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Children of the Prophecy

Die Kinder der Prophezeihung
von

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21: [IdolatrousExpressionismPunk: Das Bollwerk]


 

21:[The IdolatrousExpressionimPunk III: Das Bollwerk]
 

 
 

furishikiru taiyou no tategami ga
 

hakuhyou ni nokoru ashiato o keshite yuku    
 

 
 

azamukareru o osoreruna
 

sekai wa sude ni azamuki no ue ni aru
 

-Tite Kubo
 

 
 

[:]
 

 
 

Der endlose Strom der Mähne der Sonne
 

Wird die Fußspuren auf dem dünnen Eis schon bald verwischt haben
 

 
 

Fürchte dich nicht davor, betrogen zu werden
 

Die Welt ist sowieso schon voll mit Betrug
 

 

---

 

Auch wenn diese Baustelle sich einfach dadurch, dass hier um diese Zeit kein Betrieb würde, als Treffpunkt eignete, hätte es Kaji doch vorgezogen, wenn Takao nicht ausgerechnet diesen Ort unter allen möglichen ausgesucht hätte, um sich die neusten Berichte geben zu lassen.

Nicht, dass man es ihm anmerkte;

Er hatte natürlich im vorraus die umgebung mit einem handlichen kleinen Taschenperiskop sondiert, um sicherzustellen, dass es so etwas wie Zeugen nicht geben würden, aber im hypothetishen Falle, dass jemand hier gewesen wäre, hätten sie wohl vor allem die schiere Mühelosigkeit gesehen, mit der er von dem mannshohen Zaun hinuntersprang, auf dessen Oberkannte er ohne größeres Schweißtreiben hinaufgekleckert war, die routinierte Art, wie er sich jede Spur verräterschen Staubes gekonnt von den Kleidern klopfte, ohne, das er darüber bewusst nachzudenken schien, jeglichen Amateur-Sherlocks damit den Boden für ihre Kombinationen nehmend, und die schiere, tigerhafte Natürlichkeit, mit der er im Anschluss mit den Schatten verschmolz, auch, wenn die anthrazitfarbene, futuristisch angehauchte Uniform dabei sicherlich half.

Doch auch, wenn er äußerlich völlig in seinem Element zu sein schien – und das auch wirklich war, wenn er ehrlich zu sich war, mit all dem Implikationen und Prognosen, die dazu gehörten, in die Finsternis zu gehören, und doch konnte er nicht anders, als eine drückende Schwere auf sich lasten zu fühlen, wenn er sich dieses Ortes besah – Eine Baustelle, und somit eines der letzten dunklen Löcher, die der letzte Kampf in das nächtliche Lichternetz der Stadt gerissen hatte, und somit ein unverkennbares Denkmal an die Kämpfe, die das Herz dieser Metropole immer wieder erschütterten, und damit auch an die düsteren Gewissheiten, die näher über ihren Köpfen zu hängen schienen als die dichtesten Gewitterwolken.

Kaji setzte seinen Weg fort; Er brauchte nicht weit zu laufen, um Licht zu sehen – es reichte,  die Baugerüste hinter sich zu lassen, und den kleinen Gassen zu entsteigen, um Menschen feiern zu sehen – In allen Gebäuden, die derzeit nicht (mehr) einsturzgefärdet waren, lief das Nachtleben auf vollen Toren, Musik lärmte, liegengelassene Plastikbecher säumten den Boden, voll besetzte Außen-Sitztische, auf denen leicht bekleidete Menschen die im Vergleich zur schwülen Hitze des Tages angenehme, erquickende Kühle der Nacht genossen.

Durch die schaufensterartige Glaswand eines Lokals sah man ein paar tanzende jugendliche, darunter einen Jungspund, der eine hochgewachsene Schönheit mit langem, dunklem Haar in seinen Armen umherwirbelte, und bei dem vorbeiziehenden Spion ein paar Bilder vergangener Zeiten aufwirbelte, ein bisschen wie Laub im Herbswind, ein Anblick, den der tanzende Halbstarke und seine Herzensdame vermutlich gar nicht mehr kannten – Das war er selbst vor nicht ganz so langer Zeit gewesen, jung, ahnungslos, schwer verliebt, und am feiern, als gäbe es kein Morgen mehr; Und es war gar nicht so unwahrscheinlich, dass es auch keines mehr geben würde; Sie alle fristeten geliehende Zeit, gerade noch so geduldet am äußersten  Rande der Vernichtung, in den roten Schatten der Apokalypse, den künstlichen Gärten einer sterbenden Welt. Und niemand, der diese Hitze erlebt, und den Gestank des roten Meeres eingesogen hatte, konnte leugnen, dass diese Welt sich dem nde zuneigte; An ihre Technologien gekrallt hatten sie sich ihr ganz eigenes Habitat erschaffen, doch ein Blick zurück in die Finsternis reichte, um zu erkennen, wie zerbrechlich ihre kleine Luftblase war, dünnes membran-Häutchen, dass sie alle von der Nacht trennte, und ihn selbst wohl am wenigsten von allen, dafür garantierte schon die leere, ockerfarbene Papier-Mappe, die er in seiner rechten Hand bei sich trug – Den Inhalt hatte er Takao komplett überlassen, doch dass hieß nicht, dass das Dossier, dass er ihnen übergeben hatte, Anspruch auf irgendwelche Vollständigkeit erheben konnte; Er hatte selbst eine Kopie aller Daten behalten, mit der er natürlich nicht frei durch die Gegend lief, aber sie existierte, in einer schlichten, silbernen Kassette aus Metall, die er meist an einem sicheren Ort seiner Wahl versteckt hielt – Gerne würde er die Materialien auch zuhause gerne in ihrer Gesamtheit durchgehen, aber dafür hätte er bereit sein müssen, alles zu verbrennen, wenn sich die Notwendigkeit ergab, und deshalb hatte er es derzeit stattdessen am Rande seines Schrebergartens in der Geofront verscharrt, amüsant nah an den Sitzen jener, die wohl sehr gerne wüssten, was er da alles drin hatte; Er fasste regelmäßig mehrere Dossiers an verschiedene Fraktionen ab, suchte strategisch abwägend aus, welche Informationen er wem servieren würde, und so bekam jeder etwas, was der andere nicht bekam, aber keiner die Summe dessen, was er bei Gelegenheit in diesem Kästchen deponierte, Einträge in Folien, ein College-Block und zwei kleinere Notizbücher, Zettel und Beweisstücke in Klarsichthüllen, Notizen, Ausschnitte aus Berichten, Tabellen, Codes, jede Menge kleiner Datenträger, Disketten und so weiter, die weitere Daten in elektronischer Form enthielten, was nicht auf Blätter passte, stibitzte Überwachungsvideos, Sprachaufzeichnungen, pikantes Beweismaterial, all dies und noch mehr, Dinge, sie sich bei der Suche nach der Wahrheit – Seiner Wahrheit – Dawischengemogelt hatten, und auf den selben Disketten, in den selben Notizbüchern gelandet waren – Der Ton der Einträge ging von schlichten, stichwortartigen Notizen, kryptischen Einträgen aus wenigen Worten, die den Rest der Seite einnahmen, zu langen Prosa-Texten, ausführlichen, sachlichen Berichten bis zu beinahe poesiehaften Tagebucheinträgen, gewürzt mit dezenten, keinesfalls triefend-herausragenden Prisen von Einsamkeit und etwas anderem, simple, blockhaft-maschinengedruckte Blätter, hübsch formatierte Dokumente, einen Antrag, den er Mangels besserer Schreibmaterialien in einem aus Asukas Schreibtisch entliehenden Lila Glitzerstift abgefasst hatte, halb zerkricktes, handgeschriebenes Kästchen-Papier, bunte Pots-Its, bis hin zu einer verräterischen Seite, die von oben nach unten mit einem blauen Kugelschreiber mit ein- und demselben Wort vollgeschrieben hatte (Misato, Misato, Misato… ad Infinitum.) – Poetischerweise war dem Kugelschreiber war die Tinte ausgegangen, bevor die Seite voll gewesen war, und darüber hinaus noch weitere Kleinigkeiten von eher sentimentalen als von Informations-Wert, die sich über die Jahre angesammelt hatten – Ein zwischen seinen Sachen vergessenes Haargummi, eine Postkarte mit einem verblassten, bröckeligen Abdruck von violetten Lippenstifft, eine zerrupfte, graue Feder, und ein paar weitere, kullernde Kleinigkeiten, die sich in den Encken der Kisten unter dem Papier ansammelten, und immerhin als „Tarnung“ für dazwischen deponierte Mikrofilme und Nano-Chips fungierten.

Er konnte nicht sagen, warum er sich dazu hinreißen lasse, Aufzeichnungen zu führen – Um Zeugnisse für die Nachwelt zu hinterlassen? Aus irgendeiner Illusion herraus, dass so etwas von ihm übrig bleiben würde, wenn SEELE seiner letzlich überdrüssig wurde?

Er wusste doch selbst, dass er viele dieser Dinge niemals niederschreiben würde, wenn er nicht genau wüsste, dass sie nie jemand zu Gesicht bekommen würde.

 

(Ein Auszug aus dem aktuellen Bericht von Kaji Ryoji)

“Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher: Es sind Kopien von ADAM und LILITH. Weil es nur Kopien sind, haben sie keine ‘Seele’, um sich selbst zu bewegen; Deshalb ist es unabdingbar für sie, anstatt ihrer Seele einen ‘Piloten’ zu haben. Die scheinen sich ziemlich sicher zu sein, dass sich die ‘Piloten’ zwischen den Einheiten Null und Eins austauschen lassen. Der Grund dafür ist noch unidentifiziert. Was diese Lebensformen angeht, deren “Gen-Mustern” den menschlichen so verräterrich ähnlich sehen: Ihr Ziel scheint der Kontakt mit ‘LILITH’ zu sein. Es wird vermutet, dass sie sich denselben Verstand teilen, ihre Formen und Aktionen hingegen haben bis jetzt große Variationen gezeigt.

Das “Absolute Terror”-Feld, das einzig den ENGELn und EVANGELIONs zu Eigen zu sein scheint…  Immer dasselbe, oktogonale Muster… Es wirkt als undurchdringliche Barriere, aber was auffällt ist, das zwar all unsere Angriffe abgewehrt warden, aber nicht zum Beispiel nahestehende Gebäude, oder der Boden unter den Füßen der Evangelions – Wenn man von einem Kraftfeld ausgeht, dass sich in alle Richtungen gleichförmig ausdehnt, müsste die ganze Umgebung davongefetzt werden, doch dass geschieht nur bei großen Feldstärken; Es scheint, als würden „feindliche Kontakte“gezielt ausgewählt und abgelehnt.

Nur ein anderes Feld mit vergleichbarer Stärke kann eines neutralisieren… All das legt nahe, dass es eine Art Selbsterhaltungs-Instinkt ist, der diese Barriere aktiviert.

Ich habe mittlerweile starke Zweifel wegen den Aktionen von Commander Ikari. Viel zu viele Konflikte mit dem „Vollendungs-Komitee“ legen die Existenz von zwei Plänen für die „Operation Vollendung“ nahe. Habe noch keine klaren Details, aber den Verdacht, dass Commander Ikaris Pläne mit der LILITH-Entität in Verbindung stehen, die immer noch unterirdisch verwahrt wird.

Wie Sie wissen, ist Leiter des Komitees ist ein Mann namens KEEL – Mit den Unterlagen, die Sie in diesem Dossier finden, sollte die Existenz der Organisation namens ‚SEELE‘, die sich hinter ihm verbirgt, ein- für alle male zweifellos belegt sein.

Es werden wohl noch weitere Nachforschungen nötig sein, bis wir die tatsächliche Situation wirklich einschätzen können… Es scheint eine Verbindung zu irgendeiner ‚geheimen Version der Rollen vom toten Meer‘ zu bestehen…

Werde meine weiteren Nachforschungen zunächst auf folgende Punkte konzentrieren: Das Genau Verhältnis zwischen ‚Gendo Ikari und SEELE‘. Werde versuchen, in das ‚Terminal Dogma‘ unternehmen. Werde einen weiteren Versuch unternehmen, an die ‚Geheim-Daten‘ zu kommen.“

 

(Handgeschriebene, an den Rändern vom Zahn der Zeit schon angenagte Notiz,die sich ziemlich weit unten in den Papierstapel in der kleinen silbernen Schatulle befindet, gemeinsam mit ein paar anderen kleineren Papieren zusammengefaltet in einer Klarsichthülle. )

„Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal einen Brief geschrieben habe? Wie lange drücke ich mich schon davor, dir zu schreiben, mich dir endlich zu stellen? Mir ist, als hätte ich beinahe schon vergessen, wie meine eigene Handschrift aussieht…

Es ist nicht einfach, so etwas Zerbrechliches wie ein Blatt Papier auf einem schaukelnen Schiff zu handhaben. Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen sollte…

Am Ende schreibe ich wohl bloß, um zu vergessen, was ich gesehen habe… Also habe ich mich entschieden, ein paar simple fetzen meiner eigenen Erinnerungen festzuhalten. EVA. Mit diesen drei Buchstaben hat alles angefangen, und mittlerweile scheint es mir, als ob es genau diese Buchstaben sein könnten, mit denen alles enden wird… ADAM. Das ist auch ein Fragment der Wahrheit. Mark VI. Auch das ist ein solches Fragment. Die kleine, silberne, rechteckige Kiste in meinen Händen… Sie ist leicht genug, um sie überall hin mitzunehmen, ich kann sie problemlos mit einer Hand halten. Das ist das Gewicht der Wahrheit, bezahlt mit meinem Leben, von dem ich die letzten Jahre mit diesen Recherchen verbracht habe. Das Schiff schaukelt wieder, die Worte, die eben noch störrisch darauf bestanden, niedergeschrieben zu werden, schaukeln davon, gemeinsam mit ADAM und EVA. Ich… hätte nie erwartet, dich wieder zu sehen.

Ich hatte erwartet, dass diese ganze Angelegenheit bis dahin vorbei sein würde… Nein! Das hier ist der Anfang vom Ende, und ich weiß es. Am Ende erzähle ich mir sogar selbst lügen, fange an, sie selbst zu glauben. Tanzende Briefe und Zettel, dekoriert mit Lügen. Wenn dieser Brief es wert wäre, gelesen zu werden, wären diese Lügen es wert, dass man sie erzählt. Es ist nicht leicht… genau so eben, als würde man versuchen, auf einem schaukelnden Boot mit zerbrechlichen Dingen zu hantieren… Ein Lügner kann ein Lügner bleiben, wenn er seine Lügen mit ins Grab nimmt. Also habe ich mich entschieden, dir eine Lüge zu erzählen… Ich werde diesen Brief ganz unten auf den Grund meines Koffers legen… weil ich weiß, dass kein Postbote kommen wird, um ihn mitzunehmen…

 

From: WalterMelon@nerv-hq.co.jp

To: [REDACTED on request of the Japanese home ministry]

Betreff: “Brot & Spiele”

“Dieser Ort ist völlig verschieden von allen Schlachtfeldern, die ich je gesehen habe. Ich hatte in diesem Beruf schon Gelegenheit, Korea zu sehen, Iran, Vietnam, die Falkland-Inseln, und so weiter, und so fort… Ihnen brauche ich nach den Impact-Kriegen wohl nichts darüber zu erzählen…. Natürlich haben sie alle ihre Eigenheiten und Unterschiede, aber am Ende sind des doch Schlachtfelder, wie man sie kennt, Sie wissen schon, wo die Menschen einander Leid zufügen und den Erdboden mit ihrem Blut beflecken. Aber dieser Ort ist damit nicht zu vergleichen. Man könnte den Eindruck erhalten, dass die Kämpfer auch hier nur Menschen sind, aber dem ist nicht so. Die Barriere hindert jeden, ohne ein eigenes AT-Feld daran, an der Schlacht teilzunehmen; Man sieht weder Panzer noch Soldaten.

Stattdessen wandeln hier Riesen umher, die einem dunkle Schatten in die Augen werfen… Die Gladiatoren sind Universal-Kampfmaschinen in Menschengestalt, die humanoiden Cyborgs, die man EVANGELIONs nennt. Die Feinde sind unidentifizierte Lebensformen mit den Namen von Engeln. Wenn diese Kontrahenten kämpfen, fühlt man sich wie in irgendein verrücktes Videospiel versetzt. Ein bizarres Pankration, bei dem der erste Preis das Schicksal der Menschheit ist. TOKYO-3 wird zur Bühne für den Kampf. Wir wissen, dass es in der Vergangenheit Sklaven gab, die nur lebten, einander für Ruhm, Freiheit und die Unterhaltung der Allgemeinheit umzubringen. Sind wir die wahnsinnigen Zuschauer, die dazu verdammt sind, dieses traurige, grausame Schauspiel mitanzusehen?“

-Kaji Ryoji, in einer privaten E-Mail an Takao Koji.

 

(Maschinengeschriebene Notiz aus den privaten Unterlagen von Kaji Ryoji. Der Text is sorgfältig eingerückt und an markanten Stellen mit Zeilensprüngen versehen, ein wenig wie ein modernes Gedicht.)

“Heutzutage sieht mal überall Ruinen.

Hülsenhafte Grabhügel vergangener Zeiten, verfallene Paläste

Straßen, begraben von Schlamm

Prachtvolle, gigantische Grabhügel in der Wüste

Wenn wir die Narben menschlichen Lebens Ruinen nennen,

Dann wird dieser Ort schon bald ebenso genannt warden

TOKYO-3

Was wird davon übrig bleiben?

Werden spätere Generationen einen großen Titan-Komplex finden, in den Boden gesteckt wie ein riesiges Pistolenrohr?

Werden sie es als ein Zeichen der gigantischen Kämpfer erkennen?

Oder werden sie alles komplett missverstehen?

Nein.

Die Stadt gehört den Riesen –

Wenn sie zu diesem Schluss kommen, werden sie vermutlich genau richtig liegen.

Wenn die Riesen die Herrscher sind, waren die Menschen ihnen untertan?

Die Beziehung zwischen Meister und Sklave lässt sich sehr leicht auf den Kopf stellen.

Die Wahrheit verblasst schneller als die Ruinen.

In hunderten, tausenden, millionen von Jahren,

Wird eine dunkle Masse auseinanderbrechen,

Und den zukünftigen Generationen wird nichts anderes übrig bleiben, als zu raten.

Wenn sie nur bis dahin überleben…

Heutzutage sieht man überall Ruinen,

Vielleicht schon bald auf der ganzen Welt…

 

(…Das ist der Fluch, der all jene ereilt, die von den Evangelions besessen sind… und wir beide gehören ebenfalls dazu…)

 

(Extrakte aus diversen Reports an das japanische Innenministerium, allesamt verfasst von Kaji Ryoji.)

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #01:

SACHIEL, der vierte ENGEL. „Die Daten über den Kampf, die dem Personal der dritten Außenstelle bekannt gemacht wurden, waren teilweise sehr vage. Es gab kaum Details.

Dies war NERVs erster wirklicher Kampf.

Ich habe eine Aufzeichnung aus einem der Hilfscomputer herrausbekommen, aber in der Aufzeichnung selbst gibt es Anzeichen dafür, dass jemand daran herumgedoktert hat. Ich hoffe, mehr darüber herauszufinden, sobald ich Gelegenheit bekomme, das Hauptquartier persönlich zu infiltrieren…”

 

(Und darunter, handschriftlich auf die Schnelle schräg auf das Blatt gekritzelt, auf Englisch, weil er das zu diesem Zeitpunkt auf einer englischen Internetseite nachgeprüft hatte: “And I saw one of his heads as it were wounded to death; and his deadly wound was healed: and all the world wondered after the beast.” - Revelations 13:3)

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #02:

SHAMSHEL, der fünte ENGEL. „Wir haben die Aufzeichnungen des internen Monitors und die „offizielle“ Kopie zum Vergleich. Dieses Mal werde ich Ihnen einen kompletten Bericht über den Kampf schicken können. Was den Kampf selbst angeht, scheinen die dieses Mal nicht besonders viel zu verbergen haben – Was man von dem Ergebnissen der folgenden Analyse der Überreste schon mal nicht sagen kann – Die Daten werden bis heute unter Verschluss gehalten, aber scheinbar will man die dritte Außenstelle mit der weiteren Erforschung der genommenen Proben betrauen, und vermutlich auch mit der Ausführung darauf basierender Arkan-Projekte -    Wenn sie mir helfen, den Transport von EVA 02 noch etwas weiter zu verzögern, ist es gut möglich, dass ich es hinkriege, einen Blick auf diese Forschungsakten zu werfen…“
 

(Diese Akten lieferten freilich wenig neue Antworten und vielmehr neue Fragen - je weiter er in ihnen laß, umso tiefer warf sich seine Stirn in Falten.

"Es ist zwar erstaunlich, wie schnell Rit-chan auf einige dieser Dinge gekommen ist, aber an sich ist das nichts, was die nicht schon vor langer Zeit in Bethany Base herausgefunden hätten... Die rechte Hand scheint nicht zu wissen, was die linke tut, weil das Gehirn keinen von ihnen sagen will, wo die Beine sie hintragen - Und trotzdem hat die SEELE es irgendwie hinbekommen, dass sich der KÖRPER nicht ins eigene Fleisch schneidet - Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt..."

Dennoch, dienten die Mittel, die SEELE für die Erforschung der Überreste investiert hatte, nur dem Schönen Schein gegenüber der Außenwelt und der eigenen Mitglieder, vertrauten sie darauf, dass sie auch ohne Informationen preisgeben zu müssen, neue Erkenntnisse und brauchbare Vergleichsdaten erhalten würden, oder gab es jemanden in NERV, der sich selbst einen Eindruck von dem Bild verschaffen wollte, das seine Vorgesetzten ihnen nur sorgsam gefiltert zeigten ...Ikari, wahrscheinlich?
 

Sämtliche Überlegungen wurden freilich unterbrochen, als der Dreifach-Agent von einem Türquietschen aus seinen Gedanken gerissen wurde - Das seine Vorbereitungen und Vorkehrungen einmal soweit versagen würden, dass er auf eine so grobe wie verräterische Methode zurückgreifen müssen würde, wie den Laptop, den seine Unterstützer für die einmalige Verwendung zur Einsehung und dartauf folgenden Vernichtung der Daten zur Verfügung gestellt hatte in Eile zuzuklappen, hätte er nicht gedacht; Doch bald schon zeigte sich, dass die Person, die ihm hierher gefolgt war, niemand war, den er für ausreichend bedrohlich gehalten hätte, um sie in seine Irreführungs- und Ausweichstrategien einzubeziehen.

Ein frivol gekleidetes, dreizehnjähriges Mädchen mit leuchtend roten Haaren hätte zu der Kategorie von Verfolgern gehören sollen, die sich am einfachsten Abschütteln ließen, aber die wenigsten heranwachsenden Mädchen hatten eine extensive militärische Ausbildung durchlaufen.

Trotzdem schien es gut möglich, dass die kleine keine Ahnung hatte, wie bemerkenswert es eigentlich war, dass sie ihn hier gefunden hatte.

"Halloooo Kaji-san! Hier steckst du also! Verzeih, dass ich aber ich musste dich unbedingt was fragen..."

"Schieß los." gab er zurück, die charmant-überlegene Maske wieder zu voller Leistung aufdrehend.

"...Wie findest du meinen neuen Nagellack?"

Das Second Child hielt ihm ihre funkelnd-roten Fingerspitzen entgegen.

"Den hab ich extra für dich gekauft, Kaji-san! Gefällt er dir?"

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #03; 3. Nachtrag:

RAMIEL, der sechste ENGEL. „Die waren in der Lage, einige der halb-zerfallenen Splitter des Zielobjektes sicherzustellen und zu analysieren, nachdem das Ungetüm bezwungen war. Ein Teil der Daten wurden hierher übermittelt, um bei der Arbeit an dem aktuellen Projekt (Siehe vorheriger Report) behilflich zu sein – Habe einen Teil davon aus dem eingehenden Datenstrom extrahiert, konnte das resultierende Rauschen jedoch nur aus ¾ der Dateien herausfiltern.

Für Informationen über den Kampf selbst, konsultieren Sie die detailierten Grafiken zum Ablauf von Operation Yashima, die im Anhang vorliegen. Den Berichten nach zu urteilen wurden längere Testreihen ausgeführt, um diverse Qualitäten des AT-Feldes zu quantifizieren. Das genauere Procedere könnte vielleicht aufschlussreich-“

 

(„Aber was für eine selbstmörderische Waghalsigkeit! Die ganze Aktion war ein Lotteriespiel, dass man kaum als militärische Aktion bezeichnen kann… und das beste ist, dass sie damit auch noch erfolgreich waren… Eins muss man denen von NERV schon lassen, sie machen ihrem Namen Ehre – Die müssen alle Nerven aus Stahl haben. Dieser Katsuragi muss ein ziemlich interessanter Captain sein…“

„Ja, das ist sie, Takao-san, das ist sie…“ bestätigte Kaji mit einem Anflug von entferntem Wehmut in seiner Stimme, den sein Kollege nicht wirklich zu deuten wusste. „Das Ganze ist eindeutig ihr Stil…“

Sie?! Eine Frau?!“)
 

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #04:

RAZIEL, der dritte ENGEL. „Und damit schon länger eine missing number. Ich hoffe, Sie werden Verständnis dafür haben, warum ich angesichts der Sicherheits-Situation in Bethany Base erst jetzt darüber berichte – Die Existenz des dritten Engels wurde selbst vor hochrangigem NERV-Personal bis vor kurzem völlig verborgen-“

 

(„Der Schweinehund verschweigt uns etwas!“ rief der frustrierte General aus, und donnerte mit seiner Faust auf den Tisch, auf dessen von unten beleuchteter Oberfläche der jüngste Bericht ihres Spions zu sehen war. Er hatte gegen NERV und dergleichen spätestens eine ziemliche Abneigung entwickelt, als dieser Ikari-Bastard sie bei Auftauchen des vierten Engels absolut vorgeführt hatte, und hatte dafür für alle, die an diese Organisation auch nur Frühstücksbrötchen verkauften, kategorisch eine sehr kurze Lunte.

„…Er war wochenlang in dieser Basis stationiert! Das ein Mann mit seinen Fähigkeiten nicht mehr mitbekommen hat, als das hier ist absolut lächerlich!“

„Meinen Sie, dass er sich gegen uns gestellt hat?“

„Ich meine, dass er doch wenigstens mitbekommen haben müsste, wer zum Teufel in diesem Evangelion gesessen hat, wenn alle qualifizierten Personen entweder in Deutschland oder hier in Tokyo-3 waren!“)

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #05:

GAGHIEL, der siebte ENGEL. „Habe es mit eigenen Augen bestätigt.

Habe mir die genaueren Einsatz-Daten von der UN-Flotte gekrallt.

Werde ihnen in den nächsten Tagen einen ausführlichen Bericht von seinem Kampf gegen EVA 02 liefern.“

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #06, Nachtrag:

ISRAPHAEL, der achte ENGEL. „Habe den zweiten Kampf ebenfalls per Fernglas beobachtet. Konnte eine ganze Menge Daten sammeln. Werde sie Ihnen über Methode 11-B zukommen lassen. Es half, dass wir Gelegenheit dabei hatten, dem Ding gemächlich dabei zuzusehen, wie es sich regeneriert hat. Wir konnten einen Tag nach dem N2-Angriff mehrere Proben seiner einzelnen Komponenten sammeln… Das Material war natürlich geschmolzen, aber wenn man bedenkt, dass diese Biester für gewöhnlich nach dem Tod direkt bis zur Unkenntlichkeit zerplatzen-“

 

(Fetzen eines zufällig aufgeschnappten Gespräches, das durch die Öffnungsrillen eines Lüftungsschachtes drang, den er gerade für seine Spionier-Tätigkeiten in Anspruch nahm.

„-könnte meinen, dass du Ryo-chan etwas dankbarer sein würdest, zumal er mit seiner Idee deinen Job gerettet und den Fortbestand der menschlichen Rasse gesichert-“

„-Albernen Kinderkram! Das- ….. Ententanz präsentieren!“

„Du meinst, etwa genau so- … -wie den Evangelion als Angelköder zu benutzen, in einen Radioaktiven Roboter zu klettern, oder in guter alter Star Trek-Manier mit einer großen Laserkanone-  Idee könnte glatt von dir sein!“

„Ach, halt doch… -Klappe!“

„Oder regst du dich nicht viel mehr so auf, weil er euer Lied für die Choreographie ausgesucht hat?“

„RITSUKO!“

Es brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um seinen verräterischen Aufenthaltsort nicht durch lautes Lachen preis zu geben. Immer noch ganz die alte, diese Katsuragi.

So nah, und doch so fern…)

 

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #07:

SANDALPHON, der neunte ENGEL. „Wir konnten in der kurzen Zeit, in der wir es im EM-Käfig gefangen hielten, ein paar Schnappschüsse von dem ‚Entpuppungsvorgang‘ schießen, sind aber trotzdem noch weit davon entfernt, die Stadien seiner Evolution genau zu begreifen. Alles eeitere, insbesondere im Bezug auf dem A-17, habe ich schon der Korrespondentin vor Ort berichtet und wird in ihrem nächsten Bericht zu finden sein.“

 

KAMPFEINSATZ-REPORT #08, Segment c):

CADMIEL, der zehnte ENGEL. “…Obwohl wir letzlich eine ganze Menge Daten über das Zielobjekt sammeln konnten,  und es mir auch gelungen ist, die meisten davon aus dem Datenbank-Puffer zu ziehen, zumal wir es mit mehreren, langwierigen Käpmpfen zu tun hatten, fürchte ich, dass Sie daraus nicht besonders schlau werden dürften. Erster gemeinsamer Einsatz aller drei Evangelions.“

 

(“Und Sie wissen wirklich nichts über die Identität dieses Mädchens, das den Kern des Engels angeblich in sich getragen hat?”

„Nein.“ bestätigte Kaji ohne eine noch so geringe Abweichung von dem überlegenen Lächeln, das schon für den Rest dieses Berichtes auf seinen Lippen getrohnt hatte. „Überhaupt nichts.“

So weit würde es noch kommen, dass er ein 14-Jähriges Mädchen ans Messer lieferte. Die würden sie aufstöbern und auseinandernehmen lassen.

Und so wie er Takao kannte, würde dieser das genau so sehen.

„Überhaupt nichts.“ Wiederholte dieser nur.

Das war es auch, was er denen von der Regierung weiterleiten würde. )

 

[Aus dem Notizbuch von Kaji Ryoji, zusammengefügt aus den Inhalten mehrerer Karteikarten und Post-its, die sich jedoch in derselben Klarsichthülle befinden. Wiedergegeben in der Reihenfolge, in der dieser Text aufgeschrieben wurde. Der letzte Teil ist offensichtlich eine teilweise Abschrift eines kürzlich versendeten Berichtes.]

EVA 00. Der Prototyp, und somit der allererste Evangelion. Wurde als experimentelles Modell produziert. Die Pilotin ist Rei Ayanami. Geriet bei einem Aktivierungsexperiment außer Kontrolle und war danach von Kampfeinsätzen ausgeschlossen, während die Pilotin sich von ihren Verletzungen erholt hat.Wurde danach wieder in die Schlacht geschickt und bei seinem ersten wirklichen Einsatz direkt schwer beschädigt. Kehrte nach langwierigen Reparaturen, Upgrades und einer ausführlichen General-Überholung in den aktiven Einsatz zurück.

 

EVA 01. Das Testmodell. Das erste Modell, das von vornherein für den Kampf konzipiert war. Der Pilot ist Shinji Ikari. Wurde aufgrund einer Ausnahmesituation ohne die üblichen Testreihen direkt in den Kampf geschickt. Obwohl der Evangelion außer Kontrolle geriet und ein nicht unerhebliches Ausmaß an Schaden sowohl am EVA als auch an der Infrastruktur von TOKYO-3 entstand, wurde der Feind erfolgreich vernichtet.

 

EVA 02. Das erste Production-Model und somit voll auf den Kampf ausgerichtet und mit jeder denklichen Art von Equipment und Waffen kompatibel. Die Pilotin ist Asuka Shikinami-Langley.

 

„Es gibt einige nennenswerte Eigenheiten, die im Bezug auf EVA 01 zu erwähnen sind. Obwohl dieser EVA bereits bei seinem ersten Kampf mitten in der Stadt außer Kontrolle geraten ist, wurde er trotzdem weiter bevorzugt eingesetzt – zunächst, weil keine weiteren EVAs zur Verfügung standen, aber auch jetzt, wo man mit EVA 02 eigentlich eine modernere und zuverlässigere Waffe zur Verfügung hätte, kommt EVA 01 bevorzugt zum Einsatz. Sicherlich stimmt es, das der Pilot einfach einen recht hohen, stetig ansteigenden Synchronwert aufweist, aber… die Resultate, die mit Einheit Eins im tatsächlichen Kampf erzielt werden konnten, waren ebenso unglaublich, wie beunruhigend. Obwohl Commander Ikari eine anhaltende Tendenz zeigt, Schutz, Erhaltung und Reparatur dieser Einheit Priorität zu geben, ist sie schon so oft in den Kampf geschickt worden… Was er damit bezweckt, ist mir nach wie vor ein Rätsel… Aber ich halte es mittlerweilefür möglich, dass sie sie mit voller Absicht außer Kontrolle geraten lassen haben…

Auch an dem Auswahlverfahren für die Piloten habe ich langsam meine Zweifel. Werde das Marduk-Institut im Auge behalten.

Laut meinen Quellen planen die schon bald, das Sixth Child aus den vereinigten Staaten einfliegen zu lassen. Auch sie, eine Halbwaise. Die Liste der verdächtigen Gemeinsamkeiten wächst.

Wir sollten das Kreuz-Synchronisations-Experiment, das anlässlich ihrer Ankunft geplant ist, genau im Auge behalten. Wir könnten gegebenfalls eine Menge über die wechselseitige Austauschbarkeit der Piloten lernen, oder über dieses undurchsichtige Projekt am Golghata-Stützpunkt, von wo aus anscheinend eine Anfrage nach frischen Daten kam…Unter Umständen könnte der Ausgang dieses Experiments sehr gefährlich für uns werden…

 

PS: Recherchieren Sie noch mal wegen den Aufzeichnungen über den Unfall, der Gendo Ikari’s Ehefrau Yui das Leben kostete.“

(theorie)

 

PRAXIS:

„Was hat hier… vor sechzehn Jahren angefangen?“

Das Warenhaus, in dem der unrasierte Mann derzeit herumschlich, hätten einige vielleicht als jenes erkannt, indem Kuze und Miyazawa ihr Redevouz mit Asahina hatten – Tatsächlich hatte er sich gerade heute diese „Location“ vorgenommen, weil er sich die Neugkeiten über verdächtige Eigenschaften hier selbsttätig beschafft hatte – Doch der Agent des Ministeriums war ein paar Studen zu spät, und die waren für die professionellen Schergen SEELEs mehr als genug gewesen.

Alles was für Kaji noch zu finden blieb, war das bisschen Beweis, dass sie nicht verschwinden lassen konnten – Nicht besonders viel, ein großes Rechteck ohne Staub, dass gleich einem dieser mysteriösen Kornkreise dort stand, wo sich am Vortag nochTabris‘ Container befunden hatte, in der Form des Corpus Delicti, des Gegenstands des Mysteriums, ohne irgendwas über seine Natur preiszugeben, außer einer abstrakten, geometrischen Form, die gerade ausreichte, um ihn in seine Träumen zu verfolgen, keine Spur mehr von den Wissenschaftlern, deren Formen die langgesuchten Wahrheiten enthielten, die endlosen Möglichkeiten des Geflüsters durch die Wälle der Realität eingeengt.

Es war einer dieser Fälle, wo die Suche nach Antworten nur zu einem neuen tückischen Labhyrith voller Fragen führte, und doch war die Abwesenheit von Beweismaterialien doch ihre eigene Art Material – Kaji hatte sich unter anderem mit einem simplen Pulloser und einem weißen Kittel als Wissenschaftler getarnt, doch am Ende hatte es kein Kostrüm gebraucht – Dieser ganze Laden war verlassen, die Türen rostig, die Fenster mit Spinnweben verhangen…

Und natürlich, als hätte das Schicksal diese Gedanken als Herrausforderung gesehen, vernahm er gerade jetzt das Geräusch einer alten, sich öffnenden Tür.

Da konnte alles bedeuten, oder auch gar nichts; Sich dicht, professionell und geräuschlos an eine Wand pressend, den Verstand zurücklehnend und das Lenkrand an die ältesten seiner Instinkte übergebend nahm Kaji seine Pistole aus seiner Jackentasche, machte sich bereit, und öffnete die Tür ein spaltbreit, führte was auch immer dahinter auf ihn wartete, mit seinen eigenen Händen herbei, und Licht fiel durch den Spalt der rostigen Türe –

Der Spalt an Welt, den er jedoch zu sehen bekam, verriet dann freilich alles und gab Entwarnung; Sitz und Hinterrad eines vertrauten Mortorrads, ein gefüllter, vertrauter Einkaufskorb.

Aufstehen, Kinder füttern, zur Schule fahren, Haus Putzen, Einkaufen fahrren, die Welt retten;

Entgegen der landläufigen Meinungen hatten Agentinnen, die auch aussahen, wie Bond Girls nur einen begrenzten Nutzen – Die Kollegin, die Kaji jenseits dieser Tür vorfand, war eine rundliche Dame mittleren Alterns und hatte sich, nachdem sie sich auf dem Weg vom wöchendlichen Einkauf Nachhause die Zeit zum spionieren genommen hatte, dazu niedergelassen, die Gruppe von streunenden Kätzchen, die außerhalb des vor sich hin miauzte, mit irgend einer krümeligen Einkaufsware aus ihrem Korb zu füttern.

„Ich bin es nur.“

„Ah. Du bist es.“

Kaji steckte seine Waffe als eine Geste des Verstrauens zurück in die Tasche seines Kittels, wagte es aber nicht, sie aus der Hand zu legen – Nicht primär wegen dieser Frau, sondern mehr wegen dessen, was hier noch so in der Finsternis dieses Lagerhauses auf ihn warten könnten – Nicht, dass er hier besonders viel erwarten würde, aber in seinem Beruf konnte er sich nicht leisten, nachlässig zu werden.

„Das hier ist Shanon Bio Incorporated… angeblich ein ausländischer Chemie-Betrieb… Dabei sieht es hier schon seid neun Jahren so aus, und es war auch nie etwas anderes hier – Bis jetzt haben sich 106 von 108 Firmen, die angeblich mit dem Marduk-Institut in Geschäftsbeziehungen stehen, als reine Schein-Firmen erwiesen.“

„Und ich nehme mal an, dass hier ist Nummer 107?“

„Ich habe eine Liste der angeblichen Geldgeber der Firma besorgt…“ antwortete die Dama darauf, während sie die Frauenzeitschrift umblätterte, in der sie derzeit las, und ein anen an den Rändern etwas mitgenommenen Ausdruck freilegte, denn sie wohl im Vorfeld dazwischen eingeklemmt haben musste.

„…und sie wollen wahrscheinlich, dass ich mir die Namen darauf ansehe? Nicht nötig. Ich denke, dass ich mit den meisten davon schon vertraut sein dürfte…

Eigentlich sollte das Marduk-Institut eine unabhängige, beratende Einrichtung sein, deren Aufgabe es ist, Piloten für die Evangelions zu finden, aber so weit scheint es, als ob alle assoziierten Immobilien und Finanzen unter direkter Kontrolle des Komitees zur Vollendung der Menschheit stehen… das heißt, soweit sie überhaupt existieren… So weit gibt es von der Organisation selbst nicht die geringste Spur…“

„Deine Nachforschungen über NERV auch auf das Marduk-Institut auszuweiten, könnte dich teuer zu stehen kommen…“

„Tja, was soll ich machen? Ein Spion steckt seine Nase nunmal immer dort rein, wo es am meisten stinkt…“

 

 

(Ein weiteres Blatt Papier, das mit einer dunkelroten Büroklammer außen an der vormals erwähnten Klarsichthülle befestigt ist)

 

Blau wie Nerven.

Violett wie die Roben eines Priesters.

Rot wie Arterien.

Dang, Dang, Dang.

Die Farben knallen in mein Blickfeld,

Erleuchtet von einer Schießerei

Grau wie Bomben,

Der Geschmack von Rost, der sich in meinem Mund verteilt

Das Gefühl von starren Felsen unter meinen Füßen.

Dang, Dang, Dang.

Das Trommeln primitiver Zeitalter,

Der Rhythmus der Tollheit,

Der Tanz der Riesen,

mit ihren Gewehren des Wahns,

Dang, Dang, Dang

Erinnerungen, die das Messer der Raserei

In die Gehirne der Menschen geritzt hat,

als Menschen noch keine Menschen waren,

sondern die Brüder und Schwestern der Bestien;

Dang, Dang, Dang,

Die Arme.

Dang, Dang, Dang,

Die Beine.

Dang, Dang, Dang

Die Augen

Tanzende Riesen: Gefärbt in blau, violett und rot

Dies hier ist die Stadt der Riesen

Hier leben die Götter, die von ihrem Thron im Himmel verstoßen wurden

Noch scheint die Sonne über ihren Häuptern

 

Ohne Titel (Handschrift auf einem Blatt Papier, aus den privaten Unterlagen von Kaji Ryoji)

 

Wenn ich die Narben der Kämpfe sehe,

Fühle ich mich beinahe benommen

Und das nicht nur wegen der ewig herrabrennenden Sonne

Man sagt, dass diese Stadt einzig und allein als Schlachtfeld für diesen Krieg geschaffen wurde

So viele Wolkenkratzer

Und jeder weiß

Jeder von ihnen ein Speer ist, und zugleich auch ein Schild

Es heißt, dass der Mensch weit in der Vergangenheit schon einmal versucht hat, selbst Gott zu sein

Und einen Turm baute, der hoch genug war, um den Himmel zu erreichen;

Dieser aber wurde von Gott in Stücke geschlagen

Die Apostel

Jene, die die Namen von Engeln tragen

Die treuen Diener Gottes

Menschliche Wesen

Bedauernswerte Kreaturen

Warum mussten sie sich gegen Gott auflehnen, um ihre Gier zu befriedigen?

Die Narben dieses Krieges

Eine Art Benommenheit, oder vielmehr Verzweiflung

Ich bin mir sicher, dass in der Zukunft nur Tod und Verzweiflung warten

Die Seelen der Menschen werden niemals eine Hymne der Wiedergeburt singen

 

(Ja, manchmal fiel es ihm wirklich schwer, sich beim gegenwärtigen Stand der Dinge noch so etwas wie eine Zukunft vorzustellen, und mit jeder Enthüllung, die in den dunklen Kellern NERVs auf ihn wartete, verdunkelten sich die Aussichten weiter.

Doch dann dachte er an diese noch im aufblühen befindlichen jungen Seelen, die ihm auf seiner langen Suche begegnet waren, und sich, so verschieden sie auch sein mochten, doch alle auf ihren ganz eigenen Suchen zu befinden schienen; Asuka, Mari, und dieser stille Junge, der ihn auf eine eigenartige Art und Weise an sein jüngeres Selbst erinnerte, verloren auf den selben Irrwegen, ein Leben, in dass er erst seid kurzem hineingetrieten war – Rot, grün und blau.

Es gab auch hin und wieder ein paar seltene, glänzende Momente, in denen er eines dieser Kinder betrachtete, und allein diese drei Grundfarben schon ausreichten, um sich soetwas wie eine Zukunft auszumalen – Das er zu dieser Zutrit haben könnte, war ihm vom Anfang an nicht in den Sinn gekommen – Es schien einfach nicht… richtig, und er hatte sich schon vor einer langen, langen Zeit damit abgefunden.

Er betete nur, dass seine Hoffnungen ihn überleben würden…)

 

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„Und die Stadt ist noch nicht mal die einzige Zeugin der Wunden, welche die Botschafter des Verderbens in unsere Welt gerissen haben… Ashino-Seen Zwei und Drei… Ich hoffe, dass es keine weiteren geben wird…“ kommentierte Fuyutsuki, pessimistisch-wehmütig darüber nachdenkend, wie viele große Löcher sie wohl noch auffüllen müssen würden.  Er kam aus dieser alten Welt, und deshalb blieb ihr Schmerz etwas das ihn berührte – Auch, oder gerade weil sich niemand sonst noch irgendwie darum zu scheren schien.

Manchmal glaubte er selbst nicht, wie sehr sich diese Welt in seiner Lebzeit verändert hatte, und dass es da draußen Generationen gab, für den selbst der heutige „Intaktheitsgrad“ der Welt schon sehr bald zu wenig mehr als einer fernen Vergangenheit werden würde.

Die Einnerung daran zu enthalten, schien wirklich immer und immer weniger von Nutzen zu sein, und er stand in seiner Begründung dieses Festhaltens immer mehr mit prinzipiellen Grundsatz-Floskeln da – Er wusste ja, dass die nicht mehr reichten…

„…Der Vorsitzende hat sich heute Morgen persönlich bei mir gemeldet, um sich wegen den Verzögerungen beim Projekt zu beklagen… Er war ziermlich aufgebracht, hat sogar deine mögliche Ablösung angedeutet…“

„Adam entwickelt sich gut, und kurz nach der baldigen Ankunft des Sixth Child sind Tests angesetzt, um denen in Golghata neue Ausgangsdaten für das Dummy-Plug-Projekt zu senden… also worüber meckert der alte Mann schonwieder?“

„Darüber, dass das Vollendungs-Projekt hinterm Zeitplan liegt… unsere aller wichtigste Arbeit…“

„Die Projekte sind alle miteinander verknüpft… Es gibt keinerlei Problem.“

„Gilt das auch für Rei?“ fragte Fuyutsuki, auf eine Art, die keinen außenstehenden vermuten lassen würde, dass es sich dabei um den Namen eines jungen Mädchens handelte, und nicht um einen simplen Codenamen für ein weiteres Laborexperiment.

Ikari blieb ihm eine Antwort schuldig, die nicht aus einer dunklen Stille bestand; Für einen Moment schienen ihre üblichen Rollen vertauscht, als hätte die Erwähnung des First Child Fuyutsuki zum kaltherzigeren der beiden gemacht, und Ikari derjenige, der noch eine sentimentale Bindung übrig hatte.

„Ach ja, wo wir schon mal dabei sind… wie sollen wir mit dem Spion verfahren?“ sprach Fuyutsuki, ohne dass da Zweifel wären, oder irgendwas vom Charakter einer Vermutung, irgendwelcher Raum für Ungenaugkeiten, die man mit Hoffnung hätte füllen können.

„Lassen wir ihn vorerst gewähren. Auch im Bezug auf das Marduk-Institut. Das selbe gilt auch für ‚Asahina‘.“ antwortete Ikari unbekümmert, ohne, dass er den beiden Agenten irgendwelche Gefahr oder Bedeutung zumessen sollte, als seien sie nichts als simple Staubflecken, die er zu jedembeliebigen Zeitpunkt wegwischen könnte.

„Ich stimme zu. Wir sollten ihm erlauben, uns noch eine Weile nützlich zu sein…“

Fuyutsuki erwähnte die anstehende Stadtratswahl nicht mal mehr; Die Antwort, die er bekommen würde, war nach den Gesprächen des vorherigen Vormittags und allem, was er bisher über diesen Mann wusste, mehr oder weniger offensichtlich.

Er konnte nicht mal mehr die Energie für ein Seuftzen heraufbeschwören – Keel und seine Geheimbündler waren bei weitem nicht die einzigen, die sich im Leben nicht um seine Belange geschert hatten; Das Schlimmste war wohl, dass er da selbst seine geliebte Studentin dazuzuzählen hatte.

Die einzige, sichtlich erbärmliche Freude, die ihm noch blieb war, wenigstens Keel und die seinen von seiner Sicht aus noch alt und verblendet nennen zu können, und siehe da, er machte davon in aller Erbärmlichkeit und Falschheit auch noch freudigen Gebrauch – Seine kleinen, leeren Freuden, einen Tag nach dem anderen – Fuyutsuki konnte sich selbst nur noch belächeln.

 

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Es hatte mal eine Zeit gegeben, die wohl näher schien, als sie es mittlerweile wirklich war, in der die Menschen vom ganzen Herzen an den Fortschritt geglaubt hatten, und an diesen Gedanken, dass sich diese sogenannte Zivilisation zu immer größeren, immer strahlenderen Tagen hinbewegte, technologisch, wie auch in der Entwicklung der Menschen selbst…

Doch fragte man Aoba Shigeru, war diese Zeit lange vorbei, wenn diese Leute nicht von Anfang an nur einen hohlen Holz-Götzen angebetet hatten, dessen neumodisch-metallische Verkleidung höchstens einen kosmetischen Unterschied machte – Und Neo Tokyo-3, in all ihrem Glanz und all ihrem Dreck, war nichts als ihr größter Altar, dieses moderne Atlantis, diese neuzeitliche Hure Babylon.

Er gehörte zu jenen, die noch sehr jung gewesen waren, als der Himmel über ihnen allen zusammengebrochen war, aber nicht so jung, dass er die Illusionen der Zeit vorher, den schnellend-euphorischen Countdown zum nächsten Wunder der Technologie nicht zumindest Ansatzweise geschmeckt hätte.

Doch seine Kindheit ging vorbei, und mir ihr die Naivität, die damit einherging; Vielleicht war es der ganzen Menschheit so ergangen, oder zumindest gab es eine ganze Menge frustrierte Jugendliche, die, in einer ganz eigenen Art von Naivität, der hegel’schen Antithese, die noch nicht die Synthese erreicht hatte, und so die gleiche kategorische Blindheit besaß, wie der fromme Lemmings-Glaube ihr vorrausgegangen war, meinten, dass die Tragödie doch hätte ausreichen müssen, um die Menschheit von ihrer Arroganz zu heilen, oder sie zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass die „Geschichte“, die sich ohnehin nur in begrenzten Räumen abgespielt hatte, fernab von denen vor dem Impact noch die letzten Jäger und Sammler umhergeschlichen waren, nur eine lokale manifestation eines zufälligen auf und abs war, verdammt dazu, vergessen zu werden, wie die Namen derer, die der Menschheit das Messer oder das Rad gebracht hatten… Die nächste Götterdämmerung kam bestimmt, und ein Gefühl dass Jugendliche, welche sie über sich herreinbrechen sehen hatten, nicht ganz abschütteln konnten, war jenes, die Party knapp verpasst zu haben: Aoba war etwa so alt wie die Children heute, als ihm klar wurde, dass er sich in einer Era des Abstiegs befand, dass sein Leben hinein in eine ungewisse Zukunft raste, in eine Zeit des Vergessens und vergessen werdens, in der nichts, was er zu erreichen versuchte, besonders vielen Einfluss haben würde – Es war leicht, die Tatsache mit all ihrem Implikationen zu begreifen und herrunterzurattern, wenn man zum Bespiel vom Fall Roms hörte, doch die wahre Grausamkeit lag darin, dass es eigentlich genau so leicht zu erkennen war, wenn man sich selbst subjektiv im frühen 21. Jahrhundert befand… nur, dass man sich damit in einen Käfig der Erkenntnis stürzte, gegen dessen Wände noch so schlagen und treten konnte… wieso noch zur Schule gehen? Wieso noch an die Zukunft denken? Wieso noch zur Gesellschaft beitragen?

Die üblichen, rational-eigennützenden Argumente zogen nicht mehr – Versuchte man, diese Art von Logik auf die Welt nach dem Second-Impact anzuwenden, führten alle Pfade ins nichts – Und Aoba war nur einer von vielen mit diesem Gedanken und Gefühlen in seiner Seele.

Die Reflektionen der Gedanken der Menschen fanden ihren Weg wie so oft in die Kunst hinein; Gleichgesinnte trafen sich, woben ihre Netzte, Welten, Codes und Erkennungszeichen, ein Stückweit bekann eine Reprise von Dingen, die so um die Hälfte der letzten Dekade vor der Katastrophe herum eigentlich ausrangiert galten, von dem frisch aufgekeimten „Go-Future!“ Sentiment zum Ende des Milleniums ließ die Katastrphe wenig stehen.

Außer Kunst und Subkultur hatte Aoba wenig gehabt; Seine Eltern hatte der Impact geholt, und auch, wenn es zu seinem Zeitpunkt natürlich Schmerz und Tränen gegeben hatte, war das ganze eine abgepackte, fertige Angelegenheit verpackener Zeiten, genau so in Schubladen gesteckt, wie die Fotos dieser beiden Menschen – Nicht mal die Löcher, die sie gelassen hatten, waren noch signifikannte Präsenzen in seinem Leben.

Auch heute noch war seine Wohnung zwar nicht klein, aber so bemessen, dass eine einzelne Person keinen unnötigen, unbesetzten Raum darin fand, in dem sich unnützer Krimskrams einsammeln könnte – Geschichte und ein tieferer Sinn im Leben waren nicht die einzigen Dinge, an die Aoba nicht glaubte, Occam’s Rasiermesser sein steiger bester Freund, wie auch Sturgeons Gesetz und andere Prinzipien, deren Sprache erst zu seiner Zeit entstanden war, und nicht nur die Ausstattung seiner Weltanschaung war minimalistisch;

Die Möbel waren billig bis Improvisation Marke Eigenbau, die Architektur offen, die Farben hell und Licht, die Regale größtenteils dazu da, um zu akzentuieren, dass er sie eigentlich nicht brauchte, die nackten Glühbirnen erkannt als eine eitle Geste der Übertreibung, die er sich zu seiner Belustigung gegönnt hatte.

Doch Dinge waren nicht das einzige gewesen, woran er sich nicht hatte binden lassen, er war hier wie vormals erwähnt, immer noch allein; Nicht, dass er Menschen bewusst aus dem Weg gegangen war; Es hatte sich nur nie etwas Tieferes ergeben, oder vielleicht hatte er es nie richtig gesucht…

Er beklagte sich nicht, zumal er recht freundliche Kollegen und wenn nicht sehr enge Freunde hatten, die zur Stillung des menschlichen Sozialbedürfnisses durchaus ausreichten.

Dennoch, hätte man ihn gefragt, wer in seinem Leben die wichtigste Person war, hätte er wohl sich selbst nennen müssen, nicht, weil er irgendwie besonders narzistisch wäre – keinesfalls –  sondern weil es in seinem Leben einfach niemanden gab, von dem er sagen würde, dass er ihn „mehr liebte als sich selbst“, für den er das Verderben entgegenehmen würde, um mit ihnen zusammensein zu können…

Manch einer tuschelte ja, dass es zwischen ihm und Dr. Akagis persönlicher Assistentin Ibuki Maya etwas geben würde, aber das war, weil manche Menschen ihr Leben ohne Getuschel wohl zweifellos sterbenslangweilig finden würden, und zu dutzenden von den Hausdächern springen würden, wenn sie nichts zu tuscheln hätten. Um dieses Unheil zu verhüten, hatte Aoba schon lange entschieden, sie einfach tuscheln zu lassen, und ermutigte Ibuki, dasselbe zu tun und sich nichts daraus zu machen.

Entgegen der verbreiteten Meinung war es sehr wohl möglich, dass ein Mann und eine Frau einfach nur befreundet waren-

(„Ibuki und ich? Das ist völlig unmöglich.“ Würde er dann immer ungläubig Lächeln mit einem heiteren Kopfschütteln darauf erwidern, ohne genauer darauf einzugehen, hauptsächlich um keine weiteren Ansatzpunkte für Fragen und Spekulationen zu lassen, vor allem ber nicht auf das „Warum?“  – Ihr Geheimnis war bei ihm sicher. Auch wenn erihr immer wieder erzählte, dass es zur heutigen Zeit eigentlich keinen wirklichen Grund gab, irgendeine Art von Geheimnis daraus zu machen, zumal sich nach dem Second Impact keiner mehr altmodische Standarts irgendeiner Art leisten konnte. Ihr Geheimnis war bei ihm sicher.)

Wenn man jung ist, hört man oft Märchen und Erzählungen von der Liebe, Schilderungen in Kunstwerken und persönlichen Anekdoten, und dann fantasierteman sich bisweilen etwas zusammen, dass blühender war, als alles, was diese Welt zu bieten hatte – Das waren die Vorstellungen von Menschen immer, undendlich beschränkt, und doch Ozean-Tief, im Inneren grpßer wie eine Zeitmaschine aus irgendeiner britischen Kult-Sci-Fi-Serie, voll mit Träumen und Schichten und soweiter, und doch niemals, niemals genug, nur fähig, wiederzukäuen, was auch von außen kommt, und darin auf das Äußere angewiesen.

Vielleicht waren das alles Träumerreien, die es nie wirklich gegeben hatte, vielleicht war es er selbst, der nun mal so beschaffen war, dass er nicht dazu fähig war, und er hatte es vorher nur nicht gemerkt, oder vielleicht gab es dort draußen nichts als den Regen, und sie waren alle nichts weiter als verwaschene Erinnerungen von jemanden, der schon lange fort war.

Er wusste es nicht, und er war zu dem Schluss gelangt, dass er es nie wissen würde, nicht was dieses kleine Fensters namens Realität wirklich sein sollte, oder wo die endlosen Dimensionen herstammten, die man in den CDs seines Vertrauens finden konnte – Gedanken des Autors, kommuniziert, oder bloß ein vergeblicher Versuch, in das die Hörer nur die Wände ihrer eigenen Monaren hineinprojizierten?

Er wusste nur, dass die Musik schon immer etwas war, indem er sich wirklich verlieren konnte, dahintreiben und verlaufen, und sich hinterher wundern, wie in aller Welt er einen bestimmten Ort erreicht hatte. Der Moment, in dem sich alle zwischenspiele, Intros und Outros zu einem fließenden ganzen Verbanden, eine Atmosphäre, oder einen Ort, in dem die einzelnen Lieder auf und ab gingen, ein Abflusstrudel der Gedanken…

Und es waren seine eigenen Gedanken, um die es ihm da gegangen war, er glaubte nicht an die Bewahrung für die Nachwelt – wenn er sich mit seiner Gitarre hinsetzte und die Tür schloss, konnte der Rest der Welt seinetwegen verschwinden. Es war sein ganz eigener, metaphysischer Ort, an den ihm keiner folgen konnte, wo er keinen sonst zu hören brauchte…

Deshalb hatte er es auch bis zum heutigen Tage nicht lassen können, auch, wenn seine Band der Vergangenheit angehörte; es war kein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung…

Daher wäre seine Wohnung auch nur eine unzureichende Reflektion seiner Gedankensphäre, wenn das einzige Bild an diesen Wänden nicht eine bestimmte Gruppe von jungen Leuten gezeigt hätte, im Hintergrund die Universität, die er ernst besucht hatte… Seine Band.

Er und die Menschen darauf hatten sich im Wesentlichen aus den Augen verloren… gut möglich, dass sie sich hin unter wieder mal trafen, unvermeidlich, dass die Frage danach kam, ob man das mit der Band nicht irgendwie fortführen könnte, und dass es, auf seine Rückfrage, ohne ihn nicht ginge, weil er doch „die kreative Triebfeder“der ganzen Gruppierung gewesen sei.

Die frage danach, was nur geschehen sei… Nun, nicht wirklich viel. Zu all den vielen Dingen, an die Aoba nicht glaubte, hatte sich nur irgendwann auch die Jugendrebellion gezählt, er hatte begonnen, die Sinnlosigkeit einfach hinzunehmen, anstatt einen Kult um sie zu machen.

Vielleicht war es das, was man das Erwachsenwerden nannte, aber er hatte nicht die Arroganz, diese entfernte Vermutung laut auszusprechen, er war selbst noch jung und noch am lernen und hatte oft genug anderen gesagt, sie würden den Mund vollnehmen ohne es besser zu wissen, damals in seiner Jugend.

Es hieß, dass man den unreifen Mann daran erkennen könne, dass er bereit sei, für einen guten Zweck nobel zu sterben, wogegen der reife Mann bereit war, dafür bescheiden zu leben… und auch, wenn er noch weit davon entfernt war, sich zur zweiten Kategorie zur zählen, und sich nicht mal ganz sicher war, dass er sich das vergeben können würde, wenn es denn dazu kommen würde, hatte er doch sicher den Weg der schlichten Selbsterhaltung gewählt… Vielleicht, weil er zu dem Schluss gekommen war, dass er der Tod im Grunde genau so wenig wert war, wie das Leben. Kein Grund, sich damit zu beeilen, nicht-existieren konnte er später noch lange genug, ein menschliches Leben war nie etwas anderes gewesen, als ein lächerlich kurzer, kosmischer Furz.

Ob er denn noch spiele?

Das hätte er nie aufgeben können.

Nicht aus irgendwelcher besonderer Überzeugung heraus, es war einfach zu einem Teil seiner Identität geworden, wie auch die langen Haare. Kein Grund, viel Wind druherum zu machen, und sich dazu zu bringen, mit alledem aufzuhören.

Wenn er es betrachtete, dann nicht ohne ein gewisses ironisches Lächeln; Am Ende war er ein Computer-Techniker geworden, wohl zunächst einfach, weil er gut darin gewesen war und man es ihm empfohlen hatte, hatte in halb-sarkastischem Singsang letzlich selbst in den Kanon des „Ave Machina“ eingestimmt, und sich, nur durch seine Suche nach einem brauchbaren, stabilen  Arbeitsplatz, in dem seine Qualifikationen und seine Lebenssituation vom Vorteil sein würden, in der Organisation wiedergefunden, die für den Erhalt der Menschheit kämpfte, und ehe er sich versah, war er dabei, aufzustehen und sich auf einen neuen Arbeitstag vorzubereiten, obwohl er nie wirklich daran geglaubt hatte, dass sie auch nur die geringste Chance darauf hatten, den Fortbestand dieser Welt zu sichern.

Aber das hieß nicht, dass er seine Arbeit nicht nach bestem Wissen und Gewissen ausführen konnte, und mit aller Entschlossenheit, nur für die Handlungen selbst; Das hieß nicht, das er nicht weiter seine Melodien in den Wind spielen würde.

Wenn doch alles in etwa gleich sinnlos war,

…warum eigentlich nicht?

Es lag wohl einfach ein Stück weit in der menschlichen Natur, absurd, wie diese eben sein konnte.

 

Vor dem NERV-Hauptquartier standen jedoch zunächst zwei weitere Punkte auf Aobas Tagesplan, der erste war noch im selben Gebäude, und zugleich ein Treffpunkt mit jemandem, der den Rest des Wegen mit ihm gehen würde… Es war nicht so, als ob er nach all den Tagen, die dies schon zu seiner Routine gehörte, immer noch Tag für Tag enthusiastisch wäre, aber was sollte er machen? Man konnte dieses Mädchen einfach nicht alleine lassen…

 

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Hinter der Tür, an die Aoba kurz darauf klopfte, erwartete ihn ein Reich aus Rosa und Pink, Kissen, Plüschies, Fußboden (Plüsch-Teppich, weil sie die kalten Füße wirklich nicht vertragen würde), Regale von Plüschies und niedlichen Acessoires, von Minimalismus keine Spur, Schreibtisch mit Bärchen-Stiften, Bärchen-Fußabtreter (Worin Aoba seinen eigenen Humor sah), herzallerliebste Kühlschrankmagneten, die süßesten Notizbücher und ein Tagebuch in Plüsch,  Bärchen-Bücherregal, größtenteils Liebesromane und Filme, auch etwas Leben in Form von Topfpflanzen und insbesondere den unscheinbaren klerinen Blümchen blühender Kakteen, zu denen die Besitzerin des Appartment wohl eine besondere Beziehung haben musste, doch nicht ohne eine unerwartete Dosis Technik-Bücher, die modernste Stereoanlage, eine große, externe Festplatte, die nicht die Frechheit besessen hatte, pinke Lichter zu haben, aber immerhin Sticker, Sticker auf den zahlreichen Laptops und Towern in dieser Wohnung, Kabel, über die die Inhabering gelegentlich selber stolperte, und dann … Aoba hatte für all dies persönlich wenig übrig, aber er schätzte es als Ausdruck der Persönlichkeit der Bewohnerin, auch wenn diese, wie man auch der nicht ganz üblichen Kombination entnehmen konnte, nicht das war, was man hätte vermuten können…

Als sie ihm die Tür öffnete, stand sie fertig vor ihm, in kurzen, khakifarbenen Hosen, einem sonnengelben T-Shirt und sportlichen Turnschuhen, schlank, zierlich und klein, mit mausbraunen Augen und kurzem, braunen Haar, dass an sich schon ein Geständnis war, Zeugnis einer Umwälzung, eines Ergebnisses das letzten Endes einer langen, inneren Suche nachgefolgt war, und zugleich Schlüssel zu dem, was sich hinter allen Unstimmigkeiten verbarg…

Fragte man Aoba, würde er sie als trotz ihrer sehr engagierten, harten Arbeit für eine paramilitärische Organisation ungeeignet einstufen; Sie neigte dazu, in Krisensituationen die Nerven zu verlieren, war ängstlich und überhaupt eher eine unterordnende als eine Führungspersönlichkeit, und Aoba schätzte, dass sie sich wohl deshalb auch an ihn geklammert hatte, obwohl nicht nur ihre Wohnungen das genaue Gegenteil voneinander zu sein schienen – Sie meinte, er würde einen unabhängigen, beherrschten Eindruck machen, als wüsste er immer, wo es lang gehen würde… wie sie darauf gekommen war, konnte er sich jedoch beim besten Willen nicht erklären.

Trotzdem… Diese Welt konnte einen mit Haut und Haaren verschlucken, wenn man sie nur ließ… er konnte sie nicht an ihrer Stelle von ihr fern halten, aber sie einfach sich selbst überlassen konnte er auch nicht. Sie würde es nicht überstehen, und es wäre schade um ihre Arbeit, die ja eigentlich in der Regel wirklich recht engagiert und sauber verrichtet wurde.

Nicht gut genug, um den Rest von ihr zu rechtfertigen, und das wussten sie beide, aber bis jetzt hatte es keine Probe gegeben, in der sie speziell das im zerreißen befundene Glied gewesen wäre, und solange die Dinge günstig weitergingen, würde „engagiert und ordentlich“ vielleicht reichen. Es hatte bis jetzt ja auch irgendwie gereicht, um ihre Stelle zu bekommen… zumindest bestand die Möglichkeit. – Konnte auch sein, dass sie auch schon denen leid getan hatte, die ihr die Stelle überhaupt verschafft hatte; Was ihn jedefalls bleiben ließ und wohl auch mit einem entfernten Neid belegt hatte, von der Form, wie man sie mit einem sorglosen Kind hat, von dem man weiß, dass es auch mal erwachsen werden wird – Er würde nicht mit ihr tauschen oder irgendwie versuchen, so zu sein wie sie, aber er war in der Lage, so was zu respektieren…

Die Tatsache, dass sie wirklich, wirklich, wirklich hier arbeiten wollte, mehr als alles andere in ihrem Leben, aus nichts weiter als einfachem, schlichtem Idealismus herraus, dem starken, innigen Glauben, an diese Welt, diese Organisation, an das was sie tat, und nicht zu letzt, natürlich Technik und Fortschritt…

Er musste gar nicht darauf aufpassen, nicht irgendwie ihre Blase zum platzen zu bringen, weil das schlichtweg nicht möglich war; Eine solche Konversation würde nur damit enden, dass sie sich dazu verpflichtet sah, Aoba ungebeten „aufzumuntern“ und zu „ermutigen“.

Eine Naivität, von der er wusste, dass sie nicht währen würde, wenn dieser Krieg sein hässliches, wahres Gesicht zeigte, aber dennoch… sie hatte ihren Garten Eden nie verlassen und dass nicht, weil sie es irgendwie besonders behütet oder leicht gehabt hätte, oder keine Narben tragen würde;

Nein, was ihn wohl am meisten wunderte war, dass sie dieselbe Zerstörung gesehen hatte, wie er, vielleicht sogar noch mehr davon, und es war leicht zu sehen, dass es sie auch nicht gerade unberührt gelassen hatte. Manchmal fragte er sich, ob sie wohl zu irgendwas fähig gewesen war, dass ihm grundlegend gefehlt hatte, aber das war keine Theorie, der er besonders viel Wichtigkeit zumaß – Dennoch, hatte er zurecht zugegeben, das Ibukis Einstellung keinesfalls damit zu tun hatte, dass der Second Impact sie verschont hatte.

("...Das kommt also dabei raus, wenn ein Engel nach dem Zusammenbruch seines AT-Felds zerstört wird…Sieht aus wie ein Meer aus Blut... Fast, wie nach dem Second Impact... Ich krieg' immer noch eine Gänsehaut wenn ich daran denke...")

Aber anders als Aoba hatte sie die andere Seite der Medallie gesegen: Nicht das, was Wissenschaft und Technik nicht geleistet hatten, sondern alles, was sie vollbracht hatte.

Als die Fluten alles weggewischt hatten, wass sie und ihre Familie je gehabt hatten, als der Gestank des Giftes alles durchdrang, und die Tragödie der Jahrtausend-Wende ihren Vater und ihre geliebten älteren Geschwister nahm, war sie nichts als ein kleines Mädchen, dessen Kenntnisse von dieser Welt nicht einmal ausreichten, um eine winzige Ahnung davon zu haben, was überhaupt geschehen war; Alles, was ihr übrig blieb, war, in die Dunkelheit hinein zu schreien, und ihr schien, als hätte sie in dieser frühen Zeit nach dem Impact nicht einen Moment lang damit aufgehört zu haben; Sie rief nach ihren toten Verwandten, schrie und weinte vor Hunger, Durst und Gestank,beklagte ihre vollkommende Verwirrung und ihre Unfähigkeit zu verarbeiten, dass es ewig so weiter gehen würde…

Es gab nichts außer Schwärze und Panik in diesen düsteren, ziellosen Tagen.

Doch dann kam das Licht.

Das Licht, dass nur dadurch, dass es da ist, die Schatten vom Rest der Welt abtrennt und einem zeigt, wie man ihnen entfliehen konnte.

Das Licht des Wissens.

Die Erde war vergiftet gewesen, und die Wissenschaft hatte sie wieder fruchtbar gemacht;

Sie hatten in zerschlagenen Ruinen gelebt, und Maschinen hatten ihnen neue Häuser und Kleider gemacht;

Sie war im Unwissen gewesen, und Computer hatten einen Grund dafür ausgerechnet, das all dies passiert war, und ihm Namen und Bezeichnung gegeben; Es war kaum zu glauben, wie viel näher man daran kam, etwas zu beherrschen, wenn man ein Bild davon oder einen Namen dafür hatte – Und dabei spielte es auch keine Rolle, dass es letzlich doch kein Meteorit gewesen war, solange es nur eine Erklärung gab.

Die Welt war zertrümmert gewesen, und durch Wissenschaft und Forschung hatte man sie wieder aufgebaut, in weniger als der Zeit, die sie gebraucht hatte, um halbwegs herranzuwachsen… zuerst hatte sie nur mit weiten Augen gestaunt, doch als es wieder Schulen gab, und für sie die Zeit kam, erst Wahlfächer und dann höhere Bildung auszuwählen, war das strahlende Licht ihrer Kindheit in ihren Gedanken nach wie vor präsent.

Sie wollete verstehen, was geschehen war, wie diese Welt zerstört, und wieder aufgebasut worden war, verstehen, damit sie sich nicht mehr fürchten musste… verstehen, damit sie wirklich wertschätzen konnte, was diese Welt wieder zum strahlen gebracht hatte… vor allem, als jeder, der die Ohren nur einigermaßen aufhielt, herauslauschen konnte, dass schon bald die Zeit kommen würde, um diese Welt und alles, wass sie in dem letzten Jahrzehnt wieder aufgebaut hatten, erneut zu verteidigen…

Ibuki war sich von Anfang an bewusst gewesen, dass sie es nicht in sich hatte, eine mutige Kämpferin zu werden, die in den Frontlinien gegen den Feind vorgehen würde, doch Begeisterung, Fleiß und Engagement erlaubten ihr zu überwinden, was das Schicksal ihr nicht durch mathematisches Talent geschenkt hatte, und presste jedes bisschen Saft aus sich herraus, bis sich ihre Tränen, ihr Schweiß und ihr Blut schließlich zu einem Universitäts-Diplom zusammenzogen und verfestigten…

Wenn sie nicht an der Front stehen konnte, dann wollte sie mindestens hinter ihnen stehen, sie, die sie so deutlich gesehen hatte, wie wichtig diese Art von Arbeit war, und wie viel sie verändern konnte…

Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass man das Beste aus dem machen musste, was einem gegeben wurde. „Geh hinaus und tu die Dinge, die nur du tun kannst!“

…das machte ihr Zerwürfnis im Nachhinnein nur noch schmerzlicher.

Man hätte meinen können, dass sie an der einen übrigen Tochter, die die Tragödie ihr gelassen hatte, um jeden Preis festhalten wollen würde, gerade, wenn es das kleine, schüchterne Nesthäkchen war, dem sie immer Mut gemacht und gut zugeredet hatte…

Statt dessen trat das genaue Gegenteil ein, und ein Schock, von dem sich das Gemüt der empfindsamen jungen Frau nie wirklich erholen sollte; Ibuki war nicht einfach nach Tokyo-3 gekommen, um in einer neuen Stadt ein frisches Leben als neues Abenteuer und Abnabelungs-Erfahrung zu beginnen, auch, wenn es das war, was sie den meisten Menschen erzählte, ja, eigentlich nur Aoba und ihrem „Sempai“ nicht vorenthalten hatte – Die traurige, schmerzliche Wahrhheit war, das Ibuki von ihrer eigenen Mutter hochkannt aus dem Haus geworfen worden war, und seid dem kein einziges Wort mehr mit ihr gewechselt hatte – Kein Brief, keine Email kam jemals zurück; Kein Anruf wurde jemals angenommen, und vor etwa einem Jahr hatte sie erfahren, dass die Frau weggezogen war, ohne ihrer Tochter eine Adresse dazulassen, aufnimmerwiedersehen…

Doch auch hier war es die Wissenschaft gewesen, die ihr zur Seite gestanden hatte, die ihr sagte, dass die… Neigungen, um deren Willen sie verstoßen worden waren, nicht irgendeine unnatürliche, grundfalsche Sünde war, die jedem Anstand widersprach, sondern etwas, was im Tierreich recht häufig vorkam, seit grauer Vorzeit in vielerlei Kulturen dokumentiert war, und von Hormongleichgewichten während der Schwangerschaft abhängen könnte, an denen sie keine Schuld trug, und von derzeitigen Experten in keinster Weise als all diese Dinge betrachtet wurde, die ihre Mutter es genannt hatte…

Und warum sollte sie der Art von Denkweise und Philosophie nicht glauben, welche die Welt aus Ruinen wiederaufstehen lassen hatte?

Auch, wenn das hieß, zu behaupten, dass ihre geliebte Mutter unrecht gehabt hatte… auch, wenn es sich anfühlte, als hätte sie mit dieser zerstörten Verbindung auch ein Stück von sich selbst abgeschnitten…

Also schnitt sie ihr Haar.

Also kam sie nach Tokyo-3.

Sie behielt einen merklichen Knick bei, wie ihn trotz aller späterer Erholung und Heilung auch der Second Impact hinterlassen hatte, doch ihr Glaube in die Zukunft blieb ungebrochen.

Dass sie hier in Tokyo-3 war, bewies es, und auch, wenn der Verlust so einer wichtigsten, ältesten Beziehung sie tief schmerzte, hatte sie hier Gelegenheit, neue Bindungen zu knüpfen.

Ihre Kollegen, Hyuuga-kun und Aoba-kun, die immer sehr freudlich waren, und auch immer nach ihr sahen… Captain Katsuragi, ihre inspirierende Anführerin, die selbst in der finstersten denkbaren Situation immer einen Plan parat hatte, und mehr als alle anderen, ihre direkte Vorgesetzte, Akagi-sempai…

Keiner verkörperte Ibukis Traum so wie sie – Nicht nur war sie eine brilliante Wissenschaftlerin mit einem genialen Verstand, dessen wilden Sprüngen und Schlussfolgerungen Ibuki selbst nicht mal ansatzweise folgen konnte, sondern sie war ein Bild von Selbstbewusstsein, Erfahrung und Kontrolle, es schien nichts zu geben, was sie erschüttern konnte… Professionesll, effizient, und auch sehr, sehr hübsch…

Als Ibuki ihrer Abteilungsleiterin vorgestellt wurde, erwischte es sie im Wesentlichen sofort, schon mit der Art, wie sie sich vorstellte – Und der Herzschmerz begann fast zeitgleich, wusste sie doch, dass es ihr nur möglich sein würde, sie aus der Ferne zu betrachten…

Wenn Ibuki sie sah, fühlte sie ein Feuer unter ihrer Haut brennen, dicht unter ihren Wangen und tief im Fleische ihres Unterleibes, nahe dem Ansatz ihrer Wirbelsäule, vor allem aber in ihrem Fingern und ihren Geiste, die unter ihrer sachten Führung nicht stillstehen wollten, sondern mit der Entschlossenheit brannten, die erfahrene, ältere Frau zu beeindrucken, ja, ihren Respekt zu gewinnen, von ihr nur irgendwie gesehen zu werden, auf alle Arten bis auf die, auf die Ibuki für sie wohl auf ewig unsichtbar bleiben würde, denn sie machte sich da keine Illusionen;

Akagi-sempai war die erste Person gewesen, die Ibukis Fleiß wirklich annerkannt hatte, die sie gelobt hatte, wie einst ihre Mutter vor einer langen, langen Zeit… Wenn sie ihr ebenfalls den Rücken kehren sollte, wenn sie sie für unnatürlich und sündhaft halten würde… würde Ibuki das nichtüberleben; Es war besser, in der Stille für sie zu brennen und von Möglichkeiten zu träumen, die sich wohl nie ergeben würden, anstatt klar damit konfrontiert zu werden, dass sie unmöglich waren… wenn sie nur als ihre persönliche Assistentin an Akagi-sempais Seite sein konnte, wenn dies die nächste Nähe war, die sie zu ihr erreichen konnte…

Dann wollte sie die beste persönliche Asisstentin sein, die sie nur irgendwie sein konnte!

(Ach, du arme Maya.

Wenn sie nur den wahren Grund dafür gewusst hätte, dass die falsche Blondine gerade sie als ihre Assistentin ausgewählt hatte… Wertschätzung war von der Liste der Faktoren nicht ganz abwesend gewesen, doch das unaufrichtige Lächeln, dass sie getragen hatte, als sie die jüngere Frau erwählt hatte, hatte auch noch ganz andere Gründe…  Gründe, die schon in der Reifung befindlich gewesen waren, als sie Ibuki an einem persönlichen schlechten Tag (für Ibuki) über die Geschichte mit ihrer Mutter hinweggetröstet hatte, und sich auch, wenn sie dies nicht laut aussprach, an ihre eigene Verachtung für ihren eigenen weiblichen Elternteils und die Abwesenheit ihres eigenen Vaters erinnert gefühlt hatte… Akagi sah in ihr und ihrem noch unerschütterten Glauben und der Naivität, auf die sie wesentlich mehr herrabschaute, als es ihre kalte Maske der Rationalität durchscheinen ließ, ihr jüngeres, ebenfalls naives, unerfahrenes selbst, noch unbefleckt, wie sie gewesen war, bevor dieser Mann gekommen war und sie verdorben hatte, bevor er ihr all seine dunklen Geheimnisse offenbahrt hatte, sie erleuchtet hatte mit der Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit dieser Welt, und ihren jungen Verstand mit der Schwärze am Ende dieser Welt zertrümmert hatte…

Neid oder Misgunst gegenüber dem unschuldigen Wesen und ihrer Jugend spielten dabei nicht einmal mehr als eine untergeordnete Rolle; Vielmehr lag es in der Natur der Verderbnis, sich zu verbreiten und alles in ihrer Reichweite zu infizieren; auf eine Perverse Art und Weise waren ihre Empfindungen wohlwollend, sie sah sich als Führerin, die dieses dumme Mädchen in die echte,  unschöne Realität begleiten und sie von ihren unnützen Beschränkungen befreien würde, damit sie ihr potential ungehindert von nutzlosen Moralvorstellungen entfalten können würde… Sie musste weiter kontaminieren, um diese Einsamkeit zu lindern, um ihrer Macht- und Hilflosigkeit abzuhelfen… Sie wusste aber auch, dass der dunkle Teerbrunnen der Verderbnis, den jener Mann in die Tiefen ihrer Seele hineingepfroft hatte, bodenlos und unerschöpflich war.

Noch wusste das ungetrübte Mädchen nicht, dass die Reise, die sie angetreten hatte, schon sehr bald der jener Menschen ähneln würde, die nach den abscheulichen Gräueln der großen Kriege die Zuversicht in den Glanz der Technik verloren hatten, noch um den Obolus, den der Fährmann des Schicksals dafür von ihr verlangen würde – Das Licht in ihren Augen.)

 

Das Lächeln, das hinter der Tür zum Vorschein gekommen war, war vielleicht etwas simpler als die Nachschlagewerk-Definition von Perfekt, sondern ein wesentlich simpleres, kleiners Licht mit einem Knick von halb-unterdrückter Verlegenheit um die Mundwinkel herum, auch wenn manches aufmerksame Auge vielleicht gerade darin den Charme hätte sehen können.

„Guten Morgen, Aoba-kun!“ strahlte sie schließlich.

„Schön, dich zu sehen! Hast du heute gut geschlafen?“

 

Ihr Weg führte sie beide durch die Adern der Großstadt, Ampeln, Zebrastreifen, Menschenmengen, bekannte und unbekannte Gesichter, die alle ihre eigenen, kleinen Geschichten hatten; Eine schick gekleidete junge Frau mit langem, mitternachtsschwarzem Haar, die sicfh mit ihren Freunden über einen neuen angesagtenTreffpunkt unterhielt, ein Mann, der seiner etwa zweijährigen Tochter hinterherjagte, mit der er wohl ausnahmsweise Dienst hatte, ein kleines Mädchen in strahlendem Pink, Ponnies und Schleifchen in ihrer hellbraunen niedlichen, für ihr alter schon rech voluminösen kleinen Haubenfrisur („Midori! Bleib doch hier! Midori… Auf deine Mutti hörst du doch auch immer…“), ein bereits etwas kahler, kleiner Herr mittleren Alters in der unwahrscheinlichen Begleitung einer etwas verpeilt wirkenden Dame in einem Pfedeschwanz, eine erwachsene Frau, welche diese Stadt ihrem großen Koffer nach zu urteilen geradeerst betreten hatte, die dennoch durch ihr feuerwehrrot gefärbtes, zu zwei Odango-Knoten frisiertes Haar auffiel, ein verspäteter Haufen betrunkener Männer mit Kravatten um die Stirn, und normalere Gestalten wie ein vom Altag deprimierter angestellter in Anzug und Kravatte, ein älterer Mann, der mit finsterem Gesicht die Nachrichten von einer Zeitungsseite ablas, und einer mit einer Einkaufstasche (Keine von diesen Plastik-Einweg-Dingern, sondern ein recht persönlicher farbefroher Korb aus Geflecht, der einiges an Benutzung erlebt zu haben schien, und sogar mit einem kleinen, gelben Anhänger seine Zugehörigkeit auszudrücken vermochte, auf dessen Rückseite man ein Bild ihrer jugendlichen Tochter sehen konnte. Der Name der Dame war anscheinend Nagara, ein bedeutungsvolles Detail ähnlich der silbernen Halskette, die sie trug.) bewaffneten Hausfrau, die ihr langes, gewelltes Haar zu einem Pfedeschwanz zusammengebunden hatte, obgleich ein paar kürzere Locken ihren Mittelscheitel umrahmten das ganze Sammelsurium an Menschen – Ibuki glaubte sogar, ihre drei Mit-Technikerinnen Mogami, Agano und Ooi auf einem morgentlichen Schoppingtripp erkannt zu haben, beladen mit Tüten über Tüten statt ihren üblichen NERV-Uniformen.

Im Vorbeigehen fing sie ein paar Gesprächsschnipsel auf, über Oois Schönheitstipps für ihr Haar, deren Vorschläge, das Mogami sich ruhig etwas weniger dezentere Kleidung leisten könnte, und Aganos vielversprechendes neues Date, doch sie waren an ihnen vorbei, bevor sich die kurzhaarige NERV-Angestellte überhaupt sicher sein konnte, dass sie es waren.

Die Ampel zeigte Grün, und die Technikerin setzte ihren ersten Turnschuh auf den Zebrastreifen, und hielt sich dabei die Hand vor den Mund, um ein noch halb-verschlafenes Gähnen zu unterdrücken.

Nicht nur auf den Straßen quietschte der Berufsverkehr, in der Luft sah man weiße Streifen, und in einem Anflug kindlicher Begeisterung ertappte sich Ibuki dabei, wie sie bewunderte, wie groß und nah die vom Tokyo-3-Flughafen abgeflogenen Flugzeuger doch aussahen, zumindest verglichen mit den winzigen Punkten, als die man Flugzeuge sonst zu Gesicht bekam.

Auch die meisten Fahrradständer, an denen sie vorbeikamen, waren voll, und Ibuki erhaschte sogar den Blick auf eines mit einem Korb voll halbausgelieferter Zeitungen, doch der Großteil der Kommunikationen liefen in dieser Stadt mittlerweile durch die zahllosen Strumleitungen und Telegraphenmasten, unter deren Schatten sie hindurchschritten, wie unwissende Kinder an großen Monumenten.

Was Ibuki jedoch gelegentlich mit einerstockenden Verlegenheit besetzte, war die Tatsache, dass ie Damen alle helle, kurze Sommerkleidung trugen, zumal heute wieder einer dieser Tage war, die von einer trägen, stagnanten Hitze dominiert wurden, die die Luft zum flimmern bringen konnte… War man nicht in Bewegung und stand einem kein Ventilator zur Seite, wurde man schon von der Luft allein Müde und fertig, doch auf ein Ende dieser Hitze wartete man schon mindestens seid dem Second Impact vergebens; Wer sich nicht anpasste, der passte eben nicht mehr… Ibuki war sich selbst nicht sicher, in welche Kategorie sie wirklich gehörte, es lag am Tag, ihrer Stimmung und dem Wetter, wobei sie zumindest heute optimistisch war – Sie waren ja bald da, und sie hatte Gelegenheit gehabt, sich an einer der in dieser Stadt fast allgegenwärtigen Getränkeautomaten zu bedienen und sich so ein kühlen Getränk zu verschaffen.

Aoba hatte bei diesem Zwischenstopp zwar gepasst, als sie ihren Bestimmungsort letzlich erreichten, brauchte es keine Rücksicht mehr, um ihn von dem nächsten Automaten, und somit einem schönen Dosenkaffee der im NERV-Hauptquartier so beliebten Marke Schleisch Werbüng fernzuhalten, Y-Chromosom hin oder her, der Mensch braucht Flüssigkeit.

Gerade, als die ersehnte Dose jedoch in das Ausgabefach purzelte und Aoba sich vorbeugte, um sie zu holen, bekam er zu hören, wie ein paar Kinder ihre Münzen in einen Benachbahrten Süßigkeitenautomaten steckten.

„Hey, da sind ja Lose drin!“ bemerkte ein Junge mit einer Kappe über was auch immer sich die Kinder gerade gekauft hatten, und wendete sich begeistert zu seinem Kumpel, einem Bengel von etwa acht oder neun, mit einem struppigem, schwarzen Rabennest aus Haar.

„Hideki-kun, zeig mal deins!“

„Wow! Ich hab ein Eis am Stil gewonnen!“

Bei der Kulisse konnte selbst Aoba nichts anderes als zu Lächeln, und es wurde wohl auch ersichtlich, wieso er sich allem Fatalismus zu trotz in diesem existenziellen Vakuum der heutigen Zeit doch noch für seine Arbeit entschieden hatte… und Ibuki?

Die hatte sich recht rasch in das innere des Gebäudes – die örtliche Reinigung – verabschiedet, sobald sie entdeckt hatte, wer sich bereits darin befand, nicht etwa aus großem, glücksseligen Zufall, sondern weil sie es gewesen war, die Ibuki diesen Laden überhaupt empfohlen hatte – Dass sie sie hier getroffen hatte, ließ trotzdem ein warmes Gefühl so etwa unter ihrem Zwechfell brennen – zu lieben und die eigene Liebe zu sehen war in erster Linie schön, egal, wie bitter Bei- oder Nachgeschmack auch sein mochten.

Erst hatte sie sich ja etwas für die Idee geniert, einfach da rein zu stürmen, und Aoba draußen mit seinem Automaten zurückzulassen, doch dieser (welcher diese Reinigung, die der Legende nach angeblich die weißeste Wäsche von Tokyo-3 waschen sollte, übrigens seinerseits von Maya kannte) hatte ihr nur zuversichtlich zugenickt, sodass sie, aufgeregt und mit gerötteten Wangen wie ein Schulmädchen, Aobas mitgebrachte Kleider-Tüte für ihn mitgenommen hatte, und schnurstracks durch die Automatiktür gestolpert war, hinter der das Objekt ihrer Träume wartete – kurzes, blondes Haar, wie gold im Lichte des Frühjahres-Sommers, der Natur kühnlich scheinbar selbstbewussten Trotz sprechend, lange beine glänzend in dunklen Strumhosen und ein Minirock, der sich über ihrem kräftigen Hintern spannten, ein Körper wie eine Pornodarstellerin, mit der Variation einer leichten Tünche von beginnender Reife, der Art von Fermentation, die auch einem guten Wein zu eigen war und einen schier endlosen Pool aus Wissen, Können und Erfahrung freigab, und dieser unverwechselbare Fleck unter ihrem Augen…

Und auch, wenn sie nichts von den saphischen Leidenschaften ihrer Untergebenen wusste, so ließ sich doch nicht leugnen, dass sowohl ihr Lächeln als auch ihr Gruß in diesem Moment allein Ibuki galten; Sie tröstete sich gerne mit dem Gedanken, dass so eine arbeitssame, moderne Frau für Beziehungen keine Zeit hatte,es war durchaus verwandt mit dieser mittelalterlichen Idee von „Höfischer Liebe“, ein Konstrukt, dass es ihr erlaubte, sich zu überzeugen, dass ihre Chancenlosigkeit so etwas war, wie man es in den Liebensromanen finden konnte, in deren Traumlandschaften sie sich in ihrer Verzweiflung gerne mal verschanzte, und ihr erlaubte, in dieser fernen Anbetung etwas gutes zu sehen, vielleicht durch eine Illusion, vielleicht in so etwas simplen wie dem Gedanken, dass sie zumindest auch niemand sonst ihr Eigen nannte, irgendetwas, dass gut in so ein verklärtes oder auch verklemmtes Weltbild hineinpasste, dass sich einerseits aus ihrer Unsicherheit ergeben hatte, aber auch aus ihrer Unfähigkeit, Männer auf körperliche Art zu begehren, und anderer Leute reaktion darauf – irgendwo hörte sie in ihrem Hinterkopf immer die Stimme ihrer Mutter schimpfen, „Schmutzig, Schmutzig, Schmutzig!“, aber heute vermochte die Stimme ihrer Angebeten sie zeitweise auszubleichen, in etwas, was für sie wohl nur ein völlig triviales Gespräch unter Kollegen sein musste… Es war ihre Fähigkeit, solche Stimmen zu ignorieren, und unter ihrem Labokittel einen knappen Minirock zu tragen, der bisweilen die Ansätze ihrer Pobacken entbößte, die Ibuki an ihrem Sempai so bewunderte, auch wenn sich ihre Bewunderung durchaus auch auf die Fülligen Pobacken selbst ausweitete, jene reifen Mangos in der schwülen Feuchte des Urwaldes…

Doch auch, sie so zusehen, wie sie jetzt war, etwas lockerer, abgespannter, hatte seine Vorzüge, und wenn Ibuki das allein betrachtete, in diesen Sommer-Straßen, von denen die Zeugnisse dieser schrecklichen Kämpfe fast vollständig getilgt waren, hätte sie fast sagen können, dass die Welt sonnig und schön war… Und doch ließ sie nichts in dieser Festung auch nur einen Augenblick lang vergessen, dass die nächste Heimsuchung gleich um die nächste Ecke sein könnte… und wie hart sie alle arbeiteten, um für sie bereit zu sein.

„…diese automatische Reinigung ist schon eine praktische Sache, aber auf die Dauer geht das ganz schön ins Geld…“ kommentierte Dr. Akagi, während sie ihre Sachen mit einer trockene Beiläufigkeit an sich nahm, die Ibuki nicht persönlich zu nehmen versuchte.

„Es wäre schön, wenn mir mal wieder Zeit hätten, unsere Sachen auch zuhause zu waschen…“ sinnierte sie dann aber aus dem Herzen heraus, auch, weil sie gerne duftintensive Feinwaschmittel benutzte, in denen etwas weniger chemische Keule drin steckte.

„Wenigstens haben wir noch ein Zuhause, und müssen nicht im Hauptquartier schlafen…“ kommentierte Aoba, der in diesem Moment durch die Tür kam, um die Tüte mit all seinen NERV-Uniformen mitzunehmen, da Ibuki offensichtlich all ihre Hände voll mit ihren eigenen hatten.

Die Möglichkeit, die er ansprach, war nicht erheiternd, aber real – Die Mitarbeiter von NERV wussten es selbst am besten, und gerade Ibuki zeigte einen entsprechenden Schatten in ihrem Gesicht.

„…Machen Sie sich da keine Sorgen.“ Merkte Dr. Akagi an, und erwies sich mal wieder als ewig-eisige Zynikerin: „Da es hier um das Schicksal der Menschheit selbst geht, ist bei der Planung des Hauptquartiers jede nur denkbare Eventualität bedacht worden, zumindest an jede, die denen von der Planungbteilung eingefallen ist, darunter auch die Möglichkeit, das Neo-Tokyo-3 vollkommen dem Erdboden wird… in diesem Falle stehen in der Geofront Quartiere und sogar Freizeit-Einrichtungen bereit – Tatsächlich wurde diese als völlig autarke Kolonie entworfen, wir dürften selbst dann noch Energie und Versorgungsgüter haben, wenn alle Verbindungen zur Außenwelt abreißen sollten – Es wurden sogar Vorkehrungen für die Möglichkeit getroffen, das der Rest des Planeten ausradiert wird, und wir von hier aus rekolonisieren müssen – und sollte es statt dessen unser Personal erwischen, ist diese Einrichtung fast vollständig mechanisiert – Solche Technologie wurde für Raumfahrt- Tiefsee- und Industrie-Anwendungen tatsächlich schon vor langer, langer Zeit geschaffen, die Frage war nur, alles davon am richtigen Ort zusammenzuführen… Tatsächlich könnte man mit gutem Recht sagen, dass die Geofront als solche raumfahrt-tauglich ist…“

„Auch, wenn es da immer noch die Möglichkeit gibt, dass die Kreativität der Planungs-Ingenuiere nicht ganz umfassend war…“ steuerte Aoba halb scherzend bei.

Dr. Akagi lächelte zurück. „Ja, ich schätze, dass ist nicht ganz auszuschließen, so gering die Wahrscheinlichkeit auch sein mag…“

Ibuki konnte sich bei diesen finsteren Spekulationen wirklich nur noch schütteln, und konnte nicht anders, als sich ihre Tüte voller Uniformen als improvisiertes Kuschelkissen zu greifen.

„Die Zerstörung unserer ganzen Stadt, von allem, was wir in all den Jahren aufgebaut haben… an so etwas Schreckliches… will ich nicht einmal denken müssen…“

Die Vorstellung erschien geradezu schwindenerregend, in Kontrast zu diesem Bild aus glänzenden Wolkenkratzern, strahlendem Sonnenlicht und dem Füßegetrappel kleiner Kinder, dass sie bis jetzt beschützen konnten.

Sie wollte nichts wissen von irgendwelcher Zerstörung.

Sie wollte glauben, dass die Wissenschaft, all diese Sicherheitsvorkehrungen und Anlagen von denen Dr. Akagi sprach, genug sein würden, um das Licht dieser Welt am Strahlen zu halten…

(Der Gedanke, dass sie von der Technologie selbst ins Verderben gestürzt werden könnte, von menschlichen Händen, kam ihr in ihrem jugendlichen Unwissen nicht in den Sinn, genau so wenig  wie irgendwelche Vermutungen über die Dunkelheit, die sich hinter dem unaufrichtigen Lächeln ihres geliebten Sempais verschanzt hatte.)

 
 

21: [The IdolatrousExpressionismPunk: City of Wonder Edition]
 

 
 

Who's in a bunker, who's in a bunker?
 

Women and children first, women and children first, women and children
 

I'll laugh until my head comes off
 

I swallow until I burst, until I burst, until I
 

Who's in a bunker, who's in a bunker
 

I've seen too much I haven't seen enough, you haven't seen enough
 

I'll laugh until my head comes off
 

Women and children first, and children first, and children
 

 
 

Here I'm allowed everything all of the time
 

Here I'm allowed everything all of the time
 

 
 

Ice age coming, ice age coming
 

Let me head both sides, let me hear both sides, let me hear 'em both
 

Ice age coming, ice age coming
 

Throw me in the fire, throw me in the fire, throw me in the
 

We're not scaremongering, this is really happening, happening
 

We're not scaremongering, this is really happening, happening
 

Mobiles working, mobiles chirping
 

Take the money and run, take the money and run, take the money
 

 
 

Here I'm allowed everything all of the time
 

(The first of the children)
 

 
 

-Radiohead, ‚Idioteque‘
 

 

 

Einen Allzweck-Kartenschlitz später kamen die drei NERV-Angestellten in den Genuss weiterer komfortabler Annehmlichkeiten ihrer am Rande der Vernichtung befindlichen Zivilisation.

Hinaus aus der Sonne, hinein in klimatisierte Straßenbahnen aus strahlendem, stromlinienförmigen Plastik, in weichen Sitzen über Strecken, die ihnen sonst den Schweiß aus den Poren getrieben hatte, begleitet vom leisen surren der Maschinen – und einem weiteren Kollegen, den sie dort nicht erwartet hätten – Aoba und Ibuki huschten sofort in ihre Positionen, und erwiesen ihrem Vorgesetzten Reverenz: „Guten Morgen, Subcommander Fuyutsuki!“

Gerade Maya bewunderte diesen Mann für seine sachliche Führungsautorität, ohne dass er dabei jemals so einschüchternd wurde wie der Commander.

Dieser machte sich freilich im Gegensatz zu den jungen Leuten wenig aus deren steifen haltungen und dem Schillern und Quietschen von Metall, nahm sie ledeigklich mit einem kurzen Blick über seine Zeitung hinweg zur Kenntnis, nicht stolz auf die Uniform, die er trug, und in seinem Alter längst ohne die Energie, die er gebraucht hätte, um sich das Procedere zu gewöhnen.

Das sachte Ruckeln des Wagons ließ ihn sichtlich unbeeindruck.

„Oh, ja, hallo.“

Deutlich weniger steif, weil wohl auch höher in der Kommando-Kette war die falsche Blondine im Gegensatz zu ihren Untergebenen sichtlich entspannter darin, ihren Vorgesetzten anzusprechen, und Ibuki sah das freilich als ein weiteres Zeichen dafür, das deren souveränes Selbstbewusstsein wohl von nichts erschüttert werden konnte:

„‘Morgen, Subcommander. Sie sind heute ja früh dran.“

Die grantig angetünchte Laune des Älteren wurde offensichtlicher, je mehr er sprach, ohne dass er dabei versuchen würde, sie mit Absicht durchzudrücken; Jedenfalls ging aus seinen Worten hervor, wieso er nicht gerade vor Enthusiasmus und Vorfreude sprühte:

„Ich musste Commander Ikari heute im oberen Teil der Stadt vertreten.“

„Ah, verstehe. Dann waren sie also bei einer Stadtrats-Sitzung dabei?“

„So ist es. Die langweiligsten und unwichtigsten Aufgaben bleiben nunmal regelmäßig an mir hängen… Aber immerhin nehmen mir die Magi einiges ab.“

„Sollen demnächst nicht wieder Wahlen stadtfinden?“

„Ja, aber man fragt sich warum.“ Fragte Fuyutsuki, der nicht mal mehr fähig schien, seine präkere Situation mit viel mehr Ärger zu würdigen, und in eine Art selbstironisch-müdes Amusement hineinverfiel. „Der Stadtrat ist eh nichts anderes als Stuhlkreis von Marionetten in einem Kasperletheater für die Massen… Wer auch immer gewinnt, befolgt am Ende doch nur die Anweisungen der Magi.“

„…was? Wirklich? Die Magi? Also die drei Supercomputer, die wir auch benutzen?“ fragte Ibuki begeistert.

„Der Stadtrat muss sich nach dem Mehrheitsvotum dreier unabhängiger Computer richten… Auch eine Form der Demokratie… Es hat sich als eine überaus effiziente Regierungsform erwiesen.“

„Wahnsinn…“ staunte die junge Technikerin. „Das ist wirklich ein Triumpf für die Wissenschaft… Wir können wirklich stolz sein, in so einer modernen Stadt zu leben!“

Aoba konnte im Anbetracht dieser Aussagen nur die Augen verdrehen, vielleicht mit einem Sentiment, dass dem den Subcommanders nicht unähnlich war.

„Fortschrittsgläubige…“

Außerhalb der Finster bildeten die Telefonmäste einen Urwald, gelegentlich hingen Vögel an den Kabel-Lianen, und in ihrem Geflecht brüteten Eier aus Einsen und Nullen in schwarzen Nestern aus Stacheldraht.

Der Götze der Stadt musste sich über all seine neuen Totem-Pfähle sicherlich freuen, fragte sich nur, wie lange es dauern würde, bis er kam, um seine Opfergaben für das komfortable Leben einzufordern, wenn

Wenn ihre Zivilisation untergehen und ihre Stadt dem Untergang geweiht sein sollte, würden sie in Legenden nachfolgender Generationen in einem Atemzug mit den stolzen Bewohnern von Atlantis genannt werden, die mit ihrer wundersamen Technologie die Götter herrausgefordert und verloren hatten?

Vielleicht, so dachte sich Aoba, würden sie ja über eine Verbindung zwischen dem unglücksseligen Helden dieser Legende und dem ähnlich genannten Bengel mit den Wachsflügeln mutmaßen, irgendwann, wenn Züge wieder fuhren, der Schnee wieder fiel, und die Evangelions nur noch Relikte im Herzen des ewigen Eises waren.

 

„Ach ja…“ hörte Aoba entfernt vom Stoff seiner Betrachtungen die Stimme des Subcommanders sprechen, der seine Augen nun kurzfristig von seiner Zeitung zu seiner Kollegin gewendet hatte. „Steht heute nicht ein Experiment mit Einheit 00 an?“

„Allerdings.Wir sind uns ziemlich sicher, dass wir dieses Feedback-Problem dieses Mal endgültig in den Griff bekommen und die Aktivierungsdauer entsprechend erhöhen können werden…“

„Ich erwarte gute Neugigkeiten… Es wäre von großem Vorteil, wenn wir Einheit Null rechtzeitig für das große Kompatibilitätsexperiment auf vollem Leistungsoutput hätten…“

„Ach stimmt ja, das Experiment, das ist ja schon recht bald…“ fiel es Maya bald ein.

„Wir wollen es  ja durchführen, solbald dieses neue Mädchen aus den Staaten da ist… Aber… Ihr wollt doch nicht etwa versuchen, sie mit Einheit Null zu synchronisieren… Nach dem, was passiert ist…“

„Beruhige dich, Maya.“ Sprach Dr. Akagi mit dieser völlig sicheren Stimme, die jeden – oder zumindest Ibuki – mit lächerlicher Einfachheit dazu bringen konnte, ihr alles zu glauben. Oder vielleicht war es vielmehr, das Ibuki ihr sehr gerne glauben wollte.

„Es geht nur darum, gute Vergleichsdaten zu haben.“

„Halt mal…“ kam es an diesem Moment von Aoba. „Mädchen aus den Staaten? Entschuldigen Sie, aber… reden Sie da etwa von einer neuen Pilotin?“

Maya blinzelte, teils verwundert, teils versuchert darüber, was sie sagen sollte oder durfte, vor allem, da zwei ihrer primären Vorgesetzten, (um nicht von Objekten ihrer Bewunderung zu sprechen) in ihrer unmittelbaren Nähe standen, und ihre Augen auf ihr hatten.

„W-Wusstest du das etwa nicht, Aoba-kun?“

Hilfesuchend schielte sie zu Dr. Akagi hinüber, ohne zu übersehen, dass diese selbst einen bedeutungsvollen, nicht gerade erfreuten, aber eher ermatteten als verärgerten Blick von Seiten des Subcommanders zugeworfen bekommen hatte.

Hatte sie jetzt ihren Sempai in Verlegenheit gebracht…? Würde sie ihretwegen…

Ibuki hielt die Situation nicht aus, fühlte die hilflose Wärme in ihren Wangen kochen und wendete ihren schamvollen Blick von der Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung ab.

Dennoch war es gerade diese Wissenschaftlerin, die sie aus dieser Anspannung entließ, und sie beiläufig-beherrscht wie immer rettete, indem sie sich Aoba zuwendete, und die Erklärung an Ibukis Stelle erbrachte: „Die offizielle Bekantmachung sollte in den nächsten Tagen stadtfinden, aber der Commander hat durchgesetzt, dass zumindest unsere Abteilung im Vorfeld etwas erfährt, damit wir die nötigen Vorbereitungen für das große Experiment treffen können… Sie kennen ja die Amerikaner, die stufen die Existenz des Sixth Child als ein nationales Militärgeheimnis ein und bestanden auf ein entsprechendes Maß an Geheimniskrämerrei und gegenüber.“ Mit dem Seitenhieb auf die in den Kreisen von Projekt E oft belächelten „Amis“ schien Dr. Akagi die Situation wohl entschäft oder zumindest ausreichend gelockert zu haben, dass selbst Fuyutsuki sich wieder seiner Zeitung zuwendete – Auch Aoba belächelte die Vertreter der vereinigten Staaten, und schien dies als ausreichende Erklärung hinzunehmen.

„Verstehe. Die wollen mal wieder ihre Muckis spielen lassen…“ Er schüttelte den Kopf.

„Das Sixth Child also… Ich nehme an, sie ist Amerikanerin?“

„Ja.“ bestätigte Maya, nun wieder etwas näher an ihrem üblichen Enthusiasmus, auch, wenn der Übergang nicht komplett reibungslos war. „Vincennes… Maria-san, denke ich… Viel… uh, viel mehr wissen auch wir nicht… Ich schätze, die werden alles sagen, wenn diese… offiziellen Berichte kommen… “ Sie lächelte, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

„Aber sag mal… vertrauen dir die jetzt ernsthaft Sachen an, von denen die selbst Hyuuga und mir nichts erzählen?“ Aoba klopfte seiner Kollegin annerkennend auf die Schulter.

„Gute Arbeit. Es scheint, als würde man deine Fähigkeiten endlich wertschätzen… nicht wahr, Dr. Akagi?“

Noch ein paar Tage vorher hätte der langhaarige Gitarren-Enthusiast schwören können, das seine Kollegin dies als ein großes Lob nehmen würde, und zweifellos mit einem verlegenen, aber doch von Herzen kommendem Lächeln antworten würde – Im Nachhinnein hätte das das erste deutliche Warnzeichen dafür sein sollen, dass bei NERV irgendetwas gewaltig stinken musste – Der Augenblick, in dem Ibuki sich statt dessen in eine Arrt des Unwohnseils begab, als ob sie irgendewas schwer belasten würde…

Damals aber schob Aoba es da drauf, dass sie einfach schüchtern war.

 

20 STUNDEN ZUVOR

 

„…seid dem war deine Arbeit hier immer vorbildlich und engagiert. Und vor allem hatten wir nie einen Grund deine Loyalität anzuzweifeln. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, dich Commander Ikari für ein anstehendes Geheimprojekt zu empfehlen…“

„Geheim… Projekt?“

„Es geht um das Autopilot-System für die Evangelios, dass seid geraumer Zeit im Golghata-Stützpunkt in der Entwicklung ist… Alles andere wirst du zu seiner Zeit erfahren… Erst einmal wird es nötig sein, dass du all diese Berichte hier liest…“

„…Arbeiten zur Entwicklung von… artifiziellen Seelen und… Klon-Technologie?!“

Ibuki blickte hilfesuchend zu ihrer Mentorin, in Erwartung der aller erklärenden, beruhigenden Worte, die sonst auch immer gekommen waren.

Sie sollte noch sehr lange darauf warten.

„Ich kann mich doch auf dich verlassen, Maya, oder?“ Und dass sagte sie nicht ohne einen deutlichen Nachdruck, der die junge Technikerin unwillkürlich schlucken ließ.

Das war das erste Mal, dass sie ihre Mentorin in irgeneiner Form als unheimlich empfand.

Das blaue Licht der Computer-Konsole spiegelte sich in ihren selten genutzen Brillengläsern, und das Gold ihrer Haare schien mit einem Mal nichts als entzaubertes Stroh zu sein.

„Kann ich mich auf dich verlassen, Maya?

„…J-Ja… Sempai…“

 

(SELBES DATUM – 17 UHR 42)

 

Bis zu diesem Zeitpunkt könnte sich manch einer obgleich, oder gerade weil er diese Geschichte bis jetzt aufmerksam mitverfolgt hatte, trotz allem doch eine brennende Frage stellen, die ihm noch mehr den Schlaf raubte als alle anderen… und zwar die Frage danach, wie die bezaubernde Miss Katsuragi angesichts ihrer exorbitanten Faulheit eigentlich überlebt hatte, bevor sich ihr Weg mit dem ihres designierten Butlers-schrägstrich-Adoptivsöhnchens gekreuzt hatte.

Freilich war bekannt, das sie ihre Privatresidenz einfach versauern lassen hatte, ohne sich besonders daran zu stören, und auch ihr Hauspinguin schien selbständig genug, um in dem Chaos, vor dem er seinen trauten Kühlschrank penibel bewahrt hatte, irgendwie über die Runden zu kommen, aber zumindest bei der Arbeit und öffentlichen Veranstaltungen schien sich Captain Katsuragi doch um soetwas wie ein gepflegtes, professionelles Äußeres (sprich: Das induzieren akuter Schmachtung bei allen heterosexuellen Männern) zu legen, und das erfolgreich, auch schon vor der Ankuft des großen Third Childs, gnadenloser Bezwinger von Engeln, Abfall und Schmutz!

Wie also passte das zusammen?

Tja, die Antwort darauf war denkbar einfach: Vor dem Angriff des dritten Engels hatte einfach jemand anders ihre Klamotten für sie gewaschen. Was, dachtet ihr wirklich, sie hätte es jemals selbst gemacht?

Nein, des Rätsels Lösung verbarg sich in der Form eines weiteren unscheinbaren Einwohners der technokratischen Metropole, der als einzelner Punkt im wusenlden Ameisenhaufen der Festungstadt sein Dasein fristete, ein recht durchschnittlicher junger Japaner, etwas verträumt in einiger Hinsicht, aber jedenfalls völlig harmlos und ein außreichend fleißiges Bienchen, ein bebrillter Zeitgenosse, der seine Zeit bis jetzt mehr mit dem lesen von Mangas verbracht hatte, als damit, sich in signifikanten Maße an die 3D-Ladies heranzutrauen.

Die Rede war von Katsuragis persönlichen Assitenten, dem NERV-Techniker Hyuuga Makoto.

Vielleicht hatte sich diese Kombination einfach ergeben, weil er einfach ihrer Abteilung angehörte und im Hauptquartier auf der selben Plattform seinen Posten hatte, unvermeidlich, dass man da in intensivenSituationen zusammenarbeiten müssen würde; Vielleicht lag es ja wirklich daran, dasser einfach von allen Mitgliedern des Techniker-Trios einfach am Besten mit ihr harmoniert hatten – Die eher zurückhaltende Ibuki fand diese stetig ausgestrahlte, bewust manövrierte sexuelle Energie des Captains wohl etwas einschüchternd, und hatte sich von Anfang an schon fest unter Dr. Akagis persönlicher Fittiche befunden, und anders als der zynische, eher unabhängige Aoba war Hyuuga genau wie die Leiterin der Einsatzabteilung eher primär ein Gefühlsmensch, sie hatten recht bald ein Gefühl dafür entwickelt, wie der andere in einer gegebenen Situation agieren oder reagieren konnten, und wann sie auf dumme Gedanken kommen könnten („Es ist diesesmal keine Unbemannte Sonde, Captain!“), und das machte sie, zumindest laut dem werten Captain selbst und ihrer militärischen Erfahrung angeblich zu einem grundsätzlich effizienten Team; Wenn es anders war, sollte es an ihm nicht gelegen haben: Welche verrückte Idee Katsuragi auch vorschweben mochte, Hyuuga war immer direkt dabei, egal, ob es darum ging, ein Millitär-Waffenlabor zu übernehmen, einen nukleargetriebenen Riesenroboter, oder auch nur ein kleines Vulkan-Observatorium, auf ihn konnte sie zählten, und er wollte auch, dass das so blieb – Selbstverständlich arbeitete er nur zu gerne mit Katsuragi zusammen, warum denn nicht?

Sie war einfach eine tolle Frau, von oben bis unten – Welcher Mann würde sie nicht einen Traum nennen? Groß, langbeinig, fließendes, langes dunkles Haar, ein strahlzend-bronzierter Teint, eine klassische Stundenglasfigur mit allen Kurven dort, wo sie sein sollten, und die scheibar grenzenlose Bereitschaft, diese mit ihrer Kleiderwahl auch zur schau zu stellen, komplett in allerlei „interessanten“ Farben wie schwarz, violett und natürlich auch der Klassiker, ein dunkles, sattes Kussmund-Rot.

Sie war selbstbewusst, schlagfertig, hatte einfach eine  kommandierend-aber nicht plattdrückend-dominierende Ausstrahlung, wenn nicht unbedingt die perfekte Führungsperson, dann doch sicherlich ein definitives Alphaweibchen, und bei alledem besaß sie noch genug schlichte Barmherzigkeit und menschliche Wärme in ihren schokobraunen Augen, um zwei verlassene Kinder bei sich aufzunehmen.

Eigentlich konnte er sich glücklich schätzen, regelmäßig so sah an so eine tolle Frau heranzukommen, und sei es auch nur von der Arbeit her, vielle junge Männer in seinem Alter würden ihn wohl beneiden… deshalb fühlte sich zunächst sein innerer Kavalierangesprochen, als Katsuragi ihn eines Tages nach einer langen, anstrengenden Schicht gefragt hatte, ob er nicht ein Paket für sie abholen könnte… Natürlich hatte er er eingewilligt und das Paket sofort geholt, aber da hatte er sich schon etwas ganz schönes eingebrockt, denn jetzt hatte die Dame im Hinterkopf, dass diese Option existierte, und konnte nicht wiederstehen, bei Gelegenheit davon Gebrauch zu machen.

„Hyuuga-kun, holst du bitte meine Uniformen von der Wäscherrei ab.“

Ihre Uniformen. Vergessene Einkäufe. Drei Kästen Bier.

Drei Kästen Bier?

Ja…

Und so wurde Hyuuga innerhalb kürzester Zeit des Captains persönlichem Assitenten zu ihrem persönlichen Sklaven.

Sicherlich war seine Last um einiges verringert worden, seid sich NERVs taktische Missionsleiterin den vormals erwähnten Putzteufel der Ikari-Dynastie eingemietet hatte, aber das hieß bei weitem nicht, das ihr junger Assistent völlig von seinen Pflichten erlöst war – Einerseits, weil der Junge sich obwohl er dort ebenfalls seinenArbeitsplatz hatte, doch insgesamt wesentlich seltener im NERV-Hauptquartier aufhielt als ihre gemeinsame Vorgesetzte.

Außerdem hatte die Leiterin der Einsatzabteilung entgegen dem, was man annehmen könnte, doch tatsächlich ehrliche Skrupel damit, so ein empfindliches, herzensgutes, ( nicht zu vergessen unterwürfiges) Kerlchen wie ihren lieben kleinen ‚Shin-chan‘ als bessere Haushaltshilfe einzuspannen, sodass sie hin und wieder auf ein geringfügig älteres, wenn auch nicht weniger unterwürfiges Opfer auswich, um ihr Gewissen zu beruhigen, und aller Logik zum Trotz fügte sich der bebrillte Techniker, so auch am heutigen Tag.

Sicher, man konnte ihn durchaus mal dabei erwischen, wie er in aller Stille zu sich hin grummelte, wieso Captain Katsuragi diesen Kram eigentlich nicht mal selbst erledigen konnte, aber am Ende tanzte er doch wieder wie abgesprochen an – Er konnte nicht sagen, warum, es schien immer einen anderen Grund zu haben, tausendunein kleine Gründe… oder bildeten sie doch eine Mosaik?

Auf jeden Fall war das, was den jungen Techniker dieses Mal auf den Flur des Gebäudes geführt hatte, in dem auch das Katsuragi-Appartment lag, mit seinen Observationen der letzten Tage verbunden, oder zumindest war das die Begründung, die er sich selbst vorlegte, dass sich seine Vorgesetzte nicht irgendwie völlig spontan für eine „Gewissenserleichterung“ entschieden hatte, sondern ein konkreter Grund vorlag; Er kannte sie mittlerweile gut genug, um zu merken, wenn sie angespannt oder sonst wie verstimmt war, so kunstvoll sie es auch zu überspielen versuchteund in den letzten Tagen hatte das fragliche Alarmglöcken ein gelegentliches kling-kling von sich gegeben, wie eines dieser Geräte, das einen daran erinnern wollte, es auch auszuschalten, und im Hauptquartier gingen Gerüchte umher, dass sie sich neulich mit Dr. Akagi in die Haare bekommen hatte -  die Komunikationskanäle waren da ziemlich genau nach der Besprechung zur letzten Generaluntersuchungen der Piloten erheblich eingefrostet, und laut Lt. Ibuki sollte Dr. Akagi da irgendeine vage Halbandeutung gemacht haben, die durch die Lise ihrer Wahrnehmung nach diesem und jenem ausgesehen hatte, jedenfalls kondensierte das ganze in diesem Gespräch zwischen Hyuuga und Ibuki zu der Theorie, dass das, was Captain Katsuragi derzeit belastete, irgendwelche Sorgen über das Third Child waren, dessen empfindliche Disposition nach all seinen Ankündigungen, den Dienst zu quittieren oder sonst wie zu weigern, im Hauptquartier zum Allgemeinwissen gehörte.

Sich also ausgerechnet einen Zeitpunkt für eine kleine Sklaven-Revolte auszusuchen, an dem nicht nur Katsuragi sondern auch ihr Schützling eine Entlastung durchaus brauchen konnten, kam nicht in Frage.

So kam es, dass Hyuuga, der eigentlich wesentlich besseres mit dem Rest des heutigen Tages und vor allem dem morgigen Tage anzufangen hatte, wo ihm nach langem Warten endlich mal ein freier Tag zustand, die Türklingel des Katsuragi-Haushaltes in der festen Absicht betätigte, die örtliche Schmutzwäsche mitzunehmen, in die Reinigung zu bringen, und am folgenden Tage wieder abzuholen.

Die Klingel klingelte, und geöffnet wurde ihm vom Gegenstand dieser ganzen Spekulationen, dem fraglichen Third Child, auch am fortgeschrittenen Nachmittag noch in seiner Schuluniform anzutreffen.

(Hyuuga selbst steckte in einem konservativ gehaltenem Polohemd, dass in der Farbe doch über das hinausging, was man noch als „Lachsfarben“ einstufen konnte – Echte Männer tragen pink!)

Der Junge bemühte sich direkt, ihn anzulächeln, und grüßte ihn ganz, wie es die Höflichkeit gebot. „Guten Tag, Hyuuga-san! Herzlich Wilkommen! Was führt Sie hierher? Misato-san ist im Wohnzimmer, wenn Sie wollen, kann ich Sie kurz holen gehen-“

„Nicht nötig.“ Sagte Hyuuga mit einer abwinkenden Handgeste.

„Ich bin bloß hier, um eure Wäscheberge abzuholen. Du bist in letzter Zeit nicht dazu gekommen, sie zu erledigen, nicht war?“

Das entsprach in der Tat der Wahrheit, auch, wenn es dem jugentlichen EVA-Piloten erst jetzt wirklich klar wurde, so sehr waren seine Gedanken bisher von jenen diffusen Bildern der Zukunft eingenommen gewesen – Dinge, die er ständig sah, wie die Küche oder das Waschbecken waren eine Sache, aber der sich stetig füllende Wäschekorb in einer Ecke des Badezimmer-Vorraumes war völlig durch die Ecken und Ritzen seines Bewusstseins gesickert, weshalb er Misato doch tatsächlich in die Situation gedrängt hatte, Hyuuga hier um einen Gefallen zu bitten und dieser sich dann die Mühe gemacht hatte, hierher zu kommen, und im Rahmen seiner „Mission“ würde er sicherlich noch weitere Mühen auf sich nehmen… und das alles nur, weil er den Kopf in den Wolken gehabt hatte.

Ein einfaches, konkretes Beispiel, wie es doch möglich sein würde, dass er alles in seiner Umgebung systematisch aus den Bahnen werfen und in Richtung Verderben lenken könnte, und die Lächerlichkeit des ganzen machte es nur schlimmer …wie hieß es immer von den großen Weisen, von wegen, der Mikro- und Makrokosmos würden den selben Regeln und Prinzipien folgen?– Er war in diesem Moment in einer Stimmung, in der er die übelste Beleidigung als Fakt hinnehmen könnte.

So sofortig hätten man ihn nicht dazu bringen können, sich zu schämen, wenn man dafür eine Fernbedienung gehabt hätte.

Äußerlich manifestierte sich das in einer Art akuter Nervosität: „Ahm- Ich… Ich habe- mh…“

Was er nicht leugnen konnte war, dass die Wäsche sich wirklich zu stapeln begann.

„Das… das müssen sie nicht machen, Hyuuga-san.“ Brachte er nicht ohne eine gewisse Hektik hervor. „Ich… ich hatte ohnehin vor, mich, uh, gleich darum zu kümmern!“

„Aber, aber! Dann wäre der arme Hyuuga-kun ja ganz umsonst hierhergekommen!“

Da war sie.

Eine Stimme wie Licht.

Das die nächste Reaktion des Third Child als eine weitere Welle von Beschämung zu deuten war, würde Hyuuga ewig ein Rätsel bleiben, so wenig konnte er es nachvollziehen – Denn was er aus dem inneren der Wohnung hervorkommen sah, bedeutete für ihn keinesfalls auch nur einen potentiellen Ansatz zum fremdschämen, sondern einen unbeschreiblichen Segen;

Sie stand da, nur in einer losen, kurzen Hose in minzgrün, wie sie manch einer zum schlafen trug, und einem grauen Unterhemd, das als solches einen Streifen ihres Bauches freiließ, die Haare leicht zerzaust, für den Moment frei von künstlichen Verzierungen wie  Ohrringe oder Schminke, einfach nur mit ihrer warmen, natürtlichen Leichtigkeit und dem zusammenspiel des Lichts mit ihren Schokoladen-Augen und ihrer honigfarbenen Haut und ihrer vollen Lippen, gespalten zu einem schlichten Lächeln, dass ihn sie von einer ganz anderen Perspektive sehen ließ, als sähe er sie zum ersten mal, da konnte ihr mitbewohner noch so hochrot „M-Misato-san!“ stammeln, Hyuuga selbst war sprachlos, doch wenn sie das gemerkt hatte, hatte sie unerwarteter Weise den Takt, ihn nicht darauf anzusprechen.

„Vielen Dank für deine Mühen, Hyuuga-kun.“

Das allein hätte reichen können, um ihn von den Füßern zu reißen, doch er zwang seine Fersen zu ihrer Funktion.

„Uhm…“

„Ich… Ich gehe die, uh, Klamotten holen!“ verkündete das Third Child, immernoch merklich gehetzt, in der Hoffnung, mit dieser zugegebenermaßen höchsten symbolischen Geste nicht so dazustehen, als hätte er die ganze Arbeit abgewälzt, etwas, um das sich die Herrin des Hauses freilich wenig Sorgen machte, als sie sich stattdessen lässig in den Türrahmen lehnte.

Vielleicht war das hier ja der magische Moment, der Augenblick, den es zu ergreifen galt, in den Momenten, bevor der Eva-Pilot mit dem Wäschekorb zurückkehrte…

„Uhm, Captain Katsuragi?“

„Yup?“

Stille. Der ewige Sommer tauchte selbst diese Stude noch in Gold, das von den Fenstern aus dem inneren der Wohnung her hierher fiel, nunmehr diffus, aber genug, das alles in den selben Farbton getaucht schien; Er hatte dies selbst schon draußen näher beobachtet.

„Uhm… ist alles in Ordnung? Wegen diesem Streit, denn Sie mir Dr. Akagi hatten…?“

„Streit…? Ach, das… Nein, nein, dass ist nicht der Rede wert. Sie wartet bloß aus reiner Sicherheitsvorkehrung darauf, dass ich mich wieder einkriege…“ meinte sie, durch ein leichtes, nicht ganz ungezwungenes Kichern akzentuiert.

„Ach… ach so… das ist gut zu wissen-“

„Misato-san… Hyuuga-san… Hier sind, uh, die Klamotten…“

Chance vertan.

Mit einer gewissen scherzhaften selbstironie dachte Hyuuga darüber nach, dass dieser Junge bei ihr vermutlich größere Chancen hatte als er. Er griff sich den Korb, die Tür fuhr ins Schloss, und auf der anderen Seite blieb ein immer noch recht „betroffenes“Third Child zurück, welches sich nun, da sie allein hier waren(Die dritte Bewohnerin dieser eigentümlichen WG war derzeit mit ihren Freundinnen in der Stadt unterwegs), und keine Notwendigkeit mehr bestand, einen gewissen Eindruck aufrecht zu erhalten, seinem Vormund zuwendete.

Wäre er etwas besser gelaunt gewesen, hätte er sich an dieser Stelle vielleicht über den Aufzug seiner Mitbewohnerin beklagt, stattdessen blieb sein Gesichtsausdruck so ernst, wie er war, und wurde höchstens etwas fokussierter.

„Verzeih mir, ich wollte nicht lauschen, und ich- ich weiß schon, dass es mich eigentlich nichts angeht, aber… du hast dich mit Ritsuko-san gestritten?“

Ob das irgendwie seinetwegen war, traute er sich nicht zu fragen. Er wusste, dass die Antwort ihn interessieren sollte, auch wenn er diese dann im Nachhinnein ertragen müssen würde, aber er fand einfach nicht die Kraft, sich dazu zu bringen.

Misato lächelte ihm zu, aber er konnte ihm ansehen, dass sie es nur tat, um ihn zu beruhigen – auch eine Art der Bestätigung.

„Mach dir nun deshalb keinen Kopf.“ versuchte sie ihm trotzdem zu überzeugen, und legte ihre Hand auf seine Schulter. In letzter Zeit hatte sie das ziemlich oft machen müssen – das war derzeit ihre übliche Politik, wenn sie das Verlangen verspürte, ihn gepflegt zu umarmen, wohlwissend, dass er erst recht in Panik verfallen würde, wenn sie diesen Impuls in die Tat umsetzten sollte. Ein ungeheurer Misstand, der Misato in die Situation brachte, wirklich zwang auf sich auszuüben – nicht nur, weil für sie einfach nichts weiter dabei wäre, nein, Berührungen waren für sie einfach die natürlichste Art, auf die sie sich auszudrücken vermochte, die Sprache ihrer Seele, wenn man poetisch veranlagt war, jedenfalls einfach die Art von Impulsen die da als unmittelbare, unmissverständliche Antwort aus äußere Reize kam, ohne das eine bewusste Übersetzung nötig gewesen wäre.

Aber diese Möglichkeiten standen nun mal nicht zur Verfügung, sie würde an dieser Dauerbaustelle wie bis jetzt auch immer einen Schritt nach dem nächsten gehen müssen.

Langsam schien sie immerhin soweit zu sein, dass er zumindest bei der Hand-auf-Schulter Nummer nicht direkt vertsteifte – oder zumindest nicht direkt, nicht mejr die ganze Zeit, bis sie wieder losließ.

Versuch’s, Versuch’s nochmal; So enstand durch all diese Irrungen und Wirrungen doch nach und nach so etwas wie eine ganz eigene, gemeinsame Sprache, die sie miteinander teilen konnten, nach and nach, schritt für schritt, mehr und mehr.

Das diese Straße voll mit asozial platzierten Hürden und Stolpersteinen vollbarrikadiert war, war jedoch kaum noch anzuzweifeln, genau so wnig wie der lange Schatten dessen, was offensichtlich die nächste dieser Hürden sein würde, die durch die Erwähnung der Geschichte mit Dr. Akagi frisch in ihr Bewusstsein gerufen worden war.

Mit einem unvorbereitet ernst werdenden Gesicht ließ sie ihn los und lehnte sich stärker an die Wand, fast, als würde sie sich von dieser irgendeine Art von Halt und Führung versprechen.

„Uhm… wegen… du weißt schon…“

Sie merkte schon an seiner Körperhaltung, wie er in eine Art instinktive Defensive ging, nicht ermutigend, wenn der Zweck, den sie mit alledem verfolgte eigentlich war, ihn zu entlasten.

„Es… es gibt da noch etwas was… was ich dir vielleicht noch hätte sagen sollen… aber nicht gesagt habe…“

Wie oft spielte man nach einer eher suboptimal verlaufende Situation nacher noch mal im Kopf ab, und wie selten fielen einem dabei nicht zahllose Dinge ein, die man vielleicht hätte anders machen können, die vielleicht einen Unterschied gemacht hätten, wenn man sie noch gesagt hätte. Und obwohl sie noch vor wenigen Minuten kristallklar in ihren kreisenden Gedanken gebohrt hatten, tat sie sich jetzt schwer damit, sie auszusprechen.

„Wegen dem, dass du gesagt hast, das wir vielleicht alle sterben könnten… ich will nicht leugnen, dass das sehr gut sein kann, du hast es nicht verdient, dass ich dich so anlüge – und helfen tut es auch nicht… Aber wenn man es recht bedenkt, war das nie eine wirkliche Frage… Wir haben alle von Anfang an gewusst, dass wir sterblich sind – als Menschen, meine ich… Wenn  dass allein alles Sinnlos machen würde, würden wir dafür nicht erst die Bedrohung durch die Engel brauchen. Kann sein, dass nichts ewig wärt… aber ist das was Neues?“

Sich nicht wirklich darüber sicher seiend, ob dass, was sie da laberte, wirklich in irgendeiner Form Sinn machte, und inwiefern es beim beabsichtigten Empfänger ankam, bemührte sie sich, es mit einer Art konfusen Lächeln aufzulockern. Das Ganze hatte innerhalb ihres Schädels wesentlich klarer geklungen.

„Was ich sagen wollte ist… nehmen wir mal an, dass der nächste Engel uns wirklich alle in die Luft bläst. Hat es sich deshalb wirklich nicht gelont, gegen die vorherigen zu kämpfen? Du hast uns wenigstens eine Woche Zeit erkauft, und was glaubst du, was in dieser Woche alles auf dieser Welt passiert sein könnte? Deine Woche war nicht so toll aber denk doch… denk doch an ein paar der … Ereignisreicheren Wochen zurück. Wieso nicht gleich die vorletze, mit allem, was du mit Yamagishi-san zusammen erlebt hast. In den paar Wochen zwischen zwei Kämpfen kann eine Menge passieren… Vielleicht haben sich irgendwo auf dieser Welt in dieser Zeit Leute ihre Träume verwirklicht, Kinder bekommen, vielleicht ein neues Herzblatt getroffen… Dieser trottel Kaji sieht wahrscheinlich jeden Tag als neue Chance an, mich dazu zu überzeugen, bettelnd zu ihm zurückzukommen… Und wenn ihr den nächsten Engel besiegt, werdet ihr dadurch ein weiteres bisschen Zeit erkaufen, in dem noch mehr solche Dinge passieren könnten – Wer weiß, vielleicht wird es auch für uns eine besondere Zeit…

Nur weil wir nicht wissen, wie viel oder wenig uns allen noch bleibt, heißt nicht, dass wir dieses Bisschen auch noch bereitwillig an die Engel herausgeben sollten, oder?“

Zur Unterstreichung ihrer Aussage verschränkte sie demonstrastiv die Arme.

„Wenn überhaupt, sollte das doch ein Grund sein, jedes bisschen Zeit, dass wir noch für uns beanspruchen können, mit Händen, Füßen und Zähnen festzuhalten, gerade weil sie ein knappes Gut ist… findest du nicht?“

Ihr Schützling antwortete mit einem nicht ganz fokussierten Blick, es war ersichtlich, dass er wohl dabei war, die ganze Geschichte in Gedanken gründlich durchzukauen, ohne das ihn das letzlich besonders aufzumunter schien, was es auch Misato schwer machte, diesen sprühenden Optimismus länger aufrecht zu erhalten.

„Mh… ich schätze, du hast Recht…“ ließ er vernehmen, größtenteils, um das Gespräch irgendwie abzuschließen und sie davon abzuhalten, die Notwendigkeit zu sehen, zu einer großen Motivationsrede anzusetzten, aber ganz aus der Tiefe schien das nicht zu kommen. Sie löste sich von der Wand und stellte sich etwas gerader hin, sich mit Müh und Not verkneifend, ihn anzuseufzten oder auf eine Art anzusehen, die ihren handwerkerhaften Problemlösungs-Gedankengang zu offensichtlich gemacht hätte, größtenteils um seinetwillen.

Ihne Beurteilung blieb innerlich doch dieselbe: Weiteres Gelaber war wohl zwecklos und würde so oder so keine sofortigen Resultate erbringen, das würde sie wohl erst ein Weilchen köcheln lassen müssen.

„Also dann, Shin-chan…“ begann sie stattdessen, ihre Selbszweifel hinter einem lockeren Lächeln und einer Verlagerung ihres Gewichtes versteckten, welche ihre femeninen Hüften zur Geldung brachte.

„Wie wollen wir uns die Zeit vertreiben, bis Asuka wieder da ist? Sollen wir uns zusammen vor die Flimmerkiste setzten, und gucken, ob was Gescheites läuft?“

Er sagte zu, und ging schonmal vorran in Richtung Wohnzimmer, aber selbst Misato konnte sich nicht einfreden, dass er wirklich bei der Sache war.

Er hatte ihre Worte gehört und die Logik dahinter begriffen, aber besonders erleuchtet fühlte er sich davon nicht; Er sah nur weiter die enorme Sinnlosigkeit von alledem vor sich.

Vielleicht hatte er einfach nicht die Stärke, (sich) an solchen Überzeugungen festzuhalten, eine Schwäche, die er Misato eigentlich nicht sehen lassen wollte… also blieb er still, und trottete ins Wohnzimmer.

Natürlich ließ sich eine Mitbewohnerin direkt ausbegreitet und bewusst dramatisch aufdie Couch fallen, als würde sie hoffen, dass die trübe Stimmung in diesen Raum sich beleidigt davonmachen würde, wenn sie ihr nur dezidiert genug die kalte Schulter zeigte, und konsequent so tat, als hätte sie keinen Grund, nicht wie eine Neonleuchte exorbitante Fröhlichkeit auszustrahlen.

Shinji seinerseits nahm es fast schon reflexhaft an sich, den Fernseher anzuschalten, und Misato die Fernbedienung zu bringen, damit diese das Aussuchen des Programmes übernehmen konnte, annehmend, dass es sie im Moment ohnehin mehr interesse haben musste als er, aber nicht in der Art, dass ihn das genervt hätte, sondern eher in dem Sinne, dass er sich beinahe schon ehrlich dafür schämte, nicht interessierter bei der Sache zu sein.

„Ach, Shin-chan… Könntest du mir auch noch ein kühles Bier holen?“ fragte sie nach Entgegenname der Fernbedienung mit einem Kullerblick, für den sie wesentlich zu alt war. „Bittebittebitte!“

Sich dazu einfach mal seinen Teil denkend, machte er dennoch augenblicklich kehrt, um ihre Bitte zu erfüllen. Ihr Lächeln verpuffte fast in derselben Attosekunde, in der er ihr den Rücken zukehrte.

Während ihre rechte Hand damit beschäftigt war, lustlos durch die Kanäle zu zappen, und nur von den herauskommenden Geräuschen aus nach etwas zu suchen, dass sie nicht direkt ankotzte, verfolgte der Rest von ihr seinen Rücken, während er sich in den Kochbereich der Wohnung begeben hatte.

Sie musste zugeben, dass sie bis jetzt nicht wirklich darauf geachtet hatte, aber nachdem man sie explizit darauf aufmerksam gemacht hatte, konnte sie nur schwer Übersehen, dass sich Dr. Akagi das mit dem Wachstumspurt nicht aus den Fingern gesagt hatte, und ihr wurde klar das sie, aller unerfreulichen Zwischenfälle zum trotz über die letzten Monate hinweg wirklich dabei hatte zusehen können, wie er vor ihren Augen dabei gewesen war, sich wirklich in einen Mann zu verwandeln. Manchmal, wenn sie ihn aus dem richtigen Winkeln ansah, konnte sie in seinen Zügen den sachten Beginn einer gewissen Festigkeit ausmachen, die Form eines attraktiven jungen Mannes durch ein paar letzte Schichten der Puppen-Hülle hindurch, oder vielleicht war es auch, dass er mittlerweile nicht mehr ganz so oft in so einer zusammengeschrumpften Haltung daherkam und allein deshalb schon etwas eindrucksvoller wirkte, sie konnte es nicht sagen, aber sie wurde sich mit einem Mal klar, dass da aller Rückschläge und Konflikte zum trotz doch eine Grundmenge as Stolz war, die sie beim Anblick dieses Jungens empfand, auch, wenn sie sich nicht ganz sicher war, ob das mit dem Stolz einer zufriedenen Mutter identisch war – Sie war… Sie konnte einfach zu ihm runter kommen und sich unfrisiert zu ihm auf die Couch pflanzen. Da war nicht so ganz diese eine Generationen-Barriere, auch wenn es bei deren Gesamtzahl kein Mangel bestand, oder zumindest war dass dire Art, auf die sie es gerne Wahrnehmen würde.

Als er mit der kühlen Dose Gerstensaft zurück kehrte, bemerkte er seinerseits erstmal dieses besondere Lächeln auf ihren Lippen, und auch, wenn er nicht genau benennen konnte, was daran sich von ihrem üblichen Lächeln unterschied (War es ausnashmsweise mal echt? …das war jedenfalls, was er sich im Nachhinein fragen würde, zu einer Zeit und an einem Ort, wo er noch viel, viel Zeit bekommen würde, immer und immer wieder darüber zu brüten), traf es ihm mit einem Mal selbst durch den Neben seiner tristen Betrachtungen hindurch, dass sie irgendwie wunderschön aussah, und er fühlte sich an seine erste Nach hier erinnert, den Moment, wo sie ihn nur mit einem Handtuch bekleidet aufgesucht hatte, um ihm eine gute Nacht zu wünsche, oder der Moment, an dem sie ihm die Ent-Bunkerung des Hauptkomplexes gezeigt hatte, gebadet in die Farbtöne des Abendrots… mittlerware waren diese mobilen Wolkenkratzer für ihn zu einem absoluten Routine-Anblick geworden.

Es stimmte, sie war es damals gewesen, die ihn mit dieser Metropole „vertraut gemacht“ hatte – damals hatte sie Tokyo-3 seine Stadt genannt, und ihn ihren zugehörigen Beschützer, wie Btman nach Gotham gehörte, oder Superman nach Metropolis, aber in den Windungen seiner Gedanken war es in erster Linie immer ihre Stadt gewesen, die Sphäre, in der sie existierte und alles, was mit ihr so in Verbindung stand, wie dieses simple Zuhause und seine Bewohner – Wenn er an „zuhause“ dachte, dann hatte er ersteinmal Misato vor Augen, wie sie ihn so anlächelte, wie sie das jetzt eben tat.

So sehr er selbst an diesem Ort und dem, was er hier erreicht hatte zweifeln mochte, so gab es einfach keinen anderen Ort, den er mit diesem Begriff hätte in Verbindung bringen können.  Seine Mutter war für ihn ein Name auf einem Grabstein, mit seinem Vater in einem Raum zu sein war nicht irgendeine Art von natürlichem Normalzustand, sondern eine nervenaufreibende Zumutung, und bei seinem Lehrer hatte er sich eigentlich immer nur als Gast gefühlt, nicht so, als hätte ihm dessen Villa je wirklich mit-gehört; Er hatte es dort bis zum Schluss gewagt, dort in irgendwelche Räume hineinzugehen, in die er nicht explizit hineingebeten worden war, kannte eigentlich nur den Garten, sein Zimmer, das Wohnzimmer und vielleicht noch die Küche, die Mikrowelle mit Sicherheit, aber das innere der Schränke war ihm ein Mysterium geblieben – Von Misatos Appartment gab es keinen Winkel, der ihm nicht vertraut war, schließlich war er es, der hier Ordnung hielt, und wenn er davon ausgehen würde, das Misato und Asuka ihre benutze Kleidung aus ihren Zimmern selbsttätig aufsammen und in den Wäschekorb schmeißen würden, konnte er warten, bis er schwarz wurde, auch, wenn er natürlich versuchte das möglichst zu tun, wenn Asuka außer Hauses war, wohlwissend, dass sie implizite Säuberungen undankbar hinnehmen würde, ihn aber sauber köpfen würde, wenn sie ihn einmal wirklich dabei sehen würde, wie er ihr Domizil betrat.

Asuka besaß ohnehin so viel Klamotten, dass sie eine mindere Schrumpfung dieses Berges nichteinmal bemerken würde, und Misato scherte sich nicht darum… das hieß, bis zu einem gewissen Grad; Das brachte ihn wieder zu der Situation zurück, die sich eben ereignet hatte.

Mittlerweile hatte er sich neben Misato abgestützt, die sich schlampig-brweitbeinig auf dem Sofa ausgebreitet hatte, ohne in irgendeiner Form darauf zu achten, was ihr recht knappes Kostüm von ihren exklusiveren Körperstellen preisgab – Shinji war da mittlerweile recht desensibilisiert, oder zumindest, bis irgendeine kleine Bewegung ihrerseits oder irgendein ungünstiger Blickwinkel ihn wieder eines besseren belehrte.

Gerade alle Instanzen, in denen sie sich irgendwie vorbeugte, hatten eine definitive Tendenz, so einiges von ihrer üppigen Oberweite freizulegen, auch, wenn er im Moment nicht dieEnergie fand, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, oder auch nur dem Film, der vor seiner Nase vorbeirauschte. Er bekam vielleicht etwas von den einzelnen Szenen mit und dachte sich hier und da die eine oder andere Reaktion, die seine aber die eigentliche Handlung oder das wirkliche Thema verschwamm planlos vor seinen geistigen Augen, was wohl von Anfang an nicht besonders originell gewesen.

Als er dann tatsächlich etwas von sich gab, leise und ohne einen besonders großen Anteil des örtlichen Geräuschpegels für sich zu beanspruchen, hatte es freilich wenig mit dem Film zu tun, und da es nie so wirklich für sie bestimmt gewesen war, entglitt der genaue Wortlaut Misato zunächst.

„…uhm… was hast du gesagt?“

„Ich… ich habe nur wegen… der Sache mit Hyuuga-san nachgedacht… und das er... sich anbietet, um uns etwas zu helfen… Er scheint… kein schlechter Mensch zu sein…“

„Yup, er ist wirklich ein aufmerksames Kerlchen, immer allzeit-bereit.“ Merkte Misato an, sich um den Anschein einer sonnigen, aber doch etwas weniger direkten Disposition bemühend, um die Übertreibung vorerst sein zu lassen. „… aber wieso fragst du?“

„Ich… ich hab nur nachgedacht…“ meinte Shinji, seinen Blick abwendend. Das war wohl seine Art, ihr zu signalisieren, dass er keine weitere Diskussion wünschte – bevor er Rede und Antwort hätte stehen können, hätte er seine Gedanken erst mal ordnen müssen.

Die zentrale Festellung wäre wohl gewesen, das Hyuuga, wie Misato, Dr. Akagi und überhaupt der Rest von NERV mittlerweile wirklich Teil seines Lebens geworden waren, auch in persönlichem Sinne… das geschah wohl, wenn man eine Weile zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitete, sich gegenseitig unterstützte und einander einfach ausgesetzt war, gerade in brenzligen Situationen, aber was schwieriger war, was er vielleicht ohne weiteres aufzugeben zögerte, war sein bisheriges Verständnis eben dieser Vorkommnisse – Es war einfach alles viel, viel einfacher gewesen, als er NERV einfach als eine große, diffuse, gesichtslose Organisation begriffen hatte, höchstens noch als verlängerten Arm seines Vaters, die sich einen einzelnen Jungen gegriffen und für ihre Zwecke eingespannt hatten  - Einer solchen Konstellation, in der es ziemlich offensichtlich war, wer von wem schamlos ausgenutzt und unter Druck gesetzt worden war, konnte er ziemlich schnell ohne weiteres den Rücken kehren, aber jetzt halfen ihm diese Leute bei Schulprojekten, kamen seine schmutzige Wäsche abholen, und kauften ihm und seinen Freunden Eiskrem – Individuen kristalisierten sich heraus, allem vorraus natürlich Misato und Ayanami, aber die hatte er ohnehin von Anfang an einzeln wahrgenommen – Aber da war zum Beispiel allem Vorran die eisige Dr. Akagi, die er an seinem Esstisch mit wesentlich weniger Schminke auch einfach als Misatos beste Freundin zu sehen bekam, und ihm ähnlichem Maße auch Kaji, mit dem er wohl mehr in seiner Rolle als Misatos Exfreund und weises älteres Alphamännchen zu tun hatte, als bei NERV, zumal es zwischen den Ttätigkeiten der Ermittlungsabteilung und den Piloten nur eine geringe Schnittmenge gab, und dann gab es die zahlreichen Techniker, die sich ohne ihre Uniformen nicht völlig gewöhnlichen Bürgern unterscheiden ließen, und alle ihre menschlichen Eigenschaften und Strukturen ihrer eigenen persönlichen Welten besaßen, sie wurden greifbar – Mit Hyuuga konnte er als weiterer „leibeigener“ der lieben Misato sympathisieren, Aoba war ebenfalls ein Hobby-Musiker, und Ibuki war die erste, die sich anmerken ließ, dass sie die Situationen, in die sie alle geworfen wurden, teilweise genau so erschütternd fand, wie er selbst… Ooi, Agano und Mogami waren dicke Freundinnen, Mitsurugi ein leidenschaftlicher Familienvater, und mit Asahina hatten selbst die dubiosen Herren in Schwarz ein Gesicht bekommen – den alten Subcommander dabei zu sehen, wie er sich über seine Streiterreien mit Asuka aufgeregt hatte, hatte ihm auch einiges an Dimension und Substanz gegeben…

Mittlerweile konnte er all diese Menschen nicht nur seine Vorgesetzten oder homogene Handlanger seines Vaters sehen, sondern wirklich seine Kollegen… und obwohl er mit ihnen wirklich gute Zeiten verbracht hatte, war an diesem ganzen Konzept und dem, was er implizierte etwas unsagbar unheimliches, dass er nicht bis zum Ende verfolgen wollte, vielleicht aus Angst vor den Verpflichtungen, Konsequenzen und Unmöglichkeiten, die sich daraus ergeben würden.

Die Türme und Wolkenkratzer dieser Stadt ragten in der Ferne über ihn hinweg wie die untere Zahnreihe eines gewaltigen Monsters, dass ihn zu verschlingen drohte…

Also blieb ihm für den Moment nichts anderes, als den Blick aus dem Fenster zu meiden, und sich weiter von der Flimmerkiste berieseln lassend, sich in seiner ganzen Form zusammenziehend, als wollte er sich mit den so vergrößerten Kontaktflächen selbst eine Art von Trost spenden, oder das nächste Analogon, dass er in den ersten 14 Jahren seines Lebens kennengelernt hatte.

Hätte man ihn gefragt, hätte er behauptet, dass er versucht hatte, damit niemanden auf den Geist zu gehen, und auf möglichst wenige Geräusche geachtet hatte, doch auch wenn das keine komplette Lüge war, war doch eine gewisse Halbherzigkeit dabei, die Art, wie er seine Beine noch enger anzog, seine Arme noch fester darum schlang und seinen Kopf halb auf diesen abstützte, nur noch spaltweise zum Fernseher hinschielend, war ein viel zu deutliches Signal, um nicht in irgendeiner Form gezielt gesetzt worden zu sein, oder das selbst Misato es übersehen können hätte.

Sie kannte diese Zeichen selbst gut genug, um sich zu denken, dass er sich zumindest tief im Innerennach einer – irgendeiner – Art von Berührung sehnen musste, und diesem Wunsch stattzugeben war auch in ihrem Sinne (später sollte sie sich fragen, ob sie nicht primär gesehen hatte, was sie selbst sich gewünscht hatte, ob sie nich primär ihren eigenen Wünschen und Zeichen gefolgt war), aber was, wenn er sie zurückweisen sollte…?

(Auch hier wusste sie, dass sie es vermutlich persönlicher nehmen würde, als sie es sollte)

Sie haderte eine Weile damit herrum, die sie statt dem Fernseher die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken, damit verbrachte, mit ihrem Arm der Sofalehne entlang ein lautloses, ninjamäßiges Anschleichmanöver durchzuführen.

Dann, mit einem Mal, kam sie zu dem nicht ganz angemessenen oder besonders reifem Schluss, dass er sie so, wie er dasaß, ja praktisch eingeladen hätte, und dass sie ihm ja eigentlich einen Gefallen tun würde, um den ihm alle seine männlichen Klassenkameraden vermutlich beneiden würden, und trat in Aktion.

Wie sie es sich hätte denken können, bestand seine erste Reaktion darin, augenblicklich zusammenzuzucken, und nur minimale Sekundenbruchteile nach ihrem vorbereiteten Entschluss bereute sie schon wieder alles davon, und konnte darin nur das Schlechte sehen und die Frage danach, was sie sich eigentlich gedacht hatte, und welcher krankhafte Auswuchs sie da eigentlich geritten haben musste, und ohne ihm die Zeit zu lassen, explizit zurückzuweichen, wollte sie ihren Arm gleich wieder wegziehen, doch als sie dazu ansetzte, stellte sie beinahe schon mit Erschrecken Fest, dass der warme Umriss seiner Form ihr folgte – Keiner von ihnen sagte etwas dazu oder sah den anderen auch nur an; Et was laut auszusprechen konnte schon einen großen Unterschied machen – wenn sie es aussprachen, würden sie es annerkennen, und das hieß, sich damit auseinandersetzen zu müssen… und hätten sie sich dazu bereiterklären müssen, wäre es zu diesem Moment vermutlich niemals gekommen.

Er hielt den Kontakt mit dem ganzen inneren Halb-Ring ihres Armes, auch wenn mindestens, aber nicht mehr als einen Schritt zu weit gegangen wäre, zu sagen, dass er sich weiter hineingeschmiegt hätte; Jendenfalls kam er der Haupt-Masse ihres Körpers kein bisschen näher, und initiierte auch keine weiteren Kontakte, und eine Weile blieben sie einfach so, wortlos, mit den Tönen aus der Glotze als einzigen Beitrag zum Geräuschpegel, dieses neuartige Gefühl einfach auf sich einwirken lassend, als würden sie es analytisch mit irgendwelchen Pinzetten auseinanderziehen, doch letzlich blieben einfach nur dieser Moment und die sich langsam absenkende Abendsonne.

Sie konnte spüren, dass er sich langsam halbwegs entspannt zu haben schien – und mit einem Mal kam ihr diese ganze Situation stark bekannt vor, oder vielleicht war es eher, dass sie sie an etwas erinnerte, dass sie schon lange nicht mehr erlebt hatte, so genau verstand sie diesen Strudel an Gefühlen auch nicht, die großen, gewaltvoll aufsteigenden Blubberblasen in ihrer Seele, die so einziges aufwirbelten und mit sich in die Höhe rissen, und ihr wurde einfach klar, wie gut die letzten Monate trotz aller schwierigkeiten und allem dramas gewesen waren, einfach so pauschal, weil sie morgens ein geschäftiges Gewusel in diesem Haus hörte, weil jemand auf sie wartete, wenn sie nach einem langen Arbeitstag nahhausekam, weil jemand da war, der ihr einen noch so billigen Grund gab, ein Lächeln aufzusetzten, bis sie selbst begonnen hatte, daran zu glauben, dass es real gewesen war, und ihre eigenen leeren Versprechungen geschluckt hatte.

Es war einfach… angenehm, so einen gewöhnlichen, alltäglichen Augenblick vor einer blöden Glotze teilen zu können, ohne Makeup und Uniform, und ohne das alltägliche Theaterspiel, dass sie bei NERV abzog – für so, so eine lange Zeit war all dies, diese ganze Sphäre ihres Zuhauses etwas gewesen, mit dem sie allein gewesen war, doch jetzt hatte sie diesen jungen Mann hier an ihrer Seite und – wie lange war es her, seit sie einfach mal so ungezwungen mit jemand anderem irgendeine scheiß Verbraucher-Show angesehen hatte?

Sowas hatte es für sie nicht mehr gegeben seid- seid….

(Seid Kaji.)

Na, ja,  jedenfalls war es eine ganze Weile her.

Und es war angenehm, einfach die… spürbare Gegenwart eines anderen Menschen…

Zu irgendeinem Zeitpunkt kam auch der letzte Bewohner der Katsuragi-WG daher – nein, nicht Asuka, die war ja noch außer Haus, sondern der ansässige Haus-Penguin, der dem leucht feuchten Zustand seiner Federn nach zu urteilen gerade aus dem Bad kam, und den Zustand der beiden Menschen nur mit einem verwunderten Blick kommentierte, bevor er sich ebenfalls vor die Flimmerkiste pflanzte, und die Frisur der Moderatorin mit einem schlichten „Waak.“ kommentierte.

„Oh, hallo PenPen!“

Der Vogel nahm den Gruß des Third Child kurz zur Kenntnis, wendete sich dann aber wieder dem Programm zu. Shinji sah im dabei ein Weilchen zu, bevor er seinen Vormund das erste Mal seit ihrer… Aktion wirklich ansprach, als ob sonst nichts sei, als ob er nicht jetzt gerade noch die Wärme ihres Arms über den Ansätzen auf seinen Schulterblättern spüren könnte, aber doch ohne sie anzusehen, weil er sich sicher war, das er sonst kein Wort herausbringen würde, und wusste, dass er noch nicht bereit war, um einzusehen, was das alles zu bedeuten hatte.

„…sag mal, Misato-san…“

„Ja?“

„Eins hab ich mich schon länger gefragt…“

„Was denn?“

„Wo hast du PenPen eigentlich her?“

„Was? Häh?“ Das war jetzt etwas antiklimatisch.

„Ich meine, er ist sicher nicht die Art von Vogel, den man in einer gewöhnlichen Zoohandlung kaufen kann…“

„Nein, das ist er nicht…“ gab Misato erheitert zu. „Als ich jünger war, habe ich mal in so einem Labor gearbeitet, wo die daran gearbeitet haben, Tierarten zu retten, die nach dem Second Impact ihren gewohnten Lebensraum verloren hatten – Schließlich gab es vielerorts große klimatische Veränderungen, und das Leben in den Meeren ist praktisch komplett vernichtet wurden – Die meisten überlebenden Tiere, mit denen wir arbeiten konnten, stammten urprünglich aus Zoos und Aquarien…“

„Du warst… in einem Labor angestellt?“ fragte Shinji ungläublich.

„Yap! Ich seh‘ zwar nicht so aus, aber ich war auf der Uni. Wenn du mir nicht glaubst, kannste Ritsuko oder diesen Depp Kaji fragen, dort hab ich die zwei überhaupt erst kennengelernt. Oder denkst du etwa, ich wäre zu dämlich dafür?!“

„N-N-NEIN!“ stammelte Shinji in einem Anflug plötzlicher Bedrängnis. „Ich… Ich...“

„Schon okay, ich nehm dich ja nur auf dem Arm.“

„Es tut mir trotzdem leid! Ich… konnte mir das nur irgendwie nicht so richtig vorstellen, du in einem Labor…“ Und noch dazu etwas mit Biologie – Die plötzliche Parallele zu seinen Eltern hatte ihn irgendwie unvorbereitet getroffen, und das, bei einer Person, die für ihn eigentlich das genaue Gegenteil von allem verkörperte, was er mit seinen leiblichen Eltern assoziierte, oder vielmehr all das, was er von den zweien nie bekommen hatte – Selbst er konnte einsehen, dass es keinen Sinn hatte, allen Leuten pauschal nicht zu trauen, die etwas mit Biologie am Hut hatten,aber es machte ihn auch darauf aufmerksam, dass es noch so einiges über Misato gab, dass er einfach nichts wusste, dass mit ihm… einfach nichts zu tun hatte.

Einen Moment lang war da die Angst, dass dieses Details jetzt unvorgewarnt von jetzt auf gleich, nach einer trivialen Konversation an einem ereignislosen Nachmittag alles ändern konnte, doch da hatte er als ewiger Pessimist wie so oft verfrüht den Teufel an die Wand gemalt; In ihrer nächsten Äußerung erkannte er deutlich die Frau, mit der er die letzten Monate zusammengelebt hatte.

„Ich ehrlich gesagt auch nicht… Ich habe recht schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist, hab mir PenPen hier als Souvenir mitgenommen und bin stattdessen zum Militär gegangen. Da hab ich mir auch das nötige Vitamin B zugelegt, um die Herrschaften davon zu überzeugen, bei unserer ganzen Laserknarren-Scharfschützen-Aktion mitzuspielen. In Wahrheit habe ich den Job auch nur angenommen, weil…“

„Weil?“

And dieser Stelle löste sie ihre Hand von ihm und sammelte ihre Gliedmaßen insgesamt etwas auf, nahm eine etwas normalere Position ein und einen ernsteren Gesichtsausdruck.

Wider erwarten registrierte er das Ende dieser Berührung nichts als Befreiung von irgendeiner stressigen Situation, sondern vermisste allerhöchstens die Wärme.

Auch wenn er vieles über sie nicht wusste, hatte er nicht gerade wichtige Details erfahren? Zum Beispiel, wie sie Kaji und Ritsuko kennen gelernt hatte, oder… genug, um ein Stück ihrer Lebensgeschichte rekonstruieren zu können…schätzte er zumindest.

Und so wie sie ihn jetzt ansah, schien die Trajektorie dieses Gesprächs in die Richtung unterwegs zu sein, dass sie noch davor zu sein schienen, etwas Wichtiges auszutauschen… Also blieb er fürs erste still und hörte ihr aufmerksam zu.

„Du hast ja mittlerweile oft genug gehört, dass der Second Impact durch den Kontakt mit dem ersten Engel ausgelöst wurde…“

„Irgendwelche Forscher haben ihn gefunden, und dann ist er hochgegangen, richtig?“

„Richtig… nun ist es bis zum heutigen Tage ungeklärt, was die Explosion eigentlich ausgelöst hat. Es könnte gut sein, dass das Ding so oder so hochgegangen wäre, ob nun jemand da gewesen wäre, oder nicht, aber zugleich ist das auch ein Gedanke, den man nicht einfach zur Seite schieben kann. Die Möglichkeit, das auf dieser Welt jetzt gerade sechs- wenn nicht sieben Milliarden Menschen leben könnten, wenn diese Handvoll Wissenschaftler nur nicht zu tief gebuddelt hätte… Was hatten sie an einem Ort wie dem Südpol überhaupt zu suchen? So weit ich weiß, ging es um die Entwicklung einer neuartigen Energiequelle, die uns ein einfaches und bequemes Leben gewähren sollte, aber was diese Leute letzlich erreicht haben, war doch nichts anderes als das genaue Gegenteil…“

Nicht, das sie wegen dieser Energiequelle besonders begeistert gewesen wäre, wenn sie ein voller Erfolg gewesen wäre, und die Menschheit mittlerweile dabei wäre, damit zum Mars zu fliegen. Schließich war dieses Projekt das, was dieser Mann einst ihr und ihrer Mutter vorgezogen hatte. So selbstlos war sie nicht, dass sie sich darüber hätte freuen können – in gewisser Hinsicht kam ihr das Resultat also ganz gelegen – nicht in irgendeinem sadistischen Sinne, aber schon in dem, dass die Tragödie eben geschehen war, und man sich damit arrangieren konnte. Sie hatte den Preis und das Leid schon höchst selbst bezahlt, da konnte sie dann genau so gut diese selben unschönen Gewissheiten hernehmen und zu Stützen umfunktionieren.

„Ich… ich glaube nicht, dass sie so eine Katastrope gewollt haben…“

„Und? Ist doch völlig egal, was die wollten, wir wissen alle, was dabei rausgekommen ist…!“

Mitten in diesem Satz stellte sie dann fast schon mit Erschrecken fest, wie viel hässliche, alte Emotion mit diesen Worten entwichen war, und sie unternahm eine bewusste Anstrengung, die verrutsche Maske zurück an ihren Platz zu schieben – Die kalte Dusche, die sie erweckte, war der ansatzweise verstörte Gesichtsausdruck des jungen Piloten, der merklich damit rang, die wellenhafte Dunkelheit, die er gerade miterlebt hatte, mit der freundlichen Person zu vereinbahren, die ihn aufgenommen hatte – Sie blickte halb-vorwurfsvoll auf die halbleere Bierdose, die sie noch mit dem im Laufe des Gesprächs frei gebliebenem Arm festhielt…  und schoss sich den Rest auf Ex hinein. 

Das würde sie jetzt nötig haben.

„Tschuldige…“

Und auch das.

„Vielleicht sollte ich das nicht so persönlich sehen, was vorbei ist, ist vorbei, und lässt sich eh nicht mehr ändern, aber irgendwie kann ich nicht anders, als es persönlich zu nehmen, und das nicht nur, weil ich durch den Second Impact eine verpfuschte Jugend hatte oder sowas – immer hin haben diese Wissenschaftler es genau so wenig überlebt, wie diese anderen drei Milliarden Menschen, und ich lebe noch… Aber…“

Ihre eigene Involvierung in den ganzen Vorfall hatte sie bis jetzt bewusst verschwiegen gehalten, hatte gesprochen, als ob das die Geschichte irgendwelcher Fremden sei, die sie nur nacherzählte – nur so war sie überhaupt fähig, davon zu reden.

Andererseits konnte sie dieses Tau aus widerborstigen Dornen nicht ganz von ihr lösen, ohne, dass auch ihre Geschichte keinen Sinn mehr machte, und außernanderfiel wie ein handgewebter Teppich, aus dem man einen strategisch wichtigen Faden herausgezupft hatte.

„Es ist und bleibt ein Fakt, dass der Leiter dieser Expedition einer der führenden Biophysiker seiner Zeit war… ein gewisser Doktor Byakuya Katsuragi…“

„Kats- dann… dann ist er..?“

„Ja. Mein… biologischer Erzeuger, wenn man so will.“

Augenblicklich fühlte sich Shinji an den Tag ihrer Begegnung zurückversetzt-

(„Du hast wohl kein besonders herzliches Verhältnis zu deinem Vater, was? Tja, da haben wir was gemeinsam.“)

-und seine Reaktion machte eine komplette Drehung um 180 Grad. Hatten ihre Aktionen ihn bis jetzt hauptsächlich an all das erinnert, was er von ihr nicht wusste, was sich irgendwie nicht in sein Bild oder seine Idee von ihr einreihen wollte, brachte die hauchdünne Illusion von Sicherheit zum bersten, die er sich bis jetzt einzureden vermocht hatte, und legte das Reich des Unbekannten frei, das sich dahinter erstreckte – Doch mit diesem einen, entscheidenen Puzzlestück sah er den Sinn in diesem Wahnsinn, und nichts hätte für ihn weniger fremd oder unbekannt sein können, als das.

(„Ja! Er soll den Tod seiner Frau angeblich selbst verschuldet haben!“

„Ist das nicht der Sohn von diesem verrückten Wissenschaftler…? Das arme Ding…“

„Also, ich weiß nicht… ich würde mein Kind nicht mit dem Sohn eines Mörders spielen lassen. Wer weiß, was der für schändliche Veranlagungen geerbt hat…“

„Hey du da! Der kurze Pimpf auf der Schaukel! Stimmt es eigentlich, dass dein alter Herr deine Mutter gekillt hat?“)

Das war ein Päckchen, von dem er noch lange nicht bereit war, es vor Misato auszupacken, die aus der Tiefe hervorgesprudelnten Emotionen mussten sich also damit zufrieden geben, metaphysische Milimeter von der langersehnten, viel zu überfälligen Befreiung unter der Oberfläche aufzustauen. Doch auch, wenn er diese inneren Dämonen nicht beim Namen zu nennen wagte, so waren sie doch existent und ließen sein ganzes Sein vor der Intensität dieser schändliche Gedanken beben, die Finger, die sich in den Stoff seiner Uniformhosen krallten, um irgendwie einen Stillstand herbeizuführen, die aufmerksame, gierige Stille, mit der er den Rest ihre Rede erwartete; Und das was er bestellt hatte, das wurde ihm auch serviert.

„Ich kann nicht genau erklären, warum…“ (Vielleicht, weil sie anders als so viele andere überlebthatte, und dass, durch die Hände des Mannes, der so viele verdammt haben könnte – Dieses Detail aber war sie noch nicht bereit zu teilen. Das zu tun hätte es ziemlich schwer gemacht, dieses aufkeimende Gefühl zu ignorieren, dass sie dabei war, jemandem, dem sie ihr Leben verdankte, eine große Ungerechtigkeit anzutun) „…aber ich… habe mich einfach verantwortlich gefühlt, als ob ich den Schaden, den dieser Mann angerichtet hat, wieder gutmachen müsste, oder zumindest irgendwie dabei mitzuhelfen, und die Dinge zu bewahren, die seinetwegen verloren zu gehen drohten…“

(Und doch hatte sie diese Reise, die eigentlich einmal als Manifestation ihrer Ablehnung gemeint gewesen war, an eine Universität geführt, und dann in ein Labor – Sein natürliches Habitat, und etwas, woran er vermutlich sein Gefallen gefunden hatte… Der Ort erinnerte sie praktisch jeden Tag an die Katastrophe, und der kalte Umgang mit den Versuchstieren, die mit jämmerlich-leeren Augen aus ihren Käfigen hinauszublicken schienen, erinnerte sie zu sehr an ihre eigene, erheblich zusammengeschrumpfte Welt in diesen Jahren der Dunkelheit , die sie eigentlich aus ihrer Geschichte herauszulöschen versuchte… alles im allen war es wohl kaum ein Wunder, dass sie es dort nicht lange ausgehalten hatte.

Als sie schließlich zum Militär ging, erwiesen sich viele der jungen Frauen, mit denen sie sich zuanfangs eine Baracke geteilt hatte, schnell als ungeeignet, vermissten ihr Zuhause oder waren den harten körperlichen Anforderungen nicht gewachsen – Sie aber gehörte zu den wenigen, die regelrecht aufblühten und nach kurzer exzellente Ergebnisse zu liefern begannen – Sie hatte ausreichende Mengen an aufgestauter Wut in sich, und damit einen schier unerschöpflichen Vorrat an Brennstoff; Seit ihrer Trennung von Kaji war sie dem hypothetischen Zustand, eins mit sich selbst zu sein, nicht näher gekommen, als bei den ewigen Drills und Schießübungen in diesen verbrauchten alten Baracken, gebadet in ihrem eigenen Schweiß.

Gleichzeitig war diese ausgekochte Soldatin trotz ihrer ernüchternden Kindheit, die sie schon früh verbittert und verdorben hatte, doch einmal genug von einem jungen Mädchen gewesen, um sich an niedlichen Tieren zu begeistern. Es gab eine einzige halbwegs positive Erinnerung, die sie von ihrer Reise an den frostigen Pol hatte, ein Begebenheit, in deren Rahmen sie sich nahe des von ewig unberührtem Puderschnee berieselten Maschendrahtzauns wiedergefunden hatte, der den Forschungsposten von der restlichen Wildnis Antarktikas abgetrennt hatte.

Dich eingepackt und trotzdem ehrlich schmerzhaft vom Wind gepeitscht, Eis in den Haarsträhnen, die aus ihrer Kapuze herausgefallen waren, war sie Zeugin gewesen, wie ein Wanderzug von Pinguinen an der Forschungsstation vorbeigezogen war, und recht sicher ahnend, dass sie am nächsten Tag wieder fort sein würden, und sie somit die einzige gute Sache verloren haben würde, die ihr hier oben wiederfahren war, das einzige Ereignis bis her, dass ihr nicht das Gefühl gab, von ihrem Vater mitgebrachte Raumdekoration zu sein, blieb sie ungeachtet der lungenzerfressenden Eiseskälte dort draußen stehen, und beobachtete den Marsch der schwarz-weißen Vögel in einer an Trance grenzenden tiefen Faszination.

So weit es die Geometrie ihrer Handschuhe zuließ, krallte sie sich in den Maschendrahtzaun hinein, und obwohl sie sich denken konnte, dass es sein Daseinszweck sein musste, gerade Tiere wie diese Pinguine abzuwehren, so fühlte sie sich doch, als sei sie es, die von dem Drahtgeflecht gefangengehalten wurde.

Mit einigem an kindischer Eifersucht nahm sie zur Kenntnis, wie etliche der männlichen Vögel ihre Eier dich an ihrem Körper auf den Füßen mit sich führte, um diese sorgfältig vor dem sofortigen Tod durch die gnadenlose Kälte des frostigen Bodens zu beschützen – Damals hatte sie keinen Raum für Zweifel: Wären die Katsuragis als Pinguine zur Welt gekommen, hätte ihre Existenz wohl sehr früh als Tiefkühl-Ei geendet.

In gewisser Hinsicht machte es sich rasend, dass es selbst die behämmerten Vögel in diesem gottverlassenen Niemandsland fertig brachten, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern, ja, ihn zu behüten wie ihr wertvollstes Gut, während das für ihren Vater wohl zu viel verlangt gewesen wäre, ganz egal, dass sie in einem modernen Staat lebten, und nicht in einer Eiswüste. )

„Das… das ist überhaupt nicht seltsam…“ unterbrach die Stimme des Third Child dann ihre trüben Gedankengänge, mit einer unterschwelligen… Energie, die sie nicht erwartet hatte, und einem Grad von Einfühlung, den sie schlichtweg nicht für möglich gehalten hatte – nicht primär unmöglich von ihm, sondern unmöglich für sie und ihre Wahrnehmung von ihren Gedanken und Impulsen als verdorben und verwerflich.

Seine Wahrnehmung von alledem  aber war deutlich gefärbt von Dingen, die er selbst nicht offen zu legen wagte. „…überhaupt nicht… allein der Gedanke, dass… Wenn ich jeden Tag wissen müsste, dass… so eine schreckliche Katastrophe, und mein ganzes Leben den selben Ursprung hätten, dann…“

(„Genau! Er hat sie als Versuchskaninchen benutzt, und das Kind dann  eiskalt verlassen!“

„Angeblich hat der verantwortungslose Schweinehund den Bengel einfach alleine in einen Zug gesetzt und-“)

„Wie… wie konntest du das eigentlich aushalten?“

Sie schloss an dieser Stelle kurz ihre Augen, um Bilder von grellem Licht und weißen, leeren Wänden wieder dahin zurückzudrängen, wo sie hingehörten, vielleicht als Pfropfen für wesentlich schrecklichere Unmöglichkeiten, die weiter zurück, tiefer drin vergraben lagte, bevor sie, um diese schlafenen Dämonen möglichst nicht weiter zu berühren mit einer vielleicht erschreckenden un-betroffenheit Antwort: „…nach und nach. Es sind ja schon fünfzehn Jahre seid dem Second Impact gewesen…“

„Mhm…“ gab Shinji nachdenklich von sich.

Einfach nur Zeit?

War sowas möglich? Würde er all das, was ihn jetzt beschäftige, in 14 weiteren Jahren einfach zurücklassen können, wie einen unschönen Traum, aus dem man dennoch erwacht war, und nun ohne weiteres vergessen konnte, weil man sich nun darüber bewusst war, dass er nur eine Illusion gewesen war?

Oder würde er gar nicht erst bis dahin-…?

Jedenfalls konnte er sich nicht wirklich vorstellen, wie.

Ihm brannten endlose Fragen in seiner Brust, aber irgendwie war der Gedanke, herauszufinden, dass selbst sie keine Antwort darauf wusste, erschreckender, als sie selbst nicht zu wissen.  

„Na ja, jedenfalls, um wieder zum Thema zurück zu kommen… Die Art von Vögeln lebte bis zum Second Impact auf Antarktika und hatten sich dort trotz der unwirtlichen Bedingungen behaupten können. Als der ganze Kontinent jedoch vaporisiert wurde, war es mit ihrem natürlichen Lebensraum und dem großteil der Spezies vorbei – Das überhaupt noch eine fortpflanzungsfähige Population existierte, lag wohl einzig und allein daran, dass sie schon immer beliebte Zootiere waren. Analoge Lebensräume am Nordpol waren so weit, sie vom Ursprungsherd der Explosion doch entfernt waren, ebenfalls großflächig zerstört worden, zumal viele der dortigen Lebewesen im Meer lebten oder zumindest Fisch fraßen, und das Meer nun komplett verseucht war…Auch, wenn diese Orte sich sich wohl ohnehin nur begrenzt geeignet hätten, weil es dort eine Menge Raubtiere gibt, an die die Pinguine nicht angepasst wären.

Die nahelegendste Handlungsalternative war, sie so zu modizifizieren, dass sie in wärmeren Habitaten überleben würden.“

„Na ja, in so weit scheint das ja ein voller Erfolg gewesen zu sein…“ kommentierte Shinji, angesichts des offenkundigen  Enthusiasmus, welchen sein Haustier für heiße Bäder zu haben schien.

„Ja, aber nachdem das Experiment vorbei war, sollten alle Versuchstiere, die als „Zwischenergebnisse“ eingestuft wurden, eingeschläfert werden…“

„Wie grausam…“

„Hm. Vielleicht. Aber noch grausamer wäre es wohl gewesen, sie weiter in den Käfigen vor sich hin vegetieren zu lassen, bis sie von selbst verenden, oder sie einfach auf die Straße zu setzten – Du must auch bedenken, dass es Labortiere waren, die überhaupt niemals geschlüpft wären, wenn man sie nicht speziell für die Experimente geschaffen hätte… Es war überhaupt niemand da, der sich um sie hätte kümmern können… Weißt du, eine der schmerzhaftesten, ernüchternden Dinge, die man lernen muss, wen man erwachsen wird, ist vielleicht, dass es nicht immer für alles eine perfekte Lösung gibt, mit der alle gleichermaßen glücklich sind…

Manchmal sind Experimenter dieser Art einfach notwending um zum eispiel lebensrettende Medikamente zu entwickeln, oder, in diesem Fall, um die ganze Spezies vor dem Austerben zu bewahren…“

„Ein Opfer… um die Spezies vor dem Aussterben zu bewahren, hm…“ wiederholte er ernst.

Es sollte ihn eigentlich nicht wundern, was mit irgendwelchen Vögeln geschehen war – schließlich wusste er wohl besser, als irgendjemand sonst, das homo sapiens nicht einmal davor zurückschreckte, das mit seinesgleichen zu tun – wahrscheinlich hatten die Menschen mit irgendwelchen Hunden oder Katzen, solange sie nur ausreichend niedlich waren, erst mal pauschal mehr Mitleid, als mit ihresgleichen…

„Na ja…“ warf Misato ein, und gestikulierte mit der Hand zu PenPen hin, der im gegensatz zu Herrchen und Frauchen ganz von dem Fernsehprogramm eingenommen schien.   „Immerhin konnte ich wenigstens dieses Exemplar hier retten.“

„Er hat dir leid getan, hm…?“ fragte Shinji, ohne das es ersichtlich war, ob seine Frage noch wirklich etwas mit PenPen oder sonst irgendwelchen Vögeln zu tun hatte, und nicht viel mehr mit jemand ganz anderem, den Misato ebenfalls zu ‚halten‘ beschlossen zu haben schien.

„Hm… Das auch, aber hauptsächlich dachte ich mir das, naja, wir haben beide unser Zuhause durch den Second Impact verloren, also hatten wir im Wesentlichen viel gemeinsam… und außerdem… fand ich es sowieso Öde, so ganz allein zu leben, also kam mir so ein bisschen Gesellschaft eigentlich ganz recht… Es ist viel besser, irgendwie Gesellschaft zu haben… findest du nicht auch?“

„Ich… ich weiß nicht, ich meine… ich bin mir nicht so wirklich sicher...  Mittlerweile denke ich… das beides irgendwie Vor- und Nachteile hat… – A-Also, versteh das jetz bitte nicht so, dass ich dir nicht dafür dankbar bin, dass du mich aufgenommen hast!“

„Schon okay.“ Meinte Misato, wobei sie schon durch Gesichtsausdruck und Körpersprache klarstellte, dass sie nicht in irgendeinr Form verstimmt war oder soetwas.

„Ich bin mir sicher, dass du früher oder später noch auf den Geschmack kommen wirst… appropos Geschmack, warum holst du uns nich ein bisschen Verpflegung, so lange die Werbung läuft?“

Erst jetzt wendete sich Shinji zum ersten Mal in einer langen Zeit dem Fernseher zu, den er ehrlich gesagt komplett aus seinem Bewusstsein herausgefiltert hatte.

Mittlerweile war die Sendung, die sie zu beginn angesehen hatten, zuende gegengangen ohne das er das wirklich registriert hätte, und ein kurzer Werbe-Teaser kündigte den folgenden Film an an, und bat die Zuschauer, dran zu bleiben.

Der fragliche Film sah aber tatsächlich nicht uninteressant an, sodass Shinji dem Gedanken, nach so viel aufreibenden, tiefgründigen Unterhaltungen doch noch dazu zu kommen, wirklich nur fernzusehen, nicht abgeneigt war, sodass er aufstand, um Misatos Bitte nachzukommen.

Er könnte ein bisschen simple, erfreulich verbrauchte Zeit durchaus vertragen – Gerade, als er sich zur Küche begab, wurde ihm klar, wie sehr ihm diese ganze bisherige Unterhaltung eigentlich erschöpft hatte.

Die letzte Unterhaltung, die letzten Tage, wenn nicht die letzten Monate… Es war so viel geschehen, so viele, endlos anstrengende Dinge…

Hm.

Also mal sehen. Ein paar eingebüchste Fische für PenPen ( Shinji hatte Zwecks der Abwechslung mal Sprotten statt Sardinen gekauft), etwas Eiscreme… vier, nein, doch besser drei Kugeln Schokolade für Misato, dazu ein Bier und eine Kugel Vanille für sich, weil Misato sonst darauf bestehen würde, ihre Portion mit ihm zu teilen… und sowohl die Urzeit als auch die nahenden Schritte aus Richtung Haustür ließen ihn sicherheitshalber noch zwei Kugeln Erdbeereis vorbereiten, nur für den Fall.

Blieb nur noch die Herrausforderung, den ganzenKram sicher ins Wohnzimmer zu bugsieren – Bittere Erfahrung hatte ihn gelehrt, es nicht darauf ankommen zu lassen, und besser gleich ein Tablett zu nehmen.

Also dann, auf geht’s, und alle Schälchen verteilen.

„Deine Vorfahren waren also Zootiere, hm…?“

„Waak-Waak!“ bestätigte der Vogel, eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Kerl aufweisend, der stolz vorgab, mit irgendwelchen berühmten Schauspielern verwandt zu sein.

„Sind diese Fische ok?“

„Waaak!“

Hatte dieser Vogel gerade enthusiastisch genickt, oder war Shinji langsam wirklich am durchdrehen?

Jedenfalls öffnete sich kurz darauf wie erwartet die Wohnzimmertür, und das Second Child kam dahinter hervor, mit einer prall gefüllten Shoppingtüte unterm Arm (Adé, du schönes Geld – Sie hatte es leicht, es mit vollen Händen auszugeben, sie war ja nicht diejenige, die mit den kläglichen Resten hauswirtschaften musste. Als ob sie nicht genug Klamotten hätte… Mädchen-Logik tat seinem Hirn weh.)

Zumindest ihrer Neigung, immer aus irgendeinem nicht ersichtlichen Grund auf ihn sauer zu sein, konnte er zumindest entgegenwirken, in dem er ihr ein in weiser Vorraussicht vorbereitetes Schälchen Eis hinhielt.

„Hallo Shikinami-san! Hier, für dich!“

„Das ist… ja Erdbeer-Eis…“ kommentierte sie.

„Du… du hast doch erwähnt, dass du… dass gerne magst… oder?“

„Gib bloß her.“

Sie packte ihr Löffelchen mitten in die erste Eiskugel hinein.

„Schmeckt voll künstlich. Kaum nächstes Mal ne andere Marke, okay?“

Auf Dank brauchte er nicht zu warten, aber immerhin warf sie sich für ihre Verhältnisse relatib friedfertig auf die Couch, kickte ihre Schuhe weg und schloss sich der Versammlung doch tatsächlich ohne weitere Beschwerden an.

Auch, wenn sie sich ihre Meinung zu dem Film, den sie alles in allem ziemlich stereotypisch fand, keine Sekunde lang verkneifen konnte, und sich Shinji mehr als ein mal gewünscht hatte, dass sie und Misato ihn doch einfach die Dialoge hören lassen würden, sorgten schon allein ihre Kommentare dafür, dass dass hier nicht wieder in irgendwelche düsteren Tiefen der Seelsuche abtauchte. Sie hätte wohl jeden zerrissen, der sich vor ihr so geöffnet hätte.

Aber immerhin schien sie den Film insgesamt als „So schlecht, das es schon wieder gut ist“ einzustufen, und auch, wenn das Shinji erst klar wurde, als sie die Glotze längst wieder ausgeschaltet hatten, und er dabei war, die Eis-Schälchen auszuwaschen, so wagte er im Nachhinein doch zu sagen, dass es… angenehm gewesen war.

Es machte nicht wirklich Sinn, es war nicht so, als ob das ein besonders guter Film oder ein besonders produktiv verbrachter Nachmittag gewesen wäre, aber… irgendwas daran, von Misato und Asuka umgeben zu sein und ihre Stimmen zu hören, ihr Lachen, ihre Reaktionen, einfach, wie sie sie selbst waren…

(„Es ist viel besser, irgendwie Gesellschaft zu haben… findest du nicht auch?“)

Ja. Vielleicht stimmte das wirklich.

Vielleicht hätte er das selbst vor nicht all zu langer Zeit als dämlich und sinnlos abgetan, aber es war tatsächlich… nicht schlecht gewesen, und wieder wurde er sich dieser… Veränderungen bewusst, die sich schon seid geraumer Zeit nicht nur in den äußeren Umständen seines Lebens ereignenten, sondern auch, in der Art wie ihn all diese Dinge auch wirklich zu berühren schienen, tiefer, als er es je zugelassen hatte, und das war auf zehntausende von Arten verwirrend und furcherregend, nicht zu letzt, weil er in den Tiefen seines Herzens genau wusste, dass so etwas gutes nie lange anhalten könnte…

 

Schon jetzt hatten ihn die Gedanken wieder eingeholt, an diesen Austausch, den er und Misato zuvor gehabt hatten, und an das, was sie nicht ausgetauscht hatten, die Fragen, die ihm wie die die immense Mehrzahl von  all dem Dreck, der ihm durch den Kopf ging, im Hals stecken gelieben war, und doch konnte er nicht sagen, dass er sein Schweigen nicht gewollt hatte…

Es schien das immer gerade dann, wenn sein Bild dieser Welt dabei zu sein schien, sich zu einem verständlichen System zu ordnen, etwas geschehen musste, das alles wieder über den Haufen warf… im Moment hatte er versucht, sich an diese Idee heranzutasten, dass sein Vater ihn vielleicht doch irgendwie zu schätzen wusste – Schließlich hatte er ihm auf dem Futagoyama noch eine Chance gegeben, schließlich schien er ihn für brauchbaren Umgang für Rei zu halten, und wenn er diese gerettet und sich dabei diese schrecklichen Verbrennungen geholt hatte, konnte er so schlecht gar nicht sein-

Und dann kamen diese Worte, die so gut zu den Behauptungen all dieser bitteren, vorwurfsvollen kleinen Stimmen passten, die ihm weder trauten, noch vergeben würden, Zeugnisse von Hass… und doch wollte er ihn gar nicht hassen, so wenig Sinn diese ganze Konstellation auch machte – Am Ende war er doch nur endlos verwirrt und zweifelte so kurz danach am den schmalen Streifen Glück, der ihm heute zuteil geworden war, und weil es das letzte war, was noch fehlte, meldete sich auch das einserne Gewicht jener unmöglicher Gewissheit zurück;

Er war immer verzweifelt, selbst in seinen Träumen; Er war immer zerrissen selbst, wenn er er sich mit sich einig war, diese Frage nicht auszusprechen… Ein Teil von ihm wollte sie nicht hören und hatte eine kalte, trockengepresste Freude an der Bestätigung, die Misatos Worte den zerfledderten Streifen seines zerfetzten Herzens bot, die daran zweifelten, dass er ihm oder irgendjemand sonst jemals vergeben können würde, aber es stimmte auch, dass ein Mensch nicht nur vom Hass leben konnte, oder dass zumindest er diese Stärke nicht hatte – Es war nicht leicht, diesen Mann komplett abzustoßen, wenn ihn sein Abbild mit geringen Abwandlungen jeden Tag im Spiegel grüßte; Es war, als müsste er ein Stück von sich selbst abschneiden, um das zu bewerkstelligen, und ihm blieb immer der Zweifel, ob er nicht derjenige gewesen war, der nicht gut genug gewesen war, ob er vielleicht einfach nur nicht verstand, ob er da nicht die Tür vor einer Vergebung zuschlug, die er nur noch nicht fest genug ergriffen hatte, und in einer idealen Welt würden sie sich sowieso perfekt verstehen, und zusammen fischen oder Sport machen gehen oder irgend so ein unmöglicher Stuss.

Hassen oder gehasst zu werden war weder ein schöner noch ein einfacher Zustand, und er war sich ziemlich sicher, dass er ihn nicht aushalten konnte, ohne daran zu grunde zu gehen;

Kurz gesagt, war das trotz allem immer noch sein eigener Vater, von dem hier die rede war sein eigen Fleisch und Blut…. Und er selbst war für Misato nicht einmal das, und noch weniger konnte er von sich behaupten, dass er noch nie einen Fehler gemacht hatte, dessen Tragweite er verkannt hatte.

Es fing schon an, als er sich das erste Mal geweigert hatte, in diesen verfluchten Evangelion zu steigen – Ihre Worte waren: „Ist doch völlig egal, was die wollten, wir wissen alle, was dabei rausgekommen ist…!“  

Was würde es dann brauchen, bis es ihr einmal egal sein würde, was er wirklich gewollt oder nicht gewollt hatte? Sie hatte ihm zwar versichert, dass sie ihn nie hassen könnte, aber es brauchte nur einen simplen Blick in den Spiegel um einzusehen, dass es da viel zu hassen und wenig zu lieben gab – und es war auch dieses Wissen, was die fragliche Frage zurückgehalten hast.

„…ist das der einzige Grund dafür, dass du ihn hasst? Weil er ein… ‚verrückter Wissenschaftler‘ war, wenn man so will? Wegen dem Second Impact? Deinen eigenen Vater? Dein eigen Fleisch und Blut? Ist das Grund genug? Wenn ich jemandem aus diesem Grund hasse, kann man mir das dann nicht vorwerfen?“

Doch er hatte nicht das Recht, diese Frage zu stellen. Auf ziemlich viele Arten nicht;

Es war einfach ein grundsätzlicher Widerspruch, der sich nicht vereinen ließ – Dieser Mann war sein Vater, also war es doch nur natürlich, dass er an seiner Seite sein wollte, und sich mit ihm im ganz wörtlichem Sinne versöhnen wollte… Doch gleichzeitig war das auch der Mann, der ihn verstoßen hatte, und seine Mutter für irgendein verfluchtes Experiment umgebracht hatte… und war er nicht gerade dabei, ganau dasselbe auch mit ihm zu machen?

Wie armselig musste man sein, um zu jemandem angekrochen zu kommen, der einen verstoßen hatte, wie niedrig, um vor dem Mörder der eigenen  Mutter zu katzbuckeln?

Selbst die abscheulichsten Verbrechen brachen noch jedem die Nase, der ihre Mütter auch nur schief ansahen?

Und all das, wegen einer Mutter, die er im leben nicht gesehen hatte, die er nicht erkennen würde, wenn sie ihm eines Tages sagen wir mal, in der Schule oder im NERV-Hauptquartier über den Weg laufen sollte.

Oft genug hatte er sich vor den Spiegel gestellt und einen Versuch genommen, sich ungefähr zu rekonstruieren, wie sie ausgesehen haben musste, in dem er alles subtrahierte, was von seinem Vater kam, aber zu seinem Leidwesen sah er diesem Mann wie vormals erwähnt sehr ähnlich und er kam nicht zu einer konkreten Vorstellung davon, wie sie ausgehen haben könnte, von ihr als mehrdimensionale Person und nicht bloß als diffuses Platzhalter-Konzept, dass sich nur aus der logischen Notwendigkeit ihrer Existenz ergab, um seine eigene zu erklären.

Wenn da nur wenigstens ein Gesicht wäre, ein Lächeln, ein paar Sätze über die Latten, mit denen sie die Welt gemessen hatte.

Ein Schatten, unter dem er sich nichts vorstellen konnte, konnte ihm keine Liebe geben.

Wenn sie doch nur hier wäre.

Wenn sie ihm doch nur sagen könnte, was wirklich geschehen war…

Sich die Arme um seine eigenen Schultern schlingend, wünschte er sich in jenem Augenblick nichts sehnlicher, als das ihn jemand fest in den Arm nehmen würde…

„Shin-chan? Was machst du hier? Ist alles in Ordnung?“

„M-Misato-san! Ich… ich hab nur diese Schüsseln abgespült, weil-“

„Komm.“ Sagte sie, und ergriff seine Hand.

„Es ist schon spät, und du hast Morgen nicht nur Schule, sondern auch einen Synchrontest. Und deine Pillen musst du auch noch schlucken.“

 (Gut, dieser formlose Schatten namens ‚Yui Ikari‘ mochte zwar nicht hier sein, um ihn in die Arme zu nehmen, aber… )

Ihre Hand war warm, wie sie es auch vor ihrer Unterhaltung gewesen war, oder gestern, als sie es gewesen war, die nach dieser schrecklichen Vision dagewesen war, um ihn in die Gegenwart zurück zu holen…

 (…vielleicht hatte er bereits… so etwas ähnliches gefunden…)

 

---

 

Während das Third Child langsam aber stetig dabei war, sich an Captain Katsuragis Wärme als eine echte Stütze in seinem Leben zu gewöhnen, konnte Hyuuga davon nur träumen.

Als er am nächsten Tag während einer schweißtreibenden Wanderung unter der endlosen Sommersonne fragte, wieso er es eigentlich war, der am Ende Wäsche durch die Straßen schleppen durfte, war die Antwort eigentlich schon lange offensichtlich – Aber dass er seine Chance jemals bekommen würde,bezweifelte er stark, insbesondere, seid dieser Ex-Freund von ihr wieder in der Basis war – Der Kerl war alles, was ein Mann sein sollte, selbstbewusst, erfahren, und er hatte eine Vergangenheit mit dem Captain, bei der jemand wie Hyuuga niemals mithalten konnte…

Was blieb ihm da also anderes übrig, als sie aus den Schatten zu unterstützen, und zu hoffen, dass er vielleicht irgendwann durch eine seltene Fügung eine Chance bekommen würde, zu strahlen, und sich vor ihren Augen zu behaupten…

 

(STUNDEN ZUVOR)

 

Noch lange, bevor die anderen Akteure dieser Geschichte ihrer Wege gegangen waren, erhob sich die Frau, die wir mangels einer treffenderen Bezeichnung als ‚Asahina‘ eingestuft haben, mit dem ersten Licht und den frühsten Vögeln, die das erste Schwellen der sommerlichen Hitze nicht lange ihren Lagern gelassen hatte.

Sie erwachte in einer dunklen Ein-Zimmer Wohnung, deren großes Panaromafenster in der Nordwand zugleich ihre einzige Lichtquelle war, ununterscheidbar von den zahllosen, identischen Fenstern, die auf der Außenseite des Gebäudes ebenfalls in regelmäßigen Abständen die Fassade löcherten, zu den Seiten hin, aber weit mehr nach oben und unten, zu zahllosen anderen Stockwerken gehörig.

Etwas befremdlich mochte sie vielleicht wirken, in dem beinahe schon negligeehaften, durchscheinend-schwarzen Nachtkleid, dass wenig verdeckend an ihrem hellen Körper hing, der in den letzten Jahren wenig Tageslicht gesehen hatte.

Ihre Unterwäsche, die man darunter ausmachen konnte, war großzügig mit weißer Spitze geschmückt, die mit ihrer schwarzen Hauptsubstanz konstrastierte.

Dies war nur eine von ihren vielen austauschbaren Verstecken, und als jenes, das für ihre Undercover-Mission als Mitglied von Sektion 2 als ihre Haupt-Residenz angegeben hatte, keines, dem sie besonders viele Geheimnisse anvertrauen würde.

Dennoch half es ihrem Alibi, wenn man sie hin und wieder hier rein und raus spazieren sah, und selbst sie konnte den Fakt nicht ändern, dass sich alle von der Substanz her noch menschlichen Geschöpfe dieser erniedrigen Zeitverschwendung namens Schlaf hingeben würden müssen, zumindest, bis der Tag der Prophezeihung endlich gekommen war, also traf es sich gut, die Stunden schändlicher Bewusstlosigkeit, die sie nicht komplett vermeiden konnte, hier zu fristen.

Dennoch hatte sie Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass selbst dieses Loch niemandem irgendetwas preisgeben würde, was sie ihnen nicht frei herrausgeben würde, und das war in der Regel nicht viel – Deshalb konnte sie es sich auch leisten, dieses Wesen hier zu verwahren, bei dem sie weder die Arroganz gehabt hatte, es jemals als bloßes Testobjekt zu betrachten, noch, ihm ein für Menschen gedachtes Bett anzubieten, und wie alles, in diesen vier Wänden fand sie ihn dort vor, wo sie ihm am Vortag gelassen hatte.

So wie ihre Kontaktlinsen und ihre Haarklammern sich auf dem Stuhl fanden, den sie neben ihr Bett gestellt hatte, so, wie sie auf dessen Lehne die heutige Arbeitsuniform bereitgelegt hatte, fand sie den Abkömmling Adams am Fenster wieder, wo er gestern den Lichtern der Stadt, und heute den morgendlichen Nebenschleiern zusah.

Sie hatte keine Scham dabei, in seiner Gegenwart die Kleider zu wechseln; Scham war schließlich etwas, das Menschen im Bezug auf andere Menschen empfanden; Erst, als sie mit den unvermeidlichen Besorgungen des Morgens fertig war, so kurz und knapp sie sie auch gehalten hatte, schien sie die Anwesenheit des silberhaarigen Jünglings, der bis jetzt statuenhaft seine Position gehalten hatte, wie es wirklich nur die Ewigen vermochten,  tatsächlich nach außen hin sichtbar zur Kenntnis, indem sie in seine Richtung schritt.

 „Lass uns beginnen… Tabris.“

In der Fensterscheibe spiegelte sich sein erwartungsvolles  Grinsen, das genau so wenig gewichen war, und sich beim vernehmen ihrer Worte merklich weitete.

 

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(1)    Einige werden die Textstücke (etwas abgeändert) am Anfang vllt. aus „The last year of Ryoji Kaji“ wiedererkennen. Nein, ich hätte ihm auch nicht zugetraut, dass er der Typ für deprimierende Poesie ist… Böse Misato! Das ist alles nur, weil du immer so fies zu dem armen Typen bist… Vielleicht sollte er Shinji & Rei ja Lektionen darin geben, zumindest letztere scheint ja Episode 14 nach zu urteilen etwas „rohes“ Talent zu haben XD Denen, die damit nicht vertraut sind, hilft vielleicht dieser Artikel weiter:  http://wiki.evageeks.org/2015:_The_Last_Year_of_Ryohji_Kaji (http://wiki.evageeks.org/2015:_The_Last_Year_of_Ryohji_Kaji)
(2)   Wie auch in Teilen 1 und 2 kann ich nicht leugnen, dass mir der großzügige Einsatz der Ironie-Kanone nicht irgendeine Art von sadistischem Pläsir bereitet hätte… etwa so muss sich Anno gefühlt haben, als er die Scripte zu EoE und Q fertig hatte, und stolz bei den Animateuren eingereicht hat, die wohlmöglich selbst noch nicht wussten, wass sie da erwartete…. *trollface* Ja, ja, Evangelion Q, der wohl schmerzhafteste Film aller Zeiten. Wenn einem der Streifen nicht in der Seele weh tut, hat man keine…  Oh, und habt ihr alle schon mitbekommen, das Sadamoto den Manga nach fast 20 Jahren endlich fertiggekriegt zu haben scheint? Wenn ihr mich fragt, sind das, was wir im letzten Kapitel sehen, die von Yui vormals angekündigkten Reinkarnationen, was auch damit zusammenpasst, dass die EVA-Series mittlerweile als „mysteriöse Ruinen“ angesehen werden… Man beachte zwecks vergleich/Kontrast das „zukünftige Generationen“ Gedicht aus dem oben verlinkten Text…
(3)    Die Version der Ereignisse, die Misato Shinji hier im 4. Teil verfüttert, sollte eine Art Zwischen-Schicht in einem Gestrick von Rationalisationen darstellen, eine weitere Zwiebel-Schale die zum Vorschein kam, bevor die ganze Wahrheit in der Version aus Ep 12 dann entgültig enthült wurde, aber andererseits ist da der Hintergedanke, das Gendo ja eigentlich wesentlich mehr mit dem Second Impact zu tun hatte, als der gute alte Doktor Katsuragi… und dass sich Shinji früher oder später in der Position finden könnte, darüber bescheid zu wissen, dass sein alter Herr mit seinen Machenschaften eine wesentlich substanziellere Gefährdung für die gegenwärtige Welt darstellt…
(4)   So, damit hätten wir wie verprochen endlich das nächste Story-Arc begonnen, ob es in dieser Fanfic jedoch wirklich jemals ein Kapitel geben wird, das „Darkness in Paradise“ heißt, werdet ihr wohl erst beim nächsten Mal in Kapitel 22 erfahren…
 
 


 


 



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