

Da fiel mir ein... wenn es die Brigade gar nicht wirklich gab und die verwaltenden Götter auch nicht, wie konnte Satsuki dann existieren und hier leben?

Aus Salles' Erklärungen war ersichtlich gewesen, dass die Schulsprecherin nur ein künstlich geschaffenes Behältnis für Sephirikas Seele gewesen war. Wenn das alles aber nicht wirklich war, dann müsste das ja bedeuten, dass Satsuki Eltern hatte... Ich fragte mich, was das wohl für Leute waren, dass sie diesen Wirbelwind mehrere Stunden lang aushielten. Möglicherweise waren sie so wie Nozomu, der sie ja auch aushielt. Wobei ich immer noch sicher war, dass er ihr Gerede den Großteil der Zeit einfach ausblendete.

An der entsprechenden Kreuzung trafen wir Satsuki auch schon, fröhlich wie eh und je, als ob sie bereits vier Tassen Kaffee getrunken hätte... nun, der Gedanke war nicht einmal so abwegig.

Plaudernd legten wir den Weg zur Schule zurück, ich dachte an nichts Böses – bis ich kurz vor der Schule hörte, wie jemand meinen Namen rief. Die Stimme kam mir keineswegs bekannt vor, deswegen drehte ich mich arglos um – und bekam zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden keine Luft mehr, weil jemand mich zu heftig umarmte.

Diesmal wurde ich allerdings von Satsuki gerettet, die laut lachte. „Bring Akatsuki-kun nicht um, Yumiko, wir brauchen ihn noch.“

Die Person ließ mich los, so dass ich sie genauer betrachten konnte. Es war ein Mädchen, in meinem Alter ungefähr, mit hellbraunem Haar und ebensolchen fröhlich glitzernden Augen. Egal, wie lange ich sie ansah, ich konnte mich nicht an sie erinnern – wer war das?

„Guten Morgen, Zetsu-kun“, flötete sie.

Sie sprach mich mit Vornamen an... okay, das bedeutete wohl, dass ich sie eigentlich kennen müsste. Das war äußerst ungünstig im Moment.

Schweigend sah ich sie nur an, auf eine plötzliche Eingebung hoffend. Aber wie immer, wenn man eine Eingebung brauchte, kam natürlich keine. Dieser Zustand war vor allem für mich inzwischen finstere Gewohnheit.

Das Glitzern verschwand aus ihren Augen, ihr Gesicht nahm einen enttäuschten Ausdruck an. „Owww, dabei siehst du heute nicht so verschlafen aus wie sonst, ich dachte, ich hätte gute Chancen, dass du mich erkennst, ai.“

Anscheinend kam das öfter vor und es tat mir wirklich Leid. Ich kannte sie zwar nicht, aber ich konnte spüren, dass zumindest ich ihr viel bedeutete und sie immer wieder aufs Neue enttäuschte.

Doch sofort begann sie wieder zu lächeln. Sie tippte mir gegen die Stirn. „Yumiko Arakawa, ai! Wir waren zusammen in der Grundschule, schon vergessen?“

Ich war nie in einer Grundschule gewesen, von daher konnte ich es nicht vergessen haben, aber wenn ich ihr das sagte, würde sie mich auch für verrückt erklären und darauf konnte ich verzichten.

„Natürlich nicht“, versicherte ich.

In meinem alten Leben hatte ich Nozomu ein normales Leben vorgespielt, mit Sicherheit konnte ich dieser Yumiko...

Mitten im Gedanken hielt ich inne. Ich kannte diesen Namen! Allerdings nicht aus der Grundschulzeit. Isolde, Leanas Shinjuu, hatte mir von einem Mädchen namens Yumiko erzählt. Sie hatte einst in Nozomus Heimatwelt gelebt, bis Rogus ihrer besonderen Fähigkeit gewahr geworden war und er sie in seine Dienste gestellt hatte. Fortan war es ihre Aufgabe gewesen... nein, ich wollte gar nicht darüber nachdenken. Nicht nur, dass mir davon übel wurde, außerdem erinnerte es mich wieder an Leana und das deprimierte mich.

Offenbar spiegelte sich das in meiner Mimik wider, denn plötzlich spürte ich wie Yumiko mir über das Gesicht strich. „Nicht traurig sein, ai. Ich bin dir doch nicht böse.“

Ich erwiderte nicht, dass das damit nichts zu tun hatte, sondern ließ sie einfach in dem Glauben, das ersparte mir immerhin einige Erklärungen, die ich ihr ohnehin nicht liefern konnte.

„Hast du noch etwas Zeit?“, fragte sie lächelnd.

Ich wollte fragend zu Satsuki hinübersehen – nur um festzustellen, dass die anderen drei bereits verschwunden waren. Als ich zur Schule hinüberblickte, bemerkte ich, dass sie bereits ziemlich weit vorausgelaufen war. Bestimmt glaubten sie, mir damit einen Gefallen zu tun, ich war mir allerdings nicht so sicher, ob ich sie nicht lieber weiterhin bei mir gewünscht hätte.

Ich sah wieder Yumiko an und nickte. „Sieht so aus.“

Sie wirkte erleichtert, aber nicht wirklich glücklich. „Gut, mhm~“

Wortlos sah sie auf den Boden. Sie wirkte nicht verlegen, es war etwas anderes, was sie schweigen ließ. Tief Luft holend, blickte sie mich schließlich wieder an. Es wirkte, als müsste sie sich selbst Mut zusprechen. „Ich fand es wirklich nett, was du mich neulich gefragt hast.“

Ich tat so, als wüsste ich, wovon sie redete und neigte den Kopf. „Findest du?“

„Ja und...“

Sie kickte einen Stein weg, ehe sie fortfuhr: „Ich mag dich wirklich sehr, Zetsu-kun, wir kennen uns ja schon so lange, aber...“

Mir gefiel gar nicht, worauf das hinauslaufen sollte. Hatte sie vorhin nicht außerdem gejammert, dass ich sie eine Weile zuvor nicht erkannt hätte? Und nun sprach sie davon, dass ich – oder dieser andere Zetsu – offenbar eine Beziehung mit ihr wollte.

Vielleicht war dieses „neulich“ aber auch vor Zetsus Entdeckung von Leana gewesen.

„Aber ich empfinde leider nicht dasselbe wie du. Ich bin wirklich gern mit dir befreundet, du bist richtig nett und hörst mir immer zu, selbst wenn“ – sie lachte kurz – „ich dich beim Spielen störe.“

Im Klartext: Der andere Zetsu war ein Weichei, der nur als bester Freund fungieren konnte. Vielleicht flüchtete er sich deswegen in all diese Spiele. Zumindest kamen mir die bisherigen Erzählungen wie eine Flucht vor und nicht wie normaler Konsum.

Ich konnte mir auch gut vorstellen, dass er sich deswegen in die Figur Leana verliebt hatte.

Während ich sie liebte, weil sie mir so ähnlich war, liebte der andere Zetsu sie, weil sie genau das war, was er sein wollte. Tragisch, tragisch.

Yumiko lächelte mich wieder an, diesmal deutlich angespannter. „Du bist doch jetzt nicht böse, oder?“

Ich bemühte mich, nicht zu gleichgültig zu klingen, als ich ihr antwortete: „Nein, bin ich nicht. Keine Sorge.“

Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen. „Gut~“

Sie warf einen Blick in eine andere Richtung. Anhand ihrer Schuluniform konnte ich zwar nicht sagen, wo sie auf die Schule ging, aber die Monobe-Akademie war es jedenfalls nicht.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte sie. „Wir sehen uns morgen, ja?“

Ehe ich eine Gelegenheit bekam, das zu bestätigen, fuhr sie herum und lief davon. Für eine Weile sah ich ihr hinterher. Wenn ich Isoldes Erzählung richtig im Kopf hatte, waren Leana und Yumiko einmal Freundinnen gewesen – bevor Charna das Schicksal umschrieb und die beiden Mädchen sich niemals begegnet waren. Ich hätte nie gedacht, sie jemals wiederzusehen und schon gar nicht hier. Andererseits passte es vielleicht irgendwie. Es war ja alles ziemlich... abgefahren.

Das Läuten der Schulglocke erinnerte mich daran, dass ich mich auch mal sputen sollte, wenn ich nicht zu spät kommen wollte. Seufzend machte ich mich auf in Richtung Schule.

Ohne Leana würde auch der heutige Tag sehr eintönig werden, zumindest dachte ich das. Ich ahnte ja noch gar nicht, was noch auf mich zukommen würde.
 

Der Vormittag verlief quälend langsam, erst kurz vor der Mittagspause geschah mal etwas. Unser Lehrer bat mich, einige Bücher in den Keller zu bringen, die ihm selbst zu schwer waren

Seit einiger Zeit waren Schulkeller nicht mehr unbedingt mein Lieblingsort, aber ich konnte ja schlecht erklären, dass ich in einem anderen Leben in einem solchen einmal beinahe vergewaltigt worden wäre, also tat ich, was mir aufgetragen wurde.

Der Keller der Monobe-Akademie roch verdächtig nach Rauch, es war ziemlich finster, bestimmt war es kein Problem, sich in einer Ecke zu verstecken und für alle ungebetenen Besucher unsichtbar zu bleiben.

Sofort verwarf ich den Gedanken und ermahnte mich, nicht zu pessimistisch zu sein. Mit Sicherheit wartete hier kein verrückter Fanclub auf mich, der mir seine Liebe zeigen wollte.

Kaum hatte ich die Kiste mit den Büchern abgestellt, wünschte ich mir allerdings, dass es nur ein paar Mädchen gewesen wären. Aus den Schatten traten vier bullig aussehende Schüler, deren schlechte Laune ihnen ins Gesicht geschrieben stand. Offenbar hatte ich sie beim Rauchen gestört.

„Ihr könnt ruhig weiterrauchen, Jungs“, sagte ich, während ich auf die Tür zuging.

Beinahe wäre ich dabei gegen den Arm gelaufen, der mir den Ausgang versperrte. „Nicht so schnell, Akatsuki.“

Ich unterdrückte ein Seufzen. „Ich werde euch nicht verraten, keine Sorge.“

„Stell dich nicht blöd“, schnauzte einer von ihnen mich an. „Hast du das Geld dabei?“

Oho, erpresst wurde der andere Zetsu also auch und er ließ sich das gefallen? Dumme Frage, natürlich tat er das. Bestimmt kroch er vor diesen Kerlen auf dem Boden und tat alles, was sie wollten – zumindest schätzte ich ihn so ein.

Ich allerdings fühlte mich um einiges wagemutiger. „Nein. Kannst du mir was leihen?“

„Werd nicht frech, Alter!“, kam die Antwort, verbunden mit fliegendem Speichel, der mich glücklicherweise nicht traf.

„Tut mir Leid, äh... Junge.“

Die anderen warfen sich fragende Blicke zu. Ich konnte deutlich die Frage sehen, seit wann ich so aufmüpfig war – ich fand es sehr amüsant.

„Willst du uns verarschen!?“, fragte mich der Anführer.

Ich hob die Schultern. „Ich weiß nicht. Denkst du denn, dass ich das will?“

Mein selbstsicheres Auftreten irritierte die vier. Das waren also diese typischen Klischee-Mobber, die sich nur auf die Schwächeren stürzten – wobei, wie viel Spaß würde es ihnen denn machen, wenn sie jedes Mal an einen wie mich geraten würden? Ich amüsierte mich um einiges mehr als diese Kerle.

Ich nutzte ihre offenkundige Verwirrung, duckte mich unter dem erhobenen Arm hindurch und verließ den Kellerraum wieder. Im Laufen drehte ich mich um, winkte ihnen noch einmal zu und erfreute mich an den Gesichtern, die sich langsam zu verärgerten Grimassen verzogen.

Diese vier waren nicht das Schlimmste gewesen, was ich bislang in meinem Leben erlebt hatte. Schade, dass man nicht jeden Feind so einfach einschüchtern konnte. Viele andere, denen ich begegnet war, hatte man nur mit einem Shinken zum Schweigen bringen können – dann aber endgültig.

Diese kleine Auseinandersetzung war mal eine lustige Abwechslung gewesen. Sollte morgen der andere Zetsu wieder in diese Schule kommen, würde er wohl keine schöne Zeit haben.

Aber was kümmerte mich das?

In meinen Augen wurde es ohnehin Zeit, dass er endlich ein Rückgrat bekam – Leana würde mir mit Sicherheit zustimmen.

Während ich wieder in Richtung Klassenzimmer davonging, erklang die Schulglocke. Es war Mittagspause, wie passend, genau dann, wenn ich Hunger bekam. Ich hoffte, meine Mutter hatte mir wieder ein Bento eingepackt, bislang hatte ich noch nicht so genau in meine Tasche gesehen.

Satsuki und Nozomi erwartete mich bereits in meinem Klassenzimmer. Offenbar reservierte jeden Tag jemand anderes einen Tisch im Speisesaal.

Ich griff zielsicher in meine Tasche und förderte eine prall gefüllte Box zutage. Ich frohlockte innerlich, der Hunger wuchs noch einmal ein Stück. Bei Leanas Essen war das seltsamerweise nie der Fall gewesen, dabei kochte sie inzwischen richtig gut. Ich verstand es selbst nicht.

Das Mittagessen verlief genauso banal wie am Tag zuvor, bis Satsuki sich wieder an die Zaubervorstellung erinnerte, zu der sie mich überredet hatte. „Ach ja, ich habe übrigens noch eine Karte dafür. Kennst du vielleicht jemanden, den wir noch einladen könnten?“

Es fehlte nur noch, dass sie mir zugezwinkert hätte, damit ich von dem sprichwörtlichen Zaunpfahl, den sie zum Winken nutzte, erschlagen worden wäre. Statt sie allerdings darauf hinzuweisen, dass ich nicht so blöd war, nickte ich. „Warum fragst du nicht Yumiko?“

Ihre kommende Reaktion ahnte ich bereits voraus: „Warum fragst du sie nicht, Akatsuki-kun? Du kennst sie doch viel länger.“

„Klar, kann ich morgen machen.“

Widerstand war zwecklos, sowohl bei den Borgs als auch bei Satsuki. Also warum Energien für den Widerspruch verschwenden? Es war viel einfacher, nachzugeben. Was der andere Zetsu mit Sicherheit auch tat, aber das war wohl auch eine seiner wenigen klugen Entscheidungen.

Außerdem würde ich morgen hoffentlich wieder bei Leana aufwachen – und falls nicht, so wäre Yumiko die beste Quelle mehr über meine Vergangenheit zu erfahren.

Natürlich war da auch meine Familie, aber welcher Jugendliche erzählte schon seinen Eltern alles von sich? Beste Freunde waren immer die bessere Quelle – neben Tagebüchern.

Dass ich so schnell nachgab, schien Satsuki zu verwundern. Überrascht sah sie mich an. „Du hast ja gar nicht zu stottern angefangen. Hast du wegen dieser Leana Irgendwas etwa gar kein Interesse mehr an Arakawa?“

Wie ich mir gedacht hatte.

„Nein, das ist es nicht.“

Satsuki und Nozomi warfen sich einen Blick zu, mit Sicherheit würden sie bei nächster Gelegenheit darüber tratschen, was es denn war. Jedenfalls stellten sie mir keine weiteren Fragen, sondern wechselten das Thema.
 

Nach der Schule entdeckte ich nur Nozomu, der am Schultor auf mich zu warten schien. Von den beiden Mädchen war nichts zu sehen. Offenbar hatten beide Clubaktivitäten, die sie länger in der Schule festhalten würden, so dass wir alleine nach Hause gehen würden.

Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. Nozomu und ich hatten uns schon immer oft angeschwiegen, weswegen mich das nicht weiter störte. Wir waren Freunde, aber nicht weil wir uns so toll unterhalten konnten, sondern weil wir uns auch ohne Worte verstanden – zumindest dachte ich das oft. Ich war mir nicht sicher, ob er das genauso sah und ich würde ihn auch nicht fragen.

Plötzlich sah Nozomu mich verwundert an. „Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Huh? Natürlich, warum?“

Er zog seine Stirn kraus. „Na ja, normalerweise kaust du mir immer ein Ohr ab, wenn wir alleine heimlaufen, aber im Moment sagst du kein Wort.“

Ich entschuldigte mich reuig. „Ich war in Gedanken versunken.“

„Das ist so gar nicht deine Art. Sonst erzählst du mir immer von irgendeinem tollen neuen Spiel, das du dir von dem vielen Geld deiner Familie gekauft hast.“

Also war meine Familie wirklich vermögend. Hätte ich mir eigentlich denken können, nachdem ich mein Zimmer gesehen hatte. Vielleicht hätte ich mir auch mehr von dem Haus ansehen sollen, aber ich wäre mir wie ein Eindringling vorgekommen.

Ich entschuldigte mich noch einmal, worauf er den Kopf neigte. „Seit gestern benimmst du dich so... seltsam. Als ob du über Nacht... na ja, über einen Vormittag eine andere Person geworden wärst.“

Wie recht er damit hatte.

„Und wenn es so wäre?“, fragte ich herausfordernd.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Also, ich mochte dich schon vorher, aber inzwischen scheinst du mir... cooler und selbstbewusster zu sein. Und das ist doch nichts Schlechtes, oder?“

Ich lächelte ihm zu. „Das ist richtig.“

Wie gesagt, wir verstanden uns eben ohne Worte. Selbst wenn es der Nozomu aus einer anderen Welt war – oder wo immer ich mich gerade befand.

„Du wirst Arakawa wirklich fragen, ob sie mit in die Show geht?“, hakte er nach.

„Klar, warum nicht?“

Ich sah absolut kein Problem damit. Selbst in meinem richtigen Leben hatte ich nie Schwierigkeiten damit gehabt, Mädchen anzusprechen. Gut, ich war nie mit ihnen ausgegangen, außer sie hatten mich gefragt – ich hatte immer nur aus Spaß zugesagt – aber selbst bei Leana war ich nie um Worte verlegen gewesen.

„Bislang warst du nicht unbedingt geschickt darin, sie um ein Date zu bitten“, erklärte er mir.

Ich wischte seinen Einwand beiseite. „Ich schaffe das schon, nur keine Sorge.“

Wie kam er darauf, dass es ein Date wäre? Wir würden zu fünft in eine Zaubershow gehen, das war alles andere als ein Rendezvous, wenn man mich fragte.

Er lächelte mich an. Es war lange her, dass ich Nozomu lächeln gesehen hatte, weswegen ich sofort mit derselben Mimik darauf antwortete.

„Weißt du, der neue Zetsu gefällt mir ziemlich gut“, sagte er. „Ich hätte nichts dagegen, wenn du so bleiben würdest.“

Ich neigte amüsiert den Kopf. „Mal sehen.“

Ich fragte mich, was geschehen würde, wenn ich endlich wieder bei Leana aufwachen würde. Wie enttäuscht würden alle hier wohl sein, wenn –

Was interessierte mich das eigentlich? Sobald ich wieder aufwachen würde, davon war ich überzeugt, würde diese Welt verschwinden als ob sie nie existiert hätte. Das hier war nur ein Traum, so musste es sein und wenn er endlich vorbei war... war er lediglich eine Erinnerung und alle Darsteller darin nichts weiter als vage Schatten.

Doch während ich in Nozomus lächelndes Gesicht sah, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich das alles wirklich enden lassen wollte.
 

Nach dem Abendessen beschloss ich, das Haus genauer zu erkunden. Nicht nur weil ich mich darauf einstellte, mehr Zeit dort zu verbringen, sondern auch weil ich unbedingt duschen wollte und das Bad bislang noch nicht gesehen hatte. Immerhin gab es in diesem Haus auch eine vom Bad getrennte Toilette – welch ein Luxus. So gut hatte ich bislang noch nie gelebt.

Zu meiner Überraschung gab es drei Stockwerke, einen Dachboden und einen Keller – im Letzteren befand sich auch das auf Hochglanz polierte Bad, das mir auf Anhieb gefiel. Als ich das Licht anmachte, sprang gleichzeitig das Radio an, das mich mit einem hübschen Geigenstück empfing. Es gab keine enge Duschkabine, sondern nur eine tiefe Einbuchtung in der Wand, in die man gemütlich hinein- und wieder hinauslaufen konnte, ohne dass man hinterher die Wasserspritzer auf der Kabine wegmischen musste.

Die Eckbadewanne wirkte groß genug für Drei, hier könnte ich bestimmt wunderbar mit Leana baden – wenn sie denn hier wäre. Extra angebrachte Düsen implizierten, dass man diese Wanne sogar als Whirlpool nutzen konnte. Ich musste immer wieder über den Luxus dieses Hauses staunen. Es war, als ob meine Familie in diesem Leben alles besaß, was ihnen zuvor gefehlt hatte.

Ich verwarf die Überlegung, baden zu gehen und stellte mich stattdessen unter die Dusche.

Wie so oft fühlte es sich erstaunlich gut an, als das Wasser auf meinen Körper prasselte und den Schmutz mit sich nahm. Noch schöner wäre es nur noch gewesen, wenn... nein, darüber sollte ich nun nicht nachdenken. Es war wohl besser, erst einmal nicht mehr an sie zu denken, der Schmerz wurde so nur noch größer.

Also dachte ich an den zuvor erkundeten Dachboden. Es war wirklich ein interessanter Ort gewesen, warm und trocken und staubig und voller Spinnweben. Aber mir gefiel es. Dort oben schien tatsächlich die Zeit stillzustehen, außerdem fand ich dort alte Kindermöbel, die offenbar einmal mir gehört hatten. Natürlich besaß ich keinerlei Erinnerung an jene, aber die Vorstellung, einmal in diesem kleinen Bett geschlafen oder an dem kleinen Tisch gesessen zu haben, gefiel mir äußerst gut.

Warum hatten sie diese Dinge wohl aufbewahrt? Ob sie immer noch auf ein weiteres Kind hofften?

Wieso gab es eigentlich keines? In meiner Welt war ich das letzte Kind gewesen, weil das Mana zur Neige ging und jedes Lebewesen aus eben diesem bestand.

Ohne Mana also kein Leben.

Aber hier gab es diese Einschränkung doch nicht, also warum war ich hier Einzelkind oder ohne Kusin oder Kusine?

Ich würde ja fragen, aber ich befürchtete, dass es komisch wirken würde. Wie bereits mehrfach gedacht: Ich brauchte niemanden, der mich für wahnsinnig hielt, es reichte, wenn ich das selbst schon dachte.

Außerdem ging es mich selbst ja auch gar nichts an. Ich gehörte nicht hierher.

Dieser Gedanke warf mich wieder in ein tiefes Loch, das mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Ich stellte das Wasser ab und nahm mir nach kurzem Überlegen den Bademantel, der laut dem Namensschild, das über dem Haken angebracht war, mir – na ja, dem anderen mir – gehörte. Er war flauschig und angenehm warm. Sobald ich wieder bei Leana war, würde ich uns auch solche Bademäntel kaufen.

Ich nahm mir meine Sachen und ging in mein Zimmer hinauf. Es erstaunte mich auch an diesem Tag noch. Es waren einfach... so viele Dinge in diesem Raum. Am meisten faszinierte mich aber immer noch das Poster von Leana über dem Bett. Am Liebsten hätte ich es mitgenommen – falls ich je wieder nach Hause kommen würde. Gut, dann hatte ich zwar das Original wieder, aber so ein Plakat war doch nicht schlecht. Dann noch ein paar Spiegel und ich könnte immer Leana sehen, selbst wenn ich sie nicht ansah.

Andererseits: Was würde ich tun, wenn ich mal wütend auf sie war?

In einem solchen Fall müsste ich ja die Wohnung verlassen, um sie nicht mehr sehen zu müssen.

Glücklicherweise kam das nicht allzu häufig vor.

Erschöpft legte ich mich auf das Bett und starrte auf das Bild. Wie am Abend zuvor hoffte ich, am nächsten Morgen wieder bei Leana aufzuwachen, sobald ich einschlief – was erstaunlicherweise nicht lange dauerte.

Ich erinnere mich noch, dass ich von einem glitzernden See träumte. Es war nicht irgendeiner, sondern jener von der Welt, in der ich Leana das erste Mal wirklich begegnet war. Ich stand dort und sah auf die Wasserfläche hinaus, genau wie damals.

Doch in meinem Traum fehlte ein entscheidendes Detail: Leana.

Eigentlich sollte diese Erkenntnis mich traurig stimmen, doch in diesem Moment spürte ich gar nichts, außer eine tiefe innere Ruhe, als ob ich kurz davor stand, zu sterben und mich damit bereits abgefunden hatte.

Woher ich wusste, wie sich so etwas anfühlte? Durch Rutsuruji, der Gott, der in meinem Inneren lebte und der ich einst gewesen war. Bevor er sich selbst umbrachte, hatte er genau dasselbe gefühlt wie ich in diesem Moment in meinem Traum.

Ich schloss die Augen und warf mich in den See. Der Wasserspiegel schloss sich über mir wieder, entschlossen, mich nicht wieder gehen zu lassen. Während alles um mich herum schwarz wurde, war mein letzter Gedanke, wie dumm ich doch war, als Nichtschwimmer in einen See zu springen...
 

Die Sonnenstrahlen sagten mir erneut, dass ich mich immer noch in der falschen Welt befand. Langsam sank die Sicherheit, dass dies wirklich ein Traum war, stattdessen wurde mir immer klarer, dass ich mich in einer seltsamen Realität befand – wie immer ich auch dort hineingeraten war.

Noch wichtiger war für mich aber die Frage, wie ich wieder zu Leana zurückkommen würde?

Aber he! Vielleicht würde es etwas bringen, wenn ich nach Nanashi rief. Ich konnte zwar 'Gyouten' nicht mehr spüren, aber das hieß ja nicht, dass beide verschwunden waren. Immerhin waren wir eigentlich miteinander verbunden, genauso untrennbar wie Rutsuruji und ich – auch wenn der Gott wie gewohnt schwieg.

Ich setzte mich auf und richtete den Bademantel, der während des Schlafens verrutscht war. Er hatte mich die Nacht über so warm gehalten, dass mir gar nicht aufgefallen war, dass ich keinen Pyjama trug und nicht zugedeckt gewesen war. Wenigstens würde ich keine Erkältung kriegen.

„Nanashi~ Nanashi~“

Ich sah mich um, doch es war keine Spur von ihr zu sehen. Ich konnte nicht einmal ihre Anwesenheit spüren oder ihre Stimme in meinem Kopf hören. Immer wieder wiederholte ich ihren Namen, wie mein persönliches Mantra, hoffte, im nächsten Moment spüren zu können, wie sie sich regte.

Doch nichts geschah.

Ich war zwar oft genervt von den Eifersuchtsanfällen meines Shinjuu und seit ich wusste, dass sie Leana beinahe umgebracht hatte, war ich ohnehin nicht mehr allzu gut auf sie zu sprechen, aber in diesem Moment wünschte ich mir kaum etwas mehr als in die fliederfarbenen Augen des Wesens blicken zu können.

rst als es wieder an meiner Tür klopfte, unterbrach ich mich. Im nächsten Moment steckte meine Mutter wieder den Kopf durch die Tür. „Guten Morgen- oh, hast du etwa in deinem Bademantel geschlafen?“

Ich nickte und erklärte es ihr damit, dass ich äußerst müde gewesen war – eine Tatsache, die sie sofort akzeptierte. „Kommst du dann? Es gibt gleich Frühstück.“

„Natürlich~“

Lächelnd verließ sie das Zimmer wieder.

Ich wusste nicht mehr, was ich fühlen oder wem gegenüber das größere schlechte Gewissen empfinden sollte. Meiner Mutter, weil ich mir wünschte, wieder zu Leana zu kommen oder Leana, weil ich mir insgeheim auch wünschte, bei meiner Familie bleiben zu können.

Ich wusste, sie würde sich für mich entscheiden, wenn sie vor dieser Entscheidung stehen würde und eigentlich hatte ich einmal gesagt, dass ich dasselbe tun würde. Aber von einer solchen Situation zu reden und in ihr zu stecken, waren zwei unterschiedliche Paar Schuhe – und das quälte mich mehr als ich zugeben wollte.

Langsam zog ich mir eine der Schuluniformen an, bevor ich zum Frühstücken hinunterging und anschließend mit Nozomu und Nozomi den Schulweg antrat.

„Ich beneide dich, Zetsu“, seufzte der Braunhaarige plötzlich. „Deine Klasse kriegt nie Hausaufgaben.“

Ich muss dazu sagen, dass ich keine Ahnung hatte, warum das so war, doch seit ich hier war, hatte ich noch keinerlei Aufgaben bekommen, die ich zu Hause erledigen musste. Es war ein Traum – besonders weil ich hier nicht von Leana abschreiben konnte, wenn ich mal wieder nichts auf die Reihe bekam

„Ich saß gestern bis spät in die Nacht an meinen Hausaufgaben“, fuhr Nozomu fort, „und musste dann noch Nozomin deswegen anrufen.“

Sie warf ihm einen genervten Blick zu, den ich so noch nie von ihr gesehen hatte, besonders nicht, wenn es um Nozomu ging. Offenbar war ihr der Schlaf wichtiger als Nozomus Probleme mit den Hausaufgaben. Ich wollte nicht wissen, wie ihr Blick aussehen würde, wenn er sie einmal wegen Liebeskummer betreffend Satsuki anrufen würde. Oder Moment – doch, das würde mich interessieren.

Allerdings war die Wahrscheinlichkeit, dass Nozomu einmal jemanden wegen Liebeskummer konsultierte eher gering.

An der gewohnten Ecke trafen wir wieder einmal Satsuki, die verboten gut gelaunt war für diese Uhrzeit. Wie viele Tassen Kaffee sie wohl jeden Morgen trank, um diese Laune aufrecht zu erhalten?

Wie am Tag zuvor wurde ich vor der Schule von Yumiko angefallen. „Guten Morgen, Zetsu-kun! Hoffentlich hast du gut geschlafen, ai~“

Ihre übertriebene Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt, wahrscheinlich fürchtete sie immer noch, dass ich böse sein könnte. Sie ahnte ja gar nicht, dass ich absolut keinen Grund dafür hatte.

Satsuki stieß mir ihren Ellenbogen in die Rippen. „Vergiss nicht, worüber wir gesprochen haben, Akatsuki-kun, ja?“

Damit zog sie kichernd gemeinsam mit den anderen beiden von dannen. Ich unterdrückte mühsam ein genervtes Augenrollen, bevor ich wieder Yumiko ansah.

„Wovon redet Ikaruga?“, fragte sie lächelnd.

Einerseits wunderte es mich, dass sie Satsukis Nachnamen kannte, andererseits... wer kannte sie nicht? Sie war fast schon ein Phänomen.

„Senpai hat Karten für eine Zaubershow in die sie mit Nozomu, Nozomi und mir gehen will. Wir dachten, es wäre eine gute Idee, dich zu fragen, ob du mitgehen willst.“

Yumikos Augen begannen zu leuchten. „Ai! Eine echte Zaubershow, wirklich?“

„Ich nehme an, das bedeutet Ja.“

Sie nickte so heftig, dass ihr braunes Haar umherflog – und hielt so abrupt wieder inne, dass ich die Kopfschmerzen dafür bekam. Misstrauisch sah sie mich an. „Das ist aber kein Date, oder?“

„Hast du mir vorher nicht zugehört? Senpai, Nozomu und Nozomi gehen auch mit. In meinen Augen ist das nicht perfekte Date-Atmosphäre.“

Sie neigte den Kopf, als ob sie ernsthaft über diese Worte nachdenken müsste. Ich fragte mich, wie sehr sie die anderen drei kannte, um einschätzen zu können, ob es die perfekte Atmosphäre war oder nicht. Nach kurzem Nachdenken kam sie zu einem Ergebnis, das mir sagte, dass sie die anderen nicht wirklich gut genug kannte: „Mhm, ich habe keine Ahnung, ai. Aber ich liebe Zaubershows, ich komme auf jeden Fall mit.“

Sie lächelte vergnügt, mein Werk war getan. Wir verabschiedeten uns und liefen in unterschiedliche Richtungen davon.

Ob Satsuki wirklich glaubte, sie könnte so Yumiko und den anderen Zetsu miteinander verkuppeln?

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so einfach gehen würde, aber was wusste ich schon von Beziehungen?

Ich konnte kaum fünf Schritte auf den Schulhof machen, da sah ich mich von den Kerlen von gestern umstellt. Heute waren sie allerdings nicht zu viert, sondern zu sechst. Entweder waren gestern nicht alle dagewesen oder sie vermehrten sich durch Zellteilung – ein Gedanke, der mir äußerst amüsant vorkam. Allerdings sprach ich ihn nicht aus. Nicht aus Angst, sondern weil ich absehen konnte, dass keiner von ihnen, den Witz verstehen würde.

„Morgen, Leute“, begrüßte ich sie gut gelaunt.

Die Gruppe warf sich Blicke zu, einer von ihnen machte eine Handbewegung, die so viel wie Ich hab's dir doch gesagt heißen sollte. Mich amüsierte es ungemein, am liebsten hätte ich die Gruppe den ganzen Tag mit mir rumgeschleppt, damit ich immer etwas zum Lachen gehabt hätte.

„Was gibt’s?“, fragte ich, da keiner Anstalten machte, etwas zu sagen.

Mit raschen Blicken wurde ein Anführer ausgewählt, der schließlich etwas sagte: „Yo, Akatsuki! Hast du heute das Geld dabei?“

Ich seufzte gespielt. „Tut mir Leid, euer Vertrauen in mich enttäuschen zu müssen, Freunde. Ich habe kein Geld, das ich euch leihen könnte.“

„Wer redet denn was von leihen?“, fragte einer von ihnen.

„Dann ist es für eine Spendenaktion? Tut mir Leid, aber ich spende prinzipiell nichts.“

„Willst du uns verarschen!?“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Hatten wir die Frage nicht schon gestern? Ich wiederhole mich nur ungern.“

„Mir doch egal!“, schnauzte der Anführer der Gruppe. „Rück endlich das Geld raus!“

Ich entschuldigte mich salopp, dann quetschte ich mich an der Gruppe vorbei. „Vielleicht solltet ihr zu einer Bank gehen, da wird man euch weiterhelfen.“

Erneut ließ ich die Verwirrten hinter mir zurück, während ich auf das Schulgebäude zuging.

Irgendwie tat es unglaublich gut, diese Kerle auflaufen zu lassen – hoffentlich war das nicht meine letzte Begegnung mit ihnen.
 

Die Tage vergingen, ohne dass ich zu Leana zurückkam. Langsam gliederte ich mich in das neue Leben ein als ob ich es schon immer gelebt hätte, nur von Zeit zu Zeit zeigten sich wieder meine Gedächtnislücken über die allerdings alle hinwegzusehen schienen. Zumindest bekam ich keine seltsamen Blicke mehr zugeworfen.

Natürlich wanderten meine Gedanken immer wieder zu Leana. Ich fragte mich, ob bei ihr Zeit verging und wenn ja, wie. War ich einfach nicht mehr da oder war dieser andere Zetsu bei ihr?

Wenn er nicht bei ihr war, wo war er dann? War er einfach verschwunden?

Ich wusste keine Antwort darauf.

Worauf ich aber eine Antwort fand, war die Frage, was der andere Zetsu an Yumiko fand.

Ich traf sie jeden vor der Schule und an manchen Nachmittagen auch danach, je nachdem wie ihr Stundenplan aussah. Dabei unterhielten wir uns über alle möglichen Dinge, nicht nur über ihr aktuelles Leben, sondern auch die gemeinsame Vergangenheit.

So erfuhr ich auch, wieso meine Familie umgezogen war – der andere Zetsu war der Grund dafür.

Offenbar war er auf der Grundschule oft in Schlägereien verwickelt gewesen. Sie waren alle glimpflich ausgegangen – bis auf eine. Am Ende dieser Schlägerei war der andere Beteiligte offenbar so unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen, dass er ins Koma gefallen war. Er war nach sieben Tagen wieder aufgewacht, behielt aber schwerwiegende Schäden zurück.

Der andere Zetsu war in Therapie gekommen und gemeinsam mit seiner Familie umgezogen, um ganz neu anzufangen. Yumiko war sein einziger Kontakt zu seiner Vergangenheit.

„Nach dieser Therapie warst du ganz anders“, sagte sie. „Davor warst du immer ziemlich gemein, aber mutig. Danach warst du total lieb, aber auch ängstlich. Und jetzt...“

Sie verstummte und sah mich an. Ja, ich war wirklich ganz anders als der andere Zetsu, sie glaubte wohl, er hätte wieder eine Therapie gemacht, ohne ihr etwas davon zu sagen. Immerhin erklärte das, warum sie sich nicht über diese Veränderung wunderte.

Die anderen wunderten sich zwar, hinterfragten sie aber nicht, sondern genossen es. Es war traurig, dass sie den echten Zetsu dieser Welt nicht zu vermissen schienen, aber bei dem, was ich so über ihn erfuhr konnte ich es nachvollziehen. Ich hoffte, er wäre nicht bei Leana gelandet, sonst wäre er auf jeden Fall tot.

Jedenfalls war Yumiko ein nettes und lebenslustiges Mädchen, sie war so... ganz anders als Leana, weswegen es mir immer noch schwerfiel, mir vorzustellen, dass die beiden in einem anderen Leben einmal Freunde gewesen waren.

Mit jedem Mal, dass ich Yumiko sah, freute ich mich mehr darauf, sie wiederzusehen und jedes Mal vergaß ich für die Zeit ihrer Anwesenheit Leana. Das verstärkte mein schlechtes Gewissen, besonders weil ich seit meiner Ankunft nicht nach einem Weg gesucht hatte, wieder zurückzukommen. Nein, ich erwischte mich manchmal sogar bei dem Gedanken, dass es mir äußerst gut gefiel mich im Kreis meiner Familie zu befinden, in einem ganz normalen Leben, ohne Shinken – und mit Yumiko.

Jedes Mal, wenn ich mich dabei ertappte, wuchs mein schlechtes Gewissen gegenüber Leana und für kurze Zeit kehrte die Sehnsucht zurück – bis ich wieder an meine Familie dachte.

Und an Yumiko, die mich lächelnd ansah. „Ich mag dich so wie du jetzt bist, ai. So bist du richtig... cool, weißt du?“

Das Eis in ihrer Cola gab ein leises Geräusch von sich, während es schmolz und sich dabei verschob, das in meinem Eistee war schon lange geschmolzen – aber ich nahm auch immer weniger als sie, die noch Extra-Eis verlangte. Verlegen senkte sie den Blick und nutzte den Strohhalm, um in ihrem Getränk zu rühren.

Inzwischen war es Herbst, die Zaubershow war nur noch wenige Tage entfernt und Yumikos kindliche Vorfreude wuchs immer weiter. Es war süß mitanzusehen, da es einen starken Kontrast zu Leanas Emotionslosigkeit bildete. Bei Leana war es mir immer schwergefallen, etwas an ihrem Gesicht abzulesen, bei Yumiko war es ein Kinderspiel.

Irgendwie erinnerte sie mich an Satsuki, nur eher erträglich – eigentlich genau die richtige Partie für Nozomu, wenn man mich fragte.

Schweigend tranken wir unsere Getränke aus, zahlten und verließen das Café. Es war selten, dass Yumiko keine Worte mehr fand, weswegen ich mir ein wenig Sorgen machten. Allerdings fragte ich sie nicht danach, möglicherweise würde sie das noch verlegener machen als sie ohnehin schon war.

Während ich sie nach Hause begleitete, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir, die mich normalerweise zum Schmunzeln, diesmal aber nur zum Seufzen brachte. „Yo, Akatsuki!“

Widerwillig blieb ich stehen und drehte mich um. Es waren wieder die fünf Kerle aus der Schule, offenbar war ihnen im Moment langweilig. Die letzte Zeit waren sie recht umgänglich gewesen, aber es schien mir, dass sie sich nicht mehr lange von Worten beeindrucken ließen. Warum sie so hartnäckig an mir dran blieben war mir ohnehin ein Rätsel.

„Was ist los? Braucht ihr schon wieder Geld?“

„Werd nicht frech“, drohte einer.

Yumiko klammerte sich an meinen Arm – und sofort wurde die allgemeine Aufmerksamkeit ihr zugewandt. „Ist das deine Schwester, Akatsuki?“

Die Gruppe begann, uns zu umkreisen. Ich spürte Yumikos Anspannung, ich dagegen blieb wie üblich völlig ruhig. Es gab keinen Grund, aufgeregt oder ängstlich zu sein, irgendwie würde ich diese Situation schon überstehen.

Einer versuchte, nach Yumiko zu greifen. Überrascht quietschte sie auf – und wurde von dem schmerzerfüllten Aufschrei ihres Angreifers übertönt.

Ich hielt das Handgelenk des Jungen fest umklammert hinter seinen Rücken gedreht. Die Selbstverteidigungsmaßnahmen hatte ich mir von Leana abgeschaut, sie war wirklich gut darin.

„Alter, du hast mir den Arm gebrochen!“

„Stell dich nicht so an“, erwiderte ich, als ich ihn wieder losließ; ich wusste, dass es schon ein wenig mehr brauchte, um einen gesunden Knochen zu brechen.

Die anderen sahen sich unentschlossen an. Man konnte deutlich sehen, dass keiner von ihnen zu seinen unausgesprochenen Drohungen stehen konnte. Wie ich immer sagte, solche Kerle hören sich gern selbst reden, nur handeln konnten sie nicht. Das wurde mir auch dadurch bestätigt, dass die Gruppe urplötzlich herumfuhr und in eine andere Richtung davonstob.

Ich wandte mich wieder an Yumiko. „Alles in Ordnung?“

Sie nickte zögernd. Es fiel mir schwer, ihren Blick zu analysieren, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Es schien eine Mischung aus Ehrfurcht, Angst und Bewunderung zu sein, bei dem sie sich selbst nicht entscheiden konnte, welches dieser Gefühle nun überwiegen sollte.

„Du siehst blass aus“, bemerkte ich. „Soll ich dich nach Hause bringen?“

Sie nickte noch einmal, diesmal ein bisschen heftiger. Ihr Schweigen, während wir nebeneinander herliefen, stimmte mich nachdenklich. Es war nicht dieses wohlige, freundliche Schweigen, sondern das Unangenehme, wenn man gerne etwas sagen würde, aber nicht wusste, was.

Vor dem Haus, in dem sich die Wohnung ihrer Eltern befand, verabschiedete sie sich kurzangebunden von mir, ehe sie hineinhuschte. Es kam mir vor wie eine Flucht, aber keine, die aus Angst angetreten wurde. Ja, wenn man so viel erlebt hatte, wie ich, konnte man sogar verschiedene Fluchtverhalten identifizieren, klasse, oder?

Na ja, so richtig großartig war das nicht, denn eigentlich kam es nur darauf an, Bewegungen richtig zu beobachten. Wer Angst hatte schritt weiter aus als gewöhnlich, was die Bewegungen unnatürlich erscheinen ließ und neigte dazu, sich umzusehen, während er flüchtete.

Wer aufgrund eines emotionalen Umstandes floh, bewegte sich so wie eh und je und sah sich natürlich nicht um – warum auch? Immerhin versuchte er nur, vor seinen eigenen Gefühlen zu fliehen, was natürlich ein aussichtsloses Unterfangen war.

Sie spürte also keine Angst mir gegenüber... fragte sich nur, weswegen sie dann weggelaufen war.

Schulterzuckend lief ich in Richtung meines Zuhauses. Ich war müde und wollte nur noch ins Bett – innerlich hoffte ich immer noch, dass ich am nächsten Morgen bei Leana aufwachen würde.
 

Der Tag der Zaubershow kam in raschen Schritten näher und schließlich stand ich gemeinsam mit Yumiko wartend in einer Einkaufspassage. Inzwischen war es tiefster Herbst, Anfang November, die schneidend kalte Abendluft gab einen Vorgeschmack auf das, was uns im Winter erwarten würde.

Richtig dabeisein wollte ich allerdings nicht. Lieber würde ich wieder mit Leana Schlittschuh laufen gehen – dafür musste ich aber irgendwie wieder zurückkommen.

Yumiko stand schweigend neben mir, die Hände tief in den Taschen vergraben, der um ihren Hals geschlungene Schal verdeckte auch ihren Mund, die perfekte Ausrede, um nichts sagen zu müssen.

Seit diesem Vorfall hatte sie sich mir gegenüber verändert. Sie redete nur noch das Nötigste, manchmal sah ich sie gar nicht, es schien mir als würde sie mir aus dem Weg gehen. Ich könnte sogar schwören, dass sie einmal rot geworden war, als ich sie zufällig getroffen hatte.

Angst war es also nicht, die sie empfand. Offenbar hatte ihr dieser Auftritt so imponiert, dass sie sich in mich verknallt hatte. Der andere Zetsu würde mit Sicherheit vor Freude in Ohnmacht fallen, mich dagegen interessierte es nicht weiter. Yumiko war ein nettes und liebenswürdiges Mädchen, aber mein Herz war nur von einer Person erfüllt – und ich wusste genau, dass das immer so sein würde, egal wieviel Zeit ich hier verbrachte.

Yumiko warf mir einen nervösen Seitenblick zu. Ich reagierte nicht, hauptsächlich weil ich in dem Moment Nozomu und Nozomi bemerkte, die auf uns zukamen. Als die beiden bei uns standen, fand Yumiko endlich ihre Sprache wieder: „Setoki-kun~, Nagamine-chan~, guten Abend~“

„Guten Abend, Arakawa-san“, grüßten beide eher höflich zurück.

Bevor noch etwas gesagt werden konnte, erschien auch Satsuki auf dem Plan. „Guten Abend alle miteinander~ Na, seid ihr schon aufgeregt?“

Yumiko klatschte begeistert in die Hände. „Oh ja! Ai!“

Die Reaktion von uns anderen war schon wesentlich zurückhaltender. Da Satsuki das aber offenbar von uns gewöhnt war, ging sie nicht weiter darauf ein. „Gut, dann wollen wir los. Nicht, dass die Show ohne uns anfängt, nicht?“

Lächelnd lief sie voraus, wir folgten ihr wie Schulkinder jeweils zu zweit. Allerdings lief ich nicht neben Yumiko, sondern neben Nozomu. Das Mädchen lief gemeinsam mit Nozomi vor uns her.

Der Braunhaarige warf mir einen fragenden Blick zu. „Habt ihr euch gestritten?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß auch nicht, was los ist.“

Natürlich bemerkte er nicht, dass ich log. Ich hatte einem anderen Nozomu einmal monatelang Freundschaft vorgegaukelt ohne dass ihm etwas aufgefallen war. Es wäre beschämend gewesen, wäre es dieses Mal anders verlaufen.

Nozomu gab sich mit dieser Antwort zufrieden und schwieg auf dem weiteren Weg.

Ich erinnerte mich an die einzige und letzte Zaubershow, die ich je gesehen hatte. Sie war in der Welt von Sospita aufgeführt worden, von einem seltsamen Magier, der mich verschwinden ließ und später eine Art Illusion erstellte, die mich und Leana voneinander trennte. Es war ein Test gewesen, um unsere Liebe zu prüfen. Warum er das aber getan hatte, das hatte er uns nie verraten.

Satsuki führte uns zu einer großen Halle an die ich mich gut erinnerte. Eigentlich war es eine Konzerthalle, aber von Zeit zu Zeit wurde sie auch für andere Ereignisse genutzt. Dies war eines davon. Der riesige Andrang verriet, dass der Zauberer wohl beliebt sein musste. Da fiel mir auf, dass ich keine Ahnung hatte, wer da eigentlich auftreten würde.

David Copperfield?

Siegfried und Roy?

Uri Geller? ... War das überhaupt ein Zauberer?

Anhand eines Werbeplakats erfuhr ich schließlich den Namen: Fuu.

Es war schlicht und einfach, das war mir sofort sympathisch.

Durch einige Mädchen, die ebenfalls zur Halle strebten, erfuhr ich noch etwas anderes: Offenbar war Fuu mega-süß und soooo charmant.

Mir schien, dass die meisten seine Show wohl nicht wegen der Tricks, sondern wegen dem Magier selbst besuchten. Ob ihm das wohl gefiel? Oder ob es ihm egal war, solange er ein volles Haus hatte? Wahrscheinlich eher letzteres.

Als wir in der Schlange standen, fiel mein Blick auf ein anderes Plakat. Man kennt sicherlich das Bild, wie jemand aus Überraschung sein Getränk wieder ausprustete – hätte ich in diesem Moment etwas getrunken, wäre es mir wohl genauso ergangen.

Der blonde Mann auf dem Plakat war eindeutig der Magier, dem wir in Sospitas Welt begegnet waren. War er auch ein Teil dieser seltsamen Welt oder kam er genau wie ich von woanders?

Vielleicht könnte er mir sogar helfen!

Ich musste unbedingt einen Weg finden, mit ihm zu sprechen, irgendwie.

Diese neue Entdeckung ließ mich zappelig werden. Ich wippte auf meinen Füßen vor und zurück, bis ich von Nozomi gebeten wurde, das nicht mehr zu tun. Offenbar machte ich sie nervös.

Ich folgte ihrem Wunsch, wenngleich auch nur, um mich vor ihrem drohenden Blick zu schützen

Eine gefühlte Ewigkeit später saßen wir auf unseren Plätzen. Die stickige Luft half mir nicht gerade beim Entspannen, genauso wenig wie die unzähligen plaudernden Besucher, deren Stimmen in meinem Ohr zu einem einzigen Rauschen verschwammen.

Mein Blick war auf die Bühne gerichtet, die Techniker spielten mit den verschiedenen Lichteinstellungen. Es war hübsch mitanzusehen, ironischerweise wechselten die Lichter von weiß zu blau, grün, violett und rot. Die verschiedenen Farben des Mana.

Ich wusste genau, es war Schicksal, dass ich an diesem Tag bei Fuus Zaubershow war und diese Lichter bestätigten mir es noch einmal. Fragte sich nur, wie ich nach der Show in seine Kabine kommen sollte. Hier gab es wohl kaum Backstage-Pässe.

Yumiko schien sich gut mit den beiden Mädchen, hauptsächlich Satsuki, zu verstehen, was mich äußerst freute – ich hätte sonst ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich mich so gar nicht um sie kümmerte. Es tat mir ja Leid, aber der Gedanke, möglicherweise einen Weg zurück gefunden zu haben, überwog in diesem Moment einfach alles andere.

Ohne Vorwarnung gab es plötzlich einen lauten Knall auf der Bühne, Rauch bildete sich. Erschrockene Schreie erklangen.

Was da wohl kaputtgegangen war?

Doch schon nach wenigen Sekunden wandelten sich die erschrockenen Schreie in begeisterte Ausrufe, als aus dem Qualm der lang erwartete Magier trat. Das blonde Haar, das unter seinem Zylinder hervorstand, war so stark mit Glitzer bestäubt, dass es das Licht tausendfach zurückwarf.

Das Publikum brach in wahre Begeisterungsstürme aus, er schien mir geradezu wie ein Popstar verehrt zu werden, wenn nicht sogar noch mehr.

Zumindest für die Vorstellung stellte ich meine Gedanken ab, um die Show zu genießen solange sie anhielt.
 

Zwei Stunden voller Feuerwerke und aufregenden Tricks später war alles wieder vorbei. Als das Licht wieder anging, fühlte es sich an, als ob man aus einem effektreichen Traum aufwachen würde.

Ich schloss mich den stehenden Ovationen nicht an, sondern kämpfte mich durch die vollbesetzten Reihen zum Ausgang, um einen Weg in Fuus Kabine zu finden.

Die Beschwerden über mein rücksichtsloses Verhalten ignorierend, stand ich schließlich wieder draußen, wo ich bemerkte, dass ich nicht allein war. „Was tust du hier?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen, ai~ Ich dachte schon, du wolltest einfach abhauen.“

Es wunderte mich ein wenig, dass sie plötzlich wieder so ungezwungen mit mir redete, ich ging aber nicht näher darauf ein. „Nein, ich versuche nur...“

Hastig sah ich mich um, aber die Security schien mit anderen Dingen beschäftigt zu sein und uns nicht zu beachten. Dennoch näherte ich mich ihr ein wenig, um nicht zu laut sprechen zu müssen: „Ich versuche in Fuus Kabine zu kommen.“

„Das klingt aufregend, ai~ Ich komme mit!“

Mir stand nicht der Sinn nach Diskussionen, außerdem könnte sie ein äußerst gutes Ablenkungsmanöver sein, wenn ich eines brauchen würde. Gemein, ich weiß, aber mein Ziel war glasklar. „Gut, dann komm. Aber sei vorsichtig.“

Sie nickte heftig. Gemeinsam liefen wir in die Richtung, in der Zutritt verboten stand. Das war immer ein äußerst gutes Ziel, wenn man etwas Verbotenes tun wollte.

Schon auf den ersten Blick wurde klar, warum die anderen Gänge außerhalb der Eingangshalle nicht für Besucher zugänglich waren: Während die Halle blitzblank poliert und nobel eingerichtet war, war der Gang jenseits davon trist und trostlos. Die Backsteinwände waren notdürftig geweißt worden, Poster waren an den Wänden angebracht, überall lag Papiermüll herum, obwohl die Tonne kaum zu übersehen war.

„Es ist ziemlich kühl hier, nicht?“, flüsterte Yumiko.

„Hier wird eben nicht geheizt“, kam meine pragmatische Antwort. „Wäre ja auch unsinnig.“

Sie nickte nur und folgte mir, während ich weiterlief.

Der Gang war das reinste Labyrinth, aber glücklicherweise fanden wir einige Ecken später eine Karte, auf der die Notausgänge markiert waren. Wir waren nicht mehr weit von der Künstlerkabine entfernt, wenn ich das richtig sah.

Wir liefen weiter – als wir plötzlich das Echo anderer Schritte hörten. Erschrocken sahen wir uns an.

Aufgrund des Echos konnten wir nicht hören, von woher die Personen kamen und in welche Richtung die Flucht sicher war.

Aber eine unbeschriftete Tür neben uns war die Rettung. Hastig betraten wir den Raum, es war eine kleine, vollgepackte Kostümkammer. Warum gab es so eine eigentlich in jeder künstlerischen Einrichtung?

Wir stellten uns dort in einen leeren Schrank, wo wir eng aneinandergedrückt ausharrten, während die Schritte näherkamen. Ich konzentrierte mich völlig auf die Umgebung und achtete derweil nicht auf Yumiko.

Vor der Tür verharrten die Schritte, ein Lachen war zu hören, offenbar war gerade ein Witz erzählt worden. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie nicht reinkommen und schon gar nicht in den Schrank sehen würden. Die Tür wurde geöffnet, jemand kam herein und nestelte an den Kostümen herum, ehe er lachend wieder hinauszugehen schien. Jedenfalls wurde die Tür wieder geschlossen und die Schritte entfernten sich.

Ich wartete noch eine Weile, bevor ich erleichtert ausatmete. „Das war's.“

Mein Blick fiel wieder auf Yumiko, die verlegen den Blick abwandte.

„Alles in Ordnung?“

Sie schien nicken zu wollen, besann sich plötzlich aber anders. „Zetsu-kun~“

Ehe ich mich versah, spürte ich plötzlich ihre Lippen auf meinen. Überrascht konnte ich nicht anders, als sie nur anzusehen, ihre Augen dagegen waren geschlossen. Hatte sie sich darum so seltsam verhalten in letzter Zeit?

In meinem Inneren ging alles drunter und drüber. Obwohl ich den Kuss nicht erwiderte, kam es mir in diesem Moment so vor, als würde ich Leana betrügen, aber ich brachte es auch nicht über mich, Yumiko wegzustoßen oder den Kuss zu unterbrechen. Der andere Zetsu würde bestimmt alles tun, um diesen Moment erleben zu können, warum musste ich dann an seiner Stelle sein?

Als sie sich schließlich wieder von mir löste, sah sie wieder verlegen woandershin. „Tut mir Leid~“

„Schon gut“, erwiderte ich.

Ich öffnete den Schrank und trat wieder hinaus. Betreten folgte sie mir. „Du bist doch böse auf mich, oder?“

„Warum sollte ich?“, fragte ich überrascht.

„Na ja, weil ich ja gesagt habe, dass ich nicht mehr für dich empfinde und jetzt... Ai~“

Sie senkte den Blick. Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass sie mitgekommen war – nicht wegen diesem Kuss, sondern weil ich sie gleich darüber aufklären könnte, wer ich war. Langsam wurde es wirklich Zeit.

„Es gibt da etwas, was du wissen musst.“

Fragend sah sie mich wieder an. „Und was?“

„Komm weiter, ich erkläre es dir bei Fuu.“

Wir verließen die Kostümkammer und liefen weiter. Dank des Plans wusste ich ja inzwischen, wo wir langgehen mussten.

Die Tür zur Künstlerkabine war sogar mit Artist beschriftet. Mir fehlte allerdings der klischeebehaftete Stern, der in Filmen immer auf solchen Türen zu sehen war. So wirkte das Metall doch äußerst schmucklos.

Gerade als ich anklopfen wollte, erklang eine Stimme aus dem Raum, die uns hereinbat.

Erschrocken klammerte Yumiko sich an meinen Arm. „Ai! Woher wusste er, dass wir hier sind!? Ob es hier eine versteckte Kamera gibt?“

In dieser Welt galt er wohl als Illusionist, der nur aufgrund von Spiegeln und doppelten Böden seine Tricks meistern konnte, doch ich war davon überzeugt, dass er wahrlich und wahrhaftig Magie wirken konnte. Normalerweise konnte ich das immerhin auch im gewissem Maße, daher war ich mir dessen so sicher.

Allerdings war mir das zu kompliziert, ihr das zu erklären, deswegen öffnete ich schweigend die Tür. Die Künstlerkabine war recht schmal, lediglich ein Schrank, ein Spiegel und ein Sofa standen darin. Fuu saß auf einem Stuhl vor dem Spiegel und sah uns sanft lächelnd entgegen.

Yumiko schloss die Tür hinter uns. Aufgeregt und sprachlos blickte sie schließlich dem Magier entgegen. Wenigstens würde sie mir so nicht dazwischenreden.

„Ich habe auf dich gewartet, Gyouten no Zetsu.“

Was ich in diesem Moment empfand wusste ich selbst nicht genau. Erleichterung durchströmte mich, dass ich endlich wusste, dass die Sache mit Leana nicht nur ein Traum war, andererseits spürte ich aber auch Traurigkeit darüber, dass ich dieses Leben nicht weiter leben könnte.

Yumiko sah mich fragend an, war aber immer noch sprachlos.

„Du wusstest, dass ich herkommen würde?“, fragte ich.

Fuu nickte lächelnd. „Ich konnte spüren, dass jemand, der nicht in diese Welt gehört, in meinem Publikum sitzt – der Rest war kein Problem mehr.“

„Wie kommst du überhaupt hierher?“

Vielsagend schweigend ließ er Karten und Konfetti aus seinem Ärmel regnen. Was mir das sagen sollte, wusste ich auch ohne Worte: It's magic.

„Gut, kannst du mir dann sagen, wie ich hierher gekommen bin? Oder was das hier für eine Welt ist?“

„Ich kann dir nicht sagen, wie du hierher gekommen bist“, antwortete er. „Das ist selbst mir ein Rätsel. Aber auf deine zweite Frage kann ich dir eine Antwort geben.“

Erwartungsvoll sah ich ihn an, in meinem Rücken spürte ich Yumikos verständnislosen Blick.

„Jedes Leben ist das Ergebnis mehrerer Scheidewege. Oft fragen sich die Menschen Was wäre gewesen, wenn, aber es bleibt immer bei dieser Frage. Was keiner weiß, aber viele ahnen, ist, dass es für jede Entscheidung eine Parallelwelt gibt, die außerhalb jeder menschlichen Wahrnehmung existiert.“

Nachdenklich zog ich meine Stirn kraus. Ich war in einer Paralellwelt gelandet, in der es keine Shinkenträger gab, sondern sie nur in Form eines Videospiels existierten? Das musste einfach wahr sein, selbst für einen Traum war das zu seltsam.

„Für mich als Magier ist es kein Problem, diese Grenzen zu überwinden, aber für dich dürfte es selbst als Eternal eigentlich unmöglich sein.“

Er hatte also wirklich absolut keine Ahnung. Schade, mich interessierte es nämlich wirklich.

„Kannst du mich wieder zurückbringen?“

Er schwieg wieder, sein Lächeln war erloschen. Ungewohnt ernst sah er mich an. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er mich jemals zuvor so angesehen hatte, auch wenn wir uns bislang nur zweimal begegnet waren. Jedenfalls gab mir das kein gutes Gefühl.

„Ich könnte“, antwortete er schließlich.

Mir fiel ein Stein vom Herzen – doch warum verhielt er sich dann so seltsam?

„Aber willst du das überhaupt?“, fragte er.

Ich musste gar nicht erst nachdenken. „Natürlich! Ich muss zurück, so schnell wie möglich!“

„Du musst? Das bedeutet nicht, dass du es willst.“

Musste er jetzt wirklich Spielchen mit mir spielen? Ich hatte noch etwas anderes vor!

„Ich will es, okay!? Und jetzt beeil dich!“

Nach kurzem Zögern fügte ich noch ein „Bitte“ hinzu.

Unverändert sah er mich weiter an. Yumikos Verwirrung war geradezu spürbar.

Je länger er mich anschwieg desto mehr trat wieder meine Familie in den Vordergrund. Ich dachte an all die Mahlzeiten, die wir gemeinsam eingenommen hatten und ich dachte an meine Freunde, die im Moment wohl in der Eingangshalle standen und auf uns warteten.

Ja, ich zweifelte wirklich. Ich liebte Leana, aber ich liebte auch meine Familie und dies war die zweite Chance, ein normales Leben zu führen, das ich zuvor nie gehabt hatte.

„Dachte ich es mir doch“, sagte Fuu.

Die Befriedigung in seiner Stimme bildete ich mir hoffentlich nur ein.

„Und was jetzt?“, fragte ich. „Werde ich jetzt hier bleiben?“

„Es liegt an dir“, antwortete der Magier. „Sobald du dir sicher bist, was du willst, werde ich dir helfen. Bis dahin allerdings...“

Er ließ den Satz offen, aber ich wusste auch so, worauf er hinauswollte. Bis dahin würde ich hierbleiben müssen. Allerdings konnte ich nicht sagen, dass es mich störte.

„Ihr solltet wieder gehen“, sagte Fuu. „Es wird spät.“

„Einen Moment noch~ Wenn ich mir sicher bin, wie erreiche ich dich dann?“

Fuu setzte wieder sein vielsagendes Lächeln auf, einige Mädchen wären bei diesem Anblick mit Sicherheit kreischend in Ohnmacht gefallen, ich dagegen hätte es ihm am Liebsten aus dem Gesicht gewischt.

„Wenn es soweit ist, werde ich dich aufsuchen. Keine Sorge, ich werde dich finden.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen“, bemerkte ich.

Die letzten Male hatte es auch wunderbar funktioniert.

Grußlos fuhr ich herum und verließ die Kabine wieder. Yumiko folgte mir hastig. Sie zupfte mir am Ärmel. „Zetsu-kun, das habe ich nicht ganz verstanden, ai~ Worüber habt ihr gesprochen?“

Ich seufzte leise, bevor ich ihr alles so einfach wie möglich zu erklären begann. Ich sparte mir die Sache mit den Shinken und erzählte ihr nur von meiner eigentlichen Vergangenheit und wo ich sein müsste, wenn ich nicht hier wäre. Ich erzählte ihr von Nanashi, Isolde – die ich beide als Schutzgeister bezeichnete – und auch von Leana.

Es tat gut, mir das alles endlich von der Seele zu sprechen, egal, ob mich jemand für verrückt halten würde oder nicht. Aber bei ihr hatte ich das Gefühl, dass sie das nicht tun würde.

Yumiko lausche mir konzentriert, ohne mich dabei zu unterbrechen. Als ich auf Leana zu sprechen kam, wurde ihr Blick dunkel und traurig.

„Dann bist du wirklich nicht mein Zetsu-kun“, stellte sie schließlich betrübt fest. „Ein solcher Wandel über Nacht wäre wohl auch kaum möglich gewesen, ai~“

Es war schmerzhaft, mitanzusehen, wie ihre Welt vor meinen Augen zerbrach. Ich wollte mich entschuldigen, aber ein kleiner Teil in meinem Inneren – auch bekannt als Stolz – sagte mir, dass das nicht nötig wäre, immerhin wäre das alles nicht mein Fehler gewesen.

„Du glaubst mir also?“, fragte ich hoffnungsvoll.

Lächelnd nickte sie mir zu. „Aber natürlich. Warum solltest du mich anlügen? Und nicht einmal mein Zetsu-kun hatte eine solch lebhafte Fantasie.“

Ich atmete erleichtert auf, ehe sie mich etwas fragte: „Und was wirst du jetzt tun?“

„Nun, ich werde wohl schauen müssen, wie ich mir sicher sein kann, was ich will.“

„Was denkst du, wie das Ergebnis aussehen wird?“

Ich zögerte wieder. Der Gedanke, hier bleiben zu können war verlockend, aber wieder zu Leana zurückzukommen wäre ein Traum.

Yumiko zog ihre eigenen Schlüsse daraus. „Wenn du... wieder weg bist, wird dann mein Zetsu-kun zurückkommen?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Vielleicht. Ich weiß ja nicht einmal, wo er im Moment ist.“

Ein leidenschaftliches Glühen erschien plötzlich in ihren Augen. „Wenn mein Zetsu-kun wieder da ist, werde ich ihn darauf trainieren, so zu sein wie du!“

„Denkst du, dass das eine gute Idee ist?“, fragte ich.

Sie nickte heftig. „Er ist wirklich lieb, aber auch sehr unsicher. Er muss ohnehin lernen, mehr ein bisschen mehr wie du zu werden, sonst wird er irgendwann vom Leben zerquetscht.“

Zur Demonstration klatschte sie in die Hände, als würde sie eine Fliege töten. Ein Schmunzeln konnte ich mir dabei nicht verkneifen. „Dann wird er wohl bei dir in guten Händen sein.“

Sie nickte mir lächelnd zu. Der Schmerz schien bereits vergessen zu sein, was mich sehr freute. Es war einfach falsch, sie traurig zu sehen.

„Aber auch wenn du bleibst“, fuhr sie fort, „du wirst nicht allein sein. Setoki, Nagamine, Ikaruga und ich werden immer für dich da sein, ganz sicher.“

Ihre Worte stürzten mich wieder in Verwirrung. Ich war mir zwar sicher gewesen, dass keiner mich einfach so hängen lassen würde, aber es von ihr bestätigt zu bekommen war überwältigend. Wenngleich es auch nicht ein so wundervolles Gefühl auslöste wie bei Leana. Doch es reichte, um mich weiter unsicher sein zu lassen.

Wir öffneten die letzte Tür und traten wieder in die Eingangshalle.

Ich freute mich bereits darauf, wieder nach Hause zu kommen. Nach diesem Tag sehnte ich mich nach meinem Bett und sehr viel Schlaf.
 

Die Wochen vergingen und ich wurde mir keineswegs sicherer, was meine Gefühle angingen.

Meine Familie freute sich deutlich darüber, dass ich so viel Zeit mit ihnen verbrachte und sogar Brettspiele mit ihnen spielte. Der andere Zetsu hatte das offenbar seit einigen Jahren nicht mehr getan.

Yumiko hielt ein wenig Abstand zu mir, gab mir aber deutliche Zeichen, die mich verstehen ließen, dass es ihr gleich war, wie ich mich entschied, sie würde sich über jede Entscheidung freuen.

Dafür verbrachte ich mehr Zeit mit Nozomu und damit gezwungenermaßen auch mit Nozomi und Satsuki. Ich bekam das Gefühl, dass wir immer näher an eine Clique herankamen und ich fühlte mich außerordentlich wohl damit.

Langsam wurde ich mir immer sicherer, dass ich in dieser Welt bleiben wollte. Je ferner die Zeit mit Leana fortrückte desto mehr kam sie mir wie ein Traum vor, an den ich mich zwar lächelnd zurückerinnern, aber nie wieder ein Teil davon sein konnte. Es machte mich traurig, aber wann immer meine Laune auf einen Tiefpunkt kam, wurde ich von jemandem aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis abgelenkt. Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass ich glücklich war.

Es wurde Dezember und genau wie alle anderen freute ich mich auf Weihnachten. Es würde das erste Mal sein, dass ich mit meiner Familie feiern würde.

Doch das Ereignis, das alles wieder ändern würde, trat neun Tage vor dem Fest ein.

Ausnahmsweise legten wir den Weg nach Hause zu fünft zurück. Yumiko hatte sich uns überraschend angeschlossen. Ich vermutete zwar, dass sie dafür eine Schulstunde schwänzte, aber ihrem lächelnden „Ai!“ konnte man einfach nicht widersprechen und so kümmerte es keinen von uns, dass sie dabei war. Wobei es Satsuki wahrscheinlich auch nicht gestört hätte, wenn Yumiko uns entführt hätte, Senpai mochte das Mädchen immerhin sehr; man konnte die beiden getrost als beste Freundinnen sehen.

Plötzlich zupfte Yumiko an meinem Ärmel. „Zetsu-kun, sieh mal!“

Lächelnd deutete sie in eine bestimmte Richtung. Ich brauchte nicht lange, um zu erkennen, was sie von mir wollte: Mitten auf dem Platz war eine große Eisbahn aufgebaut, auf der sich bereits allerlei Menschen tummelten. Offenbar hatten auch manche Schulklassen ihre Ausflugsziele dorthin verlegt.

Meine gute Laune verschwand schlagartig.

Ich hatte nichts gegen das Eislaufen, genauer gesagt machte ich es äußerst gerne, aber es erinnerte mich an Leana. Sofort dachte ich wieder daran, wie wir gemeinsam Eislaufen waren. Es war Teil meines Weihnachtsgeschenks für sie gewesen, obwohl sie zuerst nicht sonderlich begeistert gewesen war...
 

„Was ist das?“, fragte Leana verwirrt, als sie die Schlittschuhbahn und die Leute darauf sah.

„Bist du noch nie Schlittschuh gelaufen?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage.

Verwirrt sah sie mich an und wiederholte das fremde Wort verunsichert.

Zur Demonstration öffnete ich die Schachtel, die ich bislang mit mir getragen hatte. Sie musterte die Schlittschuhe ratlos, ich deutete auf die Kufen. „Damit kann man über das Eis gleiten.“

Sie nickte verstehend, so wie sie es immer tat, wenn ich ihr etwas erklärte, das für andere vollkommen normal war. „Aha... und? Was ist der Sinn der Sache?“

Ich hatte bereits geahnt, dass sie mit dieser Frage kommen würden, weswegen ich sofort meine bereit gelegte Erklärung aufsagte: „Spaß zu haben. Es sieht vielleicht auf den ersten Blick nicht so aus, aber es macht wirklich Spaß.“

„Und du willst jetzt, dass ich mir diese Dinger anziehe?“

Die fehlende Begeisterung, fast schon Ablehnung, in ihren Worten und Gesten, nahm mir meine Euphorie nicht. Ich kannte dieses Verhalten, weswegen es mich nicht mehr beeindruckte. Ich nickte zustimmend, was sie zum Seufzen veranlasste.

„Ich kann dir einfach keinen Wunsch abschlagen.“

Sie nahm mir die Schachtel ab und setzte sich auf eine der Bänke, die vor der Eisbahn standen. Ich setzte mich neben sie, um mir ebenfalls Schlittschuhe anzuziehen. „Du wirst es nicht bereuen.“

Als Leana die Schuhe anhatte, stand sie auf, fiel aber gleich wieder auf die Bank zurück.

„Alles okay?“, fragte ich besorgt.

„Wie soll man darauf stehen?“, entgegnete sie ohne zu antworten.

Sie wirkte immer noch ein wenig unwillig, aber ich lachte dennoch. „Umständlich. Du musst deine Füße ein wenig umknicken dafür.“

Zur Demonstration stand ich auf, die Fußgelenke ein wenig geknickt, so dass ich nicht direkt auf der Spitze stand.

„Das sieht lächerlich aus“, kommentierte sie und sprach damit meine Gedanken aus.

„Nur bis du auf dem Eis stehst“, erwiderte ich sicher, statt ihr zu sagen, dass ich dasselbe gedacht hatte.

Leana versuchte es nochmal und hielt sich dabei an mir fest.

Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis sie schließlich selbst stand, dennoch ließ sie mich nicht los. Offenbar fürchtete sie immer noch, dass sie gleich wieder umfallen würde.

„Dann werden jetzt langsam zur Bahn rübergehen, in Ordnung?“

Kaum hatte sie zugestimmt, bahnte ich mich mit den Weg zur Eisbahn. Nach all der Zeit war es gar nicht so einfach, auf Schlittschuhen zu laufen – ich hoffte nur, dass es auf dem Eis besser sein würde.

Kaum waren beide auf der Bahn, rutschte Leana aus und fiel hin.

„Auuuuu~ Das war mein Po~“, jammerte sie, was ziemlich süß war, weil sie normalerweise nicht jammerte.

Mit einem leisen Lachen half ich ihr wieder hoch. „So ging es mir am Anfang auch.“

Sie hielt sich wieder an mir fest. Selbst auf meine Ermutigungen antwortete sie mit Zweifeln. Es nahm einiges an Zeit und sanftes Drängen von meiner Seite in Anspruch, ehe sie schließlich wieder nachgab. „Na gut. Ich werde es versuchen. Aber du lässt mich nicht los, ja? Nochmal möchte ich nicht hinfallen.“

Ich versprach ihr, sie festzuhalten, worauf sie es noch einmal versuchen wollte – als ihr etwas einfiel: „Uhm... wie geht das eigentlich?“

Ich konnte nicht anders als leise zu lachen. Kaum hatte ich erklärt, wie sie es am besten tun sollte, deutete ich auf die anderen Läufer, damit sie diese beobachten würde. Wie erwartet gelang es ihr schnell, sich die Fähigkeiten anzueignen, auch wenn es mit einigen Schwierigkeiten verbunden und so verbrachten wir einen wundervollen Tag zusammen, der mit Lachen angefüllt war und ein gutes Gefühl in meinem Inneren zurückließ.
 

Als ich diese Erinnerung vor meinem inneren Auge sah, konnte ich geradezu spüren, wie meine Laune unter den Nullpunkt sank, das schlechte Gewissen nagte an mir. Wie hatte ich nur so einfach aufgeben können? Ich konnte nicht einfach hier bleiben, ich musste weiterkämpfen, wenn es sein musste, ich musste zurück zu ihr!

Yumikos Stimme riss mich wieder aus meinen Gedanken. „Wollen wir auch aufs Eis?“

Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass sie mit mir sprach. Als ich es erkannte, schüttelte ich den Kopf. Ich setzte mein erzwungenes Lächeln auf. „Ich... hab heute keine Lust, tut mir Leid. Aber lasst euch von mir nicht aufhalten, ich werde direkt nach Hause gehen.“

„Bist du sicher?“, fragte Nozomu.

„Ja, keine Sorge.“

ch wollte mich abwenden und weggehen, aber Yumiko hielt mich immer noch fest. Ich konnte ihr nicht in die traurigen Augen sehen, weswegen ich den Blick ein wenig senkte. „Du kannst mich loslassen, ich verschwinde schon nicht.“

Es war deutlich, dass sie mir nicht glaubte, ich war mir ja selbst nicht so sicher. Doch schließlich ließ sie mich wieder los und wandte sich ab, um mit Satsuki und Nozomi zur Eisbahn vorauszugehen.

Nozomu und ich blieben allein zurück. Sein ernster Blick jagte mir Schauer über den Rücken, ich glaubte, er könne bis auf den Grund meiner Seele sehen.

„Was ist los?“, fragte ich.

Zetsu... du wirst weggehen, oder?“

Ertappt zuckte ich zusammen. „Wie kommst du denn darauf? Das ist doch lächerlich.“

Natürlich ließ er sich nicht irritieren. „Ich habe das so im Gefühl. Wenn es nicht so verrückt wäre, würde ich sagen, dass du auch von irgendwo hergekommen bist.“

Wenn er wüsste, wie recht er damit hatte. Ich schwieg allerdings, statt etwas dazu zu sagen. Es war allerdings auch nicht notwendig, denn er sprach weiter: „Und jetzt habe ich im Gefühl, dass es dich wieder fortzieht. Wohin auch immer. Ich weiß, es ist lächerlich.“

Er verzog die Mundwinkel, um ein Lachen anzudeuten.

„Ja, lächerlich...“

Ich wusste nicht, was ich sonst dazu sagen konnte. Nozomu wusste mit Sicherheit mehr als ich ihm bislang gesagt hatte und das nur weil seine Gefühle ihm das verrieten. Wir waren eben nicht umsonst beste Freunde.

„Bis morgen dann.“

Er lächelte mir zu und folgte dann den Mädchen, ehe ich etwas sagen konnte. Bestimmt wusste er, was ich gesagt hätte, wenn ich dazu gekommen wäre und es hätte ihm nicht gefallen.

Während ich nach Hause lief, wuchs die Sehnsucht mit jedem Schritt. Ich wünschte mir, Leana wieder in die Arme schließen zu können, für sie war ich bereit, alles andere aufzugeben, genau wie sie es für mich tun würde.

Bei meiner Familie angekommen, wurde ich wieder einmal stürmisch von meiner Tante empfangen. „Mein Lieblingsneffe! Du kommst heute ziemlich früh! Was ist mit deinen Freunden?“

„Die sind Eislaufen“, antwortete ich. „Ich wollte aber lieber bei euch sein.“

„Owww~ wie lieb.“

Wir gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo die anderen bereits saßen. Ich setzte mich zu ihnen, entschlossen, meinen letzten Abend mit ihnen zu verbringen.
 

Wie an meinem ersten Tag saßen wir nach dem Abendessen mehrere Stunden beisammen, bis ich schließlich ermahnt wurde, ins Bett zu gehen. Ich verabschiedete mich von jedem mit einer Umarmung, was zu einigen verwirrten Blicken führte.

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es heute Nacht funktionieren würde, dass ich endlich wieder zu Leana kommen könnte, dort, wo auch mein Herz wohnt.

Ich würde die anderen vermissen, insbesondere meine Familie und auch Nozomu und Yumiko, aber nichts davon war mit dem Schmerz zu vergleichen, den ich empfand, wenn ich hier an Leana dachte.

Ich war viel zu aufgewühlt, um zu schlafen, weswegen ich mich fragte, was ich vor dem Schlafen tun sollte. Mein Blick fiel auf den Computer, den ich bislang noch kein einziges Mal benutzt hatte.

Zumindest einmal könnte ich es doch tun.

Der Computer schien auf meiner Seite zu sein, denn auf dem Desktop prangte mir ein Wallpaper von Leana entgegen. Ich lächelte unwillkürlich, während die Sehnsucht in meinem Inneren wuchs.

Ich startete Seinarukana, dessen Symbol mir direkt ins Auge stach und wählte ein neues Spiel.

Es war interessant, sich die Situation mal von außen anzusehen – noch interessanter war für mich allerdings, dass Leana offenbar die Rolle von Satsuki einnahm, ohne dabei dieselben Charaktereigenschaften wie sie vorzuweisen. Aber es war äußerst angenehm, sie zu sehen und auch ihre Stimme zu hören. Dabei kam mir der Gedanke, dass ich es vielleicht schon früher hätte spielen sollen, denn es festigte mein Verlangen, wieder zurück zu ihr zu kommen. Ich wusste, ich könnte nur an ihrer Seite glücklich sein und an keiner anderen sonst. Selbst wenn ich hierbleiben würde, würde stets ein Schatten über mir liegen.

Meine Rolle wurde übrigens von Jinmu eingenommen, der Eternal, der versucht hatte, mein Lehrer zu sein. Das erstaunte mich ziemlich, ich hätte eher mit Cain oder Jacob West gerechnet, doch die beiden passte wohl einfach nicht in diese Realität, nicht einmal als virtuelle Figur.

Nozomis Rolle... nun, was soll ich sagen?

Ich fand Azar schon immer nervig, aber als eifersüchtige Mitschülerin sprengte sie wirklich den Rahmen.

Warum waren eigentlich alle Personen in diesem Spiel Leute, die ich aus meinem Traum kannte?

Kaum war die Gruppe Katima begegnet, beendete ich das Spiel, um ins Bett zu gehen. Ich war immer noch aufgeregt, aber auch müde, ich konnte kaum noch meine Augen offenhalten.

Wenn ich diese Nacht nicht wieder zurückkommen würde, würde ich wahnsinnig werden, da war ich mir sicher.

Bis ich einschlief sah ich auf Leanas Bild über dem Bett und mein Wunsch, zu ihr zurückzukommen wurde immer stärker.
 

Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Ich konnte das Dach der Krankenstation erkennen, also war wohl alles gut gegangen - und ich noch am Leben. Erleichtert atmete ich auf, was Leana neben mir erschrak. „Zetsu...“

Ich wandte den Kopf und lächelte sie angestrengt an. „Leana.“

„Du... Wie konntest du sowas tun!?“, schrie sie mich plötzlich wütend an.

„Was denn?“, fragte ich verblüfft.

Sie sprang vom Stuhl auf, der deswegen umfiel. Sie sah sehr aufgebracht aus. „Wie kommst du nur auf die Idee so eine Dummheit zu tun!? Sharivar hätte dich töten können!“

„Und wenn ich nichts getan hätte, hätte er uns alle getötet“, erwiderte ich so ruhig wie möglich.

„Nein. Nur Angelica und mich“, erwiderte sie sofort. „Wir sind Verräter, vergiss das nicht. Warum glaubst du hatte er Garubarusu auf uns gehetzt? Damit er Heridearutsu und mich aus dem Weg räumt.“

Ich seufzte. „Und denkst du, ich konnte zulassen, dass er dich umbringt?“

„Denkst du, ich wäre glücklich, wenn er dich...“

Sie legte ihre Hand über ihre Augen und schüttelte langsam mit dem Kopf.

„Glücklich nicht... aber immerhin am Leben...“

Besorgt sah ich sie an.

„Was bringt mir das?“, fragte sie.

Verstand sie wirklich nicht, was ich ihr damit sagen wollte?

„Ich weiß nicht... aber was hätte es mir gebracht, wenn dir etwas geschehen wäre?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage, um sie darauf zu bringen.

„Was mit mir ist, ist nicht wichtig. Das war es noch nie.“

„Mir ist es wichtig.“

War das wirklich so schwer zu verstehen?

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Aber... wenn du...“

Leana ließ die Hand sinken. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie sank auf die Knie, legte ihren Kopf auf das Bett und weinte.

„Ich will nicht... ich will nicht, dass dir etwas passiert. Allein der Gedanke, dass du nicht mehr da wärst... er macht mir solche Angst. Ich brauche dich...“, schluchzte sie.

Getroffen sah ich sie an. Ich hatte sie nicht zum Weinen bringen wollen, es war immerhin auch das erste Mal, dass ich sie so zerbrechlich sah. Vorsichtig strich ich ihr über das Haar.

„Tu... sowas nie wieder... Bitte... ich könnte es nicht ertragen... nicht noch einmal...“

„Es tut mir Leid.“

Sie sah mich an und schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Es ist meine Schuld. Ich war zu feige.“

„Red dir das doch nicht ein, Leana.“

Manchmal war sie wirklich so dickköpfig. Warum musste sie die Schuld unbedingt bei sich suchen?

„Es tut mir so Leid... das wollte ich nicht... Du bist doch... ich habe dich doch gern...“

Ich richtete mich vorsichtig auf, um wieder auf Augenhöhe mit ihr zu sein. „Leana...“

Sie sah mir direkt in die Augen. Ich erwiderte ihren Blick, wenngleich meine Augen nach wenigen Sekunden von ihren braunen Augen zu ihren Lippen schweiften. Ich konnte meinen eigenen aufgeregten Herzschlag hören. Und ich beschloss, etwas zu tun, was er absolut untypisch für mich war.

Ich beugte mich zu ihr – und küsste sie.
 

Ein helles Licht erschien vor meinen Augen und im nächsten Moment war alles schwarz. Das einzige, was ich sehen konnte, war ein glühender Baum. Er erinnerte mich an den Zeitbaum, nur in einer etwas kleineren Ausführung.

„Nicht schlecht“, sagte eine Stimme hinter mir.

Fuu stand da und lächelte mir zu. „Es scheint, als hättest du es dir überlegt. Es dauerte nicht halb so lang wie ich gedacht hätte.“

„Lass mich raten, du hast gedacht, ich würde mich nicht für Leana entschieden.“

Ehrliche Empörung war plötzlich in seinem Gesicht zu sehen. „Aber nein. Ich war mir sicher, dass du dich für sie entscheiden würdest. Ich dachte nur, dass es länger dauernd würde... viel länger. Anscheinend habt ihr einige sehr machtvolle Erinnerungen gesammelt.“

Das war wahr. Ohne die Erinnerung an die Eisbahn hätte es wohl noch länger gedauert, bis ich mir sicher gewesen wäre – denn den Computer hätte ich mit Sicherheit auch lange Zeit noch nicht angerührt.

Das sanfte Lächeln kehrte in Fuus Gesicht zurück. „Dann bist du dir also absolut sicher, ja?“

Ich zögerte nicht, hörte aber noch einmal auf mein Herz. Dort war allerdings kein Zweifel mehr vorhanden – gut, ein wenig schon, aber der war kaum der Rede wert –, ich wusste, wo ich hingehörte und ich wollte unter allen Umständen wieder dorthin.

„Ja, ich kann deine Entschlossenheit spüren“, sprach der Magier. „Und ich bin recht glücklich darüber. Immerhin...“

Er sprach nicht weiter, aber es interessierte mich auch nicht, was er zu sagen hatte. Ich wollte einfach nur zurück zu Leana, jetzt und auf der Stelle.

Fuu streckte den Arm aus. Auf seiner Handfläche erschien ein pulsierendes Licht, das gemeinsam mit dem Baum im Einklang leuchtete. Ein warmes Gefühl entstand in meinem Inneren, während ich es betrachtete.

Wie durch Watte konnte ich noch einmal die Stimme des Magiers vernehmen: „Schlafe, Gyouten no Zetsu. Wenn du erwachst, wird dein Herzenswunsch erfüllt sein, vertrau mir.“

Das Vertrauen fiel mir schwer, nachdem er uns einmal in eine seltsame Illusion gestürzt hatte, doch ich schloss meine Augen. Ich hatte keine andere Wahl, also was sollte es?

Das Schlimmste, was geschehen konnte war, dass ich wieder in dieser Welt aufwachen würde – oder in einer vollkommen anderen Realität. Aber letzteres verdrängte ich lieber, das war eine wahrhaft grauenvolle Alternative.

Mein Bewusstsein verschwamm, ich schlief wieder ein, unwissend, wo ich schließlich erwachen würde, aber mit viel Hoffnung bestückt.
 

Ein sanftes Gefühl umgab mich, als ich langsam zu erwachen begann. Die Erinnerung an die Begegnung mit Fuu war immer noch lebendig. War es nur ein Traum gewesen und ich befand mich immer noch in der anderen Welt? Oder war ich endlich wieder daheim?

Obwohl ich unbedingt zu Leana hatte zurück wollen, wusste ich genau, dass ich nicht enttäuscht sein würde, sollte ich feststellen, dass ich doch bei meiner Familie aufwachen würde. Der letzte Rest von Zweifel verschwand einfach nicht.

Zwar konnte ich nicht das Prickeln von Sonnenstrahlen spüren, aber ich wollte meine Hoffnungen nicht zu hoch schrauben. Es war immerhin Winter, vielleicht befanden sich nur Wolken vor der Sonne.

Allerdings konnte ich auch hören, wie etwas in meiner Nähe brutzelte, ich roch den intensiven Geruch von gebratenem Speck. Das dürfte eigentlich nicht möglich sein, wenn ich mich immer noch in der anderen Welt befand. Die Küche war in einem ganz anderen Stockwerk als mein Zimmer gewesen – ich hatte nicht einmal Stimmen von dort hören können.

Als ich mich im Bett herumdrehte, spürte ich den Futon unter meinem Körper.

Dann war ich also zurück?

Wieder versuchte ich, meine Hoffnungen erst einmal zu dämpfen. Immerhin war es auch möglich, dass ich in einer ganz anderen Realität gelandet war, wo ich vielleicht mit Satsuki in einer Wohnung lebte – aber konnte Senpai überhaupt kochen?

Es wurde Zeit, meine Augen zu öffnen und herauszufinden, ob ich wirklich wieder bei Leana war. Doch gleichzeitig fürchtete ich mich davor, dass es womöglich nur Einbildung war, weil mein Wunsch nach Leana so stark war.

Ein leises Summen erklang, das eindeutig zu Leana gehörte.

Möglicherweise war auch das nur Einbildung, ausgelöst durch die starke Sehnsucht nach ihr, doch über kurz oder lang musste ich aufstehen, um es herauszufinden.

Dies gab mir den letzten Anstoß, mich der Wirklichkeit zu stellen. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und setzte mich auf.

Ein tiefes Gefühl der Befriedigung breitete sich in meinem Inneren aus, während ich mich umsah und feststellte, dass ich in der Wohnung war, die ich mit Leana teilte. Sie war schmucklos und schlicht eingerichtet, was daran lag, dass wir ohnehin keine lange Zeit in dieser verbringen wollten. Wir hatten zwar keine Zeit ausgemacht, aber ich war mir sicher, dass wir über kurz oder lang weiterziehen würden.

Ich stand auf und ging in die Küche hinüber. Fast schon wollte ich vor Freude weinen, als ich die braunhaarige Frau am Herd sah. All meine Sehnsucht begann in diesem Moment einen Freudentanz in meinem Körper aufzuführen, ich musste mich zusammenreißen, sie nicht zu umarmen und damit beim Kochen zu stören. Außerdem passten überschwängliche emotionale Aktionen nicht zu meinem Stil.

Sie stellte das Summen ein und sah mich an. „Du bist wach~ Ich dachte schon, du wolltest gar nicht mehr aufwachen.“

Ihre Stimme verstärkte das wohlige Gefühl in meinem Inneren, der Freudentanz beschleunigte sich noch einmal, am Liebsten hätte ich sie hochgehoben und durch die Luft gewirbelt.

„Guten Morgen, mein Schatz~“

Sie schenkte mir ihr ehrliches Lächeln, das man nur selten zu sehen bekam und mir immer das Herz aufgehen ließ. Als ich es diesmal sah, verschwand jeglicher letzte Rest von Zweifel, der sich noch in mir befunden hatte und ich wusste eines ganz sicher: Ich war wieder zu Hause angekommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  LeanaCole
2010-08-18T20:02:09+00:00 18.08.2010 22:02
Zuerst danke ich dir einmal, dass du das für mich geschrieben hast. Ich bin so begeistert davon, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll XD
Das tollste Geschenk, was ich heute gekriegt habe *_______*

Es ist viel besser, als die erste Version. Man sieht sofort, wieviel Mühe du dir im Nachhinein noch gegeben hast. Besonders haben mir die drei Rückblenden gefallen. Auch, weil die in der Ich-Form geschrieben waren. Das war für mich noch einmal sehr interessant zu lesen~

Auch das Ende hat mir viel besser gefallen. Es wirkte jetzt nicht mehr so gehetzt XD
Allerdings frage ich mich, was bei Lea passiert wäre, wenn Zetsu sich für seine Familie entschieden hätte. Hätte Zetsu bei ihr ewig weitergschlafen? Oder hätte sie den Versager gekriegt? Das macht mich neugierig XD

Ich bin auch froh, dass du etwas mehr über das Spiel Seinarukana geschrieben hast. Ich fands interessant, wer nun anstelle von Nozomu und Nozomi war. Ist sicher kein Zufall, dass du jemanden genommen hast, den ich genauso wenig leiden kann, wie Nozomi XD
Allerdings haben mir noch ein paar Details mehr gefehlt und ein bisschen mehr Beschreibung. Das hätte ich mir gewünscht ^^
Zumal ich neugierig bin, wer denn nun Nozomus Rolle hat. Und ob die Lea da drin mit diesem Nozomu oder doch mit Zetsu (also Jinmu) zusammenkommen kann XD
Und überhaupt... ist es hier auch ein H-Game oder ein normales Spiel? Soviel hätte ich gerne noch davon gewusst~

Ich weiß nicht, was ich sonst noch alles schreiben soll. Ich habe schon gesagt, was mir ganz besonders gefallen hat und wie begeistert ich bin. Bis auf die erwähnten Sachen im Abschnitt über mir, hat mir alles, wirklich alles, jedes Wort, gut gefallen... ups, ich sollte mich zurückhalten. Ich will ja nicht so werden, wie unser Sleimok XD

Vielen, vielen Dank für das tollige Geschenk. Ich kanns kaum erwarten mein Geschenk für Weihnachten zu sehen *ganz aufgeregt ist*
Nur ist mein Geschenk vom letzten Weihnachten noch nicht fertig *lach*


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