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Children of the Prophecy

Die Kinder der Prophezeihung
von

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26: [If I can't be yours]

26: [If I Cant Be Yours]
 


 


 


 


 

}*IF I CAN'T BE YOURS*/{
 


 

„Ayanami...! Bist du das?!“ Er war sich ehrlich nicht sicher, trotz dem, was seine Augen ihm weiß zu machen versuchten – und scheinbar schien sie seine Ansicht zu teilen, zumal sie darauf verzichtete, diese Frage zu beantworten.
 

„Vielleicht war es deswegen, das du deine Meinung geändert hast, und so kam es, das unsere jetzige Situation ihren Anfang nahm.“ erklärte sie, tonlos obgleich der scheinbar schweren, persönlichen Materie, die sie nun zu erklären versuchte – Oder vielleicht gerade deswegen. Shinji selbst war dessen wohl kaum fähig, doch er hatte mittlerweile oft genug beobachtet wie zum Beispiel Misato oder Ritsuko es leichter fanden, eine untragbare Situation beim Namen zu nennen, wenn sie sich zumindest innerlich davon distanzierten.
 

Er fragte sich, ob das ein natürliches Nebenpodukt des Erwachsenwerdens war, und welcher Platz wenn dem so wäre in dieser Welt noch für ihn übrig war, aber da er wusste, das Rei die schwere Bürde eines Evangelions schon von Kindesbeinen an zu tragen gehabt hatte, und vermutlich von Erwachsenen umgeben aufgewachsen war, war es kaum ein Wunder, dass sie in dieser Kunst trotz ihrer jungen Jahre schon so gut bewandert sein sollte.
 

Die Versuchung, sich aus einer Situation heraus so weit zurückzuziehen, dass man zumindest seelisch kaum noch darin präsent war, kannte er mittlerweise recht gut, auch, wenn es nie viel gebraucht hatte, um seine Entschlüsse zu zerschlagen.
 

„Am 31. Dezember des Jahres 2015 geschah es, dass Commander Ikari einen Befehl gab.“
 

„Mein Vater?“ Die bloße Erwähnung dieses Mannes trug durchaus noch genug Gewicht, um Shinji von einer möglichen Erklärung dieses ganzes Zirkus abzulenken, doch wenn Ayanami etwas dazu zu sagen hatte, ließ sie es sich nicht anmerken, ja, schien besonders bedacht so zu tun als ob das, was sie da beschrieb, nichts mit ihr zu tun hätte:
 

„In Erwartung dieses Befehls begab sich die Pilotin Ayanami schon im voraus zum Hauptquartier und erwartete ihn nach der Ausführung der relevanten Vorbereitungen im Terminal Dogma.
 

Sie hatte schon eine lange Zeit gewusst, das er diesen Befehl geben würde, und seine Konsequenzen und Implikationen verstanden. Es war ihre Aufgabe, ihn zu verstehen, und ihr Zweck, ihn auszuführen, und sie wusste das. Deswegen gab es bezüglich dieses Befehls nichts weiteres zu bedenken, und für den Großteil ihrer Existenz tat sie das auch nicht.
 

Wenn überhaupt, dann sehnte sie den Augenblick manchmal herbei – Denn wenn der Tag der Ausführung angebrochen sein würde, würde sie all ihre Pflichten erfüllt haben, alle schmerzlichen, unangenehmen Aspekte ihrer Arbeit hinter sich gelassen haben.“
 


 

„...ist es das, was du heute morgen damit meintest, mit der Vollendung des Projekts? Das von wegen, dass wir nicht mehr viel Zeit hätten?“
 

Shinji hatte nicht wirklich damit gerechnet, das irgendeine ihrer zahllosen Formen darauf reagieren würde, wohl auch weil die Erwähnung von irgendwas was in seiner alltäglichen, 'normalen' Welt stattgefunden hatte, das Surreale noch ausreizte.
 


 

„Jawohl. Die Vollendung des Projekts war für die erste Nacht des Jahres 2016 angesetzt.“
 

Neujahr 2016... das war das selbe Datum, das Ichijou Yui ihm für den Third Impact gegeben hatte – doch bevor er fragen könnte, wie genau der letzte Engel sie nun alle überlistet hatte, sprach die Vielzahl an blauhaarigen Schulmädchen unentwegt weiter:
 

„Pilotin Ayanami hatte sehr oft an den Tag des letzten Befehls gedacht, doch als dieser Tag letztlich heranbrachte, ereignete sich dies nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte.“
 

„Was ist ihr- ich meine, dir denn dazwischen gekommen?“ fragte Shinji, unsicher darüber, ob er das 3.-Person Spiel jetzt nun mitspielen sollte oder nicht. Ihre Antwort überraschte ihn dafür umso mehr:
 

„Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Befehl ausführen sollte, oder nicht.“
 

„Ayanami...!“
 

Es war nicht nur der Wortlaut selbst, der das erstaunliche gewesen wäre, sondern auch das Aussetzen des Kanons zu Gunsten einer einzelnen Stimme, ein einzelnes uniformiertes Mädchen das vor ihm stand und sprach, während die anderen das Szenario beobachteten als wären sie außenstehende Beobachter.
 

Es sah Ayanami nicht ähnlich, mit ihren Befehlen herumzuhadern – Das war immer sein „Job“ gewesen. Und sie hatte noch gar nicht erwähnt, was dieser Befehl nun im genauen Wortlaut gewesen war – Er selbst war häufig ängstlich und Asuka machte ohnehin immer nur das, was sie wollte, aber damit Rei Befehlsverweigerung in Betracht zog, und dann auch noch gegenüber einer direkten Order seines Vaters, dem sie so gewissenhaft folgte, musste der Befehl es schon in sich haben, zumal er sie oft dazu bereit erlebt hatte, zur Erfüllung ihrer Pflichten ihr Leben zu lassen – wenn die bloße Selbsterhaltung schon nicht genug war, bräuchte schon einen triftigen Grund – ethische Bedenken vielleicht, wenn man bedachte, von wem dieser Befehl gekommen war – Auch, wenn er nicht wusste, wovon genau Rei da nun sprach, der ganze Zwischenfall mit dem Vulkankrater war Shinji noch recht frisch in Erinnerung – also gab er mit einem zögerlichen nicken zu verstehen, das er trotz seiner anfänglichen Reaktion begriff, was sie meinte, und sie nicht etwa deswegen verurteilte, dass sie eine Meuterei erwägt hatte.
 

„Wollte Vater, dass du etwas... schlimmes tust?“ fragte er zaghaft, daran zurückdenkend was das letzte mal geschehen war, als er den Mann in Reichweite ihrer Ohren in frage gestellt hatte – was aber seinen Vater selbst anging, würde Shinji es ihm durchaus zutrauen.
 

Es war eine unangenehme Frage – er wollte Rei auf keinen Fall verärgern, wenn sie sich schon bereiterklärte etwas offen zu legen, wegen dessen sie scheinbar einiges an innerem Konflikt empfunden hatte, aber er wusste, das er sich trotz seiner niedrigen Erwartungen schmerzlich betrogen und irgendwie mit-impliziert fühlen würde, wenn sie seinen Verdacht über seinen Vater nun bestätigen sollte – doch er bekam keiner dieser beiden Antworten:
 

„Ich weiß nicht.“
 

Sprachen die blauhaarigen Mädchen im Gleichtakt, durch das wiedereinsetzen des Kanons noch unterstreichend wie weit sie sich 'mit sich selbst nicht einig wurde'.
 

Eines der Abbilder – Shinji hätte nicht sagen können, ob es das gleiche war, wie vorhin – sprach darauf weiter: „Commander Ikari sah es als eine gute Sache an, sonst hätte er es nicht befohlen, und ich verstand auch, weshalb er diesen Befehl geben würde.
 

Aber er hat seine Entscheidung aufgrund bestimmter Annahmen getroffen, und ich hatte Grund, an ihnen zu zweifeln.“
 

„Zudem hatte ich persönliche Gründe, sowohl um den Befehl zu missachten oder ihn auszuführen.“ stimmte eine weitere Erscheinung ein.
 


 

„Du warst dir also ehrlich nicht sicher?“ Das war auch neu.
 


 

„Ja. Ich hatte nur eine kurze Zeit auf dieser Welt verbracht, und es gab vieles, das ich nicht verstand. Ich hatte immer gespürt, dass ich hier niemals wirklich dazugehört hatte, und ich wusste, das ich nicht hierhin gehöre -“ und sie sagte das sachlich, wie einen allgemein bekannten Fakt über einen eigenartigen Unterseefisch. Er fühlte sich irgendwie verpflichtet dazu ihr zu sagen, das dem nicht so war, aber konnte er denn leugnen, dass sie in ihrer Schulklasse und selbst bei gewissen anderen Pilotinnen nie wirklich Anschluss gefunden hatte, und auch nicht den Eindruck erweckte, dass sie dies bewusst zu ändern versuchte?
 

Konnte er denn leugnen, dass sie ein wenig... herausstach? Auch, wenn er dies häufig seinen niedrigeren Instinkten zuschrieb und zu Gunsten seines Mitgefühls zu überwinden versuchte war sie ihm hin und wieder sogar etwas unheimlich, so sehr er sich in diesem Augenblick auch dafür schämte.
 

Doch selbst, wenn er sich dazu hätte durchringen können, unterstützend ihre Hand zu nehmen, welche von ihren vielen Erscheinungen hätte er denn an die Hand nehmen sollen?
 

Die tausend Münder sprachen weiter:
 

„Es gibt nur so viel, das mein damaliges selbst über diese Welt und das Dasein darin verstanden hatte. Ich entschloss mich also, jemanden zu konsultieren, der ein wenig mehr Zeit auf dieser Welt verbracht hatte. Jemand anderes als Commander Ikari.“
 

„...und wen?“ fragte Shinji nach, obgleich sich bei dieser frage ein beklommenes, angespanntes Gefühl in ihm breit machte. „War das- war das vielleicht dieser Junge, mit dem ich eben gesprochen habe?“
 

„Die Person... die ich zu Rate gezogen hatte... war Ikari Shinji, Third Child und designierter Pilot von Evangelion 01.“
 

„...ich?!“
 

„Ich habe das damals nicht verstanden, nicht, bevor ich hierher gekommen bin. Ich wusste nicht, dass das hier geschehen würde. Es war keinesfalls meine Absicht, dir eine Bürde aufzuerlegen oder du verstörende Dinge erleben musst...“
 

Das allein ließ anklingen, das was auch immer sein Vater und Rei da vorhabt hatten, erheblich nach hinten losgegangen war, nachdem er darin involviert worden war... die bloße Idee, das ihm irgendjemand so etwas wichtiges Anvertrauen würde, dass dieser Tag in seiner persönlichen Zukunft noch auf ihn wartete war eine grausige Vorstellung. Hatte er die beiden enttäuscht? Oder hatten sie gemeinsam versucht, sich seinem Vater zu widersetzten, und dabei ein jähes Ende gefunden? War es sein Vorschlag gewesen, der die Katastrophe letztlich unwissentlich herbeigeführt hatte?
 

„Was hab ich nur getan?“ brachte er hervor bevor er sich daran hindern konnte, es laut zu sagen „Und warum ich?“ er wollte es nicht wie einen Vorwurf klingen lassen, aber irgendwo war es einer. „Wieso nicht- Misato-san, Shikinami-san oder Ritsuko-san, oder, ich weiß nicht, irgendjemand der sich auskennt-“
 

An dieser Stelle wurde Shinji dann klar was er da eigentlich tat und verstummte beschämt, enttäuscht davon, dass er sich in so einer Situation zu solch einer kindischen Tirade hatte hinreißen lassen, doch was gesagt war, war gesagt, und sein Platz wurde von der Stille eingenommen, unter deren strengen Urteil er sich im Stillen für seine wenig hilfreiche Existenz geißelte, doch keine seiner oft-gebrachten Selbsthass-platitüden entsprach in ihrer Wirkung dem unteilbaren Chor aus leisen Stimmchen, oder den Worten, denn sie mit sich brachten:
 


 

„Unter den wenigen Menschen, die ich in meiner kurzen Zeit auf dieser Welt getroffen habe, erschienst du mir am ehesten qualifiziert.“
 

Okey das hatte er jetzt sehr verbockt.
 

„Ayanami-! Ich... ich wollte nicht- Ich meinte nicht-“
 

„Ayanami Rei. Das First Child. Designierte Pilotin von EVA 00.“ führten die zahllosen Figuren aus, als ob diese Bezeichnung nichts mit ihnen zu tun hatte.
 

Dann, nur noch eine Stimme: „Ist es das, was du damit meinst?“
 

„Oder meinst du jemand anderes?“ setzte eine weitere hinzu, von der vorherigen nur durch ihre Richtung im Raum zu unterscheiden.
 

Er wusste nicht, wen oder was sie damit meinte.
 

„Diejenige, die dich gerettet hat?“ fügte wiederum eine weitere aus einer ecke des Korridors hinzu.
 

„Diejenige, die du gerettet hast?“
 

„Genau, welche von uns?“ kam es weiter hinten aus der Menge von einer weiteren Figur, und an dieser Stelle fiel Shinji auf, dass sie eine geringfügig andere Schuluniform trug, mit einem orangenen Pullunder statt der vertrauten blauen Träger.
 

Welche?
 

Natürlich hatte er sich gedacht, dass dieses Kaleidoskop-artige auftreten irgendetwas zu bedeuten haben sollte, doch weiter hatte er sich dabei nichts gedacht, hatte die vielen Mädchen als Spiegelbilder eingestuft, nur als Verlängerungen und Repräsentationen eines einzelnen Zustands oder Wesens, ununterscheidbar, fungibel wie Dollars auf einem elektronischen Konto oder die Atome in einem Bose-Einstein Kondensat – so eine Frage war ihm nicht nur gar nicht in den Sinn gekommen, sondern schien gar keinen Sinn zu machen.
 

Letztlich führte ein recht mittig stehendes Abbild den Gedanken zuende, vielleicht dieselbe, die als aller erstes einzeln gesprochen hatte:
 

„Wir alle sind Objekte, die als 'Ayanami Rei' designiert wurden.“ sprach sie, auf eine Weise die andeuten ließ das das irgendwie eine Erklärung sein sollte, obgleich es augenscheinlich nichts weiter tat, als Shinji weiter zu verwirren. „Aber das ist lediglich eine Bezeichnung, die uns allen zugeteilt wurde.“
 

Es war seltsam, sie zögern zu sehen, eine identische Erscheinung inmitten eines ganzen Korridors, in dem sie zufällig verteilt zu stehen schienen, ohne das ein Ende in Sicht gewesen wäre, und doch tauschte dasjenige Mädchen, das gerade gesprochen hatte, ein paar Blicke mit den zwei weiteren Gestalten zu ihrer rechten und zu ihrer linken aus, wobei sich die linke zurückhielt und die rechte ein zustimmendes Nicken signalisierte, worauf die in der Mitte vorsichtig einen Schritt in Shinji's Richtung gelaufen kam, abwägend, als würde sie bei jedem Schritt eine negative Reaktion erwarten – und schon allein dadurch fühlte sich das Third Child tatsächlich versucht, zurück zu weichen, als ob da wesentlich mehr wäre als nur eine etwas eigenartige aber an sich ganz nette Klassenkameradin und Mit-Pilotin -
 

Ihr hafte eine Präsenz an, er wusste nicht ob er sie als dunkel oder mächtig oder unmenschlich bezeichnen wurde, soetwas wie eine vertraute Melodie, aber schneller, neuverfasst mit Pauken und Fanfaren.
 

Doch er hatte heute schon so einiges gesehen und schaffte es, es sich zu verkneifen, ja, achtete sogar darauf, ihr zumindest zu beginn direkt in die Augen zu sehen, auch, wenn er auf diesen nicht besonders schlau wurde.
 

Er wollte sie fragen, was sie da eigentlich sagte, aber, was wusste er schon?
 

Wenn sie seine Reaktion bemerkt und zur Kenntnis genommen hatte, ließ sich sich nicht beirren, als wüsste sie schon genau, was er sagen würde, und was sie selbst darauf erwidert hätte.
 

„Wer bin ich? Was bin ich? Ich weiß selber keine Antwort darauf....“ erklärte sie, einen letzten Schritt vorwärts nehmend und nun zwei Fuß breit vor Shinji's eigenen Füßen zum stehen kommend, was ihm fast schon zu nahe war -
 

„Wer ist Ayanami Rei? Die Existenz, die du hier getroffen hast? Die mit dir zusammen gekämpft hat und bereit war, ein großes Opfer für dich zu bringen? Es kann sein das die Existenz, die du 'Ayanami Rei' nennst zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existiert hat. Es kann sein dass sie schon vor langer, langer Zeit verstorben ist, sodass du sie niemals getroffen hast. Vielleicht hat sie auch zu beginn niemals existiert.
 

Vielleicht gab es keinen Menschen namens 'Ayanami Rei', uns es gab immer nur Lillith.
 

Vielleicht war sie nur ein Objekt, das wie ein Mensch geformt war....“
 

Die ganze Situation war nur grenzwertig aushaltbar, dem was sie sagte nach hätte sie zerzaust und tränenverschmiert sein sollen, aber sie war es nicht außer vielleicht innerlich, aber wie sollte er das wissen und was würde es bedeuten, wenn das nicht der Fall wäre?
 

Einerseits wollte er ihr irgendwie beistehen und ihr irgendwie Zuspruch geben, anderseits verspürte er das Verlangen, sich umzudrehen und wegzurennen, und er fürchtete, das seine verstörten, aufgeregten Atemzüge laut und deutlich zu hören waren, und schämte sich, das er in dieser Situation an sein eigenes Unwohlsein denken konnte -
 

Es war, als stünde man vor einem wütenden Gespenst oder einem Unhold, tragisch und leidvoll aber dennoch furchteinflößend und abstoßend – und wer wusste, wie sie reagieren würde, was für eine Situation sie dazu bewegen würde, so etwas zu sagen.
 

Er konnte sich den Geschehnissen nicht entziehen aber auch nicht die Initiative ergreifen, und so blieb ihm nichts weiter übrig als in purer Erstarrung ein Geschehnis zu beobachten, dass ihn unter anderen Umständen vielleicht bewegt hätte, hätte er nur die unvermeidliche Gänsehaut abschütteln können.
 

Alles an dem, was er da sah klang falsch und verstörend und unerklärlich, und doch war es eine Offenbarung einer wichtigen Freundin die doch wenn nicht augenscheinlich dann doch logisch in einem Zustand der Drangsal befinden musste und der er um seiner sogenannten Freundschaft Ehre zu machen, doch irgendeine Art der Hilfe hätte anbieten sollen – wollte sie ihm ursprünglich noch die Situation erklären versuchte sie jetzt ersichtlich, etwas anderes zu kommunizieren – wie der Junge, mit dem er eben gesprochen hatte, war auch sie kein schamanischer Visionen-Führer sondern, wie ihm jetzt mehr und mehr klar wurde, eine Person, die verzweifelt versuchte, ihm etwas zu sagen, aber nur bedingt vermochte, auf seiner Ebene zu kommunizieren, gleich einem außerirdischen Wesen, dem die entsprechenden Sinnesorgane und die dazugehörigen Konzepte fehlten.
 


 

„Wer ist 'Ayanami Rei'? Was bedeutet es, 'Ayanami Rei' zu sein? Was würde 'Ayanami Rei' jetzt tun, was sollte sie tun? Sie wusste das nicht.“ gab Rei (oder Nicht-Rei?) zu, ohne die dramatischen Handgesten oder schwankenden Stimmlagen, die man mit solch einer Krise in Verbindung bringen würde.
 

„Insbesondere konnte sie nicht erkennen, was sie entscheiden sollte.“
 

„Entscheiden“ Shinji brauchte nach diesem Nicht-Ausbruch ein paar Momente, um sich zusammenzureimen, was sie damit zu bezeichnen versuchte: „Wegen Vater's Befehl?“
 

Was zum Henker hatte dieser Bastard ihr befohlen, das es sie derartig in eine Identitätskrise geworfen hatte und letztlich so ausgeartet war?
 

Und wenn er sie tatsächlich vor irgendeine sadistische Wahl gestellt hatte, was fiel ihm eigentlich ein, war das etwa der Dank für ihre jahrelange, selbstlose Loyalität?
 

Entlohnte er sie so dafür, dass sie trotz ihres empfindlichen Gesundheitszustandes Tag und Nacht in irgendwelchen Labor zugebracht hatte und sich diese bisweilen gefährlichen Experimente antat statt in der Schule für ihre Zukunft zu lernen oder sich Nachmittags mit Freunden zu treffen?
 

Andererseits sprachen sie hier von einem Mann, der seinen einzigen Sohn dazu zwangsrekrutiert hatte, eine experimentelle Superwaffe zu Streuern und seine Ehefrau als Versuchskaninchen benutzt hatte, ganz zu schweigen davon, dass er sich allem Anschein nach all ihrer Besitztümer entledigt hatte, bevor ihre Überreste ausgekühlt waren...
 

Dennoch hielt es Shinji nicht für weise, das Thema direkt anzusprechen, zumal er nicht abschätzen könnte, inwiefern diese Situation ihre Meinung zu seinem Vater verändert hatte, also beließ er es bei einer generelleren Frage: „Also was... was ist dann passiert? Hast du gemacht, was er gesagt hat, oder nicht?“
 

„Der Ausgang war nicht in allen möglichen Geschichten derselbe – Ich habe mich zum Terminal Dogma begeben und bin mit ihm mitgegangen, als er kam, um mich zu holen, aber im nachhinein denke ich nicht, das meine Entscheidung endgültig fest stand, bevor es Zeit war, sie auszuführen...“
 


 

„Das... das kann ich verstehen...“ meinte Shinji, obgleich er sich nicht sicher war, wie hilfreich das nun war oder inwiefern das, was sie da beschrieb mit seinen persönlichen Erfahrungen und Dilemmas besonders viel gemeinsam hatte. Er wollte ihre Offenbahrung jetzt nicht unterbrechen, um über sich selbst zu reden, sah sich aber doch irgendwie dazu verantwortlich, ihre Sprechpausen aufzufüllen oder vielleicht durch seine Beiträge zumindest so etwas ähnliches wie einen normalen Gesprächsfluss herzustellen, obgleich er gut der einzige sein könnte, der an der Herstellung eines solchen überhaupt einen Vorteil sehen würde.
 

Sein Gegenüber setzte ihre Rede einfach fort, ohne Zuspruch oder Missbilligung auszudrücken, Ausdruckslos und Umgeben von ihren stummen Abbildern:
 

„Und dann wurde es Zeit, und der Commander ordnete an, dass sie seinen Auftrag endgültig ausführen sollte.
 

Sie tat, was sie schon immer getan hatte, und tat das, wofür sie da war.
 

Aber es war nicht so wie es immer gewesen war. Ihre Form bewegte sich, wie es für die Ausführung des Projektes vonnöten war.“
 


 

„Aber... innerlich warst du es leid, nicht?“ schlug Shinji vor, nicht ganz so vorsichtig, wie er es vorgehabt hatte. „Du warst es leid, das alles ertragen und mitmachen zu müssen, nicht...?“
 

Das wäre es jedenfalls, was er in solch einer Situation wohl empfunden hätte, und nach allem, was sie für das Projekt auf sich genommen hatte, musste auch sie doch irgendwo ihre Grenzen haben, nicht?
 

Manchmal hatte er da seine Zweifel, aber das, was sie da zu beschreiben schien, schien doch in diese Richtung zu gehen... Nein, nachdem, was sie heute morgen besprochen hatten, war er sich sicher, dass es auch für sie nicht angenehm sein konnte, all diese schmerzlichen Opfer in kauf zu nehmen selbst, wenn sie auf Grund ihres Pflichtbewusstseins und ihr Vertrauen in seinem Vater dazu bereit war, diese in Kauf zu nehmen.
 

„Alle wollen immer, dass wir all diese schrecklichen Dinge auf uns nehmen und sie ohne zu murren aushalten, obwohl wir nur Schulkinder sind! … du, Shikinami und ich. Und keiner fragt, was wir gerne hätten.
 

Shikinami und ich, wir haben uns immer beschwert, aber du, du hattest nie irgendwas zu meckern. Du hast immer mutig und stark deine Pflicht getan, obwohl es auch für dich nicht leicht gewesen sein kann. “
 

Er wusste nicht, woher er auf einmal diese Überzeugung nahm, nur, dass er die dazugehörige Gewissheit tief in seinem Herzen spürte, und in den Ruinen der Welt keine Gründe mehr übrig hatte, sie zurück zu halten. – Es lag vielleicht in der Natur dieses Ortes und der fehlenden Barrieren, dass er es nicht nur zu erkennen, sondern auch auszusprechen vermochte, oder vielleicht lag es daran dass er diese Situation schon einmal durchlebt hatte – oder nicht? Wenn dem so war, konnte sie sich so, wie sie jetzt war, daran erinnern? Lag es daran, das sie diese augenscheinlich sehr persönliche und belastende Geschichte derartig herunter ratterte? Oder war dies das erste mal, das sowohl sie als auch dieser Junge von vorhin nach vielen Versuchen, ihn durch dieses Labyrinth zu „führen“ ihre Seite der Geschichte offenlegten?
 

Dafür sprach, dass sie nicht direkt weiter sprach, sondern einen Moment lang zu überlegen schien – ihre Augen, oder zumindest die jener Manifestation von ihr, die derzeit vor ihm stand, wanderten zum rechten Rand ihrer Augenwinkel, doch es schien sich kein klarer Schluss aus der selben Ambiguität herauszukristallisieren, die sie wohl auch an 'jenem Tag' geplagt hatte.
 

Anders als der Junge von Vorhin wusste sie ihn nicht einen Sitzplatz anzubieten oder das, was sie ihm hier offen zu legen versuchte, mit beschwichtigenden, zumindest oberflächlich menschlichen Gesten zu begleiten – wenn überhaupt etwas aus ihrem Gesicht herauszulesen war, dann schien es eine Art subtile Traurigkeit zu sein, die bei Shinji doch ein gewisses Mitleid auslöste, ohne, dass er wusste, was er deswegen jetzt hätte tun sollen.
 

Hinter ihr standen immer noch ihre zahllosen Abbilder, die sie beide still und wortlos anblickten, als würden sie irgendein Ereignis abwarten, und es war schwer, sich angesichts dessen nicht verunsichern zu lassen.
 

„...Also, wenn ich da falsch liege, sag es mir bitte, ich will jetzt hier keine falschen Annahmen machen, ich will dir nicht zu nahe treten und wenn, dann tut es mir leid aber...-
 

Du hörst immer auf das was Vater sagt! Seid ich hierher gekommen bin habe ich wieder und wieder gesehen, wie du ihm treu zur Seite stehst.
 

Ich weiß nicht, was in der Zukunft passiert ist, oder passieren wird, aber nach allem was du für ihn getan hast ist es doch nur fair, dass er mal auf dich hört, wenn du jetzt ein mal Bedenken hast!
 

Hast du versucht, ihn umzustimmen? Ihr versteht euch doch recht gut, wenn er auf jemanden hören sollte, dann doch wohl auf dich!“
 

„Denkst du das wirklich?“ fragte sie, mit kühlen, verengten Augen.
 

Das bloße Konzept war ihr augenscheinlich niemals auch nur als entfernte Möglichkeit in den Sinn gekommen.
 

„Es war keine kurzfristige Entscheidung. Der Commander hatte diesen Teil seines Planes für eine lange Zeit geplant um einen innigen, sehnlichen Wunsch zu erfüllen, denn er schon seid einer langen Zeit gehegt hat, und auf seine grundlegendsten Überzeugungen über diese Welt gründet.
 

Es ist nicht die Art von Überzeugung, die sich leicht verändern lässt...“
 

„Mein Vater, ein Wunsch?“
 

An dieser Stelle konnte Shinji seinen Unglauben beim besten Willen nicht verbergen –
 

Er hatte seinen Vater immer als einen harten, pragmatischen, fast schon digitalisierten Menschen erlebt, der sein Leben komplett nach den Zielen und Plänen seiner großen Organisation ausgerichtet hatte – Für Wünsche, Träume oder irgendwelche starken Gefühle schien er keine Verwendung zu haben.
 

„Vielleicht ist es eher eine 'Ambition' oder 'Vision', aber wie auch immer man es nennt, er hat viele, viele Jahre darauf hin gearbeitet. Nach seinem Verständnis der Dinge hatte er sehr gute Gründe, diese Anordnung zu machen. Er glaubt an seine Arbeit und ist fest überzeugt, dass sein Vorhaben die einzige Möglichkeit für das überleben der menschlichen Rasse darstellt, und deshalb ist er bereit, dafür so weit zu gehen, wie es nötig ist um seine Ziele zu verwirklichen, auch, wenn es bedeuten würde, dafür alles andere aufzugeben.
 

Ich habe selbst daran geglaubt, seid ich fähig war, seine Vision zu begreifen, aber... “
 

„Aber nicht mehr.“ vervollständigte Shinji.
 

Nicht-Rei neigte geringfügig ihren Kopf. „Ich weiß nicht. Ich habe viel erlebt, viel herausgefunden, seid dem Tag, an den der vierte Engel in Tokyo-3 eingetroffen ist. Oder, Ayanami Rei tat dies.
 

Vieles hat sich seid dem verändert, und ist doch gleich geblieben. Vielleicht ist es Ayanami Rei, die nicht mehr die selbe war. Ich weiß nicht.
 

Die Existenz namens Ayanami Rei hatte so etwas nie erlebt oder gefühlt, hatte keine Erfahrungen auf die sie hätte zurückgreifen können...
 

Da sind viele Gedanken und Gefühle, und ich weiß nicht, was sie bedeuten. Oder vielleicht waren da überhaupt keine Gefühle und Gedanken, nur eine weit entfernte Erinnerung daran, die nicht einmal wirklich die meine war, ein ferner Traum einer fremden Seele, der dabei war, im Morgenlicht zu verblassen, Augenblicke, von denen nichts mehr übrig war, nicht mehr als ein vergangenes Echo aus einem früheren Leben.
 

Manchmal dachte ich daran zurück, und es würde sich nicht real anfühlen, wie ein Film ohne Musik oder ein Ereignis, von dem ich nur theoretisch in einem Buch gelesen habe, ein Märchen aus einer anderen Welt und der Eindruck einer Berührung an einem weit entfernten Tag...
 

Vielleicht war es nur ein Teil der Illusion, die du und ich eine Zeit lang für mein Leben gehalten haben, eine künstliche Illusion, geschaffen von einem Mann namens Gendo Ikari – nichts als eine bloße Hülle, die ich eines Tages wieder abstreifen sollte – “
 

Und an dieser Stelle war fast schon etwas wie ein Funke verblassten, geisterhaften Zornes in ihrer Stimme zu hören, das erste mal seid Anfang ihrer Erklärungen, dass sich irgendein eindeutiges Zeichen von ihrer Gemütslage aufschnappen ließ.
 

Shinji widerstand der Versuchung, zurückzuweichen, doch er konnte nicht leugnen, dass es ihm bei diesem Anblick in ihren unmenschlichen, rubinroten Augen kalt den Rücken rüberlief. Irgendwas daran war zugleich wilder, realer, und ja, menschlicher als alle andere an ihrer vagen, distanzierten Ausdrucksweise, und zugleich schien eine kühle, fremdartige Präsenz den Raum betreten zu haben, und sei es auch nur für einen Moment.
 

„Aber“ setzte sie fort, und was sie als nächstes sagte, schien genau so wahr zu sein: „Ich weiß, dass ihr eine Verbindung hattet, Ayanami Rei und du.
 

Du bist vielleicht, unter anderem, das, was man als ihren 'besten Freund' bezeichnen könnte. In einigen möglichen Welten warst du sogar ihr einziger Freund. Die einzige Person, mit der sie in ihre kurzen Zeit auf dieser Welt jemals eine Verbindung aufbauen konnte.“
 

Das traf Shinji jetzt sehr abrupt – natürlich war er sich darüber bewusst, das sie in der Schule nicht so beliebt war und hoffte, dass er dabei mehr oder minder Erfolg gehabt hatte, ihr etwas näher zu kommen, aber die Distanz zwischen ihnen schien doch nie ganz überwunden zu sein; Wenn sie das so sagte klang es doch sehr... absolut. Unumstößlich. Relevant.
 

Worte, die er nicht so oft mit sich in Verbindung brachte, die vor allem auch eine Verantwortung zu implizieren schienen. Und vor allem, sollte nicht mindestens sein Vater als eine weitere Verbindung gelten?
 

Das führte auch wieder zu der Frage zurück, wie er Ayanami in Bezug auf sich selbst bezeichnen sollte – Er konnte nicht wirklich sagen, das sie seine beste Freundin war, zumal er sie bei weitem nicht so gut kannte wie Touji oder Kensuke – und wenn man es so betrachtete, war diese ganze Sache unbeschreiblich traurig.
 

Er hatte sich lange gewünscht, mit ihr eine Freundschaft aufzubauen, vielleicht sogar noch etwas darüber hinaus, aber selbst wenn er in der Hinsicht Erfolg haben sollte, dass sie ihn als einen Freund ansehen sollte, was konnte er dann schon für sie tun? Was bedeutete es überhaupt, wenn er sich nicht sicher sein konnte, ob er ihr ein guter Freund sein konnte?
 

Da schien die derzeitige, nicht weiter bestimmte Ambiguität fast schon wie eine Gnade, denn wenn nichts wirklich begonnen hatte, dann gab es auch nichts, was hätte enden können...
 

Nur, das es dafür schon zu spät zu sein schien.
 

Wenn er sich des Wesens besah, das da vor ihm stand, mit all ihrer Unergründlichkeit und ihrer Vielzahl an Formen, konnte er doch nicht leugnen, dass sich ihre Pfade gekreuzt und sich gegenseitig unwiderruflich beeinflusst hatten.
 

„Ayanami Rei hatte etwas, dass sie dir sagen wollte, doch sobald sie sich darüber im Klaren war, was es war, war die Gelegenheit schon verstrichen...
 

Ob ich ein Recht darauf habe, diese Verbindung für mich zu beanspruchen, kann ich nicht sagen, aber selbst, wenn ihr Wunsch auch mein Wunsch wäre – so ist es wahrscheinlich der einzige Wunsch, den ich nicht erfüllen könnte.
 

Der Teil von mir, der einmal deine Schulfreundin und Kameradin war bindet mich noch an diese Welt und wird immer ein Teil der Erfahrungen blieben, die mich zu dem geformt haben, was ich jetzt bin... selbst wenn ich dorthin zurückkehre, wo ich hergekommen bin, werde ich niemals wieder das sein können, was ich einst war, so sehr die 'Ayanami Rei' am Abend des 31. Dezembers dies auch wollte.
 

Aber ich konnte hier auch nicht bleiben. Die Zeit war vorbei. Der Traum ging zu Ende. Der Tropfen fiel zurück in den Ozean –
 

Es war der einzige Ort, an dem ich noch existieren konnte.
 

Ich hatte es eine lange, lange Zeit zurückgehalten, ja, mich davor gefürchtet, es einzusehen, doch nach allem, was geschehen war, konnte ich nicht die fremdartige Existenz nicht mehr leugnen, die in meinem innersten verborgen lag, und kurz davor war, zu erwachen – Das ich nicht das war, was ich immer dachte, dass ich war.
 

Es gibt nichts, was mich hier noch halten könnte – Vielleicht habe ich mich lange danach gesehnt, endlich zurückzukehren. Ich hätte nur nicht gedacht, das ich auf dieser Welt jemanden wie dich treffen würde...
 

Es ist offensichtlich, was meine Rückkehr für unsere Verbindung bedeutet. – du und ich, wir gehören zu verschiedenen Welten.
 

Wir sind schlichtweg nicht die selbe Art von Wesen. Du und ich sind grundsätzlich unterschiedliche Existenzen mit unterschiedlichen Schicksalen.
 

Ich hätte nie das sein können, was du brauchst – und für alle Träume, die da vielleicht einmal gewesen sind, gilt, dass ich sie dir nicht erfüllen kann.
 

Die einzige Wahl, die mir blieb, war, mich meinem Schicksal entgegen zu stellen... und dann wurde ich daran erinnert, wieso ich damals diesen Schmerz empfunden hatte.“
 

„Wieso-?“
 

„Ich habe dich rufen hören.“
 

So simpel war es also, und genau so kompliziert.
 

Unfähig die Implikationen in solch kurzer Zeit zu verarbeiten, klammerte sich das Third Child an das konkrete. „Mich“?
 

„In meiner damaligen Form habe ich nur begrenzt etwas davon mitbekommen, da sich meine einzigen Behälter zu diesem Zeitpunkt im Terminal Dogma befanden, aber das Hauptquartier befand sich zu diesem Zeitpunkt unter Beschuss.“
 

Aha!
 

Ein Kampf also.
 

Wahrscheinlich mit dem letzten Engel.
 

Die Ereignisse dieses Schicksalhaften Tages begannen sich wenn auch nur vage in seinem Kopf zusammen zu setzten – Es kam ihm in den Sinn zu fragen, ob jener ominöse Befehl seines Vaters etwas mit dem Kampf zu tun hatte, vielleicht als eine Art Trumpfkarte oder Geheimstrategie, aber eigentlich konnte man es sich denken, zumal ihm bald eine dringlichere Frage in den Sinn kam:
 

„Halt, warte... wenn du im Terminal Dogma warst, wer hat dann gekämpft?“
 

„Die Pilotin von Einheit Zwei, und in manchen Szenarien, du selbst. Aus diversen Gründen warst du zum damaligen Zeitpunkt unfähig, zu deinem Evangelion zu gelangen. In machen Hergängen hast du es niemals an die Oberfläche geschafft, in anderen vermochtest du es, sie rechtzeitig zu erreichen, um an dem Kampf teilzunehmen, doch zumeist... warst du zu spät.“
 

Er wollte gar nicht erst wissen, was das zu bedeuten hatte.
 

„Hat Vater dich... irgendwie als Verstärkung geschickt-“
 

„Nein. Ich bin aus freien Stücken zu dir gestoßen, aus meinem eigenen, freien Willen.“
 

Er musste sich nicht an die genauen Umstände erinnern, um das Gewicht in ihren Worten zu erkennen.
 

„Ayanami...!“
 

„Ich wusste, das ich fort gehen musste. Ich denke, es ist wie das, was ich einmal in einem Buch gelesen habe... Das glückliche Ende kann nicht in der Mitte der Geschichte kommen...
 

Und so fand die Existenz namens 'Ayanami Rei' ihr Ende, und die Existenz namens Lillith, und die Existenzen der Lillim selbst. So kam es, dass die heilige Mutter ihre Ketten absprengte – Doch das alles ist geschehen weil Ayanami Rei Ikari Shinji zur Hilfe kommen wollte.
 

Selbst, wenn du mich nicht erkennen würdest, auch, wenn du dich in dieser Form nur vor mir fürchten würdest, selbst, wenn es von Anfang an für keinen von uns irgendeine Hoffnung gegeben hatte, außer die, in der Leere unsere letzte Ruhe zu finden, wollte ich dir zur Hilfe kommen, wie du es einst für mich getan hast.“
 

„Du wolltest mich noch einmal sehen, bevor alles endet...“ begriff Shinji plötzlich, begleitet von einem feuchten Schluchzen, von dem er nicht wusste, wann es genau begonnen hatte.
 

Sein Herz war erfüllt von einem Gefühl des begreifenden Wiedererkennens, auf mehr als nur eine Art und Weise, wie ein Zusammentreffen von Bruchstücken, die zusammen das Verständnis eines größeren Ganzen mit sich brachten. „Du wolltest mich trotz alledem noch einmal sehen, weil-“
 

„-weil ich dachte, dass meine Gefühle damals real waren?“ vervollständigte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und vielleicht hatte sie das;
 

Es lag in der Natur dieses Orte. Sie hatte keine Worte dafür, und griff deshalb auf die seinen zu, als hätte sie sie schon viele male gehört.
 

„Vielleicht,“ schloss sie, und griff mit ihren Händen, die sie bis jetzt wie fremde, ihr kaum zugehörige Anhängsel neben sich hängen lassen hatte, an die seinen, hob sie an und führte auf Höhe ihrer Brust zusammen.
 

Er spürte den festen Druck ihrer schlanken, blassen Finger deutlich an seinen Handtellern.
 

„Ich sehe die Welt anders, seit ich an diesen Ort gekommen bin. Zuvor habe ich immer nur an einem Ort und einem Zeitpunkt gleichzeitig existiert, höchstens in einer Anzahl von Splittern, doch von hier bin ich ein Ganzes, und von hier aus kann ich auch alles im ganzen sehen, von dem ich vorher nur Bruchstücke und Aspekte erkennen konnte. Ich sehe die Objekte in dieser Welt in ihrer wahren Gestalt, in ihrer vollen Existenz als multiverselle Objekte... und das beinhaltet auch dich – Innerhalb meines Einflussbereichs kann ich alles sehen, was jemals war, was sein wird, was sein könnte, und was niemals sein darf.
 

Auf eine gewisse Art bin ich dankbar dafür.... Von hier aus kann ich sehen, dass es unter den vielen denkbaren Möglichkeiten auch eine gab, in der wir keine EVA-piloten waren, oder zumindest die Freiheit hatten, unsere Wege zu gehen... Es gab sogar eine Welt, in der du das selbe für mich getan hast, in der du am Ende aller Dinge gekommen bist, um mich zu sehen, auch wenn es dein Gefäß zerreißen sollte, und ich habe sogar gesehen, dass du die Worte gemeint hast, die du damals zu mir gesagt hast... oder zumindest zu Ayanami Rei. “
 

„Ayanami-...“
 

„Vergib mir.“ sagte sie dann, mit der Festigkeit eines abschließenden Entschlusses. „Es tut mir leid, dass ich dich zurücklassen musste. Es tut mir leid, wenn ich dir Angst gemacht habe, und wegen der Träume und Versprechen, die wir uns nicht erfüllen könnten. Das wohl alles, was sie je sein würden... Mach dir deswegen keine Vorwürfe, es war von Anfang an nicht möglich, und auch der Tag der Prophezeiung war von Anfang an vorherbestimmt. Du, ich und Nagisa-kun waren nichts weiter als die Instrumente von Schicksal und Vorsehung, aber wir durften dennoch die Freiheit erfahren, unsere eigene Entscheidung zu treffen.
 

Das hier ist der einzige Ort, an dem ich existieren kann...
 

Du wusstest das, aber du hast es trotzdem versucht. Du bist trotzdem zurück gekommen.
 

Dafür danke ich dir.
 

Für einen einzigen Moment in ihrer Existenz durfte Ayanami Rei erfahren, wie es ist, etwas unersetzliches zu sein...
 

Dafür danke ich dir. Und danke für die Bücher.“
 

„Bücher?“ fragte Shinji, doch kaum, dass sie fertig gesprochen hatte, war diese ganze Illusion zu Ende gewesen, und er fand sich wieder als die einzige Existenz in einem dunklen, leeren Raum, wie er es wohl die ganze Zeit über gewesen war.
 

Er fragte nur noch in die Leere hinein, weil er die Reaktion schon begonnen hatte und wegen ihrer Kürze wie im Selbstlauf fertig stellte – alles, was wenn überhaupt vielleicht einmal hier gewesen war, war nun verschwunden – Ayanami, ihre Spiegelbilder, der kriegsversehrte Korridor, der silberne Jüngling, das ganze bespukte, mutterseelenverlassene NERV-Hauptquartier, einfach alles.
 

Gut möglich, dass auch Shinji mitsamt seiner mittlerweile häftig fließenden Tränen selbst von Anfang an nie wirklich dort gewesen war – es gab nur die Leere, und eine Vielzahl von kreativen Euphemismen, die ein eskapistisch veranlagter Geist dafür hätte finden können – Er war so sehr in die Unterhaltung investiert gewesen, so eingenommen von der Erfahrung einer wirklichen Neuheit, die nicht nach abgestumpften, ewig festklemmenden Deja-Vu schmeckte, dass er vergessen hatte, dass er sich in einer Illusion befand – und doch hatte sich dieses Erlebnis realer angefühlt, als irgendetwas, das er in den letzten, formlos vor sich hinplätschernden Tagen in irgendeiner Form erfahren hatte.
 

„Wartet!“ rief er den verblichenen Abbildern hinterher. „Ayanami! Nagisa-kun! So wartet doch!“
 

Einem nutzlosen Instinkt folgend, den die Evolution für eine wesentlich stofflichere Umgebung entworfen hatte, streckte er einen suchenden Arm in die Richtung aus, in dem die letztlich doch metaphorische, räumliche Karte in seinem Gehirn sie soeben noch vermutet hatten, doch ihre Erscheinungen waren verweht wie zerstreute Kirschblüten im Wind.
 

„Wartet doch...“ jammerte er resigniert. „Ich hatte doch auch etwas, das ich euch noch sagen wollte!“
 


 


 

(„Du hast die Viele-Welten Interpretation falsch verstanden, Ichijou-san“ murmelte der Teil von ihm, der noch mit dem größeren ganzen der 'Weltseele' verbunden war, aus der Leere heraus. “Was ist mit der Interferenz?“
 

Aber wieso hatte er überhaupt erwartet, das Ichijou-san die Sache perfekt verstehen würde – Sie hatte ihm explizit gesagt, das dem nichts so war.
 

Wieso erwartete er überhaupt, das irgendjemand die Antwort hatte? Das hier war ein neues, nie dagewesenes Problem, nicht ein Test, für den die Lehrer die Lösungsblätter hatte.
 

Es war nichts als seine eigene Tendenz, passiv einen Retter oder einen Anführer zu erwarten, die sich doch wieder von hinten an ihn herangeschlichen hatte, obwohl er ich ihrer mittlerweile bewusst war.
 

Ichijou-san, Nagisa-kun, Ayanami... Sie waren genau so hilflos wie er selbst, was diese Situation anging, genau so auf der Suche nach einer Lösung, und, nachdem was er eben gesehen hatte, genau so nah am Ende ihrer Kräfte, wie er es war. Es war niemand da draußen, der ihm zur Hilfe kommen könnte, niemand, der ihm die Lösung geben konnte – Sie konnte versuchen, ihm dieses Labyrinth zu erklären, aber das handeln oder das Finden der Lösung konnte ihm keiner abnehmen – Es war nicht so, das sie ihn auf einen bestimmten Pfad zu lotsen versuchten, sie kannten nur die Pfade, die vermieden werden sollten, und hofften dass er den Weg finden würde, so wie man auf den Erfolg eines Freundes hoffte und aus Vertrauen an diesen glaubte – Nicht, weil sie wirklich wussten, wie er den 'Ausgang' aus diesem ewigen Hamsterrad finden konnte. Weil sie noch nicht einmal die Möglichkeit hatten, aufzugeben – und er hatte sie anscheinend auch nicht.
 

Wo sollte er denn hingehen?)
 

12:
 

Eine dunklen Musikhalle, von deren Eingangshalle ein Licht auf die fünf darin befindlichen Figuren warf, ein Streichquartett und eine weitere Person, die dazu mit einer metallischen Flöte mit ein stimmte.
 

Jeder von ihnen spielte seinen ganz eigenen Teil der Melodie von seinem eigenen Notenblatt herunter, doch sobald sie damit begonnen hatten, synchron zu musizieren, verschmolzen ihre Parts zu einem größeren Ganzen, das mehr war als die Summe seiner Teile, ein Zusammenspiel, das vor langer Zeit geschrieben worden war, und jedem von ihnen eine ganz bestimmte Rolle dabei zuwies, die sich mehr und mehr zu einer Einheit zusammenfanden, als ob sie von Anfang dazu bestimmt gewesen waren, sich dort einzufügen.
 

13:
 

Ein Bungalow oder eine Scheune, oder vielleicht ein Ferienhaus –
 

In jedem Sinne erst mal ein etwas kleineres 'Häuschen' aus Holz, draußen in der Natur, zwischen Forst und Feld, wo die Ausläufer des Waldes in eine Wiese übergingen, die selbst an idyllisch in der Ferne verlaufenes Ackerland grenzte, sodass die Tannen den umzäunten Schrebergarten zu großen Teilen überschatteten und in den Hintergrund fallen ließen.
 

Wie die Frucht am Zweig hing, so hatte sich das Häuschen an einem ausgetretenen, ungepflasterten Weg angereiht, der sich gleich einem Lineal gerade durch die Landschaft zog um an diesem Horizont zu verschwimmen, gerade breit genug, um von einem Fahrzeug befahren zu werden, und diesem Pfad zugewendet war die überdachte Veranda des Häuschens, deren Ende zu einer Seite mit einer Stufe und zur anderen mit Pfeilern begrenzt wurde, vielleicht wie man es von etlichen Wild-West Produktionen her kennen würde, an der Wand fand sich jedoch seitlich neben der Tür eine Reihe von Hartschalen-Plastik Sitzen, wie man sie zum Beispiel an einer modernen Zug- oder Bushaltestelle antreffen würde, inklusive einem metallischen Gestell und einer vergessenen oder zumindest längerwierig abgestellten Schultasche, die Shinji in vieler Hinsicht bekannt vorkam, vielleicht, weil es sehr gut Asuka's Schultasche hätte sein können, in die er fast jeden Tag ihr Mittagessen hineinstopfte (und dabei mit akribischer Vorsicht vorging, um ihre makellosen Besitztümer nicht durcheinander zu bringen), doch er vermutete, dass es genau so gut ein Irrtum oder eine Verwechslung hätte sein können.
 

Das Häuschen selbst sendete gemischte Signale: Einerseits war neben der Tür ein dekoratives Zweiglein mit Blumen angebracht, andererseits fehlten in den Fenster-Gittern einige einzelne Glasscheiben; Das Gesamtbild erschien wohl wie ein Zusammenfließen mehrerer Zeiten, Details die sich zwar allesamt irgendwann man am selben Ort befunden hatten, aber nie zum selten Augenblick;
 

Die Geräuschkulissen von Stille und Verlassenheit koexistierten mit Erinnerungen an Lachen und zahlreiche Gespräche, die sich hier noch zuzutragen hatten.
 

Blickte man durch die Fenster, setzte sich dieser Eindruck nur fort: Undekorierte Holzbalken, Löcher im Dach und der hinteren, zum Garten führenden Wann, die von außen nicht da zu sein schienen aber dennoch Licht hinein ließen, Haufen aus Staub, Säcken und Holzkisten, die doch immerhin irgendwann einmal jemandem gehört haben mussten, dazwischen auch ein altes Sofa, diverse antiquierte Elektrogeräte, Möbel und Haushaltsapparate wie Staubsauger oder Ventilatoren, ein Reifen, und sogar ein altes Gewehr und ein paar unvollständige Schaufensterpuppen – Das, zumindest, galt für die dem Wald zugewendet Hälfte.
 

Näher bei der Tür herrschte eine ganz andere Variante von Unordnung, einerseits ein kleiner Tisch und ein Kasten, den man auch an der anderen Seite hätte finden können, auf dem aber eine dekorative Vase stand, über der eine Lampe und ein zur Verzierung gedachtes Wagenrad an der Wand hingen, was aber nicht hieß, das alles geordnet und im Stand gehalten war: Vom Rad selber fehlten Stücke wie auch vom Holzboden, der vielerorts der Erde platz machte, und die Wände waren wie jene offenen Stellen im Boden zu großen Teilen von Moosen und Pflanzen überwuchert, die sich an allem entlang rankte, was ihnen halt bot.
 

Im Kontrast zu beiden Hälften stand das Zentrum des Raums, wo der Boden weder durchbrochen noch staubig war, sondern tatsächlich in Verwendung war, wie man es mit einem völlig Intakten Haus tun würde. Die Möbel hier waren nicht gestapelt oder verfallen, sondern normal angeordnet: Da war eine liebliche kleine Küchenzeile, Poster an den Wänden, ein niedriger Tisch mit einer Decke und dem Surren eines Heizkörpers darüber, und sogar Menschen, die auf gemusterten Sitzkissen gemütlich drum herum saßen, als seien die Verfallserscheinungen um sie herum teil einer völlig anderen Welt.
 

Um den Tisch herum war einiges an Notwendigkeiten und Beschäftigungsmöglichkeiten angeordnet, ein paar Brettspiele mit NERV-Logos, ein paar Einkaufstüten, ein durchaus funktionierender wenn auch ältlicher Fernseher und sogar ein Karton mit frischen Orangen – Scheinbar war hier eine Art Treffen vorbereitet worden, und die Gäste hatten sich auch schon eingefunden, und zur Abwechslung waren es fast alles bekannte Gesichter.
 

Ja, es saß auch der silberne Junge von vorhin am Tisch, verpackt in mehrere Schichten warme Klamotten, wie man sie in der Welt nach dem Second Impact nur selten brauchen würde, zwiebelgleich und dadurch erstaunlich 'gewöhnlich' in einer rötlichen Strickjacke, einem grünen Pullunder und einem weißen Hemd, aber davon abgesehen war es der selbe Junge, komplett mit seinem Schopf aus leichtem, silbernen Haar, seiner schneeweißen, langen Pianistenfingern und grazilen, fast stilisiert wirkenden Gesichtszügen, aber mit den Füßen unter einer Tischdecke auf dem Boden hockend während seine Hände mit einem Stapel Mikadostäbchen beschäftigt war, wirkte seine Anwesenheit wohl kaum unwirklicher als die von Rei, deren blauer Haarschopf ein Stückchen daneben unter der Tischdecke hervorlugte. Wäre sie auf dem ersten Blick wohl genau so aufgefallen, hatte sich Shinji schon so weit daran gewöhnt, dass sie ein Teil seines Schul- und Arbeitsalltags war, das sie eher einen vertrauten, wohlbekannten Eindruck darstellte –
 

Freilich konnte er sie durchaus mit eher beunruhigenden, unheimlichen Situationen in verbindung bringen, doch in diesem Falle hatte sie den wohl beheizten Raum unter dem Tisch wohl als den perfekten Ort für ein spontanes Nickerchen ausgewählt, und ihren Kopf dazu auf das orange gepunktete Sitzkissen abgestützt, und schlummerte nun ruhig vor sich hin, ohne von dem Treiben um sie herum Notiz zu nehmen, was eher einen friendlichen, sogar liebenswürdigen Eindruck beitragen würde.
 

Dazu passten auch die anderen vertrauten Gestalten, die sich hier eingefunden hatten – Asuka und Kaji schienen gerade erst eingetroffen zu sein, was man daran erkennen konnte, das sie direkt neben den Einkaufstüten saßen und noch voll in Straßenklamotten da saßen, in Kaji's falle ein längerer brauner Mantel zusätzlich zu seiner schwarzen Hose und einem locker sitzenden weißen Hemd, dessen lange Ärmel unter denen des Mantels hervorschauten. Asuka trug eine elegante schwarze Jacke und dunkelrote Lederstiefel mit dazu passenden Strümpfen, über denen man die falten eines dunkelgrünen Rockes so wie den Kragen einer weißen Bluse und den Ansatz einer blau-karierten Krawatte erahnen konnte.
 

Misato, ihrerseits in einem schwarzen Rock, dunklen Strümpfen einem dunkelroten Bolero und einem gelben Oberteil schwenkte enthusiastisch eine vermutlich schon signifikant entleerte Bierdose, während Ritsuko – in ähnlichen Strümpfen, einer schwarzen kurzen Hose und weißen Spitzenbluse, bei der Kragen und Manschetten ein blasses Mittelgrün zeigten – einen noblen Versuch unternahm, sie daran zu hindern, ihr Getränk direkt zu verschütten.
 

Auch PenPen war anwesend, und fragte sich, was sich die Person, die seinen Futternapf mit ungeschälten Orangen gefüllt hatte (aller Wahrscheinlichkeit nach eine recht angeheiterte Misato) wohl dabei gedacht hatte.
 

Das bei dieser vertrauten Szene nicht nur jener silberne Jüngling, sondern auch eine weitere Fremde mitmischte, schien der friedlich-vertrauten Atmosphäre keinen Abbruch zu tun – auf den ersten Blick dachte er, es würde sich wegen ihrer Zöpfe und ihrem Platz an Asuka's Seite um Hikari handeln, doch ein genauerer Blick verkehrte dies sofort ins unmögliche, und machte Platz für jemand, den er ebenfalls nur aus 'dieser Seite' kannte, zumindest bis jetzt – wie der Junge war auch sie 'eigentümlich', jedoch auf eine wesentlich alltägliche, vertrautere Art und weise, die Art von Eigentümlichkeit, die zu dieser Welt dazugehörte und in Betracht gezogen werden musste, wenn man sie in irgendeiner Form verstehen wollte, die Sorte, die man beiläufig hinnahm wenn man sich über bizarre Ereignisse oder Erfahrungen austauschte:
 

Es handelte sich um eine hochgewachsene junge Dame, ein Stück größer als Asuka und auch ein wenig älter und reifer, ein Gerüst aus langen, schlanken Knochen besetzt mit großzügigen femininen Polstern, einer klassischen 'Stundenglasfigur' inklusive großzügiger Oberweite, doch der reifere Eindruck, den ihr Körper vielleicht hätte vermitteln können, wurde von so ziemlich alles anderem an ihr wieder zur nicht gemacht – Ihr langes, braunes Haar war in zwei verspielte Zöpfe gegliedert, sie trug eine dicke, knallrote Plastikbrille und einen verspielt wirkenden, blauen Haarreif, und ihre ganze Art ausgedrückt in Gesichtsausdrücken und subtiler Körpersprache, die etwas Koboldhaft-Verspieltes an sich hatte-
 

Wer auch immer nun diese Gestalten waren, ob sie nun Fremde waren oder Vertraute, sie schienen saßen trotz der recht unwirklichen Umgebung gemütlich zusammenzusitzen und ausgelassen miteinander zu plaudern, und wirkten beiläufig amüsiert und beschwingt auf eine alltägliche, spontane Art und weise, die sich trotz einer gewissen Banalität doch so anfühlte, als ob er vor nicht all zu langer Zeit geglaubt hätte, das er diese Art von Unbeschwertheit nie wieder erleben würde, und schon gar nicht mit all diesen Personen unter dieser Art von Umständen –
 

Shinji hätte nicht sagen können, was er statt dessen erwartet hatte, doch sein Eindruck von den Menschen in diesem Raum, so wie er sich dynamisch in der Gegenwart abspielte war, das sie ihm alle ausgesprochen ganz und unversehrt erschienen, und das sprach schon für sich selbst;
 

Wenn er sie da sah und sie dabei betrachtete, wie sie aus irgendeiner Art von Erwartung heraus den Tisch deckten und vorbereiteten (oder sich zumindest die Zeit vertrieben, während jemand anderes damit beschäftigt war), war es nur natürlich, das er das verlangen verspürte, zu ihnen dazu zu stoßen und sich der allgemein ausgelassenen Stimmung anzuschließen...
 

Und es wäre ihm auch durchaus möglich gewesen:
 

Der Ort, an dem sie saßen, war nur wenige Meter entfernt und lediglich durch eine relativ dünne Holztür und ein paar Stufen von seinem Standort abgetrennt – Er sah die Umgebung sehr stofflich vor sich, von den Spinnweben nahe der Veranda-Überdachung der Struktur des Holzes und vereinzelten Farbspritzern an den Wänden, sah sich selbst in einer klaren, drei-dimensionalen Situation vor der Tür stehen, selbst in einen dicken, gemusterten blauen Pullover gekleidet, der nur zu gut in die Runde von seinen Augen hineingepasst hatte, und durch die fehlenden Fenster-Stücke waren selbst ihre Konversationen da drin kaum ein Geheimnis für ihn:
 

Mit ein wenig Konzentration konnte er das meiste an ihren Worten zumindest im Groben mithören, solange in der Umgebung nicht all zu viel herum rasselte:
 


 

„Er lässt sich ganz schon Zeit...“ merkte Misato derzeitig an, mit den Fingern über den oberen Rand ihrer Bierdose fahrend nachdem Ritsuko es doch noch irgendwie geschafft hatte, sie zum Hinsetzen zu überreden. „Ich frage mich, wo er steckt.“
 

Asuka hatte sich mittlerweile ihrer Jacke entledigt und tippte halb-gelangweilt, halb-genervt auf der Tischplatte herum, während ihre zweite Hand ihren Kopf abstützte. „Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein, das er überhaupt kommt.“ meckerte sie, mehr entzaubert als wirklich erbost, während sie beiläufig eine Dose mit Fisch aus einer der Einkaufstüten zückte, öffnete und letztlich an PenPen weitergab, der damit wohl wesentlich mehr anfangen konnte als mit der Schüssel von Orangen. „Der hat uns bestimmt längst vergessen und träumt irgendwo mit seinen Kopfhörern vor sich hin...“
 

„Aber aber!“ kommentierte die Kaji leicht amüsiert. „Gibst du deine Zuversicht da nicht ein bisschen schnell auf?“
 

„Was für eine Zuversicht denn?“
 

„Da in unseren kleinen Welpen natürlich!“ kommentierte die Brünette an Asuka's Seite, was Asuka ein Stück weit zu verärgern schien, aber nicht so weit, dass es einen größeren Ausbruch wert gewesen wäre – Statt dessen gab sie sich mit einem verstimmten Grummeln zufrieden, das den Eindruck machte, dass sie schon sehr gut wusste, was sie von ihrer Nebensitziren erwarten könnte, und das weitere Beschwerden keinen Zweck hatten.
 

Das selbe galt auch für Misato, die guten Mutes versuchte, einen etwas diplomatischeren Ton anzuschlagen: „Wahrscheinlich hat er sich einfach nur verirrt.“
 

„Irrungen und Wirrungen gehören zum Leben eben dazu!“ stimmte Kaji zu. „Wen er den Weg erst einmal findet, wird er schon eintrudeln.“
 

Der silberne Junge schien ebenfalls optimistisch: „Er wird kommen.“ sagte er nur, mit einem weiten, selbstsicheren Lächeln.
 

„Wer weiß!“ kommentierte Misato spielerisch „Vielleicht steht er ja schon gerade jetzt vor der Tür, und könnte jeden Moment hineinplatzen!“
 

Asuka war nicht überzeugt: „Wenn du meinst...Ich versteh ehrlich gesagt nicht, wie du darauf kommst.“
 

Nun, Shinji selbst verstand es auch nicht.
 

Der Raum schien direkt vor seiner Nase zu sein, aber dennoch fühlte er sich für ihn genau so unzugänglich an wie eine Szene aus einer Fernsehshow im Bildschirm oder eine Erinnerung, nachdem der Zeitpunkt aus dem sie stammte abgelaufen war; Die Türschwelle hätte genau so gut ein klaffender Abgrund sein können, doch er hätte nicht sagen können, ob dieser gefühlt oder real war, oder, wenn man beides als ununterscheidbar betrachtete, woraus er nun bestand: War es lediglich seine eigenen Schuldgefühle, seine eigene Scham davor, den Personen da drin in die Augen zu schauen, nach alle dem, dessen er sich schuldig gemacht hatte, oder ob es sich um ein Prinzip handelte, das tiefer ging als irgendeine theoretisch wandelbare Eigenschaft seiner selbst, ein Gesetz des Universums – sei es des äußeren Universums oder seines inneren, welches das Abbild des äußeren in sich enthielt – das es ihm verbot, diese Schwelle zu übertreten, und ihm von dem dahinter abschnitt, so wie die Welt der Lebenden vom Reich der Toten abgeschnitten war.
 

Auf welcher dieser beiden Seiten er sich gerade befand, hätte er beim besseren Willen nicht sagen können; So massiv der Unterschied auf die äußere Welt bezogen auch hätte sein können, in seiner inneren Welt waren sie gleichwertig.
 

14:
 

Die ruinierten Überreste dessen, was einmal ein großes Gemüsebeet gewesen war, oder vielleicht könnte man es auch als ein kleineres Feld einstufen – was auch immer es war, alles, was dort einmal gewachsen war, so liebevoll es auch gehegt und gepflegt worden sein mochte, war nun wenn nicht ausgetrocknet und verdorrt, dann verbrannt und verkohlt –
 

Selbst der Wasserhahn, der einmal zu dem Feld gehört hatte, war zerbeult und verformt, obgleich die Pflanzen ihn wohl sowieso nicht mehr brauchen würden.
 

In dieser Erde schien überhaupt nichts mehr am Leben zu sein, bis auf den einen Fleck silberner Reinheit darin, und selbst da war er sich nicht sicher – Derselbe silberne Jüngling, dem er schon in seinen anderen Visionen begegnet war, stand inmitten jener Verwüstung, zwar klar physisch anwesend und klar mit den Füßen auf dem Boden stehend, die Schuhe mit Staub befleckt, aber schon seiner Natur wegen her mehr so etwas wie ein stellvertretendes Symbol, eine Entität, welche die Erde überblickte wie ein fremder, außenstehender Beobachter, sein Blick gesenkt und seine malerischen Züge von Sorge durchzogen.
 


 

Shinji konnte nicht sagen, woher er das wusste, oder wieso dies in irgendeiner Form relevant war, aber er wusste, dass es Melonenpflanzen gewesen waren, und irgendwie erfüllte das diesen trostlosen Anblick noch mehr mit Reue;
 

Dieses Wissen war auch ein Symbol, wenn auch das eines gebrochenen Versprechens.
 

16:
 

Eine fremdartige Landschaft von überirdischer, schmerzlich wilder und feindseliger Schönheit, wie Shinji sie in seinem Leben noch nie erblickt hatte.
 

Er wusste natürlich, was Frost war – Er hatte davon in Schulbüchern gelesen und auch Bilder gesehen, alte Gemälde, in denen Landschaften systematisch bedeckt und überladen waren wie mit einer Vielzahl von Ornamenten, von subtilen Eisblumen, deren tödliche Strukturen sich an Pflanzen und Fenstern entlang ablagerten, zu Hausdächer spickenden, durchscheinenden Einzapfen und schweren Decken, welche die Landschaft fußhoch bedeckten, Bäume mit ihrer Last hernieder bückten und alles unter sich begruben wie ein Leichensack.
 

Die Welt, in der Shinji gelebt hatte war an vielen Orten und in vieler Hinsicht wesentlich unwirtlicher als jene, in der Eis ein jährlich häufiger Anblick gewesen wären, aber vielleicht war es gerade deshalb, dass er Temperaturen, denen ein Mensch in Sommer-Straßenkleidung nicht standhalten konnte als ein weiteres unter vielen extremen Bedingungen einzuordnen, wegen derer man sich nur mit einer Art Schutzanzug herauswagen konnte, und sie erschien schon allein durch ihre Zugehörigkeit zu einer vergangenen Welt ominöser.
 

Das hier war nicht jene vergangene Welt; Wie hätte es eine Welt vor Evangelions sein können, wenn mehrere der gleichen als gigantische, versteinerte, zum teil von Wind und Wetter abgeschürfte Monolithen in den Boden gerammt zu sein schienen, eingefasst in massives Eis?
 

Er hatte diese Monolithen in seinen anderen Visionen gesehen, aber niemals so alt, noch nie so verfremdet, noch nie in einer Welt, in der der Zahn der Zeit jene die hässlichen, ekelhaften Kreaturen, deren Überresten er oft in Visionen der Zerstörung begegnet war, doch zu Skulpturen einer gewissen Schönheit abgeschürft hatte.
 


 

Doch war diese Welt keinesfalls unbewohnt, und die Bewohner jener seltsamen Welt waren dicht verpackt in dicke, füllige Kleidung, um ihre Haut vor den einschneidenden Hieben des Windes zu schützen; Es gab Eisenbahnschienen an diesem Ort und Züge, gar nicht viel anders wie jener, der ihn damals nach Tokyo-3 geleitet hatten, und sie waren vollgepackt mit Menschen, von denen die Meisten das Schauspiel da draußen nicht einmal zur Kenntnis nahmen, oder für besonders bemerkenswert zu halten schienen; Geschützt von Wänden und Klimananlagen fuhren sie unbeeinträchtigt von ihrer vereisten, feindseligen Umgebung ihrem Ziel entgegen – Nur ein kleines Mädchen, das weiter hinten im Wagon zunebst ihrer Mutter auf einer Sitzbank hockte, schien noch nicht mit dem durch und durch mit dem gewaltigen Anblick vertraut zu sein, der sich jenseits der Fenster erhaschen ließ.
 

„Mama! Mama, was ist das?“
 

„Das sind... na ja, Relikte.“
 

„Relikte?“
 

„Genau. Die stehen da schon so lange, wie sich irgendjemand erinnern kann. Viele große Gelehrte haben sie viele, viele Male untersucht, doch sie konnte niemals herausfinden, wann sie gebaut wurden, wer sie gebaut hat, oder warum.“
 

17:
 

Ein Punkt oder eine Situation, wo die Welt ins abstrakte über zu gehen schien, dünner, entfernter, abgehobener, irgendwie universaler, oder halb-fertig, wie die Halb-Eingefärbten Vorzeichnungen im Vergleich zu fertigen, realistischen Gemälden, in denen von den ursprünglichen Bleistiftskizzen nichts mehr zu sehen war und bizarre Metamorphosen die den Gesetzten realer Physik widersprachen auch nicht mehr gut , als sei die ganze Welt ein Gespräch, in dem nach dem eine wichtige Frage gefallen war, erst einmal ausgiebig die Grundlagen erörtert werden mussten, bevor man mit neuem Verständnis zurück kehren konnte.
 

18:
 

Versteinert und doch nicht erloschen, schwebte die gewaltige, hünenhafte Gestalt über ihrem vollenden Werk, die Lanze fest in der Hand, die Rüstung, die dem göttlichen Fleische in seiner Bestimmung für die Ewigkeit doch nicht gleichkam, ausgebrannt und grau;
 

Es wirkte alt, obwohl es nicht wesentlich älter war, als es gewesen war, bevor es zum Ankerpunkt für ein gewaltiges, unheiliges Ritual geworden war, nicht alt wie etwas abgenutzes und verbrauchtes, sondern wie etwas, das lange fortbesteht, gleich alten Steinbauten, faltigen Eichenbäumen oder den Bergen selbst, oder zumindest in den Vorstellungen, welche die Menschen davon hatten – Verglichen in der Realität verblichen selbst diese Dinge vor der Majestät ihres stärkeren Daseins.
 

Und nur für einen kurzen Augenblick, nur für einen Wimpernschlag, hätte man die Gestallt eines stillen, uniformierten Schulmädchens sehen können, die nur für einen Moment in den weiten des Kosmos zu hängen schien, so weit, wie sie die Grenzen ihres Einflussbereiches noch tragen würden.
 

Sie betrachtete im Stillen jenes Wesen, das in dass sich mit allem, was sich in seiner jetzigen Form vereinte, zugleich als ihre Quelle, ihr Nachkomme und ihre Schwester hätte bezeichnen können, der kaum vorhandene Ausdruck in ihren rubinroten Augen scheinbar unergründlich;
 

Vielleicht war da eine Spur von Unsicherheit, oder vielleicht eine simple Zukenntnisname.
 

19:
 

Männer in Kutten, weil es letztlich doch immer darauf hinauslief.
 

Angeordnet gemäß eines komplexen, hermetischen Symboles, das unter ihnen in den kristallinen Boden gekratzt worden war, standen fünf alte Männer in anthrazitfarbenen Roben im Kreis, und skandierten irgendeine Uralte Zauberformel als Bestandteil eines arkanen Rituals, die fünf grauen Häupter in Hingebung gebeugt.
 

Weiter außen, jenseits des inneren Zirkeln konnte man den Chor weiterer Gestalten hören, die in komplexen Anordnungen unter ihren dunklen Kutten dem düsteren Ritual beiwohnten, doch der genaue Wortlaut ihrer Gebete war nicht so fremdartig, wie sie hätten sein sollen:
 

„Mögen unsere treuen Diener, die EVA-Serie, ihre ursprüngliche Gestalt annehmen....“
 

20:
 

Eine lichtgetränkte Szene, beschränkt und definiert durch den Schatten eines Baumes – vielleicht befand sich dieser in einem Park in einer Stadt, die Shinji nie getroffen hatte, vielleich im Brennpunkt des Sommers, oder zu einer Zeit, in der die Bäume vor Farben wie in Flammen standen, wie es heutzutage nicht mehr vorkam, oder, man hätte sie an den Strand eines kleinen Inselchens versetzen können, an die andere Seite jenseits der tiefen Fluten –
 

Das wichtige war nicht der genau, spezifische Ort, sondern das Symbol des Lichts, das wie ein Gleichnis für die Wahrheit durch das Laub fiel, und die Stimmen, die hier angetroffen werden können.
 

„Ich bitte dich inständig, Yui-kun! Denk nochmal darüber nach!“
 

„Nein, Professor. Eine bloße Kopie wird dafür nicht ausreichen, dass wissen sie genau so gut wie ich. Es muss ein vollwertiger Nachkomme Lilliths sein, gezeugt, nicht geschaffen, Licht von Licht, wahrem Gott von Wahrem Gott, und eines Wesens mit dem Vater. Es muss etwas neues sein – und von so etwas wird es uns nicht möglich sein, es nach unserem Belieben zu vervielfältigen,“
 

„Wahrlich! Und einem solchen Geschöpf willst du deinen Geist und deine Seele, dein Herz und deinen Verstand, ja, deine bloße Existenz bedingungslos offen legen?
 

Noch dazu, bevor es überhaupt fertig gestellt wurde, ja, während es noch an der sprichwörtlichen Nabelschnur hängt-
 

Das dein Mann so denkt wundert mich nicht, aber, wenn ich dir als dein Mentor eins beigebracht habe, dann doch hoffentlich, das die Geheimnisse des Lebens nichts sind, das wir einfach unserem Willen unterwerfen können... Man muss ihnen mit Respekt begegnen.“
 

„Gerade deshalb muss ich es tun. Genau deshalb muss ich es sein.
 

Lillith ist die Quelle allen Lebens auf diesem Planeten - Das heißt, sie ist im wesentlichen nichts anderes, als eine Mutter, deren Kinder in Gefahr sind -

Wir sollten fähig sein, zu einem Einverständnis zu kommen; schließlich teilen wir gewissermaßen die selbe Seele.

Ich bin mir sicher, dass sie meine Opfergabe annehmen wird."
 

„Deine Opfergabe?“
 

„Wir haben alle unsere Rollen, die wir in dieser Verheißung zu spielen haben. Das gilt für Sie und mich genau so wie für unsere Nachkommen.
 

In den Schriften heißt es vom Weltgericht: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist.“ -
 

Und wenn die Erlösten den Heiland fragen, wieso sie Erlöst sind, oder die Verdamten danach fragen, so ist seine Antwort stets dieselbe: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
 

Es ist gar nicht so falsch, dass unsere Welt daran gerichtet werden sollte, wie sie mit ihren Geringsten umgeht; Es ist gar nicht so falsch, das ein Kind der Träger unserer Hoffnung werden sollte, und das es einem unserer Geringsten zufallen sollte, die Neue Genesis einzuläuten!“
 

21:
 

Sein Zimmer, aber nicht sein Zimmer.
 

Misato's Wohnung, aber nicht Misato's Wohnung.
 

Das selbe Gebäude, aber eine Vielzahl von Zeichen, die ihm eine andere Geschichte zusprachen, viele davon so subtil, das man sie gar nicht alle hätte aufzählen können.
 

Ein halb-verschlafener Gang ins Wohnzimmer, wie er sich oft abgespielt hatte, und doch anders, freier, weniger zögerlich, entfernt von der üblichen Achtsamkeit und Vorsicht, die einem Haus gebührte, in das man willkommen geheißen und nicht hereingebogen worden war – Das System in der Küche war anders, die Anordnung der Kochgeräte von jemand anderem entschieden, im Esszimmer fehlten Misato's Schnapsflaschen oder sonst irgendetwas von der Spur an Unordnung, die sie bisweilen hinterließ, und auch PenPen's Wasserschüssel war nirgends zu sehen – statt dessen enthielt der Raum Gegenstände, die an sich recht alltäglich waren, sich aber zumindest im Rahmen seines Wissens keine Geschichte oder Erklärung zuordnen ließen.
 

Es war weit genug verändert, dass sich der Eindruck nicht ganz abschütteln ließ, doch nahe genug an dem, was ihm vertraut war, dass die Versuchung durchaus vorhanden war, sich das ganze einfach als Einbildung weg zu erklären – Misato würde jeden Moment ihre Zimmertür aufschieben und alles erklären.... da war sie auch schon!
 

Das Geräusch von Schritten näherte sich der Schwelle, die Scharniere knarrten, die Tür fuhr zur Seite, und die Dame dahinter kam ihm mit einem Lächeln entgegen... nur, das es nicht Misato war. Wer auch immer es war, sie nahm den Platz ein, den ansonsten Misato gefüllt hätte, verfügte aber über sichtlich mehr Eleganz – Sie war durchaus den Sommertagen entsprechend leicht gekleidet, aber mit einer grauen Dreiviertelhose und einem gelben Top war sie im Vergleich zu Misato's gängigen Frühmorgensaufzügen trotz ihrer leicht zerzausten Haaren gut bedeckt und stilvoll gekleidet.
 

Sie schleppte sich noch leicht müde aber dennoch generell gut gelaunt aus dem Türrahmen, wie das in seiner Welt vielleicht auch Misato getan hätte, und streckte sich beiläufig, als ob auch sie hier natürlich in ihrem Element wäre, und in gewisser Weise war sie das auch – denn obgleich sie in diesem Apartment und überhaupt in seiner persönlichen Welt ein fremdes Element war, schien sie ohne den geringsten Widerstand hineingeschlüpft zu sein, als ob sie schon immer hierhin gehört hätte, und ihre Abwesenheit das erwähnenswerte gewesen wäre – und sobald Shinji fähig war, dies in Worte zu fassen, wurde ihm klar, das er träumte – was an sich schon klar war, er fand es bisweilen schwer zu erkennen, was an der surrealen Farce, die er sein Leben nannte, denn kein erträumter Pustekuchen war, doch er sah diesen bestimmten Traum jetzt zum zweiten mal, und er fand schon beim ersten mal, dass es ein ausgesprochen schlechter Scherz gewesen war:
 

Er war zurück in dieser imaginären, oder bestenfalls parallelen Welt, in der er mit seinen Eltern doch tatsächlich so mir nichts dir nichts zusammen lebte, und sie hier sollte wohl die nebulöse Gestalt seine Mutter darstellen, und er war es Leid, diese Farce mitspielen zu müssen, auch, wenn ihm zumindest für diesen Moment keine andere Wahl blieb – er musste sich innerlich irgendwo dagegen sträuben, schon aus so einer Art Selbsterhaltungstrieb, denn sonst würde er beginnen, sich danach zu sehnen, und er wusste, dass er die Vorzüge dieser Traumwelt im Morgengrauen wieder hergeben würde.
 

Wenn er das nächste mal in sein wirkliches, reales zuhause eintrat, um in der realen Version dieses Raumes seine Morgenroutine anzutreten, würde er dort keinen Vater und keine Mutter antreffen, die ihm einen Teil der Hausarbeit abgenommen hätten und ihm einen erfolgreichen Tag wünschten, als sei es kaum noch einer weiteren Erwähnung wert, dass sie ihn liebten und sich für ihn das beste erhoffte;
 

Wenn er sie hätte finden wollen, hätte er auf einem Friedhof graben oder in der Kühlkammer irgendeiner Labores durch in Formaldehyd eingelegte Proben sortieren müssen – In seinem Wohnzimmer hätte er sie sicherlich nicht finden können, und er hätte lange darauf warten können, das sie ihm halb gähnend entgegen laufen würde, um ihn darauf mit einem spielerischen, liebevollen Lächeln zu begrüßen: „Guten Morgen, Shin-chan!“
 

Zu dem Gesicht, das diesen Ausdruck trug, konnte er nichts sagen, genau so wenig zu der Stimme, die diesen Gruß getätigt hatte.
 

In dieser Welt war es, als hätte er schon immer eine Mutter gehabt, und deshalb auch keine Gründe, sie sich näher zu besehen oder sowohl ihre Anwesenheit als auch ihr Aussehen als etwas ungewöhnliches oder bemerkenswertes Anzusehen – Es war, als wenn man begann, aus einem Traum zu erwachen, und erst dann fähig wurde, geträumte Orte von Realen zu unterscheiden und sich langsam wieder an die Beschaffenheit der Realität zu erinnern.
 

Doch während er noch hier war, voll berauscht im Traume, war es leicht zu vergessen, das sie hier nicht hingehörte, vielleicht, weil er irgendwo tief drinnen das Gefühl hatte, dass sie hier sein sollte, das er dazu bestimmt gewesen wäre, dieses normale Leben mitsamt zu dieser Person zu haben, wenn ihn nicht ein unfaires, grausames Schicksal seines guten Rechtes beraubt und ihn mit einer nicht-zufriedenstellenden, jenseits aller Reparatur verbogenen Version des Lebens zurückgelassen hatte, das er einmal hätte sein sollen, als eine kaputte, verklemmte Version der Person, der er hätte werden können – Durfte er nicht seinen eigenen Traum Träumen?
 

Nur, dass er selbst wusste, das es nicht so war, dass er am Ende nur das Leben hatte, das er tatsächlich erhalten hatte, und dass er besser daran tun würde, sich mit diesem Wimpernschlag zu arrangieren, bevor es vorbei war, denn er würde kein anderes bekommen.
 

Es war also kaum verwunderlich, dass der Anblick einer Welt, in dem das, was er sein Leben lang so hart zu akzeptieren versucht hatte, verräterisch vor seine Nase gehalten wurde, zumindest beim zweiten mal fast schon als eine Art von Spott betrachtete – vielleicht war er auch deshalb nicht so achtsam, dass er ein paar subtile Unterschiede zum letzten Mal gefunden hatte, zumal er seine Eltern in der letzten Vision in einer lächerlich kitschigen, häußlichen Szene angetroffen hatte, im Rahmen derer seine Mutter am morgen dabei gewesen war Geschirr zu spülen während sein Vater die Zeitung las – Hier fand nichts dergleichen statt, sie schien nicht wirklich vorbereitet, geschweige denn ausgeschlafen, obgleich sie doch verhältnismäßig freundlich und zugewandt wirkte, wie man es von so einer Mutter wohl erwarten würde:
 

„Du scheinst aber nicht sehr erfreut, mich zu sehen!“ scherzte sie.
 

Shinji konnte es sich nicht verkneifen, gewissermaßen 'ertappt' zusammenzuzucken, und das schien ihr, wie man es ebenfalls vermuten würde, auch nicht zu entgehen:
 

„Hast du gestern Abend irgendetwas unartiges gemacht, weil du dachtest, dass du Sturmfreie Bude hast?“ fragte sie spielerisch.
 

Shinji errötete. Das war nicht die Art von Situation in der er wartet hätte, mit einer technisch gesehen Wildfremden festzusitzen, bei der es sich genau so gut um eine von seinem Unterbewusstsein zusammen gekochte Illusion handeln könnte.
 

Aber das... gehörte auch so, nicht wahr?
 

Normale Familienmitglieder sollte sich doch bisweilen Gegenseitig aufziehen. Oder vielleicht hatten sich die Traumfabriken in seinem Schädel sich das von Misato abgeguckt, die letztlich doch das Nächste war, dass er er als 'Familienmitglied' hätte vorweisen können.
 

Letztlich konnte er nicht von sich behaupten, dass er mit dieser ganzen 'Familien-Kiste' besonders viel Erfahrung hatte, aber dennoch fühlte er sich irgendwo geneigt und verpflichtet, sie nicht zu verärgern, obgleich er genau wusste, das sie mit großer Wahrscheinlichkeit nur eine Illusion war, vielleicht aus einem verkappten Wunsch nach Katharsis, wie sie da draußen in der Realität letztlich nicht verfügbar war, oder auch nur aus dem simplen Gewohnheiten und Instinkten seines Charakters heraus: „Nein, ich- ich wusste nur nicht, dass du zu hause bist.“
 

Es war keine Lüge, auch wenn es bewusste Mühe gekostet hatte, sie nicht zu siezen, zumal er sie letztlich nicht „wirklich“ kannte – doch erfreulicherweise schien sie ihm nichts 'Verdächtiges' anzumerken, obgleich dies auch an der surrealen Natur dieses Ortes geschuldet sein könnte.
 

„Ich muss zugeben, wir sind ziemlich spät nach hause gekommen.“ gab sie mit einem Schmunzeln zurück, belustigt, beiläufig, wie die Mütter in Büchern und Fernsehserien dies wohl taten. „Glücklicherweise konnte ich deinen Vater doch noch davon abbringen, die ganze Nacht im Labor zu verbringen...“
 

„Seine Arbeit ist ihm sehr wichtig...“ hörte Shinji sich laut überlegen, bevor er Gelegenheit hatte, sich seine nächste Handlung zu überlegen – Wer weiß, was eine Antwort unter diesen Umständen wert war, doch es war nicht so, als ob er sich da draußen eine bessere verschaffen könnte.
 

Unter Umständen repräsentierte sie nur, was er dachte oder hören wollte, oder vielleicht eine gutgemeinte, fehlgeleitete Schätzung, aber selbst über das was er wollte, oder aber sie hatte hier eine ganz andere Bedeutung, doch obgleich er dies im Hinterkopf behielt ließ er es sich doch nicht nehmen, ihre Reaktion aufmerksam zu beobachten.
 

Wenn sie nicht gestorben wäre, hätte sie vielleicht solche Gespräche mit ihm gehabt und ihm auch im Bezug auf seinen Vater vielleicht einige Dinge erklärt... wenn er sie geheiratet hatte, musste sie ihn doch eigentlich ein Stück weit verstehen, nicht?
 

Anderseits fragte man sich, wie weit dieses Verständnis letztlich gegangen war – wenn sie ihm nicht mit seinem Experiment vertraut hätte, wäre sie jetzt noch im Leben und hätte für ihn da sein können... oder vielleicht wäre er gar nicht erst auf die Welt gekommen.
 

„Wenn wir unser Projekt fertig bekommen, glaube ich nicht, dass auf dieser Erde irgendjemand übrig bleiben wird, für den unsere Arbeit nicht wichtig ist...“ erklärte sie mit einem gewissen Anklang von Stolz, das Gespräch kurz in eine Richtung lenkend, die Shinji nicht erwartet hätte, auch wenn sie dann Recht bald zu dem Punkt zurückkehrte, den er eigentlich ansprechen versucht hatte: „Aber es ist schon war, das er es manchmal ein bisschen übertreibt.“, gab sie zu, obwohl das für sie scheinbar eine Tatsache war, die es zu beschmunzeln galt.
 

„Es stimmt schon, dass er da manchmal ein bisschen in seiner eigenen Welt ist, oder, das Labor ist seine Welt. Es ist wohl seine Weise, das beste aus dem zu machen, was ihm gegeben wurde...“
 

Während sie sich ihre Worte in Gedanken zurechtzulegen schien faltete in einer spielerischen, liebevollen Geste die Hände zusammen. „Dort unten weiß er, zu tun ist, wo seine Fähigkeiten gebraucht werden, was er beizutragen hat. Kurz, da unten hat er das Gefühl, seine Bestimmung zu kennen... Und das kann bisweilen ein mächtiges Gefühl sein, vor allen, wenn man in vielen anderen Bereichen des Lebens häufig unbeholfen ist...“
 

„U-unbeholfen?“
 

Sie gluckste dezent. „Genau das Gesicht machen die meisten, wenn sie davon hören. Es tut mir leid, dass selbst du als sein eigener Sohn so denkst... aber es stimmt wohl auch, dass wir wegen unserer Arbeit nicht so viel Zeit mit euch verbringen konnten, wie wir es uns einmal erhofft haben...“
 

Wenn sie wüsste. Shinji würde diese Welt, in der sie anscheinend sehr beschäftigt waren aber dennoch mit ihm zusammen lebten jederzeit derjenigen vorziehen, in der er kaum von sich behaupten konnte, überhaupt irgendwelche Zeit mit ihnen verbracht zu haben.
 

Sie zeigte sich an dieser Stelle überraschenderweise etwas schuldbewusst, doch keine frivole Beschwerde hätte die Dankbarkeit dafür überwiegen können, wenn er sie überhaupt als Teil seines Lebens hätte behalten können.
 

Sie zumindest hatte ihn nicht allein gelassen, zumindest nicht willentlich – Für ihr Ableben könnte man sie ja wirklich kaum verantwortlich machen...
 

„Es ist wohl auch ein Stück weit unsere eigene Schuld“ meinte sie dennoch, „Aber was kann man machen? Wir leben in sehr aufregenden , aber auch sehr anstrengen Zeiten, und es gibt noch viele knifflige Aufgaben und harte Prüfungen, die unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern werden, bevor wir endlich in Frieden leben können...
 

Ich werde es wohl immer bedauern, dass es dir an Gelegenheit gefehlt hat, deinen Vater und mich besser kennen zu lernen, aber du musst wissen, das er an sich ganz niedlich ist, wenn man ihn erstmal kennen lernt... Er ist nur nicht gut darin, es zu zeigen. In dieser Hinsicht seid du und Rei-chan ihm sehr ähnlich. Also von mir habt ihr das zumindest nicht!“ scherzte sie, auch wenn sie direkt darauf einen ernsthaften, aber durchaus einladenend-wohlwollenden Ton anschlug, und ihn mit ihren Worten ganz einvernahm bevor er dazu kam, sich zu fragen, was denn Rei jetzt damit zu tun haben sollte.
 

„Ein menschliches Leben hat eine große Vielzahl von Aspekten, Erfahrungen und Sphären in sich, und die meisten von uns bewegen sich in manchen davon einfacher und natürlicher als in anderen... Und manche von ihnen haben es lieber, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, als ewig ihren Schwächen nachzuweinen – Es sollte auch einfach sein nachzuvollziehen – niemand würde ein Leben führen, in dem er sich jeden Tag herumplagen muss, nur um das selbe zu tun, was allen anderen federleicht von der Hand geht, wenn sie sich statt dessen mit einer Welt umgeben können, in dem sie jene Dinge tun können, zu denen niemand sonst im Stande ist – tatsächlich gibt es kaum etwas grausameres, an einem Menschen immer nur das zu sehen, was er nicht ist, doch unsere Welt kann sehr grausam zu denen sein, die sich in den Bereichen schwer tun, die von der Mehrzahl als die wichtigsten angesehen werden...
 

Und so kommt sich das manche Menschen, die in diesen Bereichen nicht so leichtfüßig sind, sich ganz aus ihnen zurückziehen... und obwohl es eine gute Sache ist, seine Stärken zu kennen und sich auf diese verlassen ist, ist es eine ganz andere Sache, einen Bereich des Lebens ganz zu vernachlässigen, der letztlich doch ein Teil, der unweigerlich dazu gehört“
 

„Aber eure Arbeit ist trotzdem sehr wichtig,“ meinte Shinji, und seine Worten waren dabei mehr als eine Frage und doch weniger als eine Bitte. „Also kannst du mir bitte erklären, woran Vater gerade arbeitet? Baut er vielleicht gerade einen riesigen Roboter oder so etwas-“
 

„Wo hast du denn das aufgeschnappt?“ fragte seine Mutter und grinste verstohlen, wie das Erwachsene bisweilen taten, wenn sie sich als 'cool' profilieren wollten. „Also es stimmt, das dein Vater und ich gerade etwas bauen, aber es ist ganz bestimmt kein riesiger Roboter.“
 

„Was ist es dann?“
 

„Ein Mensch.“
 

„Ein...Mensch?!“ wenn sie das leicht verstörte in seiner Stimme bemerkt hatte, ließ sie sich jedenfalls nicht davon beirren.
 

„Genau. Ein Mensch. Ich kann kaum erwarten, ihn dir zu zeigen.“
 

22:
 

Eine gewaltige Titanin, die am Ufer einer verdorbenen Welt ihre Kreise zog, eine Kriegerin in teils rostiger, teils von innen heraus zerbrochener violetter Rüstung, bewaffnet mit einem zweifach gegabelten Lanze, die ihrer riesenhaften Gestalt würdig wurde.
 

Die Fratze des Berserkers hielt sich in den Schatten, welche diese fremdartige Welt zu beherrschen schienen – Der Himmel war schwarz, besprengt mit einem blutigen Streifen und dem Licht lang vergangener Sterne, nur das aktinische Glühen ihrer Augäpfel deutete an, dass sie überhaupt so etwas wie ein Gesicht hatte, aber dennoch war jener barbarische Frankenstein nicht um die Eleganz einer Göttin verlegen wo doch ein wasserfall aus langen, blauen Haaren ihren Rücken herunterströmte, wenn man ihn doch so bezeichnen konnte;
 

Sie war hässlich, dass es graute, und doch besaß sie Schönheit einer großen Dämonin, die ihre tausend Jungen in den Höhlungen ihres Leibes nährte – Sie war furcheinflößend und doch eine Quelle des Lebens.
 

Sie zog ihre Bahnen am Rande einer blutroten Küstenlinie, zu deren rechten sich die leblosen Fluten von Karmin und Zinnober bis ins endlose erstreckten, und sie war das einzige, was sich hier weit und breit bewegte, der titanische widerhall ihrer Schritte das einzige Geräusch in einer Ewigkeit aus Stille und die einige Kraft, die hier innerhalb der jüngeren Vergangenheit irgendwelche Spuren der Veränderung hinterlassen hätte – War sie die letzte Überlebende, oder die Henkerin, die alle anderen gerichtet hatte, eine entfernte Beobachterin, oder ein Samenkorn, das auf günstige Umstände wartete, um das einst vergangene Leben wieder von neuem beginnen zu lassen, ein Mutterschiff, das das Leben zu neuen Welten bringen sollte oder eine Arche, geschaffen, um ihren Inhalt zu bewahren?
 

Und was, wenn überhaupt etwas, verbarg sie, nah ihres Zentrums, unter ihrem Herzstück?
 

Welche Seele war es, die das Licht hinter ihrer Teufelsfratze scheinen ließ?
 

Stand sie am Ufer dieses Meeres als seine Wächterin, oder war sie das Flammenschwert, das den Verstoßenen den Rückweg zum Paradies versperren sollte?
 

All diese Fragen hätten gestellt werden können, wenn es denn noch eine einzige Seele gegeben hätte, die da gewesen wäre, um sie zu sehen.
 

Ohne ein Wesen, sie sie von sich abgeschnitten hätte beschreiben können, war sie lediglich Existenz und Leben – alles, was es gab.
 

Das einzige, was es gab, und so setzte sie ihre einsamen Runden fort, ihr Dasein das eines Monuments, das dieses eins-bewohnten Planeten verzierte, wie ein Obelisk in den Runen einer uralten Stadt, ein Objekt, dessen simple Anwesenheit sein eigener Zweck sein sollte.
 

23:
 

Misato's Apartment, welches schon dadurch zu einer Art Zentrum seiner Existenz geworden war, das er so viele seiner Stunden dort verbracht hatte – Der Esszimmertisch, an dem sie oft zusammen gesessen waren, im Hintergrund eine mit Spirituosenflaschen bedeckte Kommode, weiter hinten der Kühlschrank und die Küchenzeile, an der er sich so oft abgemüht hatte; Er könnte meinen wenn er sich lange genug umsah, würde er auch auf einen gewissen Pinguin stoßen...
 

Oder vielleicht auch nicht. Es hing eine unbestimmbare Kälte in der Luft, eine Grabesstille, die eigentlich nicht in ein Domizil gehören sollte.
 

Misstrauisch setzte einen Fuß vor den anderen, um weiter in den Raum vorzudringen, doch war er gezwungen, ihn direkt wieder zurückzuziehen, wäre er doch fast in eine Pfütze aus noch brennend heißem Kaffee hinein getappt, der samt Kaffee und Maschine mit erheblicher Wucht zu Boden geknallt sein schien, nicht all zu weit von den Überresten eines zerborstenen Stuhlen, der mit ihnen zusammen eine Art Bannkreis bildeten, eine Linie, die alles Unreine nicht übertreten konnte, und ihn somit aus dem inneren des Raumes verbannte.
 

Dann verstand er.
 

Selbst dieser Ort war ein 'multiversales Objekt' und war nicht verschont geblieben von den Geistern etlicher Augenblicke, die sich nicht zur selben Zeit hätten zutragen können, aber dennoch zu einer Einheit zusammen zu schmelzen schienen – hätte er denn irgendwo noch einen Ort finden können, an dem noch Ruhe und Frieden herrschten, wenn sich solche Dinge selbst hier verflüchtigt hatten?
 

Die Gespenter dieses Ortes waren vielleicht ein größeres Grauen als jene, die er in dieser Illusion des verlassenen Hauptquartiers vorgefunden hatte, ihr Klagegeschrei viel wütender und ihre Vorwürfe viel beißender, denn zumindest hier war sein Versagen ganz sein eigenes.
 

Man brauchte nur aus den Augenwinkeln hinzuschauen, oder vielleicht während man im Blinzeln begriffen war, doch wenn man sich derartig geschickt anstellte, konnte man einen kurzen Blick auf die Banshees erhaschen, deren Schreie jede Heiligkeit dieses Ortes unwiderruflich entweiht hatten, und das, was einmal eine Heimat von Wärme und Lachen gewesen war, zu einem Hort von Blut und Tränen gewandelt hatten:
 

Eine davon hätte Misato sein können, wäre sie nicht all ihrer charakteristischen Lebensfreude beraubt gewesen, ein trauriger Haufen, der von lautem Schluchzen erbebend über dem Tisch hing –
 

Ein anderes Phantom hätte Asuka sein können, hätte nicht all ihr Stolz gefehlt, eine jämmerliche Gestalt in einem ungewaschenen Nachthemd, die vorgebeugt dasaß, das Haupt samt des chaotischen Haares auf ihre gefalteten Hände gestützt, vielleicht zum Gebet, oder einfach nur al Teil einer Szene der Verzweiflung.
 

Beide waren sie mitleiderregende, jämmerlich Häufchen Elend, ein erbarmungswürdiger Anblick, in er doch nicht einzugreifen vermochte –
 

Man hätte meinen können, er sei ebenfalls ein Phantom, so wie seine Schritte von der Türschwelle beschränkt wurden, gebannt von einer hässlichen, egoistischen Furcht; Ein zottiger Dämon versiegelt von Scham.
 

24:
 

Zu viel Information, als das man es als eine hübsche, sequenzielle Szene hätte einkleiden können, Berge von Fakten, die sich gerade wegen ihrer Fülle nicht verarbeiten ließen, Bilder, die zu schnell vorbeirasten, als das das Auge ihnen hätte folgen können, Abfolgen, die vielleicht in einer Datenbank platz gehabt hätten, in einer strategisch verscharrten Kiste voll mit informationen, oder einem verdächtigen Aktenkoffer, der mitsamt seines Besitzers knapp dem Inferno des Second Impacts entkommen war, oder in einer Vielzahl von Gehirnen, die es vermieden, von ihren immateriellen Ressourcen physische Kopien zu hinterlassen;
 

Bilder, Akten, Diagramme, Zeitungsartikel, Schnipsel von Gedichten -
 

Reportagen bezüglich eines spektakulären Gerichtsprozesses im Jahre 2004, Bilder und Analysen über die Versuche der Menscheit, die Katastrophe zu erklären, die sie so unvermittelt getroffen hatte – Brisante Bandaufzeichnungen, ausgebleichte Fotografien einer jungen Frau mit einem kleinen Kind, Akten, in denen die Bilder einer Vielzahl von kleinen Kindern neben Diagrammen angeordnet waren, Diagramme von Molekülen, Bilder von Reagenzgläsern, in denen klumpen von Zellen in einer Vielzahl parallel heranwuchsen, lange, schlängelnde, freigelegte Wirbelsäulen, ein Anblick einer Stadt, nahe der der Boden mit großen Kratern bedeckt war –
 

Eine Ansammlung von Militärbaracken, über denen die Statue eines hochgewachsenen Mannes mit einer Sonnenbrille thronte – ein gigantischer Abgrund umgeben von den restlos zermahlten Überresten einer Stadt und einer wesentlich neueren Statue, ebenfalls mit einer Brille, ansonsten aber im Gegensatz zu jener anderen eine üppig gebaute junge Dame mit zwei Zöpfen darstellend.
 

Eine halb vergrabene, annähernd menschliche, weiße Silhouette, aus deren Rücken ein gigantischer Speer ragte.
 

Lange Fetzen aus weißem Fleisch, die sich von Flecken rotorangener Flüssigkeit begleitet über einen Boden aus großen Fliesen zogen.
 

Alte Gemälde, aufgereiht in einer aufwändig angeordneten Sammlung in der Villa eines wohlhabenden Besitzers, die allesamt Szenen aus der Geschichte der Menschheit darstellten, aber mit bedeutenden, kleinen Veränderungen und wiederkehrenden Symbolen, die wieder und wieder neu eingefügt worden waren.
 

Eine Fotografie, die eine Handvoll spielende Kinder zeigte; Eine andere, die eine Gruppe von Wissenschaftlern darstellte, und mit dem Wissen einherging, das fast alle von ihnen mittlerwele tot waren, mit ein paar wichtigen Ausnahmen... Ein Bild von einer Art Pressemitteilung, auf der die Gesichter zweier im Hintergrund ständige Männer rot eingekreist waren.
 

Eine grell mit Flutlichtern erleuchtete, kräftig verschlossene Schiffskabine, die bis auf ein einzelnes, krampfhaft zusammengekauertes junges Mädchen beinahe vollständig leer war – Sie war ungefähr in Shinji's Alter, aber er glaubte nicht, sie irgendwoher zu erkennen, auch wenn sie ihm zumindest annäherungsweise durchaus irgendwie bekannt vorkam.
 

Eine hagere Dame mittleren Alters, deren rote Kapitänsjacke in einem unbarmherzigen, eisigen Wind wehte. In ihrer Hand trug sie ein Gerät, das starke Ähnlichkeit mit einer Feuerwaffe hatte, und sie zielte damit direkt in sein Gesicht, als ob ihre strengen, hartherzigen Augen nicht ausgereicht hätten, um jemanden den Atem zu rauben. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, vielleicht auch nur, weil diese ganze 'harter, pragmatischer Anführer' Nummer ihn stark an seinen Vater erinnerte.
 

Ein Bild, worauf er selbst unlängst bei seinen halbherzigen 'Nachforschungen' gestoßen war, jenes alte schwarz-weiß Bild mit zwei Personen, die zum damaligen Zeitpunkt zwar schon Millionäre, aber noch nicht die Eltern dreier in diesem Internet-Artikel nicht genauer bestimmter Kinder gewesen waren: Ikari Hajime und Berenice Lorenz.
 

Das stetige, unzüchtige Tropfen einer roten Flüssigkeit, und das Geräusch, mit dem jeder Blutstropfen auftraf.
 

Eine Personalakte, wie sie auch NERV benutzen würde, gar nicht unähnlich derjenigen, mit der er Ritsuko und Misato bisweilen bezüglich seiner eigenen Person herumhantieren herumhantieren sah, bestückt mit einem Bildnis... von ihm selbst? Ayanami? Nein, es schien eine erwachsene Frau zu sein, ihr Angesicht ein ungewisser Fleck auf den vergilbten Seiten eines Berichtes, der sie weiter unten nochmal darstellte, in Unterhaltung mit einem weiteren Wissenschaftler, der wohl im Gegensatz zur Kamera ihr Gesicht zu sehen bekommen hatte – Oder vielleicht war es doch Ayanami, sie schien so etwas wie einen Plugsuit zu tragen, aber dicker, simpler, primitiver, und am Rücken mit so einer Art... Flügeln?
 

Ein weiteres Gemälde, das trotz seinem augenscheinlichen Alter einen Evangelion zu zeigen schien, eine schauderhafte, gehörnte Gestalt, die Ehrfurcht-erbietend im Gewölk schwebte, bestückt mit den unzähligen Flügel-Paaren eines Cherubs.
 

Eine schaudernd kalte Gewissheit, die sich ihm in der Stimme jener älteren Dame offenbarte, der er in seinen Visionen schon einige Male begegnet war, oder vielleicht auch, gleichzeitig in einer Art Assonanz, in der Stimme eines gewissen Herrn Kaji:
 

„Die Hörner der Dämonen sind nichts anderes, als die zerbrochenen Heiligenscheine gefallener Engel.“
 

25:
 

Ein weites Feld aus Dornengestrüpp, verhangen mit Nebeln so dick das man die Erde vom Himmel nicht unterscheiden konnte.
 

Wo war er? Wohin sollte er gehen?
 

Es gab weit und breit nichts zu sehen, nichts zu erkennen.
 

Was sollte er als nächstes tun? Wohin sollte er als nächstes gehen?
 

Es war niemand da, der ihm das hätte sagen können – Nicht Misato-san, nicht Shikinami, nicht Ayanami, oder Ritsuko-san, nicht Touji, Kensuke oder Nagato, nicht Kaji und schon gar nicht seine Eltern.
 

Er war absolut auf sich allein gestellt.
 

26:
 

Die Erinnerungen selbst, die jener anderen Welt Substanz gaben, wenn nicht ihre Summe, dann ein beliebiger Punkt darin: Es könnte genau so gut die Welt sein, wie Shinji sie an seiner Schulbank vor sich sah, das übliche Geräuschwirrwarr einer Pause, die Gespräche seiner Klassenkameraden, vertraute und weniger vertraute Gesichter im Verlauf von Szenen, die angesichts dessen, was er gesehen hatten, nicht weniger surreal und unwahrscheinlich waren, als das da drüben:
 

Ein Geisterhaus, das nicht minder Illusion, nicht weniger Erinnerung und nicht milder ein Traum war.
 

Es war eine Implikation, die ihm erst im nachhinein klar wurde, jetzt, wo er scheinbar schaftrunken oder zumindest in seine eigene Welt versunken hier dasaß, und sich des ganzen Anblicks besah, als sei es etwas entferntes und unglaubwürdiges.
 

Von hieraus betrachtet glichen die 'Interferenzen' jener anderen Welten einer düsteren Prophezeiung, die diese unbeschwerten Sommertage ins Chaos zu stürzen drohte, doch von dort aus betrachtet, konnte das, was er jetzt sah, nur eines sein:
 

Das Paradies.
 

Das hier waren die Tage, nach denen er sich einst schmerzlich zurücksehnen würde, und doch hatte er in der Zeit, seid er dieses Wissen erlangt hatte, nichts weiter getan, als herum zu trödeln und die kostbare Zeit zu verschwenden, der er einmal nachtrauern würde – Wenn er das Ende nicht verhindern konnte, sollte er es hier nicht wenigstens genießen?
 

Touji, Kensuke und Nagato waren direkt vor seiner Nase, Asuka begleitet von Hikari und einem Schwarm von Nicht-Wirklich-Freundinnen stand in einer anderen Ecke des Klassenraums, und Ayanami saß an ihrem üblichen Platz am Fenster – Und dennoch tat er nichts weiter, als sich mit eingestöpselten Kopfhörern und einem aufgeschlagenen Schulbuch dazusitzen, um möglichst beschäftigt auszusehen, sodass ihn bloß niemand ansprechen würde.
 


 

Er wurde sich wieder heftig der Barriere zwischen der inneren und der äußeren Welt bewusst, zwischen sich selbst und anderen, fest, dick und manchmal scheinbar so unüberwindlich, als ob der Lauf der Zeit sie alle schon voneinander geschieden hätte, und, ja, er konnte durchaus den Wunsch nachvollziehen, diese Wände einzubrechen, und er hätte den Gedanken wohl auch unreflektiert weitergeführt, wenn ihm nicht diese Worte wieder in den Sinn gekommen wären, die sich nun in sein Bewusstsein drängten wie der Luftzug eines vorbeirasenden Zuges:
 


 

DIE VOLLENDUNG ENTFERNT GESCHLECHT, RASSE UND SPRACHE; SIE BESEITIGT UNTERSCHIEDE IN TALENT, TEMPERAMENT UND AUSSEHEN, GANZ ZU SCHWEIGEN VON ÖKONOMISCHEN STATUS, SOWIE JEGLICHE BEHINDERUNGEN UND GEBRECHEN.
 

KEIN REICHTUM, KEINE ARMUT, KEIN LEID, KEIN SCHMERZ UND KEINE EINSAMKEIT.
 

DIE PERFEKTE UTOPIE, IN DER ALLE MENSCHEN GLEICH SIND.
 


 

oder zumindest eine bedeutende Umwälzung. Er hatte wieder und wieder gehört das der Second Impact, der sich kurz vor seiner Geburt ereignet hatte, das Ende einer Era und die Einläutung einer neuen Welt bedeutet hatte, und er konnte sich vorstellen, das der Third Impact, wenn er nicht tunlichst verhindert würde, eine ähnliche Welle an Vernichtung mit sich bringen würde – Es war nur vernünftig anzunehmen, das er die Menschheit ganz auslöschen könnte, zumal sie die letzte Tragödie doch nur so knapp überstanden hatten – doch was ihm da gezeigt worden war, stellte einen noch viel fundamentaleren Umbruch darstellte, etwas, das in essenziellem Maße mehr war, als nur eine weitere Tragödie.
 


 

Utopie klingt gut und Diskriminierung auf Grund der genannten Charakteristika ist natürlich etwas schlechtes, aber andererseits ertappte er sich dabei, wie er in seinem Klassenzimmer umherblickte, und Zeichen solcher Eigenschaften an seinen Mitschülern bemerkte – Ohne ihr Aussehen, Geschlechter, ihre Talente oder die Besonderheiten ihres Temperaments, ohne ihre jeweiligen Macken, würde er sie dann überhaupt erkennen?
 

Selbst, wenn er sich mit ihnen unterhalten könnte?
 

Selbst, wenn es seine besten Freunde wären?
 

Er musste nachdenken, wie er sich selbst beschreiben würde, ohne solche Eigenschaften zu nennen, die mit 'Macken' noch sehr großzügig bezeichnet werden – Doch zugegen, vielleicht verdiente es sein jetziges selbst, in Vergessenheit zu verschwinden, was auch immer an verklärten Resten seinen Platz annahm konnte nur besser sein – Aber würde er das auch über alle anderen im Raum sagen? Wäre die Welt besser ohne die unreifen Witze, die sich Touji und Kensuke bisweilen leisteten und zum Beispiel von der Klassensprecherin durchaus als 'Fehler' eingestuft wurden? Er selbst würde eine weniger widerborstige Shikinami ja sehr begrüßen, aber ob sie das selber auch so sehen würde? Er konnte sich sicherlich vorstellen, das Nagato eine weniger verklemmte Version von sich selbst vielleicht frivol und unernsthaft finden würde.
 

27:
 

„Yamaki-san?“ wiederholte die Siebtklässlerin leicht verwundert. Sie war ein gutes Stück kleiner als Shinji – trotz des relativ geringen Altersunterschieds war sie verglichen mit Shinji's Klassenkameradinnen noch klar ein Kind, angesiedelt auf der anderen Seite eines entscheidenden Wachstumshubes.
 

Dennoch hatte es Shinji ein wenig Überwindung gekostet, sie anzusprechen, obgleich er als Schüler einer höheren Alterstufe eigentlich die Autoritätsperson hier war – Sie hätte auch unmöglich auch nur im entferntesten ahnen können, was für Gedanken in diesem Moment durch seinen Kopf rasten oder welche Gründe ihn hierher geführt hatten, aber er wusste es, und so wurde er das Gefühl nicht los, in einer 'verdächtigen' Situation zu sein.
 

Die jüngere Schülerin schien überrascht ihn zu sehen und von seiner Anwesenheit in diesem teil des Gebäudes doch etwas aus dem Konzept gebracht, doch sie hatte ihn dann enthusiastisch wenn auch irgendwo leicht verhalten gegrüßt, wobei er ihr letzteres nicht übel nehmen könnte – Er war aus seinem eigenen Klassenzimmer hinaus geschritten wie aus einem völlig metaphorischen Raum von keiner Konsequenz, ein Theaterstück, das er mit einem figerzeig hätte aufhalten können, aber eine Entschlossenheit war denkbar schnell wieder verpufft, sobald er mit dem ersten richtigen Menschen hatte interagieren müssen... und er wäre selbst auch leicht nervös gewesen, wenn ihn ein beklommener, wildfremder Typ ihn aus heiterem Himmel angesprochen hätte, und doch konnte er es nicht vermeiden – Sicherlich war er versucht gewesen, dieses Mädchen einfach in ruhe zu lassen, doch es wäre nur eine Ausrede gewesen, ein Vorwand, um das unausweichliche aufzuschieben.
 

„Wieso fragst du, kennst du sie?“
 

„Nicht wirklich...“ gab Shinji zurück. „Ich hab nur etwas mit ihr zu besprechen.“
 

„Da wirst du ein bisschen warten müssen, sie hat gerade Tafeldienst! ...soll ich ihr sagen, dass du da bist?“
 

„Nicht nötig. Das ist sehr nett von dir, aber ich will dir kein Umstände machen. Ich werde einfach hier auf sie warten.“
 

„Es macht mir nichts aus!“ versicherte die Jüngere, wonach sie von einer etwas ruhigeren Mitschülerin, die neben ihr gestanden hatte und sich ebenfalls zu Shinji umgewendet hatte, leicht mit dem Ellenbogen anstubste. „Und du hast da sicher nichts eigennütziges im Sinne? Du willst doch nur mithören, was Ikari-kun mit ihr zu besprechen hat!“
 

Shinji war überrascht, dass sie seinen Namen kannte, aber er schätze, dass es an seiner Arbeit als EVA-Pilot lag... hier waren noch zwei einzigartige Leben, die mit seinem eigenen nur wenig Berührungsfläche hatten, und doch ebenso real waren; Noch zwei Leben, die keine Zukunft haben würden, wenn ihm das unmögliche nicht gelang.
 

„Ach komm!“ meinte das erste Mädchen. „Als ob du's nicht auch wärst!“
 

„Da gibt es kein großes Geheimnis dabei...“ log Shinji leicht verlegen.
 

„Von dir aus vielleicht nicht, aber Yamaki-san vielleicht. Sie ist vor kurzem mitten im Jahr in unsere Klasse gewechselt! Das ist doch höchst mysteriös!“
 

„Vielleicht haben ihre Eltern eine neue Arbeit gefunden?“ gab die zweite Schülerin unbeeindruckt zum besten.
 

„Aber-! Aber-! Seid sie zu uns gewechselt ist, hat keiner von uns wirklich etwas über sie herausgefunden, wie, wo sie vorher auf der Schule war!“
 

„Dann ist sie halt introvertiert. Oder die braucht noch etwas Zeit, um Anschluss zu finden!“
 

„Dann ist sie ist eine mysteriöse Einzelgängerin!“
 

„Worauf willst du hinaus, das sie ein Magical Girl ist oder soetwas?“
 

„Warum nicht? Immerhin haben wir mit Ikari-kun hier schon einen Superhelden in unserer Schule, und in der Parallelklasse haben wir ein aufstrebende Internet-Band Sensation! Diese Schule ist voll~ mit mysteriösen Geschehnissen!“
 

Über kurz oder lang gelang es dem zweiten Mädchen, ihre aufgedrehte Freundin den gang entlang zu bugsieren, wobei sie Shinji kurz einen bedauernden Blick zuwarf – Eine Band? Das wusste er gar nicht, was angesichts seines überschaubaren sozialen Netzwerkes auch nicht verwunderlich war. Vielleicht sollte er mal Asuka deswegen fragen – oder vielleicht auch nicht, denn es war eine weitere Erinnerung daran, wie groß und bevölkert diese Stadt war, voll mit Menschen, deren Leben alle von ihm abhingen – Und diese stellte nur einen winzigen Bruchteil dieser großen Welt dar, die komplett auf seinen Schultern lastete, und das mehr, als selbst Misato und die anderen zu ahnen wussten –
 

Schließlich wusste er nur zu gut, weshalb er sich entschlossen hatte, Ichijou Yui hier aufzusuchen.
 


 

26: [Thin Places]
 


 


 

„Weiter, weiter ins Verderben!
 

Wir müssen leben, bis wir sterben.“
 


 

-Aus Rammstein's „Dalai Lama“
 


 

ADAM. LILLITH. EVA.
 


 

“Shinji-kun hat recht.” schloss der silberne Jüngling.
 

Seine Hände von dem Maschendraht lösend, der die Dachfläche des Schulgebäudes einfasste, wendete er sich zu seinen Gefährten: die Erscheinung einer erwachsenen Frau, in einer Art Laborkittel und einem violetten Pullover, die einen halben Meter weiter an einem Pfosten des Zauns lehnte, sowie eine weitere Gestalt, die augenscheinlich einer Schülerin in uniform ähnelte, wäre da nicht ihre leichenblasse Haut und die grellen, unnatürlichen Farben ihrer Haare und Augen, die dennoch zum Eindruck von etwas geisterhaften und verblassten beitrugen, wie die Kopie einer Kopie.
 

Sie hörte die Worte des Jungen mit stillen, leicht gesenkten Augen an, in denen man fast ein verwaschenes Analog zu einer Art Schuldbewusstsein vermuten könnte, wenn man die Zeit für genauere Betrachtungen hätte anhalten können.
 

Von ihnen abgesehen war dieser Ort verlassen, oder zumindest so nah daran, wie man in einer lebenden, atmenden Stadt kommen konnte – verglichen mit den ausgekratzten Landschaften Welten nach dem Ende war die Stille dieses Ortes wie ein Surren von Aktivität – In der Ferne hörte man das surren von Vehikeln wie Züge und Automobilen, und obgleich man in einem Klassenraum traditionell leise zu sein hatte, waren die Geräusche des Schulbetriebes doch aus dem einen oder anderen Fenster heraus zu erahnen; allein die von den gelegentlichen Insekten geprägten Geräuschkulissen und der Anblick der vertrauten Grünanlagen würden nach dem Fest der Verderbnis eine Unmöglichkeit; Sie mochten subtil sein und nur entfernt hierher dringen, doch die Geräusche und Gerüche der Millionen fanden zumindest teilweise hierher.
 

Für ihre jetzigen Bewohner war es nach den Verluste n des Second Impact und der Kosten der ständigen Kämpfe eine halb leere Welt, doch im Anbetracht dessen, was bevorstand, konnte man sie nur als halb voll bezeichnen, erfüllt von Leben und Möglichkeiten, die von einer grimmigen Zukunft zur Nichte gemacht werden könnten – ferner war es eine Stadt, ein Hort von Menschen, in genaueren eine Schule, wo viele Dramen und Prozesse des alltäglichen Lebens vor sich gingen, Heimat einer banalen, essentiellen Menschlichkeit, die für die Figuren auf dem Dach nicht mehr als ein flüchtiger, lang verblasster Traum war.
 

Der Junge hatte ihn wenn überhaupt dann nicht lange genug gekannt, um ihn wirklich zu vermissen, das Mädchen hatte gemischte Erfahrungen, einige wertvolle Momente in einer See aus Gleichgültigkeit, Irrelevanz und einer Unfähigkeit, wirklich daran teilzunehmen;
 

Die Dame in Violett wiederum erinnerte sich nur zu gut an ihre Jungend und reservierte ihr einen warmen, besonderen Platz in ihrem Herzen, doch sie war sich ihrer Bestimmung und ihrer Ziele zu sicher, als das sie mit Bedauern oder Sehnsucht hätte zurück blicken können – auch jetzt schien sie sich ihrer Sache und grundsätzlich unbekümmert; Ihr zuversichtlichen Lächeln wich nicht von ihren Lippen, als sie die ernsten Worte des Jungen, und ihre Nachfrage war eher eine Sache der Neugier, als dass sie als einer Geste des Zuspruchs oder einem Versuch zur Problemlösung geähnelt hätte: „Wie meinst du das?“
 

„Ich hätte gemeint dass Sie es von uns am ehesten verstehen würden, Dr. Ikari. Bevor ihrer Verschmelzung mit EVA und ihrer Annahme der Frucht des Lebens waren Sie einmal wie Shinji-kun und die anderen, eine gebürtige Lillim...
 

Ayanami Rei und ich waren nur eine kurze Zeit in dieser Form, und selbst dann waren unsere Seelen nie wirklich für eine solche Existenz konzipiert. Es ist lange her, das wir alle diese Formen abgeworfen haben – Insbesondere für Ayanami Rei und mich hatte die Zeit von Anfang an eine andere Bedeutung, und das gilt umso mehr nachdem wir auf unsere ursprüngliche Ebene der Existenz zurückgekehrt sind...
 

Für uns ist die Zeit nicht anders als eine Menge aus Pfaden und Entscheidungen, den wir mit einigen Einschränkungen durchreiten soll, aber für Shinji-kun ist es linear. Sequenziell. Ein Tag nach dem anderen, eine Rekursion nach der anderen, getrennt in Abschnitte, Zugangsbereiche, vorher und nachher. “
 

„Dies ist sein natürliches Dasein.“ meinte das Schulmädchen. „Es unterscheidet sich von den unsrigen, gemäß unserer verschiedenen Aufgaben im Lauf der Dinge. Er existiert in der Welt der Handlung, während wir im Reich der Weisheit existieren. Es stimmt das wir Dinge sehen können, die er von seiner Seite aus nicht erkennt, aber gerade deshalb sind wir in der Lage, ihm den Weg zu zeigen. Ist es nicht das, was wir hier versuchen?“
 

„Das dachte ich ebenfalls.“ meinte der Jüngling. „Aber für ihn ist dies kein Weg. Es ist eine Wartezeit, eine lange, lange Zeit – für uns mag sie keine Bedeutung haben, aber für Shinji-kun ist es kaum vorstellbar...“
 

Jetzt war es die ältere Frau, die sprach, immer noch unentwegt in ihrer gottgleichen Zuversicht: „Hin und wieder schwere Zeiten zu durchleben gehört zu einer Existenz als Individuum dazu... doch so lange er die Hoffnung beibehält und sich entscheidet, sich dem neuen Tag zu stellen, wird die Sonne wieder scheinen, und alles wird sich geben.
 

Der Pfad ins Licht existiert. Es gibt keinen Grund anzunehmen, das wir ihn nicht erreichen können – In der Asymptote ist es sogar unvermeidlich. Habt Vertrauen in Shinji.“
 

Doch entgegen dem, was ihre Versicherung vermutlich anstrebten, blieb die Miene des silbernen Jünglings untypisch ernst: „Sie verstehen nicht, Dr. Ikari.“
 

Sie schien davon wenig beunruhigt, aller höchstens überrascht.
 

„In gewisser Hinsicht ist es nicht verwunderlich. Es ist die Natur dieser Seite, das die Tage der Prophezeiung uns jederzeit zugänglich sind wie die Seiten in einem Buch. Es ist umso mehr die Natur der unsrigen. Ich habe es auch nicht begriffen, bis ich gehört habe, was Shinji-kun heute zu sagen hatte, und ich kann Ihnen nur sagen, was er Ayanami Rei und mir zu sagen hatte:
 

Natürlich ist es möglich, die Kette zu durchbrechen. Wir wussten das von Anfang an, aber ganz wie Shinji-kun sagte, nur weil etwas möglich ist, bedeutet es nicht das es auch geschehen wird... Können wir wirklich von uns behaupten, das wir ihm 'den Weg Zeigen', oder tun wir in Wahrheit nicht weiter, als ihm eine Bürde aufzulegen, und von ihm etwas zu erwarten, von dem wir selbst nicht wirklich wissen?“
 

„Beides ist gleichbedeutend. Die Entscheidung, und mit ihr das Reich der Handlung liegen letzlich bei ihm, nicht bei uns. Es ist keine Bürde, sondern ein Privileg, um das viele blutige Schlachten geschlagen wurden. Als der Auserkohrene von SEELE solltest du das eigentlich am besten wissen.“
 

Doch der Junge wusste nur mit einem gewissen trübsinnigen Verständnis den Kopf zu schütteln:
 

„Nein, Dr. Ikari. Sie verstehen nicht. Sie waren nicht dabei, als sich der Fourth Impact ereignet hat. Sie waren nicht an Bord von EVA 13, als Shinji-kun die Speere herausgezogen hat und damit den vorletzten Engel freigesetzt hat. Ich hatte ihm Hoffnung gemacht, ihm die Erlösung und das Glück versprochen, das er sich so lange gewünscht hatte, und ihn geradewegs in eine Falle geführt...
 

Sie sprechen von Hoffnung, aber Hoffnung ist eine komplizierte Sache. Es war eines der Konzepte, die mir während meines Verweilen unter den Lillim am längsten Kopfzerbrechen bereitet hat. Sie kann für die verschiedensten Individuen das verschiedenste bedeuten. Sie kann trügen und unbegründet sein. Sie kann jemanden zum äußersten treiben...
 

Ikari-kun mag der Erwählte sein, aber wir waren es, die ihn erwählt haben. Haben wir ihm gegenüber nicht eine Verantwortung? Sollten wir nicht auf das hören, was er sagt? Sollten wir nicht bedenken, dass es vielleicht etwas gibt, was wir nicht verstanden haben? Etwas das er sieht, aber uns verbogen bleibt? Ebenso wie ich als ein Träger der Frucht des Lebens dennoch viel von den Lillim zu lernen hatte – und von keinem mehr als Shinji-kun. “
 

„O Adam, jedes der Wesen, die in ihrer Form an diesem Ort versammelt sind, haben beide Früchte in ihren Besitz gebracht. Es gibt nichts von dem angesammelten Wissen auf dieser Welt, das uns verborgen bleiben könnte.“ Sie machte an dieser Stelle bewusst die Entscheidung, sich den Kindern näher zuzudrehen, ihr Lächeln unerschütterlich. „Aber ich weiß natürlich, das es nicht das ist, worauf ihr hinaus wollt.
 

Dass Shinji Leid und Verwirrung durchstehen muss ist bedauerlich. Glaub mir, ich verstehe eure Bedenken – Genau so, wie er ein Nachkomme der Welt ist, die der Saat von Adam und Lillith entsprungen ist, ist er mein eigener Sohn, mein Fleisch und Blut, das ich einst unter dem Herzen getragen habe. Aber, O Lillith, ihr müsst genau so wissen wie ich die Aufgabe einer Mutter, einem Kind den Weg zu bereiten und es auf den rechten Pfad zu führen.“
 

„Wer weiß.“ gab das Mädchen zurück. „Ayanami Rei hatte niemals eine Mutter, und sie weiß, dass sie niemals eine sein wird. Es ist nichts, was das Fifth Child und ich wirklich verstehen würden. “
 

Die ältere Frau schien zum ersten mal in der Konversation – und vielleicht in einer sehr langen Zeit – wirklich überrascht zu sein, doch fürs erste behielt sie ihre Fragen zurück und schien viel mehr interessiert darin, den Worten des Mädchens weiter zuzuhören: „Aber soweit es mit bekannt ist, ist es gemeinhin typisch, das Mütter ihre Kinder beschützen und ihre Kinder bei ihren Unternehmungen unterstützen. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen, aber ich habe selbst mitangesehen, wie Sie mehrere Engel mit EVA 01 in Stücke gerissen haben, um Ikari-kun zu beschützen.“
 

„Sie hat ihre physische Gestalt aufgegeben, um ihm eine Zukunft zu geben.“ setzte Kaworu hinzu. „Das trifft immerhin auch auf uns beide zu. Aber es gibt sehr viele verschiedene Arten von Bindungen zwischen Lillim.“ Es schien dies als einen zur Diskussion relevanten Beitrag zu haben, doch er hatte verfehlt, was Rei mit ihren Ausführungen gemeint hatte: „Wir beide hatten keinen anderen Ausweg. Sie hat EVA 01 mit der vollen Absicht erschaffen, sich mit ihr zu verschmelzen, damit Ikari-kun sie später steuern kann.“
 

„Dr. Ikari hatte auch ihre eigenen Gründe, aber das traf auch uns uns beide zu. Ich wollte meine Freiheit, auf die einzige Art, die mir damals zur Verfügung stand, und dein damaliges Gefäß ersehnte damals, zu Lillith zurückkehren.“
 

„Sicherlich. Aber was ist mit Ikari-kun?“
 

„Shinji-kun?“
 

„Was ist mit dem, was er will? Was ist mit seiner Freiheit und seinen Gründen?
 

Was ist mit Commander Ikari's Wünschen? Ich weiß das Ayanami Rei geschaffen wurde, um Sie nachzubilden, aber ich verstehe Sie nicht, Frau Doktor.
 

Missverstehen Sie nicht - Es ist mir bewusst, das Ayanami Rei eine sehr unvollkommene Nachbildung war, aber das ist mir recht. Letztlich ist sie zu dem Schluss gekommen, dass Sie und Ayanami Rei zwei völlig unterschiedliche Individuen sind. Ich bin ich, nicht Sie. Ich mag keine perfekte Kopie sein, aber ich bin dennoch ich selbst im simpelsten sinne; Aber es gibt dennoch etwas, das wir gemeinsam haben:
 

Ikari-kun und Commander Ikari.
 

Ihre Abwesenheit hat ihnen beiden sehr viel leid bereitet, doch sie waren beide der Ansicht, das Sie von ihnen fortgerissen wurden. Aber das ist nicht wahr, nicht? Sie sind aus freien Stücken mit EVA 01 verschmolzen.“
 

„Es war der beste Weg.“ erklärte die Wissenschaftlerin. „Ich wusste, das mein Sohn der Auserwählte sein würde – Im Kern von EVA 01 war der beste weg, seine Sicherheit sicherzustellen. Das gilt für Sie beide. Es ließ sich nicht vermeiden. Shinji und Gendo werden beide verstehen, wenn das große Werk seine Vollendung erreicht, und dann werde ich die Erinnerung an sie mit mir in die Weiten der Galaxien tragen, sodass sie niemals vergessen werden.“
 

„Wieso musste Ikari-kun überhaupt Pilot werden?“ gab Rei zurück. „Und wieso musste er es bleiben? Nach dem Kampf gegen den Engel Bardiel war es Ikari-kuns Wunsch, Tokyo-3 zu verlassen. Ayanami Rei wusste, dass dies bedeuten würde, dass sie sich niemals wiedersehen würden, aber sie hat seinen Wunsch respektiert. Sie wollte sein Recht verteidigen, von der Freiheit gebrauch zu machen, die sie selbst niemals haben würde, und war bereit, für diesen Zweck ihr derzeitiges Gefäß aufzugeben.
 

Aber Ihre Handlungen waren das genaue Gegenteil, Dr. Ikari – Sie haben trotz des Risikos und der Notfallsituation sowohl Ayanami Rei als auch den Dummy Plug als Pilot für EVA 01 abgelehnt, und darauf bestanden, das Ikari-kun zurückkehrt... haben Sie darüber nachgedacht, was es für ihn bedeutet? Einerseits scheinen sie die Beiden beschützen zu wollen, aber andererseits scheinen sie nie darüber nachgedacht zu haben. Nicht in der Vergangenheit, und nicht jetzt.Ich verstehe dass Sie sein Leben beschützen wollten, aber das Leben ist mehr als nur der bloße, physische Fortbestand.“
 

„Der physische Fortbestand ist alles was man braucht, alles andere lässt sich finden – Der Lauf der Dinge hingegen ließ sich nicht vermeiden. Alles geschieht, wie es geschehen muss. Ich brauchte das S2-Organ. Nur damit würde es EVA 01 möglich sein, den Tag der Prophezeiung einzuläuten. Nur so konnte ich sicherstellen, dass die Ereignisse in die richtigen Bahnen gelenkt werden.“
 

„Und Tag der Prophezeiung wurde zum Ansatzpunkt der Endlosrekursion.... Wenn Sie die letzte Tragödie vermeiden wollten, wieso haben Sie ihn nicht ganz verhindert?“
 

„Die Pläne SEELEs waren schon lange vor Shinjis Geburt am laufen – schon lange vor meiner Geburt, oder der Geburt meiner eigenen Mutter. Ich wusste das mein Sohn der Auserwählte sein würde, bevor ich ihn überhaupt gezeugt hatte, oder bevor ich den Mann traf, der sein Vater werden sollte. Gewissermaßen stand Shinjis Schicksal schon seid dem Beginn allen Lebens auf der Erde fest. Mein Sohn würde eine große Aufgabe zu bewältigen haben, eine schwere Prüfung und doch eine große Ehre. Was bleibt mir als seine Mutter denn anderes übrig, als ihn bei seiner Aufgabe zu unterstützen, alle Pläne bis zum Augenblick des Third Impact weiterlaufen zu lassen, sodass alle Materialien und Trumpfkarten zum Einsatz kommen... und dann, im letzten Moment, würde EVA 01 zu einer Arche werden, um die Menschheit vor der Zeit der Vernichtung zu bewahren, und ihre Wiederaufstehung einzuleiten. Ich war zuversichtlich, das mein Sohn die richtige Wahl treffen würde.
 

Denn es steht in den Schriftrollen geschrieben: 'Die Gerechten mögen sich auf die Weisheit besinnen, und seine Stimme möge Recht sprechen; Gesegnet ist jener, der mit der Versuchung ringen muss, den nachdem er geprüft wurde, soll ihm die Krone des Lebens gebühren'.
 

Die Prüfung mag hart sein, aber Shinji wird sie bestehen. “
 


 


 

Nach einem kurzen, kaum merklichen Zögern stellte sich das Mädchen der älteren Frau mit einem Mal direkt entgegen und blickte ihr direkt in die Augen, so, wie sie es sonst nur zu jenen seltenen Anlässen tat, an denen sie bewusst etwas kommunizieren wollte: „Dr. Ikari, bei allem Respekt.“ ihre Stimme blieb still und tonlos, schien aber allein durch den Zugewinn eines geringen Maßes an Festigkeit an Schärfe dazuzugewinnen – Die ältere Frau, in äußerer Hinsicht fast schon ein nur leicht verzerrtes Negativbild von ihr schien nur zum ersten mal während des ganzen Hergangs wirklich überrascht gewesen, hatte sie ein solches Widersprechen doch nicht erwartet, und von dem Mädchen scheinbar am wenigsten.
 

„Bei allem Respekt, Dr. Ikari, Ikari-kun ist nicht ihre Marionette.“
 

Die Direktheit mit der sie dies aussprach, verschlug selbst der unerschütterlichen Frau Doktor sowohl die Sprache als auch ihr allgegenwärtiges Lächeln.
 

„Er mag ihr Sohn sein, aber er ist nicht Sie, und er ist nicht ihre Marionette.
 

Sie waren sich sicher, das Commander Ikari ohne sie zurecht kommen würde. Jetzt sind sie sich sicher, das Ikari-kun den Weg finden wird, um die Rekursion aufzuhalten... aber was macht Sie so sicher?“
 

„Gendo arbeitet seinen Möglichkeiten nach daran, SEELE's pläne zu durchkreuzen. Daran hat sich nichts geändert. Es ließ sich nicht verhindern, das er auf sich allein gestellt sein würde – wenn ich ihm die volle Wahrheit erzählt hätte, hätte er darauf bestanden an meiner Stelle zu gehen. Es ist nur natürlich, dass wir beide einander beschützen wollen, aber ich denke von uns Beiden bin ich eher dazu geeignet. Du musst hier langfristig denken – Der Krieg mit den Engeln und der Third Impact werden nur ein geringer Bruchteil in der Existenz von EVA 01 darstellen.
 

Gendo und Shinji würden ein Weilchen stark sein müssen, aber nachdem alles vorbei ist, werden sie ihr Leben haben und damit eine Möglichkeit, glücklich zu werden. Wenn du eine Garantie willst, bleibt uns noch SEELEs garantierte Auslöschung. “
 


 

„Nein, Dr. Ikari. Sie haben ihren ganzen Plan auf der Sicherheit ausgebaut, dass er den Third Impact ablehnen würde, aber er hätte sich beinahe darauf eingelassen... als sie mit EVA 01 verschmolzen sind, war er vielleicht noch ein kleines Kind, das Ihren Vorgaben gefolgt ist, aber das ist er schon lange nicht mehr. Er hat in dieser Welt gelebt, die von Ihnen erschaffen wurde, wurde von den Menschen darin und seinen Verbindungen zu ihnen beeinflusst, und er selbst hat wiederum andere beeinflusst, wie das Fifth Child, und auch Ayanami Rei.
 

Aber was ist mit Ihnen, Dr. Ikari? Werden sie darauf bestehen, das er die Funktion erfüllt, für den Sie ihn geschaffen haben, oder werden sie das eigenständige Individuum fragen, zudem er nun herangewachsen ist?“
 

„Ich werde ihn fragen. Wenn der Tag der Prophezeiung kommt.“
 

„Und bis dahin?“ fragte das Mädchen unerbittlich weiter, ausdruckslos bis auf einen entfernten Argwohn in ihren Augen. „Haben Sie je daran gedacht, dass er bis dahin leben muss, und auch danach? Haben Sie an die Welt gedacht, in der er Leben muss, dass leben, das er führen würde? Nach dem Second Impact? Nach den Third Impact?“
 

An dieser Stelle geschah etwas unerwartetes.
 

Dr. Ikari entglitt ein schmunzeln, welches ihr gemeinhin gelassenes Erscheinungsbild wiederherstellte.
 

„Entschuldige, entschuldige.“ meinte sie, ohne das eine Entschuldigung verlangt worden wäre. Sie schien immer noch etwas belustigt.
 

„Finden Sie daran etwas amüsantes?“
 

Die Frage war wesentlich neutraler gestellt, als man hätte meinen können doch Dr. Ikari behandelte sie, wieder ganz entspannt beiläufig nach dem Kontext der Konversation: „Nein, nein, es ist nur... Du erinnerst mich gerade an Gendo. Genau das gleiche hat er auch gesagt. Ich will dich nicht beleidigen oder beschämen, ich weiß, dass du ihn nicht immer von seiner Schokoladenseite erlebt hast, aber man merkt doch, das er dich aufgezogen hat.
 

Wenn ich dich ansehe werd' ich manchmal ein wenig eifersüchtig, als ob er sich eine geheime Tochter zugelegt hätte, von der er mir nichts gesagt hat... Es ist als hättest du vor allem seine putzige Seite aufgeschnappt, wobei ich da vielleicht ein wenig befangen bin – Du magst meine Schöpferin sein aber du hast doch die Form eines Mädchens, und ich hatte schon immer eine Schwäche für Kinder... “
 

Die Wissenschaftlerin lehnte sich hinüber, um ihrem Gegenstück versöhnlich ihre Arme dazu bieten, doch die Schülerin ignorierte die Geste, wenn sie sie denn überhaupt erkannte, und blieb ernst: „Ich fühle mich nicht beschämt. Es ist wahr. Die Verbindung mit ihm ist ein Teil dessen, was mein Dasein geformt hat, so wie alle Menschen von ihren Verbindungen geformt und geschaffen werden. Aber er ist nicht der einzige Mensch in meiner Umgebung. Wir mögen manches gemeinsam haben, und doch sind wir verschieden. Ich bin nicht er, und mein Wille ist anders als der seine. Dasselbe gilt für die Verbindung, die ich mit Ihnen habe – wie mögen etwas gemeinsam haben, doch wir sind verschieden. Ich bin ich, nicht sie.
 

Mein Wille ist anders als der ihre – Ich denke, das Nagisa-kun recht hat.
 

Dasselbe gilt auch für Ikari-kun. Das, was sie eine 'Prüfung' nennen, das war sein Leben. Die Welt, in der er existiert hat, hat den Menschen geformt der er ist, und die Entscheidungen, die er trifft. ...“
 

„Das mag sein, doch selbst wenn das Los bitter sein mag, sein Pfad sitzt fest und wir können ihn lediglich dabei unterstützen. Die einzige Möglichkeit, meinen Sohn von diesem Schicksal zu befreien war, ihn seine Aufgabe ausführen zu lassen. Wenn es eine Bürde ist können wir sie mäßigen, doch letztlich ist es sein Schicksal, das Epizentrum des Third Impact zu sein. Selbst wir drei sind letztlich nur Instrumente, die existieren, um es zu seiner Vollendung zu bringen. “
 


 

„Nicht unbedingt...“ mischte sich Kaworu ein. „Er hat einen freien Willen, nicht? Die Möglichkeiten mögen begrenzt sein, aber er kann sich immer verweigern. Ich war dazu bestimmt ewig zu leben und die Zivilisation der Lillim auszuradieren, aber so ist es nicht geschehen.“
 

Doch hier hatte seine jüngere Gefährtin ihre Zweifel: „Das ist wahr, aber es war dennoch ein von Anfang an mögliches Szenario, eine Wahl, die dir offen stand, und selbst das hat dein damaliges Gefäß als Preis gefordert.
 

Das, wovon du da redest ist ein großer Bruch mit dem Ablauf der Dinge, etwas neues, nie dagewesenes, ganz so, wie die Menge an Zeitlinien die zum Fourth Impact geführt haben. Gerade dies, was du verhindern wolltest...“
 

Doch der silberne Jüngling schüttelte den Kopf. „Und immer die alten, wohlbekannten Pfade zu verfolgen wie den Refrain eines Liedes stellt sicher, dass sich niemals etwas ändern wird, wie die Zeitlinien, die uns hierher geführt haben. Wir würden nur dieselbe Kausalitätskette propagieren, die uns hervorgebracht hat. “
 

Das blauhaarige Mädchen schien seinen Einwand zu verstehen und hielt kurz inne, um die Konsequenzen durch zu denken. „Bis jetzt haben wir immer versucht, Ikari-kun möglichst ohne Verluste den vorgeschriebenen Pfad entlang zu führen. Wenn wir ernsthaft versuchen, uns dem Schicksal blank zu widersetzen, wird das Folgen haben. Preise, Sanktionen, sogar Strafen. Jede Aktion hat eine Reaktion – gut möglich, dass sich das ganze Gefüge des Schicksals gegen uns stellen wird, um das Paradox im Gefüge zu korrigieren. Vielleicht wird der Verlauf um so chaotischer werden, je weiter wie uns vom Vorgezeichneten Pfad entfernen – oder aber, alle Zeitlinien werden zunehmend beginnen, zum Third Impact hin zu konvergieren, wie die Raumzeit am Ereignishorizont eines schwarzen Loches, bis alle Pfade nur noch zur Auslöschung führen. Vielleicht ist es selbst uns nicht möglich, aus dem Kausalitätsstrom auszubrechen, der uns überhaupt erst hervorgebracht hat.“
 


 

„Hm. Es ist sicherlich eine interessante Fragestellung.“ meinte Dr. Ikari. „Ich müsste mal die Rechnungen durchführen um ein Gefühl dafür zu kriegen wie die Geometrie so ist... Um ehrlich zu sein war die Physik doch eher Professor Katsuragis Stärke. Wenn er hier wäre und sehen könnte, was ich sehe, könnte er es euch vielleicht schon sagen, aber er ist leider bei der Eröffnungszeremonie verstorben. Zu früh, um noch in das Kollektiv zu gelangen.“
 


 

Diese Anmerkung lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Kinder wieder auf sie zurück. Es war Kaworu, der den Schritt auf sich nahm, sie anzusprechen. „Dann werden Sie uns helfen?“
 


 

Dr. Ikari erwiderte sein Lächeln, ebenso beschwingt und in einer nicht genau benenn-baren weise überirdisch. „
 

Ich habe euch gesagt, das wir den Weg mit Sicherheit finden werden – Warum nicht jetzt? Diese Iteration ist genau so gut wie jede andere. Was unmöglich ist, werdet ihr ohnehin nicht tun können, und wenn ihr etwas tun konntet, dann war es nicht unmöglich.
 

Alles wird geschehen, wie es geschehen muss – und dazu will ich mein Bestes beitragen.
 

Ich kann mit meinem derzeitigen Gefäß erst dann in direkten Kontakt treten, wenn sie sich die Frucht des Lebens einverleibt, aber ich bin mir sicher, dass sie über die Situation selbst Bescheid weiß. Sie weiß zumindest, was Shinji weiß. “
 

Das Lächeln des Engels vertiefte sich, an den ecken vielleicht eine leicht verspielte Qualität annehmend. „Und wenn es nicht funktioniert, wird es zumindest eine faszinierende Variation, nicht?“
 

„Sicherlich.“
 

Der Ausdruck des Jungen war nun eindeutig ein Grinsen: „Sie haben sehr, sehr viel Zeit in ihrer jetzigen Form verbracht, Ikari-san.“
 

„Das gilt auch für euch beide,“ bemerkte die Wissenschaftlerin mit entfernt-belustigtem Interesse.„Ihr zwei klingt manchmal erstaunlich wie Menschenkinder. Beinahe.“
 

Der silberne Jüngling antwortete nur mit einem dünnen Lächeln das grenzwertig an ein Grinsen erinnerte, und es wäre wohl recht interessant gewesen, zu hören, was, wenn überhaupt, er darauf geantwortet hätte, aber darüber würde die Menschheit bis zum Ende ihrer Tage wohl nur noch spekulieren können, zumal genau in diesem Moment das Läuten der Schulglocke ertönte -
 

Mehrere mechanische Klingeltöne erschallten über den Schulhof, Bücher wurden zugeschlagen, Schulsachen weggepackt und innerhalb weniger Minuten hatte sich der Hof jenseits des Dachgeländers mit klümpchenhaften Gruppen von Schülern erfüllt – Von den Erscheinungen, die aber soeben noch eine angeregte Konversation geführt hatten, war jedoch nichts mehr zu sehen, als ob sie niemals existiert hätten.
 


 

---
 


 

Obwohl die Sonnenstrahlen in dieser erdrückenden Hitze wie Peitschenhiebe niederbrannten und der blaue Himmel jenseits der Fenster des Schulgebäudes wolkenlos vor sich hin flimmerte, wähnte sich Shinji Ikari in einer grauen, verwehten Welt; Nichts, was sich dort draußen am Rande seiner Wahrnehmung abspielte, schien wirklich zu ihm durchzudringen – hin und wieder schnappte er gelegentliche Wortfetzen auf, aus denen er sich ungefähr erschließen konnte, worüber seine Lehrer oder Klassenkameraden sich da nun unterhielten, doch um dem thematischen Faden wirklich zu folgen, konnte er weder den Willen noch die Energie aufbringen -
 


 

Es war wieder einer dieser Tage, an denen der Sturm und Regen in seiner eigenen Seele alles andere übertönten. Und nahm er die Hitze mal doch wahr, dann war es vor allem ihre erdrückende, unnatürliche Qualität, die daran hervorstach, eine Mattigkeit, die jede noch so gutgemeinte Neigung zu Handlung oder Konzentration schon im Keim erstickte, oder dazu zumindest eine viel zu verlockende Ausrede stellte – Der ewige Sommer nicht im brachialen Gewand von Stürmen und Fluten, sondern als eine subtiler vor sich hin gärende Variante des Verderbens, die sich gerade in solchen besonders heißen Tagen dennoch kenntlich machte, eine Welt aus schmelzenden Dingen, in der alte Kühlgeräte den Geist aufgaben, angeklebte Spiegel von den Wänden rutschen und vergessene Essensreste in Rekordzeit von Fliegen überrannt wurden.
 


 

Es war nicht so als ob Shinji nicht willens wäre, sich aus seiner Starre zu erheben und ein Brecheisen in die stetig weiter tickenden Uhrwerke des Verderbens zu werfen; Der Vorwurf schmerzte umso mehr, je furchterregender der Berg aus Verantwortung ihm erschien.
 

Dennoch war er sich durchaus darüber bewusst wie wenig es brauchte, um ihn aus der Bahn zu werfen – schon so etwas unbedeutendes wie unwirtliches Wetter oder eine üble Laune reichten aus, um ihn tagelang für sich einzunehmen.
 

Ein Teil von ihm erwartete irgendwo noch, zu jeder Art von Aktivität geführt und ermuntert zu werden; Lange Zeit war niemand da gewesen und so hatte er vielleicht die Gelegenheit verpasst, solche Worte zu verinnerlichen und dadurch zu lernen, wie man sich eigenständig motiviert.
 

Es war einfach unfair und er kam nicht umhin, sich darum betrogen zu fühlen; Selbst im besten aller Fälle sah er nur ein verkorkstes, verpfuschtes Leben vor sich, in der er allezeit mit etwas kämpfen müssen würde, was andere als eine selbstverständliche, kaum noch bewusste Funktion ihres gewohnten Funktionierens betrachteten.
 

Nicht, dass er dem komplett ausgeliefert gewesen wäre, nicht, dass er nicht daran arbeiten oder kompensieren könnte (woran er vor seiner Ankunft in Tokyo-3 durchaus gezweifelt hatte), doch was immer er tat bliebe stets im spöttischen Schatten des besseren Lebens, dass er unter anderen Umständen vielleicht hätte haben können.
 

Selbst das beste, was er bei größter Anstrengung und sofortiger Bekehrung zur Lauterkeit noch aus seinem Leben herausholen könnte, wäre doch unausweichlich suboptimal, und selbst dieser sofortige Wandel war keine ernstzunehmende Möglichkeit.
 

Dasselbe war eigentlich auch über diese Iteration der Zeitlinie zu sagen – Statt wie nach einem Schlag auf den Kopf benommen durch die Weltgeschichte zu torkeln, hätte er die letzten Tage auch planen, vorbereiten und handeln können.
 

Doch was sollte er deswegen jetzt tun?
 

Die Hände in den Schoß legen? Elendig zitternd das Ende erwarten?
 

Unerträglich! Auch das Aufgeben hätte seine Kosten, und je häufiger und schweißtreibender die vergeblichen Versuche, umso größer wäre die Schande und die Scham darin, die Flinte im Nachhinein einfach ins Korn zu werfen – Wofür bitte hatte er dann all dieses Leid aufgegeben?
 

Und auch wenn der Wille sich dickköpfig und verbissen darauf festsetzen wollte, alles aufzugeben, änderte das nichts an der automatischen Neigung der Triebe, vor drohender Gefahr zurückzuweichen, noch an den Schlüssen und Intuitionen, die sich dem Auge des Verstandes eröffneten, ganz zu schweigen von den Fasern des Herzens, an denen das Zugrundegehen der umgebenen Welt ja doch zwingend seinen Zug üben müsste;
 

Von hinschmeißen konnte also doch keine Rede sein, so sehr Shinji die Käfigwände eines solchen Daseins auch leid war; Wäre das Ende sofort gekommen und hätte ihnen allen kurz und schmerzlos den Gnadenstoß gesetzt hätte er es vielleicht willkommen geheißen, doch es waren ganze Monate, ach! über die sich das Schauspiel noch hinziehen würde, und wie könnte er es da kaltschnäuzig durchziehen, keinen Finger zu rühren, und dabei selbst in einem Zustand fortzudauern, wie ein Passagier in einem abstürzenden Flugzeug, dem bereits klar war, das es für ihn kein entrinnen mehr geben konnte, und dennoch keine Wahl hatte, als den unausweichlichen Aufprall hilflos abzuwarten?
 

Wie konnte er seine Freunde und Kameraden jeden Tag sehen, wie sie brav und tapfer bis aus letzte um ihre Zukunft kämpften, ja, sich im harten gleichgültigen Angesicht der drohenden Verderbnis noch bis ans letzte daran klammerten, ohne daran Anteil zu nehmen?
 

Er hätte ein Stein sein müssen, und hatte noch nicht einmal die Standhaftigkeit lauwarmer Butter vorzuweisen.
 

Ein Stein, ein Edmond Dantes, ein Captain Ahab wäre vielleicht in der Lage gewesen, eisern an einem von vornherein festgesetzten Plane festzuhalten, während rings um ihn herum noch alles mutig atmete und lebte, doch dieselbe Empfindsamkeit, die Shinji zunächst so gelähmt hatte, dieselbe Triebfeder des Egoismus, der sich der Wert in ihrer Stunde der Not aus blankem Starrsinn völlig verwehren wollte hielt ihn davon ab -
 

Wie sollte er Touji in die Augen blicken, wenn er voll Hoffnung und Bange die jüngsten Neuigkeiten über den Gesundheitszustand seiner Schwester mit ihnen teilte?
 

Wie könnte er sich vor Misato rechtfertigen, und allen anderen bei NERV, die allen Schweiß und Blut tagtäglich in den Erhalt der Zukunft pumpten?
 

Ihre lachenden Gestalten mochten noch nicht wissen, was er an ihnen verbrochen hatte, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass sie ihn in vollem Wissen auf der anderen Seite erwarten würden, wenn das Äußerste dann käme und im Todeskampf alle Tapeten von den Wänden risse.
 


 

So sehr sich Shinji also doch verzagend fragte, wozu er diese halbherzige Farce eines bereits verpfuschten Versuches doch wieder und wieder aufzuziehen versuchte wie eine Sandburg, die da doch von den Wellen hinfort gewaschen werden würde (und galt dies nicht für alles im Leben, selbst wenn es nächstes Jahr doch noch weitergehen sollte?) trieb es ihn doch dazu weiter zu machen und einen weiteren schwächelnden, kränklichen, strauchelnd-torkelnden Versuch zu unternehmen -
 

Und von den wenigen Anhaltspunkten, die er dezeit für einen solchen hatte, befand sich zumindest einer just in diesem Schulgebäude.
 

Wie ein schwebender Geist irrte er durch das Schulgebäude, ohne mit irgendeinem Teil davon wirklich zu interagieren, als seien die alltäglichen Szenen, die ihn hier umgaben, auch nur nichts anderes als eine weitere Kulisse für den nächsten Akt dieses surrealen Schauspiels; Selbst die Schulglocke, die ihm zum Startschuss gedient hatte er kaum gehört und nur entfernt geachtet.
 


 

Selbst in diesem Augenblick, in dem ihm die Gegenwart im Ganzen so entfernt, gedämpft und abgestumpft erschien, fühlte er selbst bis in sein abgeschottetes kleines Bewusstsein hinein noch ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, den Herold der gefürchteten zernarbten Zukunft aufzusuchen, doch gerade als er dabei war sich im Vorbeigehen aus der Tür des Klassenraums zu stehlen fiel ihm aus dem Augenwinkel die Erscheinung Ayanamis ins Auge, wie sie wie sooft durchs Fenster hinaus blickte, als ob die Welt auch für sie mehr ein Schauspiel nach einem festgenieteten Plan wäre, die es nun irgendwie bis zum ende auszuwarten galt, das es eine lebende, atmende Gegenwart gewesen wäre die einen Raum für ihre Handlungen und Entscheidungen stellte -
 

Ihr charakteristischer Haarschopf war wie so oft nicht zu übersehen, und er erinnerte das Third Child an die Unterredung, welche sie in der anderen Welt gehabt hatten, oder auch gleich hier, erst heute morgen.
 

Wie immer, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft blieb sie sein Licht, deren schlichte, klare Fragen und unverblümte Wahrheiten durch das Gestrüpp seiner Verblendung stachen und ihm zum besseren ermahnte.
 

Ichijou-san hatte ihm erkennbar hingehalten, ihm wie so viele vor ihr nur Brösel von Problemen hingeworfen, von denen er dann das ganze Lösen sollte, und das hatte ihm missfallen.
 

Er hatte sich ganz im Sinne eines trotzigen Kindes oder eines halbstarken Knaben bevormundet gefühlt und obgleich er es nicht offen gesagt hatte, so hatten sich zumindest in seinem inneren so eine Sehnen quer gestellt.
 

Doch diese ganze Abwehrhaltung gründete auf einer falschen Annahme, einer Erwartung das sie, wie auch Misato oder Ayanamis Gegenpart in der anderen Welt oder überhaupt alle anderen ihn zu leiten und zu führen hatten, ja, das ihm nichts anderes übrig blieb, als sich mehr oder weniger widerwillig ihren Händen auszuliefern -
 

Doch im rechten Lichte betrachtet hatte auch sie nur verzweifelt versucht, ihn auf den richtigen Weg zu lotsen, wie das auf andere ganz andere Weise und aus einer ganz anderen Situation auch Ayanami versucht hatte, und es überkam Shinji fast schon die Scham, das er sich so gefürchtet und sich innerlich dabei so abgeschottet hatte, von diesem jüngeren Mädchen, als ob sie ein Wesen des Teufels wäre und nicht bloß ein blanker, verzweifelter Mensch.
 

Wenn er es sich recht bedachte, war sie doch genau so eingezäunt wie er, und zugleich die Einsamste von allen; Denn ihm blieben zumindest noch die kleinen Freuden seines tagtäglichen Lebens, seine Freunde und Misato, in deren Unternehmungen und Erzählungen er sich für einige Zeit verlieren konnte -
 

Die grausige Prophezeiung war ihm allein zuteil geworden, doch sie änderte nichts daran, dass er sich bis dahin mit ihnen gemeinsam herangekämpft hatte und das wohl auch in der Zukunft noch weiterhin tun würde – Sie jedoch war von allem abgeschnitten, hatte sich von allem losgesagt, alle eigenen Geschäfte und Ziele zugusten dieser schweren Bürde in einer lang verblassten Welt zurückgelassen, um ihre Mission zu vollenden – Sie hatte hatte gar niemanden, an den sie sich noch in irgendeiner Form wenden konnte, und in dieser Betrachtung wusste Shinji zu erkennen, wie sie zu Ayanami, der sie nach eigener Aussage ein ungleiches Gegenstück war, aller augenscheinlicher Unterschiede zu trotz dennoch ihre Ähnlichkeit hatte -
 

Und ganz wie Ayanami mochte sie ihr Los zwar mit stoischer Entschlossenheit auf sich nehmen, doch das änderte nichts daran, dass sie hier einmal ganz normal gelebt, ja, tagtäglich dazugehört hatte, und nun für alle eine Fremde war.
 

Sie war ihm erscheinen wie ein Störenfried der sich wie der sprichwörtliche Gott aus der Maschine von außen in sein Leben einzumischen, ohne sich ihm zugänglich zu machen, aber konnte er es ihr wirklich verübeln, dass sie von allem ihre Distanz hielt?
 

Wenn er sich an jedes kleine Detail jedes einzelnen Durchlaufs erinnern könnte, wenn er jeden einzelnen Menschen, der er kannte oder noch kennen würde, wieder und wieder hätte sterben sehen, wäre er dann überhaupt noch fähig, sich im Geringsten um sie zu scheren?
 

Würde er sich auch dazu ermahnen, Ayanami nicht allzu sehr lieb zu gewinnen, wenn er ihre zerfetzte Leiche schon tausende male in den Händen gehalten hätte?
 

Eher, als so achtlos zu werden und die Schmerzen anderer so empfindungslos hinzunehmen, würde er sterben, doch die bloße Fantasie von dieser Art Schmerz versetzte sein feiges Herz in wildes Pochen, und so wie er jetzt war, hatte er sie oder Asuka noch kein einziges mal begraben müssen.
 

Es stimmte wohl, dass Yui ihm einiges vorenthalten hatte – um ihn zu schützen angeblich, weil es doch schlimme Konsequenzen haben könnte, und es schmeckte ihm zunächst wie eine Ausflucht, doch, wenn er bedachte, wie er die letzten Tage zugebracht hatte, konnte man ihr wirklich vorwerfen, dass ihre Vorbehalte unberechtigt gewesen seien?
 

Er konnte ihr wohl kaum entgegnen, dass er die ganze Wahrheit sehr wohl ertragen konnte, wenn ihn schon das kleine bisschen, das aus ihren Lippen heraus gesickert war in solches Rasen versetzt hatte – was sollte sie wohl glauben?
 

Er könnte ja nicht sagen, was sie wohl sonst noch gesehen hatte!
 

Und zu ihrem zweiten Einwand, das ein falsches Wort den Lauf der Dinge unvorteilhaft verändern könnte – woher wusste er, dass dergleichen nicht bereits geschehen war?
 

Schließlich bestand sie darauf, das er selbst und Asuka engste Kameraden seien, und ermutigte ihn ständen, sich besser mit ihr zu vertragen, doch in seinem Missmut hatte er die Chance, die er zum erstarken ihrer Freundschaft hätte nutzen können, vielleicht bereits versäumt, denn natürlich war er beleidigt gewesen – Beleidigt, das er sich von Asuka vorführen und verspotten lassen musste und dann auch noch als derjenige dastand, der sich um das Verbuddeln des Kriegsbeils bemühen solle, weil sie sonst scheinbar ihre Sachen packen und zur Hölle fahren würde, oder gleich die ganze Welt ihr nachfolgen -
 

Vielleicht hatte er Angst vor der Macht die ihm das Vorwissen aufbürdete und davor, dass er sie nicht zur Sühne sondern zu weiterem Unrecht gebrauchen wollte und hatte sich deshalb so gesträubt, irgendwas damit zu schaffen zu haben.
 

Vielleicht wollte er ihr einfach nur nicht die Gefälligkeit erlauben, ihn in ihrer Schuld zu sehen, selbst, wenn er selbst und seine ganze Welt kraft seiner Verweigerung das Ende finden sollten, vielleicht begann er erst jetzt nach diesem tagelangen Totalausfall vollends zu begreifen, was das Ende überhaupt ist -
 

Doch es blieb bei alledem doch erkenntlich, das er in Yui nichts weiteres hatte als eine freundschaftlich gesinnte Seele, die sich ihm aufgrund ihrer einzigartigen Situation und ihrer Beschränkungen nicht besser auszudrücken vermochte, nicht sehr anders als Ayanami.
 

In die Rolle der Unglücksprophetin war sie nur gelangt, weil er von der Zukunft nichts wissen wollte und sich eine solche damit dringend nötig gemacht hatte; Er konnte nicht von ihr erwarten dass sie ihm gleich auf gleich die Hand reichen würde, wenn er nicht selbst dazu bereit wäre, ihr dasselbe einzuräumen.
 


 

---
 


 

Erst nachdem er sich sicher war, dass ihre Klassenkameradinnen im Flur sich weiter entfernt hatten, bewog Shinji sich dazu, sich dem stillen Mädchen weiter zu nähern.

Einst hatte sie ihre eigene parallele Welt gehabt; Nun hatte sie ein paralleles Klassenzimmer, in dem sie, wie könnte es auch anders sein, selbst zu Pause und Mittagsstunde still an einem einzelnen Tische saß und in Gedanken versunken zum Fenstern hinaus blickte.
 

Doch die Ähnlichkeit zu Ayanami war an dieser Stelle das Mindeste, denn wo ihm die Gedanken, die Ayanami in solchen Momenten wohl durch den Kopf gingen, noch zu großen Teilen ein Rätsel blieben, hatte er was Yui anging doch nur allzu deutliche Vorstellungen davon, was ihr so durch den Kopf gehen könnte, obgleich sie ihm doch im Ganzen deutlich fremder geblieben war.
 


 

Er trat näher in der Erwartung, dass das allein ihre Aufmerksamkeit auf ihn ziehen würde, doch sie ruhte scheinbar tiefer in der Versenkung, als er erwartet hatte.
 

Ihm wurde bewusst dass dies wohl einen persönlicheren Moment ihres Daseins darstellte, wo sie nicht soldatengleich erwartete, an jeder Ecke überrannt zu werden, oder aber sich mühe gab, eine jede Reaktion auf seine Person genau abzuschätzen. Er hatte sich hier sozusagen in ihr Revier hinein gewagt.
 

Dann lag es also an ihm:
 

„Uh, Ichi- Ich meine, Yamaki-san!“
 

Trotz aller Entschlossenheit fiel er nur all zu leicht auf die geübte Automatik seines vorsichtigen, unterwürfigen Äußeren zurück.
 


 

Jetzt blickte Yui tatsächlich zu ihm auf – und vielleicht hätte sie sich vor vielen, vielen Durchläufen einmal ertappt oder überrascht gezeigt, doch mittlerweile blieb davon nur eine nsachliche Feststellung übrig:
 

„Was? Du kommst zu mir?“
 

„I-Ist das noch nie zuvor passiert?“ fragte Shinji, und wollte sich nach der ersten Überraschung direkt für den erwartungsvollen, hoffnungsvollen Ton schelten, der ihm da entglitten war.
 

„Doch, aber nicht oft.“
 


 

Ein klares ja wäre ja immerhin eine Bestätigung, das schon sein Entschluss eine Wirkung gezeigt hatte, doch so leicht wurde es ihm offensichtlich nicht gemacht – vor allem hatte er noch die Herausforderung vor sich, seinen Entschluss in Worte umzuwandeln, und daran konnte schon alles kentern und scheitern und als bloße Fußnote in ihrer beider Erinnerung enden, wenn noch nicht einmal mehr daraus wurde, als ein Gedanke in seinem Kopf.
 

Vielleicht sollte er nicht sprechen, und zunächst abwarten, was ihre Fragen noch über sie verraten würden, aber dann wären sie schon wieder halb im alten ewigen Muster festgefahren.
 

Die Möglichkeit, statt dessen über Belanglosigkeiten zu reden, kam ihm nun zum ersten mal in den Sinn, vielleicht traute er ihr zum ersten mal zu, mit solchen verflochten zu werden, und doch war es jetzt freiheraus nicht wirklich eine Option, wenn er es zuvor nicht getan hatte, und sie beide wussten, dass es auf einem guten Grund hier sein musste.
 

Sie erwartete seine Rede mit kühlen, dunklen Augen, die keinerlei besondere Überraschungen zu erwarten schienen, ja gut möglich schon seid langer, langer Zeit keine mehr davon gesehen hatte.
 


 

„Ich- ich... ich habe nachgedacht. Oder, das heißt, ich habe mich erinnert. Oder beides eigentlich. Oder ich- ich war drüben, ich hab mit Ayanami gesprochen, gerade erst, oder, irgendwann in der Vergangenheit-“
 

„Du weißt vom Tag der Heimsuchung.“
 

Verlegen über sein vorheriges Gefasel und sich ihr gegenüber noch leicht Schuldig fühlend bemühte sich Shinji zu einem Lächeln. „Warum mach ich mir überhaupt die Mühe zu sprechen, du weißt ja sowieso schon, was ich sagen will. Wahrscheinlich sage ich sogar jedes mal das gleiche...“
 

Diese gezwungene Vertrautheit war es dann, die ihr doch gesondert auffiel und sich ein deutliches aufhorchen von ihr verdiente, auch wenn sie zunächst nur in ihrem üblichen ernst weiter beobachtete.
 

„Nicht unbedingt.“ erklärte sie, scheinbar darum besorgt, keinen Raum für tückische Missverständnisse auszuräumen. „Es gibt einige Möglichkeiten, die häufig vorkommen, ich kann es mir also manchmal denken wenn ich weiß, in welche Richtung es schwankt, aber ich weiß nicht, was in der Zukunft – in dieser Zukunft, deiner Zukunft – was nun genau passieren wird.
 

Ich weiß nicht alles. Ich kenne nur die meisten der groben Szenarien, und wie man sie auseinanderhält.“
 

„Das gilt dann wohl auch für den Tag des Third Impact, nicht?“ erklärte er, während er sich, nachdem er weiter vorwärts getreten war, seitlich auf eine Schulbank setzte ohne sie wirklich anzusehen. „...Ayanami hat auch so etwas gesagt, dass es mehrere Möglichkeiten gibt.“
 

Doch etwas an dem Gedanken, dass er vom jüngsten Tage selbst gehört haben könnte, ließ Yui doch entscheidend hellhörig werden:
 

„Wie viel weißt du?“
 

„Nicht viel.“ gab Shinji zu, wie man es mit einem Versäumnis tun würde. „Ich glaube ich werde langsam besser darin, aber es fällt mir immer noch schwer, die Sachen von der anderen Seite zu behalten. Ich... ich wünschte ich könnte mich erinnern, nicht nur an alles was passiert ist, sondern auch an dich zum Beispiel, oder an andere Menschen, die ich dort drüben gesehen habe...“
 

„Es ist besser wenn du es nicht tust. Glaub mir, es reicht, wenn sich einer von uns beiden daran erinnert.“
 

„Nein.“ widersprach er, sosehr es ihn auch grämte. „Ich... ich muss es wissen. Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich es wissen will, aber ich muss.“ So gern er auch vertröstet werden würde, er würde sich nicht vertrösten lassen. „Und deshalb brauche ich deine Hilfe.“
 

„Meine Hilfe?“ sie schien sich seine Worte jetzt erst mal nicht erklären zu können – ihr Hilfe. Hatte er das nicht schon die ganze Zeit? Oder meinte er das auf etwas bestimmtes bezogen?
 

„Es gibt so vieles, das ich nicht weiß...“
 

„Stell deine Fragen. Ich werde dir antworten insoweit das möglich ist.“
 

Okay. Shinji nahm sich einen Moment, um einen tiefen Atemzug zu nehmen und seine letzten Zögerlichkeiten herunterzuschlucken.
 

„Was ist SEELE?“
 

„Der Feind. Der wahre Feind, und der Grund für dieses ganze Debakel. “
 

Ein Feind. Wer die verheerte, blutrote Welt herbeiführen wollte, die er dort drüben gesehen hatte, konnte wohl tatsächlich nur ein Feind sein. Da waren die Engel, mit ihrer unmittelbaren, überwältigen Bedrohung, da war sein langer, nicht immer klarer Konflikt mit seinem Vater, doch irgendwo hinter den Kulissen schien noch ein weiterer, flüchtigerer Feind zu lauern, der sich allmählich wie der Schatten einer Wolke über alle legte, was ihm lieb und teuer ist.
 

„Du hast das von der anderen Seite, nicht? Dieses Wort sollte dir an dieser Stelle noch gar nichts bedeuten.“
 

„Und wann finde ich es heraus?“
 

„Meistens überhaupt nicht.“
 

„Du meinst dass ich diesen ganzen Kampf zichmal geschlagen habe, ohne diesem 'wahren Feind' jemals gegenüberzustehen?“
 

„Es gibt vieles, was du nie erfahren hast. Du warst ja nur ein Pilot. Es gab durchaus Menschen, die euch im Unwissen halten wollen, damit sie euch leichter zu ihren gewünschten Ergebnissen dirigieren können. Selbst Major Katsuragi wusste zunächst nur einen Bruchteil.
 

„SEELE ist eine Organisation die ein bestimmtes Interesse verfolgt. Ein bestimmtes Szenario, von dem sie sich eine Art Paradies versprechen. Sie sind Fanatiker, und um das herbeizuführen, was sie sich ersehnen, sind sie bereit, alles zu tun.“
 

Unweigerlich kam Shinji die Schattengestalt der alten Frau in den Sinn, die er dort drüben gesehen hatte, der er wie einer Lehrmeisterin ganz zutraulich zugehört hatte nur, weil sie inmitten des Chaos eine Erklärung zu haben schien – der Feind! - sie hatte sicherlich von einem Paradies geredet.
 

„Dann sind es Menschen?“
 

„Ist das schwer zu glauben? Es wurden schon sehr hässliche Verbrechen von Menschen begangen, besonders im Namen von Ideologie und Fanatismus.“
 

„Ich weiß!“ entgegnete Shinji, mit einer gewissen unterschwelligen Entrüstung darüber, wie sie darauf kommen könnte dass er in seiner Position als besserer Kindersoldat nicht darüber Bescheid wissen könnte. „Aber ein Third Impact würde doch bedeuten, dass wir alle sterben.
 

Arm oder reich, Japaner, Amis oder Europäer, alt oder jung, gläubig oder nicht – niemand würde übrig bleiben. Ich sehe schon ein, wie die Engel etwas davon haben würden, uns zu vernichten, oder warum jemand als Soldat oder Terrorist sein Leben hergeben würde, um ein Ziel zu erreichen, aber was bringt das wenn wir alle tot sind?
 

Es wäre eine Sache wenn sie uns beherrschen wollten, oder uns allen ihre Meinung aufzwingen, oder alle töten außer ihnen selbst, aber was würde irgendjemand dabei gewinnen, wenn wir alle ausgelöscht werden? Sie würden doch gleich mit vernichtet werden!!“
 

„Das kommt darauf an, was man unter Vernichtung versteht.“
 

„Was gibt es dabei denn zu verstehen?! Was könnte auch nur im entferntesten daran gut sein, wenn wir alle sterben?“
 

Shinji hätte erwartet, dass Yui weiter erklären würde, wohlmöglich auch, dass sie ihn am Ende entweder nur weiter vertrösten oder verwirren würde; aber nicht, das sie innehalten würde, als ob das simple Aussprechen dieser scheinbar offensichtlichen Tatsache eine tragische Sache wäre, die ihr nach allem, was sie gesehen haben musste noch eine sorgsam unterdrückte Gefühlsregung entlocken würde.
 

Der Ausdruck in ihren Augen beunruhigte ihn, ihre Stimme klang fast schon vorsichtig, als sie weitersprach:
 

„Es ist nicht, dass du unrecht hättest...“ und hier schienen ihre Augen merklich Leid zu tragen. „Versteh mich nicht falsch, wie man es auch dreht und wendet, ein Third Impact würde für die Menschheit, wie wir sie kennen, das Ende bedeuten. So siehst du es und so sehe ich es, aber mit SEELE und ihren Verbündeten steht es anders. Wenn ein Engel bis zu Lillith vordringen sollte, ist es für uns vorbei, aber es gibt auch für den Third Impact eine Vielzahl möglicher Szenarien – und in einigen davon würden wir nicht einfach sterben, sondern in eine andere Form transformiert werden. Die Menschen die du kennst wären alle fort, aber sie würden zumindest von einem bestimmten Gesichtspunkt aus weiter existieren, und die Mitglieder von SEELE vertreten die Meinung, dass diese Formen besser wären als die Art, auf die wir jetzt existieren.“
 

„Eine andere Form...? Was würde das überhaupt bedeuten?“
 

„Die Menschheit könnte zum Beispiel zu einer neuen Art von Wesen verschmelzen, dass einem Engel oder einem Evangelion sehr ähnlich wäre, oder ihre physische Gestalt ganz und gar ablegen.“
 

„Was...?! Wie würden die das überhaupt schaffen?!“
 

„Mit den Evangelions.“
 

„Was?!“
 

Shinji wünschte sich sehr, er könnte jetzt ungläubig oder überrascht sein, aber diese neue Information machte absolut Sinn, das Puzzlestück fügte sich nahtlos mit seine bisherigen Eindrücke und Ahnungen zusammen; Jede einzelne seiner durchaus intimen Erfahrungen mit diesen Bestien sagte ihm, dass sie etwas furchterregendes und gefährliches waren, dass jeder vernünftige Mensch vermeiden sollte, wenn er denn eine Wahl gehabt hätte.
 

Wenn er im Cage von EVA 01 stand und zu dem riesenhaften Cyborg-Hünen hoch blickte, sagten ihm sein Herz und seine Instinkte, dass er der dämonischen Fratze eines gehörten Ungeheuers gegenüberstand, und er hatte bis jetzt lediglich daran gezweifelt, weil seinem Verstand noch keine äquivalenten Argumente vorgelegt worden waren, doch nun wo dies geschehen war, hatte er keinen guten Grund, diese unterschwellige Überzeugung vor den klaren Anteilen seines Bewusstseins zurückzuhalten.
 

„Denk nach,“ fuhr Yui fort, als sei es ihr Anliegen, jeden seiner vagen, fetzenhaften Alpträume in seiner Argumentation zu bestätigen: „Ein Evangelion ist ein Wesen mit den selben Kräften wie ein Engel; Es muss so sein, weil es sonst nichts und niemand auf Augenhöhe mit ihnen aufnehmen kann. Ihre Existenz war gewissermaßen notwendig oder zumindest unausweichlich. Aber sobald die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist, ist es schwer, sie wieder zu verschließen, oder wieder einzufangen, was einmal aus ihr entwichen ist – Und so sehr man sich auch bemühte, ihre Macht durch Technologie zu kontrollieren und zu begrenzen, so bleiben sie im Kern doch, was sie sind: Kreaturen mit der Fähigkeit, diese Welt auszulöschen.
 

Ursprünglich suchten die Wissenschaftler, die die Evangelions entworfen haben, nur nach neuen Wissen, neuen Energiequellen und neuen Möglichkeiten, ohne die der Wiederaufbau der Welt nach dem Second Impact unmöglich gewesen wäre; Einige von ihnen waren in ihren Absichten sogar heroisch – Sie suchten nach der Macht, die vonnöten sein würde, um unsere Welt vor dem Verderben zu bewahren.“
 

„Woher willst du das wissen? Du hast doch gesagt, dass du nicht weiter in die Vergangenheit reisen kannst...“
 

„Ich weiß es, weil einige dieser Wissenschaftler meine Eltern waren.“ Da war es wieder, eine plötzliche Andeutung eines persönlichen Lebens, eine Erinnerung, dass sie einst als gewöhnlicher Mensch gewesen war, und nicht etwa eine abstrakte Verkörperung seines unglücklichen Schicksals – ein Moment, der freilich nicht weiter anhielt, weil sie ihn keiner besonderen Pause für würdig erachtete und zügig weitersprach, sodass ihr nächster Einwand alle Schlussfolgerungen über ihre Person überschatten:
 

„Aber mal angenommen, dass die Engel einmal alle besiegt sind... was glaubst du, was dann mit den EVAs geschehen wird?“
 

Hätte man ihm diese Frage früher gestellt, vielleicht in einem anderen, rein spekulativen Kontext, wäre Shinji wahrscheinlich davon ausgegangen, dass man sie wohl in irgendein Museum packen würde, wo spätere Generationen sie einmal bestaunen würden, wie Shinjis Generation heutzutage Kanonen und Hellebarden betrachtete, aber das machte keinen Sinn: Kanonen, Hellebarden und antiquierte Düsenflieger waren heutzutage obsolet und für die Realitäten moderner Kriegsführung durch und durch ungeeignet.
 

Trotz ihrer ersichtlichen Zerstörungskraft und aller Vernichtung, die sie in der Vergangenheit vielleicht einmal angerichtet hatte, musste heute keiner mehr ernsthaft befürchten, von einem Ritter mit einem Morgenstern erschlagen oder von einem Samuraischwert halbiert zu werden.
 

Ein Evangelon hingegen war schon per Definition eine noch nie dagewesen Waffe, die konventioneller Feuerkraft um mehrere Größenordnungen überlegen war, ein Quantensprung der mit dem Aufkommen von Eisenschwertern, Feuerwaffen oder gar Nuklearwaffen gleichzusetzen war – Die einzige verantwortliche Lösung, die man sich vorstellen könnte wäre, die Giganten permanent unschädlich zu machen, indem man sie zum Beispiel einschmolz oder in den Weltraum schoss, und selbst dann würde das Bestehen von alten Plänen oder schon das bloße Wissen um die Möglichkeit, dass so eine Waffe überhaupt geschaffen werden konnte, könnte die Welt für immer verändern.
 

Und je mehr Shinji klar wurde, in welche Richtung ihre Erklärungen gingen – nun, das hörbare Einatmen, das man dem Third Child äußerlich anmerken konnte, war nur die Spitze des Eisbergs.
 

„Dann wurde der Third Impact also gar nicht von einem Engel ausgelöst... sondern von einem EVA?“
 

„Nicht unbedingt. Aber ja, das ist ein denkbares Szenario.“
 

In dieser Aussage steckten gleich mehrere verheerende Paukenschläge, deren Implikationen nach und nach in Shinjis Wahrnehmung hinein brachen – Nicht nur, dass die Evangelions so gefährlich waren, nein, man hatte einen davon ausgerechnet ihm anvertraut, mit all seinen Schwächen und Fehlbarkeiten und überhaupt-
 

Wusste Ayanami davon? Wusste Asuka Bescheid? Hatte Misato es gewusst, und es ihm wissentlich vorenthalten?! Wenn er daran dachte, dass er all diese chaotischen Kämpfe bestritten hatte, ohne es zu wissen- Ohne zu ahnen, dass seine falsche Bewegung, nein, bloß ein falscher Gedanke-
 

Oh Gott. Ihm wurde immer wieder gesagt, dass er die Welt nur dann retten könnte, wenn er sich in seinen EVA hineinsetzte, und sicherstellte, dass er gewinnen würde, das alles verloren wäre, wenn er es nicht tat oder falls er verlieren sollte, doch nun schien es, als ob ihm diese große Blutschuld regelrecht auflauern würde, egal ob er nun gut kämpfen sollte oder nicht.
 

Dann, ein weiterer Gedanke, ein Funken von Verständnis:
 

Über die letzten Tage hinweg hatte er mit dem erdrückenden, verzweifelten Gedanken, gerungen, dass er die Aufgabe, die man ihm vorgesetzt hatte, schlichtweg nicht bewältigen konnte, dass seine Anstrengungen einfach vergebens waren, ja, sogar derartig hoffnungslos, dass es egal war, egal wie oft er es versuchen sollte.
 

Jetzt aber baute sich vor seinem geistigen Auge ein differenziertes Bild auf: Seine Lage war mit voller Absicht hoffnungslos gemacht worden, von einer neuen, verborgenen Bedrohung, von der ihm nie irgendetwas erzählt worden war – Der Kampf war nicht etwa vergebens, weil er es nie bis über die letzte Hürde geschafft hatte, ganz im Gegenteil: Wenn er es schaffen sollte – und das war scheinbar durchaus möglich – würde ihm Mitglieder seiner eigenen Spezies in den Rücken fallen und unerwartet zu Ende bringen, was die Engel begonnen hatten.
 

Man könnte durchaus an solche Level in Videospielen erinnert fühlen, die der Spieler von vornherein niemals gewinnen sollte; Allerhöchstens konnte man ein von Anfang an festgesetztes Zeitlimit erreichen, bei dem man dann zum Dank von einer unbesiegbaren Attacke überrollt wurde oder so etwas in der Art, aber wie man es auch konzeptualisieren wollte, die Würfel waren gezinkt, die Karten von vornherein abgezählt.
 

Und dann feuerte in seinem Kopf irgendeine entscheidende Synapse:
 

Was in der Zukunft sein würde, musste zwingend in der Vergangenheit seine Wurzeln haben, sprich, was für ominöse Feinde dieses Zukünftige Desaster auch zu verantworten hatten, es war höchst unwahrscheinlich, dass sie sich erst am Tage der Heimsuchung spontan in die Existenz hinein manifestiert hatten -
 

Sie saßen irgendwo da draußen, gerade jetzt, und wenn sie das zukünftige Unheil nicht eben jetzt aktiv planten und vorbereiteten, dann warteten sie bereits darauf, dass er ihnen in die Falle ging.
 

„Wer sind sie? Wo stecken sie? Weiß Misato-san davon?!“
 

„Wenn sie es nicht bereits ahnt, dann wird sie ziemlich bald anfangen, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen....“
 

„Sie wusste also nichts davon?“
 

„Nicht zunächst, nein.“
 

„...was stehen wir hier dann noch rum? Wir müssen es ihr sagen...-“
 

„Wir werden nichts dergleichen tun. Weiß du nicht mehr? Sie darf nicht wissen. Wir haben das bereits versucht und es ist übel ausgegangen.“
 

„Das sagst das und erwartest, dass ich es glaube, aber so wie die Dinge stehen könntest du mir so ziemlich alles erzählen...“
 

„Du misstraust mir?“
 

Das schien Shinji etwas aus seiner Defensive zu schütteln und rief ihm in Erinnerung, was er hier eigentlich tun wollte. „Nein, nicht unbedingt... Ich meine, ich verstehe dass es für dich schwer sein muss, mir alles immer aufs neue erklären zu müssen. Für dich macht es wohl genau so wenig Sinn, dass ich Dinge anzweifle, die wir eigentlich gemeinsam erlebt habe... Es ist nicht ganz die selbe, aber wir haben beide unsere Bürden zu tragen... Du hast diese Mission übernommen, weil die Erwachsenen jemanden brauchten, der es tun kann, du bist mit deiner Situation also gar nicht so viel anders als wir EVA-Piloten...“
 

An dieser Stelle konnte es auch Yui nicht entgangen sein, dass er sich besondere Mühe gab, seiner Situation mit Vernunft zu beginnen. Seine natürliche Tendenz, die Verantwortung von sich zu weisen und die sehr reale Ungerechtigkeit des ganzen zu beklagen war durchaus noch da, aber er erkannte die Notwendigkeit, aktiv teil der Ereignisse zu werden und versuchte, auch Yui's eigene Perspektive miteinzubeziehen, ja vielmehr noch, er versuchte seine eigene explizit zu kommunizieren, anstatt es als einen weiteren, unumstößlichen unfairen Fakt hinzunehmen, dass sie ihn nicht verstand:
 

„Ich weiß, dass du deine Gründe hast, das du Misato-san nicht dabei haben willst, aber von hier aus, wo ich stehe, macht das wenig Sinn. EVA-Pilot oder nicht, ich bin nur ein Junge. Ich hab nicht einmal einen Schulabschluss oder einen Führerschein. Msato hat ganz andere Möglichkeiten als ich. Außerdem vertraut sie mir, und ich ihr, und da scheint es kaum richtig, ein großes Geheimnis vor ihr zu verbergen, wenn ich keinen guten Grund dafür habe... Und wenn du mir das nur so sagst kann ich nicht wissen, ob das wirklich eine unumstößliche Wahrheit ist, dass ich's ihr nicht sagen kann, oder ob das nur deine Meinung ist.
 

Ich weiß, dass du mir aus was auch immer welchen Gründen nicht alles sagen kannst, aber du kannst mir offensichtlich zumindest etwas sagen, also komm mir bitte ein bisschen entgegen...“
 

Für einen Moment, in Ansatzpunkten und kurzen Andeutungen glaubte Yui fast den Schatten eines deutlich reiferen Gegenübers zu erkennen, des potentiellen jungen Mannes, der er am Ende dieses Jahres durchaus werden könnte.
 

Sie war nicht optimistisch genug, um es fest zu glauben, doch sie erlaubte sich zumindest die Ahnung, dass sie zumindest für einen Moment durch die Farce dieses ganze sich immer wiederholenden Schauspiels durchgebrochen hatte, und die dynamische, reale Person erreicht hatte, die da irgendwo darin steckte, sein aus diesem Traum erwecktes, erfahrenes Ich, oder zumindest der Keimling, der ihn einmal formen sollte.
 

Ihr Verstand wagte nicht, an diesem Eindruck festzuhalten, und doch glaubte ihr Herz ganz unverschämt, dass sie jetzt tatsächlich mit ihm sprach, anstatt nur wiedereinmal ihre altbekannte Rolle in diesem kosmischen Theaterstück vorzutragen.
 

„Du weißt, das Major Katsuragi sich für uns Piloten verantwortlich fühlt. Andererseits hat sie auch ihre ganz eigenen Gründe dafür, SEELE und die Engel besiegen zu wollen – dass macht sie zu einem sehr unberechenbaren Faktor, nicht zuletzt, weil sie sowieso ein emotionaler und bisweilen risikofreudiger Mensch ist... Es gibt wenig wozu sie im Falle eines Falles nicht fähig wäre.
 

Wenn wir es ihr sagen, können wir nicht wissen, was sie anstellen wird – das Szenario liegt nicht mehr in unseren Händen.“
 

„Das klingt, als ob du nur Angst hast, dass sie nicht das tut, was du willst. Oder was die Version von meinem Vater und Dr. Akagi aus deiner Welt wollen.“
 

„...was wir wollen, ist diese Zeitschleife zu durchbrechen und SEELE's Szenario zu verhindern. Das Gefüge der Ereignisse ist empfindlich, ich habe dir das von Anfang an gesagt.... Was glaubst du würde Major Katsuragi tun, wenn sie von alledem erfahren würde?“
 

„Das müsstest du doch besser wissen. Was wird sie schon so schlimmes machen?“
 

„Nun, meiner Erfahrung nach wird sie alles daran setzen, SEELE und andere Mitspieler in dieser ganzen Geschichte um jeden Preis aufzuhalten, und dich und die anderen Piloten dabei bestmöglich zu beschützen. Doch auch, wenn sie dabei mit den besten Ansichten vorgeht, ist es kaum zu vermeiden, dass sie eine große Abweichung von den vorgezeichneten Pfaden auslöst, dass sie sich anders verhält, als sie es tun würde, wenn sie nicht irgendwo einen großen Batzen an Information erhalten hätte, den sie eigentlich noch nicht haben dürfte – Glaubst du wirklich nicht, dass das nicht auffallen wird?
 

Dein Vater, Dr. Akagi, sogar SEELE... wie lange glaubst du wird es dauern, bis sie sich zusammenreimen, das Major Katsuragi alles weiß, und sich fragen, wo sie dieses Wissen herbekommen hat, wieso es überhaupt existiert? Und was denkst du, werden sie damit tun, wenn sie die Antworten dazu erhalten?
 

Das falsche Wort am falschen Ort kann schlimme Folgen haben...“
 

Shinji hatte diesen Satz schon unzählige Male aus ihrem Munde gehört, doch erst jetzt begann er zu ahnen, was alles dahintersteckte.
 

„Woher willst du das alles so sicher wissen...“
 

„Weil ich es selbst herausgefunden habe. Die NERV-Mitarbeiter in meiner Welt haben es gerademal so geschafft, den Reisemechanismus aus etwas zusammenzubauen, dass sie in einer alten Ruine gefunden haben. Dr. Akagi hat mir ein paar theoretische Gesetzmäßigkeiten im Abstrakten erklärt, aber damit war ich noch weit davon entfernt, zu verstehen, wie dieses ganze Spiel funktioniert...“
 

„Was denn für ein Spiel?“
 

„Das Spiel des Schicksals. Der Lauf der Dinge. Die Architektur von Szenarios. Lass es mich so erklären – das erste Mal, als du sagtest, wir sollen mit Major Katsuragi sprechen, hatte ich keine Gründe, dem nicht zuzustimmen – ähnlich wie du sah ich zuerst sogar große Vorteile daran.
 

Also habe ich ihr alles gesagt. Mich ihr ganz anvertraut. Ich habe sie sogar mein Reisegerät analysieren lassen...
 

Als es das erste mal nicht funktioniert war, haben wir es nochmal versucht und andere Variationen durchprobiert – zum Beispiel, es nur ihr zu sagen und sie darauf zu verpflichten, dem Rest von NERV nichts zu sagen. Wir haben Tag und Nacht daran gearbeitet, die kommende Heimsuchung zu verhindern, aber SEELE und ihre Verbündeten streben ihr eigenes Szenario schon seid einer sehr, sehr langen Zeit an und steuern die Welt seither aus den Schatten in die entsprechende Richtung, und das alles, um ihre Version des Third Impact unvermeidbar zu machen... - Nein selbst, wenn wir das Datum am 31. 12. 2015 verpassen sollten, wären wir dem Netzwerk nicht unbedingt entgangen – Sie haben noch mehr Kontingenzen und Ausweichpläne, als du dir vorstellen kannst, und viele davon erstrecken sich viele Jahre in die Zukunft... “
 

„Warte mal, Tag und Nacht? Aber du warst doch immer nur für kurze Momente in den anderen Zeitlinien-“
 

„...nicht zunächst...“
 

Diese zwei leisen, vorsichtige Worte zeichneten vor Shinjis geistigen Auge ein lange, schauerliche Geschichte ab.
 

Er fragte sich, wie lange es wohl gedauert hatte, wie lange, bis sie aufgehört hatte, jede einzelne Schleife komplett zu durchleben und mit den Menschen darin Tag und Naht zusammen zu leben? Wann hatte sie es nicht mehr fertig gebracht, Beziehungen aufzubauen, die in absehbarer Zeit ohnehin abgewischt würden wie eine Tafel? Wann genau hatte sie aufgehört, sie alle als reale Menschen zu sehen, die es bis aufs letzte zu beschützen galt, und begonnen, sie als austauschbare, hypothetische Geschöpfe zu sehen, die sie leichtfertig zugunsten ihrer nächsten Iterationen zurücklassen könnte?
 

Schließlich mussten sie ihr alle einmal so viel bedeutet haben, dass sie ihretwegen ihr eigenes Leben aufgegeben und sich ganz und gar diesem unmöglichen Himmelfahrtskommando zu widmen.... oder vielleicht war es für sie eher eine Sache der Pflichterfüllung gewesen, doch das ganze sagten dennoch einiges über ihre Persönlichkeit aus.
 

Shinji wurde klar das die Person, die er oder zumindest diese Version von ihm hier kennengelernt hatte, nicht unbedingt dieselbe Person war, die damals vor langer langer Zeit zu dieser Mission aufgebrochen war.
 

Die lange Reise hatte sie verändert, genau so wie den Stand ihres Wissens:
 

„Mit der Zeit habe ich dann gemerkt, was möglich war, und was nicht. Was sich verändern ließ, und was nicht. Wo die Eckpunkte und die Abbiegungen liegen, und die notwendigen Stationen, die wir durchschreiten müssen...
 

Es gibt viele Möglichkeiten, aber die meisten davon führen ins Chaos. Die Anzahl der tatsächlich stabilen Pfade ist in Wahrheit stark begrenzt.
 

Die Momente in denen sich wirklich etwas ändern lässt, liegen weit auseinander, und sind sehr leicht zu verpassen...
 

Unser Ziel ist also, den vorgezeichneten Pfaden bis zu diesen Gabelungen zu folgen, und an diesen so abzubiegen, dass wir ein günstiges Ergebnis erhalten, bis wir die letzte dieser Weggabelungen erreichen – Der Tag des Third Impact. “
 

Vor Shinji's geistigem Auge tat sich das Bild eines düsteren Waldes auf, voll schwarzer Schatten und dicht mit finsteren Dickicht, wo sich die Baumkronen wie ein Höhlendach über die wenigen Pfade neigten, die den Wald durchzogen, einige davon selten bereits und überwachsen, andere viel befahren und mit Pflastersteinen aus gedeckt, aber allesamt umgeben mit dichtem Gehölz, dass nur darauf wartete, all jene zu verschlingen, die sich vom rechten Wage wagten.
 

Er wagte es kaum, die nächste Frage zu stellen, kam sich gar vor, wie ein kleines Kind, das sich vor dem großen, bösen Wolf zu fürchten hatte, doch er wusste, dass er keine andere Wahl hatte:
 

„Und was geschieht dann?“
 

Yui hielt mit Bestimmtheit inne, um ihm fest in die Augen zu sehen.
 

„Wie viel weißt du?“
 

„Ich glaube, dass ich dort drüben etwas davon gesehen habe, aber ich hab da immer noch nur so ein ungefähres Gerüst von dem, was geschehen wird... Das Hauptquartier wird angegriffen, Shikinami-san übernimmt die Verteidigung, weil ich irgendwo fest stecke, und Ayanami ist irgendwo im Terminal Dogma beschäftigt, weil mein Vater ihr einen Befehlt gegeben hat, von dem sie nicht weiß, ob sie ihn ausführen soll, oder nicht...“
 

„Und du weißt nichts davon, was als nächstes geschieht?“
 

„...wenn ich dich richtig verstehe, gibt es doch gar kein nächstes Ereignis... oder es gibt mehrere.“
 

„Korrekt.... Ich kann nicht einmal mit Sicherheit behaupten, dass ich alle möglichen schon gesehen habe, aber ich kann zumindest sagen, welches die wahrscheinlichsten sind...“
 

„Nun dann. Erzähl. So gut du eben kannst.“
 


 

Hier nahm sich Yui einen Moment Zeit, sich halb auf einen Tisch zu setzen, vielleicht, um ihre Gedanken zu sammeln – wo sie Shinji einen Moment zuvor noch direkt angesehen hatte, blickte sie jetzt geradewegs an ihm vorbei und sprach in leisen, monotonen Tönen; Selbst sie konnte die Gewissheiten ihrer schrecklichen Zukunft wohl nicht aussprechen, ohne sich mental etwas davon zu distanzieren – Shinji fühlte sich an seine ersten paar Trainingseinheiten erinnert, wo er noch kaum fassen konnte, was da mit ihm geschehen war, doch auch einige Ähnlichkeit zwischen Ichijou und ihrem Gegenstück aus dieser Welt (Ayanami) trat dabei zutage –
 


 

Shinji selbst blieb nichts anderes übrig als ihr zuzusehen und zuzuhören, wie sie weiter und weiter sprach und die entsetzlichen Wirklichkeit trotz ihrer Schauderhaftigkeit trocken und abgekocht darlegte; sein Blick blieb an den Bewegungen ihrer Lippen hängen, weil seine Vorstellungen die Ereignisse, die sie da darstellte, kaum zu bebildern wussten – Sie sprach von seinem Leben, seiner Vergangenheit und vielleicht auch seiner Zukunft, doch für ihn blieben es abstrakte Worte, nur Drohungen von Vernichtung, Beschreibungen, die ihm nicht so viel sagen wie sie sollten, weil er sich darunter kaum etwas vorstellen konnte.
 


 

Die Offenbarung
 


 

„Was an diesem Tag letztlich geschieht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab – Unter anderen von den geistigen und körperlichen Zuständen der Piloten, sofern diese bis dahin überlebt haben, der Aufenthaltsort einiger wichtiger Artefakte und das Voranschreiten etlicher parallel laufender Pläne der zahlreichen Fraktionen und Mitspieler, und nicht zuletzt den persönlichen Entscheidungen, die einige der wichtigsten Mitspieler aus ihrem eigenen freien Willen heraus treffen –
 


 

Das wiederum hängt von den Verlusten ab, die wir in den vorherigen Kämpfen mit den Engeln verbuchen müssen, sowie von den Allianzen und Beziehungen, welche die wichtigsten Mitspieler bis dahin geschlossen haben – falls sie den Tag der Prophezeiung denn überhaupt erreichen.
 


 

Ich habe Durchläufe gesehen, in denen die Engel triumphieren, und wie jeder einzelne von ihnen alles was wir kennen durch eine neue, fremdartige Welt ersetzt, die wir kaum wieder erkennen würden, keine wie die andere und eine fremdartiger als die andere....
 

In anderen fällen tritt eine Art Pannensicherung ein, die dein Vater für den Fall einer solchen Niederlage vorgesehen hat. Ayanami geht dazwischen, bevor sich der Engel mit Lillith vereinigen kann. Damit schafft sie es irgendwie, den Ausgang dieser Vereinigung zu verändern, doch auch das bedeutet für die Menschheit, wie wir sie kennen, erstmals Gute Nacht.
 


 

Manchmal trat das Ende sogar ein, bevor der Engel Sachiel überhaupt in Tokyo-3 eintreffen sollte – Ein erster Testlauf mit Einheit Null geriet außer Kontrolle und mündete in einen Impact. Ein paar male hat dich der Engel sogar schlichtweg zertrampelt oder du bist von einem Trümmerstück erschlagen worden, bevor Misato dich überhaupt aufschnappen konnte...
 


 

Im Falle das alle Piloten sterben, sind die Mitarbeiter von NERV immer willens gewesen, sich selbst mitsamt des Hauptquartiers in die Luft zu jagen, aber das hieß oft einfach, dass niemand mehr übrig war, um den nächsten Engel aufzuhalten....“
 


 

„Und wenn wir es schaffen?“ fragte Shinji, nachdem er sich erstmal einen tiefen Atemzug gegönnt hatte.
 


 

Scenario #1
 


 

„Nun. Erst einmal gibt es die Möglichkeit, das das First Child sich trotz allem dazu entscheidet, den Befehl auszuführen.
 

Major Katsuragi wird den Plan zwar mit großer Wahrscheinlichkeit vor diesem Zeitpunkt in Erfahrung bringen und Dr. Akagi damit konfrontieren, doch dass ist meistens zwecklos und führt nur dazu, dass sich die zwei trotz ihrer ehemaligen Freundschaft gegenseitig erschießen.
 

Du selbst sitzt zu diesem Zeitpunkt irgendwo in der Geofront unter einer Treppe, und das Second Child sitzt in ihrem Entry Plug, im künstlichen See neben dem Hauptquartier –
 

Was dein Vater wollte, was er unter den Umständen für den einzigen Weg hielt, um sich SEELE zu widersetzen und die Menschheit zu erhalten, tritt ein -
 

Nicht was SEELE wollte, aber auch nicht wirklich eine Fortsetzung des Lebens, wie wir es kennen...“
 


 

„Dann ging es bei Vaters Befehl also so eine Art drastischen, verzweifelten Schritt...“ sinnierte das Third Child, auch an Anbetracht an die noch frische Erinnerung an seinen Befehl bei ihrer Mission am Rande des Vulkans.
 

Obwohl er sein Sohn war, war sich Shinji nicht sicher, ob er das mit Berechtigung sagenb konnte, aber das sah seinem Vater sehr ähnlich.
 

Vielleicht dachte er auch deshalb nicht sehr viel zu dem Moment verhaltener Stille, der Yui's Antwort vorausging: „So könnte man das sagen, ja.“
 

Es war keine Lüge, schließlich war dabei nichts davon gesagt, wie lange es schon her war, das Gendp Ikari zu dieser Verzweiflung getrieben worden war.
 

„Und wenn Ayanami es nicht tut?“
 

„...was ich eben beschrieben habe, ist eines der zwei häufigsten Szenarios, aber es gibt da auch noch das zweite...“
 


 

Scenario #2
 


 


 

„Einer der ersten Unterschiede für diesen Fall ist, das Dr. Akagi sich entscheidet, deinen Vater zu verraten. Sie hatte ihre eigenen Gründe, und ihr Versuch, sich gegen ihn zu stellen, war vergebens und endete mit ihrem Ableben, aber das hieß auch, dass Major Katsuragi sie nicht auffinden konnte.
 

Statt dessen entschied sie sich, dich aufzusuchen und dich zu deinem Evangelion zu begleiten, damit du Asuka an der Oberfläche zur Hand gehen kannst. Es erschien ihr wohl als die beste Möglichkeit, das äußerste noch zu verhindern – Doch sie wurde auf dem Weg zu den Cages angeschossen, und bis deinen EVA letztlich erreicht hast, war der Cage fast komplett mit Bakelit geflutet....
 

Währenddessen ging auf der Oberfläche der Angriff weiter, SEELE'S Evas leiteten die Eröffnungsrituale des Third Impact, was letzlich auch eine Reaktion bei EVA 01 zufolge hatte...
 

Einheit 01 aktivierte sich letzlich selbst, zerbrach das Bakelit und erlaubte es dir so, an Bord zu klettern.
 

Du bist natürlich sofort wie besessen an die Oberfläche gebraust, aber es war zu spät –
 

EVA 02 war vernichtet und die feindliches EVAs waren bereit für den Impact.
 

Asuka hat mit allem gekämpft was sie hatte – dafür, dass sie weit in der Unterzahl war, hat sie sich sehr tapfer geschlagen...
 

Aber die feindlichen EVAs hatten eine unbegrenzte Energiequelle, die dem Kern eines Engels nachempfunden war – eine neue Technologie, die ihr nicht zur Verfügung stand...Sie hatte von Anfang an keine Chance.“
 


 

„Dann hat SEELE also gewonnen?“
 


 

„Nicht unbedingt.
 

Wie ist jetzt nicht wichtig, aber irgendwie hat Ayanami unten im Terminal Dogma mitbekommen, was geschehen ist – oder zumindest, dass du in einer schwierigen Situation warst.
 

Sie ist dir auf die einzige Art zuhilfe gekommen, wie es ihr noch möglich war...
 

Sie hat sich dem Befehl deines Vaters widersetzt, und statt dessen...
 

Nun, man könnte es so sagen: In dieser Welt war sie es, die etwas verzweifeltes tat...“
 


 

„Um mir zu helfen?“
 

„Unter anderen. Sie hatte auch ihre eigenen Gründe, aber das war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte...“
 

„Und dann?“
 

„Ich habe vieles gesehen. Die ganze Menschheit, verschmolzen zu einer riesigen Kreatur – Manchmal hat sie ihre Flügel ausgebreitet und ist davon geflogen, um nun auf eine Art weiterzuexistieren. Manchmal hat sie sich auch einfach aufgelöst, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte. Ich habe gesehen, wie alles Leben sich in der Form von EVA 01 gesammelt, um eine neue, weniger verwüstete Welt zu besiedeln – Ich habe gesehen, wie alles Leben für immer in seinem Urzustand verweilt, wie alle Seelen auf ewig in einer einzigen organischen Suppe umherschwappen, während die Gestalt von EVA -01 wie eine Wächterin vergebens auf ihre Rückkehr wartet.
 

Es ist auch vorgekommen, dass Major Katsuragi deinen Vater aufgefunden und konfrontiert hat, bevor er seinen Plan ausführen konnte. In dieser Welt machte sie mir Dr. Akagi gemeinsame Sache und folgte ihm anstatt ihrer ins Terminal Dogma – anders als Akagi gelang es ihr, ihn zu erschießen, aber als sie dann Ayanami anwies, mit ihr zu kommen, um SEELEs Angriff abzuwenden, tat sie dennoch, was sie auch sonst an dieser Stelle tut, und alles gechieht so, wie es das sonst auch tut – Sie hatte wie gesagt ihre eigenen Gründe.
 

Das mit Abstand wahrscheinlichste Ergebnis ist aber, dass du überlebst.“
 

„Dass ich überlebe? Wie soll ich bei alledem bitte überlebt haben?!“
 

„Weil du dich dazu entschieden hast.“
 

„Was soll das heißen?!“
 

„Kennst du die Legende von Ragnarök, aus der nordischen Mythologie?“
 

„Der Krieg am Ende der Welt... Die Götter bekommen eine Prophezeiung über das Ende der Welt, und Odin, Gott des Krieges, der Weißheit und der Poesie und Stammesführer der Götter scheut keine Mühen und Opfer, um an Wissen zu kommen und das Ende damit hinauszuzögern – Doch am Ende hilft es alles nichts. Am Ende tragen ihre Versuche, dass Ende hinauszuzögern, sogar dazu bei, das es überhaupt geschieht, und geben ihren Feinde überhaupt erst Gründe, sie zu vernichten. Es gibt eine große Schlacht, die Götter gegen die Riesen und die mächtigen Kreaturen an ihrer Seite, und am Ende bringen sich die Götter und ihre Feinde gegenseitig um, und nichts bliebt...“
 

„Nicht ganz. Es gibt nach der Legende mindestens fünf überlebende.“
 

„Fünf..?“
 

„Einmal die Nornen, die drei Göttinnen des Schicksals – und dann zwei einfache Menschen, die sich in den Überresten des großen Weltenbaums versteckt hatten, ein Mann und eine Frau.“
 

„Und das... war ich?“ begriff Shinji, als ihm schlagartig klar wurde, worauf sie mit der Märchenstunde hinaus wollte.
 

„Manchmal warst du allein, meistens aber nicht. Oder zumindest nicht für sehr lange. Wenn du nicht schon mit Gesellschaft aufgewacht bist, ist dir nach einer Weile jemand nachgefolgt.“
 

„Wer?“
 

„Nun, es kann eigentlich fast jeder sein, den du kennst: Major Katsuragi, Kirishima-san....“
 

„Mit einer Ausnahme, nicht?“
 

„Zwei.“
 

Shinji dachte an den freundlichen Jungen zurück, den er in seinen Visionen bisweilen an Ayanamis Seite gesehen hatte.
 

„Meistens war's aber Asuka.“
 

„...Asuka?! Aber du hast doch gesagt, Einheit Zwei wurde zerstört...“
 

„Das wurde sie auch. Aber trotzdem ist sie zurückgekommen... So trostlos es auch klingen mag, dass ist gar nicht mal das schlimmste Szenario. Die Welt wurde verwüstet, aber die Möglichkeit für das Leben ist nicht vollkommen verlöscht... In der Legende, weißt du wie die beiden heißen?“
 

„Nein.“
 

„Lif und Lifthansir – Übersetzt 'Leben' und 'der Wille zum Leben'. Schon in fernster Vergangenheit erwarteten die Menschen, dass diese zwei Dinge alles überdauern sollten, solange von der Welt, auf der sie leben, noch irgendwas übrig ist – Vielleicht ihr beide die Urahnen einer neuen, besseren Menschheit werden können. Oder, wenn ihr zwei schon zurückgekommen seid, warum nicht auch noch andere?“
 

„...das ist doch Unsinn... Ich glaube nicht, dass du dich über mich lustig machst, aber was du da sagst klingt ganz danach... Ich muss zu meinem EVA, bevor irgendetwas davon passieren kann...“
 

„Ich bin mir nicht sicher, dass das allein viel helfen würde?“
 

„Warum nicht?“
 


 


 

Scenario #3
 


 

„Es gab da einmal eine Version von dir die ein wenig... rebellischer und sauertöpfischer war als gewöhnlich. Ich kann mich noch erinnern, dass er braune Augen hatte.
 

Als der letzte Tag kam und er den Cage voll mit Bakelit erreichte, verlangte er lautstark, dass der Eva sich aktivieren solle.“
 


 

„Und das... tat er einfach?!“
 


 

„Er hat sich schon etliche male ohne Energie bewegt, oder etwa nicht?
 

Du bist rechtzeitig eingetroffen, um Asuka zu helfen und zusammen habt ihr SEELEs EVAS scheinbar besiegt, aber dann haben sie ihre Energiequellen angeworfen, EVA 01 in ihre Gewalt gebracht und den Impact wie geplant durchgezogen.
 

Asuka blieb lebendig auf der Erdoberfläche zurück, aber nur, bis Ayanami dasselbe tat wie sonst auch, wieder von sich aus gegen den Willen deines Vaters.
 

SEELE haben auch nicht bekommen, was sie wollten, nicht mit dir und Ayanami im Zentrum des Prozesses, aber für die Menschheit, wie du sie kanntest, war es trotzdem das Ende...
 

Die Seelen der Menschen blieben aber dank eures Eingreifens verschont -
 

In den Meeren begann das Leben erneut – Zellen, Pflanzen, Tiere...
 

Unter den versteinerten Überresten von SEELEs EVAs gedieh schließlich eine neue Menschheit, und auch du und Asuka wurden in diese neue Welt wiedergeboren...
 

Alles in allem hätte schlimmer kommen können.“
 


 

„Schlimmer als das?!“
 

„Das ist zumindest ein Szenario, wo die meisten von uns zurückkommen können und die Welt wieder so wird, wie sie war...“
 


 

Scenario #4
 


 

„Es gibt da noch einen weiteren Faktor, neben Dr. Akagi, Major Katsuragi und Ayanami – einen Spion der japanischen Regierung, der sich bei NERV eingeschlichen hatte, und gar nicht so selten der Informant, von dem Major Katsuragi am Ende alles erfährt.
 

Zumeist musste er für seine Versuche, die Verschwörung aufzudecken, mit seinem Leben bezahlen, aber hin und wieder, so etwa in jeder 500. Schleife gelingt es ihm, zu entkommen, oder seine Ergebnisse zumindest vorher zu publizieren -
 

In einer solchen Welt sind Major Katsuragi und die anderen auf SEELE's Angriff vorbereitet, und was dich selbst und Asuka angeht, ihr steht in euren EVAs bereit, um ihn abzuwehren.
 

Zusammen gelingt es euch tatsächlich, SEELE's übermächtige EVAs zu besiegen -
 

bis auf einen, der euch beiden entkommt und bis ins Terminal Dogma vordringt.
 


 

Zum Impact kommt es nicht, aber das Ende vom Lied ist, das die untersten Etagen des NERV-Hauptquartiers inklusive Lillith's Kammer hinter einer speziellen Barriere verriegelt werden, und damit auch jeder, der sich zu diesem Zeitpunkt dort unten aufgehalten hat – Inklusive Dr. Akagi und deinem Vater.“
 


 

„Das heißt, die beiden sind -“
 


 

„Nicht unbedingt. Das NERV Hauptquartier und alle Sektionen des Komplexes sind darauf ausgerichtet, auch in völliger Isolation zu funktionieren, notfalls auch mit einer minimalen Menge an Personal.
 

Es ist gut möglich, dass sie dort unten fürs erste überlebt, ja sogar ihre Pläne weiterverfolgt hatte – aber an der Oberfläche konnte das niemand mit Sicherheit wissen.
 

Niemand konnte sagen, was aus den Tiefen des Hauptquartiers emporkommen würde, wenn man das Siegel aufbrechen würde, das den Hauptschacht unter Verschluss hielt, also war auch niemand willens, es aufzubrechen -
 

Niemand wollte es riskieren, die Büchse der Pandora aufzubrechen und damit vielleicht einen geflügelten, leuchtenden Riesen auf die Welt loszulassen - am allerwenigsten Major Katsuragi, die bereits den Second Impact aus nächster Nähe mitangesehen hatte...“
 


 

„Was?!“
 

„Sie hat es dir noch nicht gesagt?“
 

„Nicht so direkt...“
 


 

„Nach diesem Zwischenfall gab es erst einmal Ruhe, und die Welt, die zunächst wie erstarrt gewesen war, begann, sich weiter zu drehen.
 

Man begann ein Ermittlungsverfahren, aber die Mitglieder von SEELE hatten wenig Spuren hinterlassen und die zwei Personen, die das meiste Wissen über die genauen Hergänge der Verschwörung besessen hatten, waren in den Tiefen der Geofront verschollen.
 

Subcommander Fuyutsuki übernahm die Verantwortung und ging vor Gericht, aber obwohl er einiges auspackte, blieben einige entscheidende Details, die er niemals preisgab – Sein Geständnis war vermutlich ein strategisches Kalkül, sodass er selbst ins Gefängnis wandern, aber NERV als ganzes weiter bestehen bleiben würde, und dass aus gutem Grund:
 

Da sich die Prophezeiung nicht vollständig erfüllt hatte, stand die Möglichkeit, dass weder SEELE noch die Engel als Bedrohungen vollkommen eliminiert waren, noch durchaus im Raum.
 


 

Man traf also Vorkehrungen. Da die Materialien des Spions für ihre Loyalität bürgten, wurde Major Katsuragi anstelle des Commanders mit der Leitung von NERV betraut, und Lt. Ibuki übernahm an Stelle ihrer Mentorin die Leitung von NERV.
 

Für über zwei Jahre ging das Leben einfach weiter – Die überlebenden Piloten gingen zur Schule, das Personal von NERV entwarf neue Technologien und Waffen für die Evangelions und die Welt als ganzes rüstete sich für den Tag der Abrechnung, bis er schließlich auch kam...
 


 

Da sich der Third Impact nie ereignet hatte, war ein bestimmtes Artefakt, dass sonst zurückgekehrt und aus dem Verkehr gezogen worden wäre, auf der Oberfläche des Mondes verblieben – Und dort hatten die Schergen und Helfershelfer von SEELE einige spezielle Evangelions hinterlassen, die sich in so einem Fall aktivieren sollten, um zu Ende zu bringen, was in der Nach zum 1. Januar 2016 nicht zu ihrer Zufriedenstellung vollzogen worden war.
 

Es kam zu einer finalen Schlacht, die trotz aller Vorbereitung, dem besseren Training der älteren und reiferen Piloten und den fortschrittlicheren Technologien sehr verlustreich wurde, sowohl für NERV, als auch für die Menschheit als ganzes.
 

Erdbeben, Vulkanausbrüche und Erdspalten durchzogen die Erde; Menschen erstarrten am helllichtem Tage zu Salzsäulen, und auch die Piloten mussten schließlich das äußerste Opfer bringen...“
 


 

„Wir alle-“
 


 

„Von euch allen hat wohl Asuka die größte Chance, zu überleben, wenn auch nicht immer in einer Form, die dir vertraut wäre.
 

Und du selbst –
 

Wenn es dir gelingt, zu obsiegen, dann meistens nur um dem Preis, bis in alle Ewigkeit untrennbar mit deinem EVA zu verschmelzen. Und auch wenn du dort nicht unbedingt alleine bleibst, in dieser Form zu deinem Leben auf der Erde zurückzukehren, ist nicht sehr wahrscheinlich...-“
 


 

Shinji schluckte.
 

„Selbst, wenn wir gewinnen....-“
 


 

Scenario #5
 


 

„Genau.
 

Selbst, wenn sich der letzte Angriff niemals erst ereignet, sind wir nicht unbedingt aus dem Schneider.
 


 

Sobald die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist, lässt sie sich nicht mehr einfach so schließen –
 

Wenn sich der Impact ereignet, werden in der Regel alle existierenden EVAs dabei neutralisiert,aber
 

Evangelions sind allen konventionellen Waffen weit überlegen; Eine Regierung, die keinen EVA besitzt, kann jemanden der sehr wohl einen hat, nichts entgegen zu setzen -
 

Es ist also zu erwarten, dass sich die Mächtigen dieser Welt, die Politiker, Militärs und Milliardäre, sich früher oder später für die EVAs und ihre Technologien interessieren würden.
 

Die Bedrohung durch die Engel hat die Menschheit am selben Strang ziehen lassen, und die EVAs waren das Produkt dieses entschlossenen Versuches, das Unmögliche mit vereinten Kräften möglich zu machen, doch obwohl sie einst zum Schutz der ganzen Menschheit erbaut wurden, ist es nicht auszuschließen, das die Menschen sie am Ende gegeneinander richten könnten -
 

Nach SEELEs Verrat ist es kaum noch eine undenkbare Sache.
 


 

Solange SEELE die ganze Welt aus den Schatten heraus kontrolliert,
 

und NERV deshalb das exklusive Monopol auf den Gebrauch von EVAs hatte, wäre dies nicht möglich, aber wenn SEELE einmal fort ist und sich das resultierende Machtvakuum mit Andersdenkenden füllt, könnte es zu einem neuen kalten Krieg kommen...
 


 

Nein, das ist das mindeste, das passieren könnte. Die EVAs sind gefährlich. Es handelt sich um Kopien von Geschöpfen,die ganze Biosphären vernichten oder umzuschreiben vermögen.
 

Ob es mit Absicht geschieht, oder aus Fahrlässigkeit, ob das ganze von den letzten Überresten von SEELE eingefädelt wird, oder sich die Bewohner der Erde höchst selbst in den Abgrund stürzen, eine charakteristische Kette von Ereignissen setzt sich schon bald nach dem Verstreichen des Datums in Bewegung, an dem sich sonst SEELE's Angriff ereignet hat.
 


 

Was mich die Handschrift verbliebener SEELE Mitglieder vermuten lässt, ist das die Kettenreaktion meist in Europa beginnt, wo sie ihren Hauptstützpunkt haben. Nachdem der dortige NERV- Stützpunkt durch politische Schachzüge Rückkehr von EVA 02 erreicht hatten, begann man dort auf eigene Faust mit dem Bau einer neuartigen AT-Feld Waffe, vielleicht eine von SEELE's Kontingenzplänen.
 


 

Zuerst schien es, als hätte eine Eskalation geradeso verhindert werden können – Der Stützpunkt nahe Berlin wurde mitsamt der Waffe und EVA 02 rechtlos vernichtet; NERV kümmerte sich selbst darum, bevor die internationale Gemeinschaft davon Wind bekommen konnte – Du selbst hast das AT-feld von EVA 01 benutzt, um die Explosion von besiedelten Gebieten fernzuhalten und statt dessen auf den Inhalt eines bestimmten Radius zu beschränken.
 

Doch das reichte nicht aus – Die Waffe ging ihnen zwar verloren, aber sie war vermutlich gar nicht für EVA 02 bestimmt gewesen, sondern für einen anderen, wichtigeren Bestandteil des Plans, der nicht aufgespürt werden konnte, bevor es zu spät war.
 


 

Wer auch immer es in Auftrag gegeben hatte, hatte es in einer verarmten, abgelegenen Gegend des Planeten erbauen lassen, wo selbst breite Verwüstung eine weile brauchen würde, um aufzufallen. Hat SEELE direkt dahinter gesteckt? Oder war es eine gewöhnliche Regierung, die bei der Konstruktion einen Fehler machte? Haben Reste von SEELE gar ein Angebot an irgendwelche Politiker oder reiche Firmenbesitzer gemacht, aber ihn über dessen wahre Natur betrogen?
 

Es ist schwer, die Ereignisse zu rekonstruieren, weil keiner, der darin involviert waren, hinterher befragt werden konnte – Die Erbauer wurden vermutlich die ersten Opfer dessen, was sie Projekt FORTUNA nannten.
 

Es handelte sich um eine Art Evangelion, nur, dass er sobald er aktiviert wurde, durch seine bloße Existenz eine Katastrophe heraufbeschwor – Eine Umwandlung einer bestimmten Art von Lebensform in eine andere, wie SEELE sie einst im großen Maßstab angestrebt hatte, aber in einer langsamen, unvollkommenen und chaotischen Form – Statt die ganze Menschheit auf einmal in einem großen Ritual zu transformieren, verbreiteten sich die Veränderung wie eine Art Seuche.
 

Vielleicht war es eine Resonanzreaktion, die FORTUNA durch sein AT Feld auslöste...
 


 

Es begann mit einer mentalen Kontamination, der mit der Zeit auch physische Mutationen nachfolgten. Normale Menschen verwandelten sich in wilde Bestien. Die Mutationen grassierten in der Bevölkerung wie ein Virus und die Zahl der Menschen als intelligente, rationale Wesen wurde auf einen Bruchteil ihrer vorherigen Anzahl dezimiert – Und die übrigen Menschen hatten oft keine andere Wahl, als ihre früheren Brüder und Schwestern zu vernichten, um ihre eigene Haut zu retten.
 

In einigen Versionen dieses Szenarios belief sich die ganze Menschheit auf die Bevölkerung einer einzigen Stadt, die von einem modifizierten AT-Feld vor der Kontamination geschützt blieb – Die Geofront wurde also tatsächlich zur letzten Festung der Menschheit.
 


 

Ich weiß nicht in wieweit dein Vater sich noch erhoffte, seine eigenen Ziele zu erreichen, aber mit denen SEELEs wollte er sich nicht abfinden, und schon gar nicht mit einem bloßen Unfall. Er führte also eine Mission an, um FORTUNA zu finden und zu vernichten, mit dir und Ayanami als die ausführenden Arme – Kein ungefährliches Unterfangen, da vor allem EVA 01 eine neue Technologie verwenden sollte, bei der der Pilot wesentlich tiefer mit dem Evangelion verflochten werden muss...“
 


 

„Was ist mit Shikinami?“
 

„Sie hatte mit der Verschwörung nichts zu tun, aber als eine Angestellte der europäischen Außenstelle wurde sie wie eine Verdächtige behandelt – zudem verlor sie ihren EVA in der ersten Explosion. Sie hat diesen Verlust ihrer Position nicht sehr gut verkraftet.
 

Sie tat wohl etwas unvorsichtiges, um ihre Loyalität zu beweisen, oder jedenfalls hoffe ich es – Aber in den meisten Iterationen, die diesen bestimmten Pfad entlang strömen, verlieren wir sie. Sie endet meist als eine von den Tiermenschen.“
 

„...!“
 

Shinji begann langsam, ein Muster darin zusehen – Wieso war es eigentlich immerzu Shikinami, die direkt den Kürzeren ziehen musste? Und überhaupt...
 

„Und wen man... vorher etwas ändert? Bevor der Angriff geschieht?“
 


 

Scenario #6
 


 

„Abweichungen, die vor dem Tag des Angriffs eintreten, treten auch auf. Im Nachhinein glaube ich sogar, dass meine eigene Iteration auf ein solches Ergebnis zugesteuert wäre, wenn ich ihr bis ans Ende gefolgt wäre...
 

Diese Version verläuft wie die anderen bis auf einige kleinere Abweichungen und Vorzeichen ähnlich, bis zwölf Engel von überwältigender Macht vom Himmel herabsteigen, oder vielleicht ein Engel mit zwölf Formen –
 

Und er ist es, der das Hauptquartier statt SEELE's Angriff an den Rand der Vernichtung bringt.
 


 

Zumeist wird zunächst der ganze nordamerikanische Kontinent vernichtet, zusammen mit den Evangelions 05 und 06 – Das heißt, die Versionen von ihnen, die in dieser Realität vorkommen.
 

Das Personal von NERV ist hilflos, als die Engel auch das Hauptquartier in Schutt und Asche legen;
 

Dabei werden auch meistens die Ruinen von Arqa gefunden,mitsamt der Geheimnisse, die sich darin verbergen...
 

Wir schaffen es zwar, das Schlimmste abzuwenden, doch man ist nach all dieser Verwüstung kurz davor, das ganze Projekt aufzugeben; Außer deinem Vater und Dr. Akagi bleiben wenige Verfechter des Plans übrig, auch wenn sie jetzt frei sind, ihre eigene Variante zu verfolgen -
 

Das heißt, wenn Dr. Akagi zu diesem Zeitpunkt noch im Hauptquartier ist – wenn ja verrät sie deinen Vater in diesem Szenario meistens eher nicht, doch es kann sein, dass sie gefeuert und ersetzt wird, nachdem sie durch ein Versehen einen Eindringling ins Hauptquartier vordringen ließ...“
 


 

Das klang ja wiedereinmal schmackhaft. „Und Shikinami?“
 

„Meistens noch in einem Stück, wenn auch nicht immer in bester Verfassungen. Es gibt jedoch Ausnahmen, wo sie schwer verletzt wird, als sie in einem Kampf dein Leben gerettet hat, oder andere wo sie, gelinde gesagt den Verstand verloren hat.“
 

„...?!“
 

„Das Werk eines Engels.“, setzte Yui hinzu, was nicht der ganzen Wahrheit entsprach, aber in diesem Fall erst einmal genug sein würde. Sie würde ihn erst mal in dem Glauben lassen, dass es einfach so etwas wie ein Verwirrungsstrahl gewesen wäre.
 

„...wie geht es weiter?“
 

„Ihr – Also, Misato und die anderen, sofern sie es bis dahin geschafft haben, entscheidet euch, das verwüstete Hauptquartier nicht zu verlassen. Oder vielmehr wart ihr nicht dazu in der Lage.“
 

„Wieso nicht?“
 

„Ayanami Rei. Sie war nicht in der Verfassung, das Labor zu verlassen.“
 

„...was ist passiert?“
 

„Nichts. Tatsächlich ist das einer der seltenen Versionen, in der ihr nichts weiter zustößt. Es ist ja nicht so, als ob man ewig leben könnte, wenn man allen Unfällen aus dem Weg geht.“
 

Ihr lag es also immer noch am Herzen ihn zu überzeugen, jede Hoffnung für Ayanami entgültig aufzugeben – Mit anderen Worten, 'Selbst wenn du sämtliche Gefahren von ihr abwenden könntest, würde sie von alleine sterben'? Wenn dem so wäre hätte sie es wohl direkt so gesagt, aber sie schien nichts dagegen zu haben, wenn er mit diesem Eindruck davonkommen sollte.
 

Ansonsten konnte er sich jedoch denken, das sie auf Ayanamis nur vage bestimmte und doch sichtlich angedeutete gesundheitliche Probleme anspielte – Es hatte sich wohl zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt irgendeine Komplikation ergeben.
 

„Und dann...?“
 

„Es kam zu einer großen Schlacht, die sich letztlich auf dem Mond zutragen sollte. Dabei besteht natürlich eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass es zu Kollateralschäden kommt, und damit meine ich nicht nur solche von materieller Natur. Am häufigsten verlieren wir den Commander.“
 

Shinji wusste nicht, was er dazu jetzt großartig fühlen sollte – Es ging hier schließlich um den rein potentiellen Tod eines Mannes, den er selbst in seiner eigenen Realität kaum gekannt hatte.
 

Natürlich würde er sich mit solchen widersprüchlichen Gefühlen gar nicht erst herumschlagen müssen, wenn dergleichen niemals geschehen würde – auch wenn er sich, nicht ganz ohne ein gewisses maß an Neid und Missgunst, für dass er sich selber schon zu schämen wusste, wohl denken konnte, dass sich sein Gegenüber darunter schon eher etwas vorstellen könnte, und dass ähnliches auch für 'seine eigene' Version von ihr (also Ayanami) gelten sollte.
 

Es schien, als ob sie seinen Verlust als ebenso tragisch betrachten würde, als wenn es Asuka oder Misato wären, die solch ein grausiges Ende erleiden mussten – und vielleicht traf das aus ihrer Perspektive ja auch zu, vor allem wenn sie wie Misato oder Asuka nicht besonders nahegestanden hatte, wie es zumindest bis jetzt auch für Ayanami der Fall war.
 

Es schien respektvoll, sich das ganze nicht anmerken zu lassen, doch ob sie seine Verstimmung nun bemerkte oder nicht, so gab es doch etwas, das sie diesbezüglich gewusst wissen wollte:
 

„Er sagte in seinen letzten Zügen noch, dass du auf jeden Fall überleben solltest. Er wollte, dass du auf eigenen Füßen stehst und dich um alles übrige kümmerst...“
 

„Dann hat er also bis zum Schluss immer alles auf mich abgewälzt, eh?“
 

Die Worte traten etwas schärfer heraus, als Shinji sie berabsichtigt hatte, und Yui schien dies als ein Signal dafür zu verstehen, dass sie vielleicht sogar eine Grenze übertreten hatte, auf jeden Fall aber, dass keine weiteren Kommentare erwünscht waren, sodass sie alles weitere, was es diesbezüglich zu sagen gegeben hätte fest hinter ihren Lippen versiegelte, als sei es eben ein weiteres Stück Wissen über die Zukunft, von der sie niemandem erzählen konnte, noch etwas, dass sie bei sich behalten musste, weil ihr niemand glauben würde.
 

Shinji selbst fand sich in einem Zwiespalt wieder – Natürlich wäre ihm nichts lieber, als dass sie seine Interpretation der Dinge widerlegen würde, aber was, wenn sein Verdacht sich statt dessen erhärten sollte?
 

Und selbst, wenn er die Antwort erhalten sollte, nach der er sich sehnte, woher wüsste er, dass er ihr trauen konnte? Selbst, wenn Yui ihn nicht aus Hinterlist belügen würde, mit einer Illusion die bezweckte, seine Gefühle zu schonen, konnte er genau so wenig anfangen; Vielleicht war es ja auch sie die da nur sah, was sie sehen wollte, und selbst wenn nicht, was sollte es für ihn selbst und sein Leben schon bedeuten, was irgendwo da draußen in einer anderen Realität vorgefallen sein mochte?
 

Das bloße Wissen, dass irgendetwas in irgendeiner potentiellen Welt theoretisch möglich war, machte es in der Praxis nicht weniger unerreichbar, oder das zumindest versuchte er sich selbst weiszumachen, wusste er doch, das ihn der gleißende Stern dieser Möglichkeit tagtäglich verhöhnen würde, wenn er sich erlauben sollte, sie zu akzeptieren.
 

Er ließ die Sache also auf sich beruhen und wendete sich anderen Dingen zu; Das diese tatsächlich dringlicher waren, war in diesem Kontext lediglich ein sehr bequemer Umstand.
 


 

„Je mehr wir versuchen, diesen Tag zu verhindern, umso schlimmer wird es! Können wir das ganze nicht umlenken, bevor es überhaupt soweit kommt? So dass die Umstände, die dazu führen, gar nicht erst eintreffen?“
 

„So viel Spielraum haben wir nicht. Wir müssen sicherstellen dass wir das, was wir verhindern wollen, nicht selber auslösen, aber wir dürfen uns auch nicht zu weit von den vorgeschriebenen Pfaden entfernen. Auf den Pfaden ist es schwer, sich der Strömung zu entziehen, aber jenseits davon liegt nichts als unberechenbares Chaos.
 

Weißt du noch, als ich dir sagte, dass ich diese Iteration sofort aufgegeben hätte, wenn Asukas Ankunft hier etwas anders verlaufen wäre?“
 


 


 

Scenario #7
 


 


 

„Das erste mal, dass ich es mit einer Iteration dieses Typs zu tun hatte, machte ich mir erstmal große Hoffnungen.
 

Nicht nur, dass wir dieses mal Mari auf unserer Seite hatten, alles schien wie am Schnürchen zu laufen; Du hast deine Rolle schneller akzeptiert und dich vergleichsweise gut darin gemacht, Verbindungen zu knüpfen, sei es mit Major Katsuragi, Asuka, Rei oder sogar mit deinem Vater – Selbst Asuka und Rei schienen sich untereinander zu vertragen...“
 


 

„Wirklich?“
 

Es schien kaum möglich – und um so besorgniserregender schien es ihm, das Yui's Gesichtsausdruck und Tonfall sich dabei kein bisschen aufgehellt hatten.
 

„Vielleicht war es ja gerade deshalb, dass du dir mehr zugetraut hast, oder vielleicht hatten sich die Rückstände der vorherigen Durchgänge in deiner Erinnerung einfach einen kritischen Punkt überschritten...
 

So oder so, du hast das Gefüge der Ereignisse wirklich aus den Fugen gebracht.
 

Es wird ein Tag kommen, an dem du dem mächtigsten aller Engel gegenüberstehst, zumindest was die reine Zerstörungskraft angeht... Alle anderen Verteidigungsmechanismen wurde überwunden, alle anderen Piloten besiegt. Der Feind steht vor den Toren.
 

Für gewöhnlich versuchst auch du dein bestes, ihn zu bezwingen... Du schaffst es nicht, aber ohne deinen Beitrag wären wir dennoch verloren gewesen – Irgendwie gelang es dir, einen unglaublich hohen Synchronwert zu erreichen, und als Reaktion darauf geriet der EVA außer Kontrolle und zerstörte den Engel -oder so zumindest lief es bis dahin jedes einzelne mal...
 

Doch dieser Durchgang war anders.
 


 

Bis dahin hatte ich einige Instanzen gesehen, in dem ein Pilot die vollen Fähigkeiten seines Evangelions anzapfte, die für gewöhnlich versiegelt sind, aber noch niemals in diesem Ausmaß.
 

Weißt du noch, als du mit Asuka in EVA 02 geklettert bist und ihr beiden zusammen einen neuen Synchronwert aufgestellt habt?
 

Was ihr da erlebt habt, ist wie der winzigste mögliche Bruchteil der Macht, die du in dieser anderen Welt erlangt hast.
 

Ich habe Mari noch darüber hinaus gehen sehen, und auch Asuka, meistens bei ihrem letzten Kampf, aber niemals so wie du. Du hast das Limit nicht nur überschritten oder gesprengt, sondern sie regelrecht fortgeblasen, als ob sie niemals existiert hätten.
 

Als ich in den Himmel sah, konnte ich kaum verstehen, was geschah; Was ich sah lag jenseits meiner wildesten Träume, EVA 01 war kaum noch wiederzuerkennen...
 

Du sahst aus wie ein Gott, und Mari sagte mir, dass es in diesem Augenblick nichts gab, dass du nicht hättest vollbringen können...
 


 

Aber du konntest es nicht kontrollieren.
 

Wie auch? Bis zu diesem Tag hatte dir nie jemand gesagt, was die Evangelions wirklich sind.
 

Du warst dir deiner eigenen Macht nicht bewusst und hattest nicht den blassesten Schimmer, was du dort eigentlich tust – du hattest nur aus Verzweiflung gehandelt und warst bereit dir jedes bisschen Kraft zu greifen, dass der EVA dir zur Verfügung stellen würde.
 


 

Deine ganze Aufmerksamkeit lag auf einem einzigen Ziel, dem du dich mit ganzer Willensstärke gewidmet hattest, und deshalb war es wohl auch, das du dir die gewaltigen Kräfte des EVAs zu eigen machen konntest, und sei es auch nur für einen Moment-
 

Aber in dem Augenblick, in dem du dein Ziel tatsächlich erreicht hattest und dir erlaubtest, auch nur einen Wimpernschlag lang in der Erleichterung des Sieges zu schwelgen anstatt dein ganzes Bewusstsein darauf auszurichten, den EVA deinem eisernen Willen zu unterwerfen, in diesem Augenblick von... Menschlichkeit... sollte der EVA dich überwältigen, und dein Bewusstsein verging an einem stärkeren Dasein.
 

Und damit war nichts mehr da, um den völlig entfesselten EVA zu beherrschen, nichts was ihn daran hätte hindern können, zu seiner ursprünglichen Natur zurückzukehren...“
 


 

„Und was... genau bedeutet das?“
 

„Es bedeutet das ende der Welt.“
 

Shinji schluckte.
 

„Als der EVA das erste mal außer Kontrolle geriet, verlief das ganze zu eurem Gunsten: Er hat dich beschützt und euren Feind geschlagen. Und trotzdem fürchten sich Dr. Akagi und die anderen, trotzdem betrachten sie einen entfesselten EVA als eine schreckliche Sache... Ist dir dabei nie ein Widerspruch erschienen? Hast du dich nie gefragt warum?“
 

Angesichts dieser Frage tat sich in Shinjis Brust eine gähnende Leere auf, die danach schrie, mit Antworten gefüllt zu werden – oder vielleicht machte sie ihn nur auf die Ungewissheit aufmerksam, die ihn von Anfang an verfolgt hatte, und auf alles, was er immer noch nicht wusste.
 

„Ich... ich weiß nicht...“
 

Es schien nie einer Antwort zu bedürfen. Die EVAs waren furchterregende Dinge; Sich zu fürchten war immer als eine sehr natürliche Reaktion erschienen.
 

Sie waren zuerst einmal Waffen, und eine Waffe, die außer Kontrolle geriet, müsste doch wohl jeden Angst machen -
 

Nur, dass dies nur die Hälfte der Geschichte war.
 

Da war noch etwas anderes, ein instinktives Gefühl des Vertrauens, dass ihn schon seiner Unerklärlichkeit wegen beunruhigen sollte, sich aber anfühlte wie das natürlichste und banalste von der Welt – wenn einem die eigene Mutter frühmorgens beiläufig eine gefüllte Brotdose mitgab, würde wohl kaum jemand in Betracht ziehen, dass der Inhalt vergiftet sein könnte, obgleich dies keinesfalls unmöglich war und auf dieser großen, weiten, chaotischen Welt sicherlich schon mal vorgekommen war.
 

Was diese Frage ihm ins Bewusstsein rief, war die unterschwellige, instinktive Existenz eines impliziten Vertrauens, wo explizit und berechtigt nur ein abgrundtiefes Grauen existieren dürfte.
 

Er konnte zwar behaupten, nicht alle Details gewusst zu haben, aber hatte er nicht von Anfang an auf intimste Art und Weise erfahren, dass die EVAs schauderhafte Bestien waren?
 

Er wusste, dass er nichts weiter davon wissen und diese Handlung mit Sicherheit bereuen würde, aber er war doch versucht, weitere Fragen zu stellen:
 

„Das heißt, wenn ich zu weit vom Szenario abweiche, führt dass direkt zum Third Impact?“
 


 

„Nicht unbedingt. SEELE hatte viel Zeit um für alle möglichen Verläufe zu planen und verfügt über Mittel und Wege, einen außerplanmäßigen Impact zu unterbinden.
 

Am Tag der Prophezeihung können sie nicht ausweichen weil sie nur dann ihre eigenen Pläne verwirklichen können, aber es darf für ihre Zwecke auch nicht vorher geschehen.
 

Andererseits sind ihre Methoden nicht perfekt, und solange der Prozess unterbrochen wird, bevor er vollständig abläuft, ist ihnen alles egal – Die Menschheit brauchen sie nicht und kümmert sie einen Dreck, es ist sogar ein Vorteil, wenn ihnen nicht mehr zu viele von ihnen im Weg stehen.
 


 

Bestenfalls wird ganz Tokyo 3 vernichtet und abgeriegelt und das ganze überlebende NERV-Personal in Gewahrsam genommen; Schlimmstenfalls wird ein großteils der Biosphäre vernichtet mit Major Katsuragi und allen anderen, die sich sozusagen im Auge des Sturms befanden, als den einzigen Überlebenden. Ob nun aber alles direkt zerstört wird oder nicht, EVA 01 wird auf jeden Fall versiegelt, und damit verliert NERV seine stärkste Waffe. Es wäre ein leichtes, das Hauptquartier vom Militär einnehmen zu lassen, und nicht unwahrscheinlich, dass ein Engel ins Terminal Dogma eindringt und nur um einen sehr hohen Preis versiegelt werden kann.
 

Auch wenn sowohl dein Vater als auch Mari sich zunächst denken dass sie ihre Pläne schnell umsetzen können, wird alles oft kompliziert und langwierig; Das Geheimnis um die wahre Macht der EVAs ist natürlich aus dem Sack, und das erzeugt Chaos.
 

Major Katsuragi entschließt sich oft zu eigenmächtigen Handlungen und stellt sich offen gegen NERV und SEELE – Es gibt auch hier viele Variationen, aber das Ende ist oft gleich:
 

In 70% Prozent der Fälle ereignet sich ein Third Impact wenn nicht auf der Stelle, dann sehr bald.
 

In der ersten Iteration, die ich beobachten konnte, schloss sie sich mit Kaji Ryoji zusammen, der als Mitglied der Ermittlungsabteilung über wertvolle Informationen verfügte, aber schon früh in diesem Konflikt sein Leben ließ.
 

Bald darauf ereignete sich ihre Konfrontation mit Dr. Akagi, doch dieses mal verlief sie anders und Akagi schloss sich ihr an, und es war Subcommander Fuyutsuki, der als einziger letzter Verbündeter deines Vaters und seines Plans zurückblieb -
 

Aber mit Dr. Akagis Loyalität hatte Major Katsuragi eine bedeutende Ressource auf ihre Seite gezogen, und auch Mari verbündete sich mehr oder weniger mit ihrer Fraktion...
 

Vielleicht wäre alles kurzer und schmerzloser gelaufen, wenn sie nie eine Chance gehabt hätte, aber so wie die Dinge standen, sah sich Katsuragi als die letzte Hoffnung für die handvoll überlebender Menschen, die letzten von uns.
 

Sie kämpfte mit allem was sie hatte und es wurde ein langer Kampf.
 

Da der Tag der Heimsuchung auf das Ende des letzten Engels folgen sollte, stellte sie sicher dass dieser nicht zerstört, sondern versiegelt wurde – daraufhin schickte SEELE die Armee auf sie los, der Tag der Prophezeiung ereignete sich und der unterbrochene Beinahe-Impact setzte sich fort.
 


 

Am Ende blieb von der ganzen Erde nur ein einziges, verpestetes Ödland übrig, in dem die Menschheit so wie wir sie kennen, kaum überleben könnte. Das Maß der Zerstörung war nicht immer gleich, mal ab es hier und da vereinzelt grüne Oasen und verstreute überlebende, aber die Zivilisation wie du und ich sie kannten war auf jeden Fall unterbrochen; Im besten Fall gab es eine Verwüstung in dem Ausmaß, wie sie schon der Second Impact mit sich brachte.
 

SEELE hatte ein Geschwader von automatischen, autonomen Evangelions vorbereitet, und vollautomatische Fabriken, um sie massenweise herzustellen;
 

Katsuragi und die anderen mussten sich mit neuen Technologien behelfen und mit dem, was sie ihren Feinden abknöpfen konnten.
 

Trotzdem schaffte sie es nicht selten, SEELE für ganze 14 Jahre standzuhalten.
 

„Major Katsuragi... nein, alle, die an ihrer Seite gekämpft und überlebt hatten, hatten zu diesem Zeitpunkt über ein Dutzend Jahre in einem niemals endenden Krieg verbracht. Fast alles und jeder, den sie jemals gekannt hatten, wurde beim Third Impact vernichtet, und ihr Leben bestand seither nichts als Schmerz und Entbehrung,für viele, lange Jahre, länger als sie dich je gekannt hatten, länger, als du überhaupt gelebt hast.
 

Die jüngeren Mitglieder in ihrer Organisation würden sich nur begrenzt an die Welt davor erinnern, für andere, wie zum Beispiel Asuka, wäre es die Hälfte ihres Lebens, in der sie nichts anderes getan hätten, als wieder wieder gegen SEELE ins Feld zu ziehen...
 

Die alten Männer selbst waren schon lange fort, doch sie hatten allerlei Pläne und Werke zurückgelassen, um den kläglichen Rest der Menschheit wieder und wieder aufs neue in die Vernichtung zu führen...
 


 

Und das vielleicht bitterste ist, dass dies von allen Möglichkeiten, die von diesem Zeitpunkt an noch möglich waren, die am wenigsten Schlimme war.
 


 

Wenn du diesen verzweifelten Schritt nicht gewagt hättest, hätte der Engel uns alle vernichtet.
 

Einmal ist es mir gelungen, dich aus deinem EVA zu befördern, bevor du ihn erwecken konntest. Nichts konnte ihn stoppen, und du bist deinen inneren Verletzungen erlegen, bevor der Engel Lillith's Kammer erreichen konnte....
 


 

Aber wenn ich dicht nicht aufhalte, wirst du mit dem EVA verschmelzen, bevor du die Chance hast zu sterben, und deine Menschlichkeit wird nichts weiter sein als ein verflogener Traum, an den du dich kaum noch erinnern kannst.
 

Sterben wirst du nicht, und vielleicht kehrst du sogar zurück, aber es wäre eine Rückkehr in eine öde, leere Welt, die dir völlig fremd ist und dich keinesfalls willkommen heißen wird...
 

Jeder den du jemals gekannt hast,wäre entweder tot, oder aber in deiner Abwesenheit alt und verbittert geworden und so sehr du ihnen einst bedeutet haben magst, so wenig wären sie fähig, in dir etwas anderes zu sehen als den Grund für all ihr Leid;
 

Die einzigen, die für dich noch irgendeinen Platz oder Daseinszweck hätten, wären diejenigen, die in dir ein naives, formbares Werkzeug sehen, ein Werkzeug, mit dem das Schicksal der Welt endgültig besiegelt werden könnte.
 

Ich brauche dir wohl kaum zu erklären, dass wir diese Zeitlinie um jeden Preis vermeiden müssen. ““
 


 

Darauf bekam Yui keine Antwort mehr.
 

Ihr Gegenüber war sprachlos vor der Gewissheit, dass nichts, was seine Vorstellungskraft jetzt auf die Schnelle zusammenzimmern könnte auch nur annähernd darüber Auskunft geben könnte, wie es sich anfühlen würde, dergleichen wirklich zu durchleben.
 


 

„In dieser Welt hast du nach der Wahrheit gefragt, obwohl du wusstest, dass du sie nicht ertragen würdest.
 

Damals habe ich nicht verstanden, warum Nagisa-kun dir überhaupt eine Antwort gegeben hat, aber mittlerweile sehe ich das etwas anders, zumindest, nachdem du heute zu mir gekommen bist.
 

Du hast recht, und Nagisa-kun hatte ebenso recht.
 

Du verdienst die Wahrheit, und die Wahrheit ist dass ich dir nicht geglaubt habe.
 

Du sagtest, dass dich alle hassen würden, wenn du mit dem EVA nicht gewinnst, und ich dachte zuerst, dass du übertreibst, dass es dir vielleicht nur so erscheint, weil du dich vor Ablehnung fürchtest.
 

Es wäre wohl sehr praktisch, wenn jedes Risiko nur in deiner Einbildung existieren würde, und für einige Teile davon stimmt es wohl auch, aber es gibt in dieser Welt doch die reale Möglichkeit, tatsächlich gehasst zu werden.
 

Ich würde dir nur zu gerne sagen dass dies niemals wirklich geschehen würde, aber es wäre schlichtweg nicht wahr, und nicht vereinbar mit der menschlichen Natur – einige von uns würden nicht viel Verständnis für irgendwelche Umstände haben, wenn sie alles verlieren, was ihnen wichtig ist.
 

Ich schulde dir eine Entschuldigung.
 


 

Weißt du, das ironische ist, dass dies einer der wenigen Zeitlinien ist, in der du von den Geheimnissen der Verschwörung erfährst und dich entscheidest, dich SEELE aktiv entgegenzustellen um ihnen das Handwerk zu legen.. und dennoch musste ich wieder und wieder mitansehen wie du ihnen in die Falle gehst. Die Wahrheit ist, das die Gegenseite ihre Pläne schon lange vor unserer Geburt in die Wege geleitet hat... es ist kein leichtes Unterfangen, was wir uns da vorgenommen haben.“
 

„Aber was... was soll ich dann tun?! Was kann ich tun?“
 

„Sammle Verbündete.“ antwortete sie mit Bestimmtheit. „Unterstütze die Menschen in deiner Umgebung, und scheue dich nicht, ihre Unterstützung zu suchen.
 

Das Ziel ist, den Tag der Prophezeiung mit so wenig Verlusten wie möglich zu erreichen und SEELE dann aufzuhalten, bevor sie die Eröffnungsrituale beginnen können. Deshalb hab ich ja von Anfang an gesagt, dass du dich besser mit Asuka anfreunden solltest. Misato, Touji und die anderen kannst du bereits auf deiner Seite zählen aber es wäre besser, wenn ihr noch etwas mehr Vertrauen zueinander aufbauen würdet... Ihr werdet noch viel ertragen müssen. “
 


 

Was du nicht sagst. Er musste sich also mit seiner herrischen Mit-Pilotin vertragen, weil sonst das Ende der Welt droht – ganz egal, wie sehr sie ihn auch piesackte, das Onus lag ganz auf seiner Seite, weil sich die Welt scheinbar nicht damit zufrieden gab, sein Leben nur bei der Arbeit für sich zu beanspruchen – Nicht genug, dass er sich ständig irgendwelchen ätzenden Experimenten unterziehen und Kämpfe um Leben und tot bestreiten musste, nein, jetzt wolle das Schicksal der Menschheit ihm auch noch diktieren, mit wem er sich anzufreunden hatte -
 


 

Dabei war es ja nicht mal, dass er sich nicht mit Asuka vertragen wollte, aber wieso sollte er da die ganze Arbeit machen? Was für eine Freundschaft sollte dass bitte sein?
 

Und- Er wusste ehrlich gesagt nicht, ob er sich das wirklich zutraute, und schätze, dass es dafür wohl ganz praktisch war, sich schon mal eine Ausrede zurechtzulegen.
 

Er war nicht gut in so etwas, und er konnte beim besten Willen nicht sagen, wieso irgendjemand sich 'einfach so`' mit ihm anfreunden wollen sollte – Er hatte eben keine besonders liebenswerten Eigenschaften, und als seine Mitbewohnerin wusste Asuka das wohl besser als sonst irgendwer.
 

Es war ja nicht einmal eine Frage der Spekulation: Sie wusste sich da sehr deutlich auszudrücken und hatte ihre Meinung dazu in der Vergangenheit auch mehrmals zu genüge verständlich gemacht.
 

Selbst wenn er das Charisma und die Erfahrung hätte, um ihre Meinung von ihm zu verbessern, würde er ihr da nicht nur etwas vorspielen? Wäre das nicht unmoralisch?
 

Und was wenn doch? Ein paar kleine Lügen wären doch bei weitem nicht so unmoralisch, wie wenn er sich anschicken würde, das Schicksal der Welt zu riskieren, nur, weil er sich selbst gern als ehrlichen Menschen bezeichnen würde. Wäre das nicht nur Stolz, oder eine Abwälzung von Verantwortung?
 

Oder bestand die eigentliche Ausflucht darin, das 'Schicksal der Welt' als Ausrede für alles vorzuschieben, um sich durch eine diffuse zukünftige Bedrohung in der Gegenwart sozusagen eine moralische Blankovollmacht zuzugestehen.
 

Aber wenn er es nicht täte, und sie Yuis Vorhersagen entsprechend irgendein grausiges Schicksal ereilen sollte, könnte man ihm vielleicht sogar unterlassene Hilfeleistung vorwerfen, wenn er es nicht täte.
 

Wenn Yui ihm nichts gesagt hätte und ihr wäre durch SEELEs Machenschaften was geschehen, ohne dass er selbst etwas damit zu tun gehabt hätte, hätte er sich als unschuldig betrachten können, doch jetzt wo er bescheid wusste, war ihm eine Mitverantwortung auferlegt worden... und es sagte sicherlich nichts gutes über hn aus, dass er sich die unwissende Machtlosigkeit da fast schon zurück wünschte.
 

Sich besser mit ihren Kameraden zu verstehen sollte für Asuka ja eigentlich etwas gutes sein, es war ja nicht so, als ob er sie aus reinem Eigennutz manipulieren würde – aber konnte er wirklich mit Sicherheit sagen, dass er sich nichts von der Sache versprach, und dass er nichts davon hätte, mehr von ihr beachtet zu werden?
 

Und was machte es schon, wenn er etwas davon hatte, solange es auch ihr zugute kam? Es gab doch auch so etwas wie ein beiderseitig befriedigendes Ergebnis. Doch was gab ihm das Recht, zu entscheiden, was für Asuka gut sein sollte? Sollte er das entscheiden, nur weil ihm zufällig das Wissen über diese Situation in den Schoß gefallen war? Und wenn nicht er, wer sonst?
 

Er konnte ja schwerlich an Asukas Tür klopfen und ihr von der Zeitschleife erzählen, dann würde sie ihn für komplett meschugge halten und müsste sich daran versuchen, den Third Impact von einer Irrenanstalt aus zu verhindern, und das war ein Fehler, den er sich nicht leisten konnte -
 


 

Es stand so viel auf dem Spiel, dass jeder beteiligte eigentlich moralisch dazu verpflichtet wäre, alles zu geben, um diese letzte aller Tragödien mit aller Kraft zu verhindern – Nichts in seinem mickrigen wertlosen kleinen Leben könnte wichtiger sein als alle anderen Lebewesen zusammen.
 

Aber nur durch dieses Wissen würden seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht einfach verschwinden, und wenn er seine eigene Position und seine eigene Belastbarkeit nicht gewährleisten konnte, würde er gar nichts tun können...
 


 

Bis dahin musste sich diese stetige Abwärtsspirale in seinen Gedanken wohl auch in seinem Gesichtsausdruck widergespiegelt haben, auch, wenn dies keinesfalls seine Absicht gewesen wäre; Es wäre ihm lieber, wenn seine Gedanken Yui verborgen bleiben würden und er sich nicht neben seinen Sorgen auch noch mit ihrer Reaktion darauf herumschlagen müsste – Doch nach allem, was sie nach alledem über ign und sein Leben wissen musste, war es wohl unvermeidlich, und er wusste nicht, was er davon halten sollte -
 

Er sehnte sich natürlich danach, verstanden zu werden und seine Zweifel in dem genauem Wortsinn ausgeräumt zu bekommen, in dem sie ihn auch plagten, aber irgendwo irritierte es ihn auch, dass sie weit mehr über ihn wusste als er über sie; Nicht nur, dass er nicht einfach so die Kontrolle an sie abgeben wollte, nein, es fühlte sich auch an, als würde sie auf seinen Schwächen herumreiten, als ob er durch diese selbst nicht schon genug gestraft wäre -
 

Nicht nur, dass er seine Gedanken und Gefühle, nicht zu meistern vermochte und das simpelste, grundlegenste an seiner Existenz kaum aushielt, nein, es musste auch noch offensichtlich sein und für alle erkennbar.
 

Shinji fühlte sich bloßgestellt und dennoch unzureichend verbunden, seine Gedanken mochten sichtbar sein, aber nicht seine Erklärungen dafür, und er wusste nicht, ob er sie überhaupt erklären könnte, selbst, wenn er die Gelegenheit dazu erhalten sollte –
 


 

„Es ist nicht unmöglich,“ sagte sie, und sie hatte wohl recht, aber nur, weil etwas nicht unmöglich war, bedeutete dies nicht, dass es auch wirklich geschehen würde.
 

„Ich, weiß, ich weiß-“
 

Wenn sie doch nur aufhören würde. Er wusste, dass er vor der Wahrheit nicht davonlaufen durfte, aber konnte sie ihm nicht Zeit lassen, zwischendrin etwas luft zu holen?
 

So oder so schien Yui auf etwas anderes hinauszuwollen.
 

„Ich habe gehört, wie du dich heute morgen mit Ayanami unterhalten hast.“
 

Shinji machte sich auf Tadel gefasst, sobald er den Namen seiner Mitpilotin hörte; 'Na klar', ging es ihm durch den Kopf, noch eine weitere willkürliche Anordnung des Universums, dass aus irgendeinem Grund gerade über sein Leben zu verfügen gedachte, und das unter Androhung der Apokalypse.
 

„Wie viel hast du mitbekommen-?!“
 

„Nicht viel. Es war nicht meine Absicht, dich zu belauschen. “
 

War das glaubwürdig? Und wenn nicht, konnte er es ihr verübeln? Sie hatte schließlich die Rettung der Menschheit einzufädeln. Vermutlich wurde er gerade jetzt in diesem Moment von irgendwelchen NERV Sicherheitsleuten beobachtet, und es gab nichts, was er dagegen machen konnte.
 

Doch Yui's tatsächliche Aussage gestaltete sich ganz entgegen seiner bisherigen Annahmen:
 

„...sie hat doch irgendwas gesagt, nachdem es schien, dass ihr eigentlich fertig wart. Etwas, dass sie bloß nachträglich dazu gefügt hat. Kannst du mir sagen, was es war?“
 

Dass sie fragte sprach ja schon mal dafür, dass sie wirklich nicht alles mitgehört hatte, was ign aber nicht unbedingt dazu anspornte, dass bisschen an Geheimnissen, dass ihm noch blieb, auch noch vor ihre Füße zu legen.
 

Es war gut möglich, dass sie einfach der Umstände mehr über ihn wusste, als er über sich selbst mit Sicherheit sagen konnte, einfach weil sie ihn so oft in so vielen verschiedenen Situationen beobachten konnte; Sie konnte sich sicher schon alle möglichen Antworten denken, die er in Betracht ziehen könnte, wie etwa 'Was geht dich das an?' oder 'Wozu willst du das wissen'?
 

Bei ihrem Gerede davon, dass er Ayanami oder Misato aufgeben solle, kam ihn leicht die Vermutung, dass sie für Sie kaum noch als reale Menschen wirkten, nachdem sie sie so oft ins verderben stürzen und dann einfach weiterleben sehen hatte, er fand es ja selbst schwer, die Gegenwart um sich herum noch im gleichen Maße als real anzusehen -
 

Aber vielleicht hatte er von ihrer Perspektive auch deutlich an Realität verloren und wirkte nur noch wie eine Berechenbare Aufziehpuppe, die ihr immer wieder dieselben Einwände und Vorschläge lieferte.
 

Doch Shinji zwang sich, sich wieder zu vergegenwärtigen, dass nichts davon ihre Schuld war, und dass es hier um die Rettung der Erde ging.
 

„Ich weiß nicht was du meinst. Sie hat eigentlich nichts weiter besonderes gesagt. Sie hat sich nur bedankt, weil ich ihr vorhin geholfen habe...“
 

„Wirklich? Das ist ein gutes Zeichen. Für gewöhnlich geschieht das erst viel, viel später. Das heißt, dass du bei ihr schon mal Fortschritte gemacht hast. Du hast gute Chancen. “
 

„Eh...?“
 

„Es ist möglich.“
 

„Und woher willst du das wissen?“
 

„Weil ich es gesehen habe.“
 


 

Scenario #8
 


 

„Ich habe bisher vor allem von den Welten erzählt, die wir auf jeden Fall verhindern müssen, um dich darauf vorzubereiten, aber nicht alle Szenarien sind derart katastrophal.
 

Es gab auch einige, von denen man sagen könnte, dass sie Glücksfälle waren, in denen die Umstände unseren Zwecken etwas zuträglicher waren...
 

Einige davon hast du vermutlich schon gesehen, und darunter gibt es etliche, wo du und Asuka schon seid dem Sandkasten befreundet sind. “
 


 

„Ja, in einer anderen Realität, wo es keine Probleme gibt! Hier sind die Dinge anders...“
 


 

„Gewiss, aber die Unterschiede bestehen hauptsächlich darin, dass ihr beide in dieser Welt mit Euren Eltern aufgewachsen seid, und weil sie dort Kollegen waren, haben sie euch bekannt gemacht...
 

Und ich würde auch nicht sagen, dass es keine Probleme gab. In einer Menge dieser Varianten sind die Engel alle auf einmal aufgetaucht.“
 

„Was?!“
 

„Das war nicht ganz so überwältigend, wie du vielleicht denkst – anders als in unserer Welt warst du nämlich vorbereitet. Eure Eltern und die anderen bei NERV haben sich ein Trainingsprogramm für euch ausgedacht, und es waren auch etwas mehr Piloten dabei als nur ihr drei. Deine Mutter hatte einige... kreative Einfälle für Trainingsmethoden, aber sie waren zumindest dahingehend erfolgreich, dass sie euch alle deutlich zusammengeschweißt haben... Euch drei, euch fünf, ihr sieben, wie viele Piloten es auch gewesen sein mögen. Und zusammen, mit vereinten Kräften...
 

Nun, ihr habt generell eine gute Chance, die Engel zu bezwingen. “
 

„Was denn, alle auf einmal?!“
 

„Ja, genau.“ bestätigte sie. Wenn Shinji sie vorher unironisch Lächeln sehen hatte, war es ihm nicht so deutlich im Gedächtnis geblieben; Schmerzlich und melancholisch vielleicht, aber nicht mit echter Zuversicht, die hinter ihrer Erschöpfung hervorschien.
 

„Wenn ihr mit vereinten Kräften kämpft, ist das durchaus möglich. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.
 

Natürlich hast du nicht unrecht – Es war in einer anderen Welt, mit ganz anderen Umständen... deine Mutter hatte dort drüben dein ganzes Leben Zeit, um dich auf diese Aufgabe vorzubereiten. Dennoch bleibt es eine unumstößliche Tatsache, dass du und die anderen Piloten durch eure Zusammenarbeit großes bewirken konntet, und ich sehe keinen Grund, warum dies nicht auch hier möglich sein könnte. Und wenn wir diese Macht hierher bringen... Dann sollte noch nicht einmal SEELE sich ihr entgegensetzen können.“
 


 


 

[...]
 


 

„Wir müssen uns also vorbereiten. “
 

„...So ist es.“
 

Shinji wagte es immer noch nicht ganz auszusprechen, auf was sie sich da letzendlich vorbereiten sollten.
 

Das jüngste Gericht. Der Tag der Prophezeihung. Die Schlacht von Harmageddon. Das verheißene Land.
 

Unmöglich oder nicht, es war keine leichte Aufgabe, und er konnte sich ein gewisses abschließenden Seufzten doch nicht ganz verkneifen.
 

„Ich kann nicht anders als daran zu denken, wie viel Zeit ich schon verschwendet habe... Zeit, die ich nie wieder zurück bekomme.... Zeit, die ich dafür hätte benutzen können, mich vorzubereiten...
 

Statt mich um die Gegenwart zu kümmern, in der ich noch etwas tun kann, konnte ich nur die Zukunft sehen, in der alles schon vorbei ist... Statt zu sehen, was ich von hier aus noch tun kann, konnte ich nicht anders, als all die versäumten Möglichkeiten zu sehen und das hier und jetzt mit irgendeiner möglichen Welt zu vergleichen, in der ich alles besser machen können hätte...
 

Das Ende schien fast schon festzustehen, und vielleicht hab ich es deshalb einfach als unumstößlich hingenommen, und wollte einfach nur noch davor davonlaufen, damit ich den Schmerz der mit so unausweichlich bevorzustehen schien, so lange wie möglich ausweichen kann...
 

Vielleicht bin ich fast schon davon ausgegangen, dass sich am Ende irgeneine andere Version von mir darum kümmern müssen wird...“
 

An dieser Stelle schien sich ein beachtlicher Kloß an Gefühl gelöst zu haben, und was als eine Reihe abschließender Worte begonnen hatte, artete zu einer Art spontaner Erleuchtung aus, zu der sich auch etwas Feuchtigkeit an den Augenwinkeln dazugesellte.
 

„Ich war so erstarrt vom Anblick dieser möglichen Welt, dass ich ganz vergessen habe, hier in der Gegenwart zu sein, und am hier und jetzt teilzuhaben...!“
 

An dieser Stelle musste er kurz inne halten, um die überschlagenden Wellen seiner Einfälle und Gefühlsregungen zumindest in eine minimal präsentable Form zu bringen.
 

„Kein Wunder. Selbst Asuka sagt, dass ich immer in meiner eigenen kleinen Welt herumhänge und nichts mitbekomme... Ich weiß auch nicht warum, ob es an der Sache mit meinem Vater liegt, oder ob ich immer schon so gewesen bin Immer halb im Traumland, unten am Meeresgrund mit den Kreaturen, die dort leben. “
 

Er hätte erwartet, dass Yui seine Worte wie so ziemlich jeder andere, der seine Gedankengänge nicht direkt nachvollziehen könnte, auch erst einmal recht konfus finden würde, doch anders als erwartet schien sie seiner Amateur-Philosophie zumindest ein Stückweit folgen zu können:
 

„Ich glaube nicht, dass du da ganz allein bist. Am Ende leben alle Menschen in einer dualen Realität, einmal die konkrete Welt mit Tieren und Bäumen und Sternenlichtern, und dann die Welt der Möglichkeiten, Interpretationen und Bedeutungen, wo Konzepte und Fantasien zuhause sind. 'Die Seele ist etwas fremdes auf Erden' , oder so wird es gesagt. Manche von uns sind hier zwar etwas mehr zuhause als andere, aber letztlich kann sich niemand diesem Zwiespalt ganz entziehen, zumal unser ganzes Leben und all unsere Entscheidungen irgendwo auf irgendwelchen Vorstellungen und Prioritäten basieren...
 

Du darfst nur nicht vergessen, dass die Hälfte von dir, die nicht irgendwo da oben herumschwebt ebenfalls wichtig ist.“
 

„Da hast du wohl recht...“ gab er mit einem müden, immer noch recht rührseligem Lächeln zu.
 


 

An dieser Stelle entschied er sich bewusst, von dem Tisch aufzustehen, auf dem er bis jetzt gesessen hatte, und sich zu einem der Fenster zu begeben, die den Klassenraum begrenzten.
 

Er sah auf die Welt da draußen hinüber, fühle unter seinen Fingern die Fensterbank, die vom grellen Sonnenlicht stetig mit Wärme aufgeladen worden war, der Schulhof und darüber hinaus die Gebäude und Wäscheleinen und Fahrradwege, und er gab sich Mühe sie wirklich zu sehen und sich Details einzuprägen, denen er zuvor vielleicht wenig Aufmerksamkeit zugemessen hatte, nachdem die Objekte selbst im wesentlichen identifiziert waren.
 

Er versuchte, die Welt zu erkennen und wertzuschätzen, wie sie war, und nicht nur seine eigene Wahrnehmung davon, nicht bloß als irgendein Symbol für etwas in seinem Leben oder als eine Liste von Eigenschaften und Etiketten, an denen er die Dinge darin zu erkennen geglaubt hatte.
 


 

Er konnte nicht leugnen, dass die Aufgabe, die vor ihm lag, ihn immer noch in Angst und Schrecken versetzte, wenn er sich die Zeit nahm darüber nachzudenken – Jenseits seiner eigenen subjektiven Ängste gab es da noch das Ausmaß der realen Schwierigkeiten und es war nicht immer offensichtlich, wo genau die Grenze dazwischen lag – aber zum ersten mal seid einer langen Zeit, seid diesen umnachteten Wochen und Tagen nach seiner Konfrontation mit der Wahrheit, die im Nachhinein wie ein einziger dunkler Nebel erschienen verspürte er einen wirklichen Hunger nach der Welt da draußen, wo sich Handlungen und Entscheidungen abspielten und das eigentliche Leben, das er hier eigentlich führen wollte.
 


 

Er erwartete fast schon die Gelegenheiten und Scheidewege, an denen es ihm möglich sein würde, etwas zu ändern, so sehr er sie gleichzeitig auch fürchten mochte.
 

Vielleicht war auch das eine Art von umgekehrten Eskapismus, oder einfach die fähigkeit eines heranreifenden Verstandes, eine Idee in Betracht zu ziehen und zu verstehen, ohne sie direkt zu akzeptieren – oder vielleicht war es schlichtweg einfach, alten Mustern zu folgen, die sich trotz allen neuen Wissens über diese alles andere als alltägliche Situation in seinem Kopf festgesetzt hatten und sich beinahe von selbst ausführten.
 


 

Jedenfalls löschte das plötzliche Läuten der Schulglocke alle komplizierten Gedankengänge über die unausweichliche Verderbnis und die Natur menschlicher Wahrnehmung mit einem mal aus und erinnerte ihn statt dessen daran, dass er mit diesem Gespräch seine gesamte Mittagspause aufgebraucht hatte und ihm wohl kaum noch Zeit bleiben würde, um noch etwas zu essen.
 

Was sich auch in den verworrenen Windungen des menschlichen Großhirns abspielen mochte, ein Großteil seiner Existenz war doch durch grundlegende Prozesse des Lebens charakterisiert – Sie schlafen, sie essen, sie kacken, ganz gleich wie es um ihre höhere Bestimmung stehen mochte oder nicht.
 

Die Instinkte, sie sich um das Wahrnehmen und Nachverfolgen sozialer Verhältnisse kümmern sollten, waren zumindest im Kern nicht viel komplexer, weil ja ebenfalls der Maximierung von Überlebenschancen geschuldet:
 

Das nächste, was Shinji in den Sinn kam war, dass sich das Klassenzimmer schon sehr bald mit Siebtklässlern füllen würde – und das Yui seinetwegen ebenfalls keine Gelegenheit gehabt hatte, sich etwas Verpflegung zu Gemüte zu führen. Zeitreisende oder nicht, auch sie müsste doch eigentlich was essen.
 

„E-Entschuldigung! Jetzt habe ich deine ganze Pause in Beschlag genommen...“
 

Sie wirkte angesichts dieser Äußerung lediglich leicht überrascht, vielleicht, weil es sie wunderte, wie er angesichts der Tragweite der Gesprächsthemen noch an so etwas wie die Schule denken konnte, aber gehörte das nicht dazu, sich der Gegenwart zu stellen?
 


 

Als er sich daran machte, den Raum zu verlassen, bevor die einströmenden Siebtklässler ihn danach fragen konnten, konnte er doch nicht anders als zur Kenntnis zu nehmen, wie sie sich einfach wieder an ihren Platz setzte ohne großartig auf ihre Mitschüler zu reagieren, selbst, als die zwei Mädchen von vorhin hereinkamen, seine Anwesenheit bemerkten und sich gegenseitig kichernd etwas zuflüsterten.
 

Es war, als würde sie einfach nur darauf warten, bis er sie das nächste mal aufsuchen würde, oder das war zumindest sein Eindruck – und sie war trotz aller Ähnlichkeit nicht wie Ayanami, der man zumeist nicht wirklich ansehen könnte, inwiefern sie überhaupt dieselben Wünsche, Bedürfnisse und Prioritäten hegte, wie ihre Mitschüler. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie sich nach ihrer eigenen Welt zurücksehnte, und wie ihr die Menschen, die sie von dort drüben kannte, so nah und doch so fern erscheinen mussten, verdammt dazu, alle Augenblicke, die sie mit ihnen teilen würde, wieder und wieder zu vergessen.
 


 


 

Es wäre nach alledem wohl einfach und sinnvoll gewesen, Yui nicht mehr als ungeliebte Unheilsbotschafterin sondern als Verbündete anzusehen, für einen Moment hatte er wirklich geglaubt, eine Art Kameradschaft zwischen ihnen gespürt zu haben, jetzt, wo sie sich auf einem etwas ebenbürtigeren Niveau unterhalten hatten.
 

Und doch blieben da diese Gedanken, die er nicht abschütteln können, Fragen, die ihm erst verzögert in dem Sinn kamen, während er den Fluren zu seinem eigenen Klassenzimmer folgte, als sein Verstand etwas mehr Zeit gehabt hatte, die neuen Informationen zu verarbeiten.
 

Wie alt war sie eigentlich, und wie viel Zeit war für sie vergangen, seid sie ihre eigene Welt verlassen hatte? Man hatte sie eine Klassenstufe unter seine eigene eingestuft, aber vielleicht sah sie etwas jünger aus, als sie eigentlich war – zuerst hatte es ihn wenig gewundert weil sie doch angegeben hatte, in jedem Schleifendurchgang nur eine kurze Zeit verbracht zu haben, aber jetzt gab sie an, zumindest zu anfangs auch für längere Zeit in den jeweiligen Welten geblieben zu sein, und wenn das jeweils ein gutes Jahr dauerte, müsste sie mittlerweile nicht viel älter sein?
 

Und das, was sie erzählt hatte, von dieser anderen Welt, in der er selbst und Asuka zusammen aufgewachsen waren und von ihren Eltern auf die kommenden Schlachten vorbereitet worden waren... hatte Yui dort seine Mutter getroffen, und sie tatsächlich kennen gelernt?
 

Noch viel wichtiger: Wenn sie sich da drüben doch angeblich so gut gegen die Engel geschlagen hatten, wie kam es dann, dass dieser Durchgang nicht der letzte gewesen war? War es irgendwie doch noch zu einem Third Impact gekommen?
 

Am Ende konnte er so oder so nichts anderes tun, als sich auf das zu konzentrieren, was er im Augenblick auch wirklich beeinflussen konnte, aber er wurde den Eindruck nicht los, dass es da noch irgendetwas wesentliches gab, dass sie ihm noch nicht gesagt hatte...
 


 

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(1) „Scenario #1“ ist meine persönliche Interpretation davon, was sich während den letzten beiden Episoden in der „äußeren“ Welt zugetragen hat; Ich würde hinzusetzen, dass Shin-chan letztlich auch Gendo's Version des Instrumentality Projekt die Abfuhr erteilt (was etwa der „Congratulations!“ Szene entsprechen dürfte) und das Yui sich auch hier in den Weltraum verabschiedet (da sich Shinji ja ganz wie in EoE in der letzten Szene von ihr verabschiedet) – Einige der anderen Szenarien erkennt ihr vielleicht (trotz gewisser Abwandlungen) aus diversen Spinoffs und Bonusmateriallien wieder. (Manga, ANIMA, sore o nasumono, Raising Project etc.) Man bemerke das das Fräulein Ichijou Gendos Aktionen in jedem der Szenarientendenziell milde bewertet und sich auch über Shinji's eigene Beteiligung gehörig ausschweigt...
 

(2) Das würde dann das 'ZOMG I Broke reality' Storyarc fürs erste abschließen. Dann mal weiter im Text! Ich glaube das ganze hat sich zwischenzeitlich irgendwie zu einer Metapher für meine Prokrastinationsprobleme entwickelt... XD



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